Pulsuz

Eine Mutter

Mesaj mə
0
Rəylər
iOSAndroidWindows Phone
Tətbiqə keçidi hara göndərməliyəm?
Mobil cihazınızda kodu daxil etməyincə bu pəncərəni bağlamayın
Təkrar etməkKeçid göndərilib

Müəllif hüququ sahibinin tələbinə əsasən kitabı fayl şəklində yükləmək mümkün deyil.

Bununla belə, siz onu mobil tətbiqimizdə (hətta internet bağlantısı olmadan) və LitRes saytında onlayn oxuya bilərsiniz.

Oxunmuşu qeyd etmək
Şrift:Daha az АаDaha çox Аа

5.
Paradies und Hölle

In der Schloßgasse zu Haßburg – denn die alte Stadt, welche in längstvergangenen Zeiten einmal der Sitz eines Erzbischofs gewesen, hatte die verschiedenen Benennungen aus ihrer Glanzperiode noch getreulich aufbewahrt – stand ein nicht sehr großes, aber wunderlich verziertes Gebäude. Es war massiv, aus dunkelgrauem, halbverwittertem Sandstein aufgeführt und mit einer wahren Verschwendung von Steinhauerarbeit bis unter den Giebel hinauf bedeckt.

Was die zahllosen Gruppen, Bilder und Arabesken daran alle bedeuten sollten, wäre wohl schwer zu entziffern gewesen – möglich, daß selbst die Urheber derselben keine rechte Idee davon gehabt. Deutlich erkennbar war aber noch eine ordentliche Legion von dicken, pausbackigen Engeln mit Posaunen und sonstigen Instrumenten, die jeden nur einigermaßen benutzbaren Raum ausfüllten und den obern Theil des Hauses vollständig bedeckten, während zwei sehr durch die Zeit und Sturm und Wetter mißhandelte Riesen, die zwischen Drachenköpfen und Ungeheuerschwänzen ihren Platz behaupteten, das Portal zu tragen schienen.

Und bunt und prächtig genug mußte das Haus ausgesehen haben, als es aus der Hand des Künstlers frisch hervorging. Noch jetzt ließen sich nämlich an einigen geschützten und tiefer liegenden Stellen Spuren von früherer Vergoldung und Malerei erkennen, mit denen besonders die Instrumente der Engel geglänzt und geschimmert haben mochten.

An eine Renovation dieser geschwundenen Pracht hatte freilich Niemand gedacht. Das Haus gerieth in die Hände einer Familie, die seine Lage für eine Wirthschaft passend fand, da es dem Theater schräg gegenüber und auch in der Nähe des Domes wie des Rathhauses stand, und der neue Eigenthümer, mit einer unbestimmten Ahnung, daß die vielen Engel wohl eine Andeutung der künftigen Seligkeit selber sein könnten, nannte seine Wirthschaft drinnen nach den Sinnbildern draußen »Zum Paradies«.

Der Mann verdiente viel Geld damit, und als er älter und ihm das Geräusch und die eigene Unbequemlichkeit eines solchen Lebens zu groß wurde, ließ er die Wirthschaft eingehen, den obern Stock zu Familienwohnungen einrichten und behielt nur die unteren Räumlichkeiten mit den Kellern für sich, in welchen er eine ganz vortreffliche Weinstube etablirte.

Der alte Trauvest war von jeher ein ausgezeichneter Weinkenner gewesen und hatte immer etwas auf ein gutes Getränk gehalten. Seine Weinstube bekam deshalb bald einen Namen und die in Haßburg ansässigen »Künstler«, lustiges, luftiges Volk, das solche Plätze immer am besten aufzustöbern weiß, erwählte den Ort zu seiner Künstlerkneipe, wozu ihnen der Wirth, damit sie nicht mit dem gewöhnlichen trocknen Pfahlbürger und Stammgast Einen Tisch zu besetzen brauchten, ein kleines besonderes Käfterchen hübsch einrichten und sogar mit Eichenholz austäfeln ließ. Der und Jener »stiftete« dann auch noch bald einen alten, wunderlich geschnitzten Schrank, bald ein paar antike Sessel, hundertjährige Pocale und Deckelkrüge, alte Waffen und Rüstungen, kurz, was in der Art aufzutreiben war, hinein, so daß sich der kleine, malerisch geschmückte Raum bald in ein ordentliches Raritäten-Cabinet verwandelte.

Das Haus wurde zuletzt wirklich dadurch berühmt, und kein Fremder besuchte Haßburg, der sich nicht bemüht hätte, auch die Künstlerkneipe im »Paradies«, die das lustige Völkchen dem Namen des Gebäudes gerade entgegen »Die Hölle« taufte, kennen zu lernen.

Zu den Künstlern: Maler, Bildhauer und Schriftsteller, die sich in Haßburg aufhielten, fühlten sich aber auch die Schauspieler hingezogen. Der gute Wein hatte sie schon lange in das »Paradies« geführt, die bessere Gesellschaft lockte sie aus dem »Paradies« in die »Hölle«, und von den Künstlern wurden sie, als einer freien Kunst angehörend, auch mit offenen Armen empfangen.

Der Schauspieler ist überhaupt der beste Gesellschafter in der Welt und steht ja auch mit allen anderen Künstlern in nächster und innigster Beziehung. Wie der Maler, muß er Charaktere studiren, um sie wahr und treu, nicht auf der Leinwand, sondern im wirklich lebendigen Bild wiederzugeben. Mit dem Dichter muß er fühlen, empfinden und sich begeistern, und alles das in rasch wechselnden Gestalten, Schlag auf Schlag, und Triumph oder Niederlage bringt ihm schon der nächste Augenblick, der nächste Abend.

Alle anderen Künstler schaffen nicht allein für ihre Zeit, nein, sie haben die Hoffnung, daß auch noch spätere Geschlechter sich ihrer Werke freuen mögen und ihr Name noch genannt wird, wenn sie schon selbst dahingegangen. Nicht so der Schauspieler, der, nur auf den augenblicklichen Erfolg angewiesen, auch nur für diesen wirkt und schafft. Der Beifall des Publikums, das ihn selber hört und sieht, ist seine Belohnung; dieser strebt er nach, und ist ihm die gesichert, dann geht er freudig und vertrauensvoll an's nächste Werk.

Dieser Erfolg des Augenblickes übt aber auch natürlich auf sein ganzes Leben entschiedenen Einfluß, denn er verwächst mit ihm und theilt sich seinem ganzen Charakter mit; die Vergangenheit existirt nicht für ihn, was anders ist sie auch, als eine abgespielte Komödie – und die Zukunft? Eine neue brillante Rolle kann ihm die rosig genug gestalten, weshalb sich jetzt schon Sorgen darüber machen? Noch läuft sein Contract, das Publikum liebt ihn, oder – hat sich an ihn gewöhnt, und was die sonstigen kleinen Leiden und Ärgernisse betrifft, die nun einmal als Salz und Würze unseres ganzen Lebens dienen müssen, ei, die hat er reichlich in vermutheten Intriguen der Intendanz oder der eigenen Collegen, oder in boshaften Recensionen eines nicht gehörig honorirten Theaterkritikers – was will er mehr?

Leichtes Blut schwimmt oben, leichtes Blut gehört zu seiner ganzen Existenz, und gerade dieser, in den meisten Fällen liebenswürdige leichte Sinn läßt ihn das Leben an seiner lichten Seite fassen und ihm Alles abgewinnen, was eben daraus zu gewinnen ist.

Gute und vielbeschäftigte Schauspieler und Schauspielerinnen – während Sänger und Sängerinnen – mit wenigen Ausnahmen – nur ihre Noten studiren und sich verwünscht wenig um Text, Sujet oder Charakter ihrer Rolle kümmern – müssen auch gebildete Menschen sein, und sind es fast stets. Sie haben dabei die Form des Umganges vollständig in ihrer Gewalt, sie müssen verstehen, sich in allen Kreisen des Lebens zu bewegen, und verstehen es, und mit einem gewissen Instinct, der sie alles Steife und Langweilige vermeiden läßt, bringen sie bald Leben in jeden Cirkel, den sie besuchen.

Es ist mit Einem Wort ein frohes, glückliches Völkchen, und wer in ihrer Mitte nicht warm wird und seinen im gewöhnlichen Leben noch ängstlich gepflegten Zopf auf kurze Zeit vergißt, den kann man ruhig aufgeben. Er ist für die Gesellschaft verloren und paßt nur noch für »Gesellschaften«.

Es läßt sich denken, daß auch in der »Hölle« ein munterer Ton herrschte, wie denn auch vor Allem hier die Regel galt, nichts, und wäre es der bitterste Scherz gewesen, übel zu nehmen. Schon über der Thür stand auch auf einer großen, schwarzen Tafel mit dicken, goldenen, altdeutschen Buchstaben der etwas ungelenke Vers:

 
Wer hier in diese Stuben kombt ein,
Laß allen Ärger und Hader daheim.
 

Und gerade dieses laisser aller der Gesellschaft hatte manche junge Leute aus Kreisen, die sonst nicht gern ein »bürgerliches Wirthshaus« besuchen, veranlaßt, dann und wann hier vorzusprechen und sich ein Stündlein unter den Künstlern, unter denen sie immer einzelne Bekannte fanden, zu amüsiren. Besonders waren einige Artillerie-Officiere, die selber zeichneten und malten, regelmäßige Besucher der »Hölle« geworden und zogen dann wieder Andere nach.

So hatte sich denn auch am heutigen Abend, während vorn in der Weinstube die steiferen Bürger, Beamten und Professoren saßen, in der »Hölle« ein lustiges Völkchen zusammengefunden, das dem guten Weine des alten Trauvest wacker zusprach. Vom Theater schien aber nur das Schauspiel vertreten, da heute eine Oper gegeben wurde; sonst saß aber eine gemischte Gesellschaft in Uniformen, Sammetröcken und Joppen um den langen Tisch, und das Gespräch hatte sich gerade um einen Wein gedreht, den ihnen Trauvest als Markobrunner vorgesetzt und den ein Hauptmann von Seidlitz für Deidesheimer erklärte, so daß schon eine Wette angeboten und acceptirt war.

»Wo nur Handor heute bleibt?« rief Höfken, der das Fach der Charakterrollen am Theater bekleidete; »der hat die beste Zunge von uns Allen, und seinem Urtheil füge ich mich.«

»Topp, angenommen!« rief der Gegenpart.

»Handor muß etwas auf dem Strich haben,« meinte Berthel, der Heldenvater; »er geht mir schon seit etwa fünf Wochen mit einer Sorgfalt gekleidet…«

»Bah,« rief einer der Maler, »als erster Liebhaber muß er auf seine Toilette halten; er gilt ja bei der ganzen schönen Welt von Haßburg für das Modejournal der Stadt.«

»Ach was da, Modejournal,« knurrte Pfeffer, der unten am Tische bei einer halben Flasche Wein saß, »Schulden sind's, und damit er den Leuten Sand in die Augen streut, hängt er den Plunder um sich her; Esel, wenn sie sich davon blenden lassen.«

»Nein, Höfken hat Recht,« rief aber auch Berthel, »es muß etwas Anderes dahinter stecken – Schulden, bah! Wenn ein Mensch erst einmal so viel Schulden hat, daß er doch ganz gewiß weiß, er kann sie nicht bezahlen, dann machen sie ihm auch keine Sorgen mehr, und so steht's mit Handor. Nein, bei dem spukt etwas Anderes, und ich bezahlte wahrhaftig…«

»Eine Flasche Champagner, Kellner,« rief in diesem Augenblick eine laute, fröhliche Stimme, und als sich Alle danach wandten, stand Handor, der eben genannte erste Liebhaber, in der geöffneten Thür; »aber wohl in Eis, verstanden?« setzte er rasch hinzu, »oder auch gleich zwei, drei Flaschen, mein Junge, denn ich bin schmählich durstig heut Abend und schmählich vergnügt – Guten Abend, meine Herren!«

 

»He, Handor, beim Zeus! Junge, wo kommst Du her? Eben sprachen wir von Dir; wo bist Du gewesen?«

»Im Himmel, Kinder, im siebenten Himmel,« rief der junge Mann, indem er Hut und Stock an einen Nagel hing und dann einen Stuhl neben dem etwas zur Seite rückenden Höfken nahm, »direct aus den himmlischen Sphären stieg ich nieder in die »Hölle«, und nur der himmlische Trank kann mir Ersatz für das Verlorene geben.«

»Pff,« zischte Pfeffer durch die Zähne, »den Himmel, in dem der gesteckt hat, kenn' ich.«

»Alle Wetter, Handor,« lachte aber auch der Maler, »Sie scheinen heute Ihren splendiden Tag zu haben!«

 
»So lang der Wirth nur weiter borgt,
Sind wir vergnügt und unbesorgt!«
 

citirte Pfeffer.

»Vive la bagatelle!« rief aber Handor, ein ihm gereichtes Glas auf einen Zug leerend.

»Halt,« sagte Höfken »hier gilt es eine Wette; da, Handor, ehe Du uns Dein Abenteuer erzählst, sag' uns einmal, was für Wein das ist.«

»Und wer hat Dir gesagt, daß ich Euch überhaupt mein Abenteuer erzählen werde?«

»Als ob der schweigen könnte,« lachte ein Anderer; »hast Du wieder bei Deiner jungen Putzmacherin geschwärmt oder bei der dicken Banquierstochter, oder gar mit der kleinen Jüdin den Romeo gelesen? Der Mensch hat, bei Gott, ein Glück, um das man ihn beneiden könnte.«

»Thorheiten!« lachte Handor verächtlich; »welchen Wein meint Ihr?«

»Hier dieses Glas; aber jetzt koste vorsichtig, es gilt eine Wette.«

»Gebt mir vorher ein Stück Brod.«

Das Verlangte wurde gebracht, und während jetzt Handor den Wein mit Kennermiene prüfte und kostete, herrschte lautlose Stille in dem kleinen Raum. Trauvest, der gerade in die Thür trat, blieb auf der Schwelle stehen.

»Nun, wo ist der gewachsen?«

Handor kostete noch einmal. »Rüdesheimer Berg,« sagte er dann.

»Rüdesheimer?«

Handor nickte.

»Meine Herren,« sagte Trauvest, »ich muß Ihnen mittheilen, daß ich gestern zwei Fässer Wein, eins mit Markobrunner und eins mit Rüdesheimer Berg, habe abziehen lassen, und wie ich eben von meinem Küfer höre, hat er beim Siegeln den Lack verwechselt, was schuld an dem Irrthum ist; Herr Handor hat Recht, es ist allerdings Rüdesheimer Berg.«

»Alle Wetter,« rief Hauptmann von Seidlitz, »die Zunge muß Handor viel Geld gekostet haben!«

»Oder anderen Leuten,« meinte Pfeffer.

»Allen Respect übrigens vor Ihrer Zunge, Herr Handor,« fuhr Trauvest fort, »und wenn Sie das Theater aufgeben wollten, möchte ich Sie wohl als Reisenden engagiren; Sie sollten ganz vortreffliche Provisionen bekommen.«

»Herzlichen Dank, lieber Trauvest,« lachte der erste Liebhaber, »bin von Ihrer Güte überzeugt, befinde mich aber doch jetzt noch besser so. Sollte ich aber wirklich einmal in den Fall kommen…«

»Dann wenden Sie sich nur an mich, ich halte mein Wort,« nickte der alte Mann.

»Apropos, Handor,« rief der Maler Arnold, der ihm gegenüber saß, »haben Sie schon die schöne Fremde gesehen, welche heute angekommen ist, die Gräfin Rottack? Die Familie ist hier nach Haßburg übergesiedelt.«

»Nein,« rief Handor; »ist sie hübsch?«

»Bildschön,« versicherte Arnold ganz in Feuer. »Sie wurde mir heute unter den Buden gezeigt, wo sie mit ihrem Manne und den Kindern spazieren ging; ein reizendes Wesen mit einem von den Gesichtern, die der liebe Gott nur wenig Begünstigten mitgegeben, und denen man auf den ersten Blick gut sein muß. Und was für wunderbar goldenes Haar sie hat! Ich bin ihnen eine Weile nachgegangen, nur um die Sonne auf dem Haar blitzen und leuchten zu sehen.«

»Meiner Seel',« rief Pfeffer »wenn Sie so entzückt von rothen Haaren sind, weshalb malen Sie denn nicht einmal meine Schwester, die Bassini? Die brennt.«

Alle lachten.

»Der Pfeffer ist doch ein ganz nichtsnutziger Patron, nicht einmal seine eigene, leibliche Schwester kann er ungeschoren lassen,« rief Berthel.

»Bah, ungeschoren,« sagte Pfeffer, »sie trägt eine Perrücke!«

»Lassen Sie mir die Bassini in Ruhe!« rief Höfken dazwischen; »das ist eine ganz brave Person, wenn sie auch sonst vielleicht ihre Wunderlichkeiten hat. Und wie ordentlich und ehrlich bringt sie sich mit ihrer kleinen Gage durch, daß sie nicht einen Pfennig Schulden in der Stadt hat!«

»Das kann Handor auch von sich sagen,« meinte Pfeffer.

»Ich wollte, es wäre wahr, Pfeffer,« bemerkte Trauvest trocken, und ein tolles Gelächter brach von allen Seiten los.

»Lacht nur,« sagte aber der erste Liebhaber, während sich ein spöttischer Zug um seine Lippen legte; »wir wollen aber einmal sehen, wer von uns hier heute über vier Wochen die wenigsten Schulden haben wird, Ihr oder ich.«

»Du hast wohl in die Lotterie gesetzt?« fragte Höfken.

»Nein, er heirathet eine Gouvernante und wird Gouverneur,« meinte Pfeffer.

»Thorheit,« rief Handor, »da kommt der Champagner, und nun Gläser her und ein volles Glas den schönsten Augen!«

Für den Augenblick war jedes weitere Gespräch gestört, denn das Einschenken, Anstoßen und Trinken beschäftigte die Anwesenden so vollkommen, daß sie nicht einmal den Eintritt eines neuen Gastes bemerkten.

Es war der junge Graf Monford, der gar nicht etwa so selten die Künstlerkneipe besuchte, weil er dort immer sicher war, gute Gesellschaft zu finden.

»Nun mußt Du uns aber auch Deine schönsten Augen nennen, Handor,« rief Höfken ihm zu, »denn wenn ich ihnen ein Glas bringen soll, muß ich auch wissen, an welchem Theile des Himmels diese Sterne stehen.«

»Nie indiscret, Kamerad,« lachte Handor, »Jeder von uns trinkt den Augen, die er für die schönsten hält.«

»Und in dem Sinne nehme ich auch ein Glas mit,« rief George Monford; »heh, Kellner, noch Champagner!«

Handor war bei der Stimme rasch herumgefahren, und für den Augenblick verlor sein Antlitz jede Farbe; aber in dem Tumult bemerkte es Niemand, und Handor hatte auch rasch genug seine Fassung wiedergewonnen.

»Graf Monford,« rief er erfreut, ihm die Hand entgegenstreckend und sie herzlich schüttelnd, »lassen Sie sich auch einmal wieder bei uns sehen?«

»Ich bin heute eigentlich nur hergekommen, um Sie auf ein paar Minuten zu sprechen,« sagte der junge Mann.

»Mich?«

»Nachher; eine Geschäftssache,« lachte George; »Sie brauchen nicht zu erschrecken. Also den schönsten Augen, meine Herren, und da ist wohl Keiner hier, der den Toast nicht mittränke.«

»Bitte um Verzeihung,« sagte Pfeffer, »wenn ich auf etwas Derartiges anstieße, so wäre es höchstens auf die »beste Brille«; der Teufel soll die schönen Augen holen, wenn man Abends nicht mehr damit lesen kann.«

»Hahaha, Freund Pfeffer, immer giftig!«

Graf George rückte jetzt mit zum Tisch und das Gespräch wurde allgemeiner; nur Handor war merkwürdig einsilbig geworden, und so ausgelassen lustig er im Anfange geschienen, so schweigsam zeigte er sich jetzt, daß es sogar den Tischgenossen auffiel. Wie er aber nacheinander ein paar Gläser des feurigen Trankes hinuntergestürzt, wurde er etwas lebendiger; doch lagen ihm immer noch die paar Worte auf dem Herzen, welche ihm der junge Graf vorher gesagt. Was wollte der von ihm? Eine Geschäftssache? War er dem Liebesverhältniß mit dessen Schwester auf die Spur gekommen und wollte ihn jetzt vielleicht gar fordern? Die Cavaliere nannten das eine Geschäftssache. Das Gefühl wurde ihm zuletzt so unbehaglich und drückend, daß er aufstand, hinter Graf George's Stuhl ging und, leise seine Schulter berührend, sagte: »Mein lieber Herr Graf, Sie wollten mir vorhin etwas mittheilen; wenn ich bitten dürfte, ich kann nicht mehr lange bleiben.«

»Ach ja,« rief George, indem er aufsprang und nach seiner Uhr sah, »meine Zeit ist ebenfalls um; sagen Sie einmal, lieber Handor,« fuhr er dann leise fort, indem er ihn unter dem Arm nahm und etwas bei Seite führte, »ich habe eine Bitte an Sie.«

»An mich?«

»Zuerst muß ich Ihnen die Mittheilung machen, daß wir morgen über acht Tage, also am Freitag, die Verlobung meiner Schwester Paula in unserem Hause…«

»Ihrer Schwester Paula…?«

»Bst, nicht so laut, die Sache ist noch Geheimniß, soll wenigstens nicht vor der Zeit öffentlich bekannt werden, und ich ersuche Sie auch deshalb um Ihre Discretion; also daß wir dann in unserem Hause Paula's Verlobung feiern, und ich wollte sie gern zu dem Tage, unter anderen Sachen die ich mir ausgedacht, mit der Aufführung irgend eines hübschen Stückes auf unserem kleinen Liebhaber-Theater überraschen. Haben Sie etwas recht Hübsches, Neues, das wir bis dahin noch lernen können, und sind Sie vielleicht selber im Stande, uns bei der Inscenesetzung und den Proben zu unterstützen? Aber es muß natürlich Alles heimlich betrieben werden, denn weder Braut noch Bräutigam dürfen etwas davon erfahren.«

»Herr Graf,« sagte Handor, und er mußte sich Mühe geben, die Worte heraus zu bringen, so hatte der Schreck über die all' seinen Hoffnungen drohende Nachricht seine Zunge gelähmt, »ich – ich glaube gewiß, daß ich etwas Passendes finde, und stehe Ihnen mit Vergnügen zu Diensten.«

»Danke Ihnen, lieber Handor,« sagte der junge Mann, indem er ihm die Hand drückte, »Sie werden uns dadurch unendlich verbinden; Sie wissen ja selber, wie meine Schwester das Theater liebt und dafür schwärmt. Irgend ein hübsches neues Lustspiel von Scribe vielleicht und nicht zu lang; aber Sie können am besten beurtheilen, was dafür passend ist.«

»Gewiß, Herr Graf, gewiß, ich – ich finde sicher etwas; nur – nur in diesem Augenblick…«

»Nun, natürlich läßt sich das nicht so Knall und Fall bereden,« sagte Graf George; »überlegen Sie sich die Sache, und bitte, geben Sie mir morgen Abend spätestens Nachricht. Ich muß jetzt fort, denn ich bin zu einer Whistpartie engagirt. Also, adieu Handor, auf Wiedersehen!« und damit reichte er ihm die Hand. »Guten Abend, meine Herren!«

Handor trat zum Tisch zurück und mußte sich merklich zwingen, seine ruhige Fassung zu bewahren. Er bestellte noch eine Flasche Champagner und trank hastig; aber die Gedanken ließen ihm nicht Ruhe, er mußte allein sein und stand endlich auf, die Gesellschaft, der seine Aufregung nicht entgehen konnte, zu verlassen.

Ein paar Gäste wollten ihn noch mit seiner Zerstreutheit necken; aber er ging nicht auf ihre Scherze ein und verließ endlich nach einer unbestimmten Entschuldigung das Zimmer.

Draußen an der Treppe, die hinauf auf die Straße führte, traf er Trauvest, an dem er mit einem kurzen Gruß vorüber wollte.

»Hören Sie, mein lieber Handor,« redete ihn dieser an.

»Ja, Trauvest?«

»Sie nehmen es mir nicht übel,« fuhr der Wirth freundlich fort, »aber ich muß Sie wirklich bitten, daß Sie mir wenigstens einen Theil Ihrer schmählich aufgelaufenen Rechnung zahlen. Ich selber habe meine letzte Weinsendung in den nächsten Tagen zu berichtigen und bin wirklich in Verlegenheit, wo ich das Geld hernehmen soll; ich würde Sie sonst doch noch nicht belästigen.«

»Hm, ja, Trauvest, wie viel bin ich Ihnen denn eigentlich so ungefähr schuldig?«

»Nun, es werden ohne das Heutige immer so eine dreihundert und einige siebzig Thaler sein.«

»Dreihundert, alle Teufel, das hat sich merkwürdig aufsummirt!«

»Ja, lieber Gott,« sagte Trauvest achselzuckend, »billige Weine trinken Sie nicht, und eine hübsche Zeit ist ebenfalls verstrichen, seit Sie die letzte Abzahlung machten.«

»Sie haben Recht, Trauvest,« sagte Handor, indem er seinen Paletot zuknöpfte; »den Wievielten schreiben wir heute?«

»Der Monat geht auf die Neige.«

»Am Ersten sollen Sie bedacht werden, Sie gehen vor.«

»Vergessen Sie's nur nicht, Herr Handor.«

»Gewiß nicht, alter Freund; guten Abend!« Und er stieg die Treppe hinauf, die hinaus in's Freie führte.