Kitabı oxu: «Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung»

Şrift:

Gunther Schmidt

Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung

Neunte Auflage, 2020


Über den Autor

Gunther Schmidt, Dr. med., Dipl. rer. pol., Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, ist Ärztlicher Direktor der sysTelios Privatklinik für Psychotherapie und psychosomatische Gesundheitsentwicklung sowie Leiter des Milton-Erickson-Instituts Heidelberg. Er ist Mitbegründer des Heidelberger Instituts für systemische Forschung und Beratung, der Internationalen Gesellschaft für Systemische Therapie (IGST), des Carl-Auer-Verlags, des Helm-Stierlin-Instituts in Heidelberg und des Deutschen Bundesverbands Coaching (DBVC), Ausbilder der MEG, Lehrtherapeut, Lehrender Supervisor der SG und der DGSF sowie Senior Coach des DBVC. 2011 erhielt er den Life Achievement Award der Weiterbildungsbranche, 2014 den MEG-Preis, 2015 den Coaching Award der deutschen Coaching Convention und 2017 den winwinno-Preis der Fördergemeinschaft Mediation DACH e.V., Deutschland, Austria, Schweiz.

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlag: Heinrich Eiermann

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in the Czech Republic

Druck und Bindung: FINIDR, s. r. o.

Neunte Auflage, 2020

ISBN 978-3-89670-470-2 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8254-2 (ePUB)

© 2005, 2020 Carl-Auer-Systeme Verlag

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Inhalt

1.Der hypnosystemische Ansatz

2.„Hypnose“ und „Trance“

2.1Typische Vorurteile und Mythen hinsichtlich „Trance“ und „Hypnose“

2.2Ein qualitativ orientiertes, für Therapie flexibel nutzbares Tranceverständnis

2.3Unser „dreifältiges Gehirn“ und der daraus abgeleitete Nutzen einer systematischen Arbeit mit Tranceprozessen

3.Aufmerksamkeitsfokussierung – Eine zentrale Beschreibungsebene des Verständnisses dafür, wie Erleben und Verhalten entstehen und gestaltet werden

3.1Hypnotherapeutische Prozesse und Aufmerksamkeitsfokussierung – völlig natürliche Alltagsphänomene und Belege für die „Potenzialhypothese“

3.2Priming

4.Verständnis von Problemen und Symptomen als Ergebnis von selbsthypnotischen Tranceinduktionen

5.Der systemische Ansatz

5.1Systemische Prämissen

5.2Die Regelungsprozesse im System als Tranceinduktion („Regeltrance“)

6.Realität als Konstruktion von „Problemgeweben“ und „Lösungsgeweben“

6.1Ein Modell der Musterorganisation als Basis für die Kooperation mit Unwillkürlichem

6.2Grundaufgaben einer kompetenzfokussierenden Hypnotherapie

6.3Interventionen als Maßnahmen der Unterschiedsbildung – „Verhäkeln“ und „Enthäkeln“ bzw. „Neuverhäkeln“

7.Die Definition von „Therapie“ oder „Beratung“ als zieldienliche, kontextadäquate und kompetenzfokussierende Intervention

8.Typische Phasen und Schritte von hypnosystemischen Interventionen – Grundstrategie: Beratungssystem und Heimatsystem als zielfokussierende Systeme organisieren

8.1Aufbau des Beratungssystem und des Heimatsystems als zieldienliches Kooperationssystem

8.1.1Das Beratungssystem als zielfokussierendes System

8.1.2Pacing und das Rollenverständnis der TherapeutInnen und BeraterInnen

8.1.3Imaginationen als wirksame Veränderungskraft

8.1.4Utilisation

8.1.5Optimale Beobachterpositionen und das Beratungssystem als rituelles System der Kraftentfaltung

8.2Typische Phasen eines hypnosystemischen Therapie- und Beratungsprozesses

8.2.1Phase der Klärung des Kontexts, der zur Idee der Beratung führte

8.2.2Phase der Auftragsklärung und der Entwicklung von imaginationsfähigen Zielvisionen

8.2.3Phase der Ausnahmen bzw. Fokussierung auf „Lösungserleben“ bisher – Aufbau von Hoffnung und Selbstwert

8.2.4Vergleiche von Problem- und Lösungsmustern

8.2.5Bewusst-unbewusst-Dissoziationen, Fokussierung auf intuitives Wissen und körperorientierte Interventionen

8.2.6Probleme und Symptome als kompetente Lösungsversuche mit Preis (Kosten-Nutzen-Analysen) – dialektische Hypnosystemik

8.2.7Ambivalenzcoaching und neue Zielentwicklung

8.2.8Arten der Musterinterventionen

8.2.9Auswertungsschritte

8.2.10Abschluss

Literatur

1. Der hypnosystemische Ansatz

Den Begriff „hypnosystemisch“ habe ich um das Jahr 1980 vorgeschlagen, um ein Modell zu charakterisieren, das versucht, systemische Ansätze für Psychotherapie und Beratung (Coaching, Teamentwicklung, Organisationsentwicklung) mit den Modellen der kompetenzaktivierenden Erickson’schen Hypno- und Psychotherapie zu einem konsistenten Integrationskonzept auszubauen (welches auch hilfreiche Aspekte aus anderen Ansätzen mit einbezieht, die mit diesen Konzepten kompatibel sind und sie bereichern, z. B. aus Psychodrama, Körpertherapien u. a.). Inzwischen konnte dieses Modell zu einem umfassenden, sehr differenziert und flexibel einsetzbaren Interventions- und Beschreibungsansatz ausgebaut werden, wobei es durch tägliche Praxis und viele sehr wertvolle Rückmeldungen von KollegInnen und auch KlientInnen permanent weiterentwickelt wird. All die Erfahrungen, die wir und die durch Rückmeldungen Beitragenden machen, sowohl in ambulanten als auch in stationären, sowohl in Non-Profit- als auch in Profit-Organisations-Kontexten, belegen sehr deutlich, dass man sehr differenziert, quasi mehr maßgeschneidert auf die einzigartigen Kulturen der jeweiligen Klientensysteme eingehen kann, als dies mit den traditionelleren Verfahren oder den „üblichen“ systemischen oder auch hypnotherapeutischen Ansätzen gelingt. Was spricht dafür, gerade die systemischen und die Erickson’schen Modelle zu integrieren?

Die Konzepte der Erickson’schen Hypnotherapiekonzepte und die modernen systemisch-konstruktivistischen Therapie- und Beratungsmodelle gehen, wenn dies auch bei oberflächlicher Betrachtung gerade in der Erickson’schen Arbeit nicht immer deutlich explizit sichtbar wird, von ähnlichen, teilweise völlig identischen Grundannahmen aus:

•In beiden werden alle Lebensprozesse als Ausdruck von regelhaften Mustern beschrieben. Unter „Muster“ wird dabei verstanden die Verkoppelung, Assoziation, Vernetzung von diversen so genannten Elementen des Erlebens. Damit sind z. B. gemeint Kognitionen, Verhaltensbeiträge, die Art der Kommunikation, emotionale Reaktionen, aber auch physiologische Reaktionen wie Atmung, Körperhaltung etc., ebenso Faktoren wie Ort, Zeit, Beteiligte einer Situation etc.

•Beide verstehen lebende Systeme als sich selbst organisierende, autopoietische Systeme. Zwar kannte Milton Erickson diesen Begriff noch nicht (die Zeit seines Wirkens lag etwas früher), in allen seinen Arbeiten seit den 1930er-Jahren hat er sich aber genau an Prinzipien orientiert, welche völlig den Erkenntnissen der Forschung über lebende Systeme als sich selbst autonom organisierende Systeme entsprechen, oft wesentlich konsistenter und konsequenter, als es die modernen Ansätze tun, welche sich ausdrücklich auf die Autopoiese als Basis beziehen.

•Beide gehen von fast identischem Verständnis dessen aus, wie Veränderung geschehen kann. Wenn Erleben (individuell und interaktionell) als Ausdruck von regelhaften Mustern dargestellt werden kann, also von Assoziationsnetzwerken, die ja immer wieder aktuell abgerufen werden, also nicht grundsätzlich in sich stabil sind, dann heißt Veränderung allgemein ausgedrückt nichts anderes als das Einführen von Unterschieden in diese Muster. Damit wirksame Veränderungen angeregt werden, muss dann auch nicht ein ganzes Muster verändert werden, sondern es genügt meist, Unterschiede in einem oder mehreren Elementen oder Verknüpfungsstellen in ihm einzuführen. Da ja ein Muster sich als Ausdruck eines Wechselwirkungsnetzwerks darstellt, werden dann nicht nur die direkt veränderten Elemente des Musters erfasst, sondern in Wechselwirkung das ganze Muster. Auch in dieser Perspektive gehen systemische und Erickson’sche Hypnotherapiekonzepte vom gleichen Verständnis aus. So ist es dann ja auch kein Wunder, dass die wichtigsten Interventionen der systemischen Arbeit über lange Jahre fast alle aus der Erickson’schen Hypnotherapie entliehen wurden (Weakland 1982).

Ein wichtiger Vorteil der hypnosystemischen Konzeption ist aber z. B. (im Vergleich zu den traditionelleren systemischen Konzepten, die sich aus der Familientherapie entwickelt haben), dass mit ihr nicht nur systematisches Arbeiten mit interaktionellen Mustern möglich ist, wie es uns der systemische Ansatz bietet. Mit „interaktionellen Mustern“ sind insbesondere die Beiträge und Wechselwirkungen gemeint, die Beteiligte in Beziehungssystemen miteinander austauschen. Indem die hypnosystemische Konzeption diese wertvollen systemischen Instrumente mit dem sehr systematischen Blick auf internale, intrapsychische Musterdynamik verbindet, wie er in Grundansätzen in der kompetenzorientierten Erickson’sche Hypnotherapie angelegt ist und wie er jedenfalls aus ihr (wie weiter unten beschrieben wird) noch in praktisch sehr hilfreicher Weise weiter ausdifferenziert werden kann, wird ihr Beschreibungs-, Verständnis- und vor allem ihr Interventionsspektrum wesentlich vielfältiger und flexibler. So wird dann – viel mehr als dies mit den traditionellen systemischen Konzepten alleine möglich ist – ein geradezu maßgeschneidertes Eingehen auf die Einzigartigkeit der Menschen ermöglicht, mit denen gearbeitet wird.

Gerade die Erkenntnisse der Autopoieseforschung und der modernen Hirnphysiologie zeigen ja, dass die Einflüsse von Kontextbedingungen im System zwar sehr wichtig sind, ein individuelles lebendes System aber dennoch sein Erleben völlig autonom in seiner inneren, strukturdeterminierten Selbstorganisation bestimmt, also letztlich niemals zu einem bestimmten Erleben gezwungen werden kann („Es gibt keine instruktiven Interaktionen“, Maturana 1982). Wenn wir also die moderne Hirnforschung und die Autopoiesekonzepte berücksichtigen wollen, haben wir aber zu beachten:

•die konzentrierte Arbeit mit dem inneren System der Selbstorganisation lebender Systeme und

•die systematische Beschäftigung und Nutzung aller Prozesse der Wechselwirkung zwischen der Organisation der Innenwelt und den Einflüssen der jeweiligen Umwelten, also Prozesse der Kopplung zwischen individuellen lebenden Systemen und ihren Umgebungskontexten.

Aus dem Wissen der Hypnotherapie (z. B. darüber, wie dort Erlebnisphänomene beschrieben werden) und durch Anleihen bei diversen Körpertherapiemethoden wie Psychodrama, Transaktionsanalyse und Gestalttherapie, aber auch Verhaltenstherapie (immer mit dem Ziel, diese auf ihre Wirkung hinsichtlich der Gestaltung von Aufmerksamkeitsfokussierung optimal zu nutzen) lassen sich viele sehr hilfreiche Strategien für die Beschreibung von internalen psychophysiologischen Mustern und für zielgerichtete Interventionen in diese Muster ableiten und weiterentwickeln.

Mit hypnosystemischen Interventionen können selbst bei als sehr schwer wiegend, „hartnäckig“ und chronifiziert geltenden Problemen sowohl intrapsychisch als auch interaktionell zufrieden stellende Entwicklungen schnell, kostengünstig und nachhaltig angeregt werden. Ergebnisstudien, die wir seit 1997 an der Fachklinik am Hardberg in Siedelsbrunn durchgeführt haben (dort setzen wir diese Modelle in der Abteilung Systemisch-hypnotherapeutische Psychosomatik auch stationär um), belegen dies (Herr 2002).

Ich selbst hatte zunächst mit Hypnotherapie gar nichts im Sinn. Ich hatte das Glück, ab 1974 bei Helm Stierlin an seiner Abteilung für Familientherapie der Universität Heidelberg mitarbeiten zu können und die Entwicklung zum systemischen Ansatz dort mitgestalten zu dürfen. Mein eigener Weg zu den Erickson’schen Konzepten kam zunächst zustande durch Hinweise von Helm Stierlin und dann dadurch, dass ich entdeckte, dass fast alle relevanten Interventionstechniken der damaligen systemischen Therapie (wie z. B. positive Konnotationen, Symptomverschreibungen etc.) ihre Wurzeln in der Erickson’schen Hypnotherapie haben. Ab 1977 lernte ich, zusammen mit meinem Freund Bernhard Trenkle, die Arbeit einiger direkter Schüler von Erickson (J. Zeig, S. Gilligan, P. Carter, S. und C. Lankton, E. Rossi) in Deutschland kennen. 1979 konnte ich dann noch bei Milton Erickson selbst lernen (in Phoenix, Arizona). Die Erfahrungen, die ich dort machte, haben mein gesamtes Denken und Handeln, damit natürlich auch mein Verständnis meiner Arbeit nachhaltig bis heute verändert. Die Anregungen von Milton Erickson waren auch der Anstoß für mich, das hypnosystemische Integrationsmodell zu entwickeln. In den 1980er-Jahren war es allerdings, auch im systemischen Feld, noch sehr schwierig, diese Ideen (z. B. durch Artikel u. Ä.) in die öffentliche Diskussion zu bringen. Ich erinnere mich an viele Beiträge, die ich auf Kongressen etc. vortrug und die zunächst als merkwürdige Exotik abgetan wurden. Sicher mehr als meine Arbeiten haben die äußerst wert- und verdienstvollen Beiträge von Steve de Shazer, Insoo Kim Berg und viele AutorInnen in deren Nachfolge dazu beigetragen, dass sich das Bild deutlich gewandelt hat.

Inzwischen hat sich die systemische Arbeit durch diese hypnosystemischen Ansätze nicht nur für mich sehr verändert. Die systemische Perspektive hat andererseits aber auch das Verständnis vieler Hypnotherapievorstellungen deutlich beeinflusst und verändert.

2. „Hypnose“ und „Trance“

Um die zentrale Essenz der hypnosystemischen Konzeption verdeutlichen zu können, halte ich es für sinnvoll, zunächst mit dem hypnotherapeutischen Teil und den Vorstellungen von „Hypnose“ und „Trance“ zu beginnen, bevor wir die Grundprämissen systemischer Arbeit erörtern.

Betrachtet man Erlebnisprozesse, die als Symptome oder gravierende, als leidvolle Probleme wahrgenommen werden, sind diese allesamt qualitativ dadurch gekennzeichnet, dass sich bei den betreffenden Menschen eine bewusste, willkürliche Erlebnisinstanz ein bestimmtes Erleben wünscht (z. B. Wohlbefinden, Freude, Sicherheit etc.), unwillkürliche körperliche und seelische Prozesse aber gravierend davon abweichen, dabei aber als wesentlich stärker erlebt werden als die willkürlichen Prozesse, sodass sich das „Ich“ quasi als diesen unwillkürlichen Prozessen ausgeliefertes Opfer empfindet. Es werden massive Inkongruenzen oder, wie z. B. Grawe (1998, 2004) als Begriff vorschlägt, Inkonsistenzen zwischen verschiedenen, synchron ablaufenden Teilbereichen der psychischen Prozesse erlebt. Für Therapie bzw. Beratung, die als professionelle Hilfe für die Befreiung von solchen ungewünschten Phänomenen angelegt ist, ist es deshalb von größtem Interesse, über Strategien zu verfügen, mit denen solche Antagonismen im Erleben konstruktiv aufgelöst und unwillkürliche Prozesse günstig beeinflusst werden können.

Genau dieser Aufgabenbereich, nämlich die gezielte Beeinflussung unbewusster und unwillkürlicher Prozesse, ist das zentrale Thema der Hypnotherapie – mit ihrem Erfahrungsschatz von mehreren hundert Jahren (nimmt man die schamanistischen Traditionen noch dazu, von einigen zehntausend Jahren) und einem sehr großen Repertoire an Strategien für die Beeinflussung unbewusster und unwillkürlicher Prozesse.

2.1 Typische Vorurteile und Mythen hinsichtlich „Trance“ und „Hypnose“

Obwohl dies in den letzten zehn Jahren deutlich weniger geworden ist, gibt es aber immer noch viele undifferenzierte und völlig abwegige Vorstellungen beim Thema „Hypnose“.

Schon dadurch, wie diese Begriffe meist verwendet werden, entsteht leicht Verwirrung. Mit dem Begriff „Hypnose“ werden in der hypnotherapeutischen Fachwelt üblicherweise alle die Interaktions- und Kommunikationsprozesse gemeint, die rituell eingesetzt werden (entweder als Fremd- oder Heterohypnose oder als Selbst- oder Autohypnose) mit dem Ziel, bestimmte Erlebnis- und Bewusstseinszustände anzuregen, also die Prozeduren zur Erzeugung dieser Bewusstseinszustände. Diese Bewusstseinszustände selbst werden dann meist als „Trance“ bezeichnet. „Trance“ meint also das gewünschte Ergebnis der Prozeduren, während als „Hypnose“ der Weg dorthin bezeichnet wird, „Hypnose“ meint also quasi das kommunikative, interaktionelle Transportmittel hin zu diesem Ergebnis.

Die (eher traditionellere, oft als klassische Hypnose bezeichnete) hypnotherapeutische Arbeit geht in ihrem Selbstverständnis generell davon aus, dass durch die Anwendung von Tranceinduktionen Menschen dabei unterstützt werden können, bisher vorherrschende Bewusstseinszustände, die mit viel Leid und dem Erleben von Symptomen, Problemen und Inkompetenzen einhergehen, intensiv zu verändern und alternative Bewusstseinszustände zu entwickeln, die in hilfreicher Weise die Symptome und Leid auflösen. Die Erickson’sche Hypnotherapie geht zwar auch von dieser Annahme aus, erweitert aber die Möglichkeiten, Bewusstseinszustände zu beeinflussen, in flexibler Weise um sehr viele indirektere hypnotherapeutische Strategien, die gar nichts mehr gemein haben mit den bekannten klassischen Induktionsritualen, sondern die hypnotherapeutische Erkenntnisse in übliche Arten der Gesprächsführung einbauen. Gerade für die Arbeit in Kontexten, in denen man nicht ohne Weiteres mit „offiziellen Tranceinduktionen“ arbeiten kann, wird sie deshalb besonders interessant und nützlich (ich werde weiter unten ihre Möglichkeiten ausführlich darlegen).

Die sehr hohe Effektivität hypnotherapeutischer Arbeit gilt heute als völlig unumstritten. Es gibt kaum ein Therapieverfahren, welches so gut auf Wirksamkeit hin beforscht wurde wie die Hypnotherapie. In mehreren hundert systematischen Untersuchungen zur Effektivität der Hypnotherapie konnte ihre sehr hohe Wirksamkeit eindeutig nachgewiesen werden (siehe z. B. Bongartz, Flammer u. Schwonke 2002; Revenstorf 2003).

Aber schon, was als „Trance“, und auch, was als „Hypnose“ bezeichnet wird, ist bei einem Überfliegen der wichtigsten Hypnoseliteratur keineswegs einheitlich. Für Laien erweisen sich die begrifflichen Bestimmungen als ziemlich konfusionierend.

Der Begriff „Hypnose“ wurde von James Braid (1846) vorgeschlagen, abgeleitet von dem griechischen Wort hypnos = „Schlaf“. Braid wählte diesen Begriff deshalb aus, weil viele Phänomene, die seine KlientInnen während der von ihm durchgeführten Induktionsprozeduren zeigten, ihn an schlafähnliche Zustände erinnerten.

Unter „Trance“ wird in unserer Kultur meist verstanden, dass sich jemand passiv-rezeptiv, kataleptisch, tief entspannt, ganz nach innen gerichtet, mit geschlossenen Augen intensiv absorbiert quasi in einer anderen als der üblichen Konsensus-Realitäts-Welt (also der „normalen“ Welt) erlebt, oft so „abwesend“ oder auch wie schlafend, sodass er danach, wenn er sich wieder in das „normale“ Alltagswachbewusstsein zurückorientiert, dafür eine Amnesie erlebt. Weiter wird meist aufgelistet, dass jemand eine sehr verzerrte Zeitwahrnehmung entwickelt (etwas wird als wesentlich länger dauernd erlebt, als es nach der Uhrzeit gemessen der Fall war, oder etwas wird als von wesentlich kürzerer Dauer erlebt), das Erlebte (z. B. eine Erinnerung) oft viel plastischer und intensiver empfunden als im üblichen so genannten Wachzustand. Als sehr häufiges und sehr wichtiges Phänomen wird genannt, dass die Fähigkeit zu plastisch-bildhaftem, imaginativem Erleben deutlich verstärkt sei. Daneben werden viele physiologische Änderungen aufgelistet, wie z. B. Veränderung des Schmerzempfindens (Analgesie bis hin zu Anästhesie), des Blutdrucks, der Hirnwellen (Alpha-Wellen im EEG nehmen zu), des Blutbilds und der Hormonregulation.

Hier noch einmal eine kurze Zusammenstellung einiger typischer Erlebnisphänomene, die üblicherweise als „Trancephänomene“ bezeichnet werden:

• Dissoziation

• Altersregression/Altersprogression

• Zeitverzerrung

• Amnesie/Hypermnesie

• Analgesie/Hyperalgesie

• Identifikation

• positive/negative Halluzination

• Katalepsie

• Tunnelvision/„Röhrenblick“

• innere Bilder, innere Sätze (unwillkürliche „Tonbandschleifen“).

Sehr detaillierte phänomenologische Beschreibungen solcher „Trance“-Zustände finden sich in allen klassischen Lehrbüchern zur Hypnose (siehe z. B. Kossak 1989; Bongartz u. Bongartz 2000).

Solche Trancezustände werden therapeutisch jeweils als Mittel eingesetzt mit dem Ziel, bestimmte gewünschte Ergebnisse zu unterstützen, z. B. Analgesie bei Schmerzen, Entspannung, Unterstützung bei der Entwöhnung im Zusammenhang mit Suchtproblemen, hilfreiche Imaginationen bei Ängsten etc. Bezogen auf die Konzepte der traditionellen, klassisch-autoritären Hypnosearbeit findet man in praktisch jedem Lehrbuch und auch in allen psychiatrischen Veröffentlichungen den Hinweis, dass z. B. bei schweren Depressionen, insbesondere aber bei schweren Persönlichkeitsstörungen und Psychosen Hypnose absolut kontrainduziert sei. Mit den kompetenzfokussierenden modernen Hypnotherapieverfahren der Erickson’schen Provenienz aber kann nachweislich mit sehr guten Erfolgen auch gerade in diesen als kontrainduziert definierten Bereichen gearbeitet werden. So liegen z. B. sowohl zur Behandlung von Depressionen (Yapko 1995) als auch zur Behandlung von Psychosen (Milzner 2001; Schmidt 2004) und zur Behandlung schwerer Traumata (Reddemann 2004; Watkins u. Watkins 2003) ebenso wie für die Behandlung massiver Essstörungen sehr differenzierte Arbeiten vor. (Wie sich die Erickson’schen Verfahren in zentraler Weise von den klassisch-autoritären Verfahren unterscheiden, wird im weiteren Verlauf der Arbeit gezeigt.)

Laien stellen sich eine Hypnose meist so vor, dass dabei ein Experte von außen KlientInnen seine Vorstellungen von Entspannung, Ruhe, Schlaf o. Ä. und von Symptomfreiheit aufoktroyiert. Diese Art des Vorgehens wird z. B. von Gilligan (1991) als „autoritäre Hypnose“ bezeichnet. Ich nenne diese Art des Vorgehens „feudalistische Hypnose“, weil sie sich unter feudalistischen Herrschafts- und Beziehungsbedingungen entwickelt hat.

Allein schon für den Aspekt, der in solchen Vorstellungen von hypnotischen Prozeduren immer wieder auftaucht, nämlich den der „Führung“ durch den Suggestionen anbietenden „Experten“, der angeblich bestimmt, was dabei passiert, lässt sich aber klar sagen: Die Erkenntnisse der Autopoieseforschung (z. B. Maturana 1982; Maturana u. Varela 1987) und generell der modernen Hirnforschung belegen eindeutig, dass dies Vorurteile sind. Man kann letztlich niemand völlig dazu bringen oder zwingen, ein Angebot von außen gegen den eigenen Willen umzusetzen. Diese Zusammenhänge verdeutlicht z. B. auch G. Roth sehr eindrücklich, wenn er darauf hinweist, dass der assoziative Cortex wesentlich mehr Verbindungen innerhalb aufweist als nach außerhalb. Auf eine afferente oder efferente Faser kommen etwa fünf Millionen intracorticale Fasern. Allein im assoziativen Cortex gibt es wohl 500 Billionen Verbindungen. Daraus kann der Schluss gefolgert werden: „… dass sich dieses System auf Grund seiner hochgradigen Binnenverdrahtung im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigt. Reize und Informationen dringen zwar von außen in das System hinein, und Erregungen verlassen es, aber dieser Effekt ist verschwindend klein gegenüber dem internen Geschehen“. Jede Fremdsuggestion wirkt nur als selbstgesteuert umgesetzte Idee.

Auf die geschichtlichen Aspekte der Entwicklung von Hypnose und Hypnotherapie will ich hier nicht weiter eingehen, da sie mir unwesentlich erscheinen für die Themen dieser Arbeit.

Das, was man unter „Trance“ versteht, muss viel differenzierter beschrieben werden, als dies die traditionellen und heute noch weit verbreiteten Beschreibungen in vielen Hypnoselehrbüchern tun: Wie weltweite anthropologische und ethnologische Studien zeigen, ist dieses seit ca. 250 Jahren speziell in Europa kultivierte Verständnis von Trance viel zu eng und zu einseitig (Bongartz u. Bongartz 2000; Goodman 1994). Die Arbeit mit Trance ist überall auf der Welt seit offenbar mindestens 10 000 Jahren wesentlicher Bestandteil praktisch jeder menschlichen Kultur und wurde und wird besonders für Heilungszwecke und religiöse Anlässe intensiv genutzt.

In Jäger-und-Sammler-Kulturen (die über die längsten Zeiträume der menschlichen Evolution die vorherrschenden Kulturen waren) werden z. B. kaum einmal Entspannungstrancen produziert, sondern solche mit viel Bewegung, sozialer Interaktion, mit optimaler körperlicher Spannung, Gesang und Tanz und niemals mit Amnesie etc. Dies lässt sich schlicht damit erklären, dass Trance immer schon ganz praktisch einfach nur ein Mittel zum Zweck für die sie Anwendenden war und bestimmten Zielen dienen sollte, in Jäger-und-Sammler-Kulturen eben der Vorbereitung erfolgreicher Jagd, auf der man es sicher nicht gebrauchen könnte, ganz entspannt die Aufmerksamkeit auf die eigenen Innenwelt zu richten.

Die bei uns meist mit „Trance“ assoziierten Zustände wie Katalepsie oder auch ein Erleben von solch massiver Dissoziiertheit, dass die betreffenden Personen das Erlebte eventuell als von außen kommend, nicht zu ihnen gehörend empfinden, treten typischerweise erst in Agrarkulturen mit dem Aufkommen von Kategorisierungen wie gut/böse etc. auf.

Was als „Trance“ erlebt, definiert und auch genutzt wird, liegt also keineswegs fest, sondern lässt sich jeweils nur kulturabhängig, allgemeiner gesagt, kontextabhängig beschreiben.

Die oben gezeigte in der westlichen Tradition seit dem 18. Jahrhundert immer wieder vorgenommene Art der Beschreibung und Definition von „Trancephänomenen“ allerdings macht bei näherer Betrachtung die Verwirrung keineswegs kleiner, da sich praktisch alle diese aufgelisteten Phänomene auch im üblichen Alltagserleben jedes Menschen finden lassen. Somit ist das auch überhaupt nichts Neues und muss nicht erst gelernt werden, da es von jedem Menschen ohnehin schon vielfach praktiziert wird. Das Phänomen „Analgesie“, das jeder Mensch z. B. sicher sehr gerne beim Zahnarzt nutzen würde, muss nicht erst gelernt werden. Jeder Mensch produziert es ständig. Wenn Sie z. B. irgendwo zuhören oder gerade diese Zeilen lesen oder ein Musikstück hören, werden Sie bestimmte Empfindungen nicht mehr wahrnehmen, z. B. nicht mehr deutlich spüren, wie sich die Armbanduhr an Ihrem Handgelenk anfühlt oder wie sich die Kleidung auf Ihrer Haut anfühlt oder wie sich die Rückenlehne des Stuhls deutlich anfühlt, auf dem Sie gerade sitzen, oder wie sich ein Ring an Ihrer Hand oder eine Halskette oder Ohrringe anfühlen. Jetzt, wenn ich dies hier explizit erwähne, könnte es aber gut sein, dass Sie diese Phänomene wieder deutlicher spüren. Zwar waren die Empfindungsreize für diese Wahrnehmungen immer da, aber erst dadurch, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit wieder auf sie lenken, werden sie bewusst wahrgenommen (in diesem Beispiel hier haben wir uns dabei bevorzugt auf den kinästhetischen Sinneskanal konzentriert, wie Sie aus den herausgehobenen Textstellen ablesen können). Wie Sie also sehen, brauchen Sie Analgesie nicht erst zu lernen, Sie praktizieren Sie ohnehin den ganzen Tag (und nachts natürlich auch), schlicht durch das Mittel der Fokussierung von Aufmerksamkeit.

Der traditionelle europäische Trancebegriff sollte also unbedingt erweitert werden. Die üblicherweise bei uns mit „Trance“ assoziierten Entspannungszustände können sehr angenehm und wertvoll sein, bewirken aber keineswegs grundsätzlich immer Hilfreiches. Ob sie hilfreich wirken, hängt ab vom Kontext, für den man Trance als Hilfsmittel einsetzen will, und vom gewünschten, angestrebten Erleben, welches als zieldienlich angesehen wird.

Für Erfolg in Therapie und Beratung ist es besonders relevant, ob die „Trance“ einen wichtigen Unterschied einführt in die bisher problemstabilisierenden Muster. Sind diese z. B. gekennzeichnet durch ein relatives Übergewicht an Passivität, Rezeptivität, Entspannung und Introversion, und werden diese Tendenzen im Erleben einer Entspannungstrance womöglich verstärkt, würde dies keine Neuinformation bewirken, im besten Fall würde es nichts Relevantes bewirken.

Janr və etiketlər
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9783849782542
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