Seewölfe - Piraten der Weltmeere 263

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 263
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-599-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Man schrieb den 30. Mai im Jahre des Herrn 1592. Die sommerliche Hitze lastete schwer über den Hafenstädten und Fellachendörfern des Nildeltas.

Auch in der Stadt Alexandria, die von den Ägyptern Iskenderija genannt wird, war die Luft heiß und feucht. Die Menschen, die hier lebten, hatten sich zwar an dieses Klima gewöhnt, aber dennoch waren viele froh darüber, daß wenigstens der Khamasin, ein heißer, föhnartiger Wüstenwind, der meist zwischen den Monaten März und Mai aus dem Süden heranzieht und sich schwer wie eine Bleidecke auf das menschliche Gemüt legt, das Feld geräumt hatte.

Auch auf den Gesichtern der Seewölfe glänzte der Schweiß.

Es war noch keine Stunde vergangen, seit Philip Hasard Killigrew mit seiner restlichen Mannschaft die Beiboote seiner ehemaligen Galeone im Hafen vertäut hatte und an Land gegangen war. Während er sich noch mit Ben Brighton, seinem Stellvertreter und Ersten Offizier, sowie mit einigen weiteren Männern im Hafengebiet aufhielt, hatten es die übrigen Seewölfe vorgezogen, sich nach all den Strapazen und Gefahren, die hinter ihnen lagen, ein wenig in der alten Stadt, die zwischen Abukir und Ras el Kanais an der nordafrikanischen Mittelmeerküste liegt, umzusehen.

Die Seewölfe waren rauhe, kampferprobte Burschen. Als Korsaren ihrer Königin, Elisabeth I. von England, hatten sie bereits manchen Sturm abgewettert und viele, schier ausweglose Situationen gemeistert. Aber daß es dem skrupellosen Schlitzohr Ali Abdel Rasul gelungen war, ihr Schiff, die „Isabella VIII.“, nach einer erfolgreichen Nilreise in den sogenannten Kanal der Pharaonen zu locken, wo es nun, unwiederbringlich, unter Bergen von Sand ein trockenes Grab gefunden hatte, ja, das ging ihnen immer noch gewaltig unter die Haut.

Schließlich hatten sie auf ihrer ranken Galeone zweimal die Welt umsegelt, und auf irgendeine Art und Weise war die alte „Lady“ jedem von ihnen ans Herz gewachsen.

Mit den geretteten Beibooten der „Isabella“ war es der Seewölfe-Crew gelungen, sich mühsam bis Damiette, einer Hafenstadt an der oberen Nordwestecke des Mensaleh-Sees, durchzuschlagen. Erst dort hatten sie sich in drei Gruppen zu je acht Mann aufgeteilt, weil es ihnen so leichter schien, die ferne Heimat zu erreichen. Und natürlich hatten sie nicht vergessen, entsprechende Treffpunkte in Old England zu vereinbaren. Dort würde man ein neues Schiff auf Stapel legen, und das, was sie von den Schätzen an Bord der „Isabella“ hatten mitnehmen können, würde mehr als genug dafür sein.

Die Gruppe, die Ferris Tucker, dem Schiffszimmermann, zugeteilt worden war – darunter Edwin Carberry, der Profos, samt Sir John, dem karmesinroten Aracanga-Papagei –, hatte das meiste Glück gehabt. Bereits in Damiette, das in arabischer Sprache Dumyât genannt wird, war es den Männern gelungen, auf dem französischen Kauffahrer „Mercure“ anzuheuern, bevor dieser mit Zielhafen Brest ausgelaufen war.

Die Gruppen um Philip Hasard Killigrew und Ben Brighton hatten sich die Beiboote geteilt und waren an der Küste entlang bis Alexandria gesegelt. Mit gutem Wind war es ihnen gelungen, das weite Nildelta zu passieren. Nun aber waren sie gezwungen, auf größere Segler umzusteigen, wenn sie das Mittelmeer hinter sich bringen wollten. Und bei allen Wassermännern und Meerjungfrauen – das wollten sie!

Mit den Beibooten war da nichts mehr anzufangen, denn ohne eine Unterschlupfmöglichkeit unter Deck und ohne genügend Stauraum für Proviant und Trinkwasser waren die Aussichten, das angestrebte Ziel zu erreichen, sehr gering. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, und der ruhige, besonnene Ben Brighton konzentrierten sich deshalb zunächst auf das Hafengebiet, während der Großteil der Besatzung mit offenen Mündern und Augen durch die winkligen Gassen der Stadt streunte. Um die Mittagszeit wollte man sich wieder treffen.

Auch Gary Andrews, der hagere, aber zähe Fockmastgast, Batuti, der herkulische Gambianeger aus dem Stamme der Mandingo, sowie Bob Grey und Dan O’Flynn hatten sich bereits ein ziemliches Stück vom Hafen entfernt und streiften staunend durch die Gegend. Arwenack, der Schimpanse, der die ungewohnte Umgebung argwöhnisch musterte, wich nicht von der Seite Dan O’Flynns, mit dem ihn schon von jeher eine enge Freundschaft verband.

In den Basaren und auf den Plätzen der Stadt herrschte ein buntes Leben und Treiben. Der Lärm zahlreicher Kinder wurde vom Geschrei der Händler übertönt, die ihre Waren anpriesen oder lautstark um die Preise feilschten. Vereinzelt drang das Meckern von Ziegen und das Geblöke von Schafen an die Ohren der vier Seewölfe, und plötzlich mischte sich, alles übertönend, der langgezogene Gebetsruf eines Muezzins zwischen die vielfältigen Laute und Geräusche.

„Das ist Lieblingslied von Profos, Mister Carberry“, stellte Batuti mit einem breiten Grinsen fest. „Hat immer Zahnweh von schaurigem Gesang gekriegt.“

Die Männer lachten, aber nicht nur wegen der immer noch etwas holprigen Sprache Batutis, sondern weil sie sich durchaus vorstellen konnten, was ihr Profos, der zusammen mit Ferris Tucker und sechs weiteren Crew-Mitgliedern nach Frankreich unterwegs war, für schmeichelhafte Titel für den Urheber des monotonen Gesangs bereit gehabt hätte. „Ein „jammerndes Rübenschwein“ oder ein „heulender Hering“ war noch das mindeste, was dabei herausgekommen wäre. Ja, irgendwie bedrückte es die Männer doch ein wenig, daß die Crew zur Zeit nicht vollzählig war. Man gehörte einfach zusammen und war aufeinander eingespielt. Und ohne die kernigen Lieblingssprüche Edwin Carberrys fehlte ihnen etwas.

Bob Grey, ein drahtiger, blonder Bursche mit braunen Augen deutete plötzlich auf einen zahnlosen Alten mit verschrumpeltem Gesicht. Er stand am Eingang eines Torbogens und fing sofort an, lebhaft zu schnattern, als er die vier „Giaurs“ samt ihrem Affen entdeckte.

Die Männer verstanden kein Wort, aber er schien sie zu irgend etwas einzuladen. Immer wieder erhob er die Stimme und deutete mit vielen Gesten und Beschreibungen ins Innere des Gebäudes.

„Was will er nur?“ fragte Bob.

„Vielleicht will er dich mit seiner ältesten Tochter verheiraten“, ulkte Gary Andrews, „oder er lädt uns zu einer Haremsbesichtigung ein. Das wär doch was, oder?“

Der Alte schien inzwischen jedoch begriffen zu haben, daß man ihn nicht verstand, deshalb ging er zu einer verständlicheren Zeichensprache über. Zuerst tat er, als wolle er die Djelaba, sein langes Übergewand, ausziehen, dann vollführte er Schwimmbewegungen und schließlich mimte er heftiges Schwitzen.

Da kam Bob Grey die Erleuchtung.

„Ich hab’s“, rief er. „Da drin ist ein Hamam, ein türkisches Bad.“

Beim Erwähnen des Wortes Hamam nickte der Alte eifrig und wiederholte seine einladenden Gesten.

„Warum ein türkisches Bad?“ fragte Gary Andrews. „Wir sind doch in Ägypten!“

„Na eben, du Schlaukopf“, gab Bob Grey zurück. „Hast du vielleicht während unserer ganzen Nilreise gepennt? Hier wimmelt’s doch überall von Türken, seit sie das Land beherrschen. Und da haben sie natürlich ihre Badesitten eingeführt.“

„Gegen ein erfrischendes Bad hätte ich ja auch nichts einzuwenden“, meinte Dan O’Flynn, „aber die Türken bevorzugen, soviel ich weiß, elend heiße Schwitzbäder. Und schwitzen kann ich auch so schon genug.“

Arwenack, der Schimpanse, begann laut zu keckem, als wolle er Dans Worte bestätigen.

Auch Gary Andrews blickte skeptisch drein.

„Ja, eigentlich reicht die Hitze auch so schon“, sagte er. „Außerdem soll die Sache für Fremde nicht ganz ungefährlich sein …“

„Du hast wohl Bammel, dich nackt in einen Badezuber zu setzen und von zarten Frauenhänden abschrubben zu lassen, wie?“ unterbrach ihn Bob Grey.

„Das nicht gerade“, erwiderte Gary Andrews, „aber ich habe mal von einem Seemann gehört, der nach dem Schwitzbad vergeblich versucht hat, seine Kleider samt seinem Geld wiederzufinden. Und als er dann Stunk anfing, haben ihn die Kameltreiber, nackt wie Adam im Paradies, aus dem Haus gejagt. Und auf so was bin ich nicht gerade scharf.“

„Das wäre ja auch ein Ding“, sagte Bob Grey, „wenn unser magerer Fockmastgast nackt durch die Basare von Alexandria wandeln würde! Huch – da würden die Ladys ihre Schleier sinken lassen und die Augen aufreißen.“

„Oder vor Entsetzen laut aufschreien und davonlaufen“, erklärte Dan O’Flynn augenzwinkernd.

Daß die vier Männer nicht weitergegangen waren, wertete der zahnlose Alte wohl als Zeichen der Unschlüssigkeit. Deshalb verstärkte er seine Bemühungen ganz beträchtlich. Er humpelte heran, zupfte die Seewölfe an den Hemdsärmeln und deutete immer wieder auf den Eingang des Hamams.

 

Noch wußten sie nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten, doch dann wurde ihnen die Entscheidung plötzlich sehr erleichtert.

In dem Torbogen, den man blau angestrichen und mit irgendwelchen Koransprüchen bepinselt hatte, erschien, wohl durch das Geschrei des Alten angelockt, ein weibliches Wesen. Ihr Körper war von oben bis unten in ein weißrotes Gewand gehüllt. Vor dem Gesicht trug die Frau einen Schleier, der nur die Augen frei ließ.

Das war zwar für die Seewölfe ein längst gewohnter Anblick. Doch was sie in Erstaunen versetzte, waren die Körperformen der Schönen, die sich deutlich durch das Tuch abzeichneten.

Der hagere Gary Andrews schluckte.

„Heiliger Bimbam“, stammelte er, „die Lady wiegt mindestens zweihundert Pfund!“

„Sie erinnert mich an eins dieser Nilpferde, die wir gesehen haben“, sagte Bob Grey andächtig. „Aber im Orient liebt man eben schwergewichtige Frauen, das weiß man doch selbst bei uns in Old England.“

„Eben!“ sagte Dan O’Flynn. „Aber wie steht’s? Wollten wir uns nicht die Stadt ansehen, oder habt ihr Rübenschweine das vielleicht schon vergessen, was, wie? Kaum taucht ein Rockzipfel auf, da gafft ihr schon wie ausgehungerte Hunde in dieselbe Richtung!“

Die Männer lachten über den Tonfall Edwin Carberrys, den Dan O’Flynn gelungen nachgeahmt hatte.

Gary Andrews, der seine Fassung inzwischen zurückgewonnen hatte, kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

„Du hast recht“, murmelte er, „es wird besser sein, wenn wir verschwinden, sonst hat die Dralle am Ende auch noch einen Besenstil bei der Hand und verhilft uns zu blühenden Veilchen.“ Er spielte damit auf ein Erlebnis Edwin Carberrys in Kairo an, über das die Männer noch heute lachten.

Dan O’Flynn, Gary Andrews sowie Batuti und Bob Grey setzten sich, sehr zum Ärger des zahnlosen Alten, wieder in Bewegung.

„Gut, daß wir die Sprache nicht verstehen“, meinte Dan. „Das, was der Alte soeben aufgezählt hat, waren bestimmt nicht die Wohltaten, die Allah denjenigen erweist, die in seiner Gunst stehen.“

Wenig später stießen die vier Seewölfe samt Arwenack, dem Schimpansen, auf einen weiträumigen Marktplatz. Die Luft, die das Menschengewimmel überlagerte, wurde von Gerüchen vielfältiger Art beherrscht. Stellenweise duftete es angenehm nach Gewürzen, aber oft stank es auch fürchterlich nach verdorbenem Fisch oder Kamelmist.

Staunend bahnten sich die Männer einen Weg durch das Gelände. Hier konnte man tatsächlich alles kaufen, was des Menschen Herz begehrte. Außer vielen Obst- und Gemüsesorten gab es Fleisch, Fisch, Brot sowie Stoffe und jede Menge Gewürze. Auch an Vieh mangelte es nicht. Schafe, Ziegen, Pferde und Kamele konnte man genauso erfeilschen wie einen Korb voller Datteln.

„Eigentlich könnte mein Magen ganz gut was vertragen“, stellte Gary Andrews fest und warf einen begehrlichen Blick auf ein riesiges Tuch, auf dem der Händler frisches, duftendes Fladenbrot, Aisch Beladi genannt, ausgebreitet hatte. Daneben gab es noch eine Menge anderer Dinge, auf die sie der Ägypter sogleich mit vielen Worten hinwies.

„Daß ausgerechnet du hagerer Kerl so verfressen bist!“ wunderte sich Dan O’Flynn. „Gerade da, wo andere Leute ihren Magen haben, ist bei dir sowieso nur ein Loch.“

„Hör auf zu stänkern“, erwiderte Gary Andrews und rieb sich den Bauch, der kaum vorhanden war. „Ich habe auf jeden Fall einen ziemlichen Kohldampf, und deshalb kaufe ich mir was von dem Zeug da. Es riecht jedenfalls ganz appetitlich.“

Da die Zwillingssöhne des Seewolfs, die meist als Dolmetscher dienten, nicht mit von der Partie waren und man sich sprachlich nur sehr schwer verständigen konnte, hob Gary Andrews wagemutig den Zeigefinger und deutete mit einer unmißverständlichen Geste auf das dunkle Fladenbrot.

Doch wie das Schicksal es wollte, lief in genau diesem Augenblick eine Ziege hinter den Brotfladen vorbei, um das Gemüse, das der Händler feilbot, anzuknabbern.

Der Kaufmann, ein kleiner, dicker Mann, der eine schmuddelige Djelaba trug und einen prächtigen Turban auf dem Kopf balancierte, folgte mit seinen kleinen, listigen Augen dem Zeigefinger des „Giaurs“ und registrierte augenblicklich dessen Wunsch. Er nannte sofort einen Preis, und Gary Andrews, der ihn nicht verstand, nickte gottergeben. Das Geschäft wurde durch Handschlag besiegelt, und die Piaster wechselten, sehr zur Freude des Händlers, den Besitzer.

Einen Augenblick später kriegte der Fockmastgast der versandeten „Isabella VIII“ einen leichten Schock. Seine Augen wurden immer größer und runder, als er sah, wie der Händler, statt nach dem frischen, duftenden Fladenbrot zu greifen, die Ziege an dem dünnen Strick packte, der um ihren Hals geschlungen war. Und dann präsentierte man ihm, was er gekauft hatte.

Es handelte sich um eine prächtige, ausgewachsene Ziege mit gekrümmten Hörnern und einem kecken Bart. Und das Vieh schien sich sogar noch über den Besitzerwechsel zu freuen, jedenfalls wackelte es zutraulich mit dem kurzen Schwanz.

Nur Arwenack, der Schimpanse, schien dieser Kreatur nicht zu trauen. Er fletschte die Zähne, trommelte sich auf die Brust und begann laut zu keckern.

Erst das brüllende Gelächter seiner Kameraden holte Gary Andrews in die Wirklichkeit zurück.

„Aber – aber …“ stammelte er entgeistert, „ich wollte doch nur ein Stück Brot. Was soll ich denn mit der Ziege? Der Kerl hat mich doch glatt übers Ohr gehauen!“

Bob Grey japste nach Luft.

„Gratuliere zum Ziegenbesitz, lieber Gary“, stieß er hervor. „Das Vieh stand genau hinter dem Brot, als du mit dem Finger darauf gezeigt hast. Vielleicht hat der Händler deine Geste nicht richtig verstanden. Jedenfalls ist das Geschäft durch Handschlag besiegelt worden, und du hast die Ziege auch bezahlt. Nimm’s leicht. Vielleicht kriegst du von irgendwo noch eine Pütz her, dann kannst du das Meckertier wenigstens melken. Milch soll ja gesünder sein als Rum.“

„Nix melken“, meldete sich Batuti, der Gambianeger, zu Wort und ließ beim Lachen eine Reihe perlweißer Zähne erkennen. „Mister Andrews kann Ziege villeicht als Reittier benutzen. In Bratpfanne geht auch nicht, weil Kutscher schon mit Mister Tucker und Profos auf See ist.“

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Jedenfalls machte Gary Andrews diese Erfahrung in allen Einzelheiten durch. Als sich die vier Männer gegen Mittag auf den Weg zurück zum Hafen begaben, hatte er sich schon fast an sein Ziegenbesitzerdasein gewöhnt. Das Tier trottete, sehr zum Ärger Arwenacks, willig hinter dem kleinen Trupp her und ließ ab und zu sogar ein fröhliches Meckern hören.

Gary Andrews, der mit Schrecken an jenen Augenblick dachte, an dem sie mit dem Rest der Crew zusammentreffen würden, überlegte krampfhaft die Möglichkeiten, die er hatte.

„Ob ich die Ziege unterwegs wohl verkaufen oder verschenken kann?“ fragte er den neben ihm gehenden Bob Grey.

„Wie stellst du dir das vor?“ erwiderte Bob. „Du bist ein Giaur, und ich glaube nicht, daß einer von Allahs Gläubigen dir einen ungläubigen Ziegenbock abkaufen wird. Und verschenken ist nicht drin, schließlich hat das liebe Tierchen eine schöne Stange Geld gekostet. Da du nicht gefeilscht hast, hat dir der dicke Händler bestimmt den fünffachen Preis abgeknöpft.“

Das sah Gary Andrews ja alles ein, aber er hatte trotzdem ein verdammt flaues Gefühl in der Magengegend, als sie sich dem Hafenviertel näherten.

Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, war ein Mann, der viele Blicke auf sich zog. Er war mehr als sechs Fuß groß, breitschultrig, schmalhüftig und hatte schwarze Haare und klare, eisblaue Augen. Aber er bildete sich auf sein beeindruckendes Äußeres so wenig ein, wie auf den Titel „Sir“, den er führen durfte, seit ihn die englische Königin, deren Kaperbrief er besaß, zum Ritter geschlagen hatte. Der Seewolf war vielmehr ein willensstarker, charakterfester Mann, der sich immer bemüht hatte, seiner Crew nicht nur ein zuverlässiger Kapitän, sondern auch ein Kamerad zu sein, mit dem man durch Dick und Dünn gehen konnte.

Ben Brighton, sein Stellvertreter und Erster Offizier, ergänzte die Eigenschaften Hasards in geradezu klassischer Weise. Er war ein zuverlässiger, immer ruhiger und besonnener Mann, der, obwohl er ein guter Seemann und schlagkräftiger Kämpfer war, immer erst einigen Anlauf brauchte, bis er in Fahrt geriet. Er war breitschultrig, untersetzt, und hatte dunkelblonde Haare. Gewissermaßen galt er als der ruhende Pol der Seewölfe-Crew.

Die beiden Männer streiften mit wachen Augen an den Piers entlang. Begleitet wurden sie von Big Old Shane, dem ehemaligen Schmied der Feste Arwenack in Cornwall, von Al Conroy, dem stämmigen, schwarzhaarigen Stückmeister der verlorenen „Isabella“, sowie von Philip und Hasard junior, den Zwillingssöhnen des Seewolfs, die in ihr zwölftes Lebensjahr gingen.

Hasard war ganz froh darüber, daß die beiden „Rübenschweinchen“, wie sie der Profos meist zu nennen pflegte, nicht mit den übrigen Männern in die Stadt aufgebrochen waren, denn er konnte sie hier recht gut als Dolmetscher gebrauchen. Sie kamen mit der türkischen, aber auch mit der arabischen Sprache gut zurecht, seit er sie damals, im Jahr 1587, in Tanger bei Kalibans türkischer Gauklertruppe wiedergefunden hatte.

Der Hafen von Alexandria bot, wie auch die ganze Stadt, ein buntes und bizarres Bild, das durch ein geschäftiges Treiben bestimmt wurde. An den Piers waren Wasserfahrzeuge der verschiedensten Gattungen vertäut. Galeonen und Karavellen waren nur vereinzelt zu sehen, dafür aber eine Vielzahl von Feluken, Sambuken und Dhaus, außerdem ein riesiges Heer von winzigen Küstenseglern und Fischerbooten.

Doch das lebhafteste Stimmengewirr herrschte in den Gassen des Hafengebietes, an Ecken und in unzähligen kleinen Läden, wo Handel getrieben und lebhaft um Preise gefeilscht wurde.

Philip Hasard Killigrew und Ben Brighton interessierten sich jedoch besonders für Segler jener Größenordnung, mit der man zumindest das Mittelmeer hinter sich bringen konnte. Die Crew hatte längst abgestimmt und sich dafür entschieden, zu eben diesem Zweck auf größere Segler umzusteigen.

„Es sieht hier nicht so aus, als ob jede Menge Schiffe zum Verkauf stehen würden“, stellte Hasard mit prüfendem Blick fest. „Am besten wird sein, wenn wir uns etwas bei den Händlern umhören. Sie sind meist die Ersten, die wissen, wo ein Geschäft zu tätigen ist.“

Ben Brighton nickte.

„Soviel Glück wie Ferris mit seiner Gruppe in Damiette hatte, wird uns hier nicht beschieden sein. Bis jetzt habe ich kein Schiff entdeckt, das so aussieht, als ob man dort anheuern könnte.“

Big Old Shane und Al Conroy, die sich einige Yards hinter Hasard und Ben befanden, waren in ein Gespräch mit den Zwillingen vertieft, deshalb hatte zunächst niemand die zerlumpte Gestalt beachtet, die ihnen seit einiger Zeit folgte. Jetzt aber hatte der Araber, der wie ein Bettler aussah und mit seinem gekrümmten Rücken einen erbärmlichen Eindruck erweckte, die Seewölfe erreicht. Sofort streckte er ihnen beide Hände entgegen und begann laut zu jammern.

Er war beileibe nicht der erste Bettler, der die Männer um ein „Bakschisch“ anging, aber er war mit Abstand der hartnäckigste.

Hasard griff zum Gürtel und holte einige kleine Münzen hervor. Sie verschwanden blitzschnell unter der zerrissenen Djelaba des Mannes. Aber statt nun die üblichen Segnungen Allahs auf die edlen Spender herabzurufen, streckte ihm der Bettler wieder die offenen Hände entgegen.

„Hast du da noch Töne!“ sagte Big Old Shane, ein gewaltiger Mann mit einem wilden, grauen Bart. „Schüchtern scheint der Bursche wirklich nicht zu sein. Soll ich ihm mal etwas Dampf unter den Achtersteven machen?“

Hasard winkte ab.

„Es wird besser sein, wenn wir ihm keine Beachtung mehr schenken“, erwiderte er. „Schließlich wollen wir hier nicht unbedingt unangenehm auffallen.“

Aber wenn die Seewölfe dachten, jetzt unbehelligt weitergehen zu können, dann hatten sie sich getäuscht. Der verluderte Kerl wurde ständig dreister. Seine Stimme, die keinen Atemzug lang aussetzte, wurde immer schriller, und seine schmutzigbraunen Hände packten Hasard am Arm.

Da wurde es dem Seewolf doch zu bunt. Er schüttelte den Burschen ab und gab ihm durch eine unmißverständliche Geste zu verstehen, daß er in Ruhe gelassen werden möchte.

Zu seinen beiden Sprößlingen gewandt, sagte er: „Verklart ihm, daß er verschwinden soll. Hier gibt’s nichts mehr zu holen.“

 

Sofort legten die beiden „Rübenschweinchen“ abwechselnd in türkisch und arabisch los, und in Hasard, ihrem Vater, verhärtete sich der Verdacht, daß sie weit mehr sagten, als er ihnen aufgetragen hatte. Im stillen war er davon überzeugt, daß da gerade einige Lieblingssprüche Edwin Carberrys losgelassen wurden. Aber da er nichts davon verstand, behielt er seinen Verdacht lieber für sich.

Der Bettler ließ sich auch durch die Erhebung in den Stand eines „kümmeligen Affenarsches“ nicht beeindrucken. Er schien sich ein gewisses Ziel gesetzt zu haben, das er unter allen Umständen zu erreichen versuchte. Und ehe sich der Seewolf versah, grapschte der Kerl mit flinken Fingern nach seinem Gürtel. Er schien zu ahnen, wo der „Giaur“ seine Gold- und Silberstücke sowie niedliche Perlen und Piasterchen untergebracht hatte.

Da aber war Hasards Geduld zu Ende. Wütend klopfte er dem aufdringlichen Bettler auf die Finger und stieß ihn von sich. Damit war der Fall keineswegs ausgestanden. Während seine Begleiter, Ben Brighton, Al Conroy, Big Old Shane und die Zwillinge halb verärgert und halb amüsiert die Szene beobachteten, entging ihnen der Aufmarsch von mindestens zehn weiteren zerlumpten Gestalten, denen man ihr Gewerbe auf die Entfernung von zehn Seemeilen ansehen konnte.

Und siehe da! So mancher gekrümmte Rücken war plötzlich kerzengerade geworden, und so mancher bisher Hinkende bewegte sich plötzlich so geschmeidig vorwärts wie eine Katze, die eine Maus im Visier hat.

Aber nicht nur die zahlreichen verluderten Gestalten waren es, die in den vier Männern und zwei Jungen ernsthafte Bedenken aufsteigen ließen, sondern die Krummdolche in ihren Händen, deren Klingen im Sonnenlicht mörderisch blitzten.

„Jetzt fehlen uns nur noch ein Kamel und ein Krokodil“, sagte Dan O’Flynn, „dann können wir als Gaukler durch die Lande ziehen und eine Menge Piasterchen verdienen. Einen Affen und eine Ziege haben wir ja schon.“

„Damit kannst du hier niemandem das Geld aus dem Beutel locken“, meinte Bob Grey. „Ziegen und Kamele haben die Leute selber, und Krokodile sehen sie wohl lieber von hinten als von vorn. Da müßtest du dem Viehzeug schon besondere Kunststückchen beibringen, dann wär das was anderes.“

„Das meinte ich ja“, erwiderte Dan. „Dem Krokodil würden wir beibringen, wie man Purzelbäume schlagen kann, Arwenack könnte auf dem Kamel reiten, und zum Schluß könnte Gary mit seiner meckernden Ziege einen Reigen tanzen.“

Während Gary Andrews, der seine Ziege am Strick führte, lauten Protest anmeldete, schüttelten sich Bob, Dan und Batuti vor Lachen. Sie kümmerten sich wenig darum, daß sie von so manchem dunklen, orientalischen Augenpaar teils verwundert und teils mißtrauisch gemustert wurden.

Der kleine Trupp bog auf das Hafengelände ein, und Dan O’Flynn wollte gerade mit seinen Überlegungen über eine eigene Gauklergruppe fortfahren, da wurde er von einem überraschten Ausruf Batutis unterbrochen.

Der schwarze Riese deutete auf einen kleinen Platz, der keine hundert Yards von ihnen entfernt war.

Und die vier Seewölfe, die rasch begriffen, was da vor sich ging, und deutlich sehen konnten, wie ihr Kapitän samt einigen Kameraden und den Zwillingen von einer Horde wüst aussehender Gestalten umringt war, reagierten augenblicklich.

„Die Vogelscheuchen sind auf Ärger scharf, da kommen wir ja gerade richtig!“ stieß Dan hervor. „Los, Männer, auf sie mit Gebrüll. Wir hauen diesen Rübenschweinen den Achtersteven blau!“

Ein schaurig klingendes, dreistimmiges „Ar-we-nack!“, der Schlachtruf der Seewölfe, donnerte über den Platz. Und dann zeigten die Seewölfe, daß sie auch an Land mit ihren „Seebeinen“ umzugehen verstanden.

Der Schimpanse flitzte laut kekkernd hinterher, und nicht zuletzt hatte Gary Andrews in dieser Situation eine willkommene Gelegenheit gesehen, endlich den Strick mit der Ziege loszulassen. Lieber würde er sich drei Tage lang mit dem übelsten Lumpenpack herumprügeln, als dem Rest der Crew mit einer Ziege unter die Augen zu treten. Nicht auszudenken, was da an Sticheleien auf ihn einprasseln würde!

Doch die Ziege schien ihren neuen Herrn schon ins Herz geschlossen zu haben. Jedenfalls trottete sie gemächlich hinter dem davonstürmenden Gary Andrews her.

Die Lage auf dem kleinen Platz, der von kastenförmigen Lehmbauten umgeben war, hatte sich inzwischen gefährlich zugespitzt. Der Seewolf und seine Männer hatten längst begriffen, daß das ganze Theater, das der zerlumpte Bettler aufgeführt hatte, nur ein Ablenkungsmanöver gewesen war. Indem der Kerl die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, waren seine Kumpane, die wohl bei den „Giaurs“ fette Beute rochen, bis auf wenige Yards herangeschlichen.

„Schnell an die Waffen!“ sagte der Seewolf mit ruhiger Stimme. „Bildet einen Kreis, damit ihr den Kerlen nicht den Rücken zuwendet. Philip und Hasard – her zu mir!“

Sekunden später hielt Philip Hasard Killigrew seinen Degen in der Faust. Während auch die anderen Männer blitzschnell zu ihren Degen und Entermessern griffen, drückten Hasard und Ben Brighton den unbewaffneten Zwillingen ihre Pistolen in die Hand.

„Wenn einer mit dem Messer auf euch losgeht, dann feuert!“ befahl der Seewolf. „Im übrigen bleibt ihr in meiner Nähe!“

„Aye, aye, Sir“, sagten die beiden „Rübenschweinchen“ wie aus einem Munde.

Die finster blickenden, zerlumpten Gestalten, die wohl zu jener Art von Bettlern gehörten, die sich mit Gewalt nahmen, was sie haben wollten, rückten langsam näher. Deutlich waren die lauernden Blicke in ihren dunklen, meist kohlschwarzen Augen zu erkennen. Ihre gefährlichen Krummdolche waren auf die vier Männer und die beiden Jungen gerichtet.

Hasard hatte die Kerle inzwischen gezählt. Es waren elf Männer, die jetzt versuchten, den Kreis, den sie um ihre Opfer gebildet hatten, enger zu ziehen.

„Laßt sie nur heran“, sagte Al Conroy, der einen Degen in der Hand hielt. „Wir werden diese Buschgespenster mal lustig im Kreise hüpfen lassen, so wie damals in der Türkei die Derwische des geiernasigen Ibrahim Salih.“

„Vergiß nicht, daß sie in der Überzahl sind, Al“, sagte Hasard. „Außerdem haben die Burschen nicht nur Krummdolche, sondern sie verstehen gewiß auch, damit umzugehen. Trotzdem werden wir ihnen natürlich die Zähne zeigen, und zwar ganz gewaltig!“

Der verluderte Kerl, der den Seewolf angebettelt hatte, ließ plötzlich einen unterdrückten Ruf hören, der wie ein Kommando klang. Tatsächlich setzten sich die Burschen blitzschnell in Bewegung.

Doch kaum hatten sie in ihrem Angriff den ersten Schritt hinter sich gebracht, da veranlaßte sie ein schauriges Gebrüll, das hinter ihnen ertönte, ihre Schritte zu stoppen. Irritiert blickten sie sich um und begannen mit einem wütenden Geschrei, als sie die vier heranstürmenden Männer sahen.

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