Kitabı oxu: «Gefechtsziege LB-55-40»
Der Autor
Hans-Gerd Adler, Jahrgang 1941, von Beruf Industriekaufmann, qualifizierte sich an der Ingenieurschule für Papier- und Verpackungstechnik in Altenburg zum Dipl. Wirtschaftsingenieur (FH). Seit 1977 war er mehr als zwanzig Jahre als Karnevalist tätig. 1989/90 war er Vorsitzender der Bürgerinitiative Demokratische Initiative Heiligenstadt und koordinierte die Friedliche Revolution in der Kreisstadt. Bisher sind folgende Bücher von ihm erschienen: 1990 Wir sprengen unsere Ketten: Die friedliche Revolution im Eichsfeld; 2007 Faefferkerner: Schnurrn, Liider un Geschichtn (Eichsfelder Mundart); 2009 Brückenköpfe (Lebensbilder Eichsfelder Protagonisten der Friedlichen Revolution); 2011 Nicht alles reimt sich: Betrachtungen in Versen (eine Suche nach dem Sinn des Lebens).
Hans-Gerd Adler
Gefechtsziege LB-55-40
Erlebnisse mit einem 311er Wartburg
Jede Erinnerung verblasst, wenn sie nicht in Wort gefasst.
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Umschlag und Zeichnungen: Bernhard Schauer Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Inhaltsverzeichnis
Cover
Über den Autor
Titel
Motto
Impressum
Bekanntmachung
Ein Traum wird Wirklichkeit
Namensgebung
Trauerla
Elsterglanz
Eine Höhere Macht
Ein harter Winter
Die Kurzlebigkeit eines Jägerzaunes
Jagdglück
Vom Preis der Unabhängigkeit
Reinweiß
Auf alten Wegen
Wenn Engel singen
Höllenlärm
Die Realität nach frommem Tun
Da nutzte auch kein Adlerauge
Die Last, die er trug
Tendenz: zunehmend kritisch
Abschied ohne Wiederkehr
Nachruf
Ein Resümee
Bekanntmachung
War ich damals eingebildet, war ich überheblich, oder lag es einfach nur daran, dass ich finanziell nicht in der Lage war, mir den vielbegehrten Luxuswagen Trabant 601 zu leisten? Wenn solche Fragen erst nach mehr als einer durchschnittlich halben Menschenlebenszeit gestellt werden, sind sie ja beinahe ernst zu nehmen! Damals jedenfalls habe ich mich damit nicht herumgequält. Hatte ich doch meine Schwierigkeiten, mich mit allem, was DDR-Identität-stiftend war, anzufreunden. Darum soll vorab auch ganz klar hervorgehoben werden: Die DDR (Deutsche Demokratische Republik) war das Land, in dem ich lebte. Aber diese als meine Heimat zu bezeichnen, habe ich niemals zum Ausdruck gebracht. Für mich stand unumstößlich fest: Meine Heimat ist das Eichsfeld, Punkt! Also mied ich es zu zeigen, dass ich in erster Linie ein stolzer DDR-Bürger sei und die Errungenschaften des Sozialismus zu würdigen wisse. Die mir seit Kindertagen innewohnende Antipathie gegen diesen Staat zu beschreiben, würde allerdings meiner Intention zum vorliegenden Buch nicht entsprechen. Aber es muss einfach raus aus mir, denn ich habe nun nichts mehr zu befürchten; und meine große Abneigung gegen einen Trabant soll schließlich irgendwie begreifbar dargestellt werden. Daher wähle ich auch die Schreibform Trabbi statt Trabi, um mit diesem DDR-typisch phonetischen Ausdruck meine gefühlte innere Ferne zu dem von vielen begehrten „DDR-Volkswagen“ zu unterstreichen.
Vielleicht gerade deswegen könnte ein kritischer Leser zu der Ansicht gelangen: Ja, der Adler war doch eingebildet und überheblich, sonst hätte er sich nicht für den anderen Klassewagen, über den er hier berichtet und der schließlich auch in der DDR gebaut wurde, entschieden. Zugegeben, irgendwie ist ein solcher Aspekt wirklich nicht völlig von der Hand zu weisen. Aber bei der näheren Betrachtung der pekuniären Hintergründe scheint dieser Verdacht dann doch etwas abgespeckt.

Zur Rechtfertigung meiner damaligen Entscheidung gehört eben auch der Umstand, dass mir das DDR-Identität-stiftende Gefährt etwa 15.000 Mark der DDR hätte wert sein müssen. Selbst wenn es mir gelungen wäre, meine Trabbi-Abneigung elegant zu ignorieren, hätte mich diese Wertschätzung völlig überfordert.
Die rigorose Überzeugung fand ergänzend einen von mir ebenso verachteten Nährboden, der sich darin zeigte, dass sich der Preis für einen alten, aber neu aufgebauten Trabant 601 kaum von dem eines Neuwagens unterschied. Dieser fehlende Unterschied erhärtete meine innere Einstellung, die ich aber nie öffentlich zum Ausdruck gebracht hatte. Ich fragte mich ernsthaft: Was finden denn die Leute nur an dieser Pappkiste?
Meine mangelnde Zuneigung zu dem von so vielen DDR-Bürgern geliebten Kleinwagen wurde selbst auch dann nicht überwunden, als mir ein Freund seinen Trabbi für eine dringend wichtige Fahrt nach Halle geborgt hatte. Im Gegenteil. Für mich stand nach dieser Tour erst recht fest: Ein Trabbi kommt für mich nicht in Frage!
Und dann war da noch die Wartezeit, die nach der Anmeldung bis zur Auslieferung für ein neues Auto auszuhalten war: zehn bis zwölf Jahre! Nee, ich nicht! Ich blieb hart! Ich meldete mich nicht an! Und ich hatte erst recht keinen Aufgebauten haben wollen!
Es muss aber auch gesagt werden: Hätte ich nicht in der DDR gelebt, wären die folgenden Anekdötchen von mir nicht geschrieben worden.
So gesehen wird dadurch außerdem deutlich, dass es neben allen mehr oder weniger zu verkraftenden Belastungen und Mangelerscheinungen ebenso eine Fülle von Bindungen und Ereignissen gab, die sich dem umfassenden gesellschaftspolitischen Netzwerk, mit dem uns der Sozialismus umknüpft hatte, entzogen. Das waren für mich die tiefe Verwurzelung im christlichen Glauben und in dem, was mir Heimat war, das Eichsfeld. Aber auch die kleinen Dinge des Alltags, die privaten sozialen Kontakte, die Missgeschicke und Erfolge, die mich bei der Suche nach Sinnhaftigkeit und innerer Zuversicht alles nichtgewollt Gegebene ertragen ließen, gehörten dazu.
Anders möchte ich formulieren: Ich habe auch in der DDR viel gelacht. Es gab unendlich viele Dinge, über die ich mich herzhaft ausschütten konnte. Dabei ließen sich andere durch mein Naturell leicht anstecken und nicht selten gab es richtige Lachorgien. Aber mit der DDR zu lachen, nein, das wäre mir nie in den Sinn gekommen. Gottlob kann ich inzwischen über die im Folgenden beschriebenen Erlebnisse befreiter lachen, als es mir damals unmittelbar nach dem einen oder anderen Ereignis zumute war.
Rückblickend darf ich sogar feststellen, dass sich manche der damals vergossenen Schweißtropfen nun in Tränen verwandeln, die mein Lachen hervorruft. Wenn dies ein wenig ansteckte, hätte ich daran meine große Freude. Ich weiß, dass meine nun bereits halbhundertjährige Tochter Manuela zusammen mit ihrer Schwester Susanne sowie beider gemeinsamer Gebärerin Emmy dies auf alle Fälle tun werden. Darüber hinaus wird mein DDR-spätgeborener Enkel Raiman sich schon sehr darüber wundern, was sein Opa da alles geschrieben hat. Und meine Urenkelin Marie wird, wenn sie einmal groß ist, vielleicht fragen: „Sind das wirklich keine Märchen?“
Selbst in äußerst miesen Zeiten kann über den Geschmack man streiten!
Ein Traum wird Wirklichkeit
Es war mehr oder weniger ein Zufall, der mich dazu bewog, mir ein Auto anzuschaffen. Bis dahin hatte ich einen solchen Gedanken nie in mir aufkommen lassen. Der Wunsch, ein Auto zu besitzen, war für mich immer nur ein Traum gewesen. Dieser hatte es verdammt schwer, sich in mein Bewusstsein vorzudrängen, um sich letztendlich als Bedürfnis zu etablieren. Die Ansprüche auf materielle Dinge hatten aufgrund meiner Lebensumstände nie eine große Rolle gespielt. Ich hatte gelernt, diese stets unterzuordnen. So galt mein ganzes Streben weit anderen Dingen, die von mir als wichtiger erachtet wurden und die letztlich auch eine deutliche Prägung für mein Leben hinterließen. Aber wie das Leben so ist: Unverhofft kommt oft! So war es dann auch.
Eine Kollegin hatte mich buchstäblich infiziert. Dieser Infekt wurde auch nach der notwendigen Aussprache mit meiner Hausregierung nicht geheilt. Im Gegenteil, er entwickelte sich rasant und kam zum vollen Ausbruch.
Mein Immunsystem war bereits kurz zuvor geschwächt worden. Dies geschah in keinem Fall durch die Moped-Prüfung, denn die Fahrberechtigung für ein Moped hatte ich schon seit mehreren Jahren besessen, bevor ich einen gebrauchten SR2 (Simson-Roller) mein Eigen nennen konnte. Ich wollte irgendwie auch mitreden können und nicht in allen Dingen hinter dem Mond bleiben. So sorgte ich völlig ziellos vor und machte meine Fahrerlaubnis Klasse eins und vier! Immerhin, man weiß ja nie! So dachte ich jedenfalls, ohne weder den unmittelbaren noch mittelfristigen Kauf eines Motorrades oder gar eines Autos ins Kalkül zu ziehen.
Meine Kollegin hatte davon gesprochen, dass ein ihrer Familie sehr guter Bekannter sein Auto abgeben wolle. Dieser hatte die lange Wartezeit auf einen Neuen hinter sich gebracht und beabsichtigte nun, den Alten loszuwerden. Er stände bei ihr zu Hause, in ihrer Garage. Ich könnte ihn mir doch einmal anschauen. Und den Hals, den würde mir der Eigentümer bestimmt nicht abschneiden. Außerdem, es sei ein 311er und er sei noch recht gut in Schuss. Sie würden ihn selbst auch gern nehmen, wenn sie nicht schon einen hätten.
Ich merkte, wie meine ursprüngliche Haltung zum Erwerb eines Autos langsam aber sicher dahinschmolz. Ich kannte meine Kollegin, ich kannte sogar den Besitzer des zu habenden PKWs und, was das Wichtigste war, es war kein Trabbi!
So fasste ich Mut, stieg nach Feierabend in den Vorortbus und fuhr nach Uder. Dass ich nach dem Ausstieg an der Haltestelle auf dem Weg zu meinem Zielort immer schneller ging, merkte ich erst, als ich etwa zweihundert Meter der Strecke zurückgelegt hatte. Schlagartig ging ich wieder im Normaltempo, aber auch das hielt sich nicht länger. So kam ich schließlich am Ort meines noch nicht offenkundig gewordenen Begehrens an.
Ich klingelte, die Haustür öffnete sich, die Kollegin begrüßte mich und ihr Mann rief: „Du kannst gleich hierher kommen!“ Schon stand ich neben ihm, ein schneller Handschlag, und meine Blicke hefteten sich fest auf den Gegenstand, den ich in meinem ganzen bisherigen Leben noch nie so betrachtet hatte. Ich war wie geblendet. So schön hatte ich mir ein Auto für mich niemals vorstellen können!
Da stand er. Weiß bzw. cremeweiß. Seine Lampen blinzelten mich durch verchromte Ringe verführerisch an. Auch die Radkappen waren wunderschön, verchromt natürlich. Die Stoßstangen, das Frontziergitter, die Heckleuchten, die Türgriffe, alles verchromt. Und, was für manchen Zweck der Eigenversorgung wichtig sein konnte, er hatte sogar eine Anhängerkupplung! Hätte ich in diesem Augenblick etwas sagen sollen, da bin ich mir heute noch ganz sicher, hätte ich bestimmt gestottert.
Der Mann meiner Kollegin öffnete nun die Fahrertür. „Setz dich doch mal rein.“ Mit diesen Worten riss er mich aus meiner Versunkenheit, denn das Auto, so fühlte ich, gehörte mir schon! In dieser Stimmung war ich bereit, auf alle weiteren Erklärungen und Betrachtungen zu verzichten. Aber die Worte des Mannes klangen so freundlich fordernd, dass ich, ehe ich es selbst fassen konnte, auf dem Fahrersitz saß.
Nun kam mit der Überraschung zweiter Teil die endgültige Aufgabe aller bisher von mir gehegten Bedenken und Widerstände. Das schöne lederne Lenkrad mit der Lenkradschaltung, die Armaturen, die gut gepolsterten sauberen Sitze, einfach überwältigend. Sogar ein Radio und Gurte für Fahrer und Beifahrer hatte sich der Vorbesitzer einbauen lassen! Das alles verstärkte meinen längst gefassten Entschluss, ja, es machte ihn bereits unumkehrbar. Das i-Tüpfelchen war der Himmel. In hellem Grau gehalten schwebte er unterhalb des Autodaches. Es war fast wie in einem Wohnzimmer. Ich hatte das Gefühl, dass ich nie ein anderes Auto gekannt hätte noch kennenlernen wollte als eben dieses, in dem ich ganz selbstverständlich saß.
„Weißt Du, was er kosten soll?“, fragte ich den Mann. Irgendwie hatte ich dabei das Empfinden, als hätte meine Stimme einen zittrigen Klang. Aber die besitzanzeigende Gefühlslage ließ mich schnell diese Unsicherheit überwinden. Als die genannte Zahl mit der Hälfte eines Trabbi-Wertes an mein Ohr drang, musste ich schlucken. Aber es dauerte allerhöchstens einen Wimpernschlag, bis mir eine einvernehmliche innere Stimme zuflüsterte: „Das kannst Du machen!“ Der Drang, augenblicklich „Ja!“ zu sagen, kämpfte mit einer mir doch noch angebracht erscheinenden nicht ganz endgültigen Zusage. Denn ich glaubte, dass meine bereits getroffene Entscheidung durch ein zum Ausdruck gebrachtes „Erst-abwägenwollen“ den zu zahlenden Preis so beeinflussen könnte, dass dieser dann unter der genannten Zahl läge. Ich wusste zudem, dass Noch-Besitzer und Untersteller des 311er eng befreundet waren und ahnte, dass im Grunde alles abgesprochen war. Jedenfalls sagte ich: „Hm, da werde ich mir das mal in Ruhe überlegen.“
„Karl (so hieß der Vorbesitzer) hat noch verschiedene Ersatzteile, die er auch noch dazugibt. Das steht alles bei ihm, weil ich hier nicht mehr Platz habe.“ Und dann zählte er auf: „Je einen Satz Räder mit Sommerreifen und Winterreifen, einen Anlasser, eine Lichtmaschine und eine ganze Kiste voll mit Kleinteilen wie Regler, Zündkerzen, Birnen usw. Außerdem hat er noch eine transportable Kipp-Hebebühne.“
In mir überschlug es sich. Ich hatte nur mit dem Auto gerechnet. Nun hörte ich von dem Mann, dass ich, nach meiner gegenwärtigen Auffassung, fast noch ein halbes Ersatzauto dazu bekommen würde. Dies war entscheidend für meine nächste klare Aussage: „Gut, dann nehme ich alles.“ Damit war der Handel perfekt.

Nun hatte ich ein Auto, ein eigenes, sogar einen Wartburg. Ich war erleichtert, denn meine ablehnenden Gedanken gegenüber einem Trabbi waren somit null und nichtig. Dass ich künftig manchmal beinahe verächtlich auf einen Trabbifahrer geschaut haben soll, ist aber nun wirklich an den Haaren herbeigezogen! Jedoch muss ich an dieser Stelle auch Folgendes zugeben, was ich damals zwar wusste, aber nicht erkannte. Erst Jahre später wurde mir klar, wie der große Kampf der Systeme um die Vormachtstellung auch bei den nicht DDR-überzeugten Bürgern (zum Beispiel bei mir) seine individuelle Wirkung hatte.
Ich war nämlich, trotz meiner inneren politischen Widerstände, dem auf der Grundlage der einzig wahren Lehre von Marx, Engels und Lenin beruhenden und für die DDR postulierten Ziel gefolgt, welches da hieß: „Überholen ohne einzuholen!“
Diese Losung möchte ich zum Anlass nehmen, allen ehemaligen Trabbibesitzern zu sagen, dass sämtliche ihnen hier negativ erscheinenden Formulierungen nicht als Diskriminierung zu verstehen sind! Ich wusste auch damals, dass sich so mancher DDR-Bürger seinen Trabbi vom Munde abgespart hatte und stolzer Autobesitzer war. Daher achte ich nach wie vor seine diesbezügliche Einstellung. Dennoch haben sich meine Befindlichkeiten gegenüber diesem Fahrzeugtyp bis heute nicht abgebaut. Sehe ich einen Trabbi, gleich ob in Natura oder auf einem Bild, dann werden all meine Erinnerungen und Gefühle wach, die mit der DDR in Verbindung stehen. Im gleichen Augenblick bin ich froh, dass ich die DDR hinter mich gebracht habe.
Selbst wenn bescheiden ist dein Lauf, die Hoffnung, die gib niemals auf!
Namensgebung
Die Aufregung in der Familie kann man sich heute kaum vorstellen. Ich spürte, dass meine Frau Emmy stolz auf mich war. Ihre drei in der DDR lebenden Geschwister besaßen einen Trabbi. Nein, das soll nichts heißen! Es ist nur eine Feststellung, ohne jeglichen Hintergedanken! Sie war einfach nur glücklich, dass wir es soweit gebracht hatten. Mein Selbstbewusstsein bekam dadurch einen unerwarteten Auftrieb. Ich, der ich in meinem bisherigen Leben als größte Investition in der Kategorie Luxus 250 Mark der DDR für ein Moped ausgegeben hatte, besaß nun ein Auto. Wahnsinn!
Und erst unsere beiden Töchter! Sie schienen vor Freude fast außer sich zu geraten. Meine Ankunft im Wohnviertel hatten sie sofort von ihrem Kinderzimmerfenster aus erspäht und quiekten, dass es durch das ganze Haus schallte. Dann rannten sie, als ich mich mit dem Auto dem Hause näherte, die Treppe herunter und stürmten auf den Wartburg zu. Das taten sie derart, dass ich das Auto, viel früher als geplant, zum Stillstand bringen musste, um einen Zusammenprall zu verhindern. Die beiden kamen gar nicht schnell genug in das Innere. Sie stiegen Hals über Kopf durch die rechte Hintertür, zogen diese hinter sich zu und jickerten vergnügt auf der Rückbank. „Oh, Papa, ist das jetzt wirklich unser Auto?“, fragte Manuela, die Ältere. Und Susanne ergänzte: „Und das dürfen wir jetzt auch behalten?“
„Ja, das ist jetzt unser Auto, unser eigenes Auto!“ Voller Stolz war dieser Satz über meine Lippen gekommen. Darauf Susanne: „Oh, ich glaube, ich werde verrückt!“
Ein herrliches, warmes Gefühl machte sich in mir breit. Das wurde noch verstärkt, als Emmy beim Auto stand. Als wäre sie mit einer total unvorhergesehenen Überraschung konfrontiert worden, legte sie ihre Hand auf den Mund und sagte: „Oh, so schön habe ich es mir nicht vorgestellt.“
„Was meint ihr, wollen wir gleich eine Testfahrt nach Lutter machen?“
„Oh, jaaaa!“, schrien die Kinder und ergänzten: „Zu Oma und Opa! Juchhu!“
„Dann zieht eure Schuhe an und macht euch schick.
In einer viertel Stunde fahren wir los.“
Total aufgeregt und dennoch sehr diszipliniert waren die beiden im Handumdrehen fertig und rannten vorweg zum Auto. Als wir dann alle bei ihm standen, ich den Autoschlüssel zog und nach dem Einstieg von innen die Türen geöffnet hatte, erwies sich das Tollste, was es am Wartburg gab. Er hatte vier Türen! Außer mir bekam nun jede meiner drei Mitfahrerinnen ihren festen Platz im Auto. Damit war geregelt, wer künftig durch welche Tür einsteigen würde. Das ging völlig problemlos. Die Hausherrin beanspruchte natürlich den Sitz vorn neben dem Fahrzeugführer, also neben mir! Die beiden Mädchen waren sich auch schnell einig: hinten rechts der Platz gehörte Manuela, hinten links hatte Susanne ihren Stammplatz.
Da saßen wir nun alle in unserem Auto und fühlten uns wie Könige. Susanne brachte dies auf ihre Weise zum Ausdruck: „Oh, Papa, jetzt sind wir aber reich!“ Ja, wir waren reich. Reich, weil wir sehr glücklich waren und dankbar. Nun konnten wir bei Wind und Wetter nach Lutter fahren. Wir waren auch viel, viel schneller dort als vordem, als wir zu Fuß und nur bei gutem Wetter und einem langen Weg über den Iberg nach Lutter gelangten.
In Lutter angekommen, konnten sich die Kinder kaum zurückhalten. Noch ehe ich die Handbremse richtig angezogen hatte, waren sie ausgestiegen und rannten zu ihren Großeltern. Das ganze Haus war in helle Aufregung geraten. Alle bewunderten unsere Errungenschaft. Beim Abschied steckte mein Schwiegervater seiner Tochter etwas in die Hand und sagte: „Hier, dafür könnt ihr mal tanken.“
Wieder in Heiligenstadt, machten die Kinder einen Vorschlag. „Wir haben uns auch schon einen Namen für das Auto ausgedacht!“
„Sooo? Was denn für einen?“
„Er soll Johnny heißen!“ Ein lautes, vierstimmiges Lachen erfüllte darauf das Innere von Johnny!
Die Mädchen hielten bis zu seinem Ableben an diesem Namen fest. Wenn wir uns heute gemeinsam Bilder anschauen, auf dem der Wartburg zu sehen ist, dann zeigen sie mit dem Finger darauf und sagen: „Hier, das war unser Johnny!“
Warum ich ihn später umtaufte, ist auf seinen nach wenigen Jahren beginnenden Einsatz als Transportfahrzeug zurückzuführen, dem er trotz bereits vorhandener übergroßer Gebrechlichkeit sehr zuverlässig nachkam. Ich nannte ihn nur noch Gefechtsziege. Die mit einer Generalreinigung einhergehende, aber ungewollte farbliche Auffrischung der Außenhaut war daran schuld, dass dem Wort „Gefecht“ (wegen der vielen ausgefochtenen Gefechte) das Wort „Ziege“ angeheftet wurde.
Zur Ehrenrettung eines in der DDR hergestellten Autos sei gesagt: Der Titel „Gefechtsziege“ ist in diesem Fall kein Schimpfwort für ein dahinsiechendes DDR-Produkt. Der Buchtitel „Gefechtsziege LB-55-40“ ist vielmehr ein würdiges Memorial für ein Auto, das uns gute Dienste leistete und viel Freude brachte.
Gib deinem Auto einen Namen, dann zieht es mit dir enge Bahnen!
Pulsuz fraqment bitdi.