Kitabı oxu: «Ein Mosaiksteinchen des Hintergrundes»

Şrift:

Arnold Schück

(1897 – 1974)

EIN MOSAIKSTEINCHEN DES HINTERGRUNDES

Lebenserinnerungen eines deutschen Prager Juden

Herausgegeben von Heidemarie Neuhold

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2015

Bibliographische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie;

detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Zweite überarbeitete Auflage

Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Erster Teil = 1897 bis 1939 GAUDEAMUS IGITUR, IUVENES DUM SUMUS

Meine Entschuldigung oder ich wasche meine Hände in Unschuld

Ein Mosaiksteinchen des Hintergrundes

Der Lausbub

Wenn einer eine Reise tut

Eigentlich sollte ich schon erwachsen sein

Peu à peu werde ich endlich ein Mann

Die Geschichte dreier Malheure oder Pst! Darüber darf man nicht sprechen

Dieses Kapitel hat keinen Titel

Finis Austriae

Das kurze Leben (in) der 1. Republik

Zweiter Teil = 15. März 1939 bis Mai 1945 DIE EINBAHNSTRASSE

In der Mausefalle

Meine Entwaffnung

Teure Schlüssel zu zugemauerten Türen

Von Helfern und Hyänen

Großmutter zu günstigen Bedingungen abzugeben

Das Kunststück zwischen drei Mühlsteine zu geraten

Präludium in Moll – Diebstahl wird Gesetz

Hoffnungen und Zweifel – In den Raub kommt System

L i l y

Der Mensch lebt nicht von Brot allein

Eines trüben Septembermorgens gingen auf die Sterne

Der große Fischzug oder Wer zuerst kommt

Transporte – Transporte – Transporte

Die Heydrichiade

Birkenau, ein lieblicher Name – wo mag das wohl sein?

Wie umsegelt man ein Riff – ohne Schiff?

Ein weißer Rabe

Es geschehen noch Wunder

Wie man ins Wasser geht, ohne naß zu werden

Zu Weihnachten statt Karpfen Wasserleichen

… weil manchmal auch sein kann, was nicht sein darf

Saure Bonbons

Eine Seifenblase platzt

Es platzt noch mehr

Dem Klapperstorch ein Kontra

Die Gans

Hilflos zwischen Krebs und Hakenkreuz

Der Schlüssel

Der 6. Juni 1944

Der 6. Juni 1944 (Fortsetzung) oder Wohltun trägt Zinsen

Und der andere Schlüssel

»Da hast du aber Glück gehabt«

Das Empfangszeremoniell

Meine erste Nacht hinter Kerkermauern

Rhapsodie in mittelalterlichem Stil

Ein Koffer, ein Photo und ein Gulasch

Als der Kommissar bei schlechter Laune war

Der General

Mein Schutzengel

Der Fall Metzger oder Wer Jude ist, bestimmen wir

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan

Eine unwillkommene Beförderung

Zwei Charaktertypen

Die Ratte und der Cowboy

Da muß etwas geschehen!

Wenn zwei einander fürchten

Welche Freude, welche Lust!

Hindels, ein Ebenbild des Siegfried oder Herakles und dennoch rassenreiner Jud für die SS

»Jetzt geht’s mit euch in den Wurschtkessel!«

Virgil

Die Vorhölle

Intermezzo

Inferno

Dem Sensenmann entkommen

Dritter Teil = Mai 1945 bis Februar 1974 DIE STEEPLECHASE PRAG – WIEN – HAMBURG

Auf der Suche nach Normalität

Prager Wirklichkeiten

Die Story, wie ich auf zwei Pferden gleichzeitig mit nacktem Hintern (n.H.) das »Große Derby« und die »Pardubitzer« ritt

Ein aussichtsloser? Versuch

In Freiheit! – Oder?

Im Kampf gegen die Amtslipizzaner

Mensch ärgere dich nicht!

Warum einfach, wenn es kompliziert auch geht?

Vitamin B wirkt immer

Angekommen!

Haben Sie schon gehört? oder: Wie meine Frau zu einem neuen Pelz kam

ANHANG MODERNE KUNST – Vor dem Verfall?

Ein sehr subjektiver Streifzug durch die Kunstgeschichte verfaßt um 1970 von Arnold Schück

GLOSSAR

VORWORT

Arnold Schück, von seinen Freunden »der glückliche Europäer« genannt, – war hoch intelligent und gebildet, immer gut aufgelegt, hilfsbereit und hatte großes Verständnis für Menschen in Not. Seinen wundervollen, im besten Sinn des Wortes »Jüdischen Humor« hat er trotz aller furchtbaren Erlebnisse – wie durch ein Wunder – zeitlebens nicht verloren. Selbst entsetzliche, kaum vorstellbar grausame Situationen bekommen durch diesen Humor eine menschliche Färbung, wobei seine umfassende Bildung und seine künstlerische Veranlagung – manchmal auch in Form eigener Wortschöpfungen – immer wieder einfließen.

Er kam in der Zeit der Monarchie als Sohn einer deutsch-jüdischen Industriellenfamilie in Prag zur Welt und will mit seinen Memoiren, die er mit dreiundsiebzig Jahren aufzuschreiben begonnen hatte, quasi als kleines Mosaiksteinchen den Hintergrund des Weltgeschehens ergänzen. Sein Leben (1897 – 1974) fällt in eine epochal geschichtsträchtige Zeit, in der große politische Ereignisse und Wandlungen stattfanden. Im Kontext mit der Weltgeschichte, die er immer wieder kurz anreißt, schildert er anekdotisch seine Lebenserinnerungen.

Diese Schilderungen sind jedoch keine Schwarzweißmalerei, sondern zeigen, daß es immer und überall Einzelne oder Gruppen gab, die menschlich oder unmenschlich handelten.

Leider war es dem Autor nicht gegönnt, seine Memoiren, die er als »Lebenserinnerungen eines Alltagsmenschen« bezeichnet, selbst zu beenden. Sowohl die Jahre 1919 bis 1938, als auch die Zeit in Prag von 1945 bis zur Flucht aus der kommunistischen Diktatur 1963, sowie die Erlebnisse danach in Österreich und Deutschland bis zu seinem Tod 1974, sind in sein Manuskript nicht mehr eingeflossen. Vor allem über die Ereignisse in Auschwitz konnte er auch noch nach Jahrzehnten nicht berichten. Nur einmal, kurz nach Kriegsende, hatte er seiner Gattin, der aus Wien stammenden Bildhauerin Mary Duras, von diesen furchtbaren Erlebnissen erzählt, später aber diese kaum mehr erwähnt. Die Künstlerin wollte die Lebenserinnerungen ihres Mannes ergänzen und zu Ende schreiben, aber leider blieb es nur beim Vorsatz. Sie starb 1982 vierundachtzigjährig in Graz.

Im Nachlaß von Arnold Schück befanden sich zahlreiche Briefe und Notizen, an Hand derer wir uns entschlossen haben, die zeitlichen Lücken soweit als möglich zu schließen. Wir haben durch weitgehend wortgetreues Zitieren das Gesamtbild dieses außergewöhnlichen »Alltagsmenschen« fertiggezeichnet und möchten es als informatives und unterhaltsames, gleichzeitig aber auch aufklärendes Zeitzeugnis einem breiteren Leserkreis zugänglich machen. Leider war das durch verschiedene Umstände bedingt in den letzten fünfunddreißig Jahren nicht möglich, aber es scheint uns gerade in unseren Tagen wieder sehr wichtig, in Erinnerung zu rufen, was in einem Menschenleben an Schönem und Fürchterlichem – noch dazu so charmant formuliert – geschehen kann, wenn es die große Weltpolitik so will. Vieles hat sich seither verändert, vieles aber ist auch heute genau so aktuell wie seinerzeit.

Wir haben bewußt die »alte« Rechtschreibung beibehalten, um das Werk möglichst authentisch im Stil des Autors zu belassen. Ausdrücke und Bezeichnungen, die im heutigen Sprachgebrauch selten oder unüblich geworden sind, wurden mit* gekennzeichnet und sind im Glossar erläutert.

Graz, im Feber 2011

Heidemarie und Fritz Neuhold

Auch fünf Jahre nach dem ersten Erscheinen des Buches ist vieles in unseren Augen noch aktuell. Menschen werden zum Spielball der Politik, – müssen ihre Heimat verlassen und neu beginnen. Daher haben wir uns entschlossen, – auch durch äußere Umstände bedingt –, eine zweite redigierte Auflage herauszugeben.

Graz, im Oktober 2015

Heidemarie und Fritz Neuhold

ERSTER TEIL

1897 – 1939

GAUDEAMUS IGITUR, IUVENES DUM SUMUS

Meine Entschuldigung oder ich wasche meine Hände in Unschuld

»Liebe gnädige Frau, Sie bestehen also wirklich und allen Ernstes darauf, daß ich meine Lebenserinnerungen niederschreibe?

Nun, Ihr Wunsch ist mir Befehl, doch die Verantwortung tragen Sie! Ich will Sie dabei insofern wenigstens schonen, daß ich Ihnen aus dem ganzen Pudding womöglich nur die Rosinen und die Mandeln herausklaube – die süßen aber auch so manche bittere.

Doch auch so empfinde ich das Ganze als eine große Chuzpe, denn schließlich kommt es nicht auf das Material an, sondern auch auf die Zubereitung – und da bin ich mir be … wie bitte? Ach so, Sie wissen nicht, was Chuzpe ist? Nun das ist ganz einfach. Chuzpe ist – ist –, nein Frechheit stimmt nicht genau – Unverschämtheit? – nein, auch das deckt sich nicht präzis.

Über Frechheit und Unverschämtheit hat man das Recht sich zu ärgern. Chuzpe wirkt entwaffnend, da kann man nur lächeln. Chuzpe ist – eben Chuzpe! Jetzt weiß ich, wie ich es Ihnen erklären kann. Anhand von Beispielen! Also hören Sie!«

Vor dem Krieg hatten wir in unserem Prager Büro eine Reihe von »Stammkunden«. Der Kassier hatte eine Liste mit deren Namen, Terminen und Zuwendungen. Die meisten dieser Schnorrer waren arme Teufel. »Prominente« hatten wir – soweit ich mich erinnere – nur drei.

Nummer eins.

Er war eine unter dem Namen »Haschile« stadtbekannte Figur. Wie er wirklich hieß, das – glaube ich – wußte zum Schluß nicht einmal er selbst. Er war eine lebende Karikatur und sah ausnahmsweise wirklich so aus, wie sich der kleine Moritz im »Stürmer« die Juden vorstellte – oder richtiger, sie dem deutschen Volk vorstellte. Dabei war er – nämlich Haschile und nicht der Stürmer – ein harmloser, guter und anständiger Kerl. Als er einmal im Winter wieder um seinen monatlichen Obolus kam, war unser Gesellschafter gerade im Schalterraum.

Haschile erwischte die Gelegenheit beim Schopf und ihn beim Rockärmel: »Schaun Sie an, Herr Langendorf, in was für e dünnem, zerrissenem Röckel ich bei die Kälte herumlaufen muß!«

Herr Langendorf hatte ein weiches Herz und half, wo er konnte: »Haschile, kommen Sie am Abend nach acht – Sie wissen doch, wo ich wohne – zu mir. Sie bekommen einen noch guten warmen Winterrock.«

Nach einigen Tagen traf er bei schneidender Kälte Haschile auf der Straße – in seinem zerschlissenen Röckchen: »Aber Haschile, warum tragen Sie nicht bei dieser Kälte meinen Winterrock?«

Haschile schüttelte den Kopf mit einem Blick vollen Vorwurfs gemischt mit Verständnislosigkeit: »Aber – Herr Langendorf! Kann ich!? Kann ich in so einem noblichten Rock herumlaufen und schnorren?! Wer gibt mir da schon etwas? Für den hat mir der alte Meisl – Sie kennen doch diesen Trödler in der Langegasse – bare sechzig Kronen gegeben!«

»Sehen Sie gnädige Frau, das ist Chuzpe.«

Nummer zwei: Hilsner.

»Der hat bei Gott nichts mit Chuzpe zu tun. Sein Schicksal will ich Ihnen trotzdem erzählen, denn es machte Geschichte.«

Um die Jahrhundertwende gab es wohl in der ganzen österreichisch– ungarischen Monarchie kaum einen Menschen – wenigstens unter den Gebildeteren – der den Namen nicht gekannt hätte. Sein Prozeß war so ein kleiner österreichischer Dreyfusskandal mit österreichischer Pseudogemütlichkeit. Damals wurde unweit des Städtchens Polna an der bömisch-mährischen Grenze die Leiche eines kleinen Mädchens gefunden. Es war wohl ein Lustmord. Da es jedoch kurz nach dem jüdischen Osterfest war, verbreitete sich schnell ein gezieltes Gerücht, daß es von Juden ermordet worden sei, die für ihre Osterbrote Christenblut benötigen. Solche Ritualmordmärchen waren seit Jahrhunderten besonders bei der Landbevölkerung nicht unerwünscht.

Diese lebte zum großen Teil das ganze Jahr hindurch bis zur Ernte auf Pump* bei den jüdischen Getreidehändlern, kaufte auf Pump bei den jüdischen Gemischtwarenhändlern und soffen auf Pump bei den jüdischen Gastwirten, die meist auch Schnapsbrenner waren. Ergab sich nun mal so eine Gelegenheit zu einer Ritualmordbeschuldigung, so wurde die für die Veranstaltung von kleineren oder größeren Pogromen ausgenutzt, bei welchen dann gewöhnlich die meisten Schuldscheine verschwanden. Um die fragliche Zeit wurde in der Nähe des Tatortes der jüdische Hausierer Hilsner gesehen. Eine Schuld konnte ihm nie nachgewiesen werden. Soweit ich mich erinnere, wurde er aufgrund von Indizien zum Tode verurteilt und dann zu lebenslänglicher Haft begnadigt. Dieser Polnaer Ritualmordprozeß wirbelte viel Staub auf. Er war, wenn nicht der letzte, so einer der letzten Schandflecke der, in der daran nicht allzu armen Geschichte der menschlichen Dummheit und Bösartigkeit.

Der Großteil der »christlichen Welt« Österreichs, aber auch über die Grenzen hinaus – vor allem in Bayern glaubte – (glaubte wirklich?) – an die Schuld Hilsners und der Juden von Polna. Vor allem die klerikalen Zeitungen Österreichs spieen Gift und Galle. In Böhmen standen sich in dieser Affäre zwei Männer gegenüber, die eine große Rolle in der tschechischen Öffentlichkeit spielten. Der eine, der mit aller Energie das Märchen vom Ritualmord verteidigte, war Dr. Baxa, Primator der Stadt Prag, ein bekannter tschechischer Chauvinist und Antisemit. Der andere, der mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln dagegen ankämpfte, war ein Mann, der immer – gleich Zola – sich unerschrocken für die Wahrheit einsetzte. Es war der Professor Thomas Masaryk, der später als erster Präsident der Tschechoslovakischen Republik Hilsner begnadigte. Dieser wurde als alter gebrochener Mann entlassen, angewiesen auf die Wohltätigkeit seiner jüdischen Mitbürger.

Nummer drei: Herr Mandelbaum.

Dieser war kein Bettler, sondern »Kunsthändler«. Seit ich ihm einmal unvorsichtigerweise eine Kleinplastik eines begabten jungen tschechischen Bildhauers, der leider jung starb, abgekauft hatte, ernannte er mich zum Kunstmäzen und Sammler. Er verfolgte mich mit Kunstwerken – schlechten, mittelmäßigen und manchmal sogar guten – von Kunst hatte er keine Ahnung. Einmal, als ich gerade ein dringendes Gespräch mit Rotterdam angemeldet hatte, steckte er seinen Kopf herein. Er hatte entdeckt, daß man, wenn man genügend flink war, durch eine Seitentür aus dem Schalterraum direkt ohne Anmeldung zu mir gelangen könne.

»Herr Schef ich hab einen pikfeinen Kalvoda.«

»Kalvoda interessiert mich nicht.«

»Dann hab ich noch einen Nechleba!«

»Auch Nechleba interessiert mich nicht.«

»Es ist aber ein Galeriestück – eine aufgelegte Mezie*!«

»Einen Nechleba habe ich schon und das genügt mir.«

Und nach einer Weile energisch: »Herr Mandelbaum, heute kaufe ich überhaupt keine Bilder. Ich habe jetzt keine Zeit.«

Und damit hatte ich geglaubt, ihn für diesmal los zu sein. Ich hatte Herrn Mandelbaum unterschätzt.

»Also was würden Sie so brauchen können, Herr Schef?«

Ich suchte seit Jahr und Tag vergeblich ein gotisches Aquamanile*.

»Also wenn Sie ein Aquamanile auftreiben können, das würde mich interessieren – aber garantiert echt muß es sein!«

»Natierlich kann ich! Ein ganz prima – was wollen Sie anlegen?«

Ich staunte. Sollte er wirklich von einem echten gotischen – oder gar romanischen – Aquamanile wissen?

»Nun, wenn es garantiert echt und schön ist, auch zweitausend.«

»Was!? Ein echtes, prima Aqua … – es verschlug ihm anscheinend die Sprache – nein das ist unmöglich – ganz ausgeschlossen! Unter vier wird das bestimmt nicht gehen.«

»Na schön, erst bringen Sie es mir und dann können wir uns, nachdem ich es gesehen habe, über den Preis unterhalten.«

Herr Mandelbaum empfahl sich. Gerade als das Rotterdamer Gespräch kam, steckte er nochmals den Kopf herein: »Entschuldigen Sie Herr Schef, was is das eigentlich das Aquamandrill?«

»Wissen Sie nun, was Chuzpe ist? – Und was ich da tue? Dafür tragen Sie die Verantwortung!

I c h w a s c h e m e i n e H ä n d e i n U n s c h u l d !«

Ein Mosaiksteinchen des Hintergrundes

»Ja, gnädige Frau, Sie haben mich überzeugt – es hat vielleicht doch einen Sinn, daß ich wenigstens einzelne meiner Erlebnisse niederschreibe.

Memoiren schreiben im allgemeinen Persönlichkeiten, die das Weltgeschehen aktiv mitbestimmten (oder glaubten es mitzubestimmen) sowie Repräsentanten des Geisteslebens.

Ein Mosaikbild wäre jedoch ein Fragment, wenn auf diesem nur die Figuren des Vordergrundes ausgeführt wären. Um ein vollendetes Bild zu schaffen, muß man auch den Hintergrund mit Steinchen ausfüllen. Ohne diese – ob sie nun je nach der Zeit eine eintönige Fläche oder ein vielfarbiges Mosaik bilden – wäre das Gesamtbild unvollständig. So will ich das Mosaikbild meiner so ereignisreichen Zeit mit kleinen, nur scheinbar unwesentlichen Steinchen des Hintergrundes ergänzen.

Es werden also keine Lebenserinnerungen einer Persönlichkeit von allgemeinem Interesse sein, sondern ganz unwesentliche Erlebnisse eines Menschen, der eben vom Handeln (oder Nichthandeln) der Verantwortlichen – oder oft von verantwortungs- und skrupellosen Akteuren des Vordergrundes getrieben und geschoben wurde.

So manche Memoirenschreiber, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, wollen oft nur verewigen (wenigstens für wenige Jahre), was sie geleistet haben und erklären, warum sie dies oder jenes getan (oder unterlassen) haben, warum – meist natürlich durch das Verschulden anderer – dies oder jenes danebengeriet, wie sie (jetzt im nachhinein natürlich) alles vorausgesehen hätten und wie alles so ganz anders gekommen wäre, wenn sie gekonnt hätten, wie sie wollten, wie aber –, leider trotzdem –, nun eben weil –, und obwohl sie – es nicht in ihrer Macht gelegen war, daß – …

Nun solche Memoiren sind – eben wegen ihrer Subjektivität – oft recht aufschlußreich, wenn man sie mit denen anderer Zeitgenossen vergleichen kann. Schließlich sind auch Persilmemoiren, wie zum Beispiel die gewesener Nazigrößen und anderer Verbrecher auch, ein guter finanzieller Abschluß der ansonsten verpfuschten Existenz.

Ich will dagegen nur ganz ehrlich und naiv berichten, wie ich – so wie die meisten anderen Komparsen der Weltgeschichte – meist gar nichts voraussah und mir nicht bewußt wurde, was auf mich zukam, und selbst da, wo ich eine Ahnung der kommenden Ereignisse hatte, nicht den Mut und die Energie hatte – meist nicht einmal die Möglichkeit – mich aus dem Strom herauszuarbeiten und von diesem mitgerissen wurde.

Die großen Weltereignisse, die ja allgemein bekannt sind, werde ich nur so weit – quasi als Koordinaten – berühren, als dies notwendig ist, um die Zusammenhänge mit meinen persönlichen Erlebnissen anschaulich zu machen.

Im Laufe der Jahre schleifen sich die schärfsten Kanten, an denen man um Haaresbreite vorbeigekommen ist, ab. Bei einzelnen Erlebnissen verblaßt so das ärgste Grauen, bei anderen, fröhlichen verweilt man gern ein Weilchen länger, schmückt sie ein wenig aus – dichtet auch einmal gelegentlich etwas dazu. Doch das ist nur eine unwesentliche Kosmetik und alles hätte sich auch genau so abspielen können. Wenn es also so amüsanter ist, glaube ich hierzu berechtigt zu sein.

Ich habe mir meine heitere Natur bewahrt, weil ich ja doch immer wieder selbst bei den ärgsten Saltos auf die Butterseite gefallen bin.

Ich bitte Sie daher, gnädige Frau, mir zu glauben, daß ich alles eher in rosigen Farben geschildert habe – selbst dort, wo in der schwärzesten Finsternis das Rosa kaum noch durchscheinen kann. Ich glaube nicht, daß überhaupt jemand mit Worten das Gräßliche zu veranschaulichen vermag – ich bestimmt nicht, denn ich bin kein Dichter.

Und nun schneiden Sie den Pudding an. Hoffentlich machen ihn die vereinzelten Rosinen und Mandeln etwas schmackhafter. Mahlzeit!«

11,33 ₼
Janr və etiketlər
Yaş həddi:
0+
Litresdə buraxılış tarixi:
22 dekabr 2023
Həcm:
796 səh. 28 illustrasiyalar
ISBN:
9783960081739
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