Kitabı oxu: «Crossatlantic Patchwork 1»

Şrift:

Darius Tech

Crossatlantic Patchwork:

Herausforderung akzeptiert

Band 1

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2020

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© the author

Cover: Irene Repp

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Bildrechte:

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1. Auflage

ISBN 978-3-96089-395-0

ISBN 978-3-96089-396-7 (epub)

Inhalt

Was haben zwei verliebte Studenten mit ehemaligen CIA-Agenten und einem Haufen Wölfe zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel, aber eine alte Rechnung führt dazu, dass sie alle viel mehr miteinander zu tun haben, als ihnen lieb ist.

Stephan Voigt nimmt das Leben auf die leichte Schulter und will immer mit dem Kopf durch die Wand. Nicht typisch für einen Pferdewandler, aber durchaus typisch für einen Feuerhufer, einen kriegerischen Beutetierwandler, der Stephan eigentlich gar nicht sein will.

Reggie Miller scheint auf den ersten Blick genau das Gegenteil von ihm zu sein, ein Pumawandler, zurückhaltend, verschüchtert, ungeoutet, vor seinem gemischten Rudel aus Wölfen und Raubkatzen nach Europa fliehend, um sich zu finden und mit seinem Tier ins Reine zu kommen.

Können zwei so gegensätzliche Charaktere die passenden Partner füreinander sein?

Danksagung

Danke an meine mutigen Versuchskaninchen und Betaleser Steffie, Svenja, Tina, Thiess, Ursel und Margot für eure ehrliche Meinung und kostbare Zeit! Ja, es geht weiter.

Gewidmet Sanne, denn ohne sie wäre ich nie auf Gestaltwandler gekommen. Und natürlich Michael Ende, denn seine Phantasie hat in mir den Wunsch zu schreiben geweckt.

Und außerdem eine Entschuldigung an die vielen Stefans, Stephans und anderen Schreibvarianten in meinem Leben; keiner von euch war Vorbild für meinen Stephan. Verdient hättet ihr es natürlich alle!

Prolog

Oregon vor 25 Jahren

Grace sang von der Jagd, ihre bittersüße Stimme wurde nur von der eigenen Gitarre begleitet. Die Wölfe und Pumas rund um die großzügige Veranda der Rudelzentrale lauschten ihr gebannt.

Alle Rudel hatten ihre Rituale, die meisten davon waren sich ziemlich ähnlich. Regelmäßige Versammlungen und Feiern festigten die Bindung der Mitglieder ebenso wie gemeinsame Jagden. Es ging nichts über das Gefühl, mit seinen Freunden in tierischer Gestalt durch den Wald zu jagen und dem Wind zu lauschen, dem bebenden Leben um sich herum ergeben. Der Wind und der Waldboden erzählten mehr Neuigkeiten als die örtliche Tageszeitung. Gelesen wurden sie mit allen Sinnen.

Die Jagd selbst war wie ein Rausch, das Adrenalin pumpte durch die Adern, man verlor sich in der Geschwindigkeit. Ob man dabei nach Wild jagte oder nur seinen eigenen Schatten, war zweitrangig.

Als Grace den Refrain beendete, warf sie den Kopf in den Nacken und heulte mit der Stimme ihres Wolfes. Rund die Hälfte ihres Rudels stimmte in das melancholische Geheul mit ein. Die anderen bekundeten ihre Begeisterung mit Applaus.

Arcadius Kaspersky trat hinter Grace und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Vielen Dank, Grace. Wir haben deine Stimme in unserer Mitte vermisst.«

»Danke, Alpha Kaspersky. Ich singe für niemanden lieber als für meine Familie.« In ihrer Stimme lag Stolz. Wohlverdienter Stolz über ihr musikalisches Talent und ein mit Auszeichnung bestandenes Medizinstudium. Letzteres wäre noch vor einer Generation unmöglich gewesen.

Der Anführer ihres Rudels zog sie in eine feste, väterliche Umarmung. »Willkommen zu Hause!«

***

Arcadius hatte die Regeln geändert. Sein Onkel war ein guter Anführer gewesen, gerecht und fürsorglich, wenn auch streng. Ohne Strenge war es nicht möglich, ein Rudel mit so vielen unterschiedlichen Wandlern zusammenzuhalten. Das war eine Tatsache, die Arcadius früh in seinem Leben hatte lernen müssen. Aber die Zeiten und die Welt hatten sich verändert rund um Bear Creek. Ein starkes Rudel brauchte Mitglieder, die die moderne Welt verstanden und mit ihr lebten. Heute war völlige Isolation ihr Feind und nicht mehr ihr Verbündeter. Sie brauchten Berufe, ein Einkommen, um weiterhin in ihrem seit Generationen angestammten Territorium leben zu können. Landwirtschaft und Jagd waren im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert keine ausreichende Lebensgrundlage mehr. Und außerdem brauchten sie einen vernünftigen Umgang mit der modernen menschlichen Kultur. Die heutigen Jugendlichen des Rudels besuchten die Highschool im Ort. Natürlich sobald sie ihre Verwandlung kontrollieren konnten. Grace gehörte zu den Ersten des Rudels mit einem Schulabschluss und hatte ein normales College besucht.

Die Langlebigkeit eines Wandlers machte natürlich immer eine gewisse Abgrenzung von der Lokalbevölkerung notwendig. Aber Arcadius glaubte nicht daran, dass es den jungen Rudelmitgliedern half, ihnen die Welt vorzuenthalten. Trotzdem war er stets erleichtert, wenn jemand wohlbehalten zum Rudel zurückkehrte. Wenn es sich um ein besonders geschätztes Mitglied wie die junge Wölfin Grace handelte, umso mehr. Grace Darlington war eine Hüterin, das machte sie besonders. Hüter waren dominante Wandler, die keine Anführer sein wollten, aber dazu in der Lage wären. Sie waren das Rückgrat eines starken Rudels, bereit, alles für ihre Gemeinschaft zu opfern. Meistens waren es Frauen; männliche Hüter bildeten die Ausnahme.

Die Rückkehr von Grace hatte Arcadius zum Anlass genommen, ein Sommerfest auszurichten. Aber er und seine Offiziere Donnie Rubio und Wyatt Esposito waren während des Festes wachsam. Es gab Unruhe im Rudel. Die Streitigkeiten zwischen Wölfen und Pumas waren in letzter Zeit über das übliche Maß kameradschaftlicher Konkurrenz hinausgegangen. Das war ein ernster Grund zur Sorge.

Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen des Rudels tanzten unterdessen zu angesagter Musik, die aus einem Ghettoblaster dröhnte. Ein Element der Moderne, über das sein Onkel vermutlich nur den Kopf geschüttelt hätte.

Die Solaranlage auf dem Dach des großen, multifunktionalen Gebäudes lieferte den Strom für alle Geräte rund um die Zentrale. Es beherbergte neben den Wohneinheiten der hochrangigsten Rudelmitglieder diverse Gemeinschaftsräume, eine Gemeinschaftsküche, zwei Klassenräume, eine Kindergartengruppe und Gästezimmer.

Ein paar Jugendliche hatten Freunde aus der Schule eingeladen, Freunde, die wussten, in welcher Gesellschaft sie sich befanden. Die Welt veränderte sich und die Wandler mussten das auch. Bedauerlich, dass diese Meinung noch so wenig außerhalb von Bear Creak geteilt wurde.

***

Grace ging zu dem Tisch, auf dem die Getränke standen. Allerdings kam sie nicht dazu, sich ein Glas mit Bowle zu füllen.

»Bitte schön! Für die wunderbare Künstlerin. Oder wäre Frau Doktor angebrachter?«

Dan Miller war weit hochrangiger als sie, aber irgendetwas sorgte dafür, dass sie in seine Augen blicken wollte und sie nicht aus Gewohnheit und Respekt senkte. Der Soldat war ihr bislang nicht wirklich aufgefallen, als sie das Rudel als Jugendliche verlassen hatte. Er war einfach zu weit von ihrer Generation entfernt gewesen. Die Frau, die zurückgekehrt war, stellte jetzt aber fest, dass sie seine Stimme angenehm fand. Und seine grünen Augen funkelten sie freundlich an.

»Bowle?« Dan hielt ihr noch immer das Glas hin.

»Ja, danke.«

In diesem Augenblick tauchte Barney Jenkins mit seinen Cousins hinter ihnen auf. Irgendwie kamen die drei immer im Sammelpaket.

»Miller, bleib gefälligst bei deinem eigenen Volk!«

»Lass den Mist, Barney, wir sind ein Rudel, in Bear Creek gibt es nur ein Volk.« Dan baute sich vor dem deutlich älteren Wolf auf. Er zögerte nicht, ihm seinen höheren Rang zu verdeutlichen.

»Er hat mir doch nur ein Glas Bowle gegeben.« Grace fühlte sich durch die ungewohnte Konfrontation verunsichert. Seit wann interessierte es jemanden in Bear Creek, ob man Wolf oder Puma war?

Wyatt, einer der beiden Offiziere des Rudels, erschien wie aus dem Nichts neben der Gruppe. »Gibt es noch Bowle?« Die Frage war angesichts der vollen Schüssel auf dem Tisch offensichtlich rhetorisch.

Barney wandte den Blick von Dan ab und trat den Rückzug an. »Dämliches Katzenvolk!«, meckerte er und echauffierte sich weiter, während er ging.

Dan atmete hörbar aus. »Dieser Scheißkerl wird noch Ärger machen, Wyatt.«

»Höchstwahrscheinlich. Aber solange er nur rumstänkert, können wir nicht viel tun. Es gibt keine Regel dagegen, ein Ekel zu sein.«

3 Jahre später

Barney lag in Wolfsgestalt auf dem Boden, während Dan über ihm stand und triumphierend fauchte. Der Wolf blutete aus mehreren Wunden, aber er würde sich rasch erholen. Um die beiden herum standen die erwachsenen Mitglieder des Rudels.

Arcadius trat in den Ring aus Wandlern. Sein Blick fiel auf Grace, die mühsam die Nerven behalten hatte, als der Wolf den Vater ihres ungeborenen Kindes zu einem Kampf herausgefordert hatte. Als klar geworden war, dass Dan die Oberhand hatte, war sie nur langsam ruhiger geworden. »Dan, verwandle dich zurück und kümmere dich um deine Partnerin.« Diesen Befehl sprach er in sanftem Tonfall.

Der Puma gehorchte. Er fing die Jogginghose auf, die ihm einer der anderen Soldaten des Rudels zuwarf, und eilte zu Grace, die dankbar in seine Arme sank.

Unterdessen erhob der Alpha die Stimme. »Verwandele dich zurück, Barney Jenkins. Empfange dein Urteil in menschlicher Gestalt.«

Barney folgte der Anweisung, stand wenig elegant auf und erhob hochmütig den Kopf. Er schien kein Interesse daran zu haben, sich mit einer Hose aufzuhalten. »Urteil? Welches Urteil?« Er grinste höhnisch. Selbst die Tatsache, dass er gerade einen Kampf nur deshalb überlebt hatte, weil sein Gegner es so gewollt hatte, schien den Mann nicht zur Vernunft gebracht zu haben. »Grace ist eine Wölfin, Dan hat keinen Anspruch auf sie.«

»Er hat jeden Anspruch auf sie, den sie ihm gewährt.« Arcadius legte eine bewusste Pause ein. »Und dir nicht.« Er schritt auf den großspurigen Verlierer zu. »Wie auch immer. Das ist nicht der Grund, weshalb ich dich und deine beiden Cousins des Rudels verweise. Ihr drei stört seit Jahren kontinuierlich den Rudelfrieden. Ihr habt wiederholt andere Mitglieder grundlos angegriffen, zuletzt auch körperlich. Ich werde dieses Verhalten keinen Tag länger auf meinem Territorium dulden. Ihr habt zwölf Stunden, um das Gebiet und die Stadt zu verlassen. Sobald ihr eine Bleibe habt, werde ich dafür sorgen, dass man euch euer Hab und Gut nachsendet.« Mit diesen Worten drehte sich der Alpha um und schritt von der Lichtung. Er hätte den Wolf gern härter bestraft, doch dieser hatte nicht ihn, sondern Dan zu einem tödlichen Kampf herausgefordert. Der wiederum hatte von seinem Recht Gebrauch gemacht, seinen Gegner am Leben zu lassen. Anführer oder nicht, er respektierte die Entscheidungen seiner Leute, auch wenn ihm der Gedanke missfiel, Barney ungeschoren davonkommen zu lassen.

Das ganze Rudel folgte Arcadius. Auch Barneys Schwester schloss sich der Gruppe an, ohne sich umzudrehen. Sie hatte ein kleines Kind mit einem der Wölfe im Rudel. Auf der Lichtung blieben nur Barney und seine Cousins Christian und Jack zurück.

»Ohne Grund? Ohne Grund?« Barney brüllte den Wandlern hinterher. »Wölfe und Katzen gehören nicht zusammen! Ich werde es euch schon noch beweisen!«

Kapitel 1: Eine neue Welt

Das Schicksal besitzt einen komischen Sinn für Humor, doch es macht keine Fehler.

Stephans Augen stolperten über die Schlagzeile; sie diente als Titel irgendeiner Promireportage in einer Klatsch- und Tratschzeitschrift. Der angebliche Promi sagte ihm nichts, aber irgendwie blieben seine Gedanken an den Worten hängen. Machte das Schicksal wirklich keine Fehler? Ob das in jedem Fall zutraf, vermochte er nicht zu sagen, aber für sein Empfinden steckte ein Fünkchen Wahrheit in den Worten. Denn es war ein seltsamer Zufall, dass er als Pferdewandler, der durch einen Autounfall verwaist war, ausgerechnet von Pferdezüchtern adoptiert worden war. Seine Adoptiveltern hatten ihn nicht nur mit Liebe überhäuft, bevor sie überraschend doch zwei leibliche Kinder bekommen hatten, sie hatten ihn sich als stolzen großen Bruder fühlen lassen, hatten sich mit seiner überschüssigen Energie, die einem Wandler innewohnte, auseinandergesetzt, damit arrangiert und hatten ihn Zeit seines Lebens unterstützt. Auch den Schock, als eines Tages anstelle ihres Sohnes ein waschechtes, pechschwarzes Fohlen in seinem Zimmer gestanden hatte, hatten sie verarbeitet. Sie hatten versucht an Informationen über Wandler zu kommen, die sie schließlich vom besten Freund seines Adoptivvaters, Sensei Enzo, bekommen hatten, der nach wie vor rätselhafte Verbindungen besaß. Das gesammelte Wissen hatten sie an Stephan vermittelt, damit sie alle mit seiner zweiten Natur umgehen konnten. Das war nicht selbstverständlich. Inzwischen wusste er, dass die meisten Wandler, die aufgrund unglücklicher Umstände in menschlichen Pflegefamilien landeten, oftmals von einer zur nächsten gereicht und als schwer erziehbar eingestuft wurden und nur selten dauerhafte Adoptiveltern fanden. Spätestens nach ihrer ersten Verwandlung wurde es hässlich. Wandler wurden dann meistens verstoßen oder ihnen wurde Schlimmeres angetan. Es kam auch vor, dass sie Opfer von schweren Misshandlungen oder gar brutalen Teufelsaustreibungen wurden. Und das bis heute, im verdammten 21. Jahrhundert. So aufgeklärt sich die Menschen auch gaben, wenn man sie mit etwas scheinbar Unerklärlichem konfrontierte, zeigten sie sich so abergläubisch wie eh und je. Die Existenz von Wandlern war zwar größtenteils ein gut gehütetes Geheimnis und die wenigsten Menschen wussten etwas darüber, dennoch gab es überall strategisch platzierte Individuen, die entweder das Geheimnis kannten oder aber selbst Wandler waren. Der Wandlerrat bemühte sich stets, die Gesellschaft auf allen Ebenen mit Wandlern und aufgeklärten Sympathisanten zu durchdringen, die aus Schlüsselpositionen Wandlern halfen, die mit der Welt der Menschen in Konflikt gerieten, und zugleich versuchte der Rat das Geheimnis zu wahren. Außerdem sorgte er für den Einhalt der internationalen Wandlergesetze, die eine angepasste Charta der Menschenrechte enthielten und darüber bestimmten, wann und in welcher Form ein Wandler von nationalen Gesetzen abweichen durfte. Im Interesse des allgemeinen Friedens hatten die meisten Regierungen diesen Text unter vorgehaltener Hand ratifiziert. Würde öffentlich bekannt, dass es Wandler gab, oder gar wozu sie fähig waren, wäre ein Krieg unausweichlich. Das wollte niemand.

In Anbetracht der widrigen Umstände konnte sich Stephan als gesegnet betrachten, als damals Fünfjähriger von solch verständnisvollen Adoptiveltern aufgenommen worden zu sein. Seine leiblichen Eltern vermisste er kaum, denn sie waren nur noch eine schemenhafte Erinnerung in seinen Träumen.

***

»Flight three zero five from San Fransisco will be delayed by thirty minutes«, riss die Flughafenansage Stephan aus seinen Gedanken.

Na prima, das bedeutete, dass er noch mehr Zeit am Flughafen totschlagen musste. Geduld war nicht seine Stärke.

Während er sich genervt und gelangweilt auf einen der unbequemen Plastiksessel fallen ließ, die wenig dekorativ in der Empfangshalle aufgereiht waren, versuchte er die Gedanken an das Schicksal abzuschütteln. Unsinniges Herumphilosophieren war nicht seine Art.

Neben ihm ließ sich eine hübsche Brünette frustriert schnaufend nieder. Sie sah ihn kurz darauf lächelnd an. Ihr Blick war eine Einladung, sie anzusprechen. Eigentlich war ihm nicht nach flirten, aber alte Gewohnheiten waren schwer abzulegen und sie war genau sein Typ. Außerdem hatte er gerade nichts Besseres zu tun.

»Da werden diese uneleganten Plastikgestelle doch gleich viel schöner«, verwickelte er sie in ein Gespräch.

»Interessante Wortwahl. Innenarchitekt?« Sie betrachtete ihn unter hochgezogenen Augenbrauen.

Zugegeben, es war nicht sein bester Anmachspruch gewesen. »Nicht schlecht. Ich studiere im letzten Semester Architektur.«

Flirtstimmung oder nicht, eine halbe Stunde später hatte er Jennys Handynummer, wusste, dass sie gerade ihr Examen als Krankenschwester gemacht hatte, gerne ins Fitnessstudio und in die Tanzschule ging und gerade ihre Schwester abholen wollte, deren Flug aus München ebenfalls Verspätung hatte. Offensichtlich flirtete sie ebenso gerne wie er und hatte sich womöglich nicht zufällig neben ihn gesetzt. Er konnte sich durchaus vorstellen, sie näher kennenzulernen. Normalerweise hätte er keinen Augenblick gezögert, doch etwas bremste ihn. Seine tierische Hälfte blieb vehement uninteressiert, während sich seine menschliche irritiert fragte, was los war.

»Und warum hängst du hier ab?«, fragte sie. »Oder bist du nur hier, um unschuldige Mädchen aufzureißen?«

Ihr neckischer Tonfall verriet ihm, dass sie alles anderes als unschuldig war und Interesse hatte. Vermutlich könnte er ein paar unverbindliche Dates und eine Menge Spaß mit ihr haben. Könnte.

»Ich hole meinen Tandempartner ab«, antwortete er knapp. Irgendwie hatte er keine Lust, das Gespräch zu vertiefen und etwas über sich preiszugeben.

Mission des Tages: Führe den unangenehmsten Flirt deines Lebens. Mission erfüllt, dachte er.

»Oh, fahrt ihr zusammen Fahrrad? Etwa Rennen? Gibt es so etwas auch für Tandems?«

Stephan schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln. »Nein, tun wir nicht. Und ich weiß nicht.« Das Missverständnis war nachvollziehbar, er hatte sich schließlich zu unklar ausgedrückt. Was zum Henker war heute nur los mit ihm? »Ich habe doch erzählt, dass ich hier an der Uni studiere«, sagte er schulterzuckend. »Hier in Dortmund gibt es ein Programm für ein Alltagstutoring, oder so etwas in der Art, für ausländische Studis. Da mache ich mit. Man muss dafür nur eine Fremdsprache fließend beherrschen. Sie nennen es Tandemprogramm. Es geht darum, die Uni zu erklären, wo man einkauft, welche Papiere man wo beantragt, Alltagskram halt. Mein Tandempartner kommt aus Oregon und landet hoffentlich bald mit dem Flieger aus San Francisco.« Was er verschwieg, war, dass er von einem der Wandler des AStA darum gebeten worden war, sich um den Pumawandler Reggie Miller zu kümmern. Ich kenne dich, Stephan, hatte sein Bekannter Mark gesagt. Du schreckst nicht davor zurück, mit einem großen Raubtierwandler zu arbeiten. Die meisten Wandler an der Uni sind entweder Beutetiere, sehr kleine Raubtiere oder nicht dominant genug. Er ist ein dominantes Mitglied eines starken Rudels. Außerdem sprichst du Englisch besser als so manch Muttersprachler. Mark war kein Freund. Die tierische Hälfte des Fuchswandlers war zu unterwürfig und er war darüber hinaus viel zu schüchtern, um mit Stephans sehr dominantem Hengst umgehen zu können. Es war nicht einfach, Freundschaft mit jemandem zu schließen, der ihm niemals in die Augen sah. Aber Stephan wusste, dass Mark gut darin war, abzuschätzen, wer mit wem harmonierte. Davon abgesehen, wollte sich Stephan nicht die Chance entgehen lassen, den Pumawandler kennenzulernen.

Im dicht bevölkerten Ruhrgebiet gab es keine Rudel im eigentlichen Sinne, es war eine der größten offiziellen rudelfreien Zonen. In manchen Gebieten verbot es der Rat, dass sie von Rudeln beansprucht wurden. Wandler, die hier lebten, waren Einzelgänger wie Stephan oder lebten in kleinen Familiengruppen. Abgesehen davon waren in Mitteleuropa, trotz der hohen Bevölkerungsdichte, starke Rudelverbände überaus selten. Stephan war neugierig auf die Lebensweise des Amerikaners.

Jenny legte ihre Stirn in Falten, als müsse sie darüber nachdenken, was er ihr gesagt hatte. »Wenigstens ist es ein Kerl.«

Der Unterton in ihrer Stimme sprach Bände. Wenn er vorhatte, sie anzurufen, sollte er wohl besser nicht erwähnen, dass er bi war und die Frage des Geschlechts somit irrelevant. »Ja«, sagte er nur.

»Wie sieht er denn aus?«, fragte sie neugierig.

»Ich habe keine Ahnung, ich habe ihn noch nie gesehen«, antwortete er schulterzuckend. Er hatte nicht einmal einen Facebook-Account gefunden. Allem Anschein nach schützten die Rudel in Amerika ihre Privatsphäre deutlich stärker als Wandler in Europa.

»Hat er dich schon gesehen?«

»Nein, wahrscheinlich nicht.« Wenn Reggie soziale Netzwerke nicht nutzte, hatte er vermutlich auch nicht darin nach ihm gesucht.

Sie musterte ihn. »Du scheinst keine Willkommenstafel dabeizuhaben. Wie willst du ihn denn finden?«

Darüber hatte er gar nicht nachgedacht, denn er war davon überzeugt, dass sie sich finden würden. Wieder zuckte Stephan mit den Schultern. »Ich werde ihn nicht verfehlen können.« Sollte der Flieger nicht aufgrund eines seltsamen Zufalls voller Katzenwandler sein. Wandler hatten nicht nur einen feineren Geruchssinn als Menschen, sie hatten auch einen anderen Körpergeruch. Das konnte und wollte er Jenny jedoch nicht erklären. Sie blickte ihn fragend ab, aber er ignorierte es.

In diesem Augenblick kündigte die Durchsage die Ankunft des Fluges aus San Francisco an, wodurch er erleichtert den Rückzug antreten konnte. Das Gespräch mit der hübschen Krankenschwester war ihm zunehmend unangenehmer geworden. Dennoch behielt er das Lächeln im Gesicht und nahm sich vor, sie wirklich anzurufen und um ein Date zu bitten. Es war schließlich nicht ihr Fehler, dass sein Pferd gerade heute beschlossen hatte, sich von einem Hengst in einen zahmen Wallach zu verwandeln. Warum auch immer.

***

Reggie Miller trat mit einer Mischung aus Aufregung, Vorfreude und Orientierungslosigkeit durch den Zoll in die Empfangshalle des Flughafens in Dortmund. Sarah und Declan Summers, Rudelmitglieder und Freunde von ihm, hatten ihn bis zum San Francisco Airport begleitet und zuvor mit ihm einen Ausflug in die kalifornische Metropole gemacht. Sie waren durch Chinatown gebummelt und hatten sich am Strand unter die Badenden gemischt. Aber hier war er auf sich allein gestellt. Er war einer der angehenden Kämpfer seines Rudels, was jedoch nichts an der Tatsache änderte, dass er hier in einem anderen Land, einer anderen Welt war. Und er war zugegebenermaßen ein wenig nervös. Sein Puma lief mental unruhig im Kreis. Und innerlich schalt er sich, seinem Puma nicht gestern noch einmal Platz und Zeit zum Austoben gegeben zu haben, anstatt den Tag mit Sightseeing zu verplempern.

Oder vielleicht hätte ich ein spezielleres Sightseeing machen sollen, immerhin ist San Francisco eine besondere Stadt.

Reggies Gedanken schweiften ab. Er versuchte an den Rat seines Vaters zu denken: Tritt nicht zu aggressiv auf, halt deine Dominanz zurück und geh nicht zu sehr auf Tuchfühlung. Dein Tandempartner ist ein Beutetierwandler. Wir können nichts gegen unsere Urinstinkte tun. Beutetierwandler sind meistens verschüchtert, wenn sie auf unsereins treffen. Und du musst mit dem Mann zusammenarbeiten können. Zumindest in der ersten Zeit. Sein Vater war deutlich älter als seine Mutter. Wie viele andere Wandler seiner Generation, hatte er im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten gekämpft, daher hatte er auch mit einer ganzen Reihe anderer Wandlerspezies Kontakt gehabt. Dan Miller sollte sich also ein wenig damit auskennen, wie diese sich verhielten. Er war nun mal ein Puma, das konnte er nicht ablegen. Wobei er sich seiner Dominanz weniger sicher war, als er es sollte. Das war einer der Gründe, weshalb er dieses Auslandssemester antrat. In der letzten Zeit hatten sein Puma und er zunehmend Kommunikationsschwierigkeiten; seine Instinkte ließen ihn immer öfter im Stich und er verlor schnell den Überblick, wenn er unter Druck stand. Oft driftete er gedanklich ab, was tödliche Folgen haben konnte, wenn er beispielsweise gerade sein Rudel beschützen sollte.

In Bear Creek war es friedlich. Sie hatten eine große Anzahl starker und erfahrener Mitglieder, bewohnten ihr Territorium seit Jahrhunderten und hatten einen grenzübergreifenden Ruf. Arcadius hatte klare Regeln darüber aufgestellt, was rudelfremden Wandlern in Bear Creek erlaubt war und wie lange sie bleiben durften. Übergriffe passierten selten, aber hin und wieder gab es ernste und gefährliche Auseinandersetzungen. Während Reggie über sein Rudel und den Konflikt mit seinem Puma sinnierte, fiel ihm ein ungewöhnlich großer junger Mann auf, der durch die Empfangshalle direkt in seine Richtung zu kommen schien. Er war schätzungsweise über zwei Meter groß und würde ihn selbst um mindestens einen halben Kopf überragen. Das war jedoch nicht das Besondere an ihm, sondern dass er vom Titelbild eines Lifestyle- oder Modemagazins stammen könnte. Der Unbekannte hatte seine Haare, die leicht gewellt und pechschwarz waren, zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden. Ein paar Strähnen hingen heraus und umrahmten sein braun gebranntes Gesicht. Er trug ein eng anliegendes Sweatshirt, das seine Muskulatur betonte. Während sich der Mann ihm näherte, glitt dieser regelrecht durch die Menschenmenge. Für einen Moment erinnerten ihn seine fließenden Bewegungen an einen Mustang, der elegant durch das hohe Gras der Prärie streifte.

Mit einem seltsam warmen Gefühl breitete sich in seinem Bauch die Vorahnung aus, dass der dunkle, schöne Fremde nicht zufällig in seine Richtung lief. Das war sein Tandempartner, der Pferdewandler Stephan Voigt.

Die Vorahnung wurde zur Gewissheit, als dieser einen knappen halben Meter vor ihm stoppte. Reggie sah auf in ein Gesicht mit klaren, männlichen Zügen und einem definierten, aber nicht kantigen Kinn, das einen Schatten nachwachsender Bartstoppeln zeigte. Mit seiner geraden Nase und den hohen Wangenknochen hatte er ein sowohl markantes als auch elegantes Gesicht, das Reggie ein wenig an die Angehörigen des Cayuse-Stammes erinnerte, dessen Reservat an das Territorium seines Rudels angrenzte. Stephans Lippen wirkten in ihren klaren Linien überraschend sinnlich. Dunkelblaue Augen strahlten Reggie an, zeigten dabei keine Spur von Scheu oder Zurückhaltung. Und er stand nahe genug, um den Pferdewandler deutlich zu riechen. Ein Hauch Moschus, Gras, Herbstwind und irgendein Gewürz … Der Typ roch verdammt gut und fuhr Reggie direkt unter die Gürtellinie. Stephan war ein fleischgewordener Ausschnitt seiner Träume, jener, über die man lieber nicht sprach. Das bedeutete Ärger, großen Ärger. Er schluckte, als sein Mund trocken wurde, und versuchte an Spüldienst zu denken, nachdem es Blumenkohlsuppe gegeben hatte. Den Geruch konnte man seiner Meinung nach als Chemiewaffe einsetzen. Bei dem Gedanken daran konnte sein Blut unmöglich nach Süden fließen. Es funktionierte. Exakt so lange, bis der Typ zu sprechen begann.

***

Stephan ließ seinen Blick über die ankommenden Passagiere gleiten. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis er sich sicher war, den Pumawandler identifiziert zu haben. Er war in seinem Leben einigen Luchsen, ein paar Wildkatzen, einem Löwen und einem Tiger begegnet. Das reichte, um jede Katze als solche zu erkennen. Katzenwandler hatten eine unverkennbare Art sich zu bewegen. Wie eine Katze eben. Reggie, der ihm als dominant beschrieben worden war, wirkte etwas eingeschüchtert und nervös, was wohl daran lag, dass er gerade in einem fremden Land angekommen war. Für die Dominanz eines Wandlers war die tierische Hälfte verantwortlich, während das Selbstbewusstsein vor allem von den Erfahrungen des menschlichen Lebens beeinflusst wurde, nicht von den tierischen Instinkten.

Stephan musterte den Pumawandler, während er sich ihm näherte. Der Bursche war hübsch, nein, vielmehr heiß. Er war ein wenig kleiner als er und hatte blondes, sonnengebleichtes Haar, das etwas länger und mit Gel gebändigt worden war. Sein Teint war hell, hatte jedoch eine dezente Sonnenbräune. Als er näher kam, erkannte er, dass sich unter T-Shirt und Jeans definierte Muskeln verbargen. Smaragdgrüne Augen in einem Gesicht, das eine perfekte Mischung aus sinnlich und männlich war, waren auf ihn fixiert, viel zu intensiv, um reine Neugier für einen Fremden zu bekunden. Sein Blick brannte förmlich über seinen Körper.

Zurückhaltung hatte noch nie zu seinen Charaktereigenschaften gehört, also trat er so nahe wie möglich an sein Gegenüber heran, damit er ihn riechen konnte. Zum Teufel mit dem Wallach. Der Hengst war augenblicklich mit voller Kraft zurückgekehrt und wollte unbedingt wissen, wie der sexy Kerl reagierte, wenn er auf Tuchfühlung ging.

»Hi! You must be Reggie Miller.« Im Gegensatz zu vorhin, war sein Lächeln nicht aufgesetzt. Der hübsche Pumawandler sorgte dafür, dass er über das ganze Gesicht grinste.

***

Stephans Stimme fuhr über Reggies Haut wie ein warmer Windhauch; er konnte sie fast wie eine Berührung spüren. In seinem Gehirn kam augenblicklich zu wenig Blut an und das breite Lächeln machte es nicht besser. Stephan Voigt hatte Ausstrahlung. Verdammt! Es war nicht nur zu lange her, dass er seinen Puma hatte laufen lassen, auch andere Dinge lagen definitiv zu lange zurück. Das kam ihm gerade gar nicht gelegen. Wieso musste ihm dieser Kerl so auf die Pelle rücken? Noch dazu tastete ihn sein Gegenüber sichtlich interessiert mit seinem Blick ab, als wäre er gerade mit ihm auf der Tanzfläche im Rainbow Pot in Pendleton. Während er Stephan anstarrte, bemerkte er zunächst nicht, dass dieser seine Hand zur Begrüßung ausgestreckt hatte. Als es ihm auffiel, trat er schnell einen halben Schritt zurück und ergriff sie. Hoffentlich waren Pferdenasen nicht so gut wie die von Pumas oder Wölfen, sonst wäre das hier gerade noch peinlicher.

***

Reggie roch nach Wald und Moos, unverkennbar männlich, und der Geruch intensivierte sich, als Stephan ihn ansprach, führte einen Hauch Erregung mit sich. Die hypnotisierend strahlenden Augen des Pumas mit verboten langen Wimpern waren leicht geweitet. Im nächsten Moment folgte der Geruch von Schreck und Verwirrung und der Puma trat einen halben Schritt zurück.

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