Kitabı oxu: «Liebe und andere Straftaten»

Şrift:

C.T. Sanchez

Liebe und andere Straftaten

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

Da stand sie nun. Vor ihr ragte eine gewaltige Betonmauer in die Höhe. An dem riesigen Eingangstor wurden alle, die sich hinter diese dunklen Mauern begeben wollten, von zwei Wachen kontrolliert. Nervös knabberte die hübsche Brünette an ihrer Unterlippe, als sie ihren Personalausweis einem der beiden Beamten überreichte. Der Mann überprüfte das Dokument kurz, nebenbei fragte er, wen sie besuchen wollte. Eine Standardfrage, wie sie unschwer am belanglosen Tonfall erkennen konnte. Ihre Antwort entlockte dem uniformierten Mann ein beeindruckendes Lächeln. Sie bekam ihren Personalausweis zurück und durfte eintreten. Hinter der Mauer kam ein riesiger Betonklotz zum Vorschein. Rechts und Links vom Weg, den sie nun geradewegs zum nächsten Tor beschritt, waren ebenfalls Betonmauern. Sie verspürte eine beklemmende Enge. Die Fenster des Gebäudes, das sie in wenigen Minuten betreten würde, waren alle mit dicken Eisenstangen verriegelt. Sie blieb abrupt stehen und bestaunte, wenn auch mit Bedauern, dieses überdimensionale schlichte Bauwerk. Ihr Blick überflog die Fenster zu einigen Zellen. Hinter welcher dieser Gitter befand sich wohl Tom? Es bedrückte sie und das konnte sie nun gar nicht gebrauchen. Schnell schüttelte sie den Gedanken von sich und lief weiter.

Sie ging durch das nächste Tor. Dort saß ein weiterer Beamter sicher hinter einer Art Schalter, wie man von Banken kannte. Nur das hier alles vergittert und viel düsterer war. Freundlich begrüßte sie auch diesen Herrn und überreichte ihm nach erneuter Aufforderung abermals ihren Ausweis. Wieder wurden ihre Personalien überprüft. Doppelt hält wohl besser, dachte sie. Er befahl ihr auf der Sitzbank zu warten. Wenige Minuten später ertönte ein lautes Summen. Die schwere Metalltür wurde damit entriegelt und ein ebenfalls uniformierter Mann betrat den Raum. Er war groß und muskulös. Seine blonden Haare hatten einen kurzen Militärschnitt, der ihn streng aussehen ließ.

„Miss Goodwin?“

Sofort sprang sie auf und reichte ihm ihre Hand zur Begrüßung. Er nahm sie mit einem zurückhaltenden Lächeln entgegen und forderte sie auf, ihm zu folgen. Mit einem erneuten Summen wurde das Schloss der Gittertür für einige Sekunden entsperrt und die beiden betraten offiziell das Innere des Gefängnisses. Die Flure waren relativ breit und dennoch wirkten sie beklemmend. Und hier ging es nicht einmal zu den Zellentrakten sondern zu den Besucher- und Aufenthaltsräumen des Personals sowie einigen Büros.

An einer Tür hielten sie an. „Dir. Peterson“ stand mit metallenen Buchstaben darauf. Ihre Begleitung klopfte an und wartete auf Antwort, die prompt kam. Sie traten ein. Der Raum war spärlich eingerichtet, besaß jedoch ein großes Fenster, das ihn mit Licht durchflutete. Ein großer Schreibtisch stand in der Mitte des Raumes. Davor waren zwei Stühle für Besucher und auf der anderen Seite ein großer Ledersessel. Dahinter verdeckte ein großes Regal fast die komplette Wand.

Direktor Peterson war ein großer stämmiger Mann in seinen 50ern. Er trug einen breiten Schnauzer, der wohl den Verlust seiner Haare auf seinem Kopf ausgleichen sollte. Seine Miene veränderte sich fast nie. Stets wirkte er mürrisch und streng. Das musste er wohl sein wenn er mit all den Sträflingen fertig werden sollte, die hier einsaßen. Er bemühte sich nur kurz aufzustehen, um die Neue zu begrüßen. Er deutete ihr Platz zu nehmen. Dann setzte er sich wieder in seinen bequemen Ledersessel und kramte in einer Schublade. Als er gefunden hatte, wonach er gesucht hatte, warf er es vor sich auf den Schreibtisch. Er war kein besonderer Mensch von Höflichkeit. Auf dem Tisch vor ihr lag ein Gefängnisausweis. Ihr Ausweis. Zögernd nahm sie ihn vom Tisch und betrachtete das Bild. Vielleicht hätte sie sich doch etwas mehr schminken sollen, als dieses Passbild gemacht wurde. Sie lächelte freundlich, ihre braunen Augen strahlten liebevoll wie immer, aber sie wirkte blass. Ihre schulterlangen braunen Haare waren leicht gelockt und umspielten ihr hübsches Gesicht. Mag sein, dass es ja nur an dem Blitzlicht gelegen hatte, aber diese Blässe sah nicht gesund aus, dachte sie. Neben dem Foto stand in großen Buchstaben ihr Name: Sera Goodwin. Darunter ein wenig kleiner: New York Correction Facility.

Das war es also. Ab heute arbeitete sie offiziell im NYCF. Dieses Gefängnis wurde erst vor einigen Jahren errichtet, weil mittlerweile sogar das größte Gefängnis der Welt, Rikers Island, maßlos überfüllt war. Das Gefängnis war in zwei Hälften unterteilt, einen für die männlichen und einen für die weiblichen Straftäter. Es war wie zwei völlig voneinander getrennte Haftanstalten, doch Direktor Peterson herrschte über das Gesamte.

Sera blickte noch einmal genauer auf ihren Ausweis. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in ihr breit. Sie hatte keine Sekunde gezögert, als sie von der freien Stelle als Stationskrankenschwester in diesem Gefängnis erfuhr, und sich sofort beworben. Zu ihrer Überraschung und Freude bekam sie die Stelle auch recht schnell zugesprochen. Sie hatte nicht nachgefragt, aber anscheinend waren nicht sehr viele Krankenschwestern bereit, in einem Gefängnis zu arbeiten. Nie hätte sie es für möglich gehalten, selbst einmal in einem zu arbeiten. Sie wäre auch nie auf die Idee gekommen. Erst als Tom verurteilt wurde, änderte sich alles. Es muss Schicksal gewesen sein, dass sich die Möglichkeit für sie auftat, in diesem Gefängnis zu arbeiten just als Tom vor knapp drei Monaten hier inhaftiert wurde. Sie hatte ihn bereits einige Male besucht, aber ihn jetzt täglich sehen zu können, zauberte ihr ein Lächeln auf ihre Lippen. Dieses entging auch Peterson nicht.

„Ich möchte, dass eines klar ist Ms. Goodwin. Sie müssen sich an die Regeln halten. Sie haben hier keine Sonderrechte. Wenn ich auch nur den Verdacht habe, dass Sie etwas Dummes vorhaben, fliegen Sie sofort wieder raus oder sitzen selbst in einer Zelle! Ist das klar? Ich gehe ein großes Risiko ein, Sie hier arbeiten zu lassen.“

„Das weiß ich und Sie können gewiss sein, Direktor Peterson, dass Sie es nicht bereuen werden“, entgegnete sie ihm freundlich.

„Nun gut. Ferguson, zeigen Sie Ms. Goodwin wo die Krankenstation ist.“

Peterson stand auf, um sich von seiner neuen Mitarbeiterin zu verabschieden. Er gab ihr flüchtig die Hand und ließ sich dann wieder in seinen Sessel fallen. Ferguson, der die ganze Zeit über im Büro geblieben war und ihre Unterhaltung mitverfolgt hatte, stellte der Direktor ihr noch kurz als Chef der Justizvollzugsbeamten des NYCF vor. Ferguson nahm nur von Peterson Befehle an, ansonsten verteilte er sie an die anderen Aufseher.

Wieder schritten die beiden durch die grauen Gänge, eine Treppe hinauf und durch zwei weitere mechanisch verschlossene Türen. Ferguson zeigte Sera, wie sie mit ihrem neuen Ausweis die verriegelten Türen aufmachen konnte. Neben jeder Tür befand sich ein Kartenscanner. Allerdings hatte sie nur zu bestimmten Bereichen Zugang. Der Chip im Ausweis war für jeden Mitarbeiter individuell programmiert. Sie brauchte also keine Angst haben, versehentlich im Zellentrakt zu landen. Zudem waren auch einige Durchgänge nur von Dritten zu öffnen. Das waren die am strengsten bewachten Bereiche. Dort stand zu jeder Zeit ein Beamter Wache.

Die Krankenstation hatte zwei Eingänge. Einen, durch den Sera kam und einen anderen, der von einem Vollzugsbeamten bewacht wurde, durch den die Häftlinge gebracht wurden. Ein breiter Flur führte zu mehreren Räumen. Im Eingangsbereich gab es so was wie eine Anmeldestation, hinter der ein älterer Mann saß, dessen Haare und gestutzter Vollbart so weiß waren wie der Kittel, den er trug. Als er Ferguson und seine Begleitung hereinkommen sah, kam er hinter der Anmeldestation hervor. Er hatte ein gütiges Gesicht, das aber auch zu gegebenen Anlässen sehr streng wirken konnte. Mit einem sehr freundlichen Lächeln begrüßte er seine neue Assistentin.

„Sera Goodwin“, er nahm ihre Hand in seine, „schön Sie wiederzusehen.“

Sie hatte Doktor Hillsborough bei ihrem Vorstellungsgespräch vor ein paar Wochen kennengelernt und fand ihn auf Anhieb sympathisch, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Irgendwie erinnerte er sie von seiner Art her an ihren eigenen Großvater, der stets freundlich und ein herzensguter Mensch war. Allerdings war ihr Großvater nicht so groß wie ihr neuer Vorgesetzter, der ihrer Schätzung nach mindestens ein Meter neunzig sein musste.

Ferguson verabschiedete sich. Er musste zurück an seine eigene Arbeit. Sera folgte dem Doktor in den Raum, der sich hinter der Anmeldung befand. Hier bekam sie einen Spind mit Schloss zugeteilt, in dem sie ihre Tasche und Jacke verstaute. Auf dem kleinen runden Tisch in der Mitte des Raumes lag ihre neue Arbeitskleidung. Eine Hose, T-Shirt und Sweatshirt in kräftigem Pink. Sie war nicht allzu begeistert. Pink war nicht gerade ihre Lieblingsfarbe. Aber Dr. Hillsborough versicherte ihr, sie würde großartig darin aussehen. Außerdem hätte angeblich eine Studie bewiesen, dass die Farben Rosa und Pink eine beruhigende Wirkung haben sollten, was bei ihren künftigen Patienten von Vorteil sein könnte.

Oh Gott, daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Immer wenn sie an ihre neue Arbeitsstelle gedachte hatte, kam ihr nur Tom in den Sinn. Dass sie auch anderen Straftätern, Mördern und sogar Vergewaltiger gegenübertreten und diese behandeln müsste, verbannte sie bis dato aus ihrem Kopf. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr.

Nachdem sich Sera schnell im Nebenraum, einem kleinen privaten Bad, umgezogen hatte zeigte ihr Dr. Hillsborough noch die anderen Räumlichkeiten der Krankenstation. Es gab zwei allgemeine Behandlungsräume, einen kleinen Operationsraum, wo jedoch nur kleine Eingriffe vorgenommen werden konnten und durften, sowie vier Krankenzimmer, in denen die Patienten lagen, die länger stationär behandelt werden mussten. Zwei davon waren Einzelräume. In den anderen beiden standen jeweils fünf Betten. An diesem Tag, befanden sich jedoch keine Patienten auf der Station.

Zurück im Aufenthaltsraum tranken sie eine Tasse Kaffee zusammen und Dr. Hillsborough erklärte ihr einige Tagesabläufe. Morgens bis 7:30 Uhr kamen die ersten Patienten auf die Krankenstation, um ihre Medizin zu bekommen. Da weder Spritzen noch Tabletten außerhalb der Krankenstation benutzt oder eingenommen werden durften, mussten die Behandelten zum Doktor gebracht werden und bei der Einnahme mussten er oder die Krankenschwester immer anwesend sein, um es zu überwachen. Die Häftlinge hatten bis 16 Uhr Dienst in verschiedenen Bereichen des Gefängnisses. Erst danach kamen die Patienten wieder, die verschreibungspflichtige Medizin einnehmen mussten. Natürlich gab es hin und wieder auch Arbeitsunfälle, die dann sofort zu ihnen gebracht wurden. Ansonsten war jedoch die meiste Zeit des Vor- und Nachmittags eher ruhig. In diesen Stunden konnten sie sich um eventuell stationäre Patienten kümmern.

„Ich muss sagen, ich war erstaunt über Ihre Offenheit beim Vorstellungsgespräch. Über Ihre Motive hier zu arbeiten meine ich“, sprach Dr. Hillsborough.

Sera nahm einen kräftigen Schluck, bevor sie achselzuckend antwortete: „Ich dachte, wenn ich überhaupt eine Chance auf diesen Job habe, muss ich die Karten auf den Tisch legen. Eigentlich bin ich selbst überrascht, dass ich trotz Allem eingestellt wurde.“

„Nun ja“, ihr Gegenüber war sichtlich amüsiert, „um ebenfalls ehrlich zu sein, mussten wir uns nur zwischen Ihnen und einer weiteren Bewerberin entscheiden, die durchaus kompetent war.“

„Aber?“ Sera war neugierig.

„Ihre Konkurrentin war leider bereits 60 und da diese Position frei wurde, weil Ihre Vorgängerin in Rente ging, wollten wir nicht wieder in ein paar wenigen Jahren jemand neuen suchen. Es hatte mich überrascht, dass eine junge hübsche Krankenschwester überhaupt in diesem, wenn ich sagen darf, Loch freiwillig arbeiten wollte. Aber als Sie uns Ihre Beziehung zu einem Insassen erklärten, war mir alles klar. Ich fand es… süß.“

Süß. Ja das war sie. Sera die Süße. Schon seit sie klein war, wurde sie stets mit süß assoziiert. Eigentlich hatte sie nie ein Problem damit, aber süß in einem Gefängnis? Ob das gut ginge? Sie werde es rausfinden müssen, denn ein Zurück gab es nicht mehr.

Dr. Hillsborough schaute auf die Uhr. 7:00 Uhr. Es war Zeit für die ersten Besuche. Jeden Morgen um diese Uhrzeit wurden die Insassen zur Krankenstation gebracht, die verschreibungspflichtige Medikamente benötigten. Nur er oder ab jetzt auch Sera, durften Medikamente verteilen oder Spritzen geben.

Ein lautes Summen öffnete die Eingangstür. Ein Wachmann trat in Begleitung des ersten Patienten ein. Sera versuchte, nicht laut aufzuschreien. Sie konnte förmlich spüren wie sich Glückshormone in ihrem Körper freisetzten. Das Unterdrücken eines Lächelns fiel ihr schwer. Da kam Tom. Er trug die orangefarbene Häftlingskleidung. Auf der Rückseite des T-Shirts war in weißen Buchstaben „NYCF“ aufgedruckt. Seine kurzen dunkelbraunen Haare waren nur flüchtig gekämmt worden. Seine braunen Augen fingen zu leuchten an, als er sie erblickte. Er lies sie nicht aus den Augen, aber auch nichts anmerken. Dr. Hillsborough wies die Wache an, vor der Tür zu warten. Die Tür hatte ein großes Fenster eingebaut, damit die Wachen aus Sicherheitsgründen hineinspähen konnten. Dr. Hillsborough ließ jedoch die Jalousie runter. Sie waren ungestört. Sera hatte es klar gemacht, dass sie ihre Beziehung zu Tom geheim halten wollte. Nur Dir. Peterson, Ferguson und Dr. Hillsborough wussten bescheid. Im Behandlungsraum setzte sich der Arzt Abseits an einen Schreibtisch und beobachtete die Szene mit verschränkten Armen.

Sera konnte sich nicht länger zurück halten. Sie fiel dem jungen Mann um den Hals. Als offizieller Besucher, durfte man keinen körperlichen Kontakt zu den Insassen haben, lediglich ein Händeschütteln wurde erlaubt. Sie drückten sich eine gefühlte Ewigkeit.

„Wie geht es dir?“ Ihre Augen wurden feucht.

„Ich kann es kaum glauben. Jetzt stehst du tatsächlich hier vor mir. Du bist verrückt! Das habe ich gar nicht verdient.“ Tom kämpfte selbst mit den Tränen.

Sie hatte sich in die Höhle des Löwen gewagt und das nur wegen ihm. Er hatte kein gutes Gefühl bei dem Gedanken, wem sie hier alles über den Weg laufen könnte und dennoch war er überglücklich, sie ab jetzt jeden Tag sehen zu dürfen. Tom war seit seiner Kindheit Diabetiker. Er brauchte morgens und abends eine Spritze Insulin. Von diesem Tag an, würde Sera ihm seine Spritzen verabreichen und so konnten sie sich viel öfters sehen als zu den Besucherzeiten. Jeden Freitag durften die Häftlinge zwischen 16 und 18 Uhr Besuch im großen gemeinschaftlichen Besucherraum empfangen.

Sera glaubte es war Schicksal, dass fast zur gleichen Zeit als Tom verurteilt wurde die Stelle der Gefängniskrankenschwester frei wurde. Es kam ihr wie in einem Traum vor. Das Glück war auf ihrer Seite. Tom löste sich vollständig von der Umarmung, setzte sich auf den Behandlungstisch und betrachtete Sera von oben nach unten.

„Pink steht dir“, bemerkte er mit einem Grinsen.

„Danke.“

Sie fragte Dr. Hillsborough nach den benötigten Utensilien und wollte währenddessen von Tom wissen, wie es mit seinem Zellengenossen klappte. Bei ihrem letzten Besuch vor zwei Wochen hatte er ihr erzählt, dass Burt, mit dem er die kleine Zelle teilte, ihn wegen jeder Kleinigkeit anfahren würde. Eines Nachts hatte Burt ihn aus dem Schlaf gerissen und fast zu Tode erschreckt, nur weil er wegen einer verstopften Nase geschnarcht hatte. Burt war davon wohl aufgewacht und hatte seine Wut an ihm ausgelassen. Seitdem hatte er Schlafprobleme. Tom versicherte ihr jedoch, es würde jetzt besser laufen. Burt war zwar immer noch mürrisch aber langsam schien es Tom als sei er das schon sein ganzen Leben lang gewesen und es läge somit nicht an ihm.

„Leider kann man sich seinen Zellengenossen nicht aussuchen“, sagte Tom und kniff kurz die Augen zusammen, als Sera ihm die Spritze gab.

„Tut mir leid“, und das meinte sie nicht nur im Bezug auf den Nadelstich. „Jetzt kannst du mir täglich von deinen Abenteuern hier erzählen.“ Sie lächelte ihn aufmunternd an.

„Abenteuer. Das klingt eigentlich ganz cool. Ich wünschte, es wäre so“, er stand auf und wandte sich an Dr. Hillsborough. „Danke, dass sie das zulassen, Doktor. Ich meine, dass Sera und ich uns sehen und unterhalten dürfen und so.“

„Gern geschehen. Wenn ich euch vertrauen kann, lasse ich Sera vielleicht sogar alleine die Behandlungen machen, ohne Aufsicht“, versprach der Arzt. Er stand auf und öffnete die Tür. „Dann bis später Tom.“

Tom und seine Wache verschwanden wieder. Es dauerte einige Minuten bis der nächste Patient hereingebracht wurde. Sera war etwas nervös, dem ersten richtigen Straftäter gegenüber zu stehen. Sie sah Tom natürlich nicht als Straftäter an. Dafür kannte sie ihn zu gut. Er konnte keiner Seele etwas zu Leide tun und war immer ein ehrlicher Mensch gewesen. Seine Verurteilung war völlig unberechtigt gewesen!

Ihre Nervosität verschwand schnell, denn ihre Patienten waren alle überraschend freundlich ihr gegenüber, wenn auch einige etwas schroffer daherkamen, behandelten sie die neue Schwester mit Respekt. Anscheinend freuten sie sich, dass endlich mal frischer Wind in diese tristen Mauern kam. Anhand einiger Schilderungen musste ihre Vorgängerin ein alter Drache gewesen sein. Es gab jedoch einen Häftling vor dem sie sich fürchtete, der sie mit lüsternen Augen anstarrte. Die Anwesenheit von Dr. Hillsborough beruhigte sie aber etwas, sowie die Gewissheit, dass ein Justizvollzugsbeamter direkt vor der Tür stand und die Behandlung durch das Fenster verfolgen konnte.

Am späteren Nachmittag kurz vor dem Abendessen kam Tom noch einmal in die Krankenstation für seine zweite Spritze. Da Dr. Hillsborough wieder dabei war, hielten sie keine lange Konversation. Trotzdem war Sera über glücklich, Tom zwei Mal täglich sehen zu dürfen. Erst jetzt merkte sie, wie sehr sie ihn die letzten Monate vermisst hatte.

Es dauerte nicht lange bis sich bei Sera der Arbeitsalltag eingespielt hatte. Sie assistierte Dr. Hillsborough bei seinen Behandlungen, die meisten kamen wegen grippalen Infekten, Bauchschmerzen oder Migräne. Die Arbeit war nicht wirklich anders als bei ihrem vorherigen Arbeitgeber. Sie hatte nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester in ihrer Heimatstadt Danbury in einer privaten Gemeinschaftspraxis in New York eine Anstellung gefunden, bei der sie bisher gearbeitet hatte. Dort gab es immer reges Treiben, weil die Arztpraxen leider alle stets überlaufen waren. So wurde es jedoch auch nie langweilig. Hier in der Gefängniskrankenstation gab es tatsächlich Phasen am Tag an denen sie Zeit hatte, sich gemeinsam mit ihrem neuen Chef hinzusetzten und sich in Ruhe zu unterhalten. Mit jedem Tag wurde ihr Dr. Hillsborough sympathischer. Er war ein liebe- und verständnisvoller Mensch. Sie konnte sich prima mit ihm unterhalten. Bei seinen Patienten wusste er allerdings genau, wann er streng sein musste und wie er mit ihnen umzugehen hatte. Er beteuerte ihr, dass es jahrelange Erfahrung sei. In einigen Monaten würde sie auch die Dauerpatienten besser kennen und wissen, vor wem sie sich besser in Acht nahm. Auch gab es hier einige, die Beschwerden nur vortäuschten, um an Medikamente zu kommen. Daher mussten die Untersuchungen manchmal etwas genauer sein. In ihrer zweiten Arbeitswoche machte Sera auch Bekanntschaft mit dem ersten Opfer einer Prügelei und eines Drogenabhängigen, der auf Entzug war. Sie war erstaunt, als Dr. Hillsborough ihr erklärte, wie einfach es sei, im Knast an Drogen zu kommen. Manchmal wurden den Abhängigen absichtlich keine Drogen mehr verkauft, um sie für bestimmte Zwecke zu missbrauchen. Sobald die ersten Entzugserscheinungen auftraten, waren sie bereit, alles zu tun.

5,66 ₼
Janr və etiketlər
Yaş həddi:
0+
Həcm:
300 səh. 1 illustrasiya
ISBN:
9783738018516
Naşir:
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