Kitabı oxu: «Der Schuh», səhifə 2

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Kapitel 2


Der Sommer 1975 sollte einiges in meinem Leben verändern. Endlich besaß ich einen Führerschein, was mich aber nicht davon abhielt, mich gelegentlich noch von Robert umherkutschieren zu lassen. Niclas, der Wonneproppen im Hause Weber, kommunizierte nun fleißig mit seiner Umwelt und konnte bereits alleine sitzen. Seine Krabbelversuche schlugen zwar noch fehl, aber er hatte eine Taktik entwickelt, sich so geschickt auf dem Boden umherzurollen, dass er beinah überall hinkam, wo er hinwollte. Es war anstrengender geworden mit ihm, man konnte ihn kaum noch aus den Augen lassen. In einem Monat würde meine Ausbildung beginnen, und dann bräuchte ich meine Mutter für Niclas. Meine Mutter hatte zwar süßsauer gelächelt und ›Ja‹ gesagt, aber ich wusste, wie schwer ihr die Zusage gefallen war. Franziska hatte jahrelang ihre eigene Mutter gepflegt, meine Großmutter, die auch Emilia hieß. Dann war Oma in demselben Jahr gestorben wie ihre Tochter Dorothea, meine Tante, Franziskas Schwester. Jetzt erst hatte sich meine Mutter langsam davon erholt, und eigentlich hatte sie vorgehabt, eine ›Verkaufsecke‹ für Edelsteine in dem Laden einzurichten. Franziska war überzeugt davon, Edelsteine würden nicht nur wunderschön aussehen, sondern auch große Kräfte besitzen. Sie hatte Seminare zu dem Thema besucht und viele Bücher gelesen.

Aber wenn man schon mal an sich selbst dachte. Es tat mir leid – wegen Franziska, aber Niclas brauchte eine Mutter mit einer Berufsausbildung. Es wäre ja nur für kurze Zeit, dann käme er in die Tagesstätte.

Ich war sehr verwundert, als Konstantin mir vorschlug, mit Robert mal ein paar Tage wegzufahren. Sie würden schon auf Niclas aufpassen. So könnte er Franziska mal zeigen, wie wunderbar sich ein Kleinkind in das Berufsleben integrieren ließ. Wie konnte ich nein sagen zu diesem verlockenden Angebot? Robert tauschte für die Fahrt meinen Käfer gegen den VW-Bus von Helga und Paul ein. Der Bus war hinten perfekt ausgebaut, mit einem Bett, auf dem man kuschelig in weichen Fellen lag. Decken und Kissen gab es in mehrfacher Ausführung, schmal, rund, eckig, die Bezüge von Helga selbst genäht. Paul hatte überall Kästen und Fächer eingebaut, die die unterschiedlichsten Sachen beherbergten: Küchenutensilien, ein Mikroskop, Bälle, Spiele, Klopapier und auch sonst alles Mögliche. Man konnte die Vorhänge an den Fenstern zuziehen, sie waren weiß mit gelb-blauen Zauberern drauf. Wir fuhren bei Timmendorf an die Ostsee und zogen von dort ein Stück die Küste hoch. Ein Fach unter dem Bett enthielt flaschenweise Spirituosen, was für mich ein abstinentes Reisen von Anfang an unmöglich machte. Leider war ich die meiste Zeit leicht betrunken und empfand deswegen eine tiefe Scham. Was ich tat, gehörte sich nicht. Schon gar nicht für eine erwachsene Frau mit Kind, fand ich.

Mir kamen Zweifel, ob ich mich jemals ändern könnte, dann wieder versuchte ich mich zu beruhigen, indem ich mir immer wieder selbst versicherte, ich hätte nie ernsthafte Alkoholprobleme gehabt. Allein Zuhause würde ich mich niemals volllaufen lassen, aber immer wenn sich mir in Gesellschaft die Gelegenheit dazu bot, trank ich zu viel, und es war wie eine Sucht, umher zu flippen und hemmungslose Sachen zu machen. So rannte ich zum Beispiel völlig nackt am Strand herum und provozierte damit die Leute. Ich fand, alle sollten so rumlaufen und endlich ihre blöde Verklemmtheit ablegen. Guckten die Männer mir hinterher, stritten ihre Frauen deswegen mit ihnen und zusammen taten sie ihren Kindern gegenüber so, als wäre was falsch daran, nackt zu sein. Dabei hatten Kinder eine völlig gesunde Einstellung zu ihrem Körper. Ich trat damit in viele Fettnäpfchen. Wäre der Alkohol nicht gewesen … Aber egal, beruhigte ich mich, am Strand würde mich ja niemand kennen. Nur noch dieses eine Mal, dann wollte ich für immer damit aufhören. Robert genoss das anscheinend, obwohl er selbst nie seine kühle Zurückhaltung verlor.

Robert machte mit meinem Fotoapparat eine Menge Fotos von mir: ich, nackt in der wellenlosen Ostsee, mit einer Qualle auf dem Kopf, ohne Qualle nackt, nass und nackt im Sand, im Bus, auf den Dünen …

Obwohl Robert der Fotograf war, gab es auch jede Menge Fotos von ihm. Auf allen war er nackt. Allerdings ließ er sich nur an verborgenen Orten fotografieren. Ich fand, er war das perfekte Modell, nur die Orte mussten für fremde Augen nicht zu sehen sein, dann präsentierte er sich gern.

Auf dem Rückweg legten wir einen Stopp in Hamburg ein. Dabei tönte ich rum, wie sehr ich Hamburg mögen würde und dass es ›meine‹ Stadt wäre. Früher hatte ich in den Ferien oft meine Tante Gertrud dort besucht. Als ich fünfzehn war, war ich meiner Tante nachts heimlich abgehauen und auf die Reeperbahn gefahren. Ich fand es schon immer aufregend, etwas zu machen, was meine Eltern nie erlaubt hätten und was mir sehr gefährlich vorkam. Dabei war mir nichts Schlimmes passiert und ich hatte meine heimlichen, nächtlichen Ausflüge in den folgenden Ferien öfter wiederholt.

Wir parkten den Bus auf einem Parkplatz unten an den Landungsbrücken. Ich gab mir besonders viel Mühe mit meinem Äußeren, drehte und wand mich vor dem langen, schmalen Spiegel im Innern des Busses. Leider sah man sich nicht ganz in dem Spiegel. Wahrscheinlich sah ich gut aus in dem knappen schwarzen Rock und den hohen Stiefeln. An dem Abend war es etwas frisch draußen und deshalb stülpte ich mir noch einen hüftlangen Wollponcho über das kleine rückenfreie Hemdchen. Natürlich war alles schwarz, ich trug nun mal gern schwarz. Das passte zu mir. Auch meine leuchtend blauen Augen umrandete ich schwarz. Das harmonierte mit meinen schwarzen Locken und dem blassen, sommersprossigen Teint, der jetzt von der Sonne leicht gebräunt war.

»Nicht die Lippen«, meinte Robert, der mich während der ganzen Zeit beobachtet hatte, »es reicht an Schminke, du siehst auch so traumhaft schön aus.«

Robert trug mal wieder Jeans und Hemd von einer teuren Markenfirma. Seine langen blonden Haare hatte er in der Mitte gescheitelt und hinten zu einem Zopf geflochten. Robert war auf eine zurückhaltende Art eitel und ein wahnsinnig gut aussehender Mann. Er lächelte verstohlen, als ich ihm das sagte.

Ich fühlte mich so, als würde ich mich auf der Reeperbahn auskennen, dabei war ich das erste Mal in dieser Diskothek, in der ich mit Robert gelandet war. Nach dem zweiten Drink tanzte ich sofort, während Robert das machte, was er am liebsten tat: Menschen beobachten.

Nach einer ganzen Weile und dem vierten Drink sah ich, wie Robert sich mit einer sehr jungen Frau unterhielt. Die Musik war laut, und im Flackerlicht sah ich die beiden da stehen. Ich ging auf Robert zu und küsste ihn provokativ. Dann schrie ich der Frau ins Ohr, so dass er es auch hören musste.

»Er gehört mir zwar nicht, aber wenn du ihn haben willst!«

Robert brüllte mich an: »Hör auf mit dem Blödsinn!«

Die junge Frau warf mir einen wütenden Blick zu, bevor sie sich auf die Tanzfläche begab. Sie war ein kleines, zartes Geschöpf mit Schmollmund und einem äußerst puppenhaften Äußeren. Eigentlich so gar nicht Roberts Typ.

Warum starrte er sie dann so an?

An der Bar genehmigte ich mir noch einige Drinks. Wieder stand die junge Frau neben Robert. Ich schätzte ihr Alter auf höchstens siebzehn und entschloss mich, die Kleine ›Puppe‹ zu nennen. Das war zwar albern, aber der einzige Begriff, der mir dazu einfiel.

»Puppe, lass dich mal von ihm fotografieren!«, brüllte ich ihr ins Ohr. »Er macht super Fotos!«

»Ist er Fotograf?«, fragte die Puppe.

»Und was für einer!«, schrie ich.

»Bezahlt er für die Fotos?«, wollte sie wissen.

»Frag ihn doch selber!«

Inzwischen war mir das Ganze zu blöd. Er wollte keine Familie, also waren wir frei. Warum sollte Robert dann nicht mit anderen Frauen neben mir zusammen sein? Mit so vielen und so lange und so oft er nur wollte. Und ich auch. Mit so vielen anderen Männern, wie ich nur wollte. Alles in mir sträubte sich gegen diese Vorstellung, aber es war die ehrliche Version von dem, was bisher zwischen uns gelaufen war. Wir brauchten nicht mehr so zu tun, als würde sich aus unserer Beziehung noch mal was Ernstes entwickeln.

Während ich Robert umarmte, schrie ich ihm ins Ohr: »Ich gehe dann mal, wir treffen uns hier oder am Auto!«

»Spinnst du«, brüllte er zurück. »Wo willst du denn jetzt so alleine hin!?«

Kapitel 3


Schnell, mit großen Schritten, war ich nach draußen gestürmt. In der frischen Luft merkte ich erst, wie betrunken ich war. Es gab da einen Himmel über mir. Trotz des klaren, frischen Sommerabends vermisste ich die Sterne. Ich glaubte, mich dort auszukennen, aber plötzlich kam mir das alles sehr unbekannt vor und ich schlug einfach eine Richtung ein, irgendwo würde ich schon rauskommen. Ich wusste ja noch nicht einmal, wo ich hinwollte.

Erst kam da ein versteckter Winkel zwischen zwei Häuserfronten, als aber einige betrunkene Männer die Straße entlang kamen, entschloss ich mich, doch nicht dort zu pinkeln, sondern noch ein Stück weiter zu gehen. Ich merkte, dass ich leicht torkelte. Endlich fand ich eine Bar ohne Türsteher davor. Drinnen herrschte so eine plüschige Atmosphäre und die üblichen Figuren saßen an der Theke. Ich wollte nichts trinken, suchte nur das Klo. Ich ging in den Vorraum, von dort führte ein schmaler Gang zu einer Treppe, die runter zu den Toiletten führte. Auf dem Weg dorthin begegneten mir zwei Personen, die sich lebhaft unterhielten. Um die Treppen herunter zu kommen, brauchte ich das Geländer. Die meisten Türen von den Toilettenkabinen ließen sich nicht abschließen, und so versuchte ich, mit der Hand die Tür zuzuhalten, als ich in der Hocke über dem Klo pinkelte. Auf solche Klos setzte ich mich nie, wer weiß, wer da vorher drauf gesessen hatte. Draußen hörte ich Schritte, zielsichere Schritte.

Mit voller Wucht stießen zwei Männer die Tür meiner Kabine auf. Einer der beiden fasste mich mit einem schmerzhaften Griff, der so fest war, dass mir sofort klar wurde, wie ernst es war, ins Genick und presste meinen Kopf nach unten, gegen die Kabinenwand. Der andere zerrte meinen Rock hoch und zerriss die Unterhose. Er griff in meine Lenden und schob sein Glied in meine Scheide. Es wurde immer heftiger. Der Andere machte die Bewegung mit, mein Kopf schlug, genauso rhythmisch wie schmerzhaft, gegen die Wand. Es kam mir sinnlos vor, zu schreien. Ein Überfall! Ich hatte schon mal eine ähnliche Situation überlebt, weil ich nicht geschrien hatte.

Vernünftig sein, dachte ich, keinen Fehler machen. Sie werden gehen, wenn es vorbei ist.

Er war brutal mit seinen Händen und es hörte erst auf, als er, qualvoll für mich, in die hintere Öffnung meines schmalen Körpers eingedrungen war.

Hoffentlich gehen sie einfach so.

Ich hielt meinen Kopf extra nach unten, um zu demonstrieren, dass ich die Personen nicht gesehen hatte. Kühl bleiben. Nichts Hysterisches. Zumindest den Einen hatte ich genau gesehen, aber das brauchten sie nicht zu wissen.

Sie zerrten mich an den Haaren hoch. Mit einem Ruck wurde der Poncho nach unten gezogen, er saß jetzt wie ein zweiter Rock auf meinen Hüften. Ich zitterte, aber nicht, weil mir kalt war. Sie rissen die Kabinentür auf und führten mich, von beiden Seiten untergehakt, die Treppe hoch. Ein Mann kam die Treppe runter und guckte uninteressiert.

Nicht schreien! Ist es hier normal, was gerade passiert?

Sicher war ich das Opfer einer Verwechslung geworden. Schwarze Hose, schwarze Schuhe, rechts von mir der Mann. Groß, stabil. Lederjacke. Normal aussehend. Ein ehemaliger Nachbar von uns fiel mir ein, der hatte Ähnlichkeit mit ihm.

Wo wollten sie mit mir hin? Bekam ich überhaupt noch mal die Möglichkeit, das jemandem zu erzählen, oder wollten sie mich töten? Quatsch, das sind Scheißwichser, die Vergewaltigung spielen, beruhigte ich mich. Ich musste meine Rolle weiterspielen, welche Wahl blieb mir sonst noch?

Die Tür, die Straße, Autos, Menschen. Niemand schien sich zu wundern. Für einen Augenblick glaubte ich, Robert zwischen den Menschen erkannt zu haben.

»Hau bloß ab hier!«, rief ich ihm in Gedanken zu. Ein Wunsch, das alles. Der Wunsch, Robert zu sehen. Ich bekam Angst um ihn. Er durfte sich nicht einmischen. Hoffnung war jetzt das Zauberwort.

Sie zerrten mich zu einem Auto. Ein Reflex, ich wollte nicht einsteigen. Wie eine Reisetasche schob man mich auf die Rückbank. Eine Hand in meinen Locken drückte meinen Kopf an die Lehne des Vordersitzes. Turnschuhe und Jeans. Die schwarze Hose und die schwarzen Schuhe fuhren. Ich saß mit meinem Vergewaltiger auf der Rücksitzbank des Autos. Was hatten sie mit mir vor? Warum war´s das noch nicht gewesen? Ich musste ruhig bleiben. Niclas brauchte mich, ich musste ihn wieder sehen. Was mit mir passierte, war egal, Hauptsache, ich kam wieder nach Hause.

Welche Sprache sprachen diese Männer? Wer waren sie?

Am besten, ich würde es nie erfahren und sie würden mich einfach gehen lassen. Es gab ja Menschen, die mich gesehen hatten, also würden sie mich nicht einfach umbringen.

Ruhe bewahren, das Spiel mitspielen.

Das Auto hielt. Jetzt spürte ich den Zangengriff an meinem Arm. Raus aus dem Auto. Einen kurzen Schlag aufs Dach. Das Auto war schwarz, wie die Hose und die Schuhe, und fuhr weiter. Ich vermied, den Mann direkt anzusehen, aber er sah aus wie ein Durchschnittssportler. Vielleicht konnte er aggressiv aussehen, wenn er ein Spiel verlor. Aber nicht so, nicht im wirklichen Leben.

Er schloss das Tor eines eingezäunten Grundstücks auf, ich stand frei neben ihm. Für einen kurzen Augenblick dachte ich an Weglaufen.

Der Griff am Oberarm. Das Tor wurde von innen verschlossen. Von einer kräftigen Hand, ein Silberring am Mittelfinger. Wieder eine Tür und ein Schlüssel. Ich wurde jetzt nur noch geführt, nicht gezerrt. Wie ein willenloses Lamm, dachte ich.

Von drinnen sah das Haus aus wie eine Schule. Ein langer Flur mit Türen. Der Sportler öffnete eine Tür. Es gab hier offensichtlich noch andere Menschen, was mich etwas beruhigte. In Etagenbetten schliefen junge Männer. Einer war wach, machte sich hoch und gab dem Sportler einen Schlüssel.

»Verschwinde rechtzeitig mit ihr von hier«, flüsterte er, »du bist ja völlig wahnsinnig.«

Der Sportler schloss eine der Türen auf, ging mit mir in den Raum und knipste eine Stehlampe an. Die Wände des Zimmers waren weiß, ein Bett vor der Wand, ein Tischchen mit einem Sessel davor. Das Bett war mit einer Überdecke abgedeckt, blau mit groß gemusterten Mohnblumen, currygelbe Vorhänge vor den Fenstern.

Es war nur ein Knopf an dem Hemdchen, der in meinem schmerzenden Genick zu öffnen war. Er sprach meine Sprache. Keine unsympathische Stimme sagte zu mir auf Hochdeutsch: »Zieh den Rock und die Stiefel aus!«

Was sollte ich machen? Ich benahm mich weiterhin wie ein Lämmchen.

Er hatte eine extrem sportliche Figur und ein unauffälliges, etwas kantiges Gesicht. Die Adern an seinen Armen waren deutlich auf seinen Muskeln zu sehen. Eine silberne Uhr am Handgelenk, mit silbernem Armband. Er sah nicht aggressiv aus, wie nach einem verlorenen Spiel, aber sein Gesicht zeigte auch nicht, dass ihm das Spiel besonders viel Spaß machte. Ich empfand keine Scham, keine Wut und auch sonst nichts. War nur erschrocken über meine Gefühllosigkeit und meine Kälte. Ab und zu rammte er mir mit voller Wucht das Knie in den Schambereich. Dann sah er aus, als hätte er das Spiel verloren. Er zog mich heftig an den Haaren, ich versuchte in Panik, das Kopfkissen von meinem Gesicht fernzuhalten, damit er meinen Kopf nicht dort hineindrücken konnte.

Ich musste hier dringend wieder wegkommen. Alles andere war egal. Hauptsache, ich kam hier weg.

Ich legte mich zum letzten Mal auf den Bauch und er rammte sein Knie zwischen mein Gesäß, bevor er in mich eindrang. Ich hielt wieder verzweifelt das Kissen von meinem Gesicht fern, während er in meine Locken griff. Dann lagen wir nebeneinander in dem schmalen Bett.

»Warum machst du das?«, fragte ich.

»Weil ich Frauen suche, die für mich arbeiten.«

Er klang so normal, wie er aussah.

»Als Nutte?«, fragte ich.

Damit kannte ich mich absolut nicht aus, hatte aber nichts gegen Prostituierte. Aber wie kam er da drauf?

»Als was sonst?« Er grinste belustigt. »Das hier ist so ‘ne Art Sportschule. So was will ich mal selber haben. Und zwar bald. Dafür brauche ich Geld.«

»Ich habe ein sehr kleines Kind und arbeite als Krankenschwester«, sagte ich. »Was ich verdiene, genügt mir. Wirst du mich hier wieder rauslassen?«

»Was glaubst du denn, ich werde dich zu nichts zwingen. Du solltest aber besser nicht um diese Zeit im Dunkeln auf der Straße rumlaufen.«

Er stand auf, zog sich an und verließ das Zimmer. Ich wurde eingeschlossen. Schnell zog ich meine Sachen über und ging zum Vorhang. Nach draußen führte eine Terrassentür. Sie war verschlossen. Auch jetzt vermisste ich die Sterne am Himmel, die mich wenigstens etwas hätten trösten können.

Ich legte mich zurück aufs Bett. Es konnte alles nicht wahr sein. Was für ein kaltes Monster musste ich sein, dass ich das alles so einfach über mich ergehen ließ?

War ich die geborene Prostituierte? Gewisse Männer animierte ich wahrscheinlich mit meinem weichen, leidensfähigen Gesicht. Es wirkte wie ein Signal. Dabei war ich doch eine starke Person. Oder?

Ich lag wach, bis es draußen dämmerte. Hoffentlich entließ mich dieser Mann bald. Ich saß im Bett, als er die Tür aufschloss.

»Los, komm her!«, sagte er, als wäre ich seine Komplizin.

Er ließ mich auf das einzige normale Klo in einem Raum voller Pissoirs, weil ich nötig musste. Es brannte beim Pinkeln.

»Sei leise!«, befahl er mir, als wir den Flur mit den vielen Türen entlanggingen. Er schloss die große Tür auf und schob mich raus.

»Alles Gute für dich und dein Kind«, sagte er.

»Danke«, antwortete ich.

Vorne stand ein großes Tor auf. Ich ging schnell. Möglichst unauffällig sah ich auf die Hausnummer. Nirgends war ein Schild, auf dem Sportschule oder so stand, zu sehen. Sogar der gehäkelte Beutel mit meinem Geld hing noch an dem Gürtel meines Rockes. Zur Not befand sich auch noch etwas Geld in dem kaputten Futter meiner Stiefel. Hatte ich das wirklich erlebt? Mein Kopf schmerzte vom Alkohol und den Schlägen gegen die Kabinenwand. Ich hatte nichts weiter in mir als den Wunsch, nach Hause und zu Niclas zu kommen. Ich ging auf den nächsten Taxistand zu. Die Stadt war inzwischen wach.

Kapitel 4


Der Bulli stand noch da, wo er am Abend zuvor gestanden hatte. Entschlossen riss ich die Schiebetür auf. Robert hatte wohl nicht geschlafen, er sah völlig übermüdet aus. Er lag mit dem Mädchen aus der Diskothek zugedeckt auf dem Fell des Bettes. Augenblicklich machte er sich hoch und zog sich seine Hose über.

»Wo warst du? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«

Ich umarmte Robert. Der schob mich von sich weg und sah mich genau an.

»Du siehst furchtbar aus, Emi. Was ist mit dir passiert?«

»Ich bin mit so einem Typ mitgefahren und dann in einer Sportschule aufgewacht.«

»Ach ja, das soll ich dir glauben? Bekommt man davon blaue Flecken und ein Hörnchen an der Stirn?«

Ein Blick in den Spiegel. Tatsächlich hatte ich über der rechten Augenbraue einen stark angeschwollenen Bluterguss sitzen. Bauchschmerzen ohne Ende. Ich zog mich um. Robert taxierte meinen Körper.

Ich wusste, dass ich für alle Frauen, die noch nach mir auf diese Männer stoßen würden, zur Polizei gehen musste. Aber lief ich da nicht Gefahr, mein Baby zu verlieren?

»Was ist mit ihr?«, fragte ich, »hast du mit ihr? Geht mich ja eigentlich nichts an.«

Robert schwieg, schob dann einen Ärmel des weißen Rollkragenpullovers hoch, den das Mädchen trug. Ihre Arme waren total zerstochen.

»Wir müssen sie mitnehmen. Ich habe versprochen sie nicht alleine zu lassen«, meinte Robert. Also fuhren wir mit dem Mädchen, das hinten im VW Bus auf dem Bett schlief, zurück.

»Ich will nach Hause, nur noch nach Hause«, sagte ich.

»Hat das Schwein einen Namen? Weißt du, wer er ist?«, fragte Robert. »Ich bringe den auf der Stelle um.«

»Robert, eine Frage«, ich zögerte, »hältst du mich für gefühlskalt? Bin ich eine kalte Person?«

»Du? Du bist die wärmste Person, die ich kenne. Die zärtlichste, mit den schmalsten Schultern, die ich jemals an einer Frau gesehen habe.«

»Ich bin kein Opfer!«, fuhr ich ihn an. Ich hasste es, wenn man mich als zarte, schwache Frau ansah. Ich, das behütete Einzelkind, wollte schon immer verwegener und robuster als die anderen sein. Dafür hatte ich viel im Leben in Kauf genommen und war vor keinem aberwitzigen Abenteuer zurückgeschreckt.

»Du bist zu schade für die Welt und eigentlich viel zu schön, um frei rumzulaufen. Du brauchst wen mit besonders breiten Schultern, der auf dich aufpasst. Aber, wo wir schon mal beim Thema sind: Bitte, lass mich ein Opfer aus dem Schwein machen und erzähle mir endlich, was mit dir passiert ist.«

»Schon gut«, log ich, » lässt mich völlig kalt.«

Wir schwiegen.

»Wenn jemand Niclas was antun würde, den könnte ich töten«, sagte ich nach einer gewissen Zeit, »oder Eva.« Tatsächlich hätte ich jeden umgebracht, der meiner jüngeren Cousine Eva so was angetan hätte. So was, was mir gerade passiert war. Ich liebte Eva. Sie war vier Jahre jünger als ich und ich hatte sie immer als Schwester betrachtet.

»Du könntest niemanden töten. Du laberst doch auch nur rum. Wir wissen beide nicht, wovon wir sprechen«, fauchte ich Robert an. Seine Züge verfinsterten sich.

»Du weißt zum Glück gar nichts von mir. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Glaub mir, ich könnte es, ich könnte töten. Ich habe schon ernsthaft überlegt, ob die RAF für mich Verwendung hat.« Sein Blick wurde arrogant. »Aber du weißt ja noch nicht mal, wer das ist, oder?«

»Natürlich weiß ich das. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«

»Politisch für äußerst blöd.«

Ich hatte keine Lust zu streiten.

»Ich weiß, was Hass ist. Vor Jahren wollte ich mal meinen Vater töten«, sagte Robert.

»Warum?«

Es war das Letzte, was ich nachempfinden konnte.

Roberts Augen funkelten, als er mich ansah.

»Ich empfinde nur Hass für ihn. Er hat dieses sackartige, formlose Etwas aus meiner Mutter gemacht, dabei war sie so eine schöne, lebenslustige Frau. Aber er fühlt sich nur groß, wenn er andere kleinmachen kann. Er lässt auch Größe zu bei anderen, aber nur, wenn er sein Werk darin sieht. Wenn er sie manipulieren kann, verbiegen nach seinen kranken Vorstellungen. Er hat es mit uns allen versucht. Bei meiner Mutter hat er es geschafft. Sie besitzt kein Selbstwertgefühl mehr, geht kaum noch aus dem Haus. Seine Mutter ist die Größte, die wird von ihm vergöttert, und es ist selbstverständlich, dass sie alles benutzt und besitzt, was ihr Leben erleichtert. Sie steht nämlich auf dem Sockel, der auf diesem Fundament steht. Und weißt du, wie dieses Fundament heißt? Hagedorn! Eine große, selbstherrliche Sippe. Sie bestimmen, wer auf diesem Sockel steht, oder wer, wie meine Mutter, davor liegenbleibt. Du bekommst das Kotzen, wenn du dich da reindenkst. Er hält meine Mutter kurz, obwohl er als Bäderarzt und Privatdozent gutes Geld verdient. Arbeiten darf sie auch nicht, Frauen gehören ja ins Haus oder haben einen akademischen Beruf, dann aber bitte keine Kinder. Sie putzt und schrubbt und duckt sich. Äußerlichkeiten sind ja nicht alles, aber sie, sie besitzt seit Jahren nur einen Mantel, den sie im Sommer wie im Winter trägt. Er betrügt und quält sie.«

»Hast du noch Geschwister?«

Ich wunderte mich, dass ich noch nie mit Robert darüber gesprochen hatte.

»Ja, zwei ältere Schwestern. Ich mag sie auch ganz gern. Die sind schon eine Weile von zu Hause weg. Stell dir das vor, selbst während der schweren Krebserkrankung meiner Mutter war er zu geizig, eine Putzfrau einzustellen. Meine Schwestern schickten meiner Mutter dann heimlich das Geld dafür. Und sie tat ihm gegenüber so, als hätte sie sich das Geld von ihrem mickrigen Haushaltsgeld abgespart. Ich sag dir doch, der verdient ein Schweinegeld. Mir bläst er ja auch alles in den Arsch, weil ich ja angeblich inzwischen nach seinen Vorstellungen geraten bin. Wenn der wüsste. Deshalb will ich auch so schnell wie möglich zu Geld kommen, schon um meine Mutter freizukaufen, dann wird sie auch wieder völlig gesund.«

»Es muss doch einen Grund geben, warum sie bei ihm bleibt. Vielleicht ist da ja was zwischen den beiden, wovon du nichts mitbekommst, und sie will gar nicht von ihm weg.«

»Wenn du wüsstest, Emi. Nicht nur, dass er ein sadistisches Schwein ist, das Schlimmste ist sein Gleichmut und seine Gedankenlosigkeit anderen Menschen gegenüber. Wenn einer das Potenzial hat, anderen etwas zu geben, was sie glücklich machen könnte und er sie damit quält, es ihnen nicht zu geben. Ist das was anderes als Sadismus für dich? Ich versuche es erst gar nicht Emi, nachher werde ich noch genauso wie er. Er tötet meine Mutter mit seiner Lieblosigkeit. Das ist ein grässlicher Tod. Meine Schwestern und ich sind ihm entkommen, aber solche wie er verdienen auch nichts anderes als den Tod.«

»Du hast Recht«, sagte ich und überlegte, ob der von letzter Nacht auch den Tod verdiente, aber das war ja ein völlig anderer Fall.

Auf halber Strecke, Raststätte Brunautal, mussten wir anhalten, weil das Mädchen hinten im Bus rumrandalierte und unbedingt aussteigen wollte. Ich gab ihr erst mal zwei Kopfschmerztabletten und nahm selbst eine ein.

»Was machst du sonst so tagsüber?«, fragte Robert.

»Das geht euch einen Scheißdreck an, ihr verlogenen Arschgesichter!«, schrie das Mädchen.

Sie wirkte gar nicht mehr so puppenhaft, obwohl sie einen Kopf kleiner war als ich. Und ich bin schon nicht riesig mit meinen ein Meter siebzig. Die Kleine sah Robert wutentbrannt an.

»Ein toller Fotograf bist du!«

»Hast du das etwa ernst genommen? Bist wohl ein bisschen naiv, oder was?«, fragte Robert.

»Du Sau wolltest mich doch auch nur vögeln!«, brüllte das Mädchen und drosch auf Robert ein, »und dafür wolltest du mir Geld geben!«

Robert hielt ihre Hände fest.

»Ich habe dir fünfzig Mark gegeben, aber bestimmt nicht dafür.«

»Fünfzig Mark, was denkst du, was ich damit anfangen kann?«, schrie sie, kam mit ihrem Gesicht nah an Roberts und versuchte, ihn anzuspucken. Blitzschnell drehte Robert ihr den Arm auf den Rücken.

»Wenn du nicht sofort aufhörst und deine Klappe hältst, schmeiße ich dich hier raus, dann kannst du sehen, wie du zu deinem Zuhälter kommst.«

»Ihr könnt mich mal, ihr Arschfotzen!«, tobte sie.

Robert hatte ihren Arm immer höher gebogen. Er ließ sie los und schubste sie so, dass sie weinend aufs Bett fiel, wo sie unter die Bettdecke kroch.

»Da haben wir uns was eingehandelt«, meinte Robert, als wir vom Rastplatz zurück auf die Autobahn fuhren.

»Du hast dir was eingehandelt«, stellte ich fest.

»Zu Hause werde ich mal zum Arzt gehen«, sagte Robert.

Nach einigen Überlegungen beschlossen wir, das Mädchen bei uns ins Jugendzentrum zu bringen. Dort gab es Psychologen und Sozialarbeiter, kurzum, geschulte Leute, die sich auskannten.

»Ich kenne da einen«, sagte Robert, » der ist zwar nicht der Netteste, aber Hauptsache wir sind sie los.«

»Du bist sie los«, verbesserte ich ihn.

Später erfuhr ich, was der Psychologe Bernd Schuster an dem Tag dachte, als er uns ankommen sah, nämlich: Teufel die Pest! Da kommt ausgerechnet der jüngere Bruder meiner Ex über den Platz. Wie kommt Robert an die kleine, äußerst schmale Fixerin und eine schwarz gelockte Misshandelte, die ihre Wimperntusche noch in Nasenhöhe sitzen hat und eine gewaltige Beule über dem Auge? So was ...! Das hätte ich dem sonst so arroganten Robert, dem dressierten Vorzeigestück seines Vaters, nicht zugetraut.

»Wir haben einen Abstecher auf die Reeperbahn gemacht, und dort haben wir sie aufgegabelt…«, stammelte Robert, knallrot im Gesicht, rum.

»Aufgegabelt? Ihr habt mich weggelockt und mir erzählt, der da wäre ein berühmter Fotograf!« Die Puppe tobte so, dass sie kaum zu beruhigen war. »Das haben sie nur gemacht, damit diese Sau mich vögeln konnte!«

»Stimmt das, Robert?«, fragte Bernd.

»Na ja, ich gebe es zu, aber das mit dem Fotografen haben wir nie so zu ihr gesagt. Das ist ein Missverständnis.«

Sie rannte erneut auf Robert zu und trat mit voller Wucht gegen sein Bein. Bernd hielt sie fest und sprach beschwichtigend auf sie ein.

»Du solltest dich schämen, Robert. So was machst du also, wenn du nicht Papas Vorzeigeobjekt spielen musst. Bravo!«, meinte er dann zu Robert. Dem war die Situation oberpeinlich. Mir war es egal, was sie von mir dachten. Nach Hause, zu Niclas, sonst nichts.

»Mit so einfach abgeben ist das nicht getan. Ich möchte, dass ihr morgen um dieselbe Zeit hier noch mal auflauft. Nichts mit Ex und Hopp. Ich finde es voll Scheiße von euch, was ihr da gemacht habt.« Bernd war wirklich sauer.

Robert ließ mich hinter unserem Haus raus und wir verabredeten uns für den nächsten Tag. Meine Eltern sahen mich total entsetzt an. Schrecklich, wie ihre Tochter aussah. Da stimmte doch was nicht. Ich kuschelte mich mit Niclas ins Bett und schwor mir, nie wieder ohne ihn für so lange Zeit wegzufahren. »Es wird alles gut«, sagte ich ihm. Pan legte seine große Schnauze auf die Kante meines Bettes und Syrinx rannte geschäftig umher.

Auch wenn es sich spießig anhört, dachte ich, Vertrautheit und Geborgenheit sind das Wichtigste im Leben. Und Liebe! Die wirkliche, die ich zu Niclas und meinen Eltern empfand. Und zu Eva. Der arme Robert. Er hatte nie viel davon abbekommen. Vielleicht von seiner Mutter? Plötzlich war ich mir meiner Verantwortung Robert gegenüber bewusst. Keine Spielchen mit einem wie ihm.

7,26 ₼
Janr və etiketlər
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26 may 2021
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445 səh. 9 illustrasiyalar
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9783947167913
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