Kitabı oxu: «Guy de Maupassant – Gesammelte Werke», səhifə 14

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Du­roy frag­te: »Es muss sehr viel ein­brin­gen, un­ter sol­chen Be­din­gun­gen Re­por­ter zu sein.«

Der Jour­na­list ant­wor­te­te ge­heim­nis­voll: »Ja­wohl, aber nichts bringt so viel ein wie die Lo­kal­nach­rich­ten we­gen der ver­schlei­er­ten Re­kla­me!«

Sie stan­den auf und gin­gen den Bou­le­vard her­un­ter, der Ma­de­lei­ne zu. Plötz­lich sag­te Saint-Po­tin zu sei­nem Beglei­ter :

»Wis­sen Sie, wenn Sie noch et­was vor­ha­ben, brau­che ich Sie nicht mehr.«

Du­roy drück­te ihm die Hand und ging. Der Ge­dan­ke an den Ar­ti­kel, den er abends noch schrei­ben soll­te, gab ihm kei­ne Ruhe, und er be­gann dar­über nach­zu­den­ken. Er such­te nach neu­en Ide­en, Ein­fäl­len, nach An­ek­do­ten und Schil­de­run­gen und ge­lang­te schließ­lich zur Ave­nue des Champs Elysées, wo er nur ver­ein­zel­te Spa­zier­gän­ger er­blick­te, denn Pa­ris war zu die­ser hei­ßen Jah­res­zeit fast un­be­lebt.

Er aß in ei­ner Wein­stu­be in der Nähe der Arc de Triom­phe de l’Etoi­le, ging über die äu­ße­ren Bou­le­vards lang­sam nach Hau­se und setz­te sich an den Schreib­tisch, um zu ar­bei­ten. Doch so­bald er den großen wei­ßen Bo­gen Pa­pier vor Au­gen hat­te, ent­floh ihm all der Stoff, den er in Ge­dan­ken ge­sam­melt hat­te, und es war so, als ob sein Ge­hirn sich ver­flüch­tigt hät­te. Er ver­such­te, Ein­zel­hei­ten aus sei­nen Erin­ne­run­gen her­vor­zu­ho­len und sie fest­zu­hal­ten. Aber auch sie ent­schlüpf­ten ihm, so­bald er ih­rer hab­haft wer­den woll­te; er wuss­te nicht, wie er sich aus­drücken und wo­mit er be­gin­nen soll­te.

Nach ei­ner Stun­de ver­geb­li­cher An­stren­gung wa­ren fünf Sei­ten voll­ge­schmiert. Es wa­ren aber nur Ein­lei­tungs­sät­ze und auch die­se ohne je­den in­ne­ren Zu­sam­men­hang. Er sag­te sich: »Ich bin in dem Be­ruf noch nicht ge­nug be­wan­dert, ich muss eine neue Lek­ti­on neh­men.« Und so­fort mach­te ihn die Aus­sicht auf einen neu­en Ar­beits­mor­gen bei Ma­da­me Fo­res­tier und die Hoff­nung auf ein lan­ges in­ti­mes und herz­li­ches Bei­sam­men­sein vor Sehn­sucht er­zit­tern. Er ging rasch zu Bett, denn er fürch­te­te fast, es könn­te ihm plötz­lich doch ge­lin­gen, wenn er sich noch­mals an die Ar­beit setz­te. Am nächs­ten Mor­gen stand er ziem­lich spät auf und ge­noss im Voraus die Freu­de die­ses Be­su­ches, den er ab­sicht­lich hin­aus­schob.

Es war zehn Uhr vor­bei, als er bei sei­nem Freun­de klin­gel­te.

Der Die­ner ant­wor­te­te: »Der Herr ist bei der Ar­beit.«

Du­roy hat­te gar nicht ge­dacht, dass der Mann über­haupt zu Hau­se sein könn­te. Trotz­dem ließ er sich nicht ab­wei­sen. »Sa­gen Sie ihm, ich wäre es und käme in ei­ner dring­li­chen An­ge­le­gen­heit.«

Nach­dem er fünf Mi­nu­ten ge­war­tet hat­te, wur­de er in das Ar­beits­zim­mer ge­führt, in dem er einen so schö­nen Mor­gen ver­bracht hat­te. Auf dem Platz, wo er ge­ses­sen hat­te, saß jetzt Fo­res­tier im Schlaf­rock und Pan­tof­feln, auf dem Kopf ein leich­tes eng­li­sches Ba­rett, und schrieb, wäh­rend sei­ne Frau in dem­sel­ben wei­ßen Mor­gen­klei­de am Ka­min lehn­te und eine Zi­ga­ret­te rauch­te. Sie dik­tier­te.

Du­roy blieb an der Schwel­le ste­hen und mur­mel­te:

»Ich bit­te sehr um Ver­zei­hung, wenn ich stö­re …«

Sein Freund dreh­te sich mit wü­ten­dem Ge­sicht um und brumm­te:

»Was willst du denn noch? Be­ei­le dich, wir ha­ben zu tun.«

Du­roy wuss­te nicht, was er sa­gen soll­te. Er stot­ter­te:

»Nein, es ist: nichts, Ver­zei­hung.«

Fo­res­tier wur­de wü­tend:

»Zum Don­ner­wet­ter, lass uns kei­ne Zeit ver­lie­ren! Du bist nicht etwa hier ein­ge­drun­gen, bloß um uns gu­ten Tag zu sa­gen?«

Du­roy wur­de ganz ver­wirrt; end­lich ent­schloss er sich:

»Nein … es ist nur… ich brin­ge den Ar­ti­kel nicht fer­tig … du warst … Sie wa­ren … Sie wa­ren so … so … so lie­bens­wür­dig das letz­te Mal … dass ich hoff­te … ich wag­te zu kom­men …«

Fo­res­tier fiel ihm ins Wort:

»Du schämst dich wohl gar nicht. Also du bil­dest dir ein, ich wür­de dei­ne Ar­beit ma­chen und du brauch­test nur am Ende des Mo­nats an die Kas­se zu ge­hen? Nein, das ist ein biss­chen zu viel ver­langt!«

Die jun­ge Frau rauch­te ru­hig wei­ter, ohne ein Wort zu sa­gen und lä­chel­te nur im­mer ein ge­heim­nis­vol­les Lä­cheln, das wie eine lie­bens­wür­di­ge Mas­ke ihre Ge­dan­ken zu ver­ber­gen schi­en.

Du­roy er­rö­te­te und stot­ter­te:

»Ent­schul­di­gen Sie … ich hat­te ge­glaubt … ich dach­te …«

Dann fuhr er plötz­lich mit si­che­rer Stim­me fort:

»Ich bit­te tau­send­mal um Ver­zei­hung, gnä­di­ge Frau, und dan­ke Ih­nen noch­mals aufs herz­lichs­te für den rei­zen­den Auf­satz, den Sie mir ges­tern ge­schrie­ben ha­ben.«

Dann sag­te er zu Fo­res­tier: »Ich wer­de um drei Uhr bei der Re­dak­ti­on sein«, und ging fort.

Rasch kehr­te er nach Hau­se zu­rück und brumm­te:

»Nun gut, ich ma­che es jetzt selbst und ganz al­lein, sie sol­len se­hen …«

Kaum war er in sei­nem Zim­mer, setz­te er sich, von Zorn er­regt, an die Ar­beit. Er setz­te die Ge­schich­te fort, die Ma­da­me Fo­res­tier be­gon­nen hat­te, häuf­te Ein­zel­hei­ten im Stil ei­nes Zei­tungs­ro­ma­nes, er­staun­li­che Ge­scheh­nis­se und schwüls­ti­ge Be­schrei­bun­gen auf­ein­an­der. Er schrieb in un­ge­schick­tem Schü­ler­stil mit Un­ter­of­fi­ziers­aus­drücken. In ei­ner Stun­de war der Auf­satz be­en­det, der ei­nem Wirr­warr von Tor­hei­ten glich, und trug ihn selbst­si­cher auf die Vie Françai­se. Der ers­te Mensch, der ihm hier be­geg­ne­te, war Saint-Po­tin, der ihm mit der Herz­lich­keit ei­nes Mit­schul­di­gen die Hand schüt­tel­te.

»Ha­ben Sie mei­ne Un­ter­re­dung mit dem Chi­ne­sen und dem In­der ge­le­sen?« frag­te der Re­por­ter. »Ist sie nicht spa­ßig? Ganz Pa­ris hat sich über die Sa­che amü­siert. Und da­bei habe ich nicht ein­mal ihre Na­sen­spit­ze ge­se­hen.«

Du­roy hat­te noch nichts ge­le­sen; er nahm so­fort die Zei­tung und durch­flog den lan­gen Ar­ti­kel mit dem Ti­tel »In­di­en und Chi­na«, wäh­rend ihm der Re­por­ter die in­ter­essan­tes­ten Stel­len zeig­te.

Fo­res­tier kam ei­lig, schnau­fend, mit ge­schäf­ti­gem Ge­sichts­aus­druck her­ein:

»Ah, gut, ich brau­che euch bei­de.«

Und er gab ih­nen eine Rei­he po­li­ti­scher Er­kun­di­gun­gen auf, die er bis zum Abend ha­ben müss­te.

Du­roy über­reich­te ihm sei­nen Ar­ti­kel.

»Hier hast du die Fort­set­zung über Al­gier.«

»Sehr schön. Gib her, ich wer­de sie dem Chef ge­ben.«

Das war al­les.

Saint-Po­tin zog sei­nen neu­en Kol­le­gen mit hin­aus, und als sie im Flur wa­ren, frag­te er ihn:

»Wa­ren Sie schon an der Kas­se?«

»Nein, warum?«

»Wa­rum? Um sich Ihr Ge­halt aus­zah­len zu las­sen. Se­hen Sie, man muss stets einen Mo­nat im Voraus neh­men. Man weiß nie, was kom­men kann.«

»Aber na­tür­lich … umso bes­ser.«

»Ich will Sie dem Kas­sie­rer vor­stel­len. Er wird kei­ne Schwie­rig­kei­ten ma­chen. Man zahlt hier gut.«

Du­roy er­hielt sei­ne zwei­hun­dert Fran­cs so­wie acht­und­zwan­zig Fran­cs für sei­nen gest­ri­gen Ar­ti­kel, so­dass er zu­sam­men mit dem Rest sei­nes Ge­hal­tes von der Nord­bahn drei­hun­dert­und­vier­zig Fran­cs bar in der Ta­sche hat­te. Noch nie hat­te er so viel auf ein­mal in den Hän­den ge­habt, und er glaub­te, er wäre reich für ewi­ge Zei­ten.

Dann führ­te ihn Saint-Po­tin in die Re­dak­tio­nen von vier oder fünf Kon­kur­renz­blät­tern und plau­der­te dort und schwatz­te, in der Hoff­nung, dass die Nach­rich­ten, die er ein­ho­len soll­te, schon von an­de­ren er­mit­telt wa­ren, und dass es ihm ge­lin­gen wür­de, sie ih­nen mit Hil­fe sei­nes wort­rei­chen und lis­ti­gen Ge­plau­ders ab­zu­lo­cken.

Als der Abend kam, be­schloss Du­roy, der nichts wei­ter zu tun hat­te, wie­der ein­mal nach den Fo­lies Ber­gè­re zu ge­hen. Er hoff­te, mit Dreis­tig­keit durch­zu­drän­gen und ging zum Kon­trol­leur:

»Ich hei­ße Ge­or­ges Du­roy und bin Re­dak­teur der Vie Fran­cai­se. Ich war neu­lich mit Herrn Fo­res­tier hier, der ver­spro­chen hat, mir einen frei­en Ein­tritt zu ver­schaf­fen. Ich weiß nicht, ob er es ge­tan hat?«

Man sah im Ver­zeich­nis nach. Sein Name stand nicht dar­in. Doch sag­te der Kon­trol­leur, ein sehr freund­li­cher Mann:

»Tre­ten Sie ru­hig ein und wen­den Sie sich mit Ih­rer Bit­te an den Herrn Di­rek­tor, der Ihren Wunsch ge­wiss gern er­fül­len wird.«

Er trat ein und be­geg­ne­te fast so­fort Ra­hel, dem Mäd­chen, das er neu­lich nach Hau­se be­glei­tet hat­te. Sie kam so­fort auf ihn zu:

»Gu­ten Tag, mein lie­ber Jun­ge, wie geht es dir?«

»Aus­ge­zeich­net; und dir?«

»Nicht schlecht. Den­ke dir, ich habe seit je­nem Abend schon zwei­mal von dir ge­träumt.«

Du­roy lä­chel­te ge­schmei­chelt.

»Ah! Ah! Und was soll das be­wei­sen?«

»Das be­weist, dass du mir ge­fal­len hast, dum­mes Schaf, und dass wir von Neu­em an­fan­gen wol­len, wenn es dir passt.«

»Heu­te, wenn es dir recht ist?«

»Oh, ich will sehr gern.«

»Gut, aber höre …«

Er zö­ger­te, et­was ver­wirrt durch sein Vor­ha­ben.

»Dies­mal näm­lich habe ich gar kein Geld. Ich kom­me aus dem Klub, wo ich al­les ver­mö­belt habe.«

Sie blick­te ihm tief in die Au­gen und fühl­te in­stink­tiv sei­ne Lüge mit der Er­fah­rung ei­ner Dir­ne, die an die Gau­ne­rei­en und das Feil­schen der Män­ner ge­wöhnt ist.

»Schwind­ler! Du weißt doch … das ist nicht nett von dir.«

Er lä­chel­te ver­le­gen:

»Wenn du zehn Fran­cs willst, das ist al­les, was ich habe.«

Sie mur­mel­te mit der Gleich­gül­tig­keit ei­ner Kur­ti­sa­ne, die sich eine Lau­ne er­laubt:

»Was du ge­ben willst, mein Lieb­ling, ich will ja nur dich.«

Sie rich­te­te ihre ver­füh­re­ri­schen Au­gen auf den Schnurr­bart des jun­gen Man­nes, nahm sei­nen Arm und stütz­te. sich ver­liebt dar­auf.

»Komm, wir trin­ken zu­erst Gre­na­di­ne. Dann bum­meln wir et­was. Ich möch­te mit dir in die Oper ge­hen, um dich zu zei­gen. Und dann wol­len wir bald nach Hau­se ge­hen, nicht wahr?«

Er blieb lan­ge bei die­sem Mäd­chen. Es war schon Tag, als er fort­ging. So­fort dach­te er dar­an, sich die Vie Françai­se zu kau­fen. Mit zit­tern­den Hän­den schlug er die Zei­tung auf; sei­ne Fort­set­zung stand nicht dar­in. Ver­ge­bens blieb er auf dem Bür­ger­steig ste­hen und über­flog ängst­lich die be­druck­ten Spal­ten, in der Hoff­nung, das Ge­such­te doch noch zu fin­den. Er fühl­te sich voll­stän­dig nie­der­ge­drückt, und in­fol­ge sei­ner Mat­tig­keit nach der Lie­bes­nacht traf ihn die­se Ent­täu­schung umso här­ter.

Er ging nach Hau­se, leg­te sich an­ge­klei­det auf sein Bett und schlief so­fort ein. — Ein paar Stun­den spä­ter war er auf dem Re­dak­ti­ons­bü­ro und ging zu Herrn Wal­ter:

»Ich bin sehr er­staunt, Herr Wal­ter, dass mein zwei­ter Ar­ti­kel über Al­gier nicht er­schie­nen ist.«

Der Di­rek­tor hob sei­nen Kopf und sag­te tro­cken:

»Ich gab ihn Ihrem Freund Fo­res­tier zum Durch­le­sen. Er fand ihn un­zu­rei­chend. Er muss um­ge­ar­bei­tet wer­den.«

Du­roy ging wü­tend hin­aus, ohne ein Wort zu er­wi­dern. Er stürm­te ins Ar­beits­zim­mer sei­nes Freun­des:

»Wa­rum hast du heu­te früh mei­nen Ar­ti­kel nicht ge­bracht?«

Der Jour­na­list rauch­te eine Zi­gar­re; er saß hin­ten­über­ge­lehnt in sei­nem Lehn­stuhl und hat­te die Füße auf den Tisch ge­legt, so­dass die Stie­fel­ab­sät­ze einen halb­ge­schrie­be­nen Ar­ti­kel be­schmutz­ten. Er er­wi­der­te ru­hig mit gleich­gül­ti­ger und ge­lang­weil­ter Stim­me, die von fern­her, wie aus ei­nem tie­fen Loch zu kom­men schi­en:

»Der Chef hat ihn schlecht ge­fun­den und mich be­auf­tragt, ihn dir zu­rück­zu­ge­ben, da­mit du ihn noch ein­mal schreibst. Da ist er.«

Und er wies mit dem Fin­ger auf die Blät­ter, die zu­sam­men­ge­fal­tet un­ter dem Brief­be­schwe­rer la­gen.

Du­roy war ver­wirrt und wuss­te nicht, was er er­wi­dern soll­te. Als er sei­nen Auf­satz in die Ta­sche steck­te, fuhr Fo­res­tier fort:

»Heu­te be­gibst du dich zu­nächst zur Po­li­zei­prä­fek­tur.«

Und wie­der gab er ihm eine gan­ze Men­ge Ge­schäfts­gän­ge und Re­cher­chen auf, die er er­le­di­gen soll­te.

Du­roy ging, ohne dass ihm das bei­ßen­de und ver­let­zen­de Wort ein­fiel, nach dem er such­te.

Am nächs­ten Tage brach­te er sei­nen Auf­satz wie­der. Er be­kam ihn aber­mals zu­rück. Als er ihn zum drit­ten Male ge­schrie­ben und zu­rück­er­hal­ten hat­te, be­griff er, dass er zu schnell vor­wärts woll­te und dass nur Fo­res­tiers Hand ihm hel­fen konn­te. Er sprach nicht mehr von sei­nen ›Erin­ne­run­gen ei­nes afri­ka­ni­schen Jä­ger­s’, und nahm sich vor, schlau und ge­wandt zu sein, da es nicht an­ders ging. Und in Er­war­tung bes­se­rer Tage wid­me­te er sich in vol­lem Ei­fer sei­nem Be­ru­fe als Re­por­ter.

Er lern­te bald die Ku­lis­sen der Thea­ter und der Po­li­tik, die Wan­del­gän­ge und War­teräu­me der Staats­män­ner und des Par­la­ments, die wich­tig­tu­en­den Mie­nen der Mi­nis­te­ri­al­be­am­ten und die mür­ri­schen Ge­sich­ter der schläf­ri­gen Ge­richts­die­ner ken­nen.

Er hat­te dau­ernd zu tun mit Mi­nis­tern, Por­tiers, Ge­ne­ra­len, Ge­heim­po­li­zis­ten, Fürs­ten, Zu­häl­tern, Dir­nen, Bot­schaf­tern, Bi­schö­fen, Kupp­lern, Män­nern der bes­ten Ge­sell­schaft, Falsch­spie­lern, Drosch­ken­kut­schern, Kell­nern und vie­len an­de­ren Leu­ten; er war der be­rech­nen­de und gleich­gül­ti­ge Freund al­ler ge­wor­den, ach­te­te alle gleich hoch und gleich nied­rig, maß sie mit dem­sel­ben Maße, be­ur­teil­te sie mit dem­sel­ben Blick, denn er muss­te sie an je­dem Tage und zu je­der Stun­de in der­sel­ben Stim­mung be­grü­ßen und mit ih­nen über al­les, was sei­nen Be­ruf an­ging, spre­chen. Er selbst kam sich da­bei wie ein Mensch vor, der un­mit­tel­bar hin­ter­ein­an­der von al­len mög­li­chen Wei­nen kos­ten muss und schließ­lich den feins­ten Cha­teau-Mar­gaux von Ar­gen­teuil nicht mehr un­ter­schei­den kann.

Er wur­de in kur­z­er Zeit ein acht­ba­rer Re­por­ter, zu­ver­läs­sig in sei­nen Nach­rich­ten, lis­tig, schnell und ge­nau, eine wert­vol­le Kraft für die Zei­tung, wie der alte Wal­ter be­haup­te­te, der sich in Re­dak­teu­ren aus­kann­te.

Da er aber au­ßer sei­nem fes­ten Ge­halt von zwei­hun­dert Fran­cs nur zehn Cen­ti­mes für die Zei­le be­kam und da das Le­ben in den Bou­le­vards, in den Cafés und Re­stau­rants teu­er war, so hat­te er nie einen Sous in der Ta­sche und war ver­zwei­felt über sei­ne Ar­mut.

Es steckt ir­gend­ein Kniff da­hin­ter, dach­te er, wenn er man­che sei­ner Kol­le­gen mit geld­ge­füll­ten Ta­schen sah, ohne je zu be­grei­fen, wel­che ge­hei­men Mit­tel sie wohl an­wand­ten, um sich die­sen Wohl­stand zu ver­schaf­fen. Er wit­ter­te vol­ler Neid ir­gend­wel­che heim­li­chen und ver­däch­ti­gen Ab­ma­chun­gen, ein ge­gen­sei­ti­ges Schmug­gel­sys­tem. Auch er muss­te hin­ter das Ge­heim­nis kom­men, auch er woll­te Mit­glied die­ser ver­schwie­ge­nen Ge­nos­sen­schaft wer­den und sich den Kol­le­gen, die ohne ihn die Beu­te teil­ten, auf­drän­gen. Und wenn er abends an sei­nem Fens­ter die Ei­sen­bahn­zü­ge vor­über­fah­ren sah, dann träum­te er oft von den Mit­teln, die ihn die­sem Zie­le nä­her­brin­gen konn­ten.

V.

So wa­ren zwei Mo­na­te ver­gan­gen. Der Sep­tem­ber rück­te her­an, aber das schnel­le Glück, das Du­roy er­hofft hat­te, schi­en nur sehr lang­sam her­an­zu­kom­men. Am meis­ten quäl­te ihn die ge­sell­schaft­li­che Be­deu­tungs­lo­sig­keit sei­ner Stel­lung, und er sah kei­nen Weg, auf dem er zu den Hö­hen hin­auf­klet­tern konn­te, wo man An­se­hen, Macht und Geld fin­det.

Der un­be­deu­ten­de Be­ruf ei­nes Re­por­ters um­fing ihn wie eine Fes­sel; er war dar­in wie ver­mau­ert und konn­te nicht hin­aus. Zwar ach­te­te man sei­ne Tüch­tig­keit, aber man schätz­te ihn nach sei­ner Stel­lung. Selbst Fo­res­tier, dem er tau­send Diens­te leis­te­te, lud ihn zum Di­ner nicht mehr ein und be­han­del­te ihn wie einen Un­ter­ge­be­nen, ob­wohl er ihn noch freund­schaft­lich duz­te.

Frei­lich ge­lang es Du­roy von Zeit zu Zeit, auch einen klei­nen Ar­ti­kel in sei­nem Blat­te an­zu­brin­gen, und da er durch sei­ne Lo­kal­nach­rich­ten einen flot­ten Zei­tungs­stil und Schreibart ge­lernt hat­te, was ihm bei der Ab­fas­sung sei­nes zwei­ten Ar­ti­kels über Al­gier ab­so­lut fehl­te, so lief er kei­ne Ge­fahr mehr, dass sei­ne Ar­ti­kel ab­ge­wie­sen wür­den. Aber von da bis zu ei­nem aus ei­ge­nen Ge­dan­ken­gän­gen und ei­ge­ner Fan­ta­sie ge­schaf­fe­nen Feuil­le­ton oder ei­nem erns­ten po­li­ti­schen Auf­satz be­stand ein eben­so großer Un­ter­schied wie zwi­schen ei­nem Kut­scher und ei­nem selbst­kut­schie­ren­den Herrn, der in den Ave­nues du Bois de Bou­lo­gne spa­zie­ren fährt. Was ihn be­son­ders de­mü­tig­te, war, dass ihm die Tü­ren der Ge­sell­schaft ver­schlos­sen blie­ben und dass er kei­nen Ver­kehr hat­te, wo er als Gleich­be­rech­tig­ter auf­tre­ten konn­te, und vor al­len Din­gen, dass er kei­ne nä­he­ren, in­ti­men Be­zie­hun­gen zu Da­men hat­te, ob­gleich ihn meh­re­re be­kann­te Schau­spie­le­rin­nen mit auf­fal­len­der Lie­bens­wür­dig­keit emp­fan­gen hat­ten.

Er wuss­te üb­ri­gens aus Er­fah­rung, dass alle Frau­en, ob sie nun den gu­ten oder schlech­ten Ge­sell­schafts­krei­sen an­ge­hör­ten, eine merk­wür­di­ge Zu­nei­gung und eine spon­ta­ne Sym­pa­thie für ihn ver­spür­ten. Die Tat­sa­che je­doch, dass er ge­ra­de die­se We­sen, von de­nen doch sei­ne Zu­kunft ab­hän­gen konn­te, nicht kann­te, mach­te ihn un­ge­dul­dig und ner­vös wie ein Renn­pferd, dem man nicht freie Bahn gibt.

Oft ge­nug hat­te er dar­an ge­dacht, Frau Fo­res­tier zu be­su­chen, doch die Erin­ne­rung an die letz­te Be­geg­nung de­mü­tig­te ihn und hielt ihn da­von zu­rück, und au­ßer­dem er­war­te­te er, dass ihn der Mann ein­la­den wür­de. Dann fiel ihm wie­der Ma­da­me de Ma­rel­le ein; sie hat­te ihn ja ge­be­ten, er möch­te sie doch mal be­su­chen. So ging er ei­nes Nach­mit­tags, an dem er nichts an­de­res zu tun hat­te, zu ihr hin.

»Ich bin bis drei Uhr im­mer zu Hau­se«, hat­te sie ge­sagt.

Um halb drei klin­gel­te er an der Tür.

Sie wohn­te Rue de Ver­neuil, im vier­ten Stock. Auf das Klin­gel­zei­chen öff­ne­te ein Dienst­mäd­chen mit zer­zaus­tem Haar die Tür; sie setz­te ihre klei­ne Hau­be zu­recht und ant­wor­te­te:

»Ja, die gnä­di­ge Frau ist zu Hau­se, aber ich weiß nicht, ob sie auf ist.«

Sie öff­ne­te die Sa­lon­tür, die nicht ver­schlos­sen war. Du­roy trat ein. Das Zim­mer war ziem­lich groß, aber nicht reich mö­bliert und sah et­was ver­wahr­lost aus. Die al­ten ab­ge­nutz­ten Ses­sel stan­den an der Wand ent­lang, so wie sie das Dienst­mäd­chen hat­te ste­hen las­sen, nir­gends spür­te man die sorg­sa­me Hand der ele­gan­ten Haus­frau, die sich ihr Heim ge­müt­lich zu ge­stal­ten liebt. Vier arm­se­li­ge Bil­der, die einen Kahn auf dem Flus­se, ein Schiff auf dem Mee­re, eine Müh­le in ei­ner Ebe­ne, einen Holz­hau­er im Wal­de dar­stell­ten, hin­gen in der Mit­te der vier Wän­de an Stri­cken ver­schie­de­ner Län­ge, und alle vier hin­gen schief. Man er­riet, dass sie wahr­schein­lich schon lan­ge so schief hin­gen un­ter den nach­läs­si­gen Au­gen der gleich­gül­ti­gen Be­sit­ze­rin.

Du­roy setz­te sich und war­te­te. Er war­te­te lan­ge. End­lich öff­ne­te sich die Tür und Ma­da­me de Ma­rel­le trat ei­lig her­ein. Sie trug ein ja­pa­ni­sches Mor­gen­kleid aus rosa Sei­de, das mit gol­de­nen Land­schaf­ten, blau­en Blu­men und wei­ßen Vö­geln be­stickt war.

»Den­ken Sie, ich war noch im Bett«, rief sie aus. »Das ist aber nett, dass Sie sich auch mal bei mir se­hen las­sen. Ich dach­te be­stimmt, Sie hät­ten mich ver­ges­sen.«

Mit strah­len­dem Ge­sicht streck­te sie ihm bei­de Hän­de ent­ge­gen, und Du­roy, dem die ver­wahr­los­te Ein­rich­tung des Zim­mers sei­ne vol­le Si­cher­heit wie­der­gab, er­griff sie und küss­te die eine Hand, wie er es ein­mal von Nor­bert de Va­ren­ne ge­se­hen hat­te.

Sie bat ihn, Platz zu neh­men. Dann mus­ter­te sie ihn vom Kopf bis zu den Fü­ßen und sag­te: »Sie ha­ben sich sehr zu Ihrem Vor­teil ver­än­dert. Pa­ris hat Ih­nen gut ge­tan. Er­zäh­len Sie mir, was gibt es Neu­es?«

Da­mit be­gan­nen sie zu plau­dern, als ob sie alte Be­kann­te wä­ren. Und sie fühl­ten, wie zwi­schen ih­nen eine un­mit­tel­ba­re Ver­trau­lich­keit ent­stand, ein Über­strö­men von Zu­nei­gung, Herz­lich­keit und ge­gen­sei­ti­gem Ver­ständ­nis, das in we­ni­gen Mi­nu­ten zwei We­sen von glei­cher Art und Cha­rak­ter zu Freun­den macht. Plötz­lich stock­te die jun­ge Frau und rief ganz er­staunt:

»Es ist merk­wür­dig, wie wir über­ein­stim­men. Mir ist’s, als ken­ne ich Sie seit zehn Jah­ren. Wir wer­den si­cher­lich gute Freun­de wer­den. Wol­len Sie?«

»Aber na­tür­lich«, er­wi­der­te er mit viel­sa­gen­dem Lä­cheln.

Er fand sie höchst ver­füh­re­risch in ih­rem wei­chen, leuch­ten­den Ge­wand, viel­leicht we­ni­ger zärt­lich und fein als Frau Fo­res­tier in ih­rem wei­ßen Mor­gen­kleid, we­ni­ger zier­lich und gra­zi­ös, da­für aber ent­zücken­der und auf­rei­zen­der.

Bei Ma­da­me Fo­res­tier mit ih­rem un­ver­än­der­li­chen, zärt­li­chen Lä­cheln, das gleich­zei­tig an­zog und ab­stieß, das zu sa­gen schi­en »Du ge­fällst mir« und auch »Nimm dich in acht«, und des­sen wirk­li­chen Sinn er nie er­ra­ten konn­te, emp­fand er in ers­ter Li­nie das Be­dürf­nis, sich ihr zu Fü­ßen zu le­gen oder die zier­li­chen Spit­zen zu küs­sen, die ihre zar­te Haut be­deck­ten, und lang­sam den war­men, par­fü­mier­ten Duft ein­zuat­men, der von ih­rer Brust ström­te. Bei Ma­da­me de Ma­rel­le emp­fand er ein et­was bru­ta­le­res und be­stimm­te­res Ver­lan­gen, eine Be­gier­de, die sei­ne Fin­ger zu­cken ließ, wenn er die run­den For­men ih­res Kör­pers un­ter der leich­ten Sei­de sah.

Sie sprach im­mer wei­ter, und fast aus je­dem Satz sprüh­te die­ser leich­te, geist­rei­che Witz, den sie so rou­ti­niert be­herrsch­te, wie ein Meis­ter sein Hand­werk be­herrscht und mit ei­nem rech­ten Griff eine schwie­ri­ge Ar­beit mit er­staun­li­cher Ge­wandt­heit aus­führt. Er hör­te zu und dach­te: »Das müss­te man sich mer­ken. Man könn­te die hüb­sche­s­ten Feuil­le­tons schrei­ben, wenn man sie über die Pa­ri­ser Ta­ge­s­er­eig­nis­se plau­dern hört.«

Jetzt klopf­te es ganz lei­se an der Tür. Ma­da­me de Ma­rel­le rief:

»Du kannst her­ein­kom­men, Klei­ne!«

Das klei­ne Mäd­chen er­schi­en, ging di­rekt auf Du­roy zu und reich­te ihm die Hand.

Die Mut­ter mur­mel­te er­staunt:

»Das ist ja eine Erobe­rung. Ich er­ken­ne sie nicht wie­der.«

Der jun­ge Mann küss­te das Kind, setz­te es ne­ben sich und er­kun­dig­te sich ernst und lie­bens­wür­dig nach al­lem, was es in der letz­ten Zeit ge­tan hat­te. Sie ant­wor­te­te mit ih­rer dün­nen Flö­ten­stim­me und mit der erns­ten Mie­ne ei­ner er­wach­se­nen Dame.

Die Uhr schlug drei. Der Jour­na­list er­hob sich.

»Kom­men Sie recht oft,« bat Ma­da­me de Ma­rel­le, »wir plau­dern dann wie heu­te. Sie wer­den mir stets will­kom­men sein. Aber warum sieht man Sie nie mehr bei Fo­res­tiers?«

»Ein Zu­fall,« er­wi­der­te er, »ich hat­te so viel zu tun. Ich hof­fe aber, dass wir uns dem­nächst dort ein­mal wie­der tref­fen wer­den …«

Und er ging, in­ner­lich vol­ler Hoff­nung, ohne recht zu wis­sen, warum.

Fo­res­tier sag­te er nichts über die­sen Be­such, aber die Erin­ne­rung dar­an wich wäh­rend des gan­zen fol­gen­den Ta­ges nicht von ihm; es war mehr als bloß Erin­ne­rung, ein Ge­fühl der un­wirk­li­chen, an­dau­ern­den Ge­gen­wart die­ser Frau. Ihm war es, als hät­te er einen Teil von ihr fort­ge­tra­gen, als wäre das Bild ih­res Kör­pers in sei­nen Au­gen und der Reiz ih­res We­sens in sei­nem Her­zen ge­blie­ben. Und er blieb im Ban­ne die­ser Vor­stel­lung, wie es manch­mal ge­schieht, wenn man schö­ne Stun­den mit ei­nem Men­schen ver­bracht hat. Man meint dann, man wäre von et­was Fremd­ar­ti­gem, Hol­dem, Köst­li­chem voll­stän­dig ein­ge­nom­men, das umso ver­wir­ren­der und rei­zen­der er­scheint, je we­ni­ger wir es deu­ten kön­nen.

Nach ein paar Ta­gen wie­der­hol­te er sei­nen Be­such.

Die Zofe führ­te ihn in den Sa­lon und gleich dar­auf er­schi­en Lau­ri­ne. Sie hielt ihm nicht ihre Hand, son­dern ihre Stirn hin und sag­te:

»Mama lässt Sie bit­ten, et­was zu war­ten. Es wird eine Vier­tel­stun­de dau­ern, denn sie ist noch nicht an­ge­zo­gen. Ich leis­te Ih­nen so­lan­ge Ge­sell­schaft.«

Du­roy, dem das wür­di­ge Be­neh­men der Klei­nen Spaß mach­te, sag­te:

»Vor­treff­lich, mein klei­nes Fräu­lein, ich bin ent­zückt, mit Ih­nen eine Vier­tel­stun­de zu ver­brin­gen. Aber ich muss Sie dar­auf auf­merk­sam ma­chen, dass ich gar nicht so ernst bin; ich spie­le den gan­zen Tag und schla­ge Ih­nen da­her vor, wir spie­len ein biss­chen Ha­schen.«

Die Klei­ne schi­en zu­erst er­staunt, dann lä­chel­te sie wie eine Dame über die­sen Ein­fall, der sie ein biss­chen är­ger­te und ein biss­chen über­rasch­te und mur­mel­te:

»Das Zim­mer ist nicht zum Spie­len ein­ge­rich­tet.«

»Das ist mir ganz egal«, er­wi­der­te er. »Ich spie­le über­all. Also los! Ha­schen Sie mich!«

Und er be­gann um den Tisch her­um­zu­lau­fen; sie folg­te ihm und lä­chel­te, als täte sie das nur aus Höf­lich­keit. Hin und wie­der streck­te sie die Hand aus, um ihn zu ha­schen, ohne sich je­doch zum Lau­fen hin­rei­ßen zu las­sen. Er blieb ste­hen, duck­te sich, und wenn sie mit ih­rem klei­nen, zö­gern­den Schritt an­kam, sprang er in die Höhe, wie ein Teu­fel aus dem Kas­ten, und lief dann bis ans an­de­re Ende des Zim­mers. Sie fand Ge­fal­len dar­an und fing an zu la­chen; sie lief nun eif­rig hin­ter ihm her und kreisch­te halb fröh­lich, halb ängst­lich auf, wenn sie ihn ge­fasst zu ha­ben glaub­te. Er schob die Stüh­le hin und her, um ihr Hin­der­nis­se in den Weg zu le­gen. Bald ließ er sie eine Mi­nu­te lang um einen und den­sel­ben Stuhl her­um­lau­fen, bald sprang er von ei­nem zum an­de­ren. Lau­ri­ne lief jetzt rich­tig und gab sich ganz dem Ver­gnü­gen die­ses Spie­les hin. Mit ro­si­gem Ge­sicht­chen und echt kind­li­cher Be­geis­te­rung stürz­te sie bei je­der Flucht, bei je­der List und je­dem Schein­ma­nö­ver ih­res Spiel­ge­fähr­ten mit Schwung hin­ter ihm her.

Jetzt glaub­te sie ihn end­lich fas­sen zu kön­nen, da er­griff er sie mit bei­den Ar­men, hob sie bis zur De­cke em­por und rief:

»Ge­fan­gen, ge­fan­gen!«

Die Klei­ne stram­pel­te ent­zückt mit den Bein­chen, um sich zu be­frei­en, und lach­te da­bei aus vol­lem Her­zen.

Als Ma­da­me de Ma­rel­le ein­trat, war sie ver­blüfft:

»Aber Lau­ri­ne! … du spielst? Sie sind ja ein Zau­be­rer, mein Herr!«

Er setz­te die Klei­ne wie­der zu Bo­den und küss­te der Mut­ter die Hand. Sie setz­ten sich, die Klei­ne saß da­zwi­schen. Sie woll­ten plau­dern, aber Lau­ri­ne, die sonst im­mer schwieg, war wie be­rauscht und schwatz­te un­auf­hör­lich, so­dass die Mut­ter sie auf ihr Zim­mer schi­cken muss­te. Sie ge­horch­te, ohne zu ant­wor­ten, aber mit Trä­nen in den Au­gen.

So­bald sie al­lein wa­ren, sag­te Ma­da­me de Ma­rel­le mit ge­dämpf­ter Stim­me:

»Sie wis­sen noch nicht, ich habe eine große Sa­che vor und ich habe an Sie ge­dacht. Sie wis­sen, ich spei­se jede Wo­che ein­mal bei Fo­res­tiers und ich re­van­chie­re mich von Zeit zu Zeit, in­dem ich sie in ein Re­stau­rant ein­la­de. Ich sehe nicht gern Ge­sell­schaft bei mir, ich bin da­für nicht ge­schaf­fen, au­ßer­dem kann ich kei­nen Haus­halt füh­ren und von der Kü­che ver­ste­he ich ab­so­lut gar nichts. Ich lebe gern ins Blaue hin­ein. Des­halb lade ich sie hin und wie­der in ein Re­stau­rant ein, aber wenn wir nur zu dritt sind, ist die Sa­che nie recht lus­tig. Und mei­ne Be­kann­ten pas­sen gar nicht zu ih­nen. Ich sage Ih­nen das, um Ih­nen mei­ne et­was au­ßer­ge­wöhn­li­che Ein­la­dung zu er­klä­ren. Sie fas­sen es also nicht falsch auf, wenn ich Sie bit­te, am Sonn­abend um acht im Café Ri­che zu spei­sen. Sie ken­nen doch das Re­stau­rant?«

Er nahm die Ein­la­dung er­freut an und sie fuhr fort:

»Wir wer­den nur zu viert sein, eine rich­ti­ge Par­tie carré. Sol­che klei­ne Fes­te sind sehr amüsant für uns Frau­en, die wir sel­ten in die Re­stau­rants kom­men.«

Sie trug ein dun­kelblau­es Kleid, das ihre Tail­le, ihre Hüf­ten, ihre Brust und ihre Arme in auf­rei­zen­der und ver­füh­re­ri­scher Wei­se her­vor­tre­ten ließ, und Du­roy fühl­te ein ver­wirr­tes Er­stau­nen, ja fast eine Ver­le­gen­heit, de­ren Grund er sich nicht er­klä­ren konn­te, über das Miss­ver­hält­nis zwi­schen die­ser sorg­fäl­tig ge­pfleg­ten Ele­ganz ih­rer Toi­let­te und der sicht­li­chen Ver­wahr­lo­sung ih­rer Woh­nung, in der sie leb­te.

Al­les, was ih­ren Kör­per um­gab, was sie un­mit­tel­bar be­rühr­te, war fein, zart und pein­lich sau­ber, aber um ihre wei­te­re Um­ge­bung schi­en sie sich gar nicht zu küm­mern.

Er ver­ließ sie und be­wahr­te noch stär­ker als das ers­te Mal das Ge­fühl ih­rer fort­dau­ern­den Ge­gen­wart in ei­ner Art Fie­ber­wahn sei­ner Sin­ne. Er war­te­te mit wach­sen­der Un­ge­duld auf den ver­ab­re­de­ten Tag.

Er lieh sich zum zwei­ten Male einen Frack­an­zug, da sei­ne Mit­tel ihm noch im­mer nicht er­laub­ten, einen sol­chen zu kau­fen. Er er­schi­en als ers­ter ei­ni­ge Mi­nu­ten vor der Zeit.

Man ließ ihn zum zwei­ten Stock­werk hin­auf­stei­gen und führ­te ihn in einen klei­nen, rot ta­pe­zier­ten Sa­lon, des­sen ein­zi­ges Fens­ter nach dem Bou­le­vard hin­aus­ging.

Auf ei­nem vier­e­cki­gen Tisch mit blen­dend weißem Tisch­tuch wa­ren vier Ku­verts ge­deckt, und die Glä­ser, das Ta­fel­sil­ber und der Schüs­sel­wär­mer blitz­ten leb­haft im Schein von zwölf Ker­zen, die von zwei ho­hen Leuch­tern ge­tra­gen wur­den.

Vor dem Fens­ter sah man einen sehr großen, hell­grü­nen Fleck, der von den Baum­blät­tern her­rühr­te, auf die aus den ein­zel­nen Se­parés hel­les Licht fiel.

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