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Kitabı oxu: «Der Müller von Angibault», səhifə 3

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3. Kapitel.
Der Bettler

Allein noch weit schlimmer gestaltete sich die Sache, als man die sandigen Heidewege verließ und zu den kotigen und steinigen Pfaden des schwarzen Tales hinabstieg. Vom Rande der sterilen Hochebene aus hatte Frau von Blanchemont die unermessliche und wundervolle Landschaft bewundert, welche sich ihr zu Füßen ausrollte und, in duftiger Ferne mit dem Himmelsgewölbe zusammenschmelzend, von den Strahlen der ihrem Untergang sich zuneigenden Sonne mit einem blassen, goldbesäumten Violett überhaucht war. Die Gegend gehört allerdings nicht zu den schönsten von Frankreich: die Vegetation ist von keiner großen Kraft, kein bedeutender Strom durchschneidet diese Distrikte, wo sich die Sonne in keinem Schieferdach spiegelt, kein malerisches Gebirge, nichts Überraschendes, nichts Außerordentliches findet sich in dieser friedlichen Natur – aber eine grandiose Entrollung von Ackerland, eine ins Unendliche gehende Reihenfolge von Feldern, Wiesen, Gehölzen und Feldwegen, welche in das dunkle, in Bläuliche schimmernde Grün des Ganzen Abwechslung bringen, ein buntes Durcheinander von zahllosen Hecken, von in Obstgärten versteckten Strohhütten, von Pappelgruppen, von buschigen Weiden in den Niederungen, alles dieses vereinigt sich zu einer zusammenstimmenden, fünfzig Meilen weit hingedehnten Landschaft, welche man von der Höhe der Strohhüttenweiler Labreuil oder Corlay mit einem Blicke überschaut.

Unsere Reisenden hatten sich indessen des Anblicks dieses prachtvollen Panorama nur kurze Zeit erfreuen können. Einmal in die holprichten Geleise des schwarzen Tales eingefahren, verwandelte sich die Szene. Die von hohem Buschwerk eingefassten Wege hinanklimmend und hinabfahrend und wieder hinanklimmend, konnte man den Abgründen nicht ausweichen, weil diese Wege selber Abgründe sind. Die Sonne verlieh den Bäumen, indem sie hinter denselben verschwand, ein eigentümliches, wunderlich anmutiges und wildes Aussehen, welches alle jene Täuschungen unterstützt, die in der Dämmerung Licht und Schatten mit den Sinnen und der Phantasie treiben. So lange die Sonne über dem Horizont stand, machte der rothaarige Wagenlenker seine Sache ziemlich gut, indem er den ausgefahrendsten und folglich auch holprichtsten, aber auch sichersten Weg verfolgte und das Fuhrwerk glücklich über zwei oder drei Bäche brachte, indem er sich nach den am Ufer sichtbaren Karrenspuren richtete. Aber als die Sonne untergegangen, fiel die Nacht sehr rasch auf diese Kreuz- und Querwege und der letzte Bauer, an welchen man sich fragend gewandt, versetzte sorglos:

»Nur zu, nur zu! Ihr habt nur noch eine kleine Meile zu fahren und der Weg ist fortwährend gut.«

Ach, das war der sechste Bauer, welcher binnen zwei Stunden den Reisenden gesagt hatte, dass sie nur noch eine kleine Meile vom Ziel ihrer Fahrt entfernt seien, und der fortwährend gute Weg war von einer Beschaffenheit, dass die Kräfte des Pferdes und die Geduld der Reisenden zugleich erschöpft waren. Marcelle selbst begann jetzt zu fürchten, umgeworfen zu werden, denn wenn auch der Patachon und sein Klepper, während es Tag war, den Weg mit vieler Geschicklichkeit gefunden hatten, so war es doch völlig unmöglich, dass sie jetzt, bei eingebrochener Nacht die tiefen Gräben vermeiden konnten, welche das durchschrittene Terrain ebenso gefährlich, als malerisch machten und euch jeden Augenblick der Gefahr aussetzen, zehn oder zwölf Fuß tief hinabzustürzen. Der Bursche, welcher noch nie zuvor im schwarzen Tal gewesen, wurde unwirsch und fluchte jedes Mal wie ein Besessener, wenn er sich genötigt sah, umzuwenden, um den Weg wieder aufzufinden, daneben klagte er über Hunger und Durst, sowie über die Müdigkeit seines Pferdes, welches er krumm und lahm schlug, und wünschte mit den Ausdrücken eines städtischen Spießbürgers diese wilde Gegend und ihre einfältigen Bewohner zu allen Teufeln.

Mehr als einmal waren Marcelle und ihre Leute, sobald sie an eine abschüssige, aber trockene Stelle des Weges kamen, abgestiegen, allein sie konnten dann kaum fünf Minuten vorwärtsgehen, ohne an eine Stelle zu kommen, wo der Weg sich verengte und von einer dem Boden gleichen, keinen Abfluss habenden Quelle zu einer Pfütze umgewandelt wurde, welche eine zartgebaute Frau unmöglich durchwaten konnte.

Susette, die Pariserin, wollte sich, wie sie sagte, lieber der Gefahr aussetzen, umgeworfen zu werden, als ihre Fußbekleidung in diesen Morasten stecken lassen und Lapierre, welcher sein Leben in Tanzschuhen auf gebohntem Fußboden zugebracht, war so linkisch und abgemattet, dass Frau von Blanchemont es nicht wagte, ihn ihr Kind tragen zu lassen.

Die gewöhnliche Antwort des Bauers, den man nach dem Wege fragt, lautet:

»Geht nur immer geradeaus, nur immer geradeaus!«

Dies ist weiter nichts, als ein Spaß, eine Art von Wortspiel, welches euch eurer Nase nachgehen heißt, denn es findet sich z. B. im schwarzen Tal nicht ein einziger geradeausgehender Weg. Die zahlreichen Gewässer der Indre, der Vauvre, der Couarde, des Gourdon und anderer unbedeutenderer Bäche, welche in ihrem Laufe die Namen wechseln und niemals das Joch einer Brücke getragen oder den Damm einer Straße gekannt haben, zwingen euch, tausend Umwege zu machen, um eine praktikable Furt zu finden, so zwar, dass ihr euch oft gezwungen seht, dem Ort, auf welchen ihr zustrebt, wieder und immer wieder den Rücken zu wenden.

Bei einem von einem Kreuze überragten Kreuzweg angekommen, welche Orte die Phantasie der Landleute immer zum Versammlungsplatz der Gespenster, Hexenmeister und phantastischer Tierungetüme macht, trafen unsere verirrten Reisenden auf einen Bettler, welcher auf dem ›Stein der Toten2 ‹ sitzend, ihnen mit monotoner Stimme zurief:

»Barmherzige Seelen, schenkt Mitleid einem armen Unglücklichen!«

Die hohe, etwas gekrümmte Gestalt des sehr alten, aber noch kräftigen und mit einem gewaltigen Knittel bewaffneten Mannes konnte, auf den Fall eines feindlichen Zusammentreffens mit ihm unter vier Augen, einen nicht sehr ermutigenden Respekt einflößen. Man konnte seine finstern Züge nicht mehr unterscheiden, allein in seiner rauen Stimme lag mehr Befehlerisches als Bittendes. Seine traurige Stellung, sowie seine schmutzigen Lumpen kontrastierten seltsam mit dem verwelkten Blumenstrauß und dem verschossenen Band, womit er in einer Anwandlung fröhlicher Laune seinen Hut geschmückt hatte.

»Mein Freund«, redete ihn Marcelle an, indem sie ihm ein Silberstück gab, »weist uns doch auf den Weg nach Blanchemont, wenn Ihr ihn kennt.«

Statt ihr zu antworten, begann der Bettler sehr bedächtig und mit lauter Stimme ein lateinisches Ave Maria! zu beten.

»So gebt doch Antwort«, sagte Lapierre, »Ihr könnt Eure Paternoster nachher abmurmeln.«

Der Bettler kehrte sich mit einer Miene der Verachtung gegen den Lakaien und fuhr in seinem Gebete fort.

»Sprecht nicht mit diesem Kerl da«, sagte der Patachon, »das ist ein alter Lump, welcher im Lande umherstreift und niemals weiß, wo er ist. Man begegnet ihm überall, aber nirgends ist er bei Trost.«

»Den Weg nach Blanchemont?« sagte endlich der Bettler, nachdem er sein Gebet vollendet; »ihr habt einen falschen Weg eingeschlagen, meine Kinder und müsst wieder zurück, um den ersten zu nehmen, welcher rechts abfällt.«

»Seid Ihr dessen gewiss?« fragte Marcelle.

»Ich bin ihn mehr denn sechshundertmal gegangen. Wenn ihr mir nicht glaubt, so tut, was ihr wollt. Mir ist’s einerlei.«

»Er scheint seiner Sache sicher zu sein«, sagte Marcelle zu ihrem Fuhrmann; »folgen wir ihm, warum sollte er auch uns täuschen wollen?«

»Bah, aus purer Lust am Bösen«, versetzte der Patachon besorgt. »Ich traue diesem Kerl nicht.«

Marcelle bestand darauf, der Anweisung des Bettlers zu folgen, und bald fand sich die Patache in einen schmalen, krummen und außerordentlich jähen Hohlweg hineingetrieben.

»Ich sagte es wohl«, schrie der Patachon, dessen Pferd bei jedem Tritt stolperte, fluchend, »dass diesem alten Duckmäuser nicht zu trauen sei, dass er uns irreleite!«

»Macht vorwärts«, sagte Marcelle, »da uns der Rückzug abgeschnitten ist.«

Je weiter man vorwärts kam, desto unmöglicher ward gleichsam der Weg; allein er war, von zwei dichten Hecken eingerahmt, viel zu schmal, um ein Umwenden des Fuhrwerks zu gestatten.

Nachdem das kleine Pferd Wunder der Kraft und Hingebung getan, kam man unten bei einer dunkeln Gruppe von Eichen an, welche einen Wald zu begrenzen schienen. Der Weg ging plötzlich aus und die Reisenden sahen sich einer großen Wasserlache gegenüber, welche keineswegs so leicht zu passieren schien wie die Furt eines Baches. Der Patachon fuhr dessen ungeachtet hinein, doch in der Mitte des Wassers sank das Fuhrwerk so tief ein, dass er auf die Seite lenken wollte. Allein dies war die letzte Anstrengung seines magern Bucephalus. Die Patache sank bis zur Radnabe ein und das Tier stürzte, seine Stränge zerreißend, zu Boden.

Man musste es ausspannen. Lapierre trat, Stoßseufzer murmelnd, bis an die Knie ins Wasser, um dem Patachon zu helfen, allein da weder der eine noch der andere sehr kräftig war, so bleiben ihre Anstrengungen, das Fuhrwerk wieder emporzurichten, fruchtlos, worauf sich der Patachon auf sein Pferd schwang und, den Hexenmeister von Bettler verwünschend und bei allen Teufeln der Hölle schwörend, in schnellem Trott davonritt, um, wie er sagte, Hilfe herbeizuholen. Sein Ton ließ aber deutlich erraten, dass er sich verteufelt wenig daraus mache, seine Passagiere bis Tagesanbruch in dem Sumpfe stecken zu lassen.

Da die Patache nicht umgefallen war, sondern nur in dem Sumpf feststak, war es noch darin auszuhalten und Marcelle richtete sich auf dem Rücksitz ein, ihren Sohn auf dem Schoß haltend, um ihn in Schlummer zu wiegen, denn der kleine Eduard hatte schon lange nach seinem Nachtessen und seinem Bett verlangt und da ein einziges Naschwerk, welches ihm Susette aus ihrer Tasche darreichte, seinen Hunger besänftigte, so ließ er sich nicht lange bitten, einzuschlafen.

Frau von Blanchemont, welche vermutete, dass der kleine Fuhrmann, im Fall er eine gute Nachtherberge fände, sich nicht eben beeilen würde zurückzukommen, befahl hierauf ihrem Lapierre, er möchte sich in der Umgebung umsehen, ob er vielleicht eine jener versteckt liegenden Hütten anträfe, welche nach Sonnenuntergang so gut verschlossen und so schweigsam sind, dass man mit Händen greifen muss, um sie zu sehen, und sie mit Sturm einnehmen, um zu dieser ungewohnten Stunde Einlass zu finden. Der alte Lapierre hatte nur die eine Sorge, ein Feuer zu finden, um seine Füße zu trocknen und sich gegen einen Rheumatismus zu verwahren, weswegen er sich nicht lange befehlen ließ, sich aus dem Sumpf fortzumachen, und nachdem er sich versichert hatte, dass die Patache, auf dem umgestürzten Stumpf einer alten Weide ruhend, nicht mehr tiefer sich senken konnte, ging er weg.

Am trostlosesten gebarte sich Susette, welche sich entsetzlich vor Räubern, Wölfen und Schlangen fürchtete, drei Landplagen, welche im schwarzen Tal unbekannt sind, die aber nicht aufhören, der Phantasie eines reisenden Kammermädchens vorzuschweben. Indessen verhinderte sie die Kaltblütigkeit ihrer Herrin, sich ihrem Schrecken ganz hinzugeben, und, so bequem, als möglich, auf den Rücksitz sich niederkauernd, begnügte sie sich damit, leise zu weinen.

»Nun, was haben Sie denn, Susette?« fragte Marcelle, als sie es wahrnahm.

»Ach gnädige Frau«, entgegnete Susette schluchzend, »hören Sie nicht die Frösche quaken? Sie werden scharenweise in das Fuhrwerk hüpfen —«

»Und uns verschlingen, nicht?« versetzte Frau von Blanchemont lachend.

In der Tat hatten die grünen Bewohner des Sumpfes, für eine Weile durch den Sturz des Pferdes, und das Geschrei des Pferdelenkers eingeschüchtert, ihre eintönige Psalmodie wieder begonnen. Auch Hunde hörte man heulen und bellen, aber in so weiter Entfernung, dass man auf keine nahe Hilfe rechnen konnte. Der Mond war noch nicht aufgegangen, aber die Sterne spiegelten sich in dem stillen Wasser des Sumpfes, welches sich wieder geklärt hatte. Ein lauer Windhauch flüsterte in dem hohen Schilfe, das dicht am Ufer hinwucherte.

»Nun, Susette«, sagte Marcelle, in poetische Träumereien versunken, »es ist doch nicht so schrecklich in dieser Wasserlache, als man glauben sollte, und wenn Sie wollen, so können Sie hier ebenso gut schlafen, wie in Ihrem Bette.«

›Die gnädige Frau‹, dachte Susette, ›muss den Verstand verloren haben, um sich in einer solchen Lage wohlzufühlen.‹

»O Himmel, gnädige Frau«, rief sie nach einer Weile aus, »es kommt mir vor, als hörte ich einen Wolf heulen! Befinden wir uns nicht mitten in einem Walde?«

»Der Wald besteht, wie ich glaube, bloß aus einem Weidengebüsch, und was deinen heulenden Wolf betrifft, so ist’s ein Mensch, welcher singt. Wenn er sich hieher wendete, so könnte er uns helfen, das feste Land zu gewinnen.«

»Aber wenn es ein Räuber wäre.«

»In diesem Falle ist es ein, sehr wohlwollender Räuber, denn er benachrichtigt uns durch seinen Gesang, dass man sich vor ihm in Acht nehmen solle. Scherz beiseite, Susette, hören Sie, er kommt auf uns zu, die Stimme nähert sich.«

Wirklich tönte eine volle, männlich klangvolle, obschon raue und kunstlose Stimme über die schweigende Landschaft einher, von dem dumpfen und regelmäßigen Hufschlag eines Pferdes wie im Takt begleitet. Allein diese Stimme war noch weit entfernt und nichts konnte die Versicherung geben, dass der Sänger auf den Sumpf zukomme.

Als das Lied zu Ende war, hörte man nichts mehr, sei es, dass das Pferd auf grasigem Boden ging, sei es, dass der ländliche Reiter nach einer andern Richtung hingelenkt hatte. In diesem Augenblicke bemerkte Susette, von Furcht erfasst, einen schweigenden Schatten, welcher längs dem Sumpfe hinglitt und dessen im Wasser widerscheinender Schatten gigantisch erschien. Sie stieß einen Schrei aus und der Schatten erschien, in den Sumpf eingetreten, mit leichten und vorsichtigen Tritten neben der Patache.

»Ängstigen Sie sich nicht, Susette«, sagte Frau von Blanchemont, obgleich Sie in diesem Augenblicke selbst nicht ganz unbesorgt war: »das ist ja unser alter Bettler. Er wird uns wohl ein Haus zeigen können, wo wir Beistand finden.«

»Mein Freund«, sagte sie mit vieler Geistesgegenwart zu dem Bettler, »mein Diener da soll mit Euch gehen, damit Ihr ihm den Weg zu irgendeiner Behausung zeigen könnt.«

»Dein Diener, meine Kleine?« versetzte der Bettler vertraulich, »der ist nicht da, sondern weit weg und überdies ist er so alt, so einfältig und schwach, dass dir seine Gegenwart wenig nützen würde.....«

Jetzt begann auch Marcelle sich zu fürchten.

4. Kapitel.
Der Sumpf

Die Antwort des Bettlers ähnelte gar sehr der wilden Drohung eines Menschen, der Böses im Schilde führt. Marcelle drückte den kleinen Eduard an ihre Brust, entschlossen, ihn mit Gefahr ihres Lebens zu verteidigen, und war im Begriff, auf der dem Standpunkt des Bettlers entgegengesetzten Seite in das Wasser zu springen, als der bäurische Sänger, welcher vorhin hörbar gewesen, eine neue Strophe begann und diesmal sehr nahe. Der Bettler stand still.

»Wir sind verloren«, murmelte Susette; »da kommt der Rest der Bande!«

»Im Gegenteil: wir sind gerettet«, versetzte Marcelle, »dies ist die Stimme eines braven Bauers.«

In der Tat war die Stimme voll Sicherheit und ihr ruhiger und reiner Gesang zeugte von dem Frieden eines guten Gewissens. Der Hufschlag des Pferdes kam ebenfalls näher und der Landmann offenbar den Weg herab, welcher auf den Sumpf zuführte. Der Bettler ging an das Ufer zurück und blieb dort unbeweglich stehen, mehr Klugheit, als Schrecken verratend. Marcelle beugte sich aus der Kutsche vor, um dem Bauer zu rufen, allein er sang viel zu stark, um sie zu hören, und wenn nicht sein Pferd, über die schwarze Masse des Fuhrwerks vor ihm erschrocken, schnaubend stillgestanden wäre, so würde sein Reiter ohne Weiteres vorübergezogen sein. Jetzt aber, durch das Stillstehen seines Pferdes aufmerksam gemacht, schrie er mit einer Stentorstimme, welche gänzlich furchtlos klang und in welcher Frau von Blanchemont sogleich die des großen Mehlhändlers erkannte:

»Hollah, he! Freunde, Eure Karosse kann nicht weiter! Seid Ihr tot da drinnen, dass Ihr kein Lebenszeichen von Euch gebt?«

Sobald Susette den Müller erkannte, dessen Erscheinung ihr heute Morgen, trotz der mangelhaften Toilette des Mannes, gar nicht übel gefallen hatte, wurde sie wieder sehr munter. Sie setzte den beklagenswerten Zustand auseinander, in welchem ihre Herrin und sie sich befänden, und nachdem der große Louis ungeniert über ihr Missgeschick gelacht, versicherte er, es sei ihnen ganz leicht zu helfen. Hierauf machte er sich von dem großen Mehlsack los, welchen er quer vor sich auf dem Pferde hatte, und da er plötzlich den Bettler wahrnahm, welcher nicht daran zu denken schien, sich zu verstecken, sagte er in wohlwollendem Tone zu ihm:

»Was, Ihr seid da, Vater Cadoche? Macht Platz, dass ich meinen Sack abwerfen kann.«

»Ich wollte versuchen, diesen armen Kindern beizustehen«, versetzte der Bettler, »aber das Wasser ist so tief, dass ich darin nicht vorwärts kommen konnte.«

»Seid ganz ruhig, Alter, und macht Euch nicht vergeblich nass. In Eurem Alter ist so etwas gefährlich. Ich werde diese Frauen schon aus der Lache ziehen.«

Hierauf ritt er auf die Patache zu, wobei er sein Pferd bis an die Brust ins Wasser trieb.

»Kommen Sie, gnädige Frau«, sagte er heiter, »steigen Sie über den Rand des Kastens und nehmen Sie hinter mir Platz. Es ist nichts leichter und Sie werden nicht einmal Ihre Füße nass machen, denn Ihre Beine sind nicht so lang, wie die Ihres gehorsamen Dieners. Ihr Patachon muss ein rechter Esel sein, dass er sie hier stecken ließ; hätte er nur zwei Schritte weiter links gehalten, so würde er den Morast kaum sechs Zoll tief gefunden haben.«

»Ich bin untröstlich, Ihnen ein so abscheuliches Fußbad zu bereiten«, sagte Marcelle, »aber mein Kind…«

»Ah, der kleine Junker? So ist’s recht, ihn zuerst. Geben Sie mir ihn … ich halte ihn schon … da ist er vor mir. Seien Sie unbesorgt, der Sattel wird ihm nicht wehtun, denn mein Gaul ist eines solchen ebenso ungewohnt wie ich selber. Kommen Sie, setzen Sie sich hinter mich, kleine Dame, und haben Sie keine Furcht. Sophie ist stark auf den Lenden und sicher auf den Füßen.«

Und der Müller setzte Mutter und Kind sanft auf dem Rasen des Ufers nieder.

»Aber ich?« schrie Susette, »wollen Sie mich hier zurücklassen?«

»Keineswegs, Jungfer«, erwiderte der Müller, nach der Patache zurückreitend. »Geben Sie mir auch das Gepäcke her. Ich will alles miteinander ans Ufer bringen; Sie brauchen sich durchaus keine Unruhe zu machen.«

»Jetzt«, sagte er, nachdem er alles glücklich ans Land gebracht, »jetzt mag der unglückliche Patachon seinen erbärmlichen Karren holen, wenn es ihm beliebt. Ich habe weder Stränge noch Geschirr bei der Hand, um Sophie einspannen zu können; allein ich werde Sie hinführen, wohin Sie verlangen, meine kleinen Damen.«

»Sind wir weit von Blanchemont entfernt?« fragte Marcelle.

»Teufel, gewiss! Euer Patachon hat einen kuriosen Weg genommen, um Euch dorthin zu bringen. Es ist zwei Meilen weit, und wenn wir dort angekommen sein werden, wird alles in tiefem Schlafe liegen und es Mühe kosten, uns Eingang zu verschaffen. Allein, wenn Sie wollen, sind wir binnen einer kleinen Stunde in meiner Mühle von Angibault, wo es zwar nicht vornehm, aber doch reinlich zugeht, und meine Mutter ist eine gute Frau, welche nicht viele Umstände machen wird, aufzustehen, weiße Tücher in die Betten zu legen und zwei Hühnchen die Hälse umzudrehen. Wollen Sie, meine Damen? Kommen Sie ganz ungeniert. In dem Krieg geht es zu, wie im Krieg, in der Mühle, wie in der Mühle. Morgen in der Frühe wird die Patache, welche die Nacht im Freien zubringen kann, ohne einen Schnupfen zu kriegen, gereinigt und imstande sein, Sie, sobald Sie wollen, nach Blanchemont zu bringen.«

Es lag so viel Herzlichkeit und eine Art Zartgefühl in der unerwarteten Einladung des Müllers, dass Marcelle, gewonnen durch sein gutes Herz und die Erwähnung seiner Mutter, sein Anerbieten mit Dank annahm.

»So ist’s recht, Sie machen mir Freude«, sagte der Mehlhändler. »Ich kenne Sie nicht. Sie sind vielleicht die Dame von Blanchemont, aber das ist einerlei, ja, wären Sie auch der Teufel in eigener Person (und man sagt, er könne sich schön und liebenswürdig machen, wenn es ihm gefiele), ich möchte Sie doch die Nacht nicht in so übler Lage verbringen lassen. Ah, richtig, meinen Mehlsack kann ich nicht zurücklassen. Ich will ihn auf Sophie legen, der Kleine wird sich darauf setzen, die Mutter hinter den Sack; er wird Sie nicht genieren, sondern Ihnen im Gegenteil zu einem Haltpunkt dienen. Die Jungfer kann wohl mit mir zu Fuße gehen, mit Vater Cadoche plaudernd, der zwar nicht zum Besten angezogen ist, aber viel Verstand hat. Aber wo ist sie denn hin, die alte Eidechse?« setzte er bei, den Bettler mit den Augen suchend.

»Hollah, he! Vater Cadoche, kommt, in meinem Hause zu schlafen! .... Er gibt keine Antwort, er hat also für diesen Abend keine Lust. Kommen Sie, meine Damen!«

»Dieser Mensch hat uns sehr erschreckt«, sagte Marcelle, »kennen Sie ihn?«

»Seit ich auf der Welt bin. Er ist kein böser Mensch und Sie taten Unrecht, ihn zu fürchten.«

»Es schien mir dennoch, als drohte er uns, und seine Manier, uns zu duzen, kam mir nicht sehr freundschaftlich vor.«

»Er hat Sie geduzt? Der alte Spaßvogel! Er ist wahrhaftig nicht blöde! Aber das ist so seine Art, geben Sie nicht darauf Acht. Er ist ein Mensch ohne alle Bosheit, ein Original, der Vater Cadoche, mit einem Wort, der ›Allerweltsvetter‹, wie man ihn nennt, welcher jedem verspricht, ihn zum Erben einzusetzen, obgleich er so arm ist wie sein Stecken.«

Marcelle ritt sehr bequem auf der starken und friedlichen Sophie, und der kleine Eduard gefiel sich ›in dieser Art, zu gehen‹, wie der gute Lafontaine sich ausdrückt, außerordentlich. Er spornte mit seinen Füßchen den Hals des Pferdes, welches nichts davon spürte und deshalb nicht rascher ging. Es ging wie ein echtes Mühlpferd, ohne der Leitung zu bedürfen, seinen Weg genau kennend und in der Dunkelheit an Wassern und Felsen vorüberschreitend, ohne sich jemals zu irren oder einen falschen Tritt zu tun. Zur Beruhigung Marcelles, welche für ihren alten Diener von einer im Freien zugebrachten Nacht schlimme Folgen befürchtete, ließ der Müller zu wiederholten Malen seine Stimme ertönen, um Lapierre herbeizurufen, und dieser, der sich in einem benachbarten Gebüsch verirrt hatte und seit einer halben Stunde auf dem Flächenraum eines Morgens sich im Kreise herumbewegte, vereinigte sich bald mit der kleinen Karawane.

Nach Verfluss einer Stunde ließ sich das Geräusch eines Wehrs hören und die ersten Strahlen des aufgehenden Mondes ließen das von Weinreben überwucherte Dach der Mühle gewahren und den silbern glänzenden Bach, dessen Ufer mit Krausemünze und Seifenkraut bedeckt waren. Marcelle sprang leicht auf diesen duftenden Teppich nieder, nachdem sie dem Müller ihren Knaben in die Arme gelegt, der sich den ganzen Weg über munter und mutig gezeigt hatte und jetzt, seine Ärmchen um den Hals des großen Louis schlingend, zu ihm sagte:

»Guten Abend, Alochon

Der Müller hatte seinen Gästen nicht zu viel versprochen: seine alte Mutter stand, ohne übellaunig zu werden, auf und hatte mit Hilfe einer kleinen Magd von vierzehn bis fünfzehn Jahren die Betten bald in Bereitschaft. Frau von Blanchemont empfand mehr das Bedürfnis der Ruhe als des Essens, weswegen Sie sich von der alten Müllerin nichts denn eine Schale Milch reichen ließ, und dann entschlief sie, abgemattet und erschöpft, ihr Kind an der mütterlichen Seite, in einem Federbett von unermesslicher Höhe und ausgesuchter Weichheit.

Diese Federbetten, deren durchgängiger Fehler zu große Wärme und Weichheit ist, bilden, mit einem schwellenden Strohsack als Unterlage, ohne Unterschied des Reichtums oder der Armut, die Lagerstätten der Bewohner dieser Gegenden, welche an Gänsen Überfluss hat und wo die Winter sehr kalt sind. Ermüdet durch eine Eilreise von achtzig Meilen und dann noch durch die Fahrt in der Patache, welche sozusagen das Tüpfelchen auf das i gemacht, hätte die schöne Pariserin gerne recht lang in den Morgen hinein geschlafen; allein kaum war die Morgenröte erschienen, als das Krähen der Hähne, das Klappern der Mühle, die laute Stimme des Müllers und alle jene Laute ländlicher Tätigkeit sie nötigten, auf eine längere Ruhe zu verzichten, abgesehen davon, dass Eduard, welcher gar nicht ermüdet und auf welchen die Landluft bereits einen stärkenden Einfluss zu üben schien, anfing, lustige Sprünge auf dem Bett auszuführen.

Susette, deren Lager im nämlichen Gemach sich befand, schlief, allem Geräusche von außen zum Trotz, so fest, dass Marcelle sich ein Bedenken daraus machte, sie aufzuscheuchen, und auf der Stelle die neue Lebensweise, welche sie sich vorgesetzt, beginnend, stand sie auf, kleidete sich ohne den Beistand ihres Kammermädchens an, besorgte vergnügt den Anzug und Aufputz ihres Sohnes und ging dann hinaus, um ihren Wirten guten Morgen zu sagen.

Sie traf nur den Müllerburschen und die Magd, welche ihr sagten, der Meister und die Meisterin seien ans Ende der Wiese gegangen, um das Frühstück zuzurichten. Neugierig, zu sehen, worin diese Zurüstungen beständen, überschritt Marcelle die ländliche Brücke, welche zugleich der Schleuse der Mühle zum Anhaltspunkt diente, und eine hübsche Anpflanzung von jungen Pappeln links lassend, ging sie über die Wiese, dem Lauf des Flusses oder vielmehr des Baches entlang, welcher, jederzeit voll bis an den Rand und eingerahmt von blühendem Rasen, an dieser Stelle nicht mehr als zehn Fuß breit war. Trotz seines stillen Laufes ist aber das Wasser von bedeutender Kraft und bildet bei der Anfahrt der Mühle ein beträchtlich großes, unbewegliches, tiefes und wie eine Eismasse aussehendes Bassin, in welchem sich die alten Weiden und die bemoosten Dächer der Behausung spiegeln. Marcelle betrachtete dieses friedliche und reizende Heimwesen, welches ihr Herz anmutete, ohne dass sie wusste, warum. Sie hatte schon schönere gesehen, allein es gibt Orte, welche ich weiß nicht was für eine unwiderstehliche Anziehungskraft üben und an welchen uns Freude, Kummer oder Pflichten zu erwarten scheinen.

2.Dies ist ein ausgehöhlter Stein, in welchen jeder am Fuße des Kreuzes vorübergehender Leichenzug ein plump aus Holz geschnitztes Kreuzchen niederlegt.
Janr və etiketlər
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Litresdə buraxılış tarixi:
06 dekabr 2019
Həcm:
460 səh. 1 illustrasiya
Müəllif hüququ sahibi:
Public Domain

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