»Hat Sie der Teufel geritten?« fragte Corliss später seinen Mann. »Es war doch alles vorbei; ich glaube, Sie waren verrückt geworden.«
»Habe nichts zu bedauern«, bockte der Goldgräber.
*
»Herr Harney? Dave Harney, wenn ich nicht irre?«
Der Bonanza-König nickte, und Herr Gregory St. Vincent wandte sich an Frona.
»Die Welt ist wirklich nicht groß, Fräulein Welse. Denken Sie, Herr Harney und ich sind alte Bekannte.«
Jetzt ging dem Goldkönig ein Licht auf.
»Warten Sie, junger Mann, ich komme schon drauf. Damals waren Sie glatt rasiert. Warten Sie – das war im Jahre sechsundachtzig, dann – Herbst siebenundachtzig, Sommer achtundachtzig – jawohl, damals war es! Im Sommer achtundachtzig kam ich auf meinem Floß den Strom herunter. Ich hatte Elchhäute geladen und hatte es eilig. Aufs Haar wäre mir die ganze Ladung verdorben. Ja, und da kamen Sie in einem Ruderboot vom Lindermansee an. Ich behauptete, es wäre Mittwoch, mein Kamerad sagte Freitag, und Sie behaupteten Sonntag. Jawohl – Sonntag! Stimmt absolut. Vor neun Jahren! Dann haben wir getauscht, Elchbraten gegen Mehl, Backpulver und Zucker! Sakrament, war das eine Freude! Das ist schön, dass wir uns wiedersehen!«
Sie schüttelten einander die Hände, der Alte schlug dem Jungen auf die Schultern.
»Ich habe eine nette kleine Bude oben auf dem Hügel und dann noch eine am Eldorado. Der Schlüssel hängt immer draußen vor der Tür, Sie kommen, wann Sie Lust haben, und bleiben, solange es Ihnen passt. Meine einzige Bedingung ist: bald! Es tut mir leid, heute muss ich gehen, ich wäre gern noch geblieben.«
»Vor neun Jahren waren Sie schon hier, Herr St. Vincent?« fragte Frona erstaunt. »Erzählen Sie doch, damals war das Land ja noch eine vollkommene Wildnis. Was haben Sie da alles erlebt?«
St. Vincent zuckte die Achseln: »Erlebt? Einen elenden Misserfolg, das ist alles, was ich erlebt habe. Nichts, worauf man stolz sein könnte.«
»Einen Misserfolg? Dann müssen Sie doch etwas versucht haben? Was hatten Sie damals für Pläne?«
St. Vincent bemerkte mit Genugtuung, dass Frona sich für ihn interessierte.
»Ich hatte damals die verrückte Idee, möglichst genau auf dem Polarkreis rings um die Welt zu reisen. Im Interesse der Wissenschaft … wissen Sie, ich bin Geograf. Es sollte durch Alaska gehen, auf dem Eis über die Beringstraße, dann durch Nordsibirien nach Europa zurück. Eigentlich war es ein prachtvolles Unternehmen, zum größten Teil führte der Weg über damals noch jungfräuliches Land. Aber die Sache ging schief. Über die Beringstraße kam ich gut hinüber, aber in Ostsibirien hatte ich Pech … alles wegen Tamerlan, wegen dieses mausetoten Tamerlan, das muss ich zu meiner Entschuldigung sagen.«
»Der reinste Odysseus!« rief Frau Sheffield und klatschte in die Hände. »Ein moderner Odysseus, wie romantisch!«
»Aber geizig mit seinen Abenteuern, das war Odysseus nicht«, widersprach Frona. »Auf einmal stocken Sie, Herr St. Vincent, gerade im spannendsten Moment. Wieso hat Tamerlan Ihre Reise gestört?«
Er lachte und hatte offensichtlich keine Lust, von dieser Expedition zu erzählen. Aber er ließ sich von den neugierigen Frauen bewegen, ein Opfer zu bringen.
»Als Tamerlan mit Feuer und Schwert durch Ostasien zog«, berichtete er, »wurden Länder verwüstet, Städte zerstört und Völker wie Staub in die Winde zerstreut. Ein großes Volk wurde aus dem Lande gejagt; die Schwärme von Menschen suchten auf ihrer Flucht vor der sinnlosen Mordlust des Siegers Zuflucht in Sibirien. Sie bogen nach Norden und Osten ab und bildeten einen Saum von mongolischen Stämmen um das Land am Polarmeer. – Aber jetzt merken Sie, wie langweilig die Geschichte ist, meine Damen?«
»Nein! Nein!« rief Frau Sheffield. »Das ist ja so himmlisch spannend. Und Sie erzählen so lebendig! Es erinnert mich direkt an …«
»Also, dann will ich weiter erzählen. Also, ohne diese Mongolenstämme hätte ich meine Reise durchgeführt. Zweifellos! Statt dessen bin ich gezwungen worden, eine fette Prinzessin zu heiraten und in Stammesfehden, beim Renntierstehlen und anderen Eingeborenen-Sports eine Rolle zu spielen.«
»Sie sind ein Held! Ist das nicht himmlisch, Frona? Erzählen Sie mehr vom Renntierstehlen und von der fetten Prinzessin!«
»Die Bevölkerung der Küste bestand aus Eskimos, aus heiteren und gutartigen Menschen. Sie nennen sich selber Ukilions … das heißt: Meeresleute. Ich kaufte ihnen Hunde und Proviant ab, wir kamen gut miteinander aus. Aber die Ukilions waren einem Binnenlandstamm untertan, den Tschautschuins … das heißt in unserer Sprache: Hirschmenschen Die Tschautschuins sind ein wildes, unbezwingbares Volk, ungezähmt und boshaft. Kaum hatte ich die Küste hinter mir, da überfielen sie mich, nahmen mein Hab und Gut und machten mich zum Sklaven.«
»Waren denn keine Russen da? Soldaten? Polizei?«
»Russen? Unter den Tschautschuins!?« Er lachte. »Geografisch gehörten sie allerdings zum Reiche des weißen Zaren, aber ich bezweifle, dass er je von diesen Untertanen gehört hatte. Vergessen Sie nicht: das Innere von Nordsibirien liegt in der Polarnacht, ein unerforschtes Land. Wenige Europäer sind je dort hingekommen, kaum je einer ist zurückgekehrt.«
»Aber Sie …«
»Ich bin zufällig die Ausnahme, mit der sich die Regel bestätigt. Warum ich verschont wurde, weiß ich nicht. Aber es ist eine Tatsache, sonst könnte ich Ihnen nicht davon erzählen. Anfangs wurde ich schrecklich behandelt, von Frauen und Kindern geschlagen, in räudige Felle voller Ungeziefer gekleidet, mit Abfall ernährt. Sie hatten überhaupt kein Herz. Wie ich das überstand, ist mir heute noch ein Rätsel, ich hätte tausendmal Selbstmord begangen, aber es fand sich kein Weg dazu. Dann war ich, infolge von soviel Leiden und Misshandlungen, ganz vertiert und viel zu schlaff, um mir das Leben zu nehmen. Halbtot vor Hunger und Kälte, verprügelt, dass ich manchmal kaum noch denken konnte … nein, damals war ich kein Mensch mehr, und nur der Mensch begeht Selbstmord. Heute scheint mir diese ganze Zeit wie ein grässlicher Traum. Vieles ist meinem Gedächtnis ganz entfallen. Ich weiß noch dunkel, dass ich, auf einen Schlitten gebunden, von Lager zu Lager geschleppt wurde, eine Art Ausstellungsgegenstand, ein Stückchen zoologischer Garten auf Reisen. Wie weit ich in die Öde vorgedrungen bin, weiß ich nicht, aber es müssen Tausende von Meilen gewesen sein. Als ich wieder zu mir kam und all das hinter mir lag, befand ich mich jedenfalls reichlich zweitausend Kilometer westlich der Stelle, wo sie mich gefangen hatten. Es war Frühling und mir war, als knüpfte ich plötzlich an die Vergangenheit wieder an, auf einmal hatte ich wieder offene Augen.
Ich fand mich, mit einem Riemen ans hintere Ende eines Schlittens festgebunden wie der Affe eines Leierkastenmannes. Ich hielt den Riemen mit beiden Händen, denn er hatte mir schon tiefe Wunden ins Fleisch geschnitten. ›Was ist das?‹ fragten die Hirschmenschen und hielten mir ein Spiel Karten unter die Augen. Das musste auf merkwürdigen Wegen von weißen Leuten über die Meermenschen zu den Hirschmenschen gekommen sein, wahrscheinlich von Walfischfängern. Nun hatte ich als Schuljunge zum Vergnügen meiner Kameraden Kartenkunststücke und ein bisschen Zaubern gelernt. Die alten Kunstfertigkeiten fielen mir plötzlich wieder ein, und ich kann sagen, dass kein Zauberkünstler auf Erden je ein dankbareres Publikum gefunden hat. Im Augenblick wurde ich von einem Ausstellungsgegenstand, der so wenig galt, dass man ihn verhungern und verkommen ließ, ein Mann von unermesslicher Bedeutung. Greise und Frauen kamen zu mir, um sich in ihren Nöten Rat zu holen, dann auch die Männer und zuletzt sogar die Häuptlinge. Es kam mir zustatten, dass ich von Medizin und Chirurgie eine Ahnung hatte, und so wurde ich Wundermann. Vor wenigen Wochen noch Sklave, saß ich jetzt unter den Häuptlingen im höchsten Rat, ich wurde das unwidersprechbare Orakel im Kriege wie im Frieden. Dort oben waren Renntiere das einzige Vermögen, ein Tauschmittel wie bei uns das Gold. Mein Stamm beschäftigte sich hauptsächlich damit, Raubzüge gegen die Nachbarstämme zu unternehmen und ihnen die Renntierherden zu stehlen. Ich brachte meinen Leuten neue Kampfmethoden bei, lehrte sie Kriegskunde und Taktik und verhalf ihren Operationen zu einer Stoßkraft, der die Nachbarstämme nicht widerstehen konnten. So war ich zwar ein Herr, fast ein Halbgott, geworden, aber meine Freiheit gewann ich dadurch nicht wieder. Es klingt lächerlich: ich war zu erfolgreich, ich hatte mich unentbehrlich gemacht. Die Hirschmenschen waren jetzt meine Untertanen, aber sie bewachten mich eifersüchtig. Jeder meiner Befehle wurde befolgt, ich konnte kommen und gehen, wie ich wollte. Aber wenn sich Handelskarawanen an der Küste zeigten, mit denen wir Waren tauschten, durfte ich nicht dabei sein. Unter meinen Häuptlingen war ein einziger, Pi-Une, der sich weigerte, mir die mir zustehenden Ehren zu erweisen. Er rüttelte damit an meiner Allmacht, ich fühlte den Thron unter mir wackeln, denn tatsächlich besaß ich nur so weit Macht, wie man mir Glauben schenkte. Ich war, verstehen Sie das, meine Damen, der Aberglaube des Volkes. Wenn einer an mir zweifelte und der Blitz ihn nicht strafte, konnte ich plötzlich die ganze Macht wieder verlieren und da sein, wo ich angefangen hatte. Um Pi-Une zu besänftigen, blieb mir nichts übrig, als seine Tochter Ilswunga zu heiraten. Darauf bestand er. Ich bot ihm an, lieber als gleichberechtigter Mitkaiser neben mir zu herrschen. Aber davon wollte er nichts hören. Und …«
»Und? Rascher, rascher … so gespannt bin ich in meinem ganzen Leben nicht gewesen!« stieß Frau Sheffield hervor.
»Und so heiratete ich Ilswunga – in der Sprache der Tschautschuins heißt das ›die Hindin‹. Arme Ilswunga! Als ich das letztemal von ihr hörte, war sie in der Mission von Irkutsk, legte Patiencen mit jenem Kartenspiel, das mich zum Kaiser gemacht hatte, und wehrte sich tapfer dagegen, je in ihrem Leben ein Bad zu nehmen.«
»Es ist wirklich schon zehn Uhr!« klagte Frau Sheffield, die von ihrem Mann den zehnten leisen Rippenstoß bekommen hatte. »Wie entsetzlich traurig, dass ich nicht weiter zuhören kann, Herr Gregory. Was dann alles noch kam, und wie Sie entronnen sind. Aber Sie müssen mich besuchen. Ich muss das unbedingt zu Ende hören!«
»Und gerade Sie habe ich für einen Chechaquo gehalten«, sagte Frona, als Gregory sich den Kragen hochschlug und die Ohrenklappen festband. »Morgen Abend müssen Sie wieder zu uns kommen! Wir bereiten eine Theatervorstellung für Weihnachten vor. Kein Mensch kann uns da so wundervoll helfen wie Sie. Alle jungen Leute machen mit, Beamte, Polizeioffiziere, Mineningenieure, und wir haben sogar ein paar hübsche Damen.«
Als er gegangen war, schloss sie die Augen und dachte an ihn: »Was ist das für ein mutiger Mann! Was ist das für ein prachtvoller Mensch!«
Gregory St. Vincent wurde rasch ein wichtiger Faktor im gesellschaftlichen Leben der Stadt Dawson. Er war tatsächlich ein großer Entdeckungsreisender. Eigentlich hatte er überall auf der Erdoberfläche Leben und Kampf beobachtet. Dabei, wenn auf seine Erlebnisse und Kämpfe die Rede kam – wie zurückhaltend und bescheiden!
Überall traf er alte Bekannte, Jacob Welse war ihm im Herbst 1888 in St. Michael begegnet, bevor Gregory den Marsch über das Eis der Beringstraße antrat. Einen Monat später hatte ihn Pater Barnum einige hundert Meilen nördlich von St. Michael getroffen, wo der Missionar die Leitung des ersten Hospitals übernahm. Polizeihauptmann Alexander kannte Gregory von einem Abend der Britischen Gesandtschaft in Peking her.
Besonders bei den Frauen wurde er beliebt. Niemand verstand es wie er, das Programm für einen vergnügten Abend zu entwerfen; es gab keine Gesellschaft ohne ihn. Im Theater hatte er ganz selbstverständlich die Leitung übernommen, er wurde Regisseur und Hauptdarsteller, sodass er Fronas Partner werden musste.
Corliss kam einmal zu einer Probe; er war müde von einer Schlittenreise und blieb nicht lange. Vielleicht ärgerte es ihn auch, zu sehen, wie ihre Rollen die beiden zwangen, sich immer wieder zu umarmen. Die betreffende Szene war so schwierig, dass Gregory sie ein halbes dutzendmal wiederholen ließ. Jedenfalls kam Corliss nie wieder zu einer Probe.
Corliss hatte sehr viel Arbeit. Wenn er Geselligkeit suchte, tat er sich jetzt mit Jacob Welse und Oberst Trethaway zusammen. Er lernte ununterbrochen, auf seinen Schlitten reisend und im Gespräch mit den bewährten Pionieren, denn er hatte herausgefunden, dass sein ganzes Wissen bisher Theorie war. Seine große Gründung, an der Jacob Welse sich auch mit einigen Millionen beteiligte, bedingte praktische Grundlagen. Corliss wunderte sich selbst, dass es in London Leute gab, die ihm eine so verantwortliche Aufgabe und große Kapitalien anvertraut hatten, ehe er noch eine Ahnung gehabt, um was es sich eigentlich handelte.
»Sie haben Protektion, mein Junge!« lachte Trethaway. »Protektion ist ganz gut für den Anfang. Aber jetzt sollen die Kerls auch merken, dass Sie wirklich was leisten.«
Del Bishops Aufgabe bestand darin, nach den Anordnungen seines Chefs die verschiedenen Flüsse zu bereisen, wozu ihm die beste Ausrüstung und ein prachtvolles Hundegespann zur Verfügung standen. Er war ein hervorragender Kundschafter, aber vor allem vergaß er über den Interessen der Gesellschaft nicht, für sich privat Ausschau nach neuen Fundstellen zu halten. Sein Wissen sollte ihm zustatten kommen, wenn er im Sommer wieder auf eigene Faust auf die Goldsuche ging.
Frona hörte über Corliss nur das Beste. Dass er ein tüchtiger Arbeitgeber, ein unermüdliches Vorbild für seine Leute war, dass man in seinem Dienst entweder kräftiger und männlicher wurde oder ihn schimpfend verließ. Sie freute sich darüber, aber ihre ganze Zeit nahm Gregory St. Vincent allmählich in Anspruch. Anfangs hatte sie manchmal an seiner Wahrheitsliebe gezweifelt, aber jeder, der selbst von der Welt etwas gesehen hatte, musste zugeben, dass seine wunderbaren Berichte den Tatsachen entsprachen. Es gab Leute, die sich deutlich erinnerten, mit welch ungeheurem Aufsehen die zivilisierte Welt Gregory begrüßt hatte, als er der Gefangenschaft der Hirschmenschen entflohen war.
Dass Corliss Fronas neuen Freund ablehnte, war offensichtlich. Es gab noch ein paar andere Herren, die nichts von ihm wissen wollten. Aber von der Massenprügelei im Wirtshaus, bei der sie Misstrauen gegen den Welterforscher gefasst hatten, wurde nie gesprochen, und so erfuhr Frona nicht, was man gegen Gregory hatte. Einmal aber, als Corliss mit anhören musste, wie Gregory als ein zweiter Achill gepriesen wurde, wurde er so gereizt, dass ihm ein Wort über den Boxabend entfuhr. Es tat ihm sofort leid, sein Temperament war mit ihm durchgegangen, aber Frona schien gar nicht überrascht.
»Ich weiß«, sagte sie, »Herr Dr. St. Vincent hat mir davon erzählt. Sie und Oberst Trethaway, Sie sind ihm sehr tapfer zur Seite getreten. Ich kann sagen, dass er Ihnen dankbar ist.«
Corliss machte eine abwehrende Bewegung.
»Nein, nein, Vance, nach dem, was er sagte, müssen Sie sich fabelhaft benommen haben. Ich bin stolz auf Sie. Schade, dass ich kein Mann bin, da wäre ich gern dabei gewesen!«
Fronas Augen funkelten: »Und er selbst, Vincent? Hat er sich gut geschlagen?«
»Ach, ich glaube, sehr ehrenvoll … Eigentlich hatte ich zu viel mit mir zu tun, um auf die anderen zu achten.«
»Er ist so bescheiden, er erzählt nie von der Rolle, die er selbst gespielt hat. Aber man kann sich das ja alles vorstellen«, schloss Frona das Gespräch.
*
»Stellen Sie sich jetzt einmal so ein dickes, blutiges, ganz scharf gebratenes Beefsteak vor, natürlich in Butter gebraten, mit Zwiebeln und ganz fein geschnittenen Kartoffeln, Herr Corliss«, träumte Bishop im Zelt, das nach Petroleum und Speck stank. »Dazu – na, sagen wir, eine Flasche Porter und eine Flasche Ale, in einem Humpen zusammengemischt. Im Hintergrund – natürlich müssen Sie sich dann auch einen Speisesaal mit roten Plüschmöbeln denken –, im Hintergrund eine richtige Musik mit Schlagzeug und Blechinstrumenten. Und dann so was Weiches, Duftiges in Ihrer Nähe, so, was man ein richtiges Weib nennt … mit dicken Beinen, aber nicht zu dick, – also stellen Sie sich das vor. – Der Busen etwa so …«
»Und jetzt denken Sie, dass ich gar nicht weit von all dem bin. Nächsten Herbst spätestens will ich mir das in San Franzisko zu Gemüte führen, aber nicht einmal, sondern vier Wochen lang jeden Abend, meinetwegen auch in New York. Dann gehen wir zusammen ins Theater, und was dann kommt, das können Sie sich ruhig auch vorstellen. Und was es kostet, danach frag’ ich den Teufel.«
»Dann wird das Geld bald zu Ende sein, und Sie können wieder Gold suchen.«
»Das werden Sie nicht erleben!« grunzte Bishop. »Vorher hab’ ich mir natürlich meine Obstfarm in Südkalifornien gekauft und damit das Kapital in Sicherheit gebracht. Eine Prachtfarm habe ich schon lange auf dem Kieker. So an 40 000 Dollars werde ich wohl reinstecken müssen. Mit diesen beiden Händchen wird hienieden keine Arbeit mehr angefasst, das kann ich Ihnen schwören. Dazu hab’ ich meinen Verwalter und meine zwei Dutzend Knechte …, ich bin der Herr Chef, und wenn’s mal nicht ordentlich geht, dann können die Lümmels was erleben. Im Stall hab’ ich ein paar Gäule stehen, aber was für Gäule! Aus Stahl, und die Haut so zart wie Kinderpopos. Wenn mich die Unruhe packt, das Goldfieber soll ja nie ganz aufhören in einem Menschen, der einmal gegraben hat, dann werfe ich ihnen Sattel und Gepäck auf, und heidi, geht’s los!«
»Und wie denken Sie sich das Zuhause?«
»Das Gutshaus steht schon auf meiner Farm. Wicken und Kresse an den Mauern und davor ein Gemüsegärtchen, man kann schon sagen ein Gemüsepark. Da habe ich vorhin was vergessen, wie wir vom Beefsteak sprachen, na, das können wir ja nachholen. Also, denken Sie sich auch noch Spinat, Tomaten, Spargel, Karotten, Gurken, wissen Sie, auch alles in Butter und mit so ganz hellen Farben, das Rot, das Gelb, das Grün … das kommt gleich nach dem Gebratenen. Wie schmeckt der Speck, Herr Corliss? Das Gewisse, das Weiche und Runde, wissen Sie – das in San Franzisko –, das hab’ ich natürlich dort gelassen. In meinem Haus ist auch so was, nicht ganz so parfümiert und überhaupt mehr solid. Bei mir zu Hause muss es ordentlich zugehn, die Frau muss auch zugreifen, wissen Sie. Aber nachts ist es dann doch ganz schön mit ihr. Das muss der Mensch für die Dauer haben – und außerdem was zum Vergnügen.«
Während sie ihr Blechgeschirr mit Schneewasser reinigten und das Zelt mit Pfeifenrauch füllten, wurde Del Bishop wieder sachlicher.
»Das ist doch merkwürdig, Herr Corliss, Sie haben soviel mit Minen zu tun, aber das Goldfieber existiert gar nicht für Sie? Passen Sie nur auf, dass es Sie nicht eines Tages auch packt. Das ist schlimmer als Whisky, Pferde und Karten. Sogar die Weiber sind gar nichts dagegen. Am besten schützt man sich, wenn man vorher heiratet. Wenn man eine Frau hat, kann die Fantasie nicht mehr so draufloswuchern. Weiber machen dabei nicht mit, sie haben den richtigen Schwung nicht, und dann bleibt man auch selbst eher in seinen Grenzen. Ich hätte vor Jahren heiraten sollen, dann wäre vielleicht etwas aus mir geworden. Nehmen Sie mich zum warnenden Beispiel, Corliss!«
Corliss lachte traurig.
»Es ist mein heiliger Ernst! Ich bin zwar Ihr Angestellter, aber ich bin älter als Sie und weiß, was ich rede. Da ist so ein gewisses Fräulein in Dawson, mit der möchte ich Sie gerne zusammen sehen. Könnte eine ganz gute Mischung geben.«
Auf Schlittenreisen, wenn man immer in einem Raum haust und dieselben Decken benutzt, werden Männer entweder Feinde oder Brüder. Corliss dachte gar nicht daran, Bishops Anspielung als eine Unverschämtheit zu betrachten. Er wurde nur nachdenklich.
»Warum gehen Sie nicht drauflos und kapern sich das Mädel? Wollen Sie mir erzählen, dass Sie nicht verliebt in sie sind? Das hat mir mein kleiner Finger zugejuckt, wie ich Sie zum ersten Mal in meinem Leben gesehen hab’! Damals, in Happy Camp. Da sind Sie aus Ihrer Hütte herausgetreten und haben ausgesehen wie einer, der aus den Wolken fällt. Aber jetzt ist der Augenblick da, und der kommt nicht wieder. Stellen Sie sich vor, da war mal eine gewisse Annie. Das war ein Mädel, was Besseres kann ich mir nicht vorstellen, für mich nämlich. Alle zehn Finger leck’ ich mir heute noch ab, wenn ich an sie denke. Von früh bis spät auf den Beinen, blitzsauber. Aber ich hab’ die Zeit verstreichen lassen, immer mit dem verfluchten Gold vor den Augen. Kommt da eines Tages so ein großer schwarzer Kanadier an, ein Holzhändler, macht Männchen über Männchen und verdreht ihr ein bisschen den Kopf. Macht nichts, denke ich mir, noch einmal geh’ ich auf die Goldsuche, und dann komme ich als Millionär zurück. Schnecken, Herr Pfarrer! Ich bin ohne die Million zurückgekommen … und sie war schon längst seine Frau. Da ist jetzt das Stinktier bei Ihrem Mädel, der Kerl, dem ich damals einen Nasenstüber gegeben habe. Schwänzelt um sie herum und verdreht seine Glubschaugen. Was tun Sie? Laufen durch die Welt und halten sich nicht an die Sache. Mein lieber Corliss, an einem schönen Frosttag werden wir zusammen in Dawson einhinken, und da werden Sie ein wunderschönes Pärchen vorfinden, Ihr Fräulein Braut und das Stinktier als Ehegemahl. Und was haben Sie dann? Einen Dreck und eine Fotografie.«
Corliss drehte sich um und sagte: »Wunderschön wäre es, wenn Sie jetzt endgültig das Maul hielten, Bishop.«
»Wer? Ich?«
»Nein, Sie!«
Bishop war gekränkt, aber dann hörte er Corliss lachen und dachte gar nicht mehr daran, zu schweigen.
»Ich will Ihnen in aller Freundschaft sagen, was Sie zu tun haben: sobald wir zurück sind, waschen Sie sich die Hände, binden sich einen sauberen Kragen um, gehen zu Ihrem Mädel, machen für jede Stunde und für jeden Tag etwas anderes mit ihr aus und legen so viel Beschlag auf ihre Zeit, dass das Stinktier einfach in einer Versenkung verschwindet. Wenn Sie die Sache dann so weit getrieben haben, dass man Sie anlächelt, wenn Sie kommen, und ein Maul zieht, wenn Sie gehen, dann greifen Sie gefälligst mit ihren beiden Vorderflossen zu, nehmen die Kleine mit einem Arm oben rum und mit einem Arm so um die Mitte und ziehen die ganze Geschichte so fest an sich, dass keine Briefmarke mehr dazwischen Platz hat. Dann wird Ihnen noch allerlei von selber einfallen, was dazugehört, und dann sagen Sie: Morgen spreche ich mit deinem Vater. Wie es dann weiter ausgeht, das kann ich Ihnen allerdings auch nicht sagen. Manchmal wird so was mit der Zeit immer schöner, man hat auch von Fällen gehört, die weniger erfreulich verliefen. Aber heiraten müssen Sie auf jeden Fall. Das soll eine Geschichte zum Totlachen sein, die muss jeder mal versucht haben. Am besten, ehe einer zu alt dazu ist und schließlich nichts leistet, wenn es drauf ankommt.«
Er trank, dampfte und dachte nach. Dann schloss er: »Dem Stinktier, falls es sich mausig machen sollte, kleben Sie eine in den Bauch oder an die Stelle, wo ich damals aus Versehen hingekommen bin mit meinem Händchen. Dann merkt er gleich, dass er Ihnen nicht sehr sympathisch ist, denn für dergleichen hat er ein ungeheuer zartes Empfinden, und zieht sich zurück. Sie haben’s ganz bestimmt nicht erst nötig, ihm den Schädel einzuschlagen.«
Damit stand Bishop auf, kratzte sich, wo es ihn juckte, das heißt überall, und ging nach geraumer Zeit hinaus, um die Hunde zu füttern.
*
Wieder einmal war Fronas Empfangszimmer voll von Menschen gewesen, darunter ein Franzose, Baron Courbertin, den St. Vincent eingeführt hatte. Die beiden standen auf Neckfuß miteinander. Sie kannten sich aus langvergangenen Tagen, hatten in Yokohama das Kirschblütenfest gefeiert, wussten viel von Geishas und dem Fudschijama zu berichten. Eine Zeit lang hatte Courbertin das Wort geführt, aber dann spürte er Gregorys Missbehagen, und als ein ritterlicher Freund zog er ihn auf, wie man eine Spieluhr aufzieht.
»Jetz abbe Sie sick lang in Réserve geallten! Vincent, ick kennen Sie nickt wieder! Wo ist die Elan? Die alte Elan? Ick sprecken und sprecken – Sie macke silence, allons donc, sprecke Sie!«
Es war nicht schwer, den Geografen zum Reden zu bringen. Er ließ eine Kanugeschichte vom Stapel, bei der sich allen Zuhörern die Haare sträubten. Er war mit einem feigen Kameraden den Kanonstrom hinuntergereist. Vor den Weißroß-Schnellen war der Bursche ausgestiegen und hatte es ihm allein überlassen, sich durch die Strudel zu kämpfen. Seine Nussschale von Boot war über die Schnellen getanzt, schwere Brecher waren über die Reling geschlagen und hatten das Boot fast zum Kentern gebracht. Auf Haaresbreite war er an tödlichen Riffen vorbeigeschifft, um endlich nach einer Todesfahrt von nur wenigen Minuten, die für ihn eine Ewigkeit voll von Schrecknissen bedeutete, ans sichere Ufer zu treten. Dann hatte er viele Stunden warten müssen, bis sein Kamerad ihn zu Fuß einholte.
»Eine feige Bestie!« rief einer aus der Gesellschaft.
»Sagen Sie das nicht«, belehrte ihn St. Vincent. »Persönlicher Mut ist nichts anderes als Nervensache. Man hat ihn, oder man hat ihn nicht, manche Menschen versagen in der Lebensgefahr und finden danach den Mut, sich beispielsweise selbst umzubringen. Ist es nicht merkwürdig, dass jemand um sein Leben zittert und doch stark genug ist, es von sich zu werfen?«
»Aber Sie! Aber Sie!« rief Frau Sheffield. »Wie viel tausend Mal haben Sie dem Tod ins Auge gesehen, und man hört es aus jedem Ihrer Worte, dass Sie nicht mit der Wimper gezuckt haben!«
Frau Sheffield lud St. Vincent und den Baron zum Abendessen ein, der Zufall brachte es mit sich, dass Frona und Corliss zusammen den Heimweg antraten. In schweigender Übereinkunft bogen sie zu einem großen Rundweg um Dawson aus, überkreuzten zahllose Fußwege und Schlittenpfade und kamen in die tiefe, schweigende Einsamkeit eines Winterabends in Alaska. Die Sonne hatte an diesem Tag kaum eine Stunde lang ein ärmliches, blasses Licht gespendet, schon um drei Uhr nachmittags war der Himmel voll von Sternen gewesen, und jetzt zeigten sich am Horizont die fantastischen Feuer des Nordlichts, ein zitterndes, flammendes, funkelndes Licht, erregend und dennoch kalt wie der Weltraum selbst.
Sie schritten in dieser magischen Beleuchtung hin, der Schnee knirschte unter ihren warmen Mokassins, ihr Atem kräuselte sich in weißen Dunstwolken. Zu ihren Füßen lag unter der großen Himmelswölbung ein dunkler Fleck inmitten der grenzenlosen weißen Einsamkeit: die Goldstadt Dawson, wie ein schwacher menschlicher Protest gegen die Unendlichkeit. Keiner von ihnen mochte sprechen, so wundervoll war alles, so unbeschreiblich gut tat es, die Lungen mit jedem Atemzug dieser eisgekühlten, würzigen Luft neu zu beglücken.
Männerstimmen und Rufe durchbrachen die Stille ganz in ihrer Nähe, dann kam heiseres Bellen, Peitschen knallten, ein beladener Hundeschlitten schwankte heran. Den reifbedeckten Wolfshunden hingen die warmen Zungen rot aus den heiß dunstenden Mäulern. Die beiden wussten nicht, welche Fracht man zu dieser Stunde hier um die Stadt herumführte, und blieben stehen. Auf dem Schlitten stand eine lange schmale Kiste aus ungehobelten Kieferbrettern. Darauf lag ein Kruzifix. Es war ein Leichenbegängnis. Zwei Peitschen schwingende Hundetreiber liefen rechts und links des Schlittens. Dahinter wankte eine fast blind geweinte Frau, ein Geistlicher im schwarzen Ornat gab ihr das Geleit.