Kitabı oxu: «Hans der Pole»

Şrift:

Gräfin Bethusy-Huc

Hans der Pole

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

XXIII.

XXIV.

XXV.

XXVI.

XXVII.

XXVIII.

XXIX.

XXX.

XXXI.

XXXII.

XXXIII.

XXXIV.

XXXV.

XXXVI.

XXXVII.

XXXVIII.

XXXIX.

XXXX.

XXXXI.

XXXXII.

XXXXIII.

XXXXIV.

Impressum neobooks

I.

Hans der Pole

Roman

Valeska Gräfin Bethusy Huc

(Moritz von Reichenbach)

Berlin Verlagsbuchhandlung Alfred Schall Königlich Preuß. U. Herzogl. Bayer, Hofbuchhändler

Verein der Bücherfreunde.

Der Wagen fuhr von der staubigen Chaussee ablenkend über einen Landweg, der von Apfelbäumen überblüht war. Unter den rosigen Zweigen grünten die Felder und dahinter stand die dunkle Wand des Kiefernwaldes, erhellt von Birken mit weißen Stämmen und zartgrünem Laube.

Hans Walsberg blickte hinüber und sah dann seinen Freund Benno Arden an, der neben ihm im Wagen saß. Ein glückliches Lächeln spielte um Hansens Mund. „Dort habe ich im vorigen Jahre einen kapitalen Bock geschossen“, sagte er. „Heut gegen Abend fahren wir hinaus – es stehen noch ein paar gute Böcke dort. Und den Wald muss ich Dir zeigen!“ Die Freude an der heimischen Scholle blitzte ihm aus den Augen.

„Ist Warozin eigentlich Majorat?“, fragte der andere.

„Nein –“

„Nun, für Dich kann’s gleich sein, Du bist der einzige Sohn – aber im Allgemeinen sollten alte Familiengüter in unserer schnelllebigen Zeit so viel als möglich zu Majoraten gemacht werden, um sie den Familien zu erhalten. Der Güterschacher nimmt so überhand!“

Das junge Gesicht Benno Ardens nahm dabei einen altklugen Ausdruck an.

„O, ich würde mich nie von Warozin trennen“, rief Hans lebhaft. „Jeden Baum und jeden Steg kenne ich hier. Wenn ich auf Urlaub herkomme, ist’s, als spräche jeders Ding zu mir – Du kannst Dir so etwas nicht vorstellen, Du bist ein Stadtkind –“

„Ich glaube doch, ich kann’s verstehen, und ich freue mich darauf, Deine Heimat kennen zu lernen und –“

Er verschluckte den Nachsatz „und Deine Mutter“, denn es fiel ihm ein, dass diese Mutter eigentlich die einzige Schattenseite seines Freundes war, ein Frau aus dem Volke, die der alte Baron Walsberg unbegreiflicherweise geheiratet hatte und die nun als Witwe auf dem Herrnsitze saß und das Gut für ihren noch minderjährigen Sohn verwaltete.

Benno war mir Hans Walsberg zusammen auf Kriegsschule gewesen, vor drei Wochen hatten sie gleichzeitig das Leutnantspatent erhalten, sie trugen dieselbe Uniform und nannten einander Freunde – Hans, weil Bennos korrekte Ausgeglichenheit ihm imponierte, Benno, weil Haans außer ihm der einzige Träger eines alten Namens im Regiment war.

„Dort hinter den Pappeln liegt der Gutshof“, sagte Hans. Der Wagen fuhr an einer Gertenmauer entlang, der Duft blühenden Flieders mischte sich mit leichtem Stallgeruch. Jetzt ging es durch einen Torweg – da lag das langgestreckte Haus mit dem hohen Dach und der breiten Holzveranda. – „Willkommen daheim!“ rief Hans, die Hand auf die Schulter des Freundes legend, der sich unwillkürlich ein wenig in Positur rückte.

Hansens Blick überflog den Platz vor der Veranda. Dort pflegte seine Mutter sonst zu stehen, wenn er kam. Heute war sie nicht da, auch der alte Johann fehlte – nein da kam er atemlos vom Garten her gerannt – gerade noch zu rechter Zeit, um den Wagenschlag zu öffnen.

„Untertänigst guten Morgen, gnädiger Herr!“

„‘n Tag, Johann, ‘n Tag – was ist denn los, Alter, bist Du krank? Wie siehst Du denn aus? Wo ist die Frau Baronin?“

Der Alte machte ein verzweifeltes Gesicht, wie einer, der weinen möchte und es nicht wagt. „Frau Baronin sind mit den Herren bei’m Ananashaus“.

„Mit was für Herren?“

„Ach, der Herr Baron wissen nicht? Der Herr von Wolffen sind hier und – die anderen Herren“.

Hans überhörte den Nachsatz.

„Wolffen ist mein Vormund“, sagte er erklärend zu Benno, „das trifft sich schlecht – aber komm, ich will dich zunächst in Dein Zimmer führen, nachher suchen wir Mama im Garten“.

Sie traten in das Haus. Gegenüber stand die Tür des Gartensaales offen. Man sah einen für mehrere Personen gedeckten Tisch mit halbgefüllten Gläsern und durcheinander geworfenen Servietten.

Hans blieb befremdet stehen.

„Wer ist noch hier?“ frage er.

„Ach, bloß noch die beiden Herren von Mielosenski–“

„Wer sind denn die, was wollen die hier?“

Vom Garten her klangen Stimmen.

Eine stattliche Frau in mittleren Jahren kam eilig die Stufen der Veranda herauf und eilte auf Hans zu.

„Mein Hans, mein lieber Sohn!“ Sie schlang beide Arme um Hans und küsste ihn mit einer wilden Zärtlichkeit.

„Du triffst es schlecht, aber ich werde Dir alles erklären, alles – “, sie bemerkte Benno und wandte sich an ihn.

„Es tut mir leid, dass Sie es heute so unordentlich finden, so alles durcheinander“, sagte sie, und dann wieder zu Hans gewendet: „Wie ich Dir den Wagen schickte, wusste ich nicht, dass der Wolffen und die anderen gerade heute kommen würden – auf einmal waren sie da, ich kann nichts dafür“.

„Aber Mama, erkläre mir nur, was ist es denn mit diesen Leuten?“

„Alles wirst Du wissen, alles, alles – ach, da sind sie schon – “

Herr von Wolffen kam, von zwei Herren gefolgt. In wunderlich gehaltener Weise begrüßte er seinen Mündel, so etwa, wie man einander bei einem Kranken begegnet, der äußere Schonung erfordert; die verschiedenen Herren wurden vorgestellt, ohne dass sie wussten, was sie auseinander machen sollten, und in die nichtssagenden Begrüßungen hinein klang auf einmal ein lauter, unartikulierter Ton, wie ein Aufschluchzen, und der alte Johann rannte zur Haustür hinaus, die Stufen der Veranda hinab, dass Hans ihm entsetzt nachstarrte.

„Lass ihn“, sagte seine Mutter, „er ist schon alt, er ist wie ein Kind – geh‘ jetzt in Dein Zimmer mit Deinem Freunde, gehe, ich werde Dir nachher alles sagen!“

„Ja, gehe nur jetzt“, sagte Herr von Wolffen hinzu, „aber es ist gut, dass du gerade heut kommst, denn es ist ein wichtiger, entscheidungsvoller Tag für uns alle!“

Hans sah von einem zum andern hin. Eine tiefe Falte stand auf seiner jungen glatten Stirn.

„Ich verstehe Euch nicht“, sagte er, „aber wenn es etwas Schweres ist, das ich erfahren soll, so bitte ich Euch, es mir zu sagen – ich bin kein Kind, das der Schonung bedarf, und Herr von Arden ist hier mein Freund, ihr dürft offen vor ihm sprechen, also, ich bitte Dich, Mama, sprich!“

„Ach Gott, mein Sohn, mein liebes Kind, es ist ja noch nicht ganz bestimmt – man kann es ja noch nicht sagen“ –

„Ich bitte in der Kanzlei einzutreten“, damit öffnete Herr von Wolffen eine Tür um gleich darauf mit den Beiden Fremden hinter derselben zu verschwinden. „Mutter!“ wiederholte Hans bittend, die Hand der Frau ergreifend.

„Ich kann nichts dafür Hans“, sagte sie in Weinen ausbrechen, „aber die beiden Herren sind hier, um sich Warozin anzusehen – sie bitten einen guten Preis“ –

„Einen Preis? Einen Preis für Warozin!“, schrie Hans auf. Mutter, dafür gibt’s keinen Preis, Warozin gehört mir, ich trenne mich nie davon, hörst Du, nie, nie –“

Benno Arden war an die Glastür getreten und blickte in den Park hinaus. Weder Hans noch seine Mutter achteten auf ihn.

„Ach mein lieber Sohn, Du weißt ja nicht alles, es ist zu schrecklich, Deine arme Mutter hat zu viel gelitten – so viel –“ ihr Stimme erstarb in Schluchzen. Hans stand ihr einen Augenblick fassungslos gegenüber. Dann erinnerte er sich plötzlich Benno Ardens. Mit einer hastigen Bewegung wandte er sich nach ihm um.

„Komm“, sagte er mit veränderter Stimme, „es tut mir leid, dass Du es so triffst – ich sehen ja noch nicht klar – aber zunächst können wir doch nicht alle im Korridor bleiben – ich begleite Dich!“

„Ich fürchte, ich bin hier sehr ungelegen“, erwiderte Benno in ersichtlicher Verlegenheit. „Erlaube, dass ich den nächsten Zug benutze – – “

„Nein, erst muss ich genau wissen, was hier vorgeht – bitte, komme mit mir ins Fremdenzimmer, das jedenfalls für Dich zurechtgemacht ist und dort werde ich Dir in spätestens einer halben Stunde Bescheid bringen“.

„Lasse mich Dich lieber im Garten erwarten, ich sehe dort einen schönen Platz unter der Linde –“

„Gut, wie Du willst“.

Benno entfernte sich. Hans kehrte zu seiner Mutter zurück, die, beide Elenbogen auf das Treppengeländer stützend, das Gesicht in ihre Hände vergraben, bitterlich weinte.

Er umfasste sie.

„Mutter, was ist geschehen?“

Sie hob den Kopf und fasste mit beiden Händen das Treppengeländer, als wolle sie es zerbrechen.

„Gequält haben sie mich, der Vormund und der Inspektor, immerzu, immerzu! Ich wollte nicht, dass sie Dich auch quälen sollten, Du solltest glücklich sein, was brauchtest Du auch zu wissen, dass es schlecht hier stand, Du konntest es doch nicht ändern. Aber jetzt, wo Du Offizier bist, wollte der Vormund es Dir sagen – wir standen vor der Subhastation oder vor dem Verkauf an die Landbank, die so wenig zahlen wollte. Da kamen diese Mielosenskis – wie die Engel vom Himmel kamen sie – und sie wollten so viel bezahlen, dass uns noch ein Vermögen von 300 000 Mark übrig bleiben wird – wie soll man denn da „nein“ sagen? Wenn Warozin subhastiert wird, sind wir Bettler!“

Totenblass mit fest aufeinander gepressten Lippen stand Hans neben ihr.

„So stand es – und ich – ich ahnte nichts“ – murmelte er. Die Frau fing wieder an zu weinen.

„Ach Du Lieber Du – Du warst ja noch ein Kind mit Deinen 20 Jahren, warum sollte man Dir das Leben schwer machen“, stieß sie hervor.

Mit seinen 20 Jahren! War er wirklich noch so jung? Und hatte er wirklich wie ein rechtes Kind immer nur in den Tag hinein gelebt in dem Bewusstsein, dass es um den väterlichen Besitz zwar nicht glänzend stand, dass es aber doch ein schönes Gut sei, das er einmal übernehmen und dann zu ungeahnter Blüte heraufbringen würde? Das alles erschien ihm jetzt so unmöglich, so ganz unwahrscheinlich – ihm war, als sei er plötzlich alt geworden, so alt, dass aller Jugendfrohsinn ihm wie ein fernliegender, für alle Zeiten zerstörter Traum erschien.

„Subhastiert – subhastiert sollte Warozin werden – und ich wusste nichts!“ wiederholt er.

Sie dachte nur daran, sich vor ihm zu rechtfertigen.

„Wir hätten es Dir ja diesmal gesagt – der Vormund und ich, wir hatten es schon besprochen. Die Subhastation hätte doch erst in einem halben Jahre oder so herum stattgefunden. Da solltest Du noch einmal froh sein in Warozin, und als Du schriebst, Du brächtest noch einen Freund mit, das dachte ich: es ist gut, er soll noch einen schönen Tag haben mit seinem Freunde – der Vormund sollte erst übermorgen kommen – da war noch Zeit genug zum Weinen und zum Traurig sein, und Dein Freund wäre vorher abgereist und hätte nichts schlimmes gehört. Da kommt der Wolffen vor drei Stunden hier an mit den Käufern – ich denke, der Schlag rührt mich! Aber es ist doch gut, Hans, es ist doch gut für uns – bloß dass Du nichts gewusst hast, und wie Du so blass und erschrocken ausgesehen hast, das hat mich verrückt gemacht, Hans, und mir ist der Kopf so wirr, siehst Du, und dass Du nun nicht noch den einen schönen Tag haben solltest – – “

Hans unterbrach sie.

„Wenn sie erst vor drei Stunden gekommen sind, dann haben sie es doch noch nicht gekauft, dann kann noch alles rückgängig gemacht werden –“

Sie trocknete ihre Tränen und sah ihn mit großen, erstaunten Augen an.

„Rückgängig? Aber es ist ja so ein großes Glück Hans –“

„Ein Glück, das mir fast das Herz bricht, Mutter, und über das Du heiße Tränen weinst –“

„Ach Hanitschko, ich weine doch bloß über Dich, wie es Dir so weh tut, und auch weil das alles so schnell kommt, und ich bin doch seit 21 Jahren hier in Warozin und habe Dich hier geboren, und Du bist doch mein ganzes Glück und mein einziges, was ich auf der Welt habe!“

Sie fing wieder an zu weinen, und Hans strich unwillkürlich wie tröstend über ihren braunen Scheitel, aus dem sich ein paar widerspenstige rötlich schimmernden Löckchen stahlen, und ihm war zu Mute, als sei er in diesem Augenblicke viel älter als seine Mutter.

„Ich gehe jetzt zum Vormund“, sagte er und schritt der Kanzlei zu, in die vorher Herr von Wolffen mit den Beiden Fremden eingetreten war.

„Tu’s nicht, tu’s nicht, Hanitschko, es nutzt ja doch nichts“, rief sie ihm nach. Aber er war schon hinter der Tür verschwunden. In der Kanzlei saß Herr von Wolffen am Schreibtisch, und die beiden anderen saßen ihm gegenüber. Bei Hansens Eintritt sahen sie alle auf, wie Leute, die bei einer wichtigen Sache unliebsam gestört werden. Aber ehe Herr von Wolffen das tadelnde Wort, das er offenbar auf den Lippen hatte, aussprechen konnte, stellte Hans die Situation klar, indem er sagte: „Wenn hier von Verkauf von Warozin die Rede ist, do denke ich, dass ich als Erbe und künftiger Besitzer dabei sein muss“.

Herr von Wolffen rückt seinen Kneifer gerade.

War denn das das Kind in Kadettenuniform, das er bisher gekannt und mit leichter Mühe bevormundet hatte?

„Mein lieber Hans, das Leben bringt eben noch andere Konflikte mit sich, als man sie im Kadettenkorps kennen lernt, ich habe es daher für überflüssig gehalten, Deine Jugend vorzeitig mit Dingen zu beunruhigen, die noch nicht spruchreif waren. Wenn Du an unserer Verhandlung Teil zu nehmen wünschest, so wird das die Sache weder für Dich noch für uns erleichtern“.

Hansens Wangen brannten.

„Ich habe im Kadettenkorps allerdings keine anderen praktischen Einblicke ins Leben gewinnen können als die, die mit dem Dienst zusammenhingen“, sagte er, „aber ich werde suchen das zu verstehen, was Du mir sagen wirst, Onkel Wolffen. Weshalb ist von einem Verkauf von Warozin überhaupt die Rede?“

Herr von Wolffen zuckte die Achseln. Er nahm eins der dickleibigen Rechnungsbücher, die vor ihm lagen, und schob es Hans hin.

„Wenn Du das durchsehen willst, wirst Du Dir selbst die Antwort auf Deine Frage geben können“, sagte er.

Da erhob sich der ältere der Herren von Mielosenski, ein schmächtiger Mann mit einem feinen, blassen Gesicht.

„Es tut mir sehr leid, Herr von Walsberg, dass wir Ihnen Kummer bereiten“, sagte er, an Hans herantretend, und mit einem leichten Lächeln Herrn von Wolffen streifend, fügte er hinzu: „Und ich begreife auch, dass die Interpellation des jungen Herrn Ihnen gerade in unserer Gegenwart einige Verlegenheit bereitet, mein verehrte Herr von Wolffen. Aber ich möchte zugleich Ihnen beiden sagen: mein Bruder und ich, wir sind genau orientiert über die missliche Lage, in der sich die Verwaltung von Warozin befindet, wir wissen, dass das Gut überschuldet ist, dass Meliorationen notwendig sind und Barmittel bei dem erschöpften Kredit nicht zu beschaffen sind. Wenn wir trotzdem ein gutes Gebot machen, so geschah das in der Überzeugung, dass Warozin diesen Preis wert ist. Wir sind nicht gesonnen, aus Ihrer momentanen Verlegenheit Nutzen zu ziehen und den Preis zu drücken. Sie können daher auch in unserer Gegenwart diesem jungen Herrn offen sagen, dass Sie das Gut unter keinen Umständen mehr zu halten vermögen“.

„Ich kann Ihnen leider nicht widersprechen“, sagte Herr von Wolffen, „Du hörst damit in kurzen Worten, wie es steht – – “

„Aber ist es denn ausgeschlossen, dass die ganze Arbeitskraft eines jungen Menschen hier Wandel schaffen könnte?“ rief Hans. „Ich bin bereit, sofort den Abschied zu nehmen und wie ein Tagelöhner zu leben und zu arbeiten –“

Herr von Mielosenski trat mit ausgestreckten Händen auf ihn zu.

„Lassen Sie mich Ihre Hände drücken, Herr von Walsberg, wenn ich einen Sohn hätte, ich wünschte ihn mir nicht anders, als Sie sind, und mein Herz blutet, dass gerade ich es sein muss, der Ihnen das Erbe Ihrer Väter entreißen will!“

Seine Augen schimmerten feucht, er sprach ein paar Worte in polnischer Sprache zu seinem Begleiter, auch dieser erhob sich und trat an Hans heran.

„Glauben Sie auch mir, dass ich ganz mit Ihnen fühle, Herr von Walsberg, es ist ein schweres Schicksal, und wir bitten Sie, uns nicht zu zürnen wegen einer Sache, die zu ändern weder in Ihrer noch in unserer Macht steht“.

„Ich kann das aber nicht glauben, dass es so hoffnungslos steht“, rief Hans, „ich bitte Sie, mir Zweit zu lassen, mich wenigsten persönlich genau zu informieren –“

Wieder wechselten die Mielosenskis einige Worte in polnischer Sprache, während Herr von Wolffen heftig auf seinen Neffen einsprach.

„Willst Du die einzige Chance, die sich noch bietet, vorüber gehen lassen, dann lege ich die Vormundschaft nieder, dann macht, was Ihr wollt“.

Der ältere Mielosenski trat zwischen sie.

„Was Herr von Walsberg verlangt ist nicht mehr als recht und billig“, sagte er, „mein Bruder und ich sind einverstanden damit, dass der junge Herr erst in alles Einsicht nimmt. Wir werden in drei Tagen wiederkommen und hoffen dann bestimmt die Angelegenheit zum Abschlusse zu bringen mit der vollen Zustimmung des Herrn von Walsberg, dem wir die Berechtigung zuerkennen, in diese Sache entscheidend mitzusprechen“.

Als kurze Zeit darauf der Wagen mit den beiden Mielosenskis von der Rampe rollte, sagte Herr von Wolffen zu seinem Münder: „Na, wenn nun aus der ganzen Sache nicht wird, dann kannst Du und Deine Mutter betteln gehen – aber ich wasche meine Hände in Unschuld!“

II.

Vierundzwanzig Stunden später wusste Hans, dass ihm nichts anders übrig bleib als der Verkauf. Er hatte Rechnungsbücher und Wirtschaftsbeläge fast die ganze Nacht hindurch studiert, bis vor seinen, in solchen Dingen ungeübten Augen Zahlen und Worte in wirrem Durcheinander verschwammen. Er hatte lange Unterredungen mit Herrn von Wolffen und den Beamten gehabt, hatte dann wieder studiert und gerechnet – und nun wusste er genau, wie schlecht es um Warozin stand.

Benno Arden war abgereist, Herr von Wolffen ebenfalls. – Hans ließ ein Pferd satteln und ritt mit heißem Kopf und schwerem Herzen hinaus, dem Walde zu. Noch einmal wollte er dort unter seinen Bäumen auf seinem Grund und Boden stehen, Abschied nehmen – Abschied nehmen! Die Augen wurden ihm feucht dabei. Rotgoldene Sonnenlichter lagen über dem grünen Kleefeld, an dem der Feldweg entlang führte. Und so üppig stand der Klee, so recht zur Freude des Landmanns. Dort am Rande des Waldes waren Rehe herausgetreten und ästen ruhig weiter, als wüssten sie, dass ihnen heut von dort her keine Gefahr drohte. Jetzt nahm der Wald den Reiter auf. Langsam ging das Pferd über den moosigen Weg. Hinter den Bäumen und Büschen war es Hans, als lugte liebe Augen nach ihm aus – Kindheits- und Jugenderinnerungen drängten sich um ihn, und die Zweige raunten und die Vogelstimmen im Walde riefen: Weißt Du noch, erinnerst Du Dich?

Ja, ja er kannte sie alle. Hier hatte er seinen Vater auf einer Pirschfahrt begleitet, dort hatte er den ersten Hasen, dort den ersten Bock geschossen. Unter den Eichen am Wiesenrande war der Zauber der Waldeinsamkeit ihm zum ersten Male zum Bewusstsein gekommen, und auf dem Wege zwischen den Fichten hatte der alte Waldhüter ihm Schmugglergeschichten erzählt. Unwillkürlich schlug er den Weg zu dem ganz von Holz erbauten Waldhüterhause ein, das verloren am Wiesenrande unter uralten Eichen stand; aber auf halbem Wege wandte er sein Pferd. Nein, er konnte den Mann jetzt nicht sehen – was sollte er ihm sagen? Wie sollte jener, der im Laufe der Zeiten selbst wie ein Teil seines Waldes geworden war, es verstehen, dass der „junge Herr“ nicht für alle Zeit sein Herr und Herr des Waldes hier bleiben sollte? Hans ritt am Wiesenrande hin und bog in den Weg ein, der durch die Schonung führte. Er erinnerte sich, als Kind gesehen zu haben, wie sie gepflanzt wurde. Jetzt waren die Kiefern ihm schon über den Kopf gewachsen, und auf ihrem dunklen Zweigen standen die jungen lichtgrünen Triebe wie Kerzen, die sie zu freudigem Empfange dem Herrn des Waldes entgegenstreckten. Dem Herrn des Waldes! Morgen oder übermorgen kamen die Mielosenskis.

Unter einer der hohen Samenkiefern, die die Schonung überragte, war eine halbzerfallene Moosbank. Hans stieg vom Pferde, strich über den glänzenden Hals des Tieres und warf ihm die Zügel über den Kopf.

„Bleib‘ hier, Schwarzer“, sagte er. Und das Pferd senkte den Kopf und knabberte an den Gräsern auf dem Wege, als habe es verstanden, dass es galt, hier zu rasten. Sie kannten einander ja schon von der Fohlenkoppel her – und sie waren immer gute Kameraden gewesen der „junge Herr“ und der Schwarze. Hans setzte sich auf die Moosbank uns sah dem Pferde zu.

Von dem musste er sich nun auch trennen! Eine halb entwurzelte junge Fichte stand am Wege. Noch trugen ihre Zweige die lichtgrünen Maitriebe – aber Luft und Sonne würden die bloßliegenden Wurzeln austrocknen, und dann musste sie zugrunde gehen.

„Das ist mein Bild“, murmelte Hans, „die Wurzeln der heimischen Scholle entrissen, dem Untergange geweiht“ – er stützte den Kopf in die Hände, und schloss die Augen. Das Leben schien ihm so wertlos!

Aus dem Forst tönte das Gurren der wilden Tauben. In den Büschen am Wiesenrande begannen die Nachtigallen zu locken. Wie das alles Hans an seine Kindheit erinnerte! Vor seiner Seele stand die Gestalt seines Vaters, wie er ihn zuletzt hier an dieser selben Stelle gesehen hatte – kraftvoll und lebensvoll. Hans war ein zehnjähriger Junge. Ein Förster machte damals seinem Vater irgendwelche Vorstellungen; und durch den Nebel der Vergangenheit hindurch hörte Hans die Stimme seines Vaters, die längst für immer verstummt war, antworten: „Ach was, ich pfeife drauf! Ich tue, was ich will, auf alles andere pfeif‘ ich!“. Und dann hörte er plötzlich das leise heimliche Lachen seiner Mutter. Sie lachte und sang nur, wenn sie mit Hans allein war. In Gegenwart des Vaters duckt sie sich, wie ein scheuer Vogel. Was hatte Hans doch für eine sonderbare Kindheit gehabt zwischen diesen beiden Menschen, die nichts Gemeinsames zu verbinden schien. Warum hatten sie sich geheiratet – warum musste Hans ins Leben gesetzt werden – wozu war denn sein Leben nütze? Wenn er Warozin daraus ausstrich – was sollte er noch? Wäre es nicht besser, nicht zu sein? Wie der Gedanke ihn lockte! Hier unter den Bäumen, umtönt von all den vertrauten, lieben Waldstimmen auslöschen – nicht mehr denken, nicht mehr leiden. – Freilich – die Mutter war noch da; aber sie freute sich ja so über das Geld, das nach dem Verkauf übrig blieb. Trotz garte in Ihm auf. – Mochte sie doch das ganze Geld haben, allein für sich – sie würde sich schon trösten!

Etwas Warmes, Weiches berührte seinen Kopf. Hans fuhr auf. Der Schwarze stand vor ihm, beschnupperte ihn und sah ihm mit großen braunen Augen ins Gesicht, als habe die Regungslosigkeit seines Herrn ihn beunruhigt. Auf den Waldwipfeln lag der letzte Goldglanz des Abends, und der Frühlingshimmel spannte sich lichtblau verheißungsvoll darüber aus.

O Gott, es war doch schön, das alles!

Hans atmete rief auf; und plötzlich griff er nach einem breiten Holzscheit, das am Wege lag und begann die losen Wurzeln der Fichte in den weichen Waldboden einzugraben. Dann richtet er das Bäumchen gerade und stampfte den Boden mit den Füssen fest.

„Dir konnte ich noch gerade helfen“, murmelte er – und er freute sich, dass der junge Baum nun wieder fest stand, und der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, dass er in zehn Jahren wohl wiederkommen und nachsehen könnte, was aus seinem Pflegling geworden sei. Dabei zerflatterten ihm die Todesgedanken wie Nebel, er fühlte das warme Leben in seiner Hand, die soeben das Leben der Fichte erhalten hatte, fühlte, dass es eine Lust war, die Waldluft zu atmen, dem Wipfelrauschen und Vogelstimmen zu lauschen – zu leben und jung zu sein.

„Vielleicht zerschlägt sich der Verkauf doch noch“, dachte er „oder ich komme noch einmal hierher zurück – irgendwo wartet das Glück vielleicht auf mich und kommt und setzt mich auch wieder in den Boden ein, aus dem sie mich jetzt herausreißen“.

Er wandte sich dem Pferde zu.

„Komm, Schwarzer, wir wollen nach Hause reiten!“

1,87 ₼
Janr və etiketlər
Yaş həddi:
0+
Həcm:
360 səh. 1 illustrasiya
ISBN:
9783738036558
Naşir:
Müəllif hüququ sahibi:
Bookwire
Yükləmə formatı:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip