Kitabı oxu: «Der Schuh», səhifə 7

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Kapitel 18


Robert kam Heiligabend vorbei und zelebrierte zu Mittag eine Spaghettisoße, die die Zwillinge beim Essen auf dem Küchentisch verteilten und die Jungs mit Genuss, zusammen mit den überlangen Spaghetti, durch die Luft schnippten. Er brachte Konstantin und Franziska auch noch jeweils eine Portion runter in den Laden, der ziemlich voll war. Viele Leute kauften Heiligabend noch schnell Geschenke ein. Nach dem Essen tranken wir zusammen Kaffee, danach drehten Robert und ich mit den Kindern eine Runde durch das weihnachtlich geschmückte Hameln. So hatte Henry genug Zeit und Ruhe, den Weihnachtsbaum zu schmücken, und die Kinder sahen ihn nicht vor der Bescherung. Daniel glaubte ja inzwischen nicht mehr an den Weihnachtsmann, aber er sollte das auf keinen Fall vor Niclas erwähnen, noch nicht in diesem Jahr. Kim und Linda saßen warm eingemummelt in ihrer Karre.

Als wir an dem Tabakwarenladen in der Bäckerstraße vorbeikamen, stand der Besitzer, Herr Santotzky, vor seinem Geschäft, wie immer wie aus dem Ei gepellt. Die Haare pomadig nach hinten gekämmt, im teuren Zweireiher. Er hielt eine Holzkiste in der Hand. Seine Frau, im Kittel, putzte mit so heißem Wasser den Tritt, dass es um sie herum nur so dampfte. Sie kniete und wedelte mit dem heißen Feudel hin und her. Ab und zu machte sie sich hoch, hielt ihren Rücken, stöhnte und feudelte weiter. Ihr Blick sprach Bände. Robert und ich sahen uns nur an. Herr Santotzky kam auf uns zu.

»Na die Herrschaften, noch einen Spaziergang mit den lieben Kleinen machen, bevor der Weihnachtsmann kommt?« Er zeigte Robert die Zigarrenkiste. »Wie wäre es mit einer edlen Zigarre für den Herrn Papa?«

Er kannte mich und wusste genau, wer mein Mann war. Herr Santotzky sah Robert aufreizend an. »Bitte, möchten Sie?«

Robert war eigentlich Nichtraucher, aber er nahm sich eine. Herr Santotzky präparierte die Zigarre und gab ihm Feuer. Hoffentlich fängt er nicht auch noch an zu reden, dachte ich. Er kam öfter bei meinem Vater im Laden vorbei und quatschte sich fest. Besonders berüchtigt war er für seine frauenfeindlichen Witze. Wenn Konstantin ihn vorm Laden auftauchen sah, sagte er immer: »Jetzt ist es vorbei mit der Ruhe, jetzt kommt der hinterfotzige, schleimige Santotzky.«

Robert hielt die Zigarre in der rechten Hand, die linke Faust war auf Herrn Santotzky gerichtet, mit dem Zeigefinger nach vorn gestreckt und dem Daumen nach oben. Er sagte: »Gar nicht schlecht, diese Zigarre. Davon nehme ich mal welche mit.« Er nahm eine aus der Kiste und steckte sie sich in die Manteltasche. »Genau das Richtige für meinen Vater.« Robert griff richtig zu und stopfte sich die Taschen voll. »Auch noch welche für Großmutter und Großvater, meine Schwestern und ihre Männer«, sagte er belustigt. Er hatte inzwischen die Taschen bis oben gefüllt, die Zigarren fielen schon auf den Boden. Ich fragte mich, was das Ganze sollte.

»Vielen Dank, dass Sie hier außerhalb der Geschäftszeiten so großzügig Zigarren verteilen. Das ist ein feiner Zug von Ihnen«, meinte Robert zu dem verdutzt dreinblickenden Herrn Santotzky.

»Eigentlich war es… äh… ja nicht kostenlos gedacht, aber… nun ja, weil heute Weihnachten ist, mache ich Ihnen einen Freundschaftspreis«, stotterte der.

»Und weil heute Weihnachten ist, bezahle ich natürlich den regulären Preis für diese Zigarren«, sagte Robert.

Er holte seine Brieftasche aus der Innentasche des Mantels und reichte dem Mann, der wie angewurzelt dastand, einen Hundert-Mark-Schein.

»Das reicht aber nicht ganz«, stammelte Herr Santotzky.

»Ach, was mache ich denn?«, sagte Robert und tat so, als hätte er das nicht mit Absicht gemacht.

Er griff erneut in seine Brieftasche. Und diesmal hielt er ein ganzes Bündel Hundert-Mark-Scheine in der Hand und legte es in die fast leere Zigarrenkiste.

»Das ist dafür, dass Sie Ihrer Frau mal was Anständiges zum Anziehen kaufen.«

Robert verzog gekünstelt mitleidig das Gesicht und holte noch ein Bündel Scheine aus der Brieftasche. Herr Santotzky fragte sich wohl, was als Nächstes kommen würde, und machte eine abwehrende Handbewegung. Robert schoss auf den Mann zu und stopfte ihm ein paar Scheine in den Mund.

»Das ist dafür, dass sie ihren Tritt in Zukunft selber wischen.«

Herr Santotzky spuckte die Scheine im hohen Bogen aus, dabei verzog er angewidert das Gesicht. Robert sammelte alle Scheine wieder ein, auch die aus der Zigarrenkiste nahm er heraus.

»Ich nehme das Geld jetzt wieder an mich, weil Sie es ja sowieso nicht Ihrer Frau geben werden.«

Ich bemerkte Roberts Brandstifterblick, als er die Scheine in der Hand bündelte und sie der ängstlich wirkenden Frau Santotzky in die Tasche ihres Kittels stecken wollte. Sie lehnte energisch ab und verschwand mit Eimer und Schrubber im Laden.

»Da ist Ihnen ja was ganz Tolles eingefallen!«

Herr Santotzky hatte sich etwas gefangen und versuchte nun, die Sache ins Lächerliche zu ziehen. Er hatte die Kiste auf den Boden gestellt und klatschte in die Hände.

»Bravo!«, rief er, »bravo!«

Robert öffnete die Kiste und leerte seine Taschen dort hinein aus. Die meisten Zigarren waren kaputt und nicht mehr zu gebrauchen. Herr Santotzky schnappte sich die Zigarrenkiste und stolzierte wie ein Gockel in seinen Tabakwarenladen.

»Was soll der großkotzige Quatsch?«, fragte ich, obwohl ich im Stillen fand, dass es auch was hatte.

»Dann nimm du das Geld, bitte.«

Er blickte zur Seite. Niclas und Daniel spielten auf den Treppen am Pferdemarkt. Auf dem Platz davor räumte gerade ein Straßenmusikant seine Sachen zusammen.

»Ich will dir keine Almosen geben«, sagte er.

»Dann lass es doch gefälligst auch«, meinte ich entrüstet.

Er fasste in die Brusttasche seines Mantels und holte erneut einen dicken Stapel Geldscheine heraus, die er mir in die Hand gab.

»Es sind zehntausend Mark. Ich weiß, was Henry verdient, und ihr habt Kinder. Du bist finanziell auf ihn angewiesen. Es ist nicht gerade viel Geld, aber so fürs Erste, als kleine stille Reserve für dich.«

»Wo hast du so viel Geld her?«, fragte ich. Für mich war es viel Geld, so viel hatte ich noch nie auf einmal in der Hand gehalten.

»Dieser Freund aus Hamburg, von dem ich dir mal erzählt habe, der mit den Kampfsportschulen, der hat mich gefragt, ob ich ihm etwas helfen kann. Jetzt mache ich erst mal ein oder zwei Urlaubssemester. Bei ihm kann man gutes Geld verdienen. Diese Jobs bei ihm sind sehr interessant und lukrativ.«

»Aber deine Ziele?«, fragte ich verwundert.

»Meinen wirklichen Zielen komme ich so am schnellsten nahe. Glaub mir.« Er küsste mich auf die Wange. »Sei nicht kleinkariert, Emi. Steck das Geld ein.«

Ich verstaute das Geld in der geräumigen Innentasche meiner Winterjacke. Er begleitete uns noch bis zur Einbiegung in die Fischpfortenstraße, sein Blick hing an meinem Mund. Ich hatte das Gefühl, dass uns beiden zum Heulen zumute war.

»Bis bald?«, fragte ich.

Er nickte. »Bis bald.«

Ich sagte, ich müsste mal ganz nötig aufs Klo, als ich in Jacke und Mütze an Henry und meinen Eltern vorbeischoss, die schon mit dem Weihnachtsglöckchen auf dem Flur standen. Im Bad legte ich ein Handtuch ins Waschbecken, damit es nicht so klapperte, kippte den Inhalt meines pinken Kosmetikkoffers dort hinein und schnitt mit der Nagelschere das Futter des Köfferchens auf. Dahinter steckte ich das Geld. Ich hob das Handtuch aus dem Waschbecken und beförderte damit die Schminkutensilien zurück in den Koffer. Dort war das Geld erst mal in Sicherheit, und ich würde es für einen absoluten Notfall aufheben, beschloss ich.

Meine Familie wartete schon ungeduldig. Die Zwillinge bekamen eine Holzeisenbahn vom Weihnachtsmann und die Jungs jeder einen Rodelschlitten. Für alle zusammen gab es noch ein Spiel. Henry war der Meinung, die Kinder dürften erst gar nicht an zu viel Konsum gewöhnt werden, und er hatte auch seine Schwiegereltern gebeten, da mitzuziehen. Deshalb bekam jedes der Kinder von Franziska und Konstantin ein liebevoll eingepacktes Buch. Ich schenkte Henry eine neue Mundharmonika und bekam von ihm ein Parfüm. Ein sinnlicher Duft, etwas holzig, aber doch weiblich. Ich freute mich sehr darüber. Er hatte es super getroffen. Und dass er wegen mir durch die Parfümerien gestreift war.

»Ich fand es geil an einer Kollegin«, sagte er.

»Und an mir?« Ich hätte heulen können.

»Auch gut«, meinte er und küsste mich. Von Franziska gab es Selbstgestricktes. Henry bekam einen dicken Norwegerpullover, passend für jemanden, der sich sehr viel im Freien aufhielt. Mein Pullover war aus weicher, weißer Angorawolle, extragroß, um auch noch einen dicken Babybauch wärmen zu können. Ich zog den Pullover gleich über, er stand mir hervorragend.

»Sieh mal, gefalle ich dir darin?«, fragte ich Henry, dabei kam ich mir lächerlich vor, als ich mich so anpries.

»Du riechst gut und siehst gut aus, Emi«, war seine Antwort.

Nach der Bescherung stürmte ich ins Bad und begutachtete mich im Spiegel. Wenn er mich schön, aufregend und begehrenswert finden würde und ich ihn begeistern könnte, würde er anders reagieren. Und er würde es mir sagen, dachte ich. Er war nun mal kein Schmeichler. Solche Leute sagen immer die Wahrheit. Wenn ich mit den Kindern durch die Stadt ging, drehte sich sowieso kaum noch ein Mann nach mir um. Ich musste mich der Realität stellen. Ich war nicht mehr die Schöne, nach der die Männer verrückt waren, sondern eine, wenn überhaupt, durchschnittlich aussehende Frau, die Mitte zwanzig zum vierten Mal schwanger war und die außer Kinderkriegen nichts Richtiges auf die Rolle bekommen hatte.

Kapitel 19


Jonas kam am 7. August 1981 per Kaiserschnitt zur Welt. Mir ging es hinterher schlecht und ich musste wegen Bluthochdruck und einer Venenentzündung noch zwei Wochen länger im Krankenhaus bleiben. Henry kümmerte sich rührend. Er besuchte Jonas und mich jeden Tag mit der Rasselbande und kam auch noch mal abends, um mit mir an der Weser spazieren zu gehen. Er sah mich liebevoll an und wir sagten uns, wie sehr wir uns lieben würden. Ich schmeichelte ihm, wo ich konnte, und machte ihm ständig ehrlich gemeinte Komplimente. Ich hielt es für eine Krankheit von ihm, die ich im Stillen als ›Zwang zur Ehrlichkeit‹ bezeichnete, dass er mir nie ein Kompliment zurückgab. Außer, dass er mich für eine gute Mutter hielt und ich ihnen allen sehr fehlen würde.

Jonas war ein ruhiges, ausgeglichenes Baby. Als würde er ahnen, dass seine Mutter noch nicht so richtig bei Kräften war, benahm er sich pflegeleicht und schlief bereits nach sechs Wochen nachts durch. Ich hatte zwanzig Pfund zugenommen während dieser Schwangerschaft und befürchtete, ich müsste jetzt immer in Umstandsklamotten herumlaufen. Irgendwie ging die Ruhe des kleinen Jonas aber auch auf mich über und tat mir gut. Kim und Linda kamen in den Kindergarten. Manchmal fuhren wir alle gemeinsam zu Morgenstern. Ab und zu kam Eva aus Berlin vorbei. Bei ihren Besuchen handelte es sich immer um Blitzbesuche. Sie war aufgewühlt und tat geschäftig. Eva erzählte immer noch etwas von Gerd Blümel und sie hätte viel Interessantes in Berlin herausbekommen. Was, sagte sie aber nicht. Eines Tages würde ich alles erfahren. Onkel Ernst-Walter und Frau von Grosche machten nach wie vor Front gegen uns. Ich hatte Eva nichts von dem Gespräch mit Hans erzählt, trotzdem wusste sie, was für lächerliche Gerüchte dank Frau von Grosche in Bad Pyrmont und in Hameln die Runde machten. Zu Ernst-Walter hatten meine Eltern nach wie vor keinen Kontakt.

»Mein Vater glaubt inzwischen, wir würden ihn alle verfolgen, und nur seine Sybille und ihr toller Neffe wären sein Seelenheil. Sein Wahn nimmt schon groteske Ausmaße an. Er beruhigt sich Tag und Nacht mit Valium und abends ... hoch die Tassen mit Sybille, Frank und seinem Frauchen. Emi, du weißt um die verheerende Wechselwirkung von Valium und Alkohol. Das kann tödlich enden.«

Kapitel 20


Mein Leben war mit Kindern mehr als ausgefüllt und ich hatte mich noch nie so wenig wegbewegt wie in diesem Jahr. Die Wohnung im Haus meiner Eltern war viel zu klein für eine siebenköpfige Familie. Gerüchte gingen um, das Jugendzentrum würde bald schließen, und Henry bemühte sich verzweifelt um einen neuen Job. Bernd, der älter war als Henry, plante den Absprung in die Selbstständigkeit. Er war aus der Wohngemeinschaft aus- und mit seiner neuen Flamme Beate zusammengezogen. Beate arbeitete auch als Psychologin. Robert wohnte jetzt in Hamburg. Er rief von dort ab und zu an und erkundigte sich nach mir, Henry und den Kindern.

Die Silvesterparty 81/ 82 wurde größer gefeiert. Die Zwillinge und Jonas übernachteten in ihrem Kinderzimmer bei Konstantin und Franziska. Niclas und Daniel feierten mit. Gabi war da. Helga ohne Paul, der hatte Bereitschaftsdienst, Bernd und Beate und eine neue Arbeitskollegin von Henry.

Eva und Robert standen gemeinsam vor der Tür. Robert war extra in Hannover in den Zug gestiegen, mit dem Eva kam. Seine Freundin ließ sich entschuldigen, angeblich musste sie arbeiten, als Tänzerin am Theater. Eva wurde immer hübscher. Ich selbst fand mich mittlerweile optisch gewöhnungsbedürftig. Vollbusig und pummelig versteckte ich meine Figur in Jeans und indischen, extra weiten Baumwollhemden. Henry war es doch sowieso egal, wie ich rumlief. Ich brauchte ihn nie lange zu verführen. Wenn ihm danach war, nahm er mich. So einfach war das für ihn.

Ich hatte lange Angst vor diesem Abend gehabt und mir immer wieder vorgestellt, wie Robert mich ansehen und auf mich reagieren würde, wo ich mich doch so verändert hatte.

Der Blick, den Robert mir dann zuwarf, als er mit Eva auf den Flur kam, versuchte ich verzweifelt einzuordnen. So hatte er noch nie geguckt, aber es war zum Glück kein abwertender Blick gewesen.

Henry spielte Gitarre und ich wünschte mir, er würde mir mal liebevoll zulächeln. An diesem Abend hatte er aber nur Augen für Melinda, eine neue Arbeitskollegin, von der ich bis dato nur vorgegaukelt bekommen hatte, sie wäre noch viel dicker als ich und hätte einen festen Freund. Natürlich stimmte das alles nicht. Henry wollte mir bloß meine Eifersucht nehmen. Ich wurde schon wie ein Pflegefall behandelt.

Bernd beruhigte mich: »Ich glaube nicht, dass da was läuft zwischen den beiden, aber ich werde mir Henry mal zur Brust nehmen.«

Ich war verzweifelt, irgendwie war alles aus der Bahn geraten. Ich saß im Bad und weinte, als Robert an die Tür klopfte. »Mach bitte auf«, bat er.

Wir küssten uns. Er sagte, er würde Tag und Nacht an mich denken.

»Ich werde immer hässlicher«, schluchzte ich.

Er küsste mein Gesicht und zog mir die Bluse aus. Ich trug nie einen Büstenhalter. Er sah mich an mit seinen stechenden Augen, und ich badete mich in seinen Blicken. Es war, als wenn eine Energie in mich einfloss, die ich für eine lange Zeit konservieren musste. Henry sah mich nie so an. Robert hatte mich inzwischen völlig ausgezogen, mehrmals war an die Badezimmertür geklopft worden. Wir küssten und streichelten uns.

»Du machst das doch jetzt nicht nur, um mich aufzubauen?«, fragte ich unsicher.

»Ich liebe dich und genieße es, dich anzusehen. Du wirst für mich immer die attraktivste Frau der Welt bleiben.«

Er hatte mir die Hände mit einem Haarband auf dem Rücken zusammengebunden und betrachtete und liebkoste meinen Körper.

»Wenn ich die Augen schließe, sehe ich dich, auch wenn du nicht bei mir bist. Immer nur dich. Deinen Hals, dein zartes, sinnliches Gesicht. Deine wunderschönen blauen Augen. Wenn deine Haare über deine schmalen Schultern fallen. Dein Hexenmal. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich dich vor mir, Emi.«

Henry hatte aufgehört, Gitarre zu spielen, und als ich hörte, wie jemand meinen Namen rief, zog ich mich ganz schnell an.

»Mach auf, Emi!«

Helga klopfte an die Badezimmertür. Ich öffnete einen Spalt und sie schlüpfte herein. Sie schnappte sich Robert und ging mit ihm untergehakt nach draußen. Später kam sie grinsend auf mich zu. Wir standen am Speisebüfett.

»Du bist ja eine«, sagte Helga.

»Nicht das, was du denkst«.

»Und wenn schon.«

So war meine Freundin, so kannte ich sie.

»Emi, das Leben ist kurz und wer weiß, wie lange man uns noch attraktiv findet. Oder meinst du, ich schlafe mit dem Arsch an der Wand und wüsste nicht, mit wem mein Paulchen ab und zu die Nächte verbringt?«

»Bist du da sicher?«, fragte ich und tat so, als hätte ich davon noch nichts mitbekommen. Trotzdem imponierte es mir mal wieder, wie cool Helga sein konnte.

»Erst habe ich mir die Augen rot geheult, so wie du es manchmal machst, aber inzwischen sage ich mir, auch andere Mütter haben schöne Söhne. Mensch Emi, du warst doch früher viel weniger verklemmt als ich. Was stimmt mit Henry und dir nicht?«

Ich schluckte. Es fiel mir schwer, darüber zu sprechen. Irgendwas drückte mir den Hals zu und ich hatte Tränen in den Augen, als ich mit erstickter Stimme sagte: »Henry und ich, wir sind uns unheimlich vertraut. Er behandelt mich wie seine Ehefrau, mehr bin ich für ihn nicht. Die Mutter der Kinder. Wir haben drei Mal in der Woche Sex, davon träumen andere nur, aber ich spiele dabei keine große Rolle. Wahrscheinlich bin ich austauschbar und alles, was für ihn mit weniger Verpflichtungen zu tun hat, bringt ihm auch mehr Spaß. Jedenfalls hat Gabi mir erzählt, sie hätte noch nie einen wilderen Liebhaber gehabt als ihn.«

»Gabiiii?«

Helga sah mich an, als wäre ich ein Wesen von einem anderen Stern.

»Ja, in unserer Hochzeitsnacht. Und wahrscheinlich auch immer noch.«

»Der nimmt wohl alles, sogar so’n Mannweib!?« Helga schüttelte sich und grinste. »Interessant, diese Allesficker, oder? Uns sind doch früher schon oft solche begegnet.«

»Du begreifst nicht«, sagte ich, » ich habe das Gefühl, ihm völlig egal zu sein. Dabei sagt er mir immer, wie sehr die Familie mich braucht. Ich sterbe bald vor Angst.«

»Sag ihm doch einfach, was du brauchst. Stelle Forderungen an ihn.«

Helga kaute zufrieden und wirkte so, als hätte sie die Lösung für meine Probleme gefunden.

»Soll ich ihm sagen, dass ich leicht masochistisch veranlagt bin? Dass er sich eine durchgeknallte Nymphomanin als Mutter seiner Kinder ausgesucht hat? Dass ich mich immer wieder extrem spüren muss, um meine Akkus aufzuladen? Das alles rückt doch in den Hintergrund, wenn ich an mein Leben denke. Soll ich ihn bitten, mir etwas vorzuspielen, was er von sich aus niemals tun würde? Verstehst du, die Kinder sind mein Ein und Alles. Ich liebe Henry. Es ist ja nicht so, dass der Sex mit ihm nicht schön wäre, im Gegenteil, aber …«

Helga lächelte. »Ich weiß genau, wie es in dir aussieht, Emi. Du bist es einfach satt, von einem Arschloch zum nächsten zu wandern. Rate mal, warum ich glücklich bin, dass es Paul gibt?«

Mir tat es leid, was ich gesagt hatte. »Vergiss es, ich liebe Henry mehr als alle Männer zuvor.«

Helga ließ nicht locker. »Glaub mir, ich liebe Paul auch und er mich, und trotzdem vögelt er sich woanders die Seele aus dem Leib. Ich bin bald dreißig, aber Paulchen steht auf ältere Frauen. So mindestens um die vierzig, und er findet Hängebusen erotisch, meiner ist ihm viel zu knackig.«

»Bist du da sicher?« Ich verstand nicht so ganz.

»Doch«, lachte Helga, »und irgendwie muss ich auch so was wie Alter und Reife verkörpern, denn mir geht es so, dass ich immer auf jüngere, beinah noch pubertierende Männer abfahre. Und die auf mich. Aber bis jetzt nur einmal ernsthaft. Du weißt doch noch, Horst, diesen schnuckeligen Medizinstudenten, den er übrigens angeschleppt hatte, um mich abzulenken. Dreimal darfst du raten, wovon.«

»Wenn du so auf Pubertierende abfährst, dann versuch es doch mal mit Henry«, rutschte es mir raus, und ich meinte es in dem Augenblick todernst.

»Ach Emi«, stöhnte Helga, »wenn wir doch könnten, wie wir wollten.«

»Henry und die Kinder sind mir das Wichtigste«, verkündete ich, »ich will nie wieder in mein altes Leben zurück.«

Um Mitternacht liefen alle kreuz und quer und stießen mit Sekt an. Henry ging mit mir runter zu Franziska und Konstantin, die Besuch von Hans hatten.

Alle, die an der Silvesterknallerei auf der Straße keinen Gefallen fanden, trafen sich kurz nach zwölf oben auf dem Dachboden des Hauses. Hier gab es neben anderem Gerümpel ein altes Sofa und mehrere Sessel, jetzt besetzt von Robert, Hans, Franziska, Eva und mir. Wir alle waren winterlich angezogen. Von unten drangen gedämpft Musik und Knallgeräusche nach oben.

Eva sagte, dass sie Angst hätte und erst mal aus Berlin verschwinden würde. Sie bräuchte auch eine Pause. Nach zwei Semestern. Sie hatte beschlossen, ein Testament zu machen, weil einige Freunde von ihr auf seltsame Art und Weise ums Leben gekommen waren, und sie sich so absichern wolle. Nachdem sie uns das mitgeteilt hatte, stand Eva von ihrem Sessel auf und setzte sich auf die Lehne des Sofas direkt neben mich.

»Wenn mir was passiert, vermache ich dir meinen Fernseher, Emi. Den aus der Berliner Wohnung. Das Ding ist alt und kaputt. Wenn du ihn zum Laufen bringen willst, musst du ihn nur hinten aufschrauben und dann genau nachsehen, hörst du, dann findest du die Lösung. Versprich mir, dass du das machst.«

War sie nicht ganz dicht? Was sollte ich mit einem kaputten, alten Fernsehapparat anfangen?

»Machst du es, oder nicht?«

»Du spinnst doch. Erst der Quatsch, es könnte dir was passieren, dann das mit dem Fernseher!«

»Na gut, dann nicht!« Eva war eingeschnappt.

»Wenn dir so viel daran liegt. Natürlich mache ich es.«

Die anderen guckten erstaunt. Worüber stritten die eigentlich? Um einen alten Mistfernseher?

Eva sagte, sie würde sich im Landhaus von Frau von Grosche bedroht fühlen. Aber gut, dass sie schon mit so vielen darüber gesprochen hätte, da würde sie ihr nichts mehr antun. Hans gab Eva noch ein paar entscheidende Tipps für das Testament und Robert hörte interessiert zu. Franziska wollte konkret von Eva wissen, warum sie sich bedroht fühlen würde.

»Es ist noch zu früh, euch etwas zu erzählen«, meinte Eva, »aber so viel kann ich euch verraten. Die Sache ist so gefährlich, dass man ohne Beweise in ein Wespennest sticht, in das man besser niemals reingestochen hätte.«

Wir verließen den Dachboden bald wieder und schlossen uns den übrigen Feiernden an. Ich tanzte abwechselnd mit Hans und Konstantin.

Pulsuz fraqment bitdi.

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26 may 2021
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9783947167913
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