Die Herbst-Apparatur

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Extreme Klasse-II-Überkorrektur ohne nachfolgende Retention bei der Herbst-Behandlung

Eine Pilotstudie

Einleitung

Nachdem Pancherz 19791 die Herbst-Apparatur2,3 nach 40-jähriger Vergessenheit in die Kieferorthopädie zurückgebracht hatte, wurde anfangs das ursprüngliche Behandlungskonzept von Herbst übernommen. Dabei wurde bei der Klasse-II:1-Behandlung der Unterkiefer mit dem TeleskopMechanismus in einem Schritt bis zu einem minimalen Overjet vorverlagert. Nach einigen Jahren erfolgreicher Behandlung nach diesem Konzept fand Pancherz4, dass eine größere Vorverlagerung des Unterkiefers eine stärkere Auswirkung auf die Okklusion und das Unterkieferwachstum hat als eine kleinere Unterkiefervorverlagerung. Das führte dazu, dass der Autor seit 1984 bei voll ausgebildeten Klasse-II-Dysgnathien den Unterkiefer regelmäßig bis zu einem frontalen Kreuzbiss mit der Herbst-Apparatur vorverlagert hat5. Das Verfahren resultiert in einer Superklasse-I-Okklusion und einem inzisalen Kreuzbiss. Kurze Zeit nach der Behandlung normalisieren sich in der Regel der Überbiss und die Okklusion. Der Autor wollte mit dieser Überbehandlung ein stabileres Endergebnis erreichen und eine Klasse-II-Retention nach der Behandlung umgehen. Wissenschaftliche Untersuchungen zu dieser Vorgehensweise gibt es aber zurzeit nicht.

Ziel dieses Beitrags ist es, eine Pilotuntersuchung von konsekutiv therapierten Klasse-II:1-Herbst-Patienten vorzustellen, welche alle extrem zu einem frontalem Kreuzbiss und einer Klasse-III-Okklusion überbehandelt wurden. Nach der Herbst-Therapie fanden weder eine weitere Behandlung noch eine Retention statt. Die Untersuchung sollte folgende Fragen beantworten:

•Was passiert mit dem frontalen Kreuzbiss und der Klasse-III-Okklusion nach der Herbst-Behandlung?

•Normalisieren sich der Overjet und die Seitenzahnokklusion spontan?

•Wie regelmäßig sind die Veränderungen (Normalisierung von Overjet und Seitenzahnokklusion) nach der Behandlung?

•Wie stabil sind die Veränderungen?

Untersuchte Probanden

Die prospektive Pilotstudie umfasste 10 (8 männliche und 2 weibliche) Klasse-II:1-Dysgnathien, welche alle mit der Bänder-Herbst-Apparatur in Kombination mit Sektionsbögen an den oberen und unteren Frontzähnen behandelt wurden. Die Patienten wurden aus dem Klasse-II-Patientenpool der kieferorthopädischen Abteilung, Universität Malmö/Schweden, nach folgenden Kriterien ausgewählt:

•Kinder und Jugendliche (keine Erwachsenen) im bleibenden Gebiss,

•keine Aplasien oder Syndrome,

•Klasse-II-Molarenokklusion vom mindestens ¾ Prämolarenbreite (Pb),

•Overjet von mindestens 7 mm,

•kein offener Biss,

•keine transversalen Okklusionsabweichungen,

•Behandlung von nur einer Person (Autor).

Eine Zustimmung zur Behandlung lag von allen Patienten und Eltern vor. Das Alter der Probanden vor der Behandlung variierte zwischen 12 und 16 Jahren. Gemäß Handröntgen5 befanden sich 7 Patienten in der präpubertären und 2 Patienten in der postpubertären Wachstumsperiode.

In der Studie wurde die Behandlungsdauer bei allen Patienten auf 6 Monate festgelegt. Nach der Herbst-Behandlung fanden weder eine Retention und noch eine weitere Behandlung irgendeiner Art statt. Die Patienten wurden nach 6 Monaten und nach 4 bis 6 Jahren nach der Behandlung nachuntersucht. Da bei 2 Patienten keine Langzeitunterlagen existierten, fand bei ihnen eine Kontrolle nur 6 Monate nach der Behandlung statt.

Untersuchungsmethoden

Die Pilotstudie umfasste eine Analyse von Fernröntgenseitenbildern (FRS) und intraoralen Fotos zu folgenden Zeitpunkten: vor der Herbst-Behandlung (T1), nach der Behandlung (T2), 6 Monate nach der Behandlung (T3) und 4 bis 6 Jahre nach der Behandlung (T4). Der Autor führte alle Messungen durch. Die Untersuchung beschränkte sich auf 6 Variablen.

Variable 1 – Overjet

Die sagittale Beziehung zwischen den oberen und unteren Inzisivi wurde in mm gemessen. Ein positiver (+) Overjet bedeutet, dass die oberen Inzisivi vor den unteren Inzisivi stehen. Ein negativer (−) Overjet besagt, dass sich die oberen Inzisivi hinter den unteren Inzisivi befinden (frontaler Kreuzbiss). Ein Overjet ist normal, wenn er positiv ist und eine Größe von 2–4 mm hat.

Variable 2 – sagittale Molarenrelation

Die sagittale Zahnbogenrelation im Bereich der ersten bleibenden Molaren wurde mit einer Genauigkeit von einer ½ Pb bestimmt. Die Molarenrelation umfasste folgende Kategorien:

•Klasse I: Der mesiobukkale Höcker des oberen Molars okkludiert mit der zentrofazialen Fossa des unteren Molars.

•Klasse II: Der untere Molar okkludiert mit dem oberen Molar mindestens ¾ Pb distal von einer Klasse-I-Okklusion.

•Klasse III: Der untere Molar okkludiert mit dem oberen Molar ½ bis 1 Pb mesial von einer Klasse-I-Okklusion.

•Klasse I(+): Die Molarenokklusion liegt zwischen einer Klasse I und einer Klasse III.

•Klasse I(−): Die Molarenokklusion liegt zwischen einer Klasse I und einer Klasse II.

•Klasse III(+): Der untere Molar okkludiert mit dem oberen Molar mehr als eine Pb mesial von einer Klasse-I-Okklusion.

Variable 3 – Overbite

Die vertikale Beziehung zwischen den Schneidekanten der oberen und unteren Inzisivi wurde in mm gemessen. Der Overbite wurde in folgende Kategorien eingeteilt:

•Normal: Kontakt zwischen den oberen und unteren Inzisivi liegt vor und der Overbite ist 4 mm oder kleiner.

•Tiefer Biss: Der Overbite ist 5 mm oder größer.

•Offener Biss: Ein vertikaler Kontakt zwischen den Inzisivi ist nicht vorhanden.

Variable 4 – Vertikale Molarenrelation

Die vertikale Zahnbogenrelation im Bereich der ersten Molaren wurde beurteilt. Es konnte ein okklusaler Kontakt (oK) oder kein okklusaler Kontakt (koK) der Molaren vorliegen. Ein koK der Molaren bedeutet einen lateral offenen Biss.

Variable 5 – Inklination der unteren Inzisivi

Die Neigung der unteren Inzisivi (UI) zum unteren Rand der Mandibula (ML) wurde in Winkelgrad gemessen (UI/ML).

Variable 6 – Platzverhältnisse der unteren Frontzähne

Das Ausmaß eines Engstands der unteren Inzisivi wurde visuell in mm beurteilt und in vier Kategorien eingeteilt:

•Grad 1: Engstand von 0–1 mm

•Grad 2: Engstand von 2–3 mm

•Grad 3: Engstand von 4–5 mm

•Grad 4: Engstand von > 6 mm

Die linearen (Variablen 1 und 3) und die angularen (Variable 5) Messungen wurden mit einer Genauigkeit von 0,5 mm bzw. 0,5° durchgeführt. Die lineare Vergrößerung (7 %) wurde berichtigt. Alle Messungen wurden zweimal wiederholt. Für die Variablen 1, 3, und 5 wurde der Mittelwert als finaler Messwert verwendet. Für die Variablen 2, 4, und 6 wurde eine dritte Messung durchgeführt, wenn die erste und zweite Messung unterschiedlich waren.

Ergebnisse

Die individuellen Ergebnisse der 10 Patienten für alle Variablen sind in den Tabellen 1 bis 5 und in Abbildung 1 dargestellt. Die typischen klinischen Veränderungen während und nach der Behandlung eines extrem überbehandelten Herbst-Falls (Fall 3) zeigt Abbildung 2. Um die Veränderungen der oberen und unteren Inzisivi während und nach der Herbst-Behandlung zu demonstrieren, werden die FRS aller Patienten zu den Zeitpunkten T1, T2, T3 und T4 in Abbildung 3 gezeigt.

Tab. 1 Overjet (mm) bei Klasse-II:1-Dysgnathien (Fälle 1–10), die mit der Herbst-Apparatur zu einem frontalen Kreuzbiss und einer Klasse-III-Molarenokklusion extrem überbehandelt worden sind. Die Behandlung wurde während eines vorbestimmten Zeitraums von 6 Monaten ohne anschließende Retention durchgeführt: T1 = vor der Behandlung; T2 = nach 6-monatiger Behandlung, nach Entfernung der Apparatur; T3 = 6 Monate nach der Behandlung; T4 = 4–6 Jahre nach der Behandlung.


FallT1T2T3T4
18,5−5,03,03,0
210,5−3,04,05,5
311,5−4,55,03,5
49,5−3,03,56,0
57,5−3,02,53,0
67,0−5,03,03,5
78,5−3,53,53,5
88,5−1,52,05,0
910,5−3,03,0––
107,0−3,03,0––

Tab. 2 Sagittale Molarenrelation (Klasse I, II und III) bei Klasse-II:1-Dysgnathien (Fälle 1–10), die mit der Herbst-Apparatur zu einem frontalen Kreuzbiss und einer Klasse-III-Molarenokklusion extrem überbehandelt worden sind. Die Behandlung wurde während eines vorbestimmten Zeitraums von 6 Monaten ohne anschließende Retention durchgeführt: T1 = vor der Behandlung; T2 = nach 6-monatiger Behandlung, nach der Entfernung der Apparatur; T3 = 6 Monate nach der Behandlung; T4 = 4–6 Jahre nach der Behandlung.

 

FallT1T2T3T4
1IIIIIII(−)
2IIIIIII(−)
3IIIII(+)II
4IIIIIII
5IIIIIII
6IIIIII(+)I
7IIIIII(+)I
8IIIIIII
9IIIIII––
10IIIIII––

Tab. 3 Overbite (mm; normal, tief und offen) bei Klasse-II:1-Dysgnathien (Fälle 1–10), die mit der Herbst-Apparatur zu einem frontalen Kreuzbiss und einer Klasse-III-Molarenokklusion extrem überbehandelt worden sind. Die Behandlung wurde während eines vorbestimmten Zeitraums von 6 Monaten ohne anschließende Retention durchgeführt: T1 = vor der Behandlung; T2 = nach 6-monatiger Behandlung, nach der Entfernung der Apparatur; T3 = 6 Monate nach der Behandlung; T4 = 4–6 Jahre nach der Behandlung.


FallT1T2T3T4
11,5 (n)0,5 (n)1,5 (n)2,0 (n)
21,0 (n)1,5 (n)2,0 (n)1,0 (n)
35,0 (t)3,0 (n)3,5 (n)3,5 (n)
45,0 (t)1,5 (n)3,5 (n)3,5 (n)
52,5 (n)1,5 (n)2,0 (n)2,0 (n)
65,0 (t)2,0 (n)4,0 (n)5,0 (t)
75,5 (t)1,5 (n)4,0 (n)4,0 (n)
85,5 (t)0 (n)4,0 (n)4,5 (n)
97,0 (t)1,0 (n)5,5 (t)––
101,5 (n)−1,5 (o)2,0 (n)––

Tab. 4 Vertikale Molarenrelation (okklusale [oK] und keine okklusalen [koK] Kontakte) bei Klasse-II:1-Dysgnathien (Fälle 1–10), die mit der Herbst-Apparatur zu einem frontalen Kreuzbiss und einer Klasse-III-Molarenokklusion extrem überbehandelt worden sind. Die Behandlung wurde während eines vorbestimmten Zeitraums von 6 Monaten ohne anschließende Retention durchgeführt: T1 = vor der Behandlung; T2 = nach 6-monatiger Behandlung, nach der Entfernung der Apparatur; T3 = 6 Monate nach der Behandlung; T4 = 4–6 Jahre nach der Behandlung.


FallT1T2T3T4
1oKkoKoKoK
2oKkoKoKoK
3oKoKoKoK
4oKkoKoKoK
5oKkoKoKoK
6oKkoKoKoK
7oKkoKoKoK
8oKkoKoKoK
9oKkoKoK––
10oKkoKoK––

Tab. 5 Engstand (Grad 1–4) bei Klasse-II:1-Dysgnathien (Fälle 1–10), die mit der Herbst-Apparatur zu einem frontalen Kreuzbiss und einer Klasse-III-Molarenokklusion extrem überbehandelt worden sind. Die Behandlung wurde während eines vorbestimmten Zeitraums von 6 Monaten ohne anschließende Retention durchgeführt: T1 = vor der Behandlung; T2 = nach 6-monatiger Behandlung, nach der Entfernung der Apparatur; T3 = 6 Monate nach der Behandlung; T4 = 4–6 Jahre nach der Behandlung.


FallT1T2T3T4
13334
21111
32223
42124
51112
62112
72123
81112
9222––
10211––


Abb. 1 Neigung der unteren Inzisivi zum unteren Rand des Unterkiefers (LI/ML) bei 10 Klasse-II-Dysgnathien, die mit der Herbst-Apparatur zu einem frontalen Kreuzbiss und einer Klasse-III-Molarenokklusion extrem überbehandelt wurden. Bei allen Patienten wurde die Behandlungsdauer im Voraus auf 6 Monate und ohne Retention nach der Behandlung festgelegt: T1 = vor der Behandlung; T2 = nach der Behandlung, zum Zeitpunkt der Entfernung der Apparatur; T3 = 6 Monate nach der Behandlung; T4 = 4–6 Jahre nach der Behandlung. Zu bemerken bei allen Patienten ist die starke Proklination der Inzisivi während der Behandlung (T1–T2) und das fast vollständige Rezidiv nach der Behandlung, speziell während der ersten 6 Monate nach der Behandlung (T2–T3).


Abb. 2 Intraorale Fotos und FRS eines 12,5-jährigen Mädchens mit einer Klasse-II:1-Dysgnathie, die mit der Herbst-Apparatur zu einem frontalen Kreuzbiss und einer Klasse-III-Molarenokklusion extrem überbehandelt wurde. Die Behandlung fand während 6 Monaten und ohne Retention nach der Behandlung statt. T1 = vor der Behandlung: großer Overjet, voll ausgeprägte Klasse-II-Okklusion und tiefer Biss. Ein minimaler Engstand der unteren Inzisivi liegt vor. Herbst = während der Herbst-Behandlung: Vorverlagerung des Unterkiefers zu einem frontalen Kreuzbiss. T2 = nach 6-monatiger Behandlung zum Zeitpunkt der Entfernung der Apparatur: Überkorrektur der Klasse II zu einem negativen Overjet und einer Klasse-III-Okklusion der Seitenzähne, keine Retention nach der Behandlung. T3 = 6 Monate nach der Behandlung: „Setzen“ der Okklusion, normaler Overjet/Overbite und stabile Klasse-I-Okklusion. T4 = 6 Jahre nach der Behandlung im Alter von 19 Jahren: erfolgreiche Dauerergebnis. Der Engstand der unteren Inzisivi hat sich während der gesamten Untersuchungsperiode (T1–T4) von 6,5 Jahren leicht vergrößert. Die FRS der Patientin zeigen eine ausgeprägte Proklination der unteren Inzisivi während der Behandlung (T1–T2). Ein fast vollständiger Rückgang (Rezidiv) der Neigung der Zähne erfolgte nach der Behandlung, vor allem in der ersten Nachuntersuchungsperiode (T2–T3).


Abb. 3 FRS der 10 Klasse-II:1-Dysgnathien, die mit der Herbst-Apparatur zu einem frontalen Kreuzbiss und einer Klasse-III- Molarenokklusion extrem überbehandelt wurden. Bei allen Patienten war die Behandlungsdauer im Voraus auf 6 Monate und ohne Retention nach der Behandlung festgelegt. T1 = vor der Behandlung, T2 = nach der Behandlung, zum Zeitpunkt der Entfernung der Apparatur, T3 = 6 Monate nach der Behandlung, T4 = 4–6 Jahre nach der Behandlung. Für die Fälle 9 und 10 gab es keine T4-Unterlagen. Zu beachten bei allen Fällen sind die Klasse-II-Überkorrektur zum Zeitpunkt T2 und das Rezidiv zum Zeitpunkt T3.

Vor der Behandlung (T1)

•Alle Patienten hatten vor der Behandlung eine Klasse-II:1-Dysgnathie mit einem großen Overjet (7,0–11,5 mm) und einer Klasse-II- Molarenrelation (3/4–1 Pb).

•Der Overbite variierte zwischen 1,0 mm und 7,0 mm. Ein tiefer Biss (ein Overbite von 5,0–7,0 mm) war bei 6 der 10 Patienten zu sehen, während 4 Patienten einen normalen Overbite (1,5–2,5 mm) hatten.

•Vertikale Okklusionskontakte im Bereich der Molaren lagen bei allen Probanden vor.

•Die Neigung der unteren Inzisivi variierte zwischen 89,0 und 110,5°.

•Ein Engstand der unteren Inzisivi von 0–1 mm (Grad 1) war bei 3 Patienten und von 2–3 mm (Grad 2) bei 6 Patienten zu vermerken. Bei 1 Patienten war der Engstand 4,5 mm (Grad 3).

Veränderungen während der Behandlung (T1–T2)

•Alle Patienten wurden zu einem frontalen Kreuzbiss (negativer Overjet) und einer Klasse-III- oder Klasse-III(+)-Molarenrelation überbehandelt. Bei keinem Patienten lag ein anteriorer Zwangsbiss nach der Behandlung vor.

•Bei allen Patienten reduzierte sich der Overbite. Nach der Behandlung war bei 1 Patienten ein inzisaler Kopfbiss, bei 8 Patienten ein Overbite von 1,0–4,0 mm und bei 1 Patienten ein frontal offener Biss (negativer Overbite von 1,5 mm) zu sehen.

•Bei 9 der 10 Patienten lag nach der Behandlung ein lateral offener Biss (keine okklusalen Kontakte zwischen den Molaren) vor.

•Bei allen Patienten wurden die unteren Inzisivi während der Behandlung prokliniert. Der UI/ML-Winkel vergrößerte sich mit 4,5–22,5°.

•Bei 4 Patienten verkleinerte sich der untere Frontengstand von Grad 2 auf Grad 1; er blieb unverändert bei den übrigen 6 Probanden.

Veränderungen nach der Behandlung bis 6 Monate später (T2–T3)

•Bei allen Patienten rezidivierte der Overjet. Zum Zeitpunkt T3 lag ein positiver Overjet von 2,0 mm bis 5,0 mm vor.

•Bei 8 Patienten rezidivierte die Molarenrelation von einer Klasse III auf eine Klasse I und bei 2 Patienten auf eine Klasse I(+).

•Bei allen Patienten vergrößerte sich der Overbite. Zum Zeitpunkt T3 war der Overbite normal (1,5–4,0 mm) bei 9 Patienten und tief (5,5 mm) bei 1 Patient.

•Bei allen Patienten lagen zum Zeitpunkt T3 vertikale Molarenkontakte vor.

•Bei allen Patienten richteten sich die proklinierten Inzisivi wieder auf (3,0–19,5°). Die größte Retroklination nach der Behandlung war bei den Patienten mit der größten Proklination während der Behandlung zu sehen.

•Bei 2 Patienten vergrößerte sich der Engstand in der Unterkieferfront von Grad 2 auf Grad 3. Bei den übrigen 8 Patienten waren die Platzverhältnisse der Inzisivi unverändert.

Veränderungen von 6 Monaten bis 4–6 Jahre nach der Behandlung (T3–T4)

•Während dieser Periode wurden nur 8 der 10 Patienten untersucht.

•Bei 5 Patienten war der Overjet zum Zeitpunkt T4 normal (3,0–3,5 mm) und bei 3 Patienten etwas vergrößert (5,0–6,0 mm).

•Bei 6 Patienten verblieb die sagittale Molarenrelation stabil in einer Klasse I und bei 2 Patienten veränderte sie sich auf eine Klasse I(−).

•Bei 3 Probanden fand eine kleine Vergrößerung (0,5–1,0 mm) des Overbites statt. Zum Zeitpunkt T4 war der Overbite normal (1,0–4,5 mm) bei 5 Probanden, während ein tiefer Biss (Overbite = 5,0 mm) bei 1 Probanden vorlag.

•Bei allen 8 Patienten lagen zum Zeitpunkt T4 vertikale Molarenkontakte vor.

•Bei 6 Patienten veränderte sich die Neigung der unteren Inzisivi unbedeutend. Bei 1 Probanden proklinierten die Zähne mit 5° und bei 1 anderen Probanden retroklinierten die Zähne mit 5°.

•Bei 7 Patienten vergrößerte sich der Engstand im Vergleich zu T3. Bei 2 Patienten erreichte der Engstand zum Zeitpunkt T4 Grad 4.

Diskussion

Das Verfahren „Klasse-III-Bite-Jumping“ ist von der kieferorthopädischen Gemeinschaft bis heute noch nicht angenommen worden. Der Hauptgrund scheint zu sein, dass es klinisch nicht richtig sei, eine Klasse II in eine Klasse III mit frontalem Kreuzbiss umzustellen. Weiterhin sind viele Kieferorthopäden der Meinung, dass das „Setzen“ der Okklusion in eine Klasse I nach der Überbehandlung problematisch sein kann und dass die Methode einen Dauererfolg nicht begünstigt. Diese Vermutungen werden von den Ergebnissen der vorliegenden Studie widerlegt.

 

Die Studie hat den Charakter einer experimentellen Untersuchung. Die Anzahl der Patienten war klein, aber die Probanden waren gut definiert. Alle 10 Patienten hatten die gleiche Dysgnathie (Klasse II:1). Sie wurden alle von derselben Person (dem Autor) während eines vorgegebenen Zeitraums von 6 Monaten behandelt. Das Design der Apparatur und der Behandlungsablauf waren bei allen Patienten gleich. Der Unterkiefer wurde durch ein schrittweises Bite Jumping6 bis zu einem frontalen Kreuzbiss vorverlagert. Um die posttherapeutischen Veränderungen richtig bewerten zu können, fand nach der Herbst-Behandlung keine weitere Therapie mit anderen Geräten statt und eine Retention wurde nicht vorgenommen. Weiterhin wurden die Patienten in vergleichbaren Abständen von 6 Monaten und von 4 bis 6 Jahren nach der Behandlung aufs Neue untersucht. Bedingt durch das strikte Studiendesign können somit die Ergebnisse als zuverlässig betrachtet werden.

Veränderungen während der Behandlung (T1–T2)

Die Veränderungen der sagittalen Frontzahnrelation von einem großem positiven Overjet zu einem negativen Overjet (frontaler Kreuzbiss) sind das Ergebnis von hauptsächlich folgenden skelettalen und dentalen Veränderungen4: (1) Vergrößerung des mandibulären Wachstums, (2) Proklination der unteren Inzisivi und (3) Retroklination der oberen Inzisivi. Eine eventuelle Hemmung des Oberkieferwachstums hat kaum Einfluss auf die Veränderungen des Overjets4.

Bei einer Herbst-Behandlung ist eine Proklination der unteren Inzisivi regelmäßig zu sehen. Dies war auch der Fall bei den Probanden dieser Studie (Abb. 1). Generell ist diese Proklination ein unerwünschter Nebeneffekt der Herbst-Behandlung und schwierig zu verhindern, unabhängig vom Design der Apparatur und der verwendeten Verankerung7,8.

Mögliche sekundäre Effekte der Proklination der Inzisivi, welche in der Literatur diskutiert werden, sind gingivale Rezessionen, parodontaler Knochenverlust und Frontzahnengstand. Frühere Herbst-Forschung9,10 konnte aber keine Zusammenhänge zwischen einer Proklination der unteren Frontzähne und den genannten sekundären Effekten, weder kurzfristig9 noch langfristig10, finden.

In der Herbst-Studie von 19989, bei welcher eine konventionelle Vorverlagerung des Unterkiefers mit den Frontzähnen in Kopfbissstellung vorgenommen wurde, proklinierten die Inzisivi der Patienten zwischen 0,5 und 19,5°. Diese Werte waren etwas kleiner als die der Patienten dieser Studie (4,5–22,5°), bei welchen die Unterkiefervorverlagerung zu einem frontalen Kreuzbiss ausgestreckt wurde. Die Befunde stimmen mit denen einer Herbst-Studie von 200911 überein, bei welcher ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Unterkiefervorverlagerung und der Frontzahnproklination gefunden wurde.

Kurzfristige Veränderungen nach der Behandlung (T2–T3)

Da nach der Behandlung keine Retention vorgenommen wurde, konnten adaptive Zahnbewegungen ungehindert stattfinden. Solche rezidivierenden Zahnbewegungen waren speziell in den ersten 6 Monaten nach der Behandlung zu sehen und resultierten in einem „Setzen“ der Okklusion12.

Bei allen Patienten korrigierte sich der frontale Kreuzbiss spontan und ein normaler positiver Overjet war die Folge. Dies war hauptsächlich das Ergebnis einer Retroklination der unteren Inzisivi12,13 (die Inklinationswerte gingen im Durchschnitt mit 91 % zurück) (Abb. 1). Dabei ist zu beachten, dass die Retroklination der Zähne nicht zu einem vergrößerten Frontengstand führte, weil die Seitenzähne nach posterior wanderten13 und dadurch Platz für die Frontzähne entstand.

Die sagittale Okklusion der Molaren änderte sich von einer Klasse III in Richtung einer Klasse I (die Molaren „setzten“ sich). Dies war alleinig bedingt durch dentale Veränderungen12. Die oberen Molaren wanderten nach mesial und die unteren nach distal. Wachstumsveränderungen im Ober- und Unterkiefer trugen höchstwahrscheinlich nicht zum „Setzen“ der sagittalen Molarenokklusion bei.

Langfristige Veränderungen nach der Behandlung (T3–T4)

Die okklusalen Veränderungen (Overjet und Molarenrelation) waren während dieser Periode klein. Die Veränderungen hatten vermutlich weniger mit einer dentoalveolären Anpassung nach der Behandlung, sondern eher mit normalen Wachstumsveränderungen zu tun.

Das partielle Klasse-II-Rezidiv der Molarenrelation bei den Fällen 1 und 2 (Abb. 3) war höchstwahrscheinlich durch eine unstabile Verzahnung der Seitenzähne14 verursacht. Ein „Setzen“ der Okklusion in eine stabile Klasse-I-Verzahnung nach der Behandlung hat bei diesen Patienten offensichtlich nicht stattgefunden. Dies kann durch eine anhaltende Zungendysfunktion14 erklärt werden. Ein solches Habit beeinflusst nicht nur die okkludierenden Seitenzähne, sondern auch die Frontzähne, wie bei Fall 2 zu sehen ist. Hier vergrößerte sich der Overjet um 1,5 mm (von 4,0 mm auf 5,5 mm).

Der Overbite bei der Herbst-Behandlung

Wenn die Klasse-II-Dysgnathie mit einem mäßigen Tiefbiss kombiniert ist, ist der Overbite kein Problem bei der Herbst-Behandlung mit extremer Klasse-II-Korrektur und ohne nachfolgende Retention. Wenn aber ein ausgeprägter Tiefbiss (s. Fall 9, Abb. 3 und 4) vorliegt, ist ein Rezidiv des Overbites nach der Behandlung leicht möglich. Der Grund ist, dass bei extremen Tiefbissen die Vorverlagerung des Unterkiefers zu einem extrem großen, seitlich offenen Biss führt (s. Fall 9 in Abb. 3 und 4). Wenn dann nach aktiver Behandlung das vertikale „Setzen“ der Okklusion im Seitenzahnbereich langsamer als im Frontzahnbereich geschieht, rezidivieren der Overbite und der Tiefbiss (s. Fall 9, Abb. 3 und 4). Deshalb sollte bei ausgeprägten Tiefbissen eine „aktive“ Retention zum Steuern der vertikalen Zahnbewegungen nach der Behandlung durchgeführt werden. Der Aktivator ist dafür am besten geeignet. Durch selektives Freischleifen der Kunststoffbasis des Aktivators können vertikale Zahnbewegungen im Seitenzahngebiet gefördert und im Frontzahngebiet gehemmt werden.

Abb. 4 Fall 9 (aus Abb. 3) – Intraorale Fotos eines 13-jährigen Jungens mit einer Klasse-II:1- Dysgnathie und einem ausgeprägten Tiefbiss. Die Dysgnathie wurde mit einer Herbst-Apparatur zu einem frontalen Kreuzbiss und einer Klasse-III-Molarenrelation extrem überbehandelt. Nach der Behandlung fand keine Retention statt. a) vor der Behandlung (T1): ausgeprägter tiefer Biss. b) nach 6-monatiger Behandlung (T2): Überkorrektur der Klasse II (negativer Overjet und Klasse-III-Molarenrelation) sowie durch die Unterkiefervorverlagerung entstandener ausgeprägter offener Biss im Seitenzahngebiet. c) 14 Tage nach der Behandlung: positiver Overjet und weiter bestehender seitlich offener Biss. d) 6 Monate nach der Behandlung (T3): „Setzen“ der Okklusion, normaler Overjet und stabile Klasse-I-Okklusion. Der Overbite ist vergrößert und eine Tiefbisstendenz liegt vor. e) 2 Jahre nach der Behandlung: stabile Klasse-I-Okklusion und ausgeprägter tiefer Biss.

Schlussfolgerung

Innerhalb der Grenzen dieser Pilotstudie (kleines Patientengut) kann gesagt werden, dass bei Klasse-II:1-Dysgnathien eine extreme Klasse-II-Überkorrektur (negativer Overjet, Klasse-III-Molarenrelation) mit der Herbst-Apparatur durchaus erfolgreich ist. In der Regel normalisiert sich die sagittale Okklusion innerhalb von 6 Monaten nach der Behandlung ohne eine weitere Behandlung oder Retention.

In der modernen Kieferorthopädie wird die Behandlung ausgeprägter Klasse-II:1-Dysgnathien vorwiegend in zwei Phasen durchgeführt. In der ersten Phase werden die Klasse-II-Okklusion und der große Overjet mit einer Herbst-Apparatur behandelt. In der zweiten Phase werden mit einer MB-Apparatur eventuelle Platzprobleme beseitigt, eine Feineinstellung der Zähne vorgenommen und eine stabile Klasse-I-Okklusion gesichert5. Um die MB-Phase zu erleichtern und um ein stabiles Langzeitergebnis zu erhalten, ist eine Klasse-II-Überkorrektur während der Herbst-Phase sicherlich von großem Vorteil.

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