Kitabı oxu: «Mimili»
H. Clauren
Mimili
Inhaltsverzeichnis
Über den Autoren:
Inhalt
Impressum
Über den Autoren:
Heinrich Clauren war ein deutscher Schriftsteller.
Inhalt
Die sogenannte Hauptstadt der Welt, das lärmende Paris lag mir im Rücken; ich war ihrer herzlich müde geworden. Nach Ruhe, nur nach Ruhe sehnte sich mein Gemüth. Das Getreibe des herrlichen Feldzuges hatte mich erschöpft; im Wechselgeschwirre des Kriegeslebens war mir ein Jahr verflogen; ich suchte ein Plätzchen, wo ich mich ausruhen konnte; ein stilles, friedliches Plätzchen, um mir nur einmal selbst zu gehören.
Darum eilte ich über Fontainebleau und Dijon in die Schweiz.
Von allem, was ich auf dem Wege bis dahin, und in dem freundlichen Neufchatel, und weiter links und rechts sah, ein andermal, heute nur in das Lauterbrunner Thal.
Ich hatte meinen Reisegefährten, der etwas unwohl war, in Unterseen gelassen, und machte mich, noch am Tage unsrer Ankunft, auf den Weg.
Mein Führer war ein rüstiger Mann; wir stiegen raschen Schrittes am Ufer der weißschäumenden Lütschine hinauf, die zwischen den himmelhohen Felsen sich durchwindet. Zuerst nach Matten, unfern der Ruinen von Unspunnen und Wilderswyl vorbey; dann links den tosenden Waldstrom immer weiter entlang; rechts aber fast senkrechte, bald nackte, bald bewachsene Felswände. Immer dunkler und enger ward die Schlucht und immer wilder die Gegend. Mein Führer verstummte nach und nach – bei einem Felsenblock, groß wie ein Haus, schlug er sich ein Kreuz vor die Brust. »Was ist Euch?« frug ich neugierig, und sah verwundert ein Bächlein schwarzes Wasser, neben den Felsblock, aus dem steinigen Gerille, zu unsern Füßen in die Lütschine herabrieseln.
»Das, Herr, ist der böse Stein, und das hier, der böse Bach,« entgegnete der Führer. »Hier erschlug der Freiherr von Rothenflüh seinen Bruder um leidiges Erbe, und flüchtete dann, und irrte ohne Heimath und Obdach umher, bis er verkümmerte und elendig starb, und niemand hinterließ, so daß sein Name mit ihm erloschen ist: auf ewige Zeiten.«
Ich sah den Gräßlichen, wie er, im weißen Schaum der eilenden Lütschine, das Bruderblut von den Händen sich wusch, dann, von der Geißel seines Gewissens gepeitscht, von dannen flüchtete, und den Frieden seines Herzens, auf die Dauer seines ganzen Lebens, in dem schauerlichwilden Thale ließ.
Mir lief es kalt über den Nacken, und ich eilte von dem Mordplatze wegzukommen.
Von Zweilütschinen aus führt eine kühne Brücke auf die Iselten-Alp; hier treffen die schwarze Lütschine aus Grindelwald und die weiße Lütschine aus Lauterbrunn zusammen, und stürzen von da vereinigt, mit reissender Schnelligkeit, nach der Aar hinab.
Auf einigen Punkten gewinnt man hier, aus den engen Thalklüften die überraschende Aussicht auf die blendende Scheitel der Jungfrau in Süden, und auf den herrlichen Gletscher, das Wetterhorn, in Osten.
Vor Lauterbrunn kamen mir mehrere kleine arme Kinder entgegen, die mich um ein Almosen ansprachen. Sie thaten das mit einer so herzigen Manier, daß man keinem seine Bitte abschlagen konnte.
»I bi ä gar zu armes Bubeli!« riefen gewöhnlich die kleinen Jungen, und streckten die Händchen weit vor, und sobald sie die Spende erhalten hatten, erboten sie sich dankbarlich zu allen Liebesdiensten; besonders beeiferten sie sich, mir die schönsten Stellen ihres Thales zeigen zu wollen.
In den Französischen Städten war man auf jeder Straße von Gassenbuben umringt, die zu den schönsten Mamsells zu führen, sich an den Fremden drängten; hier wollten mir der Sennhirten schuldlose Kinder, die Pracht ihrer stillen Thäler weisen. – Jeder der Kleinen hier hatte sein Lieblingsplätzchen; einer wollte mir das, der andere jenes zeigen; ich wäre heute noch nicht fertig, wenn ich mit jedem hätte gehen wollen. Mehrere raunten mir, hinterm Rücken des Führers, in's Ohr, daß sie links und rechts tief drinnen im Thal viel besser Bescheid wüßten als er; allein meine Zeit war zu beschränkt, ich mußte mich von der kleinen Schweizerbrut mit Gewalt losreissen.
In Lauterbrunn selbst saßen vor den Thüren vieler Hütten, künstliche Holzschnitzer mit ihren Familien, und arbeiteten die niedlichsten Sachen aus Ahorn, die weit und breit verkauft werden; vornehmlich, Milchterrinen, Milchlöffel und Buttermesser. Erstere konnte ich Fußwanderer nicht fortbringen, aber mit letzteren belud ich meinen Führer dutzendweise.
Wir wanderten weiter.
Von fern schon rauschte der Staubbach.
An der 800 Fuß hohen Wand des Pletschberges stürzt dieser Bach herab. Man kann Stundenlang das Auge an dem seltsamen Spiel dieses Wasserfalls weiden. Oben am Rande der schroffen Felsenwand, bricht des Baches Wasser herüber, zerstiebt im Fallen in tausend Millionen kleiner Staubtheile, schwebt als leichtes weißes Schaumbild in den Lüften, und sprützt in äußerst feinem, sanften Regenthau hernieder. Oft ist es, als walle ein blendendweißer, vierhundert Ellen langer Florvorhang, von der Spitze der Felswand herab. Ein solches Prachtwerk der Natur kann kein Mensch beschreiben, kein Künstler malen; und die Versailler Wasserkünste sind gegen diesen Bach ein Nürnbergerei.
Schräg ihm gegen über liegt, im Hintergrunde eines einfachen Obstgartens, das Pfarrhaus. Die junge Pfarrfrau, eine frische blühende Bernerinn, kam, ein rundes, gesundes Kind auf den Arm, und, nachdem wir ein langes und breites geplaudert hatten, bat sie mich, bei ihnen einzutreten, und mit dem vorlieb zu nehmen, was das Haus vermöge. Allein ich mußte die freundliche Einladung ablehnen; denn ich hatte noch einen weiten Weg.
Ein schmaler Fußpfad führte uns tiefer in den Hintergrund des Thales. Der Spis- Buchen- Aegerten- und Myrrenbach auf der einen, und der Schildwald- Trimlete- Rosen- Maden- und Stuffibach, auf der andern Seite des Thales, stürzten, wie vorhin der Staubbach, von den Felsenwänden herab, und rauschten weit entgegen und weit nach. Das Ziel meines Wunsches war, diesen Abend noch, der Jungfrau näher zu seyn. (– Daß ich ihr so nahe kommen, in ihrer Nähe so glücklich seyn würde, ahnete ich nicht. –) Mein Führer versprach, wenn ich gut steigen könnte, mich in eine Sennhütte zu bringen, von der aus ich, auf die Jungfrau den besten Standpunkt in der ganzen Runde haben sollte; und so ging es denn aus dem Lauterbrunner Thale heraus auf eine herrliche Alpe.
Hier und da trafen wir auf Senner, die ihre Tanse auf dem Rücken, eben in Begriff waren, zum Abendmelken in die Alpengründe zu gehen.
Wir stiegen immer Bergauf, aber die Mühe ward mit jeden Schritt belohnt: denn immer reicher und größer ward die Aussicht.
Endlich war die Sennhütte erreicht. Sie hatte eine so himmlische Lage, und der Senner war ein so freundlicher Mensch, daß ich mich gleich entschloß, hier zu übernachten und den Führer nach Unterseen zurückzuschicken. Den folgenden Morgen wollte der Senner mit seinen Buben bis Grindelwald mitgehen.
Der Senner war arm, wie alle seines Gleichen. Er bot mir frisches Heu zum Lager, und Milch und Käse zum Abendbrod an. Ich dankte ihm, und eilte zur Hütte hinaus, um keinen Augenblick, so lange es noch Tag war, den großen, den unbeschreiblichen Genuß zu verlieren, den hier die Natur bot. Ich legte mich auf die blühenden Matten, und schwelgte in der schönsten Freude des Menschen, in der Freude über Gottes wundervolle Welt.
Die Jungfrau lag in ihrer ganzen Pracht dicht vor mirDieser weltberühmte Gletscher liegt 10422 Fuß höher, als das Dorf Lauterbrunn, aus dem ich eben kam., hinter und neben ihr ragten das Mittag-Horn, das Tschingelhorn, Eben-Flüe und andere Riesengletscher hinauf; aber die Jungfrau hob über alle diese himmelhohen Felsen ihr silbergeschmücktes Haupt in die Azurblauen Regionen ihres Gottes empor!
Das sind die ewigen Grundpfeiler der Erde, diese zu den Wolken starrenden ungeheuern Granitfelsen:
Sonst – als der Erdball noch rund um im Wasser schwamm, mögen sie über dem Spiegel jenes unermeßlichen Ozeans hervorgeragt haben, als grünende Inselpunkte. Tausende von Jahren sind seitdem verronnen! Meere, Weltmeere sind seitdem vertrocknet, und diese Riesenfelsen stehen noch. Ihre ehrwürdigen Scheitel sind mit ewigem Eise bedeckt, ihre höchsten Gipfel betrat noch kein menschlicher Fuß! Sie schaffen und wirken und treiben im Stillen ihr Großes und Gutes, denn sie – sie speisen das schwarze und Mittelmeer, das adriatische und die Nordsee, und tränken die Länder Europens mit tausend Strömen, die ihren unerschöpflichen Tiefen entquellen.
Ich lag auf blumigem Rasen, und drüben die eisigen Gletscher. Selbst der Gipfel meiner Alpe war noch mit Schnee bedeckt.
Rund um mich herum war alles so still, als habe hier der ewige Friede seine Altäre gebaut. Tief unter mir das freundliche Lauterbrunner- und das schauerlich-furchtbare Ammertenthal, und in der Ferne das Tosen der Sturzbäche, die seit Jahrtausenden sich in die Thäler ergießen und nimmer versiegen; und weiter hinab das Räder-Geklapper der Schmelzhütten und Frischfeuer, und weiter hinauf das einsame Klingeln der zerstreuten Herden, zuweilen wohl auch das Meckern einer jungen Gais, hier Ziggi genannt, oder das Schwirren eines lustigen Käfers, der sich bis hieher verirrte, um das Getümmel der Welt einmal von oben herab zu beschauen.
Der Abend war milde und warm; ein leiser Zephyr wehete von den eisigen Gletschern sanfte Kühlung herüber, und Millionen duftiger Blumen würzten die reine Bergluft mit ihren balsamischen Wohlgerüchen.
Es war einer der seligsten Augenblicke meines Lebens; ich staunte immer mit neuem Entzücken von meinem blühenden Klee, die Wunderwerke der unbekannten gigantischen Schneewelt da drüben an; ich schlürfte die würzige Atmosphäre mit vollen Zügen ein. Eine namenlose Behaglichkeit ergoß sich über mein ganzes Innere; ich hätte laut mich freuen mögen, wenn nicht eine gewisse De- oder Wehmuth mein Gemüth gefesselt hätte. Ich kann es nicht beschreiben, aber es kam mir vor, als wäre ich so fromm noch nie gewesen. Der uralte ungeheure Koloß von Granitfelsen und funkelndem Eise mir gegenüber – was war er weiter, als ein kleiner Eiszacken, gegen die Myriaden von Sternenwelten am dunkeln Himmel der Mitternacht!
Ich faltete dir Hände und betete. Gott war mir nie näher gewesen: da hörte ich Menschentritte in der Ferne.
»Es kommt Jemand,« sagte ich zum Senner, der eben aus der Thür seiner Hütte trat, »wohnt noch Jemand bei Dir?«
»Abig kommt oft die Jungfer herauf und schläft hier.«
»Wer ist die Jungfer?«
»Die Tochter meines Herrn.Die Senner sind bekanntlich nur die Hirten der Kühe, die wohlhabenden Alpenbesitzern gehören.«
Ich sprang auf; der Senner ging ihr entgegen; – noch sah ich sie nicht, der Weg kam hinter der Hütte herauf, – sie rief ihm mit einer sehr wohlklingenden Stimme zu: »guten Abend, Rütli, ich werde heut bei Euch bleibe, es schonet, und s'ist schankliDer Abend ist schön, und es ist der Anschein da, daß es morgen auch gut Wetter ist.«
Der Senner mußte ihr von mir sagen; denn ich hörte, daß er von Außerer sprach; sie ward still, und wahrscheinlich zögerte sie, näher zu kommen; denn ich hörte keine Fußtritte weiter.
Ich bog daher um die Hütte, um die Herrin meiner Alpe zu begrüßen.
Wer in der Schweiz war, wird die theatralische Tracht der Alpenmädchen kennen. Bei meinem ersten Eintritt in den Kanton Bern dachte ich anfangs immer, wenn ich die idealisch gekleideten Schweizerinnen sah, es habe ein Freund mir einen Scherz bereitet, und der holden Jungfrauen schönste, nach der Phantasie irgend einer zarten Idylle angezogen, mir entgegen gesandt, um mir einzubilden, ich habe das Schäferland meiner Jugendträume gefunden. Nach und nach hatte ich mich denn endlich an die freundliche Wirklichkeit gewöhnt; aber diesem Mädchen jetzt gegenüber, mußte ich wieder in dem süßen Wahn mich verwirren, als sey dieses liebliche Wesen, eine Erscheinung aus der Dichterwelt jener seligen Vorzeit, wo die Unschuld in Menschengestalt auf der Erde wandelte. Das schwarze Lockenköpfchen schirmte ein großer Italienischer Strohhut, an dem ein Strauß von frischen Wiesenblumen schwankte; zwei lange blaßblaue Bänder flatterten von der breiten Krempe bis zur Hüfte herab. In den großen blauen Augen spiegelte sich die sanfteste Freundlichkeit, die argloseste Kindlichkeit, die fromme Liebe selbst. Herrlich wölbten sich, über diesen stillen Sprechern der Seele und des Herzens, die schwarzen Bogen der Augenbraunen und die langen seidnen Wimpern brachen den Feuerstrahl ihres glühenden Blickes. Jugend und Gesundheit blühten im Grübchen der Wange, auf den Purpurlippen und in der Fülle ihres ganzen schönen Körpers.
Das Brüstli wie das Miederchen war von schwarzem Sammt, geschnürt mit goldenem Kettchen und reich und geschmackvoll gestickt, mit Gold und buntfarbiger Seide. Die weiten Ermel, vom allerfeinsten Battist, reichten vor bis zur kleinen Hand; und gleichfalls vom nehmlichen Battist war das Hemdchen, das den blendend weißen Hals und den Busen züchtiglich verhüllte. Das schwarzseidene, hundertfaltige Röckchen, reichte kaum bis über das Knie, so daß die Zipfel der buntgestickten Strumpfbänder, die feingeformte Wade sichtbar umspielten; die Blumen der Matten aber küßten das Blüthenweiß ihres feinen, baumwollenen Strümpfchens, das den zartesten kleinsten Fuß verrieth. Vom Hinterkopfe hingen dem Mädchen zwei geflochtene brandschwarze bandbreite Zöpfe bis in die Kniekehle hinab, und am Arm schaukelte ein Körbchen, gar zierlich gearbeitet und künstlich durchflochten mit Rosen und sammtenen Fäden. Im ganzen Wesen der himmlischen Erscheinung, die frische Kräftigkeit der unverdorbensten Alpenbewohnerin, und doch der Anstand, die Haltung der gebildeten Städterin!
Das Mädchen wollte hier übernachten!
»Du lieber Gott, warum thust du mir das!« rief ich fragend heimlich in die Wolken, und warf einen Blick auf die unter mir liegende arme Welt, daß es mir vorkam, als schmelze das Eis der Jungfrau und ihrer Nachbaren, vor seinem verzehrendem Feuer in brühende Lava über.
Ich nahte mich ihr sittig und ehrsam, und grüßte sie, als die Besitzerin der Alpe, mit feinen Worten recht manierlich.
Sie aber bot mir mit Schweizerischer Treuherzigkeit die kleine Flaumenhand, und hieß mich willkommen.
Ich eröffnete ihr nach dem ersten Hin- und Herreden, meine Freude, diesen herrlichen Abend in einer solchen, mir wie von Gott selbst hergesandten, Gesellschaft zu genießen, – von der Nacht selbst aber, und vom hier oben Schlafen, konnte ich um keinen Preis ein Wort über die Lippen bringen; denn ich schaute dem Engel von Mädchen in die Augen, die so klar, so himmelrein mir bis auf den Grund meiner Seele sahen, daß auch kein böser Gedanke in mir aufkommen konnte, den sie nicht erspäht hätte.
»Ein wahres Glück für uns,« hob sie an, »daß ich herauf gekommen. Ihr hättet gewiß auf unserer Alpe, eine böse Nacht gehabt; denn ihr hättet auf bloßem Heu schlafen müssen; so aber kann ich Euch mein Cabinet in der Hütte abtreten, wo Ihr bequemer liegen werdet.«
Sie trat mit mir in die Sennhütte, und schloß das besagte Cabinet auf.
Ich war in Trianon, Versailles, St. Cloud, und, auf dem zu meinen Füßen liegenden buntflitterigen Erdball, in manchem andern kaiserlichen Lustschlosse gewesen. Reichere Schlafgemache hatte ich wohl da gesehen, aber freundlicher, niedlicher keins. Das Hausgeräthe höchst geschmackvoll gearbeitet, von Ahorn oder schwarzem Pappelmaser; rings an den Wänden herum, die ersten Prachtgemälde von Aberli, Rieter, Biedermann, Lafont, Lory, Hackert, Wocher und mehreren andern trefflichen Künstlern, lauter Schweizer-Landschaften, viele von unschätzbarem Werthe. Aber die Königin meiner Alpe öffnete das Fenster dieses Feenkabinets, und in die weiten Räume der vor mir liegenden Felsen-Gletscherwelt flog mein entzückter Blick. Es war, als sey die ganze große Ründe, dem Himmel noch näher gerückt; als sey sie heiliger geworden, seit das Mädchen in ihrem Luftkreise stand. Ich fühlte, daß ich hier oben besser geworden war; aber ganz schlackenrein war mein sündhaftiges Wesen noch nicht! denn als meine liebreizende Wirthin, die schneeweißen feinen Vorhänge zurückschlug, die ihr jungfräuliches Bettchen mit frommer Feierstille umdämmerten, und ich auf dem Kopfkissen das eleganteste aller Nachthäubchen gewahrte, und meine Phantasie die schwarzen Ringellocken des zaubersüßen Mädchens, in dem Häubchen, und das Himmelskind selbst, unter der seidnen leichten Decke sich malte, und sie wiederholentlich versicherte, daß ich hier recht gut schlafen würde, da mußte ich die Augen heimlich zudrücken, denn mich wandelte der Schwindel an; es war mir, als kuckte ich schnurstracks in das Paradies hinein. Der Schwindel aber war nichts, als die Lotterflamme der Schlacken meines Innern, die im Ausbrennen begriffen waren.
Ich entgegnete ihr, daß ich in der ganzen Welt kein einladenderes Schlafgemach, kein süßeres Schlummerbette kenne; allein, sie werde mir hoffentlich zutrauen, daß ich es nicht annehmen könne, da sie gegen den Senner geäußert, diese Nacht hier oben zubringen zu wollen. Ich würde mich daher begnügen mit dem, was der Senner mir bereits geboten, und hoffe, da ich sie nun in der Nähe wisse, auf meinem Alpenheue sanfter zu schlafen, als mancher Fürst auf seinen Daunen. Der an sich gewiß nicht verwerfliche Vorschlag, das Kabinet mit ihr zu theilen, saß mir auf der Zunge.
»Schlipmilch und Schnitze.«
Sie sprach gern und viel, und so traulich, wie ein Kind, und dann doch wieder so verständig und unterrichtet, wie kaum ein Mädchen aus unsern ersten Zirkeln. Ihr Schweizerisch-Hochdeutsch klang in ihrem kleinen Rosenmunde unbeschreiblich gut; nur wenn sie auf Ausdrücke des gewöhnlichen Lebens stieß, bediente sie sich der dort üblichen Provinzialismen; doch waren mir diese, durch meine früheren Wanderungen in der Schweiz, schon verständlich.
Ich hatte sie anfänglich Sie genannt; sie meinte aber, es klinge so ausländisch, es wäre ihr dann, als sey sie nicht in ihrer Heimath, wo alles sie Du hieße; ich mußte sie daher Du nennen.
Was doch in solch einem einzigen Worte liegt. Ich machte einen Schritt, wie vom Montblank bis zum Jura.
Es war nun, als kennten wir uns schon seit vielen Jahren, als wären wir beide auf dieser Alpe mit einander groß geworden
»Wie heißt Du, süßes Mädchen?« fragte ich, und umschlang das sammtene Miederchen mit meiner Rechten, und legte ihre kleine, zarte Hand auf mein Herz, in dem das Blut sich drängte, wie das wilde Wasser der Gletscher in den Sturzbächen,
»Mimili heißt mi de Aetti!« antwortete das Alpenkind mit einem Wohlklange, der in dem Resonanzboden meiner gespannten Brust, wie der Laut einer Silberglocke wiedertönte. »Kommt!« fuhr sie fort, »ich will Euch nun höher führen, Ihr sollt noch schöneres sehen; denn hier rechts um den Berg herum, sollt Ihr ein Thal und zwei Gletscherschlünde schauen, wie's keine weiter giebt im ganzen Land.«
Ich nahm ihren Arm, und wir stiegen dem Himmel entgegen.
Die steilsten Parthieen erkletterte sie mit flinker Gewandtheit; höher röthete sich die Lilienhaut ihrer Wangen; lebendiger noch wogte ihr Busen unter dem dicht aufliegenden Battist-Hemdchen.
Es ward immer kühler und frischer; denn wir hatten nicht gar viel mehr zu steigen, bis wir an den Schnee kamen, der noch den Gipfel der Alpe bedeckte. In hundert kleinen Bächen rieselte herab, was die Sonne diesen Mittag geschmolzen, und das zarteste Grün entsproß den tiefer liegenden, vor wenig Tagen erst schneefrei gewordenen Bergwänden.
Hier gras'ten Mimili's Heerden. Sie kannte jede Kuh beim Namen; und alle wendeten sich nach ihr um, und sahen sie still an, wenn sie ihnen zurief, und freundlich sie streichelte; sie waren alle spiegelblank, und rund wie die Aale; und die Gizzi's kamen von den fernsten Felsenzacken herangemeckert, und saugten an ihren Rosenfingern, und knebberten an der Semmel und den Aüli, Aüli, Aüli,« und lustig wie ein Reh sprang mit kurzweiligen Sätzen ein krauswolliges Lamm heran, geschmückt mit einem klingelnden Halsband von strohgelber Seide.
»Das hat seine Mutter verloren,« sagte Mimili wohlwollend, und krabbelte mit den Fingern im Perückchen zwischen den Ohren des kleinen, verwais'ten Thieres, und legte sein rothes Schnäutzchen in ihre weiße, hohle Hand, »deshalb habe ich mich des armen Dinges erbarmt, und es aufgezogen; nun liebt es mich, wie seine Mutter.« – Mit dem kleinen Wesen sprach sie rein Schweizerisch. Sie bemerkte an seiner linken Vorderklaue ein wenig Blut, wahrscheinlich von einem Dornenritz; da streichelte sie darauf, und trocknete das Blut mit ihrem Tuche, und sagte mit unnachnahmlicher Weichheit, »Junges Vieh. Sollte davon vielleicht unser Faseln (Läppschen, Vergeßlich seyn) herkommen. klug sind, die kennen die Kräuter eben so gut, als unser Haller und Geßner, und der seelige Wildenow.«
Ich sah sie verwundert an. »Was weißt Du von Haller und Geßner und Wildenow?« frug ich erstaunt.
»Die werde ich doch kennen,« sagte sie lächelnd, »was draußen vorgeht, in der weiten Ebene hinter den Bergen, davon erzählt mir der Aeti nur, was ich brauche, aber was hier in unsern Thälern und auf unsern Alpen passirt, das muß man ja auf den Grund wissen, und glaubt mir; die drei sind hier in unserer stillen Pflanzenwelt wie zu Hause. Schaut,« fuhr sie mit einer Anspruchlosigkeit fort, die den eigentlichen Schlagschatten zu dem Lichte gab, was sie nun, ohne es zu wissen, auf dem Scheffel setzte, – und pflückte zwischen dem Sprechen sich die Hand voll Blumen – »schaut, wenn ich nun nicht wüßte, daß dieß hier Anemone alpina, dieß Dryas octopetale, und hier dieß, Ranunculus nivalis wäre, müßte ich mich nicht vor Euch schämen? Unser eins wird ja doch eben so gut die Kräuter und Gräser seiner Matten kennen, wie bei Euch zu Hause die Mädchen Eures Landes, die Ihrigen. Kaum, daß der Schnee geschmolzen, schießen die hier alle lustig hervor, und dort, kommt höher, – das seht Ihr auch nicht bei Euch, – das blaue Alpenglöckchen, Sondanella alpina, blüht sogar auf dem Schnee, und das, Crocus vernus, darunter. Die wollen kühl stehen; denn, wenn der Schnee schwindet, verwelken sie mit. Beide kommen mir immer vor, wie die Kinder, die an der Mutter Brust sterben, die sind für dieß Leben nicht. Die Luft des Irdischen ist ihnen zu schwer, sie streben zum reineren Aether. Aber unsere Goldquellen muß ich Euch zeigen; denn wenn ihr das Trifolium Alpinum, und den Astragulus, und den Butterblume und die Pimpinella alba, bei Euch verpflanzen könntet, dann brauchtet Ihr unsern Käse nicht, dann könntet Ihr ihn selbst dort bei Euch bereiten. Wes Landes seyd Ihr Herr?
Pulsuz fraqment bitdi.