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Eine Mutter

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4.
Die gräfliche Familie

Die Equipage des Grafen Monford fuhr indessen langsam den sogenannten »Schloßberg« hinauf, denn der Graf hielt außerordentlich auf seine Pferde und litt nie, daß sie nutzlos angestrengt wurden, strafte auch nichts härter, als einen Verstoß gegen die darüber erlassenen Befehle. Der leichte Wagen knirschte über den hier reichlich ausgestreuten Kies, und der Weg zog sich bis zur Treppe des Herrenhauses durch einen wahren Flor von in voller Blüthe stehendem Hollunder, Goldregen, Akazien und Schneeballen hin, während die Front des ganzen Gebäudes mit allen nur erdenklichen Topfgewächsen so reich geschmückt war, daß selbst die breite, kunstvoll gearbeitete Marmortreppe, die zu dem Gartensalon und Empfangszimmer hinauf führte, einem vollblühenden Garten glich und den Duft ihrer Blumen durch die geöffneten Fenster in alle Räume des Schlosses sandte.

Und alle Räume waren so reich als geschmackvoll ausgestattet, denn Graf Monford besaß ein bedeutendes Vermögen und hatte auf seinen weiten Reisen gelernt, sich die Bequemlichkeiten und den Luxus aller Himmelsstriche anzueignen, ohne dabei sein Haus zu überladen. Die kostbarsten Gemälde, die herrlichsten Statuen und Statuetten schmückten die Zimmer, aber wo sie standen, schien es auch, als ob sie fehlen würden, wenn man sie weggenommen hätte.

Eine zahlreiche Dienerschaft füllte dabei das Haus – Graf Monford hatte früher auf von seinem Vater ererbten Besitzungen in Westindien gelebt und sich daran gewöhnt, eine Masse von Dienstleuten um sich zu haben – und herrliche Pferde standen in den Ställen, die sich, mit weiten Rasengründen für die Fohlen, eine ganze Strecke in den Park hineinzogen.

Als er ausgestiegen war, blieb er auch noch eine Weile (während seine Gemahlin nach oben ging, um Toilette zum Diner zu machen, und der Bediente eine Anzahl aus der Stadt mitgebrachter Pakete aus dem Wagen nahm) auf der Treppe stehen, um indessen seine beiden Goldfüchse zu betrachten, die, ungeduldig über den Aufenthalt, die schönen Köpfe auf und nieder warfen.

»Der Soliman scheut noch immer,« sagte er dabei, während sein prüfender Blick über die Thiere glitt und den Kutscher besorgt machte, daß er etwas Ungehöriges daran entdecke, – »daß wir ihm das gar nicht abgewöhnen können.«

»Er ist lammfromm geworden, Herr Graf,« erwiderte aber der Mann, indem er mit dem Ende der Peitsche langsam eine Stechfliege vom Halse des besprochenen Thieres zu entfernen suchte – »aber die fremden Beester jetzt in der Stadt, da scheut beinahe jedes Pferd.«

Der Graf nickte und betrat dann den mit feinen indischen Matten belegten Marmorboden des untern Saales, während der Kutscher, da Alles aus dem Wagen entfernt war, leise mit der Zunge schnalzte und nach den Stallgebäuden hinüberfuhr.

Im Salon war Graf Monford sonst gewöhnt, daß ihm seine Tochter entgegenkam. Er traf heute nur ihre Gesellschafterin, Mademoiselle Beautemps, eine ausgetrocknete Französin, sehr elegant gekleidet, aber mit einem etwas verbissenen Zug um die dünnen Lippen und sehr steifer, selbstbewußter Haltung.

»Wo ist Paula, Mademoiselle?«

»Ich war eben im Begriff, sie zu suchen, Herr Graf,« erwiderte die Dame. »Sie ist in den Park spazieren gegangen, ohne mir ein Wort davon zu sagen.«

»Das wäre freilich unverantwortlich,« entgegnete Graf Monford, während es wie ein leises, halb spöttisches Lächeln um seine Lippen zuckte, »besonders wenn man bedenkt, daß das Kind erst siebzehn Jahre alt ist und wahrscheinlich im nächsten Jahre heirathen wird. Hat sie ihre Kammerjungfer mit?«

»Sie ist vollständig allein gegangen.«

»Vollständig allein? So – nun, sie weiß, daß wir um fünf Uhr diniren, und wird zur rechten Zeit zurück sein.«

»Aber nicht einmal Zeit behalten, ihre Toilette zu machen. Wenn mir der Herr Graf erlauben…«

»Sie werden sie dann verfehlen und ebenfalls das Diner versäumen. Sie wird schon kommen« – und damit schritt er in sein Zimmer hinüber, das zu ebener Erde lag.

Mademoiselle Beautemps biß sich auf die Lippen, antwortete aber nur, sich ihrer Stellung und Würde bewußt, durch eine sehr förmliche Verbeugung, die der alte Herr nicht einmal bemerkte, und trat dann auf die Treppe hinaus, um die Ankunft ihres ungehorsamen Zöglings mit anscheinender Geduld, bei der sie aber in innerlichem Ärger fortwährend in raschem Tacte die Marmorplatten mit dem Fuß schlug, zu erwarten.

Ein Reiter kam den Weg heraufgesprengt, hielt an der Treppe, sprang aus dem Sattel, warf die Zügel seines warm gewordenen Thieres dem ihm folgenden Reitknecht zu, und war dann in wenigen Sätzen oben bei der Gouvernante.

»Ah, guten Morgen, Mademoiselle – Karl, reib das Pferd gut ab, und daß dann der Fingal gesattelt wird – ich reite nach dem Diner gleich wieder in die Stadt zurück. – Wo ist Paula, Mademoiselle?«

»Thut mir leid, Ihnen keine Auskunft geben zu können, Herr Graf,« sagte die Dame achselzuckend; »die Comtesse scheint die Zügel der Regierung selber in die Hand nehmen zu wollen.«

»Durchgebrannt?« lachte der junge Mann, indem er seine Handschuhe auszog und in den Reitrock steckte. »Die Eltern sind aber zu Hause, wie ich sehe,« setzte er mit einem Blick auf die Wagenspuren hinzu, »und wahrhaftig, gleich fünf Uhr – alle Wetter, da habe ich keine Zeit mehr zu verlieren!« und rasch sprang er in das Haus und in sein eigenes Zimmer hinauf.

Mademoiselle Beautemps hatte wenigstens die Genugthuung, nicht länger auf die Folter gespannt zu sein, denn in diesem Augenblick kam auch die Comtesse aus dem Park herauf. Sie mußte scharf gegangen sein, denn sie sah erregt aus.

»Aber, Comtesse, ich bitte Sie um Gottes willen, wo haben Sie gesteckt? Kann man denn nicht auf einen Augenblick den Rücken wenden!«

»Sind die Eltern schon da?«

»Schon lange, es wird gleich servirt werden. Und wie sehen Sie aus! Mit der Frisur können Sie gar nicht bei Tafel erscheinen! Wo waren Sie?«

»Im Park. Ist George auch schon da?«

»Alle – es wird den Augenblick dinirt. Ich muß wirklich in Zukunft bitten…«

Paula ließ sie gar nicht ausreden. An ihr vorüber huschte sie durch den Saal in ihr eigenes kleines Boudoir, wo Bertha, ihre Kammerjungfer, sie schon erwartete, und als Mademoiselle Beautemps, damit nicht zufrieden, sich das Wort abgeschnitten zu sehen, ihr dahin folgen wollte, um ihre Ermahnung und Strafpredigt zu beenden, hatte die sorgsame Zofe schon den Riegel vorgeschoben. Es wurde Niemand mehr eingelassen.

Paula brauchte aber für ihre Toilette außerordentlich wenig Zeit; das volle, herrliche Haar fiel fast von selbst in seine natürlichen Locken, und noch ehe die Gräfin Mutter den Speisesaal betrat, wo in diesem Augenblick gerade die Suppe aufgetragen wurde, war sie dort.

Ihr Bruder stand schon am Fenster und blätterte in einem Haufen von Zeitungen.

»Ah, da bist Du ja!« rief er ihr entgegen. »Sag', Schatz,« flüsterte er dann, »hat Dir Papa schon etwas mitgetheilt?«

»Mir, George?« fragte Paula erstaunt – »was soll er mir mitgetheilt haben? Ich weiß von nichts!«

»Nun, dann kommt es noch,« lächelte George, ihr freundlich zunickend. »Apropos, Paula, gehst Du Dienstag mit in's Theater? Die Räuber werden gegeben. Handor ist famos als Karl Moor.«

»Ich weiß es nicht,« sagte Paula erröthend, »wenn es Papa erlaubt…«

»Hoffentlich nicht, Comtesse,« bemerkte hier die Gesellschafterin, die gerade zur rechten Zeit in den Saal getreten war, um die Frage zu hören; »denn mit meiner Zustimmung besuchen Sie das Theater nicht so oft. Es ist ein Tempel des Lasters, in dem junge Mädchen eigentlich gar nichts zu suchen haben.«

»Mademoiselle!« wollte George gereizt ausfahren, als sich die Thür öffnete und die Eltern erschienen. Die Unterhaltung war damit abgebrochen.

»George – ah, da bist Du ja, Paula! Hast Du einen Spaziergang gemacht, mein Kind?«

»Mein lieber Vater…«

»Schon gut, Du bist ja noch zur rechten Zeit eingetroffen. Höre, George, Du hast Deinen Rappen wieder tüchtig warm geritten. Wenn Du meinem Rath folgst, schonst Du das Pferd.«

»Ich hatte mich verspätet, Papa, und ließ ihn nur ein wenig austraben. Heute Nachmittag nehme ich den Weißfuß.«

»Du willst wieder fort?«

»Ich habe mich zu einer Partie Whist bei Boltens engagirt und vorher noch Einiges zu besorgen.«

»Setzen wir uns.«

Das Diner wurde gewöhnlich schweigend verzehrt, da es Graf Monford nicht liebte, sich in Gegenwart der Diener zu unterhalten. Nur vollkommen gleichgültige Dinge durften besprochen werden, und selbst diese so kurz als möglich, und doch hätte George gar zu gern schon während der Tafel von dem Theater angefangen, das er leidenschaftlich gern besuchte. Aber es ging eben nicht, denn er wußte im Voraus, daß er entweder keine Antwort oder gar einen Verweis bekommen hätte.

George war das treue Abbild seiner Schwester, nur etwa zwei oder drei Jahre älter als sie, aber mit denselben edlen und offenen Zügen, denselben kastanienbraunen Augen, aber fast schon ein wenig zu selbstständig für seine Jahre, wozu denn freilich die Erziehung im elterlichen Hause Vieles beigetragen.

Als junger Bursche und noch unter einem Hofmeister wurde er mit eiserner, nachsichtsloser Strenge bis zu dem Augenblick behandelt, wo er zur Universität abging, und dort plötzlich und mit einem Schlag sein eigener, freier Herr war. Natürlich wußte er die ihm so rasch und unerwartet gekommene Freiheit nicht immer nur zu gebrauchen, sondern mißbrauchte sie auch nicht selten.

Dazu kam, daß Graf und Gräfin Monford sich Jahre lang auf Reisen befanden, wo denn die Kinder auch nur auf fremde Menschen angewiesen blieben und ihre Eltern nicht einmal zu sehen bekamen, und mit der ganzen vorangegangenen Erziehung konnte es kaum anders geschehen, als daß sich beide Theile mehr und mehr entfremdet werden mußten.

Graf und Gräfin Monford hatten in der That keine Kosten und Mühen gescheut, um ihre Kinder Alles lernen zu lassen, was sie in ihren Bereich bringen konnten, aber sie machten ein sehr großes Haus, und nur zu oft ist es ja in solchen »großen Häusern« leider der Fall, daß die gesellschaftlichen Pflichten den elterlichen vorgezogen werden oder, wie man sich einredet, vorgezogen werden müssen. Man hat Rücksichten zu nehmen (wie die Entschuldigungen heißen), überdies zuverlässige Leute daheim, denen man die Kinder recht gut anvertrauen kann. Eine Gesellschaft jagt dann die andere, einmal daheim oder auch außer dem Hause, von allen aber sind die Kinder ausgeschlossen, und ihre kurze Jugendzeit vergeht, ohne daß sie sich erinnern, der Mutter mehr als ein- oder zweimal auf dem Schooß gesessen zu haben.

 

Aber ein Kind will nicht allein Pflege – die kann ihm jeder gemiethete und gute Dienstbote geben – es will auch Liebe, und wenn ihm die entzogen wird, so wächst es auch wohl ohne sie frisch und kräftig auf, aber in seinem Herzen bleibt ein leerer, öder Raum, den es sich selber dann oft mit verderblichen Stoffen füllt. Unter der Obhut Fremder aufgewachsen, hatten sie allerdings vor den Eltern, denen sie erst herangewachsen näher traten, eine gewaltige Ehrfurcht gehabt, aber sie kannten kein anderes Gefühl und hielten diese Ehrfurcht für Liebe, während die Eltern stolz, recht stolz auf ihre Kinder waren und auch diesen Stolz für Liebe nahmen. So täuschten sich beide Theile über ihre Gefühle, und auch die Welt, und doch waren beide Kinder von Herzen seelensgut und brav, und auch die Eltern fest überzeugt, Alles für sie gethan zu haben, was in ihren Kräften stand, um vollen Anspruch auf ihre Dankbarkeit zu haben.

Die Liebe aber, die den beiden Geschwistern durch ihre Eltern mehr unbewußt als absichtlich entzogen worden, brachten sie dafür einander selber in desto reicherem Maße zu. Mit unendlicher Zärtlichkeit hingen beide an einander, ob auch ihre Charaktere noch so verschieden sein mochten.

Paula, von zartem Körperbau, mit vieler Phantasie begabt, neigte mehr zur Schwärmerei. Sie las viel und, leider, unter Anleitung der Französin, nicht immer recht passende Bücher; sie liebte dabei leidenschaftlich das Theater und konnte sich durch irgend ein gegebenes Schau- oder Trauerspiel so aufregen lassen, daß sie halbe Nächte lang ihre Kissen mit Thränen netzte. Unglücklicher Weise fand sie dabei in der Familie, der sie, während die Eltern auf Reisen gewesen, zur Obhut übergeben worden, nur zu viel Nahrung, denn diese hatte ein kleines Liebhabertheater in ihrer eigenen Wohnung errichtet, verkehrte viel mit Künstlern und fachte dadurch den Funken, der in Paula's Herzen glimmte, zur lichten Flamme an.

Das Technische in der Aufführung bei den kleinen, dort gegebenen Stücken hatte man nämlich nicht gut bewältigen können oder es auch vielleicht für zu mühsam gehalten. Ein geschickter Leiter wurde für nothwendig erachtet, und dort hatte Paula Handor kennen lernen.

George seinerseits war nichts weniger als ein Schwärmer und hing viel mehr dem Realistischen an. Er liebte wohl auch das Theater, weil es ihm Unterhaltung bot, ohne daß er sich aber sonst auch nur mit einer Faser seines Herzens dazu hingezogen fühlte. Weit mehr beschäftigten ihn die seinem Stande auch angemesseneren ritterlichen Übungen. Er war ein perfecter, tollkühner Reiter, ein eifriger und für sein Alter recht guter Jäger, besonders ein sicherer Schütze, und wenn er nebenbei auch etwas Musik und Malerei trieb und mit Vergnügen ein gutes Buch las, hatte er doch keinen rechten Trieb dafür. Er verstand etwas von Jedem, ohne es in irgend einer Sache zur Vollkommenheit zu bringen, und da er das selber fühlte, verlor er auch bald die Lust daran.

Auch an dem Liebhaber-Theater hatte er sich anfangs mit großer Lust betheiligt und vielen Eifer dabei gezeigt, aber es ermüdete ihn doch bald, wie er denn nie lange an einer Sache Vergnügen fand, und als Ende März die Auerhahnbalz begann, gab er es vollständig auf und fuhr lieber Nachts hinauf in den Wald, um Morgens um zwei oder drei Uhr an Ort und Stelle auf dem Balzplatz zu sein.

Durch das Liebhaber-Theater war er aber selber mit einigen Künstlern bekannt geworden. Deren freies, offenes Wesen sagte ihm zu, denn im Umgang mit ihnen brauchte er sich keinen Zwang anzuthun, und sein leicht empfänglicher Geist fand, was ihm in seinen gewöhnlichen Kreisen gründlich fehlte: Anregung und Befriedigung. Mit einem Worte, er fühlte sich unter den Künstlern und in ihrem freien Verkehr wohler und behaglicher, als in den steifen, aber allerdings sehr vornehmen Gesellschaften, in denen er sonst heimisch war oder doch heimisch sein sollte.

Auch zu Hause war ihm der lästige Formenzwang zu unbequem. Er hatte oft davon gehört und gelesen, was für ein mächtiger Zauber in dem einen kleinen Worte »daheim« liege und wie die eigene Heimath uns das Liebste und Theuerste auf der Welt sein sollte; aber mitgefühlt hatte er das noch nie und hielt es, mit anderen Überschwänglichkeiten, für eine Licenz der Dichter, die vollkommen berechtigt wären, sich irgend einen Punkt der Welt zu einem kleinen Paradiese auszumalen, ob sie dazu nun ein beliebiges Feenreich oder eine menschliche Wohnung wählten.

Viel Ruhe hatte er deshalb auch zu Hause nicht, ja, er plauderte wohl gern einmal ein halb Stündchen mit der Schwester und wußte, daß er die gehörigen Formen der Tischzeit einhalten mußte, wenn er nicht eben draußen auf der Jagd war oder eine andere Einladung angenommen und sich daheim formell abgemeldet hatte – sonst fesselte ihn nichts an das Vaterhaus.

Die Tafel war beendet und der Kaffee im Nebenzimmer servirt worden. Dorthin folgte er den Eltern, und seinen Arm um Paula's Taille legend, drückte er einen Kuß auf ihre Wange.

»Aber was hast Du nur, George?«

»Nichts, mein Herz,« lächelte der Bruder, »ausgenommen so viel zu thun, daß ich kaum weiß, wo ich anfangen soll.«

»Du?«

George nickte ihr zu und wollte das Zimmer verlassen.

»Du willst wieder fort, George?« sagte die Mutter.

»Ja, Mama – heut Abend sehen wir uns doch bei Boltens; nicht wahr, Ihr kommt auch hin?«

»Ich weiß es noch nicht, mein Sohn,« erwiderte die Gräfin – »ich habe etwas Kopfschmerz – aber vielleicht doch.«

»Du bist gar nicht mehr zu Hause, George,« bemerkte der Vater, »man bekommt Dich wirklich nur noch beim Essen zu sehen.«

»Ja, bester Vater,« lachte George, »ich habe jetzt drei Pferde zuzureiten, und das kann ich doch nicht hier im Park thun. Der Fingal macht mir am meisten zu schaffen.«

»Aber es ist ein vortreffliches Pferd,« nickte der Vater, »Du hast da einen guten Kauf gemacht, halte ihn nur auch gut.«

»Wie meinen Augapfel, Papa,« lachte der junge Mann. »Also auf Wiedersehen in der Stadt!« und war im nächsten Augenblick verschwunden.

Paula blieb mit ihren Eltern allein im Zimmer, denn Mademoiselle Beautemps trank keinen Kaffee und benutzte diese kurze Zeit stets, um in ihrem Zimmer ein Viertelstündchen Siesta zu halten, worin sie Paula niemals störte. Sie wollte jetzt ebenfalls das kleine, freundliche Gemach verlassen, als der Vater, der mit auf den Rücken gelegten Händen auf und ab gegangen war, leise sagte:

»Paula!«

»Mein Vater!«

»Ich und Deine Mutter möchten ein paar Worte mit Dir reden.«

»Mit mir, Vater?«

»Ja, mein Kind,« sagte der alte Herr, indem er vor ihr stehen blieb, ihr leise mit der rechten Hand das Kinn emporhob und freundlich fortfuhr: »Sieh, mein Schatz, Du bist nun schon vor zwei Monaten siebzehn Jahre alt geworden und – eben kein Kind mehr…«

»Mademoiselle Beautemps betrachtet mich aber noch als ein solches,« sagte fast unbewußt Paula, denn ein schmerzhaftes, gleichsam eisiges Gefühl schnürte ihr in dem Augenblick beinahe die Brust zusammen. Sie ahnte, was folgen würde.

»Mademoiselle Beautemps…« sagte der Vater rasch, brach aber kurz ab, hustete und lächelte still vor sich hin. »Nun, Du wirst nicht mehr lange mit ihr geplagt werden, Kind,« fügte er dann mit trockenem Humor hinzu, »und was ich eben jetzt mit Dir reden wollte – das heißt ich und Deine Mutter –, soll gerade dazu dienen, Dich von ihr frei zu machen.«

»Mein lieber Vater!« flüsterte Paula und warf einen Blick nach der Mutter hinüber, die am Fenster stand, mit einer kleinen Scheere ein paar abgeblühte Rosen von einem Stock schnitt und die Blätter hinausstreute.

»Verstehst Du, was ich meine?«

»Nein, mein Vater,« hauchte das junge Mädchen.

»Und doch siehst Du beinahe so aus, als ob Du es verständest,« lächelte der alte Herr. »Aber ich will mich kurz fassen, mein Kind, denn große Umschweife sind unter uns ja doch nicht nöthig. Ich frage Dich also geradeheraus, mein Herz, hast Du noch nicht daran gedacht, Dir einen Lebensgefährten auszusuchen?«

»Mein lieber, lieber Vater!«

»Aber, George,« sagte die Gräfin kopfschüttelnd, »Du fällst doch auch wohl da ein klein wenig zu sehr mit der Thür in's Haus. Das ist kaum eine discrete Frage für ein junges Mädchen, die das überhaupt auch wohl ihren Eltern überlassen wird.«

»Ich weiß nun gerade nicht,« lächelte der alte Herr, »ob Paula damit so recht einverstanden sein würde. Aber eben weil ich glaube, daß sich unsere Gedanken auf halbem Wege begegnen, habe ich so direct gefragt, denn ich bin überzeugt, ich schieße nicht weit vorbei, wenn ich vermuthe, daß Du den jungen Grafen Bolten gern hast – wie, Schatz? Er ist wenigstens auf allen Bällen Dein unermüdlicher Tänzer, und das Vielliebchen, das Du neulich mit ihm gegessen – nun, Du brauchst nicht bis hinter die Ohren roth zu werden, meine Puppe – wir sind Alle nicht besser gewesen, als wir jung waren.«

Über Paula's Stirn und Wangen hatte sich allerdings im ersten Augenblick tiefe Röthe ergossen, im nächsten Moment aber schon schoß das Blut wie in einem Strom zum Herzen zurück und ließ ihr Antlitz todtenbleich, während sie leise, aber fest sagte: »Du irrst Dich, Vater, – ich liebe den jungen Grafen nicht.«

»Nicht?«

»Du liebst ihn nicht?« wiederholte aber auch die Mutter und drehte sich rasch und wie erstaunt der Tochter zu. »Und das sagt das Mädchen mit einer solchen Bestimmtheit, als ob damit die ganze Sache abgemacht und beseitigt wäre.«

»Der Vater hat mich gefragt, Mama, und er verlangt ja doch Wahrheit von mir.«

»Das allerdings, mein Herz,« sagte der alte Herr ruhig, während sein Blick forschend an dem Antlitz der Tochter hing, »die verlangt er in der That – aber kannst Du mir einen Grund angeben?«

»Und wäre es Liebe, Vater, wenn man einen Grund dafür nennen könnte?«

»Hm,« sagte der alte Herr, dadurch selber in Verlegenheit gebracht, »Du scheinst Nutzen aus Deiner Lectüre gezogen zu haben, mein Töchterchen. Die Sache ist denn aber doch zu ernsthafter Natur, um ihr durch ein Wortspiel auszuweichen; so höre denn, was ich Dir darüber zu sagen habe. Über die Familie Bolten selber brauchte ich kein Wort zu verlieren; wir haben sie Alle gern und sind lange, lange Jahre damit befreundet – wie geachtet und geschätzt sie im ganzen Lande sind, weißt Du außerdem, und unser alter Name braucht sich wahrlich nicht zu schämen, neben dem ihrigen genannt zu werden. Hubert ist dabei ein junger, liebenswürdiger Mensch, talentvoll, gutmüthig, ein bischen aufbrausend zwar, aber das wird sich mit den Jahren geben, und außerdem der einzige Sohn. Daß er Dich gern hatte, habe ich – und ich muß gestehen, zu meiner Freude – schon seit längerer Zeit bemerkt; daß Du ihm nicht abgeneigt warst, konnte Jeder sehen, der Euch ein paar Mal zusammen beobachtet hat. Dazu kommt, mein liebes Kind, daß uns Beide, Deine Mutter und mich, diese Verbindung mit dem Bolten'schen Hause glücklich machen würde, und ich bin überzeugt, daß alles dies zusammen genommen, wenn Du es Dir überlegst, Deinen Entschluß bestimmen muß. Ich brauche Dir nur noch zu sagen, daß heute Morgen, als wir in der Stadt waren, der alte Graf bei mir förmlich um Dich für seinen Sohn angehalten hat, und ich hoffe, wir können ihm heut Abend eine gute Antwort mit hineinnehmen – wie, mein Schatz?«

»Mein lieber Vater, ich – ich bin noch so jung!«

»Darin hast Du Recht, und das habe ich meinem Freunde Bolten selbst entgegnet; er sieht das auch vollkommen ein, und Du sollst nicht gedrängt werden. Wir haben deshalb Beide ausgemacht, daß die Trauung nicht früher als an Deinem achtzehnten Geburtstage stattfindet; um uns aber das Glück unserer Kinder zu sichern, wollen wir die Verlobung am nächsten Freitag hier bei uns feiern, wozu uns Deine gütige Mama einen kleinen Ball arrangiren wird – bist Du damit einverstanden?«

»Dränge sie nicht zu sehr, George,« sagte jetzt die Mutter freundlicher, als sie bis dahin gesprochen. »Ihr Männer seid Euch darin doch alle gleich, das folgt Schlag auf Schlag, und da soll das arme Kind auf jede Frage auch augenblicklich antworten! Versteht sich, wird sie wollen, aber Du siehst doch, daß sie jetzt bald roth, bald blaß wird – laß ihr doch nur Zeit, erst Athem zu holen!«

 

»Meine liebe, liebe Mutter!« rief Paula und warf sich, von ihren Gefühlen überwältigt, an der Mutter Brust.

»Aber, ma fille!« sagte sie, sich rasch und erschreckt losmachend – »komm, mein Herz, komm, wozu diese Aufregung – Du weißt, Kind, wie das immer meine Nerven angreift, und mein Kopf schmerzt mich überhaupt heute.«

»Aber ich liebe ihn nicht, Mama!« bat Paula in Todesangst. »Der junge Graf ist ein braver, lieber Mensch, aber – aber…«

»Aber, mein Kind?« fragte die Mutter streng.

»Er – er paßt nicht für mich – er – hat für nichts Sinn, als für seine Pferde und Gewehre – er haßt Musik und Bücher – er…«

»Lauter Verbrechen, nicht wahr?« lächelte die Mutter spöttisch – »und kann er deshalb nicht ein guter Ehemann werden?«

»Und soll das Herz denn gar keine Stimme haben, Mama?« flüsterte das arme, gequälte Mädchen – »soll denn nur immer todter Rang und Reichthum Verbindungen schließen und Menschen auf ewig an einander ketten, die sich ohne diese nie gefunden oder nur gesucht hätten?«

»Todter Rang und Reichthum, meine Tochter?« sagte der Vater ernst – »ich glaube, Du solltest uns dankbar dafür sein, daß wir Dir die Dir gebührenden Vorrechte auch erhalten und verwahren, Du wirst doch nicht glauben, daß ich Dich je unter Deinem Stande verheirathen würde?«

»Willst Du mich nicht glücklich sehen, Papa?« fragte Paula herzlich.

»Gewiß, mein Kind, das ist mein heißester Wunsch,« erwiderte der Vater, »aber eben deshalb muß ich jetzt über Dich wachen, daß Dich Dein leicht erregtes Herz nicht zu einem Schritt hinführt, den Du später schwer bereuen und dann sicher unglücklich dadurch werden würdest. Aber wie ich Dir schulde, für Dein Glück zu sorgen, so schuldest Du auch uns, die Ehre unseres Hauses aufrecht zu erhalten, und wer Dir dabei am besten rathen kann, sind denn doch wohl Deine Eltern selber.«

»Und wenn ich vorher wüßte, daß ich unglücklich werden würde?«

»Paula,« sagte der Vater ernst, »ich bitte Dich, nur jetzt, wo es sich um Deine ganze Zukunft handelt, Deine überspannten Romane und phantastischen Ideen aus dem Spiel zu lassen! Du hast uns schon neulich einmal so eine Andeutung gemacht, daß Du Dich an der Seite des ärmsten Mannes glücklich fühlen könntest, wenn »Eure Seelen«, wie Du Dich beliebtest auszudrücken, mit einander harmonirten. Es ist der alte Unsinn mit »eine Hütte und ihr Herz«, der so lange stichhaltig bleibt, bis das Herz eben in die Hütte hineinziehen soll und die Räumlichkeit dann überall zu beengt findet. Glaube mir, mein Kind, solche Ideen sehen sehr hübsch auf dem Papier aus und lassen sich vortrefflich bei einer warmen, mondhellen Nacht durchschwärmen, aber sie gleichen jenen wunderbar schillernden Quallen, die an der Oberfläche der See herumschwimmen und von Weitem einen prachtvollen Anblick gewähren, nimmt man sie aber in die Hand, so bleibt nichts übrig, als eine graue, schlammige Blase, die man mit Ekel wieder von sich wirft. »Gleich und Gleich gesellt sich gern!« ist ein altes, gutes und wahres Sprüchwort, und wir finden das in der Natur bestätigt, wohin wir blicken. Ein Adler könnte sich da eben so wenig daran gewöhnen, einen Bund für das Leben mit einem Truthahn zu schließen und von Körnern und Kartoffelschalen zu leben, weil ihre Seelen vielleicht sympathisiren – es geht eben nicht, und die Grafentochter würde sich elend und unglücklich fühlen, wenn sie aus der gewohnten Sphäre niedersteigen und in einer Hütte leben sollte. Das sind eben jugendliche Träume, die ich auch nicht zu hoch anschlage und deshalb gern verzeihe. Nun sei aber vernünftig, mein Töchterchen, Du bist alt genug dazu. Wir haben eine Wahl für Dich getroffen, die Dein Herz nur mit Freude und Dankbarkeit gegen uns erfüllen kann, also füge Dich dem; denn Du weißt auch, daß Deine Eltern nie ihre Einwilligung zu einer Verbindung unter Deinem Range geben würden, solltest Du wirklich je thöricht genug sein, selber an etwas Derartiges ernsthaft zu denken.«

»Mein Vater…«

»Laß nur sein, mein Kind – ich wußte ja, daß mein gutes Töchterchen nicht den Lieblingsplan ihrer Eltern kreuzen würde; also werde ich das Weitere schon selber mit Boltens in Ordnung bringen. Du darfst Dir indessen immer Deinen Ballstaat zurecht machen,« setzte er lächelnd hinzu, indem er ihr leise das Kinn emporhob und einen Kuß auf ihre Stirn drückte, »und daß wir nachher ein recht munteres, fröhliches Bräutchen haben, davon bin ich überzeugt…«

Ein Diener öffnete in diesem Augenblick die Thür und meldete, in steifer Haltung an der Schwelle stellen bleibend: »Baronesse von Halldorf läßt fragen, ob es der gnädigen Herrschaft genehm wäre…«

»Wird uns sehr angenehm sein,« sagte die Gräfin, die froh war, einen Vorwand gefunden zu haben, das Gespräch abzubrechen – »aber, Schatz, Du hast ganz rothe Augen bekommen – geh auf Dein Zimmer und bade sie ein wenig mit Rosenwasser, wir erwarten Dich dann unten.«

Der Besuch mußte empfangen werden, und die arme Paula, das Herz zum Brechen schwer, zog sich auf ihr Zimmer zurück, schob den Riegel hinter sich vor und sank auf das Sopha.

»Kein Mitleid mit den Gefühlen ihres eigenen Kindes,« flüsterte sie dabei – »keine Frage selber danach, ob dieses Herz schon gewählt, schon entschieden haben könnte – nichts, nichts als der leere, hohle Schein, als Stand und Rang und Reichthum – oh, ich bin recht, recht unglücklich!« und still weinend barg sie ihr Antlitz in den Händen.