Eine Spur von Verbrechen

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Seriyadan: Keri Locke Mystery #4
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KAPITEL FÜNF

„Ich sage euch, macht nur einen auf Psycho“, rief Detective Frank Brody empört. „Das ganze Gequatsche von Regeln und dem Herrn soll uns verwirren, so einfach ist das.“

Im Konferenzraum übertönten sich aufgeregte Stimmen gegenseitig und Keri wurde langsam wütend. Am liebsten hätte sie alle angeschrien, endlich still zu sein, aber aus Erfahrung wusste sie, dass ein paar dieser Männer erst einmal Dampf ablassen mussten, bevor sie etwas Hilfreiches produzieren konnten.

Brody, eines der Urgesteine auf dem Revier, der nur noch einen knappen Monat bis zu seiner Pensionierung hatte, war überzeugt, dass der Brief ein Betrug war. Wie üblich hatte er einen auffälligen Fleck auf dem Hemd, das zwar im Hosenbund steckte, aber aufgrund eines fehlenden Knopfes einen ungewollten Einblick auf seinen runden Bauch erlaubte. Und wie üblich war er lauter als alle anderen, ob er nun recht hatte oder nicht.

„Das können Sie doch gar nicht wissen!“, schnappte Officer Jamie Castillo zurück. „Das behaupten Sie nur, damit der Fall einfacher aussieht.“

Castillo war zwar noch kein Detective, aber dank ihrer Kompetenz und ihrer enthusiastischen Art war sie bereits ein vollwertiges Mitglied im Team und wurde fast immer Keris und Ray Fällen zugewiesen. Obwohl sie noch Junior-Status hatte, war sie alles andere als ein Mauerblümchen.

Jetzt funkelten ihre dunklen Augen und ihr schwarzer Pferdeschwanz bebte aufgeregt auf und ab. Ihr durchtrainierter Körper war frustriert nach vorne gebeugt.

„Keiner von uns kennt sich gut genug damit aus“,  mischte sich Detective Kevin Edgerton ein. „Wir brauchen einen psychologischen Fachmann.“

Keri war nicht überrascht, dass Edgerton das vorschlug. Der große und sehnige junge Mann mit chronisch ungekämmten Haaren war ein wahres Computergenie und kannte sich mit sämtlichen Elektrogeräten bestens aus. Er war noch keine dreißig Jahre alt und traute sich oft nicht, sich auf seine Instinkte zu verlassen, wenn es um Vermutungen ging. Ihm lag es in der Natur, die Dinge zu analysieren.

Keri fürchtete jedoch, dass der Polizeipsychologe auch keine sichereren Rückschlüsse ziehen konnte, als der Rest von ihnen. Es würde bei Spekulationen bleiben und in dem Fall vertraute sie lieber auf ihr eigenes Bauchgefühl.

Lieutenant Hillman hielt die Hände in die Höhe und zu Keris Überraschung wurde es still im Raum.

„Ich habe Dr. Freeney eine Kopie geschickt. Er sieht sie sich in diesem Moment genauer an und wird uns bald seine Meinung dazu mitteilen. Bis dahin heißt es abwarten. Wer möchte also gerne seine Ansichten mit uns teilen? Sands?“

Ray war die ganze Zeit still dagesessen und hatte sich über den blanken Kopf gerieben. Als Keri ihn jetzt ansah, spiegelte sich das Licht in seinem künstlichen Auge, das er seit einem Unfall im Boxring trug. Er blickte auf und Keri konnte seine Gedanken lesen, bevor er sie aussprach.

„Ich bin geneigt, frank zuzustimmen. Alles, was der Kidnapper geschrieben hat, ist so überzogen, dass ich es nicht ernstnehmen kann. Abgesehen von der eigentlichen Lösegeldforderung. Summe und Ort sind absolut präzise genannt, kein bisschen zweideutig. Das macht den Rest eher unglaubwürdig. Trotzdem…“

„Was?“, hakte Hillman nach.

„Nun, ich bin nicht sicher, ob es überhaupt einen Unterschied macht. Wir wissen fast nichts und haben nicht viel Zeit. Ob er nun wirklich verrückt ist oder es nur vorgibt, fest steht, dass das Treffen schon in ein paar Stunden stattfinden soll.“

„Ich sehe das etwas anders“, sagte Keri daraufhin. Sie widersprach ihrem Partner nicht gerne vor versammelter Mannschaft, auch weil es zwischen ihnen gerade Probleme gab, aber darum durfte es jetzt nicht gehen. Es ging um den Fall und um das Leben dieses Mädchens. Keri hatte sich noch nie zurückhalten können, wenn es um einen Fall ging und jetzt würde sie damit bestimmt nicht anfangen.

„Ich weiß auch nicht, ob der Kidnapper es ernst meint, aber ich glaube, dass es einen großen Unterschied macht. Ehrlich gesagt würde ich es bevorzugen, wenn er kein religiöser Fanatiker ist und es ihm rein um das Lösegeld geht. Dann wäre es mit der Transaktion getan. Dieses Szenario ist viel kalkulierbarer. Er würde heute Nacht garantiert erscheinen, um sein Geld zu holen und er würde Jessica nichts antun, weil er sonst leer ausgeht.“

„Aber du glaubst das nicht?“, fragte Ray. Er kannte Keri ebenso gut wie sie ihn.

„Ich bin skeptisch. Ich denke, es ist möglich, dass er die Zahlungsanweisungen so direkt gestellt hat, weil er alles andere selbst nicht glaubt und sich nur eine Geschichte ausgedacht hat. Aber was ist, wenn er wirklich verrückt ist und gar nicht wirklich hinter dem Geld her ist? Ich meine, der Unterschied ist so radikal, dass es fast lächerlich ist. Für mich scheint seine wahre Leidenschaft in den überspitzt formulierten Wahnvorstellungen zu liegen.“

„Aha, so scheint es also“, unterbrach Brody. Keri bemühte sich, ruhig zu bleiben. Er wollte sie nur aus der Reserve locken, damit sie weniger glaubhaft wirkte. Also nickte sie nur knapp und redete weiter.

„Ja, Frank. So scheint es. Ich bin mir nicht sicher, aber dieses Gerede über das Werk des Herrn klingt, als hätte er eine Art persönliche Liturgie für seine eigene verzerrte Religion entwickelt – bei der er die Macht hat. Wenn das wahr ist, haben wir ein weit größeres Problem.“

„Warum?“, fragte Edgerton.

„Wenn es wirklich um das Austreiben einen bösen Geistes geht, um göttliche Weisung, dann ist das Geld nur zweitrangig. Vielleicht hat er die Lösegeldforderung dann nur gestellt, um die Entführung vor sich selbst zu rechtfertigen. Er sagt sich, dass er wie ein ‚normaler‘ Entführer tickt, auch wenn es in Wirklichkeit nur eine Ausrede ist und sein Grund viel tiefer geht.“

„Wenn ich Sie richtig verstehe, Locke, wollen Sie sagen, dass er mit dem Lösegeld nur vertuschen will, dass er dem Mädchen etwas antun will“, fasste Hillman zusammen.

„Ja. Vielleicht.“

„Das klingt ein bisschen weit hergeholt“, kommentierte er. „Gibt es außer der Sprache noch etwas, das diese Theorie unterstützt?“

„Es ist nicht nur die Sprache, Lieutenant. Der Fakt, dass er dem Vater anbietet, sie zurückzugeben, wenn er verspricht sie zu reinigen, sagt mir, dass er versucht, dagegen anzukämpfen, dass er einen Weg finden will, sie nicht zu reinigen, indem er sie tötet.“

Als sie aufhörte zu reden, sah sie sich unter ihren Kollegen um. In den Gesichtern sah sie sowohl Skepsis als auch Faszination. Selbst Hillman schien die Theorie abzuwägen.

„oder er will eben doch nur die Kohle und der ganze Hokuspokus ist einfach nur Quatsch“, donnerte Brody. Sofort veränderte sich die Atmosphäre unter den Männern und Keri spürte, wie sie sich vor ihrer Theorie verschlossen.

„Neandertaler“, zischte Castillo Brody genervt zu.

„Ach ja? Dir tut es vielleicht gut, mal ordentlich an den Haaren gezogen zu werden.“

„Ist das eine Herausforderung, alter Mann?“, fragte Castillo und machte selbstbewusst einen Schritt auf ihn zu. Ich trete deinen gestrandeten Wal-Hintern zurück ins Meer!“

„Es reicht!“, rief Hillman. „Wir haben keine Zeit für diese Kindereien! Ein zwölfjähriges Mädchen braucht unsere Hilfe. Brody, noch ein sexistischer Kommentar und ich suspendiere Sie für den Rest Ihrer beruflichen Karriere – auch wenn die nur noch einen Monat dauert. Verstanden?“

Brody presste die Lippen aufeinander. Castillo sah aus. Als wäre sie noch nicht fertig mit ihm, deswegen legte Keri ihre Hand beruhigend auf ihre Schulter und schob drehte sie zu sich um.

„Lass es, Jamie“, flüsterte sie ihr zu. „Der Mann ist nur noch einen Burrito von einem Harzinfarkt entfernt. Du willst doch nicht, dass man dir die Schuld dafür in die Schuhe schiebt.“

Castillo kicherte leise, obwohl sie immer noch wütend war. Sie wollte antworten, doch da betrat Detective Manny Suarez den Konferenzraum. Manny war kein besonders attraktiver Mann. Er war etwas zu dick, hatte wilde Bartstoppeln und Augenlider, die Keri immer an Schnarchi-Schlumpf erinnerten. Er war jedoch ein hervorragender Detective, der gerade von dem FedEx-Büro zurückkam, in dem die Lösegeldforderung aufgegeben worden war. Keri hoffte, dass er Neuigkeiten hatte.

„Was haben Sie herausgefunden?“, fragte Hillman ohne Umschweife.

Suarez schüttelte den Kopf, setzte sich an den Tisch und legte einen einsamen Kassenzettel auf den Tisch.

„Das ist alles“, sagte er. „Das ist das einzige Beweismittel, das in diesem FedEx-Laden aufzuspüren war. Wir wissen jetzt Datum und Uhrzeit sowie dass es bar bezahlt wurde. Mehr nicht.“

„Gibt es denn dort keine Videoüberwachung?“, fragte Hillman.

„Doch, schon, aber sie ist absolut nutzlos. Die Kamera vor dem Gebäude zeigt jemanden mit riesigem Kapuzenpulli, Cappie und Sonnenbrille. Ich habe die Aufnahmen rausgeschickt, aber ich glaube kaum, dass sie etwas ergeben. Man kann nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt.“

„Keine Innenaufnahmen?“, fragte Castillo.

Suarez zog ein Blatt Papier aus einem Umschlag und legte es neben den Kassenzettel. Es sah aus wie ein Foto, aber es war weiß mit dunklem Rand.

„Das ist alles, was die Innenkamera aufgenommen hat, solange die Person im Gebäude war. Sieht aus, als hätte er eine Sonnenbrille benutzt, die Laserstrahlen bricht, um die Aufnahmen zu zerstören“, erklärte Manny.

„Dann kennt er sich aber sehr gut mit Technik aus“, bemerkte Edgerton beeindruckt. „So etwas habe ich nur einmal bei einem Banküberfall gesehen.“

„Gab es vielleicht andere Kameras, in die er nicht direkt hineingeschaut hat?“, fragte Ray.

„Ja, die gab es. Aber der Verdächtige schien sich dessen bewusst zu sein und stand so, dass man ihn nur von hinten sieht. Er wusste genau, was er tat.“

„Ich schätze, dass er auch auf keinen anderen Außenkameras zu sehen war?“, hakte Keri nach. „Ist er nicht vielleicht in ein Auto gestiegen, das wir näher bestimmen könnten?“

 

„Leider nein“, entgegnete Suarez. „Man sieht ihn noch um die nächste Ecke gehen, aber dort gibt es Industrieunternehmen ohne Überwachungskameras. Von dort kann er überallhin gegangen sein. Keine Chance ihn weiter zu verfolgen.“

„Ich sage es nicht gerne“, begann Edgerton mit Blick auf seinen Laptop, „aber ich habe gerade den Bericht der Spurensicherung erhalten. Schlechte Nachrichten: Sie konnten auf Jessicas Handy und Rucksack keine fremden Fingerabdrücke feststellen.“

Lieutenant Hillmans Handy klingelte, aber er forderte Edgerton mit einer Handbewegung auf, weiterzureden, während er den Raum verließ um den Anruf zu beantworten.  Kevin fuhr also fort.

„Ich habe ihre SIM-Karte ein Programm durchlaufen lassen, das auffällige Aktivitäten aufzeigt. Der Vorgang wurde gerade abgeschlossen, es konnten aber keine Unregelmäßigkeiten festgestellt werden. Jeder Anruf und jede SMS der vergangenen drei Monate kam von oder ging an Freunde und Familie.“

Keri und Ray tauschten einen stummen Blick aus. Nicht einmal die Spannungen zwischen ihnen änderte etwas an ihrer geteilten Sorge, dass ihnen der Fall langsam entglitt.

Noch bevor jemand auf Edgertons Mitteilung reagieren konnte, erschien Hillman wieder. Keri sah ihm an, dass es noch mehr schlechten Nachrichten gab.

„Das war Dr. Feeney“, sagte er. „Er vermutet, dass der Täter die religiösen Fantasien als Ablenkung benutzt und eigentlich nur an das Geld will.“

Wunderbar. Alle Spuren führen ins Nichts und sämtliche Kollegen gehen von einer kalkulierten Entführung aus, die mit der Geldübergabe gelöst werden kann.

Keri konnte es selbst nicht erklären, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass das ein gefährlicher Irrglaube war; dass der Entführer etwas ganz anderes wollte. Keri befürchtete, dass Jessica, wenn sie nicht bald auf die richtige Spur kamen, am Ende dafür bezahlen musste.

KAPITEL SECHS

Der Zeitpunkt der Geldübergabe näherte sich. Keri versuchte, das beunruhigende Angstgefühl zu ignorieren. Mit jeder Minute, die verstrich, verkleinerte sich ihr Handlungsspielraum. Sie redete sich ein, nicht die Hoffnung aufzugeben und an Jessica zu denken, die wahrscheinlich verzweifelt darauf wartete, gefunden zu werden.

Sowie sich FedEx und Jessicas gefundene Gegenstände als Sackgasse erwiesen hatten, hatte sich das Team auf allgemeinere – und damit weniger aussichtsreiche Optionen konzentriert.

Edgerton gab alle Daten, die sie zu Jessicas Entführung hatten, zum Abgleich in die Datenbank ein. Doch leider war das eine zeitaufwendige Angelegenheit.

Er gab auch den Brief ins System ein, in der Hoffnung, dass die Sprachanalyse Parallelen zu vergangenen Fällen ergeben würde. Aber auch hierbei hatten sie wenig Hoffnung. Wäre ein derart merkwürdiger Brief schon einmal aufgetaucht, dann hätte sich jemand davon gehört.

Suarez ging die Liste von Sexualstraftätern in dieser Gegend durch. Vielleicht hatte einer schon einmal Lösegeld erpresst. Castillo war mit ein paar Kollegen zum Park gegangen, um alles für die Übergabe vorzubereiten und Brody hatte behauptet, seine Informanten zu kontaktieren, auch wenn Keri vermutete, dass er nur etwas zu Essen holen wollte.

Sie und Ray hatten sich alte Akten vorgenommen, auf der Suche nach anderen Fällen, die Jessicas Entführung ähnelten. Vielleicht handelte es sich um einen Täter, der nach einem langen Gefängnisaufenthalt wieder frei herumlief. Dann könnte es sich um einen Fall vor ihrer Zeit handeln, was erklären würde, dass niemand davon gehört hatte. Sie hatten beide keine große Hoffnung, etwas zu finden, aber sie wussten auch nicht, was sie sonst tun sollten.

Nach einer erfolglosen Stunde Recherche, beschlossen sie, wieder zum Haus der Raineys zurückzufahren. Es war fast zehn Uhr und sie fuhren dieselbe Strecke, wie am Morgen, als zwischen ihnen noch alles normal gewesen war. Bevor er sie um ein Date gebeten hatte. Das war zwar beiden bewusst, aber weil es jetzt Dringenderes gab, war die Angelegenheit vorerst auf Eis gelegt.

Während der Fahrt telefonierte Ray mit Detective Garrett Patterson, der von Revier aus alles für die Überwachung am Ort der Lösegeldübergabe, Chace Park, koordinierte.

Patterson war ein stiller Mann Mitte dreißig. Wie Edgerton war er ein Experte auf dem Gebiet der Technik. Doch anders als sein jüngerer Kollege, zeigte Patterson eine ausgeprägte Liebe zum Detail. Er liebte es, stundenlang minutiöse Einzelheiten wie Telefonnummern oder IP-Adressen zu analysieren und zu vergleichen. Das hatte ihm auch den Spitznamen Routine-Pat eingebracht, was ihm aber nichts ausmachte.

Patterson ging nicht gerne Risiken ein. Er war aber der richtige Mann für ein absolut lückenloses Setup von elektronischer Überwachung, das sowohl effektiv, als auch nahezu unsichtbar war.

„Alles ist vorbereitet“, verkündete Ray, als das Gespräch beendet war. „Das Team ist in Position. Manny ist unterwegs zu Raineys Chef und zusammen bringen sie das Geld zu unseren Leuten, die in einem Van am Waterside Shopping Center warten.“

„Sehr gut“, sagte Keri. „Als du am Telefon warst, ist mir etwas eingefallen. Ein Freund von damals, als ich noch auf dem Hausboot gelebt habe, hat ein kleines Segelboot im Yachthafen liegen. Er würde uns bestimmt helfen, dass wir die Übergabe vom Wasser aus beobachten können. Was hältst du davon?“

„Ich würde sagen, frag ihn. Je mehr Augen wir unbemerkt auf die Übergabe richten können, desto besser.“

Keri kontaktierte ihren Freund, einen in die Jahre gekommenen Seemann namens Butch. Eigentlich war er nicht direkt ihr Freund, eher ein Saufkumpane, der den Scotch ebenso liebte wie sie selbst. Nachdem sie Evie, ihren Mann und ihren Job verloren hatte, hatte sie ein altes Hausboot gekauft, auf dem sie mehrere Jahre gelebt hatte.

Butch war ein netter ehemaliger Marinesoldat, der sie immer „Copper“ nannte und nie Fragen über ihre Vergangenheit stellte. Lieber gab er Geschichten von seiner Zeit auf See zum Besten. Damals war er genau die richtige Gesellschaft für sie gewesen, aber seit sie vom Hausboot in ein Appartment gezogen war und ihren Alkoholkonsum beträchtlich reduziert hatte, haben sie sich kaum mehr gesehen.

Das schien er ihr jedoch nicht übel genommen zu haben, denn er antwortete sofort auf ihre SMS: „Kein Problem. Bis gleich, Copper.“

„Alles klar“, teilte sie Ray mit. Dann war sie wieder still und dachte nach. Nach einer Weile unterbrach Ray die Stille.

„Woran denkst du, Keri?“, fragte er. „Ich habe den Verdacht, dass der Fall dir keine Ruhe lässt.“

Wieder einmal war Keri erstaunt, wie gut er sie kannte.

„Die Lösegeldübergabe. Irgendetwas stört mich daran. Warum hat er – angenommen es ist ein Er – uns so früh mitgeteilt, wo er sich treffen will? Er muss doch wenigstens vermuten, dass die Raineys sich an die Polizei wenden, und dass wir genau das tun würden, was wir jetzt gerade tun: Den Park weiträumig überwachen, unsere Männer positionieren, den Zugriff planen. Warum sollte er das Risiko eingehen? Es ergibt Sinn, die Summe so bald zu nennen, schließlich muss das Geld organisiert werden. Aber wenn ich so eine Summe erpressen würde, würde ich doch erst zehn Minuten vorher anrufen und Zeit und Ort mitteilen.“

„Ein logischer Gedankengang. Das unterstützt deine Theorie, dass er es gar nicht auf das Geld abgesehen hat.“

„Ich würde es mir wirklich nicht wünschen, aber genau das ist meine Sorge“, sagte sie.

„Worum, glaubst du, geht es ihm dann?“, fragte Ray.

Genau darüber hatte Keri nachgedacht und jetzt war sie fas erleichtert, es mit Ray besprechen zu können.

„Ich glaube, dass der Täter auf Jessica fixiert ist. Ich glaube, dass er sie kennt, oder ihr zumindest begegnet ist. Vielleicht hat er sie beobachtet.“

„Das würde passen. Alles deutet darauf hin, dass er die Tat schon seit einer Weile plant.“

„Genau. Zum Beispiel, dass er diese Spezial-Sonnenbrille bei FedEx benutzt hat; dass er wusste, wo die Kameras installiert sind und dass er sie an einer Stelle abgepasst hat, an der man sie von der Schule aus nicht mehr und ihre Mutter sie noch nicht sehen konnte und niemand in der ganzen Straße Überwachungskameras im Einsatz hatte. Das alles braucht Vorbereitung und Zeit.“

„Das ergibt Sinn. Aber wer könnte es sein? Der Sicherheitsangestellte hat sämtliches Personal überprüft. Und ich habe die Lehrer noch einmal auf dem Revier ins System eingegeben. Nichts, außer vielleicht ein paar Strafzettel für Falschparken.“

„Hast du auch Hausmeister und Busfahrer gecheckt?“

„Die sind zwar nicht von der Schule angestellt, aber jeder, der mit den Kindern in Kontakt kommt, muss ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Wir können die Liste noch einmal durchgehen, aber der Sicherheitsmann hat ziemlich gründlich gearbeitet.“

„Na gut, was ist mit den Geschäften, die auf Jessicas Heimweg liegen? Oder gibt es vielleicht eine Baustelle mit Bauarbeitern in der Nähe ihres Hauses? Es muss jemand sein, der sie regelmäßig sieht, mit ihrer Alltagsroutine vertraut ist und womöglich schon auffällig geworden ist.“

„Das sind mögliche Spuren, denen wir morgen früh nachgehen können, aber ich hoffe immer noch, dass wir ihn heute Nacht schnappen.“

Sie erreichten das Haus der Raineys und sahen einen Streifenwagen direkt davor stehen, obwohl sie angeordnet hatten, dass er in einiger Entfernung geparkt wird, für den Fall dass der Entführer hier vorbeikam. Sie stiegen aus und klopften an die Tür. Ein Officer öffnete ihnen und sie traten ein.

„Wie geht es den Raineys?“, fragte Ray leise.

„Die Mutter ist die meiste Zeit mit dem Jungen oben und versucht ihn abzulenken“, berichtete der Officer.

„Den Jungen und sich selbst“, ergänzte Keri leise.

„Der Vater war die meiste Zeit still. Er sieht sich schon seit Stunden den Park auf Google Maps an. Er hat uns ein paar Fragen zur Polizeiüberwachung gestellt, die wir größtenteils nicht beantworten können.“

„Okay, danke“, sagte Ray. „Vielleicht können wir weiterhelfen.“

Tim Rainey saß, wie der Polizist beschrieben hatte, mit seinem Laptop am Küchentisch und sah sich den Burton Chace Park von oben an.

„Mr. Rainey“, sagte Keri, „man hat uns gesagt, dass Sie ein paar Fragen haben.“

Rainey blickte kurz auf, schien sie aber kaum wahrzunehmen. Dann nickte er.

„Ziemlich viele sogar.“

„Schießen Sie los“, sagte Ray.

„Im Brief stand keine Polizei. Wie wollen Sie es schaffen, nicht bemerkt zu werden?“

„Wir haben überall im Park Überwachungskameras versteckt“, erklärte Ray. „Die Kollegen werden also alles von einem Van aus beobachten. Außerdem gibt es im Chace Park einige Obdachlose. Wir haben einen Officer entsprechend getarnt. Sie ist seit Stunden dort, damit die anderen keinen Verdacht schöpfen. Wir haben ein paar Männer im Windjammers Yacht Club positioniert, sie werden von einem Zimmer im zweiten Stock aus alles beobachten. Einer davon ist ein Scharfschütze.“

Keri sah, wie Tim Raineys Augen groß wurden, aber er sagte nichts. Ray fuhr fort.

Eine Drohne steht bereit, aber wir werden ihn nur einsetzen, wenn es wirklich nötig ist. Er ist fast lautlos und hat eine Reichweite von bis zu hundertfünfzig Meter. Insgesamt sind über zehn Beamte im Einsatz. Sie werden zwar nicht direkt vor Ort sein, können aber in weniger als einer Minute dort sein, wenn irgendetwas schief geht. Das gilt auch für Detective Locke und ich. Wir werden vom Wasser aus alles überwachen, weit genug entfernt um nicht aufzufallen, aber nah genug um mit einem Fernglas guten Sichtkontakt halten zu können. Wir haben uns so gut vorbereitet wie möglich.“

„Das merke ich. Was genau muss ich also tun?“

„Gut, dass Sie fragen. Deswegen sind wir hier. Da Sie bereits die Karte vor sich haben, können wir jetzt sofort alles durchgehen“, sagte Ray.

Sie nehmen rechts und links neben Rainey Platz. Dann ergriff Keri das Wort.

„Sie sollen ihn auf der Brücke zwischen den Pergolas im hinteren Teil des Parks am Wasser treffen. Genau das werden Sie auch tun“, sagte sie. „Offiziell hat der Park nachts geschlossen. Sie können also nicht auf dem eingezäunten Parkplatz hier parken. Wahrscheinlich hat er die Übergabe auf Mitternacht gelegt, damit dort keine Autos stehen. Sie parken am besten im Parkhaus einen Block weiter. Wir geben Ihnen das passende Kleingeld. Sie stellen Ihr Auto ab, zahlen und gehen zum Treffpunkt. Alles klar soweit?“

„Ja“, sagte Rainey. „Wann bekomme ich das Lösegeld?“

„Sie holen es am Waterside Shopping Center in der Nähe des Parks ab.“

„Und wenn der Kidnapper mich beobachtet?“

 

„Ihr Chef wird Ihnen das Geld persönlich überreichen, direkt bei den Geldautomaten der Amerikanischen Nationalbank. Einer unserer Detectives bereitet ihn auf alles vor. Auch dort werden Sie ein paar Kollegen verdeckt beobachten, falls er versucht, dort an das Geld zu kommen.“

„Ist das Geld mit einem Peilsender ausgestattet?“

„Ja“, gab Ray zu, „und die Tasche auch. Aber die Geräte sind sehr klein. Der eine wird in die Naht der Tasche eingearbeitet. Ein paar weitere Sender sind mit durchsichtigen Aufklebern auf einzelnen Scheinen angebracht. Selbst wenn man einen Schein mit einem Sender in der Hand hält, ist es sehr schwer, ihn zu entdecken.“

Keri wusste, warum Ray die Frage beantwortet hat. Raineys wütender Blick sagte ihr, dass er nicht besonders glücklich darüber war. Wahrscheinlich dachte er, dass die Sender Jessica in Gefahr bringen könnten.

Ray hatte ihn darüber informiert, damit sein Vertrauen zu Keri nicht verletzt wurde. Keri nickte ihrem Partner dankbar zu. Rainey schien das nicht zu bemerken. Was Ray ihm soeben mitgeteilt hatte, hatte ihm offensichtlich nicht gefallen, aber er versuchte auch nicht, sich dagegen zu wehren.

„Was mache ich dann?“, fragte er Keri. Ray würdigte er keines Blickes mehr.

„Wie ich schon sagte, sobald Sie das Lösegeld haben, fahren Sie ins Parkhaus und gehen direkt zu der Brücke in Chace Park. Denken Sie immer daran, unsere Officers sind bei Ihnen, auch wenn Sie sie nicht sehen. Machen Sie sich keine Sorgen, konzentrieren Sie sich nur auf die Brücke und das Geld.“

„Was passiert, wenn er kommt?“, fragte Rainey weiter.

„Sie fragen nach ihrer Tochter. Er soll schließlich denken, dass Sie alleine sind. Es wäre also merkwürdig, wenn Sie ihm ohne jede Gegenwehr das Geld geben. Wahrscheinlich würde er Verdacht schöpfen. Ich bezweifle, dass er sie mitbringen wird, aber er wird Ihnen wahrscheinlich sagen, wo er sie versteckt hat. Vielleicht sagt er auch, dass er Ihnen das Versteck mitteilt, wenn er in sicherer Entfernung ist.“

„Sie wird nicht im Park sein?“, fragte Rainey erstaunt.

„Es würde mich sehr überraschen. Damit würde er sein einziges Druckmittel riskieren. Für ihn ist es sicherer, wenn sie weiterhin um Jessicas Sicherheit fürchten. Rechnen Sie also am besten damit, dass sie nicht dort sein wird.“

„Ich verstehe. Und dann? Wie geht es dann weiter?“

„Nachdem Sie also mit der Übergabe gezögert und nach Jessica gefragt haben, geben Sie ihm die Tasche. Versuchen Sie nicht mit ihm zu verhandeln. Versuchen Sie nicht, ihn zu überwältigen. Er wird vermutlich ebenso nervös sein wie Sie. Wir wollen keine Konfrontation.“

Tim Rainey nickte zögernd. Keri gefiel diese Reaktion nicht. Sie beschloss, es noch einmal nachdrücklicher zu formulieren.

„Mr. Rainey, Sie müssen mir versprechen, dass Sie keine Dummheiten machen. unsere beste Chance ist, dass er Ihnen Jessicas Aufenthaltsort verrät, oder dass er uns nach dem Treffen zu ihr führt. Bleiben Sie ruhig, auch wenn er Ihnen nichts sagt. Wir werden ihn mit den Sendern verfolgen und wir werden ihn festnehmen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Wenn Sie auf eigene Faust vorgehen, könnte es für Sie und auch für Jessica sehr gefährlich werden. Haben Sie mich verstanden, Sir?“

„Ja. Ich verspreche, dass ich nichts tun werde, das Jessica in Gefahr bringen könnte.“

„Gut, dann bin ich beruhigt“, sagte Keri, obwohl sie immer noch ihre Zweifel hatte. „Sie übergeben die Tasche, gehen zurück zu Ihrem Wagen und kommen wieder hierher. Um alles andere kümmern wir uns. Okay?“

„Werden Sie ein Abhörgerät an mir befestigen?“, fragte er und Keri fiel sofort auf, dass er ihre Anordnung nicht bestätigt hatte.

„Ja, das werden wir“, mischte Ray sich wieder ein. „Ein Abhörgerät und eine kleine Kamera. Aber keine Sorge, beides wird nicht zu sehen sein, besonders bei Nacht. Die Kamera wird uns helfen, ihn zu identifizieren und über das Audio wissen wir, wenn Sie in Gefahr sind.“

„Können wir kommunizieren?“

„Nein“, sagte Ray. „Also, wir werden Sie hören können, aber es wäre zu riskant, Ihnen einen Empfänger ins Ohr zu stecken. Den könnte der Entführer nämlich sehen. Außerdem wollen wir, dass Sie sich ganz und gar auf Ihre Aufgabe konzentrieren.“

„Eine Sache noch“, sagte Keri. „Es besteht die Chance, dass er nicht kommt. Vielleicht ist es im in letzter Minute doch zu riskant, vielleicht hatte er nie vor zu kommen. Bereiten Sie sich innerlich auf darauf vor.“

„Glauben Sie das denn?“, fragte Rainey. Er selbst hatte darüber offenbar noch nicht nachgedacht.

Keri wollte ihm eine ehrliche Antwort geben.

„Ich weiß nicht, was passieren wird, aber bald finden wir es heraus.“

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