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Kitabı oxu: «Ingénue», səhifə 23

Şrift:

»Nun, mein Herr,« sprach er zu dem jungen Manne, »nun da Sie sicher sind, daß nichts ohne unser dreifaches Zusammenwirken geschehen wird, lassen Sie mich wenigstens Ihre Wunde untersuchen und mich mit dem vorläufigen Verbande beschäftigen.«

»Oh! was das betrifft . . . thun Sie es, mein Herr,« erwiederte Christian, »thun Sie es.«

»Albertine,« rief Marat, »bringe frisches Wasser und Compressen.«

Und zu Christian zurückkehrend:

»Auf, mein Herr, Muth! ich werde die Wunde sondiren.«

»Ist die Operation sehr schmerzhaft?« fragte Christian.

»Ja, mein Herr; doch sie ist zugleich unerläßlich, und seien Sie unbesorgt, ich werde dabei mit der ganzen Leichtigkeit meiner Hand zu Werke gehen.«

Christian antwortete nur dadurch, daß er dem Wundarzte sein Bein darbot.

»Vor allen Dingen verbergen Sie mir nichts, mein Herr,« sagte Christian.

Marat verbeugte sich zum Zeichen der Zustimmung und begann die Operation.

Beim Einbringen der Sonde in die Wunde, die sich sogleich mit einem blutigen Schaume färbte, erbleichte Christian, jedoch noch weniger als der Chirurg.

»Sie schreien nicht,« sagte Marat zu Christian; »ich bitte, schreien Sie, schreien Sie.«

»Und warum, mein Herr?«

»Weil Sie das erleichtern wird, und ich, wenn ich Sie nicht schreien höre, annehme, Sie leiden mehr, als Sie in Wirklichkeit leiden.«

»Warum sollte ich schreien,« erwiederte Christian, »da Sie Ihr Bestes thun, und Ihre Hand in der That leichter ist, als ich hoffte? Seien Sie also ohne Furcht, mein Herr, und fahren Sie fort.«

Nachdem er aber so gesprochen, drückte der junge Mann an seine Lippen ein Taschentuch und biß mit kräftigen Zähnen darein.

Die Operation dauerte ungefähr eine halbe Minute.

Dann zog Marat mit sorgenvoller Stirne die Sonde aus der Wunde zurück, und legte eine mit kaltem Wasser getränkte Compresse auf.

»Nun?« fragte der junge Mann.

»Sie haben eine Consultation gewünscht,« antwortete Marat: »meine Collegen werden bald kommen; warten wir.«

»Warten wir!« wiederholte der junge Mann, während er seinen immer mehr erbleichenden Kopf wieder auf das Kissen fallen ließ.

XXXIV
Die Consultation

Man hatte nicht lange zu warten: der Doctor Louis kam nach zehn Minuten und der Doctor Guillotin nach einer Viertelstunde.

Christian begrüßte den Eintritt der zwei Aerzte nnt einem sanften, traurigen Lächeln.

»Meine Herren,« sagte er »ich habe eine schwere Wunde bekommen, und da ich Page von Seiner Königlichen Hoheit Monseigneur dem Grafen von Artois bin, so ließ ich mich nach seinem Marstalle bringen, weil ich wußte, ich finde hier einen Wundarzt. Welches Vertrauen ich nun auch zu diesem Herrn habe, so wollte ich doch Ihre Meinung hören, ehe ich mich für etwas entscheiden würde.«

Guillotin und Marat begrüßten sich als zwei Bekannte, während sich im Gegentheile der Doctor Louis und Marat als zwei Fremde grüßten.

»Untersuchen wir die Wunde,« sprach Guillotin.

»Leihen Sie mir Ihre Sonde, mein Herr,« sagte der Doctor Louis zu Marat.

Ein Schauer durchzog die Adern des jungen Mannes bei dem Gedanken, man werde die Operation , die ihm so viel Schmerzen gemacht, wieder anfangen, und diesmal werde die Operation von der zitternden Hand eines Greises versucht werden.

»Das ist unnöthig,« entgegnete rasch Marat, »ich habe die Wunde sondirt, und ich kann Ihnen jede Auskunft, die Sie wünschen, über den Zustand der Wunde und über den Weg, den die Kugel genommen, geben.«

»Dann wollen wir ins Nebenzimmer gehen,« sagte der Doctor Louis.

»Warum, meine Herren?« fragte Christian; »damit ich nicht hören kann, was Sie sagen werden?«

»Um Sie nicht unnöthig durch Worte zu erschrecken, die vielleicht in Ihrer Einbildungskraft eine andere Bedeutung, als die, welche ihre eigentliche ist, annehmen würden.«

»Gleichviel, meine Herren,« sprach Christian, »ich wünsche, daß Alles in meiner Gegenwart vor sich gehe.«

»Er hat Recht,« fügte Marat bei, und das ist auch mein Wunsch.«

»Gut,« erwiederte der Doctor Louis.

Dann fragte er lateinisch:

»Was ist der Zustand der Wunde?«

Marat antwortete in derselben Sprache, jedoch mit einem bleichen Lächeln.

»Meine Herren,« sagte Christian, »ich bin Pole, und das Lateinische ist fast meine Muttersprache: soll ich Ihre Dissertation nicht verstehen, so müssen Sie eine andere Sprache wählen. Nur sage ich Ihnen zum Voraus, daß ich ungefähr alle Sprachen spreche, die Sie kennen und selbst sprechen mögen.«

»Sprechen wir also Französisch,« sagte der Doctor Guillotin; »überdies scheint der junge Mann herzhaft und entschlossen zu sein.«

Sodann sich an Marat wendend:

»Reden Sie, College, wir hören.«

Doch das Wort: »Ich bin Pole,« schien Marat dergestalt ergriffen zu haben, daß er kaum die Sylben zu artikuliren vermochte.

Er wischte seine mit Schweiß bedeckte Stirne ab, schaute den jungen Mann mit einem unbeschreibbaren Ausdrucke von Bangigkeit an, schüttelte den Kopf, als wollte er eine Idee verjagen, die sich seiner unwillkürlich bemächtigte, und sagte endlich:

»Meine Herren, wie Sie sehen, ist die Kugel beim oberen Drittel des Schenkels eingedrungen; sie gelangt unmittelbar auf den Knochen, an welchem sie sich, indem sie ihn bricht, lähmt; da sie aber an den äußeren Punkt schlägt, so weicht sie leicht ab und setzt sich zwischen dem Knochen und den Muskeln fest. Man fühlt sie mit der Sonde.«

»Bedenklich!« murmelte der Doctor Louis.

»Sehr bedenklich!« sagte Guillotin.

»Ja, sehr bedenklich!« wiederholte Marat.

»Sind Splitter da?« fragte Guillotin.

»Es sind da,« antwortete Marat: »ich habe zwei mit der Sonde herausgezogen.«

»Aeußerst bedenklich!« wiederholte Louis.

»Uebrigens kein Blutfluß,« sagte Marat: »folglich, so viel man zu beurtheilen vermag, keine Verletzung der großen Gefäße; was die Schenkelschlagader betrifft, sie war durch ihre Lage außer dem Bereiche des Geschosses-. . .«

»Sobald der Knochen gebrochen ist. . .« bemerkte der Doctor Louis seinen Collegen anschauend.

»Läßt sich nur noch die Amputation vornehmen,« vollendete Guillotin.

Marat erbleichte.

»Verzeihen Sie, Doctor,« entgegnete er, »überlegen Sie wohl: bei einem einfachen Bruche ist dieser Beschluß entsetzlich.«

»Ich halte die Amputation für dringend,« wiederholte der Doctor Louis.

»Ei! warum?« fragte Marat; »ich höre Sie, und zwar mit dem Respecte, den ich dem Verfasser der schönen Abhandlung über die Schußwunden schuldig bin.«

»Warum? Weil sich erstens in einigen Tagen eine heftige Entzündung entwickeln wird: diese Entzündung wird eine übermäßige Spannung des Fleisches hervorbringen; durch das Factum dieser Spannung wird eine gewaltige Zusammenziehung der Theile stattfinden; das Subject ist jung, kräftig: das Losstrammen wird unmächtig sein, die Zusammenziehung zu hemmen, – hiervon der Brand! Zweitens werden bei dieser Entzündung die Splitter gepreßt werden; sie werden die Nervenfäden reizen; dieses Reizen wird unerträgliche Schmerzen erzeugen, und diese Schmerzen werden wahrscheinlich den Starrkrampf herbeiführen; man wird also das Glied nicht erhalten, und man wird das Individuum tödten. Drittens endlich bleibt der Kranke, – angenommen, man vermeide den Brand und den Starrkrampf, – einer Eiterung ausgesetzt, welche im höchsten Grade schwächt; denken Sie sich nun, Sie seien in diesem Augenblicke genöthigt, den Schenkel abzuschneiden, dann stirbt der Kranke an der Operation.«

»Ich leugne nichts von Allem dem,« erwiederte Marat; »doch das scheint mir noch kein genügender Grund, um das Glied abzunehmen; Sie haben die Dinge aufs Schlimmste gestellt; Sie haben sie auf den äußersten Grad getrieben, Doctor; ich, was mich betrifft, ich hoffe Besseres von der Wunde.«

»Wie gedenken Sie aber die Entzündung zu bekämpfen? Werden Sie die Wunde losstrammen?«

»Nein; denn die Wunde losstrammen heißt eine neue Wunde auf eine alte pfropfen, und es würde hierdurch die Entzündung vermehrt statt vermindert.«

»Es ist die Ansicht von John Bell, man müsse die Wunde immer losstrammen,« bemerkte der Doctor Louis.

»Es ist aber nicht die von Hunter,« entgegnete Marat.

»Nennen Sie Ihre Mittel, um die Entzündung bei einem Subjecte zu bekämpfen, das, ich wiederhole es, jung und kräftig ist.«

»Ist es jung und kräftig,« antwortete Marat, »so werden wir ihm Blut abzapfen.«

»Gut, was die allgemeine Entzündung betrifft; es wird jedoch die örtliche Entzündung bleiben.«

»Wir werden ihm, wenn ich mich so ausdrücken darf, einen Wärmestoff-Aderlaß machen.«

»Sie wollen sagen, Sie werden es mit kaltem Wasser behandeln?«

»Das ist ein Mittel, welches ich mehr als einmal mit glücklichem Erfolge angewendet habe.«

»Doch die Splitter?«

»Man braucht sich nicht hierum zu bekümmern; so wie sie sich darbieten, werden wir sie herausreißen , wohlverstanden, so oft wir es ohne Gefahr für den Kranken thun können.«

»Doch die Kugel? die Kugel?« rief der Doctor Louis.

»Allerdings, man muß sie wenigstens ausziehen,« sagte Guillotin.

»Die Kugel wird von selbst kommen.«

»Und wie das?«

»Die Eiterung wird sie nach außen treiben.«

»Sie wissen aber wohl, daß es unmöglich ist, einen fremden Körper in der Wunde zu lassen.«

»Ein fremder Körper, besonders wenn er aus Blei besteht, ist nicht nothwendig tödtlich.«

»Wo haben Sie denn das gesehen?« rief der Doctor Louis.

»Ich will es Ihnen sagen. . . Hören Sie, was mir eines Tages in Polen begegnete: ich ging auf die Jagd . . . ich war immer ein mittelmäßiger Jäger; überdies ist die Jagd ein grausames Vergnügen, und vor Allem bin ich human.«

Die beiden Aerzte verbeugten sich.

»Nun wohl, als ich eines Tages jagte, hielt ich einen Hund für einen Wolf und sandte ihm drei Rehposten zu: der eine setzte sich in den Lendenmuskeln fest, der andere plattete sich oben am Schulterblatte ab, der dritte brach eine Rippe. Den letzten konnte ich ausziehen; der zweite kam nach Verlauf von zehn Tagen selbst aus der Wunde heraus; der dritte blieb im Fleische, verursachte aber keinen Unfall. Nun denn, warum sollte die Natur, welche auf dieselbe Art bei allen Thieren wirkt, nicht für den Menschen thun, was sie für den Hund thut?«

Der Doctor Louis blieb einen Augenblick nachdenkend.

Plötzlich aber sagte er:

»Seien Sie auf Ihrer Hut, mein Herr! was Sie da auseinandergesetzt haben, ist nur eine persönliche Beobachtung, es ist ein merkwürdiges, interessantes Factum; die Wissenschaft stützt sich aber nicht auf Ausnahmen. Meiner Ansicht nach risquiren Sie das Leben des Verwundeten, indem Sie eine Theorie anwenden, welche im Widerspruche mit der ganzen chirurgischen Wissenschaft von Ambroise Paré bis auf Jean Louis Petit steht.«

Marat verbeugte sich mit einer ruhigen Festigkeit.

Der Doctor Louis blieb aber beharrlich.

»Ich nehme die Sache auf mich,« sagte Marat.

»Geben Sie wohl Acht, mein Herr,« entgegnete der Doctor Louis: »die Chirurgie erhebt sich seit, kurzer Zeit wieder; es ist für die Wundärzte, welche , gestern noch Barbiere und Pflasterstreicher, Bedürfniß, ihrem Stande Achtung zu verschaffen, und das Mittel, ihm Achtung zu verschaffen, ist, nichts zu wagen, sich geizig mit dem Leben der Individuen zu zeigen, – zu heilen.«

»Mein Herr, ich muß die Wahrheit Ihrer Worte, die Aufrichtigkeit Ihrer Meinung anerkennen,« sagte Marat; »doch Sie haben einen zu großen Respect vor dem Doctorhute: ich, ich setze das Gewissen über den Gebrauch.«

»Wenn aber der Mensch stirbt, wie wird es mit Ihrem Gewissen sein, das allen wissenschaftlichen Traditionen zuwider und gegen die Meinung aller Männer, deren Erfahrung das Gesetz macht, gehandelt hat?«

»Es gibt zwei Gesetze, welche meiner Ansicht nach das der Erfahrung überwiegen,« erwiederte Marat: »das eine ist das Gesetz der Humanität, das andere das des Fortschrittes. Im Ganzen ist die Chirurgie nicht bestimmt, nur schöne Operationen zu machen; was bedeutet das Wort Chirurgie? Hilfe der Hand. Die Hand sei also eine Hülse, und das Schnittmesser ein Medicament. Ich verleugne mir die Verwegenheit des Actes nicht, doch ich nehme ihn auf mich. Oh! entschuldigen Sie, Doctor, es gibt einen Ersatz für die Häßlichkeit meiner Augen: das ist ihre Güte; nun Kohl, ich sehe von hier aus den Tag, wo die Chirurgie einen großen Fortschritt gemacht haben wird: die Chirurgie, welche schneidet, ist nur eine Kunst, die Chirurgie, welche heilt, ist eine Wissenschaft.«

»Ich würde Ihre Hartnäckigkeit noch begreifen, Herr Marat, wäre die Wunde am Arme; doch ein Bruch durch einen Schuß an einem unteren Gliede!«

»Ich übernehme die Verantwortlichkeit, mein Herr/' sprach Marat.

Bei diesem Worte, das alle chirurgische Consultationen abschneidet, verbeugten sich die zwei Doctoren, und Guillotin reichte Marat mit einer wahren Sympathie die Hand.

»Möchte es Ihnen glücken,« sagte er; »ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen einen günstigen Erfolg.«

»Ich wünsche Ihnen dasselbe, doch ich bezweifle diesen Erfolg,« fügte der Doctor Louis bei.

»Und ich, ich stehe dafür!« sprach Marat.

Und er begleitete bis zur Thüre die zwei Doctoren? ehe sie sich entfernten, erklärten sie zum letzten Male, sie überlassen die ganze Verantwortlichkeit für die Behandlung ihrem Collegen, dem Arzte des Marstalles von Seiner Königlichen Hoheit Monseigneur dem Grafen von Artois.

Diese lange Discussion, statt den jungen Mann niederzuschlagen, hatte seine Kräfte exaltiert. Marat, als er zu ihm zurückkam, fand ihn mit fieberglühendem Auge.

Er streckte seine beiden Hände dem Doctor in einem Ergusse der Dankbarkeit entgegen und sagte zu ihm:

»Mein Herr, empfangen Sie meinen vollen Dank für die Art, wie Sie mein armes Bein vertheidigt haben. Behalte ich es, so bin ich Ihnen dafür verbunden, und ich werde ewig erkenntlich sein. Treten die von diesen Herren prophezeiten Unfälle ein, nun« so werde ich mit der Ueberzeugung sterben, Sie haben Alles gethan, was, um mich zu retten, zu thun möglich war.«

Marat nahm die beiden Hände, die ihm der junge Mann reichte, und zwar mit einem so fühlbaren Zittern, daß ihn der Verwundete erstaunt anschaute. Dieser Blick fragte offenbar nach der Ursache einer solchen Gemüthsbewegung, welche im Allgemeinen selten genug bei den Aerzten, und besonders bei den Aerzten vom Schlage des unsern, daß der Verwundete sie bemerkte.

»Mein Herr,« sprach Marat, »haben Sie nicht gesagt, Sie seien Pole?«

»Ja, mein Herr.«

»Wo sind Sie geboren?«

»In Warschau.«

»Wie alt sind Sie?«

»Siebzehn Jahre.«

Marat schloß die Augen und strich mit der Hand über seine Stirne, wie es ein Mensch thut, dem es schlimm wird.

»Ihr Vater lebt?« sagte er.

Und seine Augen verschlangen zum Voraus die Antwort, die von den Lippen des Verwundeten ausgehen sollte.

»Nein, mein Herr,« erwiederte dieser; »mein Vater ist vor meiner Geburt gestorben, und ich habe ihn nie gekannt.«

Bei diesen Worten wurde Marat nachdenkend, zu gleicher Zeit aber eifriger als je. Er reichte Christian einen leicht aromatisierten Trank, um den Krämpfen und der nervösen Erstarrung entgegenzuwirken und schritt dann selbst zum Verfertigen einer seltsamen Vorrichtung, mit der er zugleich die Entzündung und den Starrkrampf zu bekämpfen hoffte. Das war eine Art von Fontaine, die er längs der Wand befestigte, und die vermittelst eines Strohhalms Tropfen um Tropfen ein eiskaltes Wasser auf die, mit einer einfachen Compresse bedeckte, Wunde sollte fallen lassen.

Der junge Mann schaute ihm mit einer Mischung von Erstaunen und Dankbarkeit zu. Alle diese eifrigen, sorgsamen Bestrebungen lagen so sichtbar außer den Gewohnheiten von Marat, daß derjenige, welcher der Gegenstand derselben, unwillkürlich darüber tief erstaunt war.

»Also, mein Herr,« sagte Christian zu ihm, als die Vorrichtung zu funktionieren anfing, »Sie beschäftigen sich nicht anders mit der Kugel?«

»Nein,« erwiederte Marat, »es ist besser, sie zu lassen, wo sie ist, da sie nicht am Knochen anhängt, als es versuchen, sie auszuziehen; denn nähme ich ihre Aufsuchung vor, so würde ich mich der Gefahr aussetzen, ernste Uebel hervorzurufen, zum Beispiel einen von den heilsamen Blutklumpen zu zerstören, welche die sinnreiche Natur, – diese gute Mutter, der Beste von allen Aerzten! – unfehlbar bilden wird. Nein, von zwei Dingen eines: entweder wird die Kugel durch ihr eigenes Gewicht niedersinken, und wir haben an einem schönen Tage nur die Haut zu öffnen, um sie ausziehen, oder, wenn sie uns belästigt, machen wir einen Einschnitt beim nächsten Punkte, und wir holen sie.«

»Es sei,« sprach der junge Mann; »machen Sie es, wie es Ihnen gutdünkt: ich überlasse mich ganz Ihnen.«

Marat schien zu athmen.

»Ah!« sagte er mit einem fast zärtlichen Lächeln, »Sie mißtrauen mir also nicht mehr?«

Der junge Mann machte eine Bewegung.

»Oh!« fuhr Marat fort, »leugnen Sie es nicht! . . . Sie waren vorhin nicht beruhigt hinsichtlich meiner.«

»Entschuldigen Sie mich, mein Herr,« erwiederte Christian, »ich kannte Sie nicht, und ohne an Ihrem Talente zu zweifeln . . .«

»Es ist wahr,« unterbrach Marat, halb mit sich selbst, halb zu dem jungen Manne sprechend, »da Sie mich nicht kannten, so konnte Sie mein Aussehen nicht beruhigen; denn ich soll häßlich sein, und wenn ich mich anschaue, bin ich genöthigt, der Ansicht derer, welche dies sagen, beizutreten; mein Costume hatte auch nichts Beruhigendes: ich bin nicht sehr reizend im Nachtgewande; mein Ruf vermochte Sie eben so wenig zu beruhigen. . . ei! ei! ich habe keinen! Und dennoch weiß ich, wie Sie sehen, die Beine gegen diejenigen, welche sie abschneiden wollen, zu vertheidigen; und dennoch,« fuhr er mit einer Art von Schwermuth fort, die dieser Organisation voller Contraste nicht fremd war, »und dennoch habe ich mehr gesehen, mehr gelernt, mehr gearbeitet, als sie Alle! Was hat Sie also an mir beruhigt, mein Herr?«

»Nun wohl, Ihre Aenderung gegen mich, Ihr erschrecklich barsches Benehmen in ein sanftes Wohlwollen verwandelt. Als ich Sie eintreten und Sie mit vollen Händen unter diesen entsetzlichen Instrumenten wühlen sah, hielt ich Sie eher für einen Schlächter, als für einen Arzt. Nun sind Sie im Gegentheile eifrig und sorgsam gegen mich, wie es nur eine Frau wäre, und Sie schauen mich an, wie ein Vater sein Kind anschauen würde. Denjenigen, welchen man so anschaut, will man nicht leiden lassen.«

Marat wandte sich ab. Was suchte denn dieses bittere, verachtende Herz zu verbergen? Schämte sich Marat seiner guten Gefühle, wie sich ein Anderer schlimmer geschämt hätte? Oder ging im Grunde dieser finsteren Seele etwas Ungewöhnliches vor, was er Aller Augen entziehen wollte?

In diesem Momente machte sich im Vorzimmer ein Geräusch hörbar, ähnlich dem einer Person, welche in größter Eile herbeiläuft, und eine Frau stürzte aus dem Corridor herein und rief mit erstickter Stimme:

»Mein Sohn! mein Christian! wo ist er? wo ist er?«

»Meine Mutter!« rief der junge Mann, indem er sich in seinem Bette aufrichtete und beide Arme derjenigen, welche herbeilief, entgegenstreckte.

Zu gleicher Zeit zeichnete sich die hohe Gestalt von Danton in der Oeffnung der Thüre wie in einem für sie zu engen Rahmen.

Danton suchte mit den Augen Marat; dieser hatte aber beim Anblicke der eintretenden Frau und beim ersten Worte, das sie gesprochen, einen Schrei ausgestoßen und war in den dunkelsten Winkel des Zimmers zurückgewichen.

XXXV
Wo Danton zu glauben anfängt, der Roman des jungen Potocky sei weniger ein Roman, als eine Geschichte

Der Verwundete hatte, um mit Leib und Seele seiner Mutter entgegen zustürzen, auf die Kräfte gerechnet, die er nicht besaß, so daß er fast ohnmächtig auf sein Kopfkissen zurückfiel.

Die Mutter gab einen Schrei von sich und verlangte Hilfe; Danton näherte sich aber allein und beruhigte sie, indem er ihr ihren Sohn zeigte, der die Augen wieder öffnete, während sie zu gleicher Zeit feine beiden Arme um ihren Hals wieder lebendig werden fühlte.

Marat hatte sich nicht gerührt: er schien aus dem dunklen Winkel, in den er sich geflüchtet, das Gemälde zu verschlingen, das vor ihm diese Mutter und dieses Kind bildeten.

Die Mutter war eine noch schöne Frau, obgleich nicht mehr jung. Ihre durch die Gemüthserschütterung, die sie so eben erlitten, verstörten Züge trugen das Gepräge eines großartigen Charakters von Adel und Stolz an sich, indeß ihre hellblauen Augen und ihre blonden Haare die Frau vom Norden, in der vollen Aristokratie der fürstlichen Geschlechter, bezeichneten.

Gegen ihren Sohn geneigt, an dessen Stirne ihre Lippen klebten, enthüllte sie in dieser Stellung eine noch reiche Taille und einen Fuß von merkwürdiger Eleganz.

Der junge Mann öffnete die Augen wieder, wie es Danton gesagt hatte, und die Mutter und der Sohn tauschten einen von jenen Blicken, in welchen eine ungeheure Menge Hymnen an die Vorsehung, ein unaussprechlicher Dank zu Gott enthalten sind.

Mit wenigen Worten erzählte sodann Christian, ohne zu sagen, woher er gekommen, noch warum er sich auf der Place Dauphine befunden, seiner Mutter, wie er verwundet worden, wie er, als Page von Monseigneur dem Grafen von Artois, nach dem Marstalle des Prinzen geführt zu werden verlangt habe; wie er durch die Fürsorge von Danton, – den er mit dem Finger bezeichnete, da er ihn nicht dem Namen nach kannte, – aus eine Tragbahre gelegt und nach dem Faubourg Saint-Honoré zurückgebracht worden sei; wie er den Wundarzt des Marstalles gefunden, wie dieser ihn gegen seine Collegen, welche ihm durchaus das Bein abschneiden wollten, vertheidigt, und wie endlich die Aufmerksamkeiten und Bemühungen des Arztes, so viel als möglich, die von einer solchen Wunde unzertrennlichen Schmerzen gelindert haben.

Und während er Alles dies erzählte, suchte der junge Mann mit den Augen Marat, welcher sich immer mehr in den Schatten des Zimmers vertieft hatte.

Nachdem sie ihre Liebe ihrem Sohne ausgedrückt, war es für die Mutter von Christian Bedürfniß, ihre Dankbarkeit seinem Retter auszudrücken.

»Aber wo ist denn dieser gelehrte und edelmüthige Doctor?« fragte sie, indem sie im Zimmer umherschaute und dann den Blick auf Danton heftete, als wollte sie ihn bitten, sie in der Aufsuchung des Wundarztes zu leiten, wie er sie bei der Aufsuchung des Hauses geleitet hatte.

Danton nahm eine Wachskerze, schritt auf den Winkel des Zimmers zu, von wo aus Marat dieser ganzen Scene beigewohnt hatte, und sagte lachend:

»Hier ist er, Madame; beurtheilen Sie ihn weder nach seiner Tracht, noch nach seiner Miene, sondern nach dem Dienste, den er Ihnen geleistet hat.«

Und zu gleicher Zeit beleuchtete er mit einem und demselben Scheine das Gesicht von Marat und das der Mutter von Christian, welche die Eine einen Blick der Dankbarkeit, der Andere einen Blick fast des Schreckens wechselten.

Kaum hatten sich diese zwei Blicke gekreuzt, als Danton wahrnahm, es gehe im Herzen dieser beiden Personen etwas vor, was die Zuschauer nicht begreifen konnten.

Marat war zwei Schritte von der Wand; beim Anblicke dieser Frau wich er zurück wie beim Anblicke eines Gespenstes, und nur die Wand allein, an die er sich nun anlehnte, verhinderte ihn, weiter zu gehen.

Die unbekannte Frau ihrerseits behielt einen Augenblick ihre Kaltblütigkeit; doch alsbald erinnerten sie das Erstaunen von Marat, seine Blässe, der erstickte Schrei, den er von sich gab, ohne Zweifel an das, was die Zeit und das Leiden an einem einst bekannten Gesichte verwischt hatten, sie verlor ebenfalls die Haltung, schlug ihre Hände an einander, wich bis zum Bette zurück, als wollte sie eine Zuflucht bei ihrem Sohne suchen oder ihm selbst Schutz gewähren, und murmelte:

»Oh! wäre es möglich?

Diese stumme Scene, kaum merkbar für die Verständigsten, hatte zu einzigen Zeugen Danton und Albertine, welche voll Unruhe hin und herging.

Was Christian betrifft, – er schloß angegriffen durch so viel Leiden und Gemütsbewegungen die Augen und begrub sich in die ersten Nebel des Schlafes.

Die anderen Anwesenden waren einige Bediente vom Hause des Prinzen, die sich halb aus Müdigkeit, halb aus Discretion nach und nach entfernten, entweder um sich schlafen zu legen, oder um über die Ereignisse der Nacht zu plaudern.

Seltsamer Weise aber nahm nach der Entfernung der Zeugen die Scene, die wir zu beschreiben versucht, keinen Fortgang.

Marat, der sich von einem so heftigen Schlage betroffen gefühlt hatte, erlangte wieder seine Stärke und bewältigte seine Gemüthsbewegung.

Die Mutter strich mit ihrer eiskalten Hand über Ihr Gesicht, jagte fern von sich die Erinnerung, und schüttelte den Traum ab.

Danton schaute Beide an und brachte rückwärts gehend wieder auf den Kamin die Kerze, die er hier genommen.

»Madame. . .« stammelte Marat, trotz seiner Willenskraft unfähig, ein Wort mehr zu sagen.

»Mein Herr,« antwortete die Mutter mit einem leichten Accente, der ihren fremden Ursprung verrieth, »mein Sohn und ich, wir haben Ihnen viel Dankbarkeit zu bezeugen.«

»Ich habe meine Pflicht bei diesem jungen Manne gethan,« erwiederte Marat; »ich hätte sie bei jedem Anderen gethan.«

Und unwillkürlich zitterte seine Stimme, als er die drei Worte: »Diesem jungen Manne«, aussprach.

»Ich danke Ihnen, mein Herr,« sagte sie; »und kann ich meinen Sohn nun zu mir bringen lassen?«

Eine Art von Kampf entspann sich im Herzen von Marat. Er näherte sich dem Bette, betrachtete aufmerksam prüfend Christian, der in den tiefen Schlaf der Ermüdung versunken war, und sprach, ohne seiner Mutter ins Gesicht zu schauen:

»Sie sehen, daß er schläft.«

»Ich frage Sie das nicht, mein Herr,« sagte die Mutter; »ich frage Sie, ob Gefahr dabei sei, wenn ich meinen Sohn zu mir bringen lasse.«

»Ich denke, es wäre Gefahr dabei, ja, Madame,« antwortete Marat. »Uebrigens,« fügte er mit zitternder Stimme bei, »glauben Sie mir übrigens, der junge Mann wird nicht schlecht hier sein.«

»Aber ich, mein Herr? . . . ich?« entgegnete die Mutter, indem sie sich umwandte und auf Marat den doppelten Blitz ihres Blickes heftete.

Marat verbeugte sich, weniger aus Ehrfurcht, als um dieser Flamme, die ihm das Herz versengte, zu entfliehen.

Sodann, allmälig seine Gemüthsbewegung überwindend, sagte er:

»Ich werde die Ehre haben, Ihnen meine armselige Wohnung abzutreten. Die vollkommene Heilung Ihres Herrn Sohnes hängt von den ersten Verbänden und von der Unbeweglichkeit, die er beobachten wird, ab. Ich werde ihn zweimal des Tags besuchen; Sie sollen die Stunde meiner Besuche erfahren und können denselben beiwohnen oder sich entfernen. Die ganze übrige Zeit werden Sie allein mit ihm sein.«

»Aber Sie, mein Herr . . .?«

»Ah! bekümmern Sie sich nicht um mich, Madame,« sprach Marat mit einem Tone, der die ganze Demuth der Reue in sich schloß.

»Nach dem Dienste, den Sie Christian und folglich mir geleistet, kann ich Sie doch nicht aus Ihrer Wohnung vertreiben?«

»Oh! gleichviel, wenn nur der junge Mann gut zu ihr ist und der Gefahr der Ortsveränderung entgeht.«

»Wo werden Sie aber wohnen?«

»Es wird wohl eine Dienstbotenmansarde im Marstalle unbesetzt sein.«

Die Mutter des Verwundeten machte eine Bewegung.

»Oder besser noch,« fügte Marat rasch bei, »hier ist Herr Danton, der Sie, glaube ich, geholt hat, und der ein mir befreundeter berühmter Advocat ist.«

Die Unbekannte machte mit dem Kopfe ein Zeichen der Dankbarkeit.

»Er hat wohl die Güte, mir für die ganze Zeit, welche für die Wiedergenesung Ihres Herrn Sohnes erforderlich sein wird, Quartier zu geben,« fuhr Marat fort.

»Sicherlich, Madame,« sagte Danton, der, da er diese zwei so beunruhigten Gesichter beobachtet, sich in unaufhörlichem Erstaunen, in tausend Vermuthungen verloren und nur in langen Zwischenräumen an der Handlung Theil genommen hatte.

»Dann nehme ich es an,« erwiederte die Dame, während sie ihre Mantille auf einen in ihrer Nähe befindlichen Lehnstuhl warf.

Und sie setzte sich zu den Häupten von Christian.

»Was habe ich zu thun, um dieses Kind zu pflegen?« fragte sie.

»Nie die Quelle von Eiswasser, das Tropfen um Tropfen auf seinen Schenkel fließt, versiegen lassen, und ihm von Stunde zu Stunde den aromatisirten Trank geben, den Albertine bringen wird.«

Unfähig, das Gespräch länger auszuhalten, verbeugte er sich sodann und ging ins Nebenzimmer, oder vielmehr ins anstoßende Cabinet; hier vertauschte er seinen alten Schlafrock gegen ein fast reinliches Kleid und nahm Stock und Hut.

»Vergessen Sie Ihr Manuscript nicht,« sagte Danton, der ihm gefolgt war und ihn Anstalten zum Abgange treffen sah. »Sie werden mit aller Bequemlichkeit bei mir arbeiten.«

Marat hörte ihn nicht und bot ihm ganz zerstreut seinen Arm.

Diesen Arm fühlte Danton zittern, da Marat genöthigt, um wegzugehen, das Zimmer des Verwundeten zu durchschreiten, mit der Unbekannten einen Abschiedsgruß wechselte.

Als er auf die Treppe kam, hatte Marat auf die Fragen verschiedener Dienstleute des Hauses zu antworten; sie waren trotz der vorgerückten Stunde der Nacht aufgeblieben und wollten Kunde über den jungen Mann haben, der um so mehr Theilnahme eingeflößt, als Viele in ihm das erkannt hatten, was er wirklich war, einen Pagen des Grafen von Artois.

Sobald sie aber außer dem Hause, sobald sie auf der Straße waren, sagte Danton:

»Nun, mein Lieber, rasch Ihr kleines Bekenntniß.«

Oh! mein Freund,« rief Marat, »welch ein Abenteuer!«

»Potocky? ächter Potocky? ein Epilog zu unserem polnischen Romane?«

»Ja, doch ich bitte, lachen Sie nicht.«

»Gut! . . . wahrhaftig, Sie sind hierbei, mein armer Marat? Ich glaubte, Sie seien dahin gekommen, daß Sie über Alles lachen.«

»Diese Frau,« fuhr Marat fort, »diese Frau mit ihrer immer stolzeren sarmatischen Schönheit, diese so zärtliche und für die Gesundheit ihres Sohnes so ängstliche Mutter . . .«

»Nun?«

»Wissen Sie, wer es ist?«

»Es würde mich belustigen, wäre Ihre Unbekannte Fräulein Obinska.«

»Sie ist es, mein Freund.«

»Sind Sie dessen wenigstens sicher?« fragte Danton, der noch einmal zu spotten versuchte.

Marat nahm eine feierliche Miene an und sprach:

»Danton, wollen Sie mein Freund bleiben, so scherzen Sie nie, wenn Sie diese Epoche meines Lebens berühren. Zu viel Leiden ist damit verknüpft, zu viel von meinem Blute, vom kostbaren Blute meiner Jugend ist in jener Zeit geflossen, als daß ich kalt zu einer solchen Vergangenheit zurückgehen könnte. Wenn Sie sich also meinen Freund nennen, wenn Ihnen einiger Maßen daran gelegen ist, daß Sie nicht durch leere Worte einen durch das Märtyrerthum, das er ausgestanden, tief verletzten Unglücklichen quälen, so hören Sie mich ernsthaft an, wie Sie einen Mann, und nicht wie Sie die Vorlesung eines Romans anhören würden.«

Janr və etiketlər

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04 dekabr 2019
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Public Domain

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