Kitabı oxu: «Tot oder lebendig»

Şrift:

Kai Althoetmar

Tot oder lebendig

25. Mai 1944.

Die Jagd auf Marschall Tito

Edition Zeitpunkte

Impressum:

Titel des Buches: „Tot oder lebendig. 25. Mai 1944. Die Jagd auf Marschall Tito“.

Erscheinungsjahr: 2021.

Inhaltlich Verantwortlicher:

Edition Zeitpunkte

Kai Althoetmar

Am Heiden Weyher 2

53902 Bad Münstereifel

Deutschland

Text: © Kai Althoetmar.

Titelfoto: Titos Stab in Drvar. Foto: Max J. Slade, Imperial War Museum (gemeinfrei).

Verlag und Autor folgen der bis 1996 allgemeingültigen und bewährten deutschen Rechtschreibung.

Die Recherchen zu diesem Buch erfolgten eigenfinanziert und ohne Zuwendungen oder Vergünstigungen Dritter.

1. Der Vorabend. Schach und Fallschirmseide

Seit Tagen war es unruhig. Gerüchte, Meldungen gingen um. Immer neue überraschende Züge in diesem Schachspiel aus Information und Desinformation machte irgendwer. Mal warfen die Deutschen falsche Köder, dann wieder fielen Häppchen wahrer Nachrichten ab. Würde er „Tiger“ so ein Futter zuwerfen, der Hund würde neurotisch, der treue Elsäßer, sein geliebter Schäferhund, den er den Deutschen abgenommen hatte. Jetzt lag das treue Tier in der Baracke und döste.

Was sollte er noch glauben? Er, der Marschall, der Führer im Volksbefreiungskampf, die Hoffnung Hunderttausender von Kämpfern in seinen Reihen, Millionen jugoslawischer Männer und Frauen, die keinen König, keinen Hitler und keinen Poglavnik über sich wollten. Heute abend würde es wohl nichts mit seinem geliebten Schachspiel. Edvard muß warten, Edvard Kardelj, sein Freund, mit dem er sonst in Bastasi König und Dame kreuzte, in jenem anderen Höhlenversteck bei dem trostlosen Bauerndorf, sechs Kilometer von hier.

Unten im Tal steht der Jeep, mit dem er und Edvard gekommen sind. Heute abend würden sie bleiben und hier übernachten. Heute abend ist Feiern angesagt, hier in Drvar, seinem Hauptquartier, dem Zentrum, von dem das kommende, das neue Jugoslawien ausgehen soll. Morgen würde er 52 sein. Die meiste Zeit davon Kampf, Untertauchen, Durchhalten. Beobachten, hinhören, mißtrauisch bleiben, sich bedeckt halten, das hat ihn überleben lassen, in der Diktatur des Königs, in Moskau im Exil, im Krieg. Diesem verdammten Krieg der Deutschen. Dem Krieg, der die große Chance ist.

Er zieht die Vorhänge aus Fallschirmseide beiseite, schaut durch das Fenster über die Veranda hinweg. Hinter seinem Schreibtisch, an der Holzwand der Baracke, hängt eine britische Militärkarte Jugoslawiens. Er hat genau im Kopf, wo seine Leute stehen und wo der Feind steht. Er blickt in den frühen Abendhimmel und ins Tal. Durch die Berge ziehen kurze Gewitter, das Flüßchen Unac rauscht durch das Tal. Unten zwitschern noch die Vögel aus Gebüsch und Gesträuch, wie von Vivaldi komponiert. Noch einmal öffnet sich der Wolkenvorhang für letzte Garben der wegdämmernden Frühlingssonne. Ist etwas im Anzug? Er, der Marschall, weiß nicht, was kommt.

2. Nach Drvar

Am Waldrand warnen rote Schilder: „Vorsicht, Minen!“ Im Wald arbeiten Holzfäller mit Rückepferden. Der blaue Kleinbus, in den wir uns in Bosnisch Petrovac mit Rucksäcken, Zelt, Campinggeschirr und allerhand in Mostar erworbenen Souvenirs, Honigtöpfen, Sirupflaschen und hausgemachten Schnäpsen gequetscht haben, verbindet Banja Luka mit Bosnisch Grahovo. Bei der Fahrt hinauf ist mir, als müsse ich irgendwie mit Armen und Beinen Schubhilfe leisten, den Berg hinunter meldet sich vor jeder Kurve mindestens ein Fuß, der mit auf die Bremse treten will. Beim Dorf Koluniæ fesselt eine Partisanengedenkstätte meine Aufmerksamkeit. Eine Steintafel listet die toten Tito-Kämpfer auf. Das Jahr 1943 ragt als Sterbejahr heraus. Das Steinrelief, eingefaßt von einem Mäuerchen, zeigt im Hintergrund Zivilisten, im Vordergrund Partisanen, die auf behelmte deutsche Soldaten schießen. Die Deutschen haben Panzer und Halbkettenfahrzeuge, die Partisanen nur Gewehre. Der rote Stern ist verwittert. Zum sozialistischen Realismus lassen sich auch die zerschossenen Häuser im Ort zählen. Zerstört im letzten jugoslawischen Bürgerkrieg, gewissermaßen dem Rückspiel zu 1941-45. Über die Wiesen zieht ein Schäfer mit Hund und Herde.

Am Rückspiegel des Fahrers baumelt ein gelber hölzerner Weihnachtsbaum in Scherenschnittoptik. In der linken Hälfte hat die Windschutzscheibe Risse, rechts noch keine. Vor Oštrelj, auf 1.030 Meter Höhe, wieder ein Schild. „Vorsicht, Steinschlag!“ Das Dorf ist fast völlig verwaist. Parallel zur Paßstraße verläuft die alte Steinbeisbahn, die Prijedor mit Knin verband. Der bayerische Unternehmer Otto Steinbeis exportierte von 1902 bis 1918 per Schmalspurbahn Holz aus dem waldreichen k.u.k.-Bosnien. Der Zug, den Tito und seine Partisanen noch im Krieg nutzten, steht einsam unter einer Holzüberdachung im Wald. Aus dem Radio tönt Hardrockmusik.

Drvar. Das einzige Hotel im Ort, ein rosarot gestrichener Kasten mit Wellblech überdachter Terrasse, ist auf Tage ausgebucht. Eine Hochzeitsgesellschaft hat sich im „Drvar“ einquartiert. Der Rezeptionist beschreibt uns den Weg zu einer anderen Unterkunft, der Titova folgen, vor der Tankstelle links hoch auf die M 14.2., immer die Ausfallstraße entlang, bis zur nächsten Tankstelle. „Madeira“ heiße das Restaurant, der Wirt habe ein paar Zimmer.

3. Der Angriff beginnt

Hügelland, Berg und Tal, wo man hinschaut: die Ausläufer des 1.706 Meter hohen Lunjevaèa, das Jasenovac-Gebirge im Norden. In allen anderen Himmelsrichtungen rahmen wellige Hügel wie Ausbuchtungen einer hingeworfenen Decke den abgelegenen Ort ein. Nur drei unzulängliche Straßen und eine Schmalspurbahn führen aus dem Niemandsland der näheren Umgebung in das bosnische 2.000-Seelen-Städtchen. Es lebt von der Holzwirtschaft. Die meisten Menschen arbeiten, wenn kein Krieg ist, im Sägewerk oder in der Zellstoffabrik. Die Bombardierungen der Deutschen haben den Großteil der Einwohner fliehen lassen. Im Mai 1944 leben nur noch rund 200 Menschen in Drvar. Jetzt aber ist die Stadt wieder voller junger Gesichter. Es sind die zahlreichen Teilnehmer des antifaschistischen Jugendkongresses, der in den vergangenen Tagen hier stattfand.

Im Ort werden die letzten Vorbereitungen zur Feier von Titos 52. Geburtstag getroffen. Die Deutschen wissen nichts von diesem Umstand. Eine Kennkarte bei der Zagreber Polizei weist den 12. März 1892 als Geburtstag des Josip Broz aus. Quellen des italienischen Innenministeriums verweisen auf den 7. Mai als Geburtstag. Wegen der geplanten Feier ist Broz, Kampf- und Parteiname Tito, in der Dämmerung mit seinem Genossen Edvard Kardelj aus Bastasi gekommen, wo sie - was die Deutschen nicht wissen - versteckt den Tag verbringen. Mit dem Slowenen Kardelj, 34, Lehrer, intellektueller Nickelbrillenträger, Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ), des engsten Machtzirkels der Partisanen, arbeitet Tito dort in einer anderen Höhle. Eine Kompanie des Begleitbataillons, das das Partisanenhauptquartier schützt, ist in der Nähe stationiert.

Am Abend des 24. Mai 1944 gibt Tito einen Empfang für die engsten Mitarbeiter seines Stabes und die Vertreter der Militärmissionen der Briten, Amerikaner und Sowjets. Darunter sind Randolph Churchill, der Sohn Winston Churchills, der Amerikaner Colonel George Kraigher, Abgesandter von General Ira Clarence Eaker, Oberbefehlshaber der Alliierten Luftstreitkräfte des Mittelmeeres, und sein Landsmann Lieutenant Robert Crawford, der den nächsten Tag nicht überleben wird.

Die Stabsleute und Missionsangehörigen sitzen gesellig bei einem Festessen zusammen, anschließend wartet eine Filmvorführung. Gezeigt wird „Soja“, ein mit dem Stalinpreis dekorierter Film über die sowjetische Partisanin Soja Kosmodemjanskaja, die 1941 im Alter von 18 Jahren von den deutschen Besatzern in Rußland hingerichtet wurde. Die Nacht bleibt Tito ausnahmsweise im Hauptquartier der Partisanen und kehrt nicht nach Bastasi zurück. Die Feierlichkeiten zu seinem Geburtstag am nächsten Tag erfordern schon früh seine Anwesenheit. Er schläft in einer der beiden Holzbaracken vor dem Eingang zur Höhle. Sein Schäferhund „Tiger“ und Davorjanka Paunoviæ, genannt Zdenka, 23, eine temperamentvolle Serbin, sind mit ihm in der Hütte. Zdenka ist seine Sekretärin - und seine Geliebte.

Die Baracke steht neben einer zweiten gegenüber dem Eingang der natürlichen Höhle, die versteckt im Berghang liegt, der die Stadt von Norden überragt. Eine meterbreite Naturspalte im Fels führt vom Tal etwa 25 Höhenmeter zur Öffnung der Höhle hinauf. In der Mitte der Spalte ergießt sich in der regnerischen Jahreszeit und während der Schneeschmelze ein Bach wasserfallartig ins Tal hinab und fließt in den Unac. Vor der Höhle hat die Ingenieurbrigade einen Holzboden mit Planken, eine Veranda mit Brüstung und ein paar Treppenstufen gelegt.

Die beiden Baracken sind mit Blattwerk und Zweigen getarnt, als hinge wallendes Efeu herab. Das Haus, das Tito zuvor in der Stadt belegt hatte, mußte er aufgeben. Wegen der Gefahr deutscher Luftangriffe. Für seine Arbeit bekam er eine Baracke. Der Eingang hat statt einer Tür eine Brustwehr. Die Wände sind aus zwei Doppellagen Baumstämmen. Zwischen den Lagen ist Sand einen halben Meter hoch eingefüllt. Auf einem Tisch stehen mehrere Feldfernsprecher, eine Funkapparatur und zwei Schreibmaschinen. In dem anderen Raum sind sechs Feldbetten aufgebaut. In den Regalen reihen sich Aktenordner und Kartons. In den Räumen sind Mäntel, Mützen, Karten, Geschirr verteilt. Eine Reihe von Panzerlampen gibt in der Dunkelheit notdürftig Licht.1

In den beiden Baracken trifft Tito sich oft mit seinem Stab. Bei Luftangriffen ziehen sie sich in die Höhle zurück. Das Baracken-Höhlen-Provisorium ist das Hauptquartier des Oberkommandos der Volksbefreiungsarmee und des Politbüros der KPJ. Unmittelbar davor stehen drei mit Maschinenpistolen bewaffnete Wachposten, zwei weitere unterhalb im Tal bei den Truppenunterkünften. Von der Veranda reicht der Blick über ganz Drvar, das Unactal und die Hügellandschaft.

Noch am Abend geht ein Anruf der 6. Proletarischen Brigade der Tito-Partisanen beim diensthabenden Offizier in Drvar ein. Der Anrufer erklärt, es sei auf dem Hilfsflugplatz in Bihaæ, 80 Kilometer nordwestlich von Drvar, eine größere Zahl deutscher Flugzeuge gelandet. Der Offizier erhält den Auftrag, alle Dienststellen in Drvar zu verständigen, daß am nächsten Tag mit einer stärkeren Bombardierung des Städtchens zu rechnen sei. Die Zivilbevölkerung soll noch vor Morgengrauen den Ort verlassen und sich in den Unterständen in der Umgebung in Sicherheit bringen. Einige Stellen erreicht die Nachricht, andere nicht. Der diensthabende Offizier in Drvar versäumt es, die Nachricht an Tito und den Obersten Stab weiterzugeben. Mit einem deutschen Luftlandeunternehmen rechnet in der Höhle bis zuletzt niemand.2

Die Nacht ist ruhig. Tito, sein engster Kreis, seine Gäste haben nichts für nächtelange Sauforgien übrig. Disziplin zählt mehr als alles andere, der Ernstfall kam schon oft ohne Vorwarnung. An diesem Morgen des 25. Mai 1944, direkt bei Tagesanbruch, ist er wieder da.

Tito wird früh geweckt, er bekommt alles von Beginn an mit. „Am frühen Morgen des 25. Mai weckte mich mein Begleiter, der sich auf Posten befand und meldete mir die Beobachtung einiger Flugzeuge über dem Dinarischen Gebirge.“ So die Worte des Partisanenführers, wie er den Beginn des deutschen Überfalls erlebte, der Operation „Rösselsprung“. Es war das Jahr 1974, als Tito einer Delegation aus der Stadt Drvar auf deren Bitte seine Erinnerungen an den 25. Mai 1944 schilderte. Am 1. Juni 1974 erschienen sie in der jugoslawischen Tageszeitung Borba (deutsch: „Der Kampf“), der Parteizeitung der KPJ. Der Warn- und Beobachtungsdienst der Partisanen hat dem Obersten Stab kurz vor halb sieben Uhr morgens den Anflug der deutschen Bomber gemeldet. Die Nachricht macht auch in der Stadt die Runde.

Tito tritt aus der Baracke auf die Veranda. „Durch das Fernglas erkannte ich einige sehr schnelle Flugzeuge, ich glaube, es waren Focke-Wulf. Mir war sofort etwas verdächtig. Ich fragte mich, warum sie dort über den Dinariden fliegen. Es sah so aus, als wollten sie die Ankunft der Flugzeuge unserer Verbündeten verhindern, die uns häufig Hilfe brachten: etwas Nahrung, Waffen und so weiter. Denn erst 1944 begannen die westlichen Verbündeten, uns mit Flugzeugen Hilfe zu schicken, und danach begannen auch die sowjetischen Waffenlieferungen.“

Durch den Talkessel dröhnt Flugzeuglärm. Bomben detonieren, Maschinengewehre rattern aus der Luft, Flugmotoren jaulen. Die Deutschen, die über Drvar in der Luft sind, wollen keinen britischen Nachschub behindern. Sie haben Größeres vor.

4. Kriegsberichter auf Feindflug

Drvar, 6.30 Uhr. Zwei „Würger“, Focke-Wulf-Jäger Fw 190 mit Bordkanonen, gefolgt von 15 Ju 87, einmotorigen Junkers-Kampfflugzeugen, die auf den Erd- und Sturzkampf spezialisiert sind, greifen Ziele in der Stadt und vermeintliche Flugabwehrstellungen an. Mit im Anflug sind italienische Caprioni Ca 314 und Fiat Cr 42 sowie deutsche Heinkel He 46. Bomben fallen, MGs rattern. Gegenwehr vom Boden kommt kaum. Die Jäger zerstören die Funkstation des Obersten Stabes und unterbrechen die Telefonverbindungen. Nur die zum 5. Bosnischen Korps und zur 1. Proletarischen Division bleiben intakt. Aus dem Tal quillen Wolken von Staub und Rauch gen Himmel. Im 30 Kilometer entfernten Bosnisch Petrovac (Bosanski Petrovac) zerstören weitere deutsche Bomber den von den Aufständischen gehaltenen Flugplatz. Die 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division „Prinz Eugen“ riegelt unterdessen - unbemerkt von der alliierten Luftaufklärung - alle Verbindungswege nach Drvar ab.

Noch bevor die Bombardements beendet sind, taucht über der Stadt gegen 7.00 Uhr die erste Welle Ju 52-Maschinen auf. In 1.700 Meter Höhe überfliegen die dreimotorigen Junkers-Frachtflugzeuge den vor Drvar liegenden Höhenzug. Dann gehen sie mit gedrosseltem Motor auf eine Absprunghöhe von 120 bis 150 Meter hinab. An Bord: Soldaten des SS-Fallschirmjäger-Bataillons 500. Ihr Auftrag: Marschall Tito schnappen.

Der Ablauf ist durchstudiert: Absprung, Landung, den Schirm lösen, die abgeworfenen Waffen aufnehmen, orientieren und sammeln an den vorbezeichneten Treffpunkten. Soweit der Plan. Die Fallschirmspringer sind seit 3.30 Uhr früh wach. Um 4.30 Uhr standen sie in der Dunkelheit gefechtsbereit auf dem Flugplatz Großbetschkerek (Zrenjanin) in der serbischen Wojwodina. Die Ju 52 des Transportgeschwaders 4 waren auf der Startbahn hintereinander gereiht. Kommandeur Kurt Rybka sagte noch letzte anspornende Worte. Die SS-Männer sangen das Fallschirmjägerlied: „Rot scheint die Sonne, fertig gemacht. Wer weiß, ob sie morgen für uns auch noch lacht. Werft an die Motoren, schiebt Vollgas hinein. Startet los, flieget ab, heute geht es zum Feind. An die Maschinen, an die Maschinen. Kamerad, da gibt es kein zurück. Fern im Osten stehen dunkle Wolken. Komm' mit und zage nicht, komm' mit.“ Dann gingen sie an Bord. Um 4.50 Uhr hoben die Maschinen ab. Zwei Stunden ging der Flug gen Südwesten.

Zur „Rösselsprung“-Truppe gehören nicht weniger als 13 deutsche „Berichter“, wie Reporter damals genannt wurden. Die deutsche Propaganda verspricht sich von der Operation einen ähnlichen Coup wie vom Unternehmen „Eiche“, der Befreiungsaktion für den gestürzten italienischen Duce Benito Mussolini am 12. September 1943 im Gebirgsmassiv Gran Sasso in den Abruzzen. Acht der 13 Reporter kommen vom Luftwaffe-Kriegsberichter-Zug 19, einer vom Luftwaffe-Kriegsberichter-Zug 11, vier sind von der SS-PK-Standarte, die als Propagandakompanie dem Armeeoberkommando untersteht und für das Propagandaministerium Kriegsberichte erstellt. Aus dem 19. Zug begleiten nur die Leutnants Viktor Schuller und Hans Jochen Karnath mit Gleitern die Truppe in den Bodenkampf, Karnath als Fotograf, Schuller als Wortreporter. Die anderen sechs - darunter der Wortberichter Leutnant Dr. Heinz Schwitzke und der Fotograf Leutnant Krempl an Bord einer Caproni Ca 314 - bleiben an Bord der Maschinen. Krempl, „kehrte vom Feindflug nicht zurück“, heißt es später in den Einsatzberichten. Die Leutnants Mücke - als Reporter - und Borgstädt - als Wochenschau-Kameramann - sind an Bord eines Ju 87-Sturzkampfbombers, Feldwebel Brieke fotografiert aus einer Heinkel He 46, Unteroffizier Eichler kommentiert für das Radio aus einer Dornier Do 17. Zwei Reporter aus der SS-PK-Standarte, der Fotograf Adolf Kunzmann und der Wortberichter Adalbert Callewaert, springen mit den Fallschirmjägern ab. Zwei weitere, der Fotograf Walter Henisch und der Reporter Fritz Blume, landen mit Gleitseglern. Auch Wilhelm Baitz, ein Zeichner von Zug 11, sitzt in einem der Segler.3

Kriegsberichter Schwitzke, der das Unternehmen nur aus der Luft begleitet, schreibt: „Nach festgesetztem Minutenprogramm waren wir mit den Verbänden heute in der ersten Frühe sozusagen über der Hauptstadt des Bandenreiches, die sich noch schläfrig in den rosigen Strahlen der Morgensonne dehnte.“ Schwitzke läßt in seiner Militärprosa „Kampf- und Schlachtflieger“ sich hinabstürzen und hinaufwinden, „wie Mückenschwärme“ tanzend. „Aus dem Tal dampfte in riesigen Wolken Staub und Qualm herauf, hinter dessen dunklem Vorhang die Feuer glimmen.“ In der letzten Angriffswelle auf Drvar fliegt Schwitzke bei den Kampfbombern mit, die „warfen unsere Bomben in die schmale Gebäudereihe an der Straße. Dann aber kurbelten wir den Kranz der Berge entlang, um mit den Bordwaffen den Widerstand in den Stellungen niederzuhalten“.

Die Ju 52, die auch als Bomber genutzt werden, verringern ihre Geschwindigkeit auf 150 Stundenkilometer und gehen auf bis zu 120 Meter hinab. Sie „öffneten ihre Luken“, so Schwitzke, „und schütteten an Schirmen aus ihnen die Männer, die binnen Kurzem, zu Gruppen zusammengeschlossen über die Felder vorgingen“. Es folgen die Gleiter, die sich aus ihren Schleppflugzeugen ausklinken. „Und ohne lange leise zu segeln, stellten sie sich plötzlich auf die Nase, entfalteten ebenfalls einen Fallschirm hinter sich und rutschten sausend durch den Dunst hindurch fast senkrecht zur Erde, rings die Stadt umschließend.“ Für den Kriegsberichter ist aus der Luft nicht zu erkennen, was genau sich am Boden abspielt. Das Gegenfeuer der Partisanen entgeht ihm nicht. „Da schossen MGs, dort versuchte leichte Flak in die letzten Gleiter hineinzuhalten.“ Schon bald haben die deutschen Kampfflieger vier der sechs Flak-Maschinengewehre ausgeschaltet.4

An Bord der Ju 52 von Kommandeur SS-Hauptsturmführer Kurt Rybka ist auch der SS-Untersturmführer Peter Renold, einer der wenigen Schweizer, die als Freiwillige in der Waffen-SS dienen. Er ist von der Nachrichtenschule Metz abkommandiert und soll mit anderen die Funk- und Telefonanlagen der Partisanen ausschalten.

Renold verfaßt später einen ausführlichen Bericht über das Unternehmen „Rösselsprung“. Texte mit Renolds Rückschau erschienen im August 1977 in Der Deutsche Fallschirmjäger, dem Mitteilungsblatt des Bundes Deutscher Fallschirmjäger e.V. unter dem Titel „Rösselsprung nach Drvar“ und in Der Freiwillige, einer von 1956 bis 2014 erschienenen Zeitschrift für ehemalige Angehörige der Waffen-SS unter dem Titel „Luftlandeaktion gegen Titos Hauptquartier 1944“.

Renold sitzt nervös in der Ju 52, die einen Lastensegler DS 210 im Schlepptau hat, und wartet auf den Absprung. „An meinem Gurtzeug befanden sich eine Luftwaffentragtasche mit Karten, Schreibzug, Sprengmittel, MPi mit Ersatzmagazin und Pistole.“ Der knapp 20jährige macht mit einer Minox-Kamera Fotos vom Lauf des Unac und von anderen Flugzeugen mit Lastenseglern. „Wir waren voller Anspannung. Unser Absetzer, ein Feldwebel und Kretateilnehmer der Luftwaffe, übertrug seine Ruhe und Gelassenheit auch auf uns.“ Die Fallschirmspringer gehen von Bord, ehe die Segler ausgeklinkt werden. Der Absprung verläuft glatt, der Schirm öffnet sich. Die Windverhältnisse sind günstig. Bis zur Bodenlandung vergehen höchstens 15 Sekunden. Die Männer um Rybka landen an einer Straße direkt am Ort, befreien sich aus dem Gurtzeug und bewaffnen sich. Renold: „Die Lastensegler steuerten eine Landefläche an. Es sah zunächst alles gut und geordnet aus, als doch plötzlich eine wilde Schießerei begann. Unsere Gruppe hatte kaum Widerstand, und wir gaben uns gegenseitig Feuerschutz.“

Die gelandeten deutschen Truppen setzen Leuchtsignale, um für die Bomberpiloten die Stellungen der Partisanen zu markieren. Kriegsberichter Schwitzke beobachtet, daß die Luftlandetruppen Terrain erobern. „Als wir nach geraumer Zeit abfliegen, erkennen wir, daß dieselbe Gruppe, die noch eben sichernd von Haus zu Haus sprang, aufrecht den Feldweg entlangschreitet.“ Damit endet der Bericht des Luftwaffenreporters. Schwitzke dreht mit der Ju 52 ab. Seine Betrachtungen aus der Luft sollen sich als allzu siegesgewisse Ferndiagnose erweisen.5

5. „Dem Bandenstaat mitten ins Herz“

Im Frühjahr 1944 hat Titos Volksbefreiungsarmee bereits über 300.000 Partisanen unter Waffen, darunter viele Frauen. Titos Heer ist aufgeteilt in elf Armeekorps, bestehend aus 39 Divisionen und etlichen unabhängigen Brigaden. Während die Deutschen Städte und Garnisonen sowie die wichtigen Eisenbahnlinien und Fernstraßen kontrollieren, beherrschen die Tito-Partisanen das zumeist bergige Hinterland. Bis Ende März 1944 haben die Deutschen sechs Divisionen vom Balkan abziehen müssen: zwei, um sie in Italien den Angloamerikanern entgegenzuwerfen, vier für die Besetzung Ungarns.

Ziel der deutschen Operation ist die Gefangennahme oder Tötung Titos. Wenn möglich, soll die gesamte Kommandostruktur der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee zerschlagen werden. „Rösselsprung“ ist die letzte von sieben Offensiven, die die Achsenmächte gegen die Partisanenarmee führen. Die Operation geht daher auch als „Siebte Offensive“ in die Kriegsgeschichte ein.

„Dem Bandenstaat mitten ins Herz. Überraschende Landeaktion ins Zentrum bosnischen Bandenwiderstandes“. Unter dieser Überschrift verfaßt Leutnant Dr. Heinz Schwitzke vom Luftwaffen-Kriegsberichterzug 19 einen ersten Report über die Operation „Rösselsprung“. Der hohnsprechende Tonfall des Berichts kontrastiert auffallend zum Ernst dessen, was die deutschen Fallschirmjäger am Boden erwartet. Über die von Tito kontrollierten Gebiete schreibt Schwitzke: „Viel Zusammenhängendes hat nie existiert von der so stolzen großserbisch-jugoslawisch-bolschewistischen Bandenrepublik. Aber ein kleines Stück des Landes, oder vielmehr des Gebirges hat sie trotzdem besessen: es liegt abseits jeder großen Siedlung, abseits bedeutender Straßen, mitten in der unendlichen Einsamkeit des Velebit-Gebirges. Dort hat sich die Meute zwischen den bis zu 2.000 Metern aufsteigenden Bergen in jene Talkassel eingenistet, die - wie man nun will - natürliche Festungen oder aber ein natürliches Gefängnis waren.“ Über die Abhängigkeit der „Bandenrepublik“ von britischen Abwürfen über Bosnien schreibt er: „Dort auch genoß sie das Glück, Staats- und Weltpolitik zu spielen, mit ein paar Eisenbahnwagen auf einer kleinen Strecke hin und her zu fahren, sich von der englisch-sowjetischen Rivalität ausgiebig zu nähren und hin und wieder, besonders nachts, lieben Besuch zu empfangen: Besuch, der sie mit dem Segen von Kleidern, Nahrungsmitteln und einigen abgelegten Waffen aus der Luft leider nicht immer ausreichend überschüttete.“

Der Bericht läßt sich auch darüber aus, warum Titos Partisanen das Velebit-Gebirge unter ihre Kontrolle bringen konnten. Schuld gibt Schwitzke Italien und seiner Besatzungspolitik auf dem Balkan - nicht aber erst der Absetzung des Duce vom 25. Juli 1943, der anschließenden Machtübernahme durch Marschall Pietro Badoglio und dem Ausscheiden der Italiener aus dem Krieg nach dem Waffenstillstand mit den West-Alliierten vom 3. September 1943, dem in den folgenden Wochen die deutsche Besetzung Italiens folgte. Noch unter Benito Mussolini ließ Italiens Kampf gegen die Tito-Partisanen aus deutscher Sicht zu wünschen übrig. „Über das Velebit-Gebirge nämlich läuft die Grenze zwischen Bosnien und Dalmatien, lief die Grenze zwischen deutscher und italienischer Militärhoheit. Und die militärischen Dienststellen im Küstenland, in deren Herzen schon die Frucht des Badoglio-Verrates langsam keimte, wünschten keine deutschen Säuberungsaktionen in ihrem Bereich, und sie unternahmen erst recht keine eigenen. So allerdings konnten sich die dunklen Existenzen hier wohlfühlen.“6

6. Spione und Verräter

Titos Hauptquartier in Drvar haben die Deutschen durch intensive Funkaufklärung ermittelt. Seit 1942 interessieren sie sich mehr und mehr für die Funkanlagen, mit denen der britische Geheimdienst zunächst die Stäbe der serbischen Tschetniks unter General Draa Mihailoviæ versorgte. Als auch Titos Leute die Anlagen in die Finger bekamen, wurde es brenzliger: Die alliierte Luftwaffe erhielt per Funk Informationen über Truppenbewegungen der Achsenmächte - damit ließen sich gezielte Bombardements planen.

Im Sommer 1943 war die in Saloniki stationierte Nachrichtenaufklärungsabteilung 4 der Deutschen nach Belgrad verlegt worden und widmete sich unter der Leitung von Hauptmann Wollny der Überwachung und Entschlüsselung der Funksprüche der Partisanen. „Nach wenigen Monaten konnte praktisch der größte Teil des Funkverkehrs des Obersten Stabes entschlüsselt werden, ohne daß dies den deutschen Abhörspezialisten große Probleme bereitete“, schreibt der deutsche Militärhistoriker Romedio Graf von Thun-Hohenstein in seiner Studie „Rösselsprung“. „Schwierig war dagegen die Einpeilung der jeweiligen Standorte, weil die Partisanenverbände äußerst beweglich waren und die Peilung von ‘erdmagnetischen Störungen’ erschwert wurde.“7

Mit Kreuzpeilungen verschiedener Empfangsstationen war es Ende Februar 1944 dennoch gelungen, Titos Hauptquartier zu lokalisieren. Die in der Region tätigen Front-Aufklärungs-Kommandos 111 und 201 der deutschen Abwehr verifizierten die Angaben im März 1944. Weitere Informationen von Zuträgern wie Geheimer Feldpolizei, Feldkommandantur, Sicherheitsdienst (SD) und Spitzeln sowie anschließend abgehörter Funkverkehr ließen keinen Zweifel mehr, wo Tito steckte. Allerletzte Bedenken zerstreute ein Mitte Mai 1944 abgefangenes Telegramm des jugoslawischen Militärattachés in Washington an seinen Gegenpart in Kairo. Der Funkspruch erwähnte Drvar als Titos Sitz. Den exakten Aufenthaltsort fanden die deutschen Funkaufklärer aber nicht heraus.

Seit dem 22. Januar 1944 war Tito mit seinem Stab in der Stadt. Die Partisanen in Drvar hielten schon länger einen Angriff der Deutschen auf ihr Zentrum für möglich, jedoch nicht aus der Luft. Zur Sicherung wurden Gräben ausgehoben und getarnte MG-Nester eingerichtet. Fitzroy Maclean, der Leiter der britischen Militärmission in Drvar, sah die Konzentration der Partisanenführung in dem bosnischen Bergstädtchen, kritisch. Der britische Militärhistoriker David Greentree skizziert dessen Sicht in seinem Buch „Knight's Move. The Hunt for Marshal Tito 1944“ so: „Maclean wurde beunruhigt, daß die Zunahme der Größe der Hauptquartiere, die jetzt die exekutiven und administrativen Organe der neuen provisorischen Regierung einbezogen, dazu sogar Tänzer aus Zagreb, die Mobilität und Sicherheit beeinträchtigten. Er spürte, daß die Deutschen immer in der Lage sein würden, ein überwältigendes Gewicht von Truppen und Waffen zu konzentrieren, um Tito zum Abzug zu zwingen.“ Tito verlangte Waffen zur Verteidigung: Minen, Geschütze, sogar Panzer. Greentree: „Argumentierend, daß Partisanenkräfte ihre Mobilität bewahren sollten, riet Maclean von dieser Herangehensweise ab und plädierte dafür, den Feind anderswo beschäftigt zu halten.“8 Um die Verteidigungsfähigkeit der Partisanen war es eher schlecht bestellt. Größere Kampfverbände hatte Tito in Drvar nicht stationiert - er wollte sie nicht direkt vor seinem Hauptquartier haben.

Im Frühjahr 1944 war dem Obersten Stab die Gefahr eines handstreichartigen deutschen Überfalls durchaus bewußt. Aber was war an den Gerüchten und Warnungen tatsächlich dran? Zuletzt kursierte auch noch ein abgefangener Plan, die Deutschen wollten mit Ski fahrenden Gebirgsjägern der 1. Gebirgs-Division Drvar angreifen. Anfang März 1944 berief der Stab, nachdem er Informationen über einen deutschen Angriff erhalten hatte, die 2. Brigade der 6. Lika-Division „Nikola Tesla“ - Teil des 1. Proletarischen Korps unter dem Kommando des Serben Koèa Popoviæ - zum Schutz der militärischen und zivilen Stellen nach Drvar. Am 28. April 1944 wurde die Brigade wieder abberufen und durch die 3. Lika-Brigade ersetzt. Und die wurde wiederum am 15. Mai 1944 aufgrund einer Falschmeldung aus der Stadt herausgezogen und als Divisionsreserve in das zwölf Kilometer westlich von Drvar gelegene Gebiet bei Trubar verlegt.

Damit hing sehr viel von Titos Begleitbataillon ab. Jeweils ein Zug des Bataillons mußte in voller Kampfmontur mit griffbereiten Waffen schlafen. Wecken war um fünf Uhr früh, auch für die Angehörigen der politischen Organisationen, damit jeder noch vor Sonnenaufgang - und damit vor etwaigen deutschen Luftangriffen - seine Stellung beziehen konnte.9 Militärische Übungen zur Abwehr eines Luftlandeangriffs kamen den Partisanen nicht in den Sinn.

Der 1970 früh verstorbene deutsche Historiker Karl-Dieter Wolff, der in seiner Studie „Das Unternehmen ‘Rösselsprung’“ auch zahlreiche jugoslawische Quellen ausschöpft, geht mit der Verteidigungsstrategie der Partisanen hart ins Gericht: „Der Ausbau tief gestaffelter Verteidigungslinien, die die gelandeten feindlichen Truppen bis zum Eintreffen eigener Verstärkungen an der Eroberung des Hauptquartiers hätten hindern können, war bis auf unwesentliche Schanzarbeiten unterblieben. Die taktisch unkluge Anordnung der Truppen um Drvar war ebenso schwerwiegend wie das Fehlen jeglicher operativer Reserven in unmittelbarer Nähe der Höhle und der Unterkünfte des Obersten Stabes. Die im Augenblick der Landung für die Verteidigung des Hauptquartiers verfügbaren Truppen waren völlig unzureichend.“10

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9783754173985
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