»Erzählen Sie mir noch etwas«, drang sie in ihn. »Noch etwas über Ihre Gefühle beim Kämpfen.«
Und da setzte Pat seinen Manager, Fräulein Sangster und sich selbst in Erstaunen, indem er heraussprudelte:
»Mir scheint, ich habe keine Lust mehr, mit Ihnen über diese Dinge zu reden. Mich dünkt, es gibt etwas Wichtigeres für uns beide zu reden. Ich –«
Er brach plötzlich ab, da er gewahr wurde, was er sagte, ohne eigentlich zu wissen, warum er es tat.
»Ja«, rief sie eifrig, »Sie haben recht. Darauf kommt es an, wenn man ein gutes Interview haben will – auf das rein Persönliche, wissen Sie.«
Aber Pat blieb stumm, und Stubener begann Maße und Gewicht seines Meisterboxers mit denen Sandows, des furchtbaren Türken, Jeffries’ und der anderen starken Männer der Gegenwart zu vergleichen.
Das interessierte Maud Sangster nur wenig, und sie zeigte deutlich, dass sie sich langweilte. Ihr Blick fiel zufällig auf die Sonette. Sie nahm das Buch vom Tisch und sah Stubener fragend an.
»Es gehört Pat«, sagte er. »Er interessiert sich für das Zeug, auch für Farbenfotografie, für Kunstausstellungen und dergleichen. Aber um Gottes willen, schreiben Sie nichts darüber. Das würde seinen Ruf einfach vernichten.«
Sie blickte Glendon tadelnd an, der sogleich verlegen wurde. Das freute sie. Dieser verlegene junge Mann mit dem Körper eines Riesen, ein König der Boxer, las Gedichte, besuchte Kunstausstellungen und beschäftigte sich mit Farbenfotografie. Soviel war sicher: Es war nichts von einem Höllenbiest an ihm. Jetzt empfand sie, dass seine Zurückhaltung Empfindlichkeit und nicht Dummheit war. Die Shakespeareschen Sonette! Einige Minuten später eröffnete sie ganz unbewusst den Hauptangriff.
Die starke Anziehung, die sie gleich am Anfang gefühlt hatte, meldete sich jetzt, da sie die Sonette entdeckt hatte, von neuem. Seine prachtvolle Gestalt, sein hübsches Gesicht, die reinen Linien, die klaren Augen, die feine, von dem kurzgeschnittenen Haar nicht bedeckte Stirn, der Duft von körperlichem Wohlbefinden und von Sauberkeit, der ihn zu umwehen schien – das alles wirkte auf sie, wie nie ein Mann auf sie gewirkt hatte.
Und doch spukte in ihrem Kopf immer noch ein hässliches Gerücht, das sie gestern in der Redaktion des »Kurier-Journal« gehört hatte.
»Sie haben recht«, sagte sie. »Es gibt Wichtigeres, über das wir reden können. Etwas, das mir am Herzen liegt, und das ich Sie bitten möchte, mir zu sagen. Haben Sie etwas dagegen?«
Pat schüttelte den Kopf.
»Darf ich aufrichtig sein – unangenehm aufrichtig? Ich habe die Leute manchmal von eigentümlichen Kämpfen und Wetten reden gehört, und wenn ich damals auch nicht besonders darauf achtete, so schien es mir doch, und es wurde mir ganz bestimmt versichert, dass mit dem Sport ein gut Teil Schwindel und Betrug verbunden wäre.
Wenn ich Sie aber jetzt sehe, so kann ich schwer begreifen, dass Sie solche Schiebungen mitmachen können. Ich verstehe Ihre Liebe zum Sport und verstehe auch, dass das Geld, welches er Ihnen einbringt, viel für Sie bedeutet, was ich aber nicht verstehen kann, ist –«
»Da gibt es nichts zu verstehen«, beeilte sich Stubener einzuwerfen, während Pats Lippen sich zu einem sanften, nachsichtigen Lächeln kräuselten. »Das sind alles Märchen, diese Geschichten von Verstellung, von verabredeten Kämpfen und solchen Schiebungen. Es ist nichts Wahres daran, gnädiges Fräulein, das kann ich Ihnen versichern.
Und jetzt lassen Sie mich Ihnen erzählen, wie ich Herrn Glendon entdeckte. Ich bekam einen Brief von seinem Vater –«
Aber Maud Sangster wollte sich nicht ablenken lassen, und sie wandte sich an Pat selbst.
»Hören Sie. Ich entsinne mich namentlich eines Falles. Es war ein Kampf, der vor einigen Monaten stattfand, ich weiß nicht mehr, zwischen wem. Einer der Redakteure des Kurier-Journal sagte mir, dass er viel dabei gewinnen wolle. Er sagte nicht ›hoffe‹, er sagte ›wolle‹. Er sagte, dass er zu den Eingeweihten gehöre und dass er auf die Zahl der Runden wette. Er sagte voraus, dass der Kampf in der neunzehnten Runde enden würde.
Es war am Abend vor dem Kampf, und am nächsten Tage machte er mich triumphierend darauf aufmerksam, dass der Kampf eben in der neunzehnten Runde beendet worden war.
Ich habe damals nicht weiter über die Sache nachgedacht, ich interessierte mich ja nicht für Boxen. Aber jetzt tue ich es. Damals kam mir die Sache ganz natürlich vor, so wenig verstand ich davon.
Aber sagen Sie, das sind doch alles Märchen, nicht wahr?«
»Ich weiß, welchen Kampf Sie meinen«, sagte Glendon. »Es war der zwischen Owen und Murgweather. Und es stimmt, dass er in der neunzehnten Runde endete, Sam. Und jetzt hören Sie, dass Fräulein Sangster das schon am Tage vorher wusste – wie können Sie das erklären, Sam?«
»Wie soll man erklären, dass jemand in der Lotterie ein Gewinnlos zieht?« sagte der Manager ausweichend, während er sich den Kopf zerbrach, wie er antworten sollte. »Die Sache ist so: Leute, die die Form der Boxer, die Sekundanten und die Regeln sehr genau studieren, können oft die Zahl der Runden, die ein Kampf dauern wird, richtig voraussagen, genau wie man in einem Rennen gerade auf das richtige Pferd unter hundert tippen kann.
Und vergessen Sie eines nicht: Auf jeden, der gewinnt, kommt ein anderer, der verliert – ein anderer, der nicht die richtige Nummer gezogen hat. Gnädiges Fräulein, ich versichere Ihnen auf Ehre, dass es Schwindel und Schiebungen im Boxsport einfach – einfach nicht gibt.«
»Und wie ist Ihre Meinung, Herr Glendon?« fragte sie.
»Genau wie meine«, kam Stubener ihm mit der Antwort zuvor. »Er weiß, dass ich die Wahrheit spreche – Wort für Wort. Er hat immer nur ehrlich gekämpft. Stimmt das nicht, Pat?«
»Ja, das stimmt«, versicherte Pat, und am sonderbarsten erschien es Maud Sangster, dass sie von der Wahrheit seiner Worte überzeugt war.
Sie strich sich mit der Hand über die Stirn, als wolle sie die Verwirrung verscheuchen, die ihr Gehirn beschattete.
»Hören Sie«, sagte sie. »Derselbe Redakteur erzählte mir gestern Abend auch, Ihr bevorstehender Kampf wäre in allen Einzelheiten so gut arrangiert, dass sogar die Runde feststünde, in der er enden solle.«
Stubener wusste vor Schrecken nicht, was er sagen sollte, aber Pat enthob ihn einer Antwort.
»Dann lügt der Redakteur«, sagte er und hob zum ersten Male die Stimme.
»Das wäre das erste Mal. Bei den anderen Kämpfen stimmte es, was er sagte«, antwortete sie herausfordernd.
»In welcher Runde, sagte er, würde mein Kampf mit Nat Powers enden?«
Ehe Maud Sangster antworten konnte, ergriff Stubener wieder das Wort.
»Ach, kümmern Sie sich nicht darum, Pat!« rief er. »Das ist ja nur das übliche Gerede. Lassen Sie uns weitermachen mit dem Interview!«
Aber Glendon beachtete ihn nicht. Seine Augen, die in die ihren blickten, waren nicht mehr von einem sanften Blau, sondern hart und gebieterisch.
Jetzt war sie sicher, auf etwas Bedeutungsvolles gestoßen zu sein, auf etwas, das alles, was sie verwirrte, erklären würde. Gleichzeitig durchschauerte sie die Kraft seiner Stimme und seines Blicks.
Hier vor ihr stand ein Mann, der das Leben packen und aus ihm herausschütteln konnte, was er wollte. »Welche Runde sagte der Redakteur?« wiederholte Glendon.
»Zum Donnerwetter, Pat, so hören Sie doch auf mit dem Unsinn«, mischte Stubener sich wieder ein.
»Ich wünschte, Sie gäben mir eine Möglichkeit zu antworten«, sagte Maud Sangster.
»Ich glaube wirklich, dass ich imstande bin, mit Fräulein Sangster zu reden«, fügte Glendon hinzu. »Gehen Sie nur, Sam. Gehen Sie und nehmen Sie sich des Fotografen an.«
Sie blickten sich einen Augenblick schweigend an, dann ging der Manager zögernd zur Tür und öffnete sie. Er wandte den Kopf, um besser zu hören.
»Und jetzt sagen Sie bitte: welche Runde nannte er?«
»Ich hoffe, dass ich nicht irre«, sagte sie unsicher, »aber ich glaube bestimmt, dass er die sechzehnte Runde sagte.«
Sie sah, wie sich plötzlich Überraschung und Zorn in Glendons Gesicht zeigten, und Zorn und Anklage galten seinem Manager. Jetzt wusste sie, dass ihr Schlag getroffen hatte.
Und sein Zorn war auch begründet. Er hatte den Kampf mit Stubener besprochen, und sie hatten sich dahin geeinigt, dass sie den Zuschauern etwas für ihr Geld geben wollten, ohne doch den Kampf allzusehr in die Länge zu ziehen. Deshalb sollte er in der sechzehnten Runde enden. Und nun kam eine Dame von der Zeitungsredaktion und nannte eben diese Runde.
Stubener stand blass und verlegen in der Tür.
»Mit Ihnen rede ich später«, sagte Pat zu ihm. »Machen Sie die Tür hinter sich zu.«
Die Tür wurde geschlossen, und jetzt waren sie allein.
Glendon sagte nichts. Seine Miene drückte deutlich Unruhe und Erstaunen aus.
»Nun?« fragte sie.
Sie hoch überragend stand er da. Dann setzte er sich wieder und befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge.
»Ich will Ihnen etwas sagen«, meinte er schließlich. »Der Kampf wird nicht in der sechzehnten Runde enden.«
Sie sagte nichts, aber ihr ungläubiges, spöttisches Lächeln verletzte ihn.
»Warten Sie ab, Fräulein Sangster, und Sie werden sehen, dass der Redakteur sich irrt.«
»Sie meinen, das Programm wird geändert?« fragte sie dreist.
Er zuckte unter diesen scharfen Worten zusammen.
»Ich pflege nicht zu lügen«, sagte er steif, »vor allem nicht Frauen gegenüber.«
»Das tun Sie ja auch gar nicht. Sie leugnen nicht einmal, dass das Programm geändert wird. Ich bin vielleicht ein bisschen schwer von Begriff, Herr Glendon, aber ich kann nicht einsehen, welchen Unterschied es ausmacht, in welcher Runde der Kampf endet, wenn es doch vorausbestimmt und bekannt ist.«
»Ich will Ihnen die Runde nennen, und keine andere Menschenseele soll es wissen.«
Sie zuckte die Achseln und lächelte.
»Das klingt ja fast wie ein Renntipp. Die werden immer so gegeben, wie ich weiß. Ganz so dumm bin ich nun doch nicht, und ich weiß, dass hier etwas nicht stimmt. Warum wurden Sie böse, als ich die Runde nannte? Warum waren Sie auf Ihren Manager böse? Warum haben Sie ihn fortgeschickt?«
Statt zu antworten trat Glendon ans Fenster, als wolle er hinausschauen.
Dann änderte er plötzlich seinen Entschluss und wandte sich halb zu ihr um, und ohne dass sie es sah, wusste sie, dass er jetzt ihr Gesicht betrachtete. Dann ging er wieder auf seinen Platz zurück und setzte sich.
»Sie sagen, ich hätte Sie nicht belogen, Fräulein Sangster, und Sie haben recht. Ich habe es nicht getan.«
Er machte eine Pause, in der er krampfhaft nach Worten suchte.
»Wollen Sie nicht versuchen zu glauben, was ich Ihnen jetzt sagen werde? Wollen Sie sich auf das Wort eines – Boxers verlassen?«
Sie nickte ernst und sah ihm in die Augen, überzeugt, dass er jetzt die Wahrheit sagen würde.
»Ich habe immer ehrlich und anständig gekämpft. Ich habe nie im Leben unsauberes Geld angerührt, nie einen unsauberen Trick ausgeübt.
Das möchte ich zunächst feststellen.
Sie haben mir durch das, was Sie erzählten, einen gehörigen Schrecken eingejagt. Ich weiß gar nicht, was ich davon halten soll. Aber es sieht sehr verdächtig aus. Das ist es, was mich quält. Denn sehen Sie, Stubener und ich haben den Kampf besprochen, dass ich in der sechzehnten Runde Schluss machen soll.
Und jetzt kommen Sie und erzählen es mir. Woher wusste der Redakteur es? Von mir nicht. Stubener muss es sich haben entschlüpfen lassen … es sei denn …«
Er schwieg einen Augenblick, um nachzudenken. »Es sei denn, der Redakteur hätte es zufällig geraten. Ich kann nicht klug daraus werden. Da ist nichts zu machen, als die Augen offenzuhalten und abzuwarten. Jedes Wort, das ich Ihnen gesagt habe, ist wahr. Hier meine Hand darauf!«
Wieder stand er auf, dass er sie in seiner vollen Größe überragte.
Ihre kleine Hand wurde von seiner großen, der sie auf halbem Wege entgegenkam, ergriffen, und nachdem sie sich offen und ehrlich in die Augen geblickt hatten, sahen beide unbewusst auf die einander umschließenden Hände nieder.
Sie fühlte, dass sie sich ihrer Weiblichkeit noch nie so bewusst gewesen war wie in diesem Augenblick. Diese Erkenntnis kam ihr in derselben Sekunde, in der ihre weiche, zarte Hand den Druck seiner kräftigen, männlichen spürte.
Glendon brach das Schweigen zuerst.
»Wie leicht könnte ich sie zerbrechen«, sagte er, und im selben Augenblick fühlte sie, wie sein harter Griff sich lockerte und fast liebkosend sanft wurde.
Sie erinnerte sich der Vorliebe eines alten preußischen Königs für Riesen und lachte über diese ungereimte Gedankenverbindung, während sie ihm die Hand entzog.
»Ich freue mich, dass Sie heute kamen«, sagte er.
Dann wurde er verlegen und sagte schnell – und seine Worte widersprachen der warmen Bewunderung, die aus seinen Augen leuchtete:
»Ich meine, weil Sie mir vielleicht die Augen geöffnet haben.«
»Sie haben mich wirklich überrascht«, behauptete sie. »Sie müssen ganz anders als andere Boxer sein.«
Er nickte.
»Es war nicht schwer, mich an der Nase herumzuführen. Das heißt, es soll sich erst zeigen, ob man das getan hat. Jetzt will ich es nämlich selbst herauskriegen, wissen Sie.«
»Und es ändern?« fragte sie fast tonlos, völlig überzeugt, dass er imstande war, alles zu tun, was er sich vornahm.
»Nein, Schluss machen«, antwortete er. »Wenn es kein ehrliches Spiel ist, will ich nichts mehr damit zu tun haben.
Und soviel ist sicher: Dieser Kampf mit Nat Power wird nicht in der sechzehnten Runde enden. Wenn die Äußerung des Redakteurs wirklich begründet ist, dann sollen sie diesmal alle angeführt werden. Das werden Sie sehen.«
»Und ich darf dem Redakteur nichts davon erzählen?«
Sie war aufgestanden und schickte sich zum Gehen an.
»Auf keinen Fall! Wenn er nur geraten hat, so lassen Sie ihm seine Chance. Wenn was faul an der Geschichte ist, dann verdient er es, seine Wette zu verlieren.
Es soll ein kleines Geheimnis zwischen uns beiden sein. Ich will Ihnen sagen, was ich tue: Ich lasse den Kampf nicht bis zur zwanzigsten Runde dauern, sondern erledige Nat Powers in der achtzehnten.«
»Und ich werde keinem etwas davon verraten«, versicherte sie ihm.
»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten«, sagte er zögernd. »Vielleicht ist es ein großer Gefallen, den Sie mir erweisen können.«
Ihre Miene drückte eine Fügsamkeit aus, als hätte sie schon alles bewilligt, und er fuhr fort:
»Ich bin selbstverständlich überzeugt, dass Sie in Ihrem Interview nichts von unserer Verabredung erwähnen werden. Aber ich gehe noch weiter. Ich möchte, dass Sie überhaupt nicht schreiben.«
Sie sah ihn mit einem forschenden Blick ihrer grauen Augen an und war beinahe selbst erstaunt über die Antwort, die sie ihm gab.
»Gewiss«, sagte sie. »Es wird nichts veröffentlicht. Ich werde nicht eine Zeile darüber schreiben.«
»Das wusste ich«, sagte er einfach.
Einen Augenblick war sie enttäuscht, dass sie keinen Dank empfing, gleich darauf aber freute sie sich darüber, dass er ihr nicht gedankt hatte.
Sie fühlte, dass er sich in dieser Stunde, die er mit ihr verbrachte, eine ganz neue Grundlage schuf, und es drängte sie, alles zu erfahren.
»Wie konnten Sie das wissen?« fragte sie.
»Das weiß ich nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Erklären kann ich es nicht. Aber mir ist, als wüsste ich vieles über Sie und mich.«
»Aber warum soll ich das Interview nicht veröffentlichen? Wie Ihr Manager sagt, ist es doch eine gute Reklame?«
»Das weiß ich«, antwortete er langsam. »Aber ich möchte Sie nicht auf diese Weise kennen. Ich glaube, es würde mir weh tun, wenn Sie es veröffentlichten. Ich möchte Sie nicht von der geschäftlichen Seite kennenlernen. Ich möchte mich an diese Unterredung am liebsten erinnern als an eine Unterredung zwischen einem Mann und einer Frau. Ich weiß nicht, ob Sie verstehen, was ich meine. Aber so fühle ich nun einmal. Ich möchte es in der Erinnerung behalten als etwas, das zwischen Mann und Frau vorging.«
Und während er sprach, lag in seinen Augen alles, was ein Mann auszudrücken vermag, wenn er eine Frau anblickt.
Sie fühlte seine Kraft und seinen Willen und merkte, dass sie nichts sagen konnte. Sie war verlegen vor diesem Manne, von dem sie gehört hatte, dass er schweigsam und verlegen sei. Wenn ein Mann überzeugend zu reden verstand, so war er es.
Er begleitete sie zu ihrem Wagen, und es durchzuckte sie noch einmal, als er sich verabschiedete. Ihre Hände trafen sich, und er sagte:
»Eines Tages sehe ich Sie wohl wieder. Ich möchte Sie wiedersehen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das letzte Wort zwischen uns noch nicht gefallen ist.«
Und als der Wagen fortrollte, bemerkte sie bei sich selber ein ähnliches Gefühl. Sie hatte diesen sehr beunruhigenden Pat Glendon, den König der Boxer, nicht zum letztenmal gesehen.
Als Glendon wieder den Trainingsraum betrat, stieß er auf seinen bestürzten Manager.
»Warum haben Sie mich hinausgeworfen?« fragte Stubener. »Wir sind fertig miteinander. Sie haben was Schönes angerichtet. Sie sind noch nie mit einem Reporter allein gewesen, und jetzt werden Sie ja sehen, was herauskommt.«
Glendon, der ihn kühl, aber belustigt betrachtet hatte, machte Miene, ihn stehenzulassen, dann aber änderte er seinen Entschluss und sagte:
»Gar nichts kommt dabei heraus.«
Stubener sah ihn scharf an.
»Ich bat sie, nichts zu schreiben«, erklärte Glendon.
Da konnte Stubener sich nicht länger beherrschen.
»Als ob sie sich einen solchen Bissen entgehen ließe!«
Glendon wurde noch kälter, und seine Stimme klang hart und schneidend.
»Es wird nichts veröffentlicht. Das hat sie gesagt. Und daran zu zweifeln, hieße sie zur Lügnerin stempeln.«
Die irische Flamme loderte in seinen Augen, und Stubener, der es sah und der auch bemerkte, wie beide Fäuste sich vor Zorn ballten, Stubener, der die Kraft dieser Fäuste und auch den Mann, der ihm gegenüberstand, kannte, wagte nicht mehr zu zweifeln.
Stubener brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass Glendon die Absicht hatte, die Entscheidung des Kampfes hinauszuschieben, wenn er auch trotz allen Versuchen nicht die Zahl der Runden feststellen konnte.
Er verlor jedoch keine Zeit, sondern traf entsprechende Verabredungen mit Nat Powers und dessen Manager. Powers hatte ein treues Gefolge von Wettenden, und dieses Wettsyndikat durfte nicht um seine Ernte gebracht werden.
Kaum hatte Maud Sangster Platz genommen, als tosender Beifall den Eintritt Nat Powers verkündete. Er kam zwischen seinen Sekundanten durch den Mittelgang, und sie erschrak beinahe über seinen mächtigen Körperbau. Aber er sprang so leicht wie ein Mann, der nur halb so viel wog, über die Seile und lachte zufrieden, als das Haus ihn geräuschvoll begrüßte.
Er war nicht schön. Seine Blumenkohlohren zeugten deutlich von seinem Beruf und dessen Brutalität, und seine Nase war so oft gebrochen und breitgequetscht, sodass sie schließlich allen Bemühungen der Ärzte trotzte, ihre ursprüngliche Form wiederherzustellen.
Ein neues Tosen begrüßte die Ankunft Glendons, und sie betrachtete ihn genau, als er durch die Seile kletterte und sich in seine Ecke des Ringes begab.
Aber erst als die langweilige Vorstellung und die Bekanntgabe der Kampfregeln sowie der Herausforderung vorüber war, warfen beide Männer ihre Mäntel ab und standen einander fast nackt gegenüber.
Von oben wurde jetzt der scharfe, weiße Schein vieler elektrischer Lampen auf sie gerichtet, um die Filmaufnahmen zu ermöglichen. Und als sie jetzt die zwei so verschiedenartigen Männer betrachtete, fühlte sie, dass von den beiden Glendon der Mensch, Powers aber das Höllentier war.
Jeder war auf seine Art eine auffallende Erscheinung, Glendon rein von Gestalt und Zügen, harmonisch und von kraftvoller Schönheit. Powers unsymmetrisch, derb gebaut und stark behaart.
Als sie ihre Stellungen vor den Aufnahmeapparaten einnahmen, schweifte Glendons Blick über den Ring hinaus und blieb auf ihrem Gesicht haften, und wenn er sich auch nichts merken ließ, so wusste sie doch, dass er sie erkannt hatte.
Im nächsten Augenblick ertönte der Gong, der Ansager rief »Los!« und der Kampf hatte begonnen.
Es war ein schöner Kampf. Es floss kein Blut, alles ging glatt, und beide Boxer erwiesen sich als sehr tüchtig. Die erste Hälfte der ersten Runde benutzte jeder, um die Taktik des anderen herauszufinden, aber für Maud Sangster waren diese Finten und die leisen Berührungen der Boxhandschuhe in hohem Maße nervenerregend.
Powers kämpfte leicht und sauber, wie es sich für den Helden zahlreicher Kämpfe gehörte, und immer wieder erntete seine Gewandtheit den Beifall der bewundernden Zuschauer.
Dennoch entfaltete er seine volle Kraft nur, wenn er sich hin und wieder in der Klemme befand, und dann sprang das Publikum auf in der irrigen Annahme, dass er jetzt seinen Gegner erledigen würde.
In einem solchen Augenblick – ihr ungeübtes Auge konnte nicht erkennen, dass Glendon in Wirklichkeit jedem ernsthaften Treffer auswich – wandte sich der Redakteur zu ihr und sagte:
»Der junge Pat wird schon siegen. Er ist der kommende Mann und nicht aufzuhalten. Aber er wird in der sechzehnten Runde siegen, nicht eher.«
»Oder später?« fragte sie.
Sie hätte fast darüber gelacht, wie sicher ihr Begleiter in seinem Irrtum war. Sie wusste es besser.
Powers war dafür bekannt, dass er seinen Gegner Runde auf Runde durch den Ring jagte, und Glendon ging willig darauf ein.
Er verteidigte sich bewundernswert, und er war gerade angriffslustig genug, um das Interesse des Publikums für den Kampf zu steigern.
Obwohl Powers wusste, dass er dazu bestimmt war, zu verlieren, hatte er doch eine zu große Erfahrung im Ring, als dass er gezögert hätte, seinen Gegner zu werfen, wenn sich die Gelegenheit geboten hätte. Durch Bestechungen nach beiden Seiten war er so oft angeführt worden, dass er keine Rücksicht kannte. Wenn er die Möglichkeit hatte, wollte er siegen, und wenn das ganze Syndikat aufflog.
Dank einer geschickten Propaganda in der Presse war die Anschauung verbreitet worden, dass der junge Pat Glendon jetzt endlich seinen Meister gefunden hätte. Aber Powers wusste selber gut, dass er einem Besseren gegenüberstand. Mehr als einmal fühlte er im Infighting, dass sein Gegner weit größere Kraft in die Schläge legen konnte, wenn er nur wollte.
Für Glendon seinerseits gab es manchen Augenblick, da ein Ausgleiten oder eine falsche Abschätzung ihn einem der Schmiedehammerschläge des anderen ausgesetzt haben würde, der den Kampf entschieden hätte.
Aber er besaß die fast wunderbare Fähigkeit, Zeit und Entfernung stets richtig zu beurteilen, und sein Selbstvertrauen wurde selbst in den gefahrvollsten Augenblicken nicht erschüttert. Er war noch nie besiegt, noch nie für die Zeit auf die Bretter geschickt worden und war seinem Gegner immer so entschieden überlegen gewesen, dass er sich die Möglichkeit einer Niederlage gar nicht vorstellen konnte.
Am Ende der fünfzehnten Runde waren beide Kämpfenden immer noch frisch, aber Powers atmete doch ein bisschen schwer, und es gab schon Leute in den vordersten Reihen, die Wetten darauf anboten, dass er bald ausgepumpt sein würde.
Kurz bevor aber der Gong die sechzehnte Runde verkündete, beugte sich Stubener auf seinem Platz an der Ecke Glendons vor und flüsterte:
»Werden Sie ihn jetzt erledigen?«
Glendon warf den Kopf in den Nacken, schüttelte den Kopf und lachte seinem Manager spöttisch in das erschrockene Gesicht.
*
Glendon sah zu seinem Erstaunen, wie Powers im selben Augenblick, als der Gong ertönte, auf ihn losfuhr.
Von der ersten Sekunde an war der Kampf ein Orkan, und Glendon hatte Mühe zu vermeiden, dass er ernstlich getroffen wurde. Er blockte, clinchte, duckte sich und tanzte seitwärts, wurde rückwärts gegen die Seile gestoßen und begegnete, als er wieder vorrückte, neuen wilden Attacken.
Mehr als einmal sah er, dass Powers sich eine Blöße gab, aber er unterließ es, den Blitz zu schleudern, der seinen Gegner niedergestreckt hätte. Er hielt den Schlag zurück in der Absicht, ihn erst zwei Runden später auszuteilen. Während des ganzen Kampfes hatte er noch nicht ein einziges Mal gezeigt, was er konnte, oder mit seiner ganzen Kraft geschlagen.
Zwei Minuten lang ließ Powers unaufhörlich seine Schmiedehammerfäuste auf ihn niederprasseln. Noch eine Minute, und das Wettsyndikat hatte eine empfindliche Niederlage erlitten!
Aber der Kampf sollte nicht bis zum Ende dieser Minute dauern.
Sie standen mitten im Ring, in einem ganz gewöhnlichen Clinch, nur dass Powers immer noch auf seine brutale Art und Weise auf ihn losschlug. Glendon führte einen leichten Schlag mit dem gebeugten linken Arm seitwärts gegen das Gesicht seines Gegners, einen Schlag, wie er ihn ähnlich schon mehrmals im Laufe des Kampfes erteilt hatte.
Da merkte er zu seinem Erstaunen, dass Powers in seinen Armen erschlaffte. Die Beine vermochten das Gewicht des Mannes nicht mehr zu tragen, und er sank, wie von einer schweren Last niedergedrückt, zu Boden.
Er fiel schwer auf den Boden, rollte halb auf die Seite und blieb unbeweglich und mit geschlossenen Augen liegen.
Der Schiedsrichter beugte sich über ihn und zählte. Bei »neun« durchfuhr ein Zittern den Körper Powers, und es hatte den Anschein, als versuche er vergebens, wieder auf die Füße zu kommen. »Zehn – aus!« rief der Schiedsrichter.
Er ergriff die Hand Glendons und hob sie hoch, um dem tosenden Publikum zu zeigen, dass er der Sieger war.
Zum ersten Mal in seinem Leben stand Glendon ganz betäubt im Ring.
Es war kein entscheidender Schlag gewesen, darauf hätte er seinen Kopf setzen können. Der Schlag hatte nicht einmal das Kinn, sondern nur die Backe getroffen, er konnte genau die Stelle angeben. Und doch war der Mann erledigt.
Er hatte eine schändliche Komödie aufgeführt und war ausgezählt worden. Wie er zu Boden gegangen war, das hatte er meisterhaft und überzeugend gemacht. Für das Publikum gab es keinen Zweifel, dass es ein richtiger Knockout gewesen war, und die Filmkamera würde die Lüge fortführen. Der Redakteur hatte also den Schwindel vorausgesagt, und ein gemeiner Schwindel war es wahrhaftig.
Glendon warf einen schnellen Blick über die Seile hinweg auf das Gesicht Maud Sangsters. Sie sah ihn gerade an, aber ihr Blick war kalt und hart, verriet kein Wiedererkennen und war völlig ausdruckslos. Während er sie noch ansah, wandte sie sich zu ihrem Nachbarn und sagte etwas zu ihm.
Powers wurde von seinen Sekundanten in seine Ringecke getragen, scheinbar das kraftlose Wrack eines Menschen.
Glendons Sekundanten kamen, um ihn zu beglückwünschen und ihm die Handschuhe auszuziehen. Aber Stubener kam ihnen zuvor. Sein Gesicht strahlte, als er Glendons Rechte mit seinen beiden Händen umschloss und rief:
»Sie sind ein Prachtjunge, Pat! Ich wusste ja, dass Sie es tun würden.«
Glendon zog die Hand im Handschuh zurück. Und zum ersten Mal in all den Jahren, die er ihn kannte, hörte sein Manager ihn fluchen.
»Gehn Sie zum Teufel!« sagte er, kehrte ihm den Rücken und hielt seinen Sekundanten die Hände hin, um sich die Handschuhe ausziehen zu lassen.