Kitabı oxu: «Peters exotische Reisen»

Şrift:

B . BORN

Peters exotische R eisen

Inhalt

Inhaltsverzeichnis

1. Teil

Erster Tag (Mittwoch, der 3. April 2013)

Zweiter Tag (Donnerstag, der 4. April)

Dritter Tag (Freitag, der 5. April)

2. Teil

Erster Tag (Donnerstag, der 1. August)

Zweiter Tag (Freitag, der 2. August)

Dritter Tag (Samstag, der 3. August)

Vierter Tag (Sonntag, der 4. August)

Fünfter Tag (Montag, der 5. August)

Sechster Tag (Dienstag, der 6. August)

Siebter Tag (Mittwoch, der 7. August)

Achter Tag (Donnerstag, der 8. August)

Neunter Tag (Freitag, der 9. August)

Zehnter Tag (Samstag, der 10. August)

Elfter Tag (Sonntag, der 11. August)

Zwölfter Tag (Montag, der 12. August)

Dreizehnter Tag (Dienstag, der 13. August)

Vierzehnter Tag (Mittwoch, der 14. August)

Fünfzehnter Tag, (Donnerstag, der 15. August)

3. Teil

1 1. Teil

An der Küste in Suffolk, England

vom 3. bis zum 5. April 2013

1 Erster Tag (Mittwoch, der 3. April 2013)

Die Anfahrt nach Lowestoft war öde. Eine Maschine machte ein hohes Geräusch, rötliches Neonlicht flimmerte und zirpte, es holperte, wenn eine Schiene von der nächsten abgelöst wurde. Seit Ipswich zockelte der moderne Dieselzug im Schneckentempo von Dorf zu Dorf. Der letzte Bahnhof hatte aus einem kleinen Bahnsteig und einem einzelnen Haus bestanden. Dunkelbraune Baumgerippe standen im tiefen Morast der Felder und der schneeschwere Himmel stülpte sich wie eine aufgeblähte Haut darüber. Kaum zu glauben, dass es schon das erste Wochenende im April war, eine Woche nach Ostern, das in diesem Jahr extrem früh gelegen hatte.

Emil, mein Sohn, fast acht Jahre alt, saß mir gegenüber auf einem der dreckroten Sitze mit kleinen, weißen Rechtecken. Er hatte einen monströsen Kopfhörer auf und hörte ein Kinder-Hörspiel. Dabei drehte er das Kabel auf seinen Finger, das sowieso schon einen Wackelkontakt hatte, und sah aus dem Fenster auf die Wasserrinnsale, die im Fahrtwind von links nach rechts über das Glas wanderten.

Meine trägen Gedanken waberten ziellos umher. Die Farbe der speckigen Sitze und auch der leicht süßliche Geruch nach Kaugummi erinnerten mich an unser WG-Zimmer, dass Marlis und ich, als wir vor 15 Jahren nach London gekommen waren, gemietet hatten. Das Haus, an einer nervtötenden Hauptstraße gelegen, war mit seinen exzentrischen Bewohnern und seiner völlig brüchigen ‚Möblierung‘, ein derartig extremer Erfahrungswert gewesen, dass seitdem alles weitere ‚Wohnen‘ in London wie ein Spaziergang daherkam.

Die hartnäckigen Fragen aller Freunde und Verwandten, warum wir denn bloß aus Berlin weggegangen seien und uns London angetan hätten, konnten wir nur unzulänglich beantworten. Wir waren von einer Art Überdruss befallen gewesen, der nur mit einem schnellen und radikalen Schnitt geheilt werden konnte.

Wie alle, die ohne große Geldmittel nach London gekommen waren, waren auch wir in einem undurchdringlichen Teufelskreislauf gefangen gewesen, den man nur mit Tricks und Glück durchbrechen konnte: Für die ersten Jobs hatte wir Gehaltschecks bekommen, die man auf ein Bankkonto hätte einzahlen können, aber ein Bankkonto, selbst ein sogenanntes Guthabenkonto konnte man nur eröffnen, wenn man in der Lage war, zwei bezahlte Rechnungen (zum Beispiel Strom-, Telefon-, Gas-, Kreditkarten- oder Wasserrechnungen) mit seinem Namen und seiner Adresse darauf, zusammen mit einem Empfehlungsschreiben (references) zum Beispiel von seinem Arbeitgeber vorzuweisen. Eine Wohnung, zum Beispiel über einen Makler, konnte man aber wiederum nur mieten, wenn man ein Girokonto hatte. Man benötigte also Zeit und Geld und war auf die Gnade anderer Leute angewiesen, die bereit waren, den Namen auf ihren Rechnungen ändern zu lassen.

Hatte ich es schon in Berlin nicht geschafft, von meiner Malerei zu leben, so auch nicht in London, obwohl es am Anfang mit Ausstellungen oder Beteiligungen an Gruppenausstellungen in kleineren aber etablierten Galerien vielversprechend ausgesehen hatte. Leider wurde mit dem Aufkommen der ‚Britart‘ alles gleich wieder schwieriger. Rein abstrakte Bilder und auch noch von einem bislang unbekannten Deutschen waren einfach nicht angesagt. Also betätigte ich mich genau wie Marlis mehr und mehr als Lehrer für Deutsche Sprache, was durch mein Germanistik- und Philosophiestudium begünstigt wurde. Marlis hatte uns mit diesem Job schon seit einiger Zeit über Wasser gehalten.

Bald brachte es uns genug ein, um endlich die Miete für eine ‚ganze‘ Wohnung aufzubringen.

Die nächsten fünf Jahre waren blitzschnell verflogen. Dann war Marlis schwanger geworden und Emil wurde geboren.

Ich musste schmunzeln, gleichzeitig klapste ich dem Sohn auf die Finger, damit er endlich das Kabel des Kopfhörers in Ruhe ließ, schmunzeln, weil die Namensgebung äußerst schwierig gewesen war. Ich hatte mich für ausgefallene Namen stark gemacht. Inspiriert von der Idee der Russen, die ihre Kindernamen mit der Revolution mitrevolutioniert hatten, gefiel mir besonders: ‚Traktor‘ oder ‚Dasdrapertrak‘, was so viel wie, ‚es lebe der erste Traktor‘, bedeutet, aber auch ‚Industrij‘ oder ‚Elektron‘, ‚Oktober‘ oder ‚Mels‘, was für: Marx, Engels, Lenin, Stalin steht. Auch ‚Ezzard‘ hatte es mir angetan gehabt, nach dem amerikanischen Boxer Ezzard Charles – Weltmeister im Schwergewicht 1949-50 (genannt ‚die Cobra von Cincinnati‘). Er hatte 1948 den Boxer Sam Baroudi durch K.o. besiegt, der daraufhin gestorben war. 1954 kämpfte er noch zweimal gegen den dann amtierenden Weltmeister aus Italien Rocky Marciano, der ihn beide Male besiegte, da Ezzard sich wegen des gestorbenen Gegners nie mehr getraut hatte, richtig zuzuschlagen. Er hielt aber immerhin 15 Runden gegen Rocky durch, weshalb Ezzards Name auf einer Bronzetafel mit Boxern in einem italienischen Café in Soho verzeichnet war, in das ich mit Marlis, als sie schwanger gewesen war, schnell hatte einkehren müssen, da sie sofort hatte etwas essen müssen, um nicht vor Hunger ohnmächtig zu werden. Auch ‚Linus‘ hatte mir gefallen, wie wohl vielen aus der Charlie-Brown-Generation, weshalb der Name aber zu einem Modenamen avanciert war und deshalb nicht in Frage kam. Am Schluss hatte sich Marlis mit ‚Emil‘ durchgesetzt. Zufrieden fand ich, dass der Name für den aufgeweckten Knirps passte.

Der Bahnhof von Lowestoft war auspuffgrau und die meisten Fenster waren zugemauert oder mit Sperrholzplatten verrammelt. Ein eisiger Wind ließ uns ohne Umschweife das Bed and Breakfast aufsuchen.

Es hieß 'Beach House' und war eine echte Enttäuschung, schon deshalb, weil es, obwohl ich horrendes Geld bei der Online-Buchung bezahlt hatte, nicht wie gedacht ‚en suite‘ war, sondern nur zwei Gemeinschaftstoiletten in tiefer gelegenen Stockwerken aufwies. Durch einen daumenbreiten Spalt im Fenster zog, ja windete es herein. Das gesamte kitschige Strand-Sammelsurium, irgendwelche Muscheln, Steinhäufchen, Tonfigürchen, schimmerte gräulich vom Staub. Der Flachbildfernseher war sehr groß, zu groß für das Zimmerchen und war an einem beweglichen Arm befestigt. Der obere Teil der Halterung war jedoch aus der Wand herausgebrochen, so dass man befürchten musste, dass einem das Monstrum nachts auf die Beine fallen könnte. Die Fernbedienung funktionierte auch nicht, wie Emil sofort feststellte. Der Versuch ein anderes Programm mit den, an der Unterseite angebrachten, Knöpfen einzuschalten, klappte zunächst einmal nicht.

Als wir uns wieder auf die Socken machten, um den Ort zu erkunden, mussten wir uns an einer auf der Treppe im Flur gefährlich aufgestellten Leiter vorbeiquetschen, auf der der Besitzer des Bed and Breakfast stand und Löcher kittete. Ich beanstandete bei der Gelegenheit die nicht funktionierende Heizung in unserem Zimmer.

Lowestoft wirkte ganz schön abgerockt. Es gab nur wenig sinnvolle Geschäfte, also keine Lebensmittelläden, Zeitschriftenhändler oder Bäckereien oder so etwas, sondern sehr viele Secondhandshops, betrieben von Wohltätigkeitsorganisationen, die gesammelte Kleidung, altes Geschirr, gebrauchte DVDs oder veraltete Computerspiele anboten, oder Wettbüros, drittklassige Billig-Modegeschäfte und Fast-Food-Läden. Eine Skulptur am Anfang der Fußgängerzone, die sich ‚London Road‘ nannte, fiel mir besonders ins Auge: stählerne Schwäne im Flug, aber eben doch an das Gestänge angeschweißt, was irgendwie auf den verzweifelten Wunsch von diesem Ort wegzukommen hinzudeuten schien.

Wir unternahmen also einen Fluchtversuch und gingen schnurstracks an der anderen Seite wieder aus dem Ort hinaus, an einer Lagerhalle mit Teppichauslegeware vorbei, Richtung Meer, einem kleinen braunen Schild folgend, auf dem ‚Ness Point‘ stand, was, wie ich zufällig wusste, der Name des östlichsten Punkts Britanniens ist.

Es war aber gar nicht so leicht dort hinzukommen, denn wir waren in ein langläufiges Industriegebiet geraten, mit Fabrikhallen, einer Fischfabrik für Fischstäbchen, einem hellblauen Gaskessel, einem Windrad, Schotter, dann einer Landschaft aus Beton: Betonpfeilern – immer mehr Betonpfeilern, einer Betonpromenade und einem merkwürdigen Betonturm. Ohne Erfolg suchten wir den ‚Ness Point‘, aber selbst um zwei Uhr nachmittags war keine Menschenseele zu sehen, die einem hätte weiterhelfen können. Später fand ich durch Nachforschungen im Internet heraus, dass wir den eigentlichen Punkt verpasst hatten, ich nehme an, weil er an diesem stürmischen Tag von Wellen überspült war und er somit gar nicht zu sehen gewesen war.

Wir lungerten also eine Weile bei diesem kargen, runden Klotz herum, der sechs Meter dick und zwölf Meter hoch war und an dem sich ein Metallstab nach oben drehte, bis er oben, in einem obszönen Winkel abstehend, zwei Meter in die Luft Richtung Meer zeigte. Weil keine Tafel oder so etwas angebracht war, rätselte ich, ob es sich bei diesem ‚Monument‘ um einen Gasturm oder etwas Militärisches handeln könnte, oder ob es eine Skulptur war, bei der der Künstler einen Walpenis im Sinn gehabt haben musste. Wieder half mir später das Internet weiter: Dieses ‚Ding‘ war von einem Künstler Namens ‚Christopher Tipping‘ zwischen 1999-2001 konstruiert und errichtet worden. Ein Eintrag in das ‚Recording Archive for Public Sculpture in Norfolk & Suffolk‘ von 2007 lautete: “The Sculpture at Ness Point is in an incomplete and reduced state, consequently conveying ideas of contemporary decay more than intended commemorative and geographical values. The absence of the inscribed glass plate, designed to encourage contemplation on what it means to stand at Britain's most easterly point, means that the purpose and meaning of the sculpture is extremely unclear and the work as a whole effectively invisible. The rising concrete blocks or ramps in the parking area are intended to convey the coastal scour, but again this is obscure. (...) The spiralling pipe on the tower relates to the gasometer and emissions towers in the industrial estate consistent with the brief to convey 'the nature of the site'” Das spiegelte genau meine Konfusion wider.

Wir spazierten auf der breiten Promenade entlang, die mit Betonplatten gepflastert war und die wegen der Gumminähte, die die Platten miteinander verband, an die Transitstrecke durch die DDR zwischen Magdeburg und Berlin erinnerte (also genaugenommen an die Reste der Reichsautobahn). Die Promenade führte kerzengerade ein, zwei Kilometer geradeaus, bis sie, wie ich vermutete, einfach aufhörte. Sie war so breit, dass zwei Lastwagen hätten aneinander vorbeifahren können. Hohe Wellen schlugen auf massive geometrisch geformte Betonbrocken, die in der See lagen und das Wasser spritzte in Fontänen bis hoch und manchmal bis weit über die Promenade. Das Meer war hellbraun vom aufgewühlten Schlamm, als wäre es voller Beton und auch weiß, weil das Wasser zu Schaum geschlagen war. Wieder preschte eine Welle hoch und ich riss Emil noch nach hinten, aber zu spät, das Wasser erwischte uns voll und schoss bis auf den Schotterparkplatz für Betonmixer auf der anderen Seite. Es war durch Emils Strumpfhose und Jeans, die er wegen der Kälte übereinander trug, und durch seinen dicken Wintermantel gegangen. Klitschnass eilten wir weiter. Der eisige Wind blies heftig und ich hoffte, dass es keine Spätfolgen hätte, wenn wir die Sachen im Weitergehen in der Nachmittagssonne und im Wind trockneten.

An einem Platz mit Caravanhäusern, die so groß waren, dass sie nur noch unter erheblichen Aufwand bewegt werden konnten, gingen wir lieber unten, also hinter der Promenade entlang. Es standen nur vereinzelte Wohnwagen herum, aber darin schienen Leute zu überwintern.

Am Ende der Promenade öffnete sich die Landschaft etwas. Wir liefen auf Trampelpfaden durch braune Dünen und Massen an Ginster-Gestrüpp. Die Gegend diente in erster Linie als Müllabladeplatz und Hundetoilette. Ein Bunker aus dem zweiten Weltkrieg mit zwei Schießscharten wie Augen schaute grimmig auf die See. Die Klippe wurde immer steiler und der Abstand zum tobenden Meer immer schmaler. Schnell war es nicht mehr sicher unten entlangzugehen. Zurückgehen mochten wir aber nicht und kletterten deshalb durch die Büsche den steilen Hang hinauf. Dort war eine Baustelle und ein Verbotsschild. Unbeirrt bahnten wir uns einen Weg durch ein hohes Dickicht bis auf das Baustellengelände, auf dem ein neuer Caravanpark errichtet wurde. Das ganze Gelände war umzäunt. So blieb uns nichts anderes übrig, als den Hauptweg zum Ausgang zu nehmen. Einige Bauarbeiter beäugten uns, eine Familie, die vor einem Caravanhaus saß, erstarrte regelrecht in ihren Tätigkeiten und bestaunte uns. Unbeirrt hielten wir auf den Ausgang zu, gingen am Absperrbalken vorbei und auf die öffentliche Straße. Erleichtert darüber, dass wir niemand gegenüber hatten Rechenschaft ablegen müssen, atmeten wir erst einmal durch. Schnell waren wir im nächsten Ort mit dem Namen Cortes.

Müde, durchgefroren und hungrig nahmen wir von dort einen kleinen Bus, der zufällig gerade ankam, zurück nach Lowestoft. Emil hatte blaue Lippen und weil ein heftiger Schneeregen eingesetzt hatte, wischte er die beschlagenen Scheiben. Auf einer Ein- und Ausfallstraße des Ortes warb ein gigantischer Supermarkt damit, 24 Stunden geöffnet zu haben. Während dieser Fahrt von Kreisel zu Kreisel, verwarf ich mein eigentliches Reisevorhaben, nämlich einige Tage auf den Spuren des Schriftstellers Sebald, die Küste hinunter zu wandern, wie Sebald es in den ‚Ringen des Saturn‘ beschrieben hatte. Das Wetter war einfach nicht entsprechend. Stattdessen plante ich nun, unsere Reise zu verkürzen und von Lowestoft aus, Ausflüge mit dem Bus zu unternehmen. Emil war damit sofort einverstanden und kaum an Lowestofts Busbahnhof angekommen, studierte ich die Fahrpläne, um am nächsten Tag Southwold zu besuchen, dem wahrscheinlich attraktivsten Ort in dieser Gegend.

Weil wir so durchgefroren waren, schwenkten wir in eine ‚Shopping Mall‘. Boutiquen verkauften Krimskrams, einige ältere Frauen boten auf provisorischen Tischen alte Taschenbücher (Thriller) und gestrickte oder gehäkelte Sachen (Klopapier-Hüte) an. Die meisten Geschäfte waren geschlossen.

Die Fußgängerzone kam uns in seiner unschlagbaren Tristheit schon sehr vertraut vor. Am späten Nachmittag war sie voller Menschen, die hier ihren Gesichtsausdrücken nach zu urteilen, tagaus und tagein versuchten, etwas Brauchbares aufzutreiben, bis sie bei McDonald‘s oder in einem Arbeitercafé bei Pommes Frites endeten.

In einem der zahlreichen Onepound- oder genauer Ninetyninepenceshops gleich am Bahnhof legten wir einen, wie ich hoffte, kurzen Zwischenstopp ein, weil Emil mich wieder daran erinnert hatte, dass wir seine Haarbürste vergessen hatten. Der Laden entpuppte sich als sehr groß, so groß, dass er sich durchaus mit der Größe eines deutschen Baumarkts vergleichen ließ. Ewig suchten wir die Gänge ab und betrachteten geschockt die schier endlose Palette an Schrottartikeln, fast alles aus China und aus Plastik. Am Ende hatten wir keine andere Wahl, als eine mit einem uringelben Kittel uniformierte Bedienung zu fragen, wo wir Haarbürsten finden könnten. Die überlegte lange, wies dann auf eine Reihe und beschrieb einen Platz in der Mitte. Da wir die einzigen Kunden waren, hätte sie uns ja mal ihr Sortiment zeigen können, aber wir fanden bald auch so eine Auswahl von ungefähr zehn verschiedenen Bürsten alle aus silberfarbenem Kunststoff, aber in den unterschiedlichsten Formen.

Als wir endlich wieder draußen waren, hetzte ich Emil genervt über eine mit einem Verkehrsstau verstopfte Brücke, über einen Teil des Hafens hinweg, bis zu unserer 'Beach House' Pension.

Der Besitzer lackierte eine Wand im Badezimmer über. Er gluckste euphorisch, als ich ihm mitteilte, dass wir noch eine weitere Nacht zu bleiben gedächten. Die Heizung im Zimmer funktionierte nun tatsächlich auch. Wir legten uns mit Sachen ins Bett und ich sackte kurz weg, bis Emil mich boxte und sagte: „Hey, nicht schlafen!“

Also zogen wir uns wieder an und brachen auf, um etwas Essbares suchen. ‚Etwas‘ bedeutete in diesem Falle ‚Fish and Chips‘, denn für Emil kam da rein gar nichts anderes in Frage.

Der erste Pub an dem wir vorbeikamen, hieß ‚Notleys‘. In einem Glaskasten neben dem Eingang wurde mit vielversprechenden Bildern für traditionelles Kneipenessen geworben. Wir gingen hinein. Innen erwartete uns ein affiges Sammelsurium, ein blutroter Teppich, sich damit beißende blaue und rote Blümchentapeten, schwarz spiegelnde Tische, mannshohe, auf römisch oder ägyptisch gestylte, Superkitsch-Figuren und an den Fenstern moderne Ledersessel, die so tief waren, dass selbst ich geradeso über die Seitenlehne gucken konnte und in denen man unmöglich eine Mahlzeit zu sich nehmen konnte. Kinder schon gar nicht. Wir erhoben uns also wieder, gingen an die Theke und schwangen uns auf Barhocker. Ich ließ mir ein ‚Adnams‘-Bitter zapfen, ein lokales Bitter-Bier, das ich schon aus London als ein ausgezeichnetes Bier kannte. Leider war es aber nur halb frisch, wobei festzustellen ist, dass der Frischegrad bei Bitter das A und O ist, denn es wird nach schon wenigen Tagen im angestochenen Fass fade und dann dauert es nicht mehr lange, bis es säuerlich und trübe wird. Am besten schmeckt Bitter, wenn das Fass ganz frisch geöffnet ist und die ersten fünf bis zehn Pints schon daraus verkauft worden sind (die allerersten Pints sind zu schaumig), dann ist man an einer Goldader und möchte wie ein Esel gar nicht mehr aufhören, das Zeug zu saufen.

Auf einem der beiden den Raum bestrahlenden (besudelnden), von ihrer Größe kaum zu übertreffenden, Plasmafernsehern flimmerte ein Fußballspiel, welches hab‘ ich vergessen, vielleicht aus der schottischen Liga. Entspannend daran war, dass Emil zufrieden glotzte.

Auch zur Abendessenszeit trafen komischerweise keine neuen Gäste ein, im Gegenteil alle noch verbliebenen Gäste machten sich nach und nach aus dem Staub, vielleicht an den häuslichen Fleischtopf, bis außer uns nur noch zwei Einheimische an der Theke hockten. Sie sprachen über Fußballwetten und die Quoten in den einzelnen Wettbüros. Dabei sahen sie sich nicht an, sondern zu unterschiedlichen kleineren Fernsehern, die über der Theke angebracht waren. Einer holte eine ganze Handvoll Wettscheine aus seiner Jacke und der andere mit einer Lederjacke erklärte ihm eiskalt, dass er ein Idiot sei, da er alles, was er gewettet habe, sich widerspreche und er so niemals etwas gewinnen könne.

Da die Küche nicht so beliebt zu sein schien, schleuste ich Emil, in der Halbzeitpause hinaus und um die nächste Ecke, wo sich das ‚Habour Inn‘ befand. Auch dieser Pub war nicht der Hit, denn sie hatten nicht mal das lokale Adnams-Bitter anzubieten, man hatte das Schild zur Seite gedreht, was signalisierte, dass das Fass leer war. Aber immerhin gab es eine andere touristische Familie die gerade Essen bestellte.

Also zog ich nach und kaufte an der Theke ‚Fish and Chips‘ – zwei Erwachsenen Portionen, denn für Kinder wurden nur Fischstäbchen angeboten.

Das Essen war eine derbe Enttäuschung. Da musste ein Koch gedacht haben, er müsse eine moderne Variante dieses traditionellen Gerichts anbieten. Auf einem weißen rechteckigen Teller lagen auf einem dreieckigen Papierchen, zu einem Türmchen geschichtete, frittierte Kartoffelstücken. Daneben stand ein kleines Einmachglas mit dem dazugehörigen Gummiring im Deckel. Es enthielt zu Mus zermatschte Erbsen. An das Glas gelehnt war der panierte Fisch. Bei den Papierecken handelte es sich in Wirklichkeit um Backpapier, das wie Zeitungspapier bedruckt war. Auf unseren beiden Bögen war der gleiche Aufdruck: „the daily catch“ und „35p“, darunter zynischerweise ein Foto von einer Portion ‚Fish and Chips‘, wie diese früher zu bekommen war: in einer aus Zeitungspapier gedrehten Tüte.

Völlig fassungslos von dieser absurden Präsentation machte ich mich daran, unter der fast verbrannten, steinharten, zentimeterdicken Panade den Fisch zu finden. Emil war aber so hungrig, dass er ratzfatz alles aufaß.

Ich war da sehr viel gehemmter, beschäftigte mich nebenher auch mit dem Design des Pubs, der aus der Kategorie ‚modern‘, aber irgendwie an Hässlichkeit kaum noch zu übertreffen war und hielt mich an das Bitter, obwohl es abgestanden und viel zu ‚hopfig‘ war.

Nach dieser Essenserfahrung musste ich Emil noch einmal ins ‚Notleys‘ schleusen, aber auch hier war nun das ‚Adnams‘-Fass alle und ich beschloss, dass wir den Abend beendeten und einfach nur zu Bett gingen.

7,55 ₼
Janr və etiketlər
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9783738040012
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