»Großartig!« rief Johnson mir ins Ohr, als wir glücklich die Überschwemmung, die notwendige Folge des Manövers, überstanden hatten, und ich wusste, dass sein Ausruf sich nicht auf die seemännische Tüchtigkeit Wolf Larsens, sondern auf die Leistung der ›Ghost‹ selbst bezog.
Es war jetzt so dunkel, dass von dem Boote nichts mehr zu sehen war. Wolf Larsen aber führte, wie durch einen unfehlbaren Instinkt geleitet, das Ruder. Obwohl wir immer halb unter Wasser waren, wurden wir diesmal in kein Wellental hinuntergeschwemmt, sondern trieben geradeswegs auf das Boot zu, das, freilich arg beschädigt, an Bord geheißt wurde. Es folgten zwei Stunden furchtbarer Anstrengung. Wir alle an Bord – zwei Jäger, drei Matrosen, Wolf Larsen und ich – refften zuerst den Klüver, dann das Großsegel. Beigedreht und mit so wenig Leinwand war das Deck einigermaßen trocken, und die ›Ghost‹ wippte wie ein Kork auf den Seen.
Ich hatte mir gleich im Anfang die Haut von den Fingern gerissen, und beim Reffen hatte ich vor Schmerz kaum die Tränen zurückhalten können. Als jetzt alles getan war, ließ ich mich wie ein Weib gehen und warf mich, jammernd vor Schmerz und Erschöpfung, aufs Deck.
Unterdessen war Thomas Mugridge wie eine ertrunkene Ratte unter dem Backkopf hervorgezogen worden, wo er sich feige verkrochen hatte. Als er achtern nach der Kajüte geschleppt wurde, sah ich plötzlich zu meinem Schrecken, dass die Kombüse verschwunden war. Wo sie gestanden hatte, war klar Deck.
In der Kajüte fand ich alle Mann, auch die Matrosen, versammelt, und während der Kaffee auf dem kleinen Ofen gekocht wurde, tranken wir Whisky und kauten Zwiebäcke. Nie im Leben war mir Essen so willkommen gewesen, und nie hatte mir heißer Kaffee so geschmeckt. So gewaltig rollte und stieß die ›Ghost‹, dass selbst die Matrosen sich nicht bewegen konnten, ohne sich festzuhalten, und dass wir mehrmals unter allgemeinem Geschrei nach Backbord an die Wand geschleudert wurden, als hätten wir uns an Deck befunden.
»Zum Teufel mit dem Ausguck!« hörte ich Wolf Larsen sagen, als wir uns satt gegessen und getrunken hatten. »An Deck kann doch nichts mehr gemacht werden. Wenn jemand uns überrennen will, können wir ihm doch nicht ausweichen. Alle Mann in die Kojen, und versucht ein bisschen zu schlafen!«
Die Matrosen kämpften sich nach vorn und setzten unterwegs die Seitenlichter, während die beiden Jäger zum Schlafen in der Kajüte blieben, da es nicht ratsam war, die Zwischendeckslupe zu öffnen. Wolf Larsen und ich amputierten gemeinsam Kerfoots zerschmetterten Finger und vernähten die Wunde. Mugridge, der die ganze Zeit, während er Kaffee machen und aufwarten musste, über innere Schmerzen geklagt hatte, schwor jetzt, dass er zwei oder drei Rippen gebrochen hätte. Aber er musste bis zum nächsten Tage warten, zumal ich nichts von gebrochenen Rippen verstand und erst darüber nachlesen musste.
»Ich finde nicht, dass es das wert war«, sagte ich zu Wolf Larsen, »ein zersplittertes Boot für Kellys Leben!«
»Kelly war nicht viel wert«, lautete die Antwort. »Gute Nacht!«
Nach allem, was sich ereignet hatte, bei fast unerträglichen Schmerzen in den Fingerspitzen und den Gedanken an die drei vermissten Boote, gar nicht zu reden von den wilden Sprüngen, die die ›Ghost‹ machte, hätte ich nicht geglaubt, dass es möglich gewesen wäre, zu schlafen. Aber meine Augen müssen sich in demselben Augenblick geschlossen haben, als mein Kopf das Kissen berührte, und in äußerster Erschöpfung schlief ich die ganze Nacht, während sich die ›Ghost‹, einsam und ungeleitet, ihren Weg durch den Sturm erkämpfte.
Am nächsten Tage paukten Wolf Larsen und ich, während der Sturm sich austobte, schnell Anatomie und Chirurgie und setzten Mugridges Rippen wieder zurecht. Als dann die Gewalt des Orkans gebrochen war, kreuzte Wolf Larsen über die Stelle, wo er uns überrascht hatte, zurück, und fuhr dann, während die Boote ausgebessert und neue Segel gemacht wurden, etwas weiter nach Westen. Ein Robbenschoner nach dem anderen wurde gesichtet und geprait; die meisten hatten Boote und Mannschaften an Bord, die sie aufgelesen hatten und die ihnen nicht gehörten. Der größte Teil der Flotte hatte sich westlich von uns befunden, und die weit verstreuten Boote hatten in wilder Flucht den ersten besten Zufluchtsort aufgesucht.
Zwei unserer Boote mit wohlbehaltener Mannschaft nahmen wir von der ›Cisco‹ über, und zu Wolf Larsens großer Freude und meinem Schmerz las er Smoke, Nilson und Leach von der ›San Diego‹ auf. So waren wir nach fünf Tagen, nur um vier Mann ärmer – Henderson, Holoyak, Williams und Kelly – wieder hinter den Herden her.
Wir verfolgten sie weiter nordwärts, und nun trafen wir auf die gefürchteten Seenebel, Tag auf Tag wurden die Boote hinuntergefiert und verschwanden, fast ehe sie noch das Wasser berührt hatten. Wir an Bord stießen in regelmäßigen Zwischenräumen ins Horn und gaben alle fünfzehn Minuten Signalschüsse ab. Beständig wurden Boote verloren und wiedergefunden, und es war üblich, mit dem ersten besten fremden Schoner zu jagen, der das Boot aufnahm, bis der eigene Schoner gefunden war. Da Wolf Larsen jedoch ein Boot fehlte, ergriff er Besitz von dem ersten fremden, das uns in die Quere kam, zwang die Mannschaft, auf der ›Ghost‹ zu bleiben und erlaubte ihnen nicht, zurückzukehren, als wir ihren eigenen Schoner sichteten. Ich weiß noch, wie er dem Jäger und seinen beiden Leuten das Gewehr auf die Brust setzte und sie nach unten trieb, als ihr Kapitän uns passierte und praite, um nach ihnen zu fragen.
Thomas Mugridge, der sich so seltsam und hartnäckig ans Leben klammerte, humpelte wieder herum und kam seinen zweifachen Pflichten als Koch und Kajütsjunge nach. Johnson und Leach wurden schlimmer behandelt als je, und sie erwarteten, dass mit der Jagdzeit auch ihr Leben zu Ende sein würde. Aber auch die übrige Mannschaft lebte ein wahres Hundeleben unter ihrem erbarmungslosen Herrn. Ich selbst kam ganz gut mit Wolf Larsen aus, obgleich ich nie den Gedanken loswerden konnte, dass ich am richtigsten handeln würde, wenn ich ihn tötete. Er übte einen ungeheuren Zauber auf mich aus, und ich fürchtete ihn grenzenlos. Und doch konnte ich mir nicht vorstellen, dass er tot hingestreckt daliegen sollte. Es war ein Hauch von Ewigkeit über ihm. Immerwährende Jugend umwehte ihn und verscheuchte das Bild. Ich konnte ihn mir nur immer lebend vorstellen, immer herrschend, kämpfend und vernichtend, alles überlebend.
Eine seiner Zerstreuungen war, wenn wir mitten in einer Robbenherde lagen und die See zu hoch ging, um die Boote niederzulassen, selbst mit zwei Pullern und einem Steurer hinauszugehen. Er war ein guter Schütze und erbeutete viele Felle unter Verhältnissen, die die Jäger einfach unmöglich nannten. Aber er schien gerade seine Freude daran zu finden, sein Leben auf diese Weise aufs Spiel zu setzen und gegen fast unüberwindliche Schwierigkeiten anzukämpfen.
Ich lernte immer mehr von der Navigation, und an einem schönen Tage – etwas, was uns jetzt selten begegnete – erlebte ich die Befriedigung, selbst die ›Ghost‹ führen, steuern und die Boote auflesen zu dürfen.
Wolf Larsen war von seinen Kopfschmerzen befallen, und so stand ich nun von morgens bis abends am Rade, kreuzte über das Meer nach dem letzten Leeboot, legte bei und nahm dieses und die anderen fünf auf, und das alles ohne Kommando oder Anweisung von dem Kapitän.
Hin und wieder wehte es steif, denn wir waren in eine stürmische Breite gekommen, und Mitte Juni erlebten wir einen Taifun, der sehr denkwürdig für mich und bedeutungsvoll für meine ganze Zukunft werden sollte. Wir wären fast von dem Zentrum des Wirbelsturms gepackt worden, und Wolf Larsen lief nach Süden davon, zuerst mit doppelt gerefftem Klüver und zuletzt mit gänzlich gestrichenen Segeln. Nie hatte ich gedacht, dass es so ungeheure Wogen geben könnte! Die Wellen, denen wir bisher begegnet waren, erschienen im Vergleich zu ihnen wie sanftes Gekräusel. Von Kamm zu Kamm maßen sie wohl eine halbe Meile, und ich bin fest überzeugt, dass sie unsern Topp überragten. So gewaltig waren sie, dass selbst Wolf Larsen nicht beizudrehen wagte, obgleich wir Gefahr liefen, weit nach Süden und aus den Robbengründen getrieben zu werden.
Wir mussten etwa bis in die Route der Transpazifik-Linie gekommen sein, und als der Taifun nachließ, befanden wir uns zur Überraschung der Jäger inmitten einer großen Robbenherde – einer Art Nachhut, wie sie erklärten, etwas sehr Seltenes. Aber die Folge war, dass den ganzen Tag die Büchsen knallten und die Tiere mitleidslos abgeschlachtet wurden.
Gegen Abend näherte Leach sich mir. Ich war gerade damit fertig, die Häute zu zählen, die das letzte Boot an Bord gebracht hatte, als er in der Dunkelheit neben mich trat und leise fragte:
»Herr van Weyden, können Sie mir sagen, wie weit wir von der Küste entfernt sind und in welcher Richtung Yokohama liegt?«
Mein Herz hüpfte vor Freude, denn ich wusste, was er vorhatte, und ich gab ihm die Richtung an: »500 Meilen West-Nord-West.«
»Danke!« Mehr sagte er nicht, und dann schlüpfte er wieder ins Dunkel zurück.
Am nächsten Morgen wurde Boot 3 mit Johnson und Leach vermisst. Gleichzeitig fehlten die Wasserfässer und Esskisten aller anderen Boote und Bettzeug und Seesäcke der beiden Männer. Wolf Larsen raste. Er setzte Segel und fuhr nach West-Nord-West, immer zwei Jäger im Ausguck, während er selbst wie ein zorniger Löwe auf Deck auf und ab schritt. Er kannte meine Sympathie mit den Flüchtlingen zu gut, als dass er mich in den Ausguck geschickt hätte.
Der Wind war günstig, wenn auch unbeständig, aber mir schien, dass man ebenso gut eine Stecknadel in einem Heuschober, wie das winzige Boot in dieser blauen Unendlichkeit hätte suchen können. Er holte jedoch alles aus der ›Ghost‹ heraus, um die Flüchtlinge vom Lande abzuschneiden, und als er das erreicht zu haben meinte, kreuzte er hin und her in der Überzeugung, irgendwo auf sie zu stoßen.
Am dritten Morgen, kurz vor acht, rief Smoke vom Mast herab, dass das Boot in Sicht sei. Alles stürzte an die Reling. Eine scharfe Brise wehte aus West, und es schien noch mehr Wind aufzukommen. Und dort, in Lee, in dem bewegten Silberschein der aufgehenden Sonne, kam und ging ein schwarzer Fleck.
Wir braßten vierkant und fuhren auf ihn zu. Mein Herz war schwer wie Blei. Schlimme Ahnungen machten mich krank, und als ich den Triumph in Wolf Larsens Augen schimmern sah, drehte sich alles vor mir, und ich fühlte den fast unwiderstehlichen Drang, mich auf ihn zu stürzen. Ich weiß, dass ich in halber Betäubung ins Zwischendeck schlüpfte und gerade mit einer geladenen Büchse in der Hand wieder hinaufsteigen wollte, als ich den erstaunten Ruf hörte:
»Es sind fünf Mann im Boot!«
Schwach und zitternd lehnte ich mich an die Wand und hörte, wie Smokes Beobachtung jetzt von den anderen bestätigt wurde. Dann versagten mir die Knie, und ich sank zu Boden. Ich war wieder zu mir gekommen, aber mich erschütterte das Bewusstsein dessen, was ich fast getan hätte. Mit großer Erleichterung stellte ich das Gewehr wieder an seinen Platz und schlich mich an Deck zurück.
Niemand hatte meine Abwesenheit bemerkt. Das Boot war jetzt nahe genug, um uns erkennen zu lassen, dass es größer als die üblichen Robbenfängerboote und von einem anderen Typ war. Als wir uns näherten, wurde das Segel eingeholt und der Mast umgelegt. Riemen kamen zum Vorschein, und die Leute warteten offenbar, dass wir beidrehen und sie an Bord nehmen sollten.
Smoke, der auf das Deck herabgestiegen war und jetzt neben mir stand, begann bedeutungsvoll zu kichern. Ich blickte ihn fragend an.
»Bunte Gesellschaft«, gluckste er.
»Was ist los?« fragte ich.
Er gluckste wieder. »Sehen Sie nicht, dort im Stern am Boden? Ich will nie wieder eine Robbe schießen, wenn das nicht eine Frau ist!«
Ich blickte näher hin, konnte jedoch nichts Genaues erkennen. Da ertönten von allen Seiten erstaunte Ausrufe. Im Boot befanden sich vier Männer, der fünfte Insasse aber war zweifellos eine Frau. Wir befanden uns in einer ungeheuren Aufregung – wir alle, außer Wolf Larsen, der offensichtlich enttäuscht war, dass er nicht sein eigenes Boot mit den Opfern seiner Niedertracht vor sich hatte.
Wir holten den Außenklüver ein, brachten die Klüverschoot nach Luv, ließen das Großsegel flach gehen und kamen in den Wind. Die Riemen senkten sich ins Wasser, und nach einigen Schlägen war das Boot längsseits. Jetzt erblickte ich die Frau zum ersten Mal. Sie war in einen langen Überzieher gehüllt, denn der Morgen war rau, und ich konnte nichts von ihr sehen als ihr Gesicht und eine Fülle hellbraunen Haares, das unter dem Südwester, den sie auf dem Kopfe trug, hervorquoll. Die Augen waren groß, braun und strahlend, der Mund sinnlich und das Antlitz selbst ein zartes Oval, das die Sonne und der salzige Wind jetzt allerdings rotgebrannt hatten.
Sie erschien mir wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Ich spürte, dass mich nach ihr verlangte wie den Hungernden nach Brot. Hatte ich doch so lange, lange keine Frau mehr gesehen! Ich weiß, ich verlor mich so sehr in Bewunderung, fast in Betäubung, dass ich mich selbst und meine Pflichten als Steuermann vergaß und mich nicht daran beteiligte, den Bootsinsassen an Bord zu helfen. Als einer der Matrosen sie in die herabgestreckten Arme Wolf Larsens hob, blickte sie in unsere neugierigen Gesichter und lächelte, wie nur eine Frau lächeln kann, und wie ich so lange niemand hatte lächeln sehen, dass ich vergessen hatte, dass es überhaupt ein solches Lächeln gab.
»Herr van Weyden!«
Die scharfe Stimme Wolf Larsens brachte mich wieder zu mir.
»Wollen Sie die Dame nach unten bringen und für ihre Bequemlichkeit sorgen. Setzen Sie die freie Backbordkajüte in Stand. Lassen Sie es Köchlein tun. Und sehen Sie, was Sie für ihr Gesicht tun können. Es ist arg verbrannt.«
Er machte kurz kehrt und begann die Männer zu verhören.
Das Boot war Wind und Wellen preisgegeben gewesen, was einer von ihnen eine blutige Schande nannte, da Yokohama so nahe war.
Ich fühlte eine seltsame Befangenheit dieser Frau gegenüber, die ich jetzt nach achtern brachte. Ich war feige. Zum ersten Mal wurde ich gewahr, was für ein zartes, gebrechliches Geschöpf eine Frau ist, und als ich ihren Arm fasste, um ihr die Kajütstreppe hinunterzuhelfen, erschrak ich über seine Zierlichkeit und Zartheit. Sie war in der Tat eine besonders schlanke, zarte Frau, mir erschien sie jedenfalls so ätherisch, dass ich fast erwartete, ihren Arm unter meinem Griff zerbrechen zu fühlen. Dies ist nach so langer Zeit ein offenes Bekenntnis meines ersten Eindrucks von der Frau im Allgemeinen und Maud Brewster im besondern.
»Sie brauchen sich wirklich nicht so zu bemühen«, protestierte sie, als ich sie in Wolf Larsens Lehnstuhl setzte, den ich schnell aus seiner Kajüte geholt hatte. »Die Leute haben schon die ganze Zeit nach Land ausgeschaut, und wir müssen es ja noch vor Einbruch der Nacht erreichen. Meinen Sie nicht?«
Ihre Zuversicht erschreckte mich. Wie sollte ich ihr die Situation und den seltsamen Mann erklären, der wie das Schicksal das Meer abschritt – all das, was zu begreifen mich Monate gekostet hatte? Aber ich antwortete ihr ehrlich:
»Wäre es ein anderer Kapitän, so würde ich sagen, dass Sie morgen in Yokohama wären. Unser Kapitän aber ist ein merkwürdiger Mann, und ich bitte Sie, auf alles vorbereitet zu sein – verstehen Sie mich? Auf alles!«
»Ich – ich gestehe, dass ich nicht recht begreife«, sagte sie zögernd, mit einem unruhigen, aber nicht ängstlichen Ausdruck in den Augen. »Oder irre ich mich, dass Schiffbrüchige stets auf das größte Entgegenkommen rechnen können? Es handelt sich ja nur um eine Kleinigkeit, da wir so nahe an Land sind.«
»Offen gestanden, ich weiß es nicht«, brachte ich mit einiger Mühe hervor. »Aber ich möchte Sie auf das Schlimmste vorbereiten für den Fall, dass das Schlimmste kommen sollte. Dieser Mann, der Kapitän, ist ein Scheusal, ein Dämon, und man kann nie wissen, welche fantastische Handlung er im nächsten Augenblick begeht.«
Ich hatte mich warm geredet, aber sie unterbrach mich mit einem: »Oh, ich verstehe«, und ihre Stimme klang müde. Nachdenken bedeutete offenbar eine Anstrengung für sie, und sie war nahe daran, zusammenzubrechen.
Sie stellte keine weiteren Fragen, und ich hielt mich nur an Wolf Larsens Befehl, für ihre Bequemlichkeit zu sorgen. Ich widmete mich ihr wie eine gute Hausfrau, verschaffte ihr milderndes Waschwasser für ihre verbrannte Haut, holte aus Wolf Larsens Privatvorrat eine Flasche Portwein und wies Thomas Mugridge an, die Koje in der freien Kajüte instand zu setzen.
Der Wind wuchs schnell, die ›Ghost‹ krengte stark, und als wir die Kajüte in Ordnung gebracht hatten, schossen wir vor einer steifen Brise dahin. Ich hatte ganz die Existenz von Leach und Johnson vergessen, als plötzlich wie ein Donnerschlag der Ruf »Boot ahoi!« die Kajütstreppe herunterhallte. Es war unverkennbar die Stimme Smokes vom Mast. Ich warf einen Blick auf die Frau, die sich jedoch mit geschlossenen Augen und unaussprechlich müde im Stuhl zurücklehnte. Ich hoffte, dass sie nichts gehört hätte, und beschloss zu verhindern, dass sie Zeugin der Brutalität würde, die der Ergreifung der Flüchtlinge, wie ich wusste, folgen musste. Sie war müde. Sehr gut. Sie sollte schlafen.
An Deck ertönten eilige Befehle, Füßestampfen und das Klatschen der Seisinge, als die ›Ghost‹ sich jetzt in den Wind drehte. Beim Überkrengen begann der Lehnstuhl über den Fußboden zu gleiten, aber ich sprang schnell zu, gerade noch rechtzeitig, um die Gerettete vor dem Hinstürzen zu bewahren.
Sie war zu schläfrig, um ihre Überraschung anders als durch einen kurzen Ausruf zu erkennen zu geben, dann ließ sie sich strauchelnd und wankend von mir zu ihrer Koje führen. Mugridge grinste mich einschmeichelnd an, als ich ihn hinausschob mit dem Befehl, sich wieder an seine Küchenarbeit zu begeben, aber er rächte sich, indem er den Jägern witzigen Bericht erstattete, welch ausgezeichnete Jungfer ich abgäbe.
Sie lehnte sich schwer gegen mich, und ich glaube, dass sie auf dem Wege zwischen Lehnstuhl und Koje eingeschlafen war. Bei einem plötzlichen Überholen des Schoners fiel sie beinahe in die Koje. Sie erwachte, lächelte schlaftrunken und war wieder eingeschlafen, und so verließ ich sie: schlummernd unter einem Paar dicker Seemannsdecken und den Kopf auf einem Kissen, das ich aus Wolf Larsens Koje geholt hatte.