Dracula

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   Später: Am Morgen des 16. Mai. – Gott schütze meinen Verstand, das ist alles, was ich noch wünschen kann. Sicherheit und Sicherheitsgefühl sind Worte aus der Vergangenheit für mich. Solange ich hier noch lebe, hoffe ich nur Eines: Dass ich nicht wahnsinnig werde, wenn ich es nicht bereits bin. Wenn ich noch bei Sinnen bin, dann ist ein Gedanke geeignet, der einen verrückt machen kann: Von all den scheußlichen Dingen, die an diesem verhassten Ort lauern, ist der Graf noch lange nicht das schrecklichste; denn nur bei ihm finde ich Schutz, und sei es auch nur so lange, wie ich ihm zweckdienlich bin. Großer Gott! Gnädiger Gott! Lass mich Ruhe bewahren, denn ein Abdriften vom Pfad würde mich direkt in den Wahnsinn führen. Ich gewinne nun Klarheit über manche Dinge, die mich verwirrt haben. Bis heute verstand ich nicht, was Shakespeare meinte, wenn er Hamlet sagen ließ:

   „Mein Buch! Nur schnell mein Schreibbuch her, ´s ist Zeit, dass ich das alles niederschreibe“, und so weiter.

   Aber jetzt, da ich das Gefühl habe, mein Gehirn hebe sich aus den Angeln, greife ich wieder zu meinem Tagebuch. Die Gewohnheit, genaue Eintragungen zu machen, soll mich beruhigen.

   Die geheimnisvolle Warnung des Grafen hatte mich sofort erschreckt; noch mehr erschreckt sie mich jetzt, wenn ich daran denke, dass der Graf mich wohl in Zukunft noch strenger festhalten wird. Ich werde mich hüten, noch einmal an seinen Worten zu zweifeln!

   Als ich in mein Tagebuch geschrieben und zufrieden Buch und Stift in meine Tasche gesteckt hatte, wurde ich schläfrig. Die Warnung des Grafen fiel mir ein, aber ich fand eine Freude daran, sie zu missachten. Es war die Müdigkeit, die zumeist mit einem eigenen Starrsinn verbunden ist, die mich so reagieren ließ. Das sanfte Mondlicht wirkte wohltuend auf mich, und die Aussicht in die Ferne täuschte mir Freiheit vor. Ich wollte heute Nacht nicht zu den düsteren, spukerfüllten Gemächern zurückkehren, sondern hier schlafen. Hier saßen wohl vor Jahren die Schlossfrauen und sangen und gaben sich dem Müßiggang hin, während sie mit Sehnsucht erfüllten Herzen auf die Rückkehr ihrer Männer warteten, die draußen in tobenden Kriegen kämpften. Ich zog mir ein großes Bett aus dem Winkel und stellte es so, dass ich im Liegen die herrliche Aussicht nach Süden und Westen genießen konnte; dann richtete ich mich, ohne an irgendetwas zu denken, und ohne auf den dicken Staub zu achten, zum Schlafen ein.

   Ich vermute, dass ich auch wirklich eingeschlafen war; ich hoffe es, aber ich fürchte, dass all das Folgende erschreckend real war – so wirklich, dass ich jetzt, im breiten und vollen Morgensonnenschein, nicht glauben kann, alles nur geträumt zu haben.

   Ich war nicht allein. Das Zimmer war dasselbe, völlig unverändert, seitdem ich es betreten hatte; im Mondlicht konnte ich entlang des Bodens meine Fußspuren sehen, die ich in die angehäufte Staubschicht getreten hatte. Ebenso im Mondlicht sah ich mir gegenüber drei Frauen stehen. Ihrer Kleidung und ihrem Benehmen nach waren es Damen. Zugleich dachte ich, doch zu träumen, denn sie wurden von hinten vom Mond beschienen und warfen kein Schattenbild von sich auf den Boden. Sie näherten sich mir, betrachteten mich eine Weile und flüsterten dann miteinander. Zwei von ihnen waren dunkelhaarig und hatten hoch liegende Adlernasen – wie der Graf – und große, durchdringende, schwarze Augen, die beinahe rot aussahen, wenn sie im bleichen Mondschein kontrastierten. Die Dritte war schön, so unbeschreibbar schön, mit dichten, goldenen Locken und Augen wie helle Saphire. Ich meinte, ihr Gesicht irgendwie zu kennen, oder sie mit einer erträumten Gefahr in Verbindung setzen zu können. Aber es gelang mir im Moment nicht zuzuordnen, wie oder wo es gewesen sein könnte. Alle drei hatten strahlend weiße Zähne, die wie Perlen hervor schienen zwischen ihren rubinfarbenen, wollüstigen Lippen. Sie hatten etwas an sich, was mich unbehaglich machte; zum einen verlangte ich nach ihnen, und zum anderen fühlte ich Todesangst. In meinem Herzen keimte ein wildes, brennendes Begehren, dass sie mich mit ihren roten Lippen küssen möchten. Ich schreibe das alles nicht mit leichter Hand nieder, da Mina diese Zeilen einmal zu Gesicht bekommen und Schmerz darüber empfinden könnte; aber es ist nun einmal so. Sie flüsterten miteinander, und dann lachten sie – ein silbernes, melodisches, aber derart hartes Lachen, das nie der Sanftheit menschlicher Lippen entspringen konnte. Es war wie die unerträgliche, prickelnde Anmut, die Wassergläser hervorbringen, wenn man geschickt an ihren Rändern reibt. Das attraktive Mädchen schüttelte ganz kokett ihren Kopf, die beiden anderen drängten sie heran. Eine sagte:

   „Geh! Du bist die erste, und wir kommen nach dir; dir steht es zu anzufangen.“ Und die andere fügte hinzu:

   „Er ist jung und stark; das bedeutet Küsse für uns alle.“ Ich lag still da in meiner Marter lüsterner Vorahnungen und blinzelte knapp unter meinen Lidern hervor. Das schöne Weib kam heran und beugte sich über mich, bis ich ihren Atem spüren konnte. Er war süß, honigsüß, und jagte mir dasselbe Knistern durch die Nerven wie ihre Stimme; doch der süße Duft war mit Bitterkeit unterlegt, wie die herbe Anstößigkeit von Blut.

   Ich scheute mich, die Augen ganz zu öffnen, blickte aber blinzelnd hervor und konnte alles sehen. Das hübsche Mädchen kniete sich hin und beugte sich höhnisch über mich. Es war eine bewusste Wollüstigkeit, die beides gleichermaßen war: Spannend und abstoßend. Als sie ihren Nacken beugte, leckte sie wie ein Tier ihre Lippen, so dass ich im Mondschein den Speichel auf ihren scharlachfarbenen Lippen und ihrer roten Zunge glänzen sah, die zwischen den weißen, scharfen Zähnen hervortrat. Tiefer und immer tiefer beugte sie ihren Kopf herab, bis ihre Lippen zuerst meinem Mund und Kinn näher kamen, dann daran vorbei näherte sie sich rasch meiner Kehle. Dann hielt sie kurz inne, und ich konnte die leckenden Töne ihrer Zunge hören, als sie sich Zähne und Lippen damit befeuchtete. Ebenso spürte ich ihren stechend-heißen Hauch auf meinem Hals, der zu prickeln begann, ganz so, als würde sich eine kitzelnde Hand unbeirrbar nähern. Ich konnte die zarten, zitternden Lippen auf meiner überempfindlichen Haut entlang des Halses und dann die harten Spitzen von zwei scharfen Zähnen spüren, die mich kurz berührten und schließlich innehielten. Ich schloss die Augen in gleichgültiger Verzückung und wartete – wartete mit pochendem Herzen.

   Doch in diesem Augenblick, schoss mir ein anderes Gefühl – wie ein Blitzschlag – durch den Körper. Ich war mir sicher, die Anwesenheit des Grafen zu spüren, wie er in einem Sturm von Raserei heranzukommen schien. Meine Augen öffneten sich unfreiwillig, und ich sah, wie seine Hand den schlanken Nacken der schönen Frau ergriff und sie mit enormer Kraft zurückriss. Ihre blauen Augen trübten sich vor Wut, ihre Zähne knirschten rasend, und ihre zarten Wangen waren rot vor Leidenschaft. Und erst der Graf! Nie sah ich einen solchen Grimm und eine solche Wut. Der reine Dämon aus der Hölle. Seine Augen loderten. Das rote Licht in ihnen brannte grell, als ob das gesamte Höllenfeuer hinter ihnen flammte. Sein Gesicht war totenbleich, die Züge waren wie aus stählernem Draht gefertigt; die dicken Augenbrauen, die sich über der Nase trafen, schienen wie hoch stehende Barren aus weiß glühendem Metall. Ein heftiger Schwung seines Armes schleuderte das Mädchen von sich und bewegte sich dann auf die anderen zu, als wolle er sie zurücktreiben; es war die selbe herrische Armbewegung, wie er sie den Wölfen gegenüber verwendet hatte. Er sprach mit einer Stimme, die leise und beinahe geflüstert klang und trotzdem die Luft zu durchschneiden schien und an den Wänden widerhallte, die Worte:

   „Ihr wagt es, ihn anzugreifen? Wie könnt ihr eure Augen auf ihn werfen, wenn ich es Euch verboten habe? Zurück, sage ich Euch! Dieser Mann gehört mir! Hütet Euch davor, ihn mir nehmen zu wollen, oder ihr habt es mit mir zu tun.“ Das schöne Mädchen antwortete mit einem frechen und koketten Lachen:

   „Du hast selbst nie geliebt, und wirst niemals lieben!“ Darauf kamen die beiden anderen Mädchen herbei, und es ertönte ein so freudloses, hartes und seelenloses Lachen, das mich fast ohnmächtig werden ließ; es schien, als scherzten Teufel. Dann drehte sich der Graf um, sah mir aufmerksam ins Gesicht und sagte sanft flüsternd:

   „Ja, auch ich kann lieben; Ihr könnt selbst davon aus vergangenen Tagen erzählen. Ist es nicht so? Gut, ich verspreche Euch, wenn ich mit ihm fertig bin, könnt Ihr ihn nach Belieben küssen. Aber jetzt geht! Geht! Ich muss ihn aufwecken, denn es gibt noch einiges zu erledigen.“

   „Und sollen wir heute Abend leer ausgehen?“, sagte eine von ihnen mit leisem Lachen und zeigte auf ein Bündel, das er auf die Erde geworfen hatte und das sich bewegte, als befände sich etwas Lebendiges darin. Zur Antwort nickte er mit dem Kopf. Eines der Mädchen sprang zu dem Bündel und öffnete es. Wenn meine Ohren mich nicht täuschten, hörte ich das Keuchen und leise Jammern eines halb erstickten Kindes. Die Mädchen umkreisten es, während ich bestürzt vor Schrecken war. Aber als ich näher hinsah, verschwanden sie und mit ihnen das schreckliche Bündel. Es befand sich keine Tür in ihrer Nähe, und an mir konnten sie nicht unbemerkt vorbeigekommen sein. Sie schienen einfach in den Strahlen des Mondes zu zerfließen und durch das Fenster zu entweichen, denn ich konnte außen noch ihre schemen- und schattenhaften Umrisse für einen Augenblick erkennen, ehe sie gänzlich verschwanden.

   Dann überwältigte mich der Horror, und ich sank bewusstlos nieder.

VIERTES KAPITEL
DAS TAGEBUCH VON JONATHAN HARKER

– Fortsetzung -

Ich wachte in meinem eigenen Bett auf. Wenn es so ist, dass ich nicht alles geträumt hatte, dann muss mich der Graf hierher getragen haben. Ich versuchte, mich diesbezüglich zu beruhigen, konnte aber zu keinem eindeutigen Resultat kommen. Zwar gab es gewisse und kleine Anzeichen: So etwa, dass meine Kleider in einer Weise gefaltet und neben mein Bett gelegt waren, wie ich es nicht zu tun pflege. Meine Uhr war noch nicht aufgezogen, und es ist doch eine von mir stets peinlich genau eingehaltene Gewohnheit, dies zu tun, bevor ich zu Bett gehe. Und mehrere solche Details. Aber all diese Dinge sind kein Beweis, denn sie könnten ebenso gut die Vermutung bestätigen, dass mein Verstand nicht wie sonst war, und dass ihn aus diesem oder jenem Grunde irgendetwas in Unordnung gebracht hatte. Ich muss auf einen Beweis warten. Über eines jedoch bin ich froh: Wenn es der Graf war, der mich hierher brachte und entkleidete, so muss er es mit großer Eile gemacht haben, denn meine Taschen waren unberührt. Ich bin mir sicher, dass ihm das Tagebuch ein Rätsel gewesen wäre, welches er nicht toleriert hätte. Er hätte es mir sicher weggenommen oder vernichtet. Wenn ich mich in diesem Zimmer umsehe, obwohl es bisher für mich so voll von Schrecken war, ist es mir jetzt ein Zufluchtsort geworden. Denn nichts kann fürchterlicher sein als diese unheimlichen Frauen, die darauf warteten – und noch warten – mein Blut zu trinken.

 

18. Mai. – Ich war wieder unten, um das Zimmer im Tageslicht zu sehen; ich muss die Wahrheit herausfinden. Als ich zum Eingang am Ende des Stiegenhauses kam, fand ich das Zimmer verschlossen vor. Die Tür war so gewaltsam gegen den Rahmen gedrückt worden, dass Teile der Holzumrahmung abgesplittert waren. Ich konnte bemerken, dass der Riegel nicht  vor geschoben war, aber die Türe war innen mit irgendetwas festgemacht. Ich fürchte, es war doch kein Traum, und werde auf Grund dieser Vermutung handeln müssen.

19. Mai. – Ich bin am Arbeiten. Letzte Nacht bat mich der Graf in den mildesten Tönen, drei Briefe zu schreiben. In einem sollte ich sagen, dass meine Arbeit hier nahezu getan sei, und dass ich in wenigen Tagen die Heimreise antreten werde; im zweiten Brief, dass ich am folgenden Tag abzureisen gedenke; und den dritten, dass ich das Schloss verlassen hätte und in Bistritz angekommen sei. Ich hätte gerne aufbegehrt, fühlte aber, dass es bei der gegenwärtigen Lage der Dinge Wahnsinn wäre, offen gegen den Grafen zu kämpfen, in dessen absoluter Gewalt ich doch war; und ihm etwas abzulehnen, hätte nur seinen Argwohn stimuliert und seinen Zorn geweckt. Es ist ihm klar, dass ich zuviel weiß, und ich nicht leben darf, da ich ihm gefährlich werden könnte; meine einzige Chance besteht darin, meine Möglichkeiten zu erweitern. Vielleicht bietet sich mir doch irgendeine Möglichkeit zur Flucht. Ich sah in seinen Augen den Grimm wachsen, der in ihm gelodert hatte, als er die schöne Frau von sich wegstieß. Er erklärte mir den seltsamen Briefverkehr damit, dass die Post selten und unregelmäßig ging, und dass meine Freunde meine Nachrichten leichter erhielten, wenn ich gleich jetzt schreibe; und er versicherte mir eindrucksvoll, dass mein letzter Brief – der von Bistritz datierte – dort bis zur fälligen Zeit behalten würde, und man ihn nicht abschicken werde, wenn ich etwa meinen Besuch zu verlängern gedächte. Ihm dabei zu widersprechen, hätte neue Verdachtsmomente gegen mich aufgeworfen. Daher sagte ich, dass ich vollkommen seiner Ansicht sei, und fragte ihn, welches Datum ich auf die jeweiligen Briefe setzen sollte. Er rechnete eine Minute und dann antwortete er:

   „Auf den ersten Brief 12. Juni, auf den zweiten 19. Juni und auf den dritten 29. Juni.“

   Ich weiß nun, wie lange ich noch zu leben habe. Gott, hilf mir!

28. Mai. – Es gibt doch eine Fluchtmöglichkeit oder wenigstens die Hoffnung, ein paar Worte nach Hause zu schicken. Eine Bande von Szgany ist ins Schloss gekommen, und sie errichteten ein Lager im Hof. Es sind Zigeuner; Ich habe einige Notizen über sie in meinem Buch. Sie sind fremdartig in diesen Landstrich, aber verwandt mit den gewöhnlichen Zigeunern, die über die ganze Welt zerstreut sind. Es gibt Tausende von ihnen in Ungarn und Transsylvanien, denen in den meisten Fällen kein Schutz durch das Recht zukommt. Sie stellen sich daher in der Regel unter die Schirmherrschaft eines Edelmannes oder Bojaren, dessen Namen sie dann annehmen. Sie sind ohne Angst und ohne Religion außer ihrem Aberglauben, und sprechen fast ausschließlich ihre eigene Zigeunersprache.

   Ich will einige Briefe nach Hause schreiben und versuchen, sie von den Zigeunern aufgeben zu lassen. Ich habe mit ihnen schon durch mein Fenster gesprochen und Bekanntschaft mit ihnen geschlossen. Sie nahmen ihre Hüte ab, machten eine Verbeugung und mir Zeichen, die ich aber genauso wenig verstand wie ihre Sprache…

   Die Briefe habe ich geschrieben. Der an Mina ist stenographiert, und Herrn Hawkins bat ich, mit Mina in Kontakt zu treten. Ich habe ihr meine Lage klar geschildert, aber ohne den Schrecken zu erwähnen, den ich mir vielleicht doch nur einbilde. Es würde sie zu Tode schockieren und entsetzen, wenn ich ihr mein Herz ausschütten wollte. Sollten die Briefe nicht befördert werden, so soll der Graf wenigstens nicht mein Geheimnis und das Ausmaß meiner Erfahrungen wissen.

   Ich habe die Briefe abgegeben; ich übergab sie, zusammen mit einem Goldstück, den Zigeunern durch die Gitter meines Fensters und machte ihnen Zeichen, dass die Briefe aufgegeben werden sollten. Der Mann, der sie an sich nahm, drückte sie an sein Herz, verbeugte sich und steckte sie dann unter seine Kappe. Mehr konnte ich nicht tun. Ich stahl mich ins Lesezimmer zurück und begann zu lesen. Solange der Graf nicht hier ist, schreibe ich hier weiter…

   Der Graf ist gekommen. Er setzte sich neben mich und sagte in der ruhigsten Weise, während er zwei Briefe öffnete:

   „Das Szganys haben mir das gegeben, von dem ich nicht weiß, woher es stammt, aber Kenntnis davon nehmen sollte. Sehen Sie!“ – er musste die Briefe angesehen haben – „einer ist von Ihnen und an meinen Freund Peter Hawkins adressiert; der andere“ – er bemerkte beim Öffnen die ihm fremden Zeichen, ein finsterer Zug trat in sein Antlitz, und seine Augen funkelten bösartig auf – „der andere ist ein niederträchtiges Ding, ein Missbrauch von Freundschaft und Gastlichkeit! Er ist nicht unterschrieben. Gut! So geht er uns weiter nichts an.“ Und er hielt ruhig Brief und Umschlag in die Flamme der Lampe, bis sie verbrannt waren. Dann fuhr er fort:

   „Den Brief an Hawkins werde ich, da er von Ihnen ist, abschicken. Ihre Briefe sind mir heilig. Verzeihen Sie mein Freund, dass ich versehentlich das Siegel zerbrach. Wollen Sie den Brief nicht mit neuem Siegel versehen?“ Er reichte mir den Brief und übergab mir mit einer eleganten Verbeugung ein neues Kuvert. Ich konnte nichts anderes tun als das Schreiben erneut zu adressieren, und ihm schweigend auszuhändigen. Als er das Zimmer verließ, hörte ich ihn den Schlüssel leise umdrehen. Wenig später ging ich zur Türe, die wirklich verschlossen war.

   Als nach einer oder zwei Stunden der Graf wieder ruhig das Zimmer betrat, weckte mich sein Kommen, denn ich war auf dem Sofa eingeschlafen. Er war sehr höflich und heiter, und als er bemerkte, dass ich geschlafen hatte, sagte er:

   „So, mein Freund, Sie sind müde? Gehen Sie zu Bette. Dort ist der sicherste Platz. Für heute bleibt mir das Vergnügen, mit Ihnen zu plaudern, leider verwehrt, da ich viel Arbeit zu erledigen habe; also, ich bitte Sie, schlafen Sie ruhig.“ Ich begab mich in mein Zimmer, legte mich ins Bett und, seltsam dass ich es erwähne, ich schlief ohne jeden Traum. Die Verzweiflung trägt eine ganz eigene Ruhe in sich.

31. Mai – Als ich am Morgen erwachte, wollte ich mich mit etwas Papier und einigen Umschlägen aus meinem Koffer ausstatten, und sie in meiner Tasche verstecken, um einige Briefe zu schreiben, und sie dann vielleicht irgendwie aufgeben zu können; aber wieder eine Überraschung, wieder ein Schreck!

   Das gesamte Papier war weg und damit all meine Notizen, die Zugfahrpläne und Reiseführer, mein Kreditbrief. In der Tat war alles weg, was mir nützlich sein könnte, wenn mir die Flucht aus dem Schloss gelänge. Ich saß und grübelte eine Weile, dann kam mir eine Idee, ich suchte meinen Handkoffer und sah in der Garderobe nach, wo ich mein Gewand aufgehängt hatte.

   Mein Reiseanzug, in dem ich hierher kam, war verschwunden, ebenso mein Mantel und meine Wolldecke; Ich konnte keine Spur davon entdecken. Das schien wie ein neuer heimtückischer Plan des Grafen zu sein…

17. Juni – Diesen Morgen, als ich am Bettrand saß und mein Gehirn zermarterte, hörte ich krachendes Peitschenknallen und ein Stampfen und Scharren von Pferdehufen auf dem felsigen Weg, der zum Schlosshof führt. In überschwänglicher Freude eilte ich zum Fenster und sah zwei große Leiterwagen in den Hof fahren, jeder gezogen von acht kräftigen Pferden. Bei jedem Paar stand ein Slowake, mit großem Hut, breitem, beschlagenem Gürtel, schmutzigem Schafsfell und hohen Stiefeln. Ihre langen Stöcke trugen sie in Händen. Ich rannte zur Türe, in der Absicht, über den Haupteingang zu ihnen flüchten zu können. Für sie musste doch das Tor geöffnet sein. Wieder fuhr ich eine herbe Enttäuschung ein! Die Türe war von außen verschlossen.

   Daraufhin lief ich zum Fenster und rief nach ihnen. Sie schauten gleichgültig herauf und deuteten auf mich; dann kam der Hauptmann der Zigeuner herbei, und als er sah, dass sie auf mein Fenster wiesen, sagte er etwas, worauf alle lachten. Von da ab konnte keine Bemühung meinerseits, kein verzweifelter Schrei und kein gequältes Flehen,auch nur einen von ihnen dazu zu bringen, nach mir zu sehen. Sie wandten sich entschieden von mir ab. Die Leiterwagen enthielten große, viereckige Kisten mit Handgriffen aus dickem Strick; sie waren offenbar leer, der Leichtigkeit wegen, mit der die Slowaken mit ihnen hantierten, und dem hohlen Gepolter zufolge, das sie dabei erzeugten. Als sie alle abgeladen und zu einem großen Stapel in einer Ecke des Hofes zusammengestellt waren, erhielten die Slowaken Geld von einem Zigeuner; sie spuckten drauf, was Glück bedeuten mochte, und begaben sich dann träge zu ihren Pferden. Kurze Zeit später hörte ich, wie das Klatschen ihrer Peitschen allmählich in der Ferne verstummte.

24. Juni, vor Tagesanbruch – Letzte Nacht verließ mich der Graf frühzeitig und schloss sich in seinem Zimmer ein. Sobald ich frei war, rannte ich die Wendeltreppe hinauf und spähte aus dem Fenster in Richtung Süden. Ich wollte nach dem Grafen Ausschau halten, denn irgendetwas ist im Gange. Die Szgany sind irgendwo im Schlosse untergebracht und verrichten irgendeine Arbeit. Ich weiß es gewiss, denn hie und da höre ich von weitem den gedämpften Klang von Hacke und Spaten. Welche Arbeit auch immer hier getan wird, sie ist sicherlich eine skrupellose Übeltat.

   Ich hatte etwas weniger als eine halbe Stunde am Fenster verbracht, da sah ich etwas aus dem Zimmer des Grafen kriechen. Ich lehnte mich zurück, schaute vorsichtig hinaus und bemerkte, wie er hinaus kletterte. Es war ein neuer Schreck für mich, als ich erkannte, dass er meinen Anzug anhatte, mit dem ich hierher gekommen war. Er trug über seine Schultern geworfen das grauenhafte Bündel, das ich die gespenstischen Frauen hatte mitnehmen sehen. Über den Zweck seines Ausfluges war wohl kein Zweifel mehr nötig, noch dazu in meiner Kleidung! Das ist sein neuer, bösartiger Plan: Er will andere glauben lassen, mich gesehen zu haben, wie ich in den Städten oder Dörfern eigenhändig meine Briefe aufgebe, sodass die Verbrechen, die er verübt, mir zugeschrieben werden.

   Es macht mich wütend, wenn ich daran denke, dass er so etwas ungestraft tun kann, während ich hier eingesperrt bin – als ein wirklicher Gefangener, dem aber jeder Schutz des Gesetzes verwehrt bleibt. Ein Schutz, der selbst Verbrechern stets Recht und Zuspruch bedeutet.

   Ich wollte dann auf die Rückkehr des Grafen warten und blieb lange Zeit verbissen am Fenster stehen. Plötzlich schien es mir, als tanzten bizarre kleine Flecken in den Strahlen des Mondlichtes. Sie waren wie dünnste Staubkörner, wirbelten umher und bildeten nebelartige Gruppierungen. Ich sah ihnen in aller Ruhe zu, und es wirkte tröstend auf mich. Ich lehnte mich bequem in die Fensternische, um dem luftigen Spiel beiwohnen zu können.

Doch etwas machte mich unruhig: Es war ein leises, wehes Heulen von Hunden irgendwo tief unten im Tal, das ich aber von hier aus nicht erblicken konnte. Es kam mir vor, als klänge das Heulen immer lauter in meinen Ohren, und es war mir, als formten sich die flatternden Staubwölkchen zu neuen Gestalten, während sie so im Mondschein tanzten. Ich fühlte in mir den Kampf des Aufwachens, das mir die Instinkte wieder wach rufen sollte; ja, meine ganze Seele wehrte sich dagegen, und auch die zur Hälfte wachgerüttelten Empfindungen strebten danach, dem Weckruf zu folgen. Ich wurde hypnotisiert! Schneller und schneller tanzte der Staub und die Mondstrahlen schienen zu zittern, als sie an meiner Seite vorbei strichen und von der Finsternis hinter mir aufgesogen wurden; mehr und mehr sammelten sich die Gestalten, bis sie trüben Phantomgestalten glichen. Plötzlich erschrak ich, ich erwachte gänzlich und im Vollbesitz meiner Sinne rannte ich schreiend davon. Die Phantomgestalten, die sich allmählich im Mondschein materialisiert hatten, waren die drei gespenstischen Mädchen, denen ich verfallen war. Ich floh und fühlte mich erst in meinem Zimmer etwas sicherer – dort, wo kein Mond schien, und die Lampe noch freundlich brannte.

 

   Als ein paar Stunden vorbei waren, hörte ich etwas Entsetzliches aus dem Zimmer des Grafen. Es klang wie ein durchdringendes Klagen, das aber rasch unterdrückt wurde; dann war eine furchtbare Todesstille, die mich mit Schaudern erfüllte. Mit klopfendem Herzen ging ich zur Türe, um sie zu öffnen; aber ich war eingeschlossen in meinem Gefängnis, und ich konnte nichts tun. Ich setzte mich hin und weinte einfach.

   Als ich saß, hörte ich vom Schlosshof her das fassungslose Gebrüll einer Frau. Ich eilte zum Fenster, riss es auf und sah zwischen die Gitterstäbe hindurch. Da war in der Tat eine Frau. Sie hatte zerzaustes Haar. Ihre Hände hielt sie über dem Herzen, wie ein in Atemnot geratener Läufer. Sie lehnte in einem Winkel des Torweges. Als sie mein Gesicht am Fenster erblickte, stürzte sie drohend vorwärts und schrie mit zornerfüllter Stimme:

   „Scheusal, gib mir mein Kind zurück!“

   Sie warf sich auf die Knie, streckte ihre Arme empor und schrie immer dieselben Worte, die mir das Herz zerrissen. Dann raufte sie ihr Haar, schlug auf ihre Brust und gab sich mit aller Gewalt einer unermesslichen Gefühlsregung hin. Dann sprang sie wieder auf und stürzte näher heran. Ich konnte sie nicht mehr sehen, aber ich hörte das Pochen ihrer nackten Fäuste am Tor.

   Irgendwo hoch oben, wahrscheinlich vom Turm, hörte ich die Stimme des Grafen mit brutaler, metallischer Stimme etwas sagen. Seine Worte klangen weit und wurden im plötzlich auftosenden Heulen der Wölfe beantwortet. Ehe noch einige Minuten verstrichen waren, kamen sie zuhauf durch den breiten Eingang in den Schlosshof geschossen wie Wasser, das von einem Damm eingesperrt war und nun frei strömen darf.

   Die Frau gab keinen Schrei von sich, und das Heulen der Wölfe währte nicht lange; kurze Zeit später zogen sie einzeln, und sich die Mäuler leckend, wieder ab.

   Ich konnte kein Mitleid mit ihr haben, denn ich wusste nun, was mit ihrem Kind geschehen war. Sie war tot besser dran. Was soll ich tun? Was kann ich tun? Wie kann ich dieses grausame Kleid der Leibeigenschaft wieder abstreifen, das aus Nacht, Finsternis und Angst gefertigt ist?

25. Juni, morgens. – Niemand, dem nicht schon die Nacht Schreckliches zufügte, weiß, wie süß und teuer für Herz und Augen der Morgen sein kann. Als die Sonne so hoch gestiegen war, dass sie das Dach des großen Tores beschien, das meinem Zimmer gegenüberliegt, war es so, als hätte die Taube aus der Arche Noah – die ausgeschickt wurde, um Land zu entdecken – den Glanz entfacht. Meine Angst zerging wie ein Gewand aus dunstigem Stoff, das sich in der Wärme auflöst. Ich muss irgendetwas unternehmen, solange die Helligkeit des Tages mir Mut gibt. Vergangene Nacht ging mein erster datierter Brief ab; der erste in einer fatalen Reihe, die jegliche Spur meiner Existenz von der Erde verwischen soll.

   Ich will nicht daran denken. Ich muss handeln!

   Es war immer nur zur Nachtzeit, dass ich belästigt und bedroht war oder mich sonst in Furcht oder Gefahr befand. Ich habe den Grafen bis heute noch nicht tagsüber gesehen. Ist es denkbar, dass er schläft, während die andern wach sind? Und muss er wach sein, wenn sie schlafen? Wenn ich doch nur in sein Zimmer könnte! Es gibt keine gangbare Alternative; die Türe ist immer verschlossen, kein Eingang für mich.

   Doch, es gibt einen Weg, wenn man ihn zu gehen wagt. Wo der Graf ging, da muss doch auch ein anderer gehen können? Ich habe ihn selbst aus dem Fenster kriechen sehen; warum sollte ich es ihm nicht nachmachen und über die Mauer in sein Fenster steigen? Die Sache ist verzweifelt, aber meine Not verlangt es. Ich werde es riskieren. Im schlimmsten Falle bedeutet es nur den Tod; der Tod eines Menschen ist etwas anderes als der eines Kalbes und der Schrecken des Jenseits wird sich erst für mich öffnen, wenn ich gestorben bin. Gott gebe mir Kraft für mein Vorhaben! Lebe wohl, Mina, wenn ich fehltrete; leben Sie wohl, treuer und väterlicher Freund; lebt wohl, ihr alle, und zu aller Letzt noch einmal Du, Mina!

   Am gleichen Tag, etwas später. – Ich habe das Wagnis unternommen und bin mit Gottes Hilfe unversehrt wieder in mein Zimmer zurückgekehrt. Ich will alles der Reihenfolge nach niederschreiben. Ich ging, solange mein Mut noch ausreichend war, direkt zum Fenster auf der Südseite und stieg auf das schmale Steingesims, das um das Gebäude herum läuft. Die Steine waren groß und roh behauen und den Mörtel, der sie einst verband, hatte der Zahn der Zeit weggewaschen. Ich zog meine Stiefel aus und begab mich auf den hoffnungslosen Weg. Ich sah einmal in den Abgrund, damit mich nachher kein flüchtiger Blick in die grausame Tiefe überraschen konnte, wandte aber von da an meine Augen nicht mehr hinab. Ich kannte genau die Richtung und die Entfernung zum Fenster des Grafen und versuchte, so gut ich nur konnte, alle zur Verfügung stehenden Gelegenheiten auszunützen. Ich fühlte mich nicht schwindelig – vermutlich weil ich zu erregt war – und die Zeit, die ich brauchte, schien mir lächerlich kurz, als ich bei der Fensterbank des Grafen Fensters angelangt war und den Rolladen auffahren ließ. Ich war tief erregt, als ich mich niederbeugte und mit den Füßen voran durch das Fenster stieg. Ich sah mich nach dem Grafen um. Zu meiner Überraschung und Freude machte ich eine Entdeckung: Das Zimmer war leer! Es war notdürftig mit seltsamen Dingen ausgestattet und erweckte den Eindruck, als wäre es nie benutzt worden; die Möbel waren identisch mit denen aus dem südlichen Zimmer und waren mit Staub bedeckt. Ich hielt sofort Ausschau nach dem Schlüssel. Aber der steckte nicht im Schlüsselloch und auch sonst war nirgends ein Schlüssel zu finden. Das Einzige was ich fand, war ein großer Haufen Gold, der in einer Ecke lag – mit Goldstücken aller Art: römisches, britisches, österreichisches, ungarisches, griechisches und türkisches Geld, überzogen mit einer Staubschicht, was vermuten lässt, als läge es schon sehr lange hier auf dem Boden. Keines der Stücke, das ich ansah, war weniger als 300 Jahre alt. Da lagen auch Ketten und Schmuck dabei, vieles mit Edelsteinen besetzt, aber alles alt und voll von Flecken.

   In einer Ecke des Zimmers befand sich eine schwere Türe. Ich versuchte, sie zu öffnen, aber da ich den Schlüssel zum Zimmer oder zur äußeren Tür nicht finden konnte – das Ziel meiner Suche – musste ich weitere Erkundungen vornehmen, oder all meine Bemühungen waren nutzlos. Doch die Tür war unverschlossen und führte durch einen steinigen Gang zu einer Wendeltreppe, die tief nach unten führte. Ich stieg hinab, sorgsam jeden Schritt beachtend – denn bei den Stiegen war es dunkel, da nur aus wenigen Schlupflöchern im dicken Gemäuer ein bisschen Licht hinzukam. Am Ende der Treppe gelangte ich zu einem finsteren, tunnelartigen Gang, aus dem widerlicher Leichengeruch und der Duft frisch gegrabener Erde drang. Als ich den Durchgang entlang ging, kam mir der Geruch immer näher und wurde intensiver. Schließlich kam ich an ein schweres, altes Tor, das nur angelehnt und offen war. Ich trat in eine alte, verfallene Kapelle, die offenbar als Begräbnisplatz gedient hatte. Das Dach war eingefallen, und an zwei Stellen führten Stufen ins Grabgewölbe. Der Boden war frisch umgegraben, und die Erde in große Holzkisten gefüllt; offenbar die Kisten, welche die Slowaken gebracht hatten. Für mich war das nicht von Interesse, und ich forschte weiter nach einem Ausgang, aber ich fand keinen. Ich untersuchte jeden Zentimeter am Boden, um ja keine Gelegenheit zu verpassen. Ich stieg in die Gewölbe hinab, in denen ein graues Dämmerlicht war, und es war furchtbar für mich, denn es wühlte mein Inneres auf. In zwei Gewölben war ich, ohne etwas anderes zu sehen als die Bruchstücke alter Särge und Staubschichten; aber im dritten  machte ich eine Entdeckung.