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Der blaurote Methusalem

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Als drei Wochen vergangen waren, wurde der Kauf abgeschlossen. Das gab wieder einen festlichen Tag, für die bisherigen Gäste, für die Mandarinen, welche den Kaufkontrakt abzufassen und zu unterzeichnen hatten, und für die Arbeiter. Der Mijnheer hatte alles gekauft, wie es stand und lag, so daß dem Onkel das Fortziehen leicht gemacht wurde. Er brauchte nicht viele und große Kisten zu füllen.

Es versteht sich ganz von selbst, daß Richard indessen an seine Mutter geschrieben hatte. Auch der Methusalem hatte an Ye-kin-li geschrieben und ihm gemeldet, daß es ihm gelungen sei, sein Kong-Kheou zu lösen. Ebenso hatten Liang-ssi und Jin-tsian an ihn geschrieben. Onkel Daniel sandte diese Briefe durch einen sicheren Expressen nach Kanton zu seinem Geschäftsfreunde, welcher sie mit nächstem Schiffe abgehen lassen sollte.

Es läßt sich denken, daß ein Mann wie Stein nur mit Wehmut von seiner Schöpfung Abschied nimmt. Doch wurde ihm derselbe durch den Gedanken erleichtert, daß er der geliebten Heimat entgegen ging.

Auch die Deutschen schieden nur schwer von Ho-tsing-ting. Der Dicke war ihnen sehr lieb geworden, und als sie von ihm gingen, war es in der festen Ueberzeugung, daß sie ihn im Leben niemals wiedersehen würden. Doch Gott führt die Seinen wunderbar.

Sie hatten zunächst die Sorge gehegt, daß er nicht der Mann sei, ein solches Etablissement mitten in China ohne Schaden weiter zu leiten. Aber bald überzeugten sie sich, daß er bei all seiner Güte und scheinbaren Unbeholfenheit ein sehr tüchtiger und energischer Geschäftsmann sei. Seine Befangenheit erstreckte sich nur auf private Verhältnisse. Als Kaufmann suchte er seinen Meister. Das beruhigte sie in Beziehung auf seine Zukunft.

Er weinte helle Zähren, als sie nun auf den Pferden vor seinem Hause hielten und Abschied von ihm nahmen.

»Ik kaan niet met rijden; ik moet hier blijven,« sagte er. »Ik kaan mij niet helpen, ik moet snuiven en snuiten. Reizt met God, mijne lieven, goeden vrienden, en denkt somtijds aan uwen zwaken Aardappelenbosch – ich kann nicht mitreiten; ich muß hier bleiben. Ich kann mir nicht helfen, ich muß schnauben und schneuzen. Reist mit Gott, meine lieben, guten Freunde, und denkt manchmal an euern schwachen Aardappelenbosch!«

Er hatte sie ein Stück zu Pferde begleiten wollen, was aber von ihnen zurückgewiesen worden war. Das hätte nur die Wehmut verlängert und den Abschied erschwert.

In dem Dorfe, in welchem die Frau und die Töchter Ye-kin-lis wohnten, gab es abermals Abschied zu nehmen. Der Hoei-hoei, welchem sie so viel zu verdanken gehabt hatten, war von ihnen aufgefordert worden, mit nach Deutschland zu gehen, hatte sich aber nicht dazu entschließen können. Nun mußten sie von ihm scheiden.

»Wäre ich reich oder wenigstens wohlhabend, so würde ich ihn belohnen,« sagte Liang-ssi.

»Womit?«

»Mit einer Summe, die es ihm ermöglicht, seine Lage zu verbessern und sich von den Aufrührern loszusagen.«

»Wie hoch würde diese Summe sein?«

»O, hätte ich das Geld, so würde ich ihm hunderttausend Li geben!«

Diese Summe klingt ungeheuer, beträgt aber nach deutschem Gelde nur 641 Mark. Der Methusalem griff in eine geheime Tasche seines Rockes, zog einen Beutel hervor und entnahm demselben eine Anzahl englischer Goldstücke. Diese gab er dem Chinesen, indem er sagte:

»Das ist etwas mehr als hunderttausend Li. Geben Sie es ihm!«

Liang-ssi machte ein Gesicht, als ob er eine Unmöglichkeit habe möglich werden sehen.

»Herr,« rief er aus, »das ist ja eine ganz entsetzliche Summe!«

»Für den Hoei-hoei wird sie hinreichend sein.«

»Und die wollen Sie ihm schenken?«

»Nein.«

»Aber Sie sagten doch, daß er sie erhalten solle!«

»Von Ihnen, aber nicht von mir. Ich leihe sie Ihnen.«

»Aber wissen Sie denn, daß ich sie Ihnen jemals wiedergeben kann?«

»Ja.«

»Wohl weil mein Vater ein gutes Geschäft in Deutschland besitzt?«

»Nicht allein deshalb. Hunderttausend Li sind in Deutschland nicht viel. Dort schlachtet zum Beispiel mancher Fleischer einen Ochsen, welcher so viel kostet, und es gibt Pferde, welche mehr als eine Million Li kosten. Ihr Vater würde mir das Geld also zurückerstatten können. Aber Sie haben doch auch hier in China Geld.«

»Wir? Hier?«

»Ja. Sie wissen es nicht, und ich habe bisher nicht davon gesprochen. Ihr Vater ist hier sehr reich gewesen.«

»Das war er. Aber man hat ihm bei der Verhaftung alles abgenommen.«

»Nein. Er hatte sein Geld sehr klug beiseite gebracht, und als er entflohen war, vergrub er es.«

»Ist das wahr? Hat er es Ihnen gesagt? Wissen Sie, wo es liegt?«

»Ja.«

Die Brüder, denn Jin-tsian stand auch dabei, waren Feuer und Flamme geworden. Bei dem Chinesen hat kein Wort so guten Klang wie die eine Silbe »Geld«.

»Aber ob es nicht indessen ein andrer, ein Fremder gefunden hat!« rief Liang-ssi.

»Es liegt noch da.«

»Wissen Sie das so genau?«

»Ich könnte es beschwören.«

»O Himmel, o Welt, o Erde! Und das sagen Sie so ruhig! Müssen Sie da nicht vor Freude springen?«

»Nein. Es ist recht gut, wenn man Geld besitzt; aber es gibt noch höhere Güter. Man kann reich sein an Ehre und Ruhm, an Zufriedenheit, an Glück, an Gesundheit, ja an noch viel höherem. Ich habe den Ort aufgesucht und mich überzeugt, daß das Geld sich noch da befindet.«

»Wann?«

»Auf unsrer Herreise.«

»Wo?«

»Oben in den Bergen, als wir in dem Sié-kia einkehrten und ich von den Hoei-hoei überfallen wurde.«

»Und davon haben Sie uns nichts gesagt!«

»Ich hatte meinen guten Grund dazu. Erstens hätte Ihnen die Kunde, daß Sie einen Schatz da liegen haben, die Ruhe geraubt, und zweitens gehört das Geld nicht Ihnen, sondern Ihrem Vater. Nicht für Sie, sondern für ihn habe ich es aus dem Verstecke zu holen, und nur ihm allein werde ich es aushändigen. Aber Sie sehen, daß ich Ihnen ohne Gefahr die hunderttausend Li leihen kann.«

»Wenn es so ist, dann nehme ich sie an, um sie dem Hoei-hoei zu geben. Er wird dadurch sein Glück machen!«

Die Freude des Mannes, als er die Goldstücke empfing, war allerdings geradezu unbeschreiblich. Er tanzte in der Stube hin und her, machte die tollsten Kapriolen und küßte allen, die er erreichen konnte, die Hände und die Kleidersäume. Diese Gabe milderte in hohem Grade die Wehmut, mit welcher er die Frauen scheiden sah, die er einst als flüchtige Bettlerinnen bei sich aufgenommen hatte.

Man hatte die Nacht wieder im hiesigen Einkehrhause zugebracht, denn der T‘eu hatte gebeten, ihn hier zu erwarten, da er die Reisenden begleiten und sicher nach Kanton bringen wollte. Er kam des Nachts mit mehreren Berittenen, und am Morgen brach man auf, die Männer zu Pferde, während sich die Damen dreier Sänften bedienten. Ihr Gepäck war schon mit demjenigen des Onkel Daniel vorher nach Kanton geschickt worden.

Ganz selbstverständlich erregten die Fremden auch jetzt überall dasselbe Aufsehen, dessen Ursache sie herwärts gewesen waren. Sie zogen es vor, nicht in Ortschaften, sondern in alleinstehenden Ruhehäusern einzukehren.

Als sie dasjenige erreichten, von welchem aus der Methusalem mit Gottfried und Richard das alte Marabu untersucht hatte, war der Abend nahe, so daß sie hier bleiben mußten. Degenfeld unterrichtete die Gefährten alle, daß jetzt der Augenblick, an welchem der Schatz gehoben werden solle, nahe sei. Er führte sie in die Schlucht und an das Häuschen. Jeder kroch einzeln hinein, um zu erraten, wo man suchen müsse. Sie klopften auf den Boden und an die Wände, um eine hohle Stelle zu finden – vergebens. Dann hob der Methusalem die Steine aus und zog die beiden Säcke hervor. Die Brüder stürzten sich auf dieselben, um sie zu öffnen. Degenfeld ließ es geschehen, bemerkte ihnen aber:

»Diese Barren gehören Ihrem Vater. Sie sollen sie sehen und zählen, um mir später zu bezeugen, daß kein Stück abhanden gekommen sei. Dann aber nehme ich sie ausschließlich in meine Verwahrung. Ich habe zu diesem Zwecke ein Packpferd mit Sattel und Decken mitgenommen.«

Die Barren wurden gleich an Ort und Stelle gezählt; dann band Degenfeld die Säcke zu und ließ sie in das Einkehrhaus tragen. Von diesem Augenblicke an war es mit der Nachtruhe der Brüder aus. Sie hatten Angst vor Räubern, die es gar nicht gab, und hüteten mit Argusaugen die Stelle, an welcher der Methusalem neben den Säcken schlief.

Die Reise wurde ganz auf derselben Straße, auf welcher man hergekommen war, fortgesetzt. Man gelangte am Morgen über die gefährliche Brücke und am Abend nach Schin-hoa, doch ritt man dieses Mal durch die Stadt, um jenseit derselben im ersten Sié-kia zu übernachten.

Dadurch wurde ein kleiner Vorsprung gewonnen, welcher es ermöglichte, schon am nächsten Nachmittage Schao-tscheu zu erreichen, wo die Reisenden auf dem Herwege die militärische Begleitung erhalten hatten.

Der Methusalem ritt bei dem Mandarin vor und wurde von demselben noch viel ehrerbietiger als vorher empfangen, eine Folge davon, daß sich der Bettlerkönig in Person bei ihm befand. Da es galt, hier ein flußabgehendes Schiff zu bekommen, so mußten sie daselbst über Nacht bleiben. Der T‘eu fand auch wirklich eine Dschunke, deren Führer solchen Respekt vor ihm hatte, daß er sich bereit erklärte, sein Fahrzeug bis zum Morgen klar zu machen.

Der Methusalem stellte dem Mandarin die Pferde und alle Utensilien, welche die Soldaten im Stich gelassen hatten, zurück. Zu bezahlen hatte er nichts dafür. Als er nach dem Oberlieutenant fragte, erhielt er eine ausweichende Antwort, und da ihm die Bestrafung des mutlosen Menschen nichts nutzen konnte, so zog er es vor, diesen Gegenstand nicht wieder zu berühren.

Am Morgen wurden die Reisenden mit ihrem Gepäck und großem Pomp nach dem Flusse gebracht, wo die Dschunke für sie bereit lag. Da sie dieselbe vor Kanton nicht verlassen wollten, so hatten sie sich reichlich mit Proviant versehen.

 

Der Ho-tschang des Fahrzeuges ließ sich bewegen, auch während der Nacht zu fahren. Dadurch und weil es nun stromabwärts ging, wurde eine sehr schnelle Rückreise ermöglicht.

Es war eines frühen Morgens, als man Kanton erreichte. Eigentlich durften sich die Fremden hier nicht sehen lassen. Ganz dasselbe war mit Jin-tsian der Fall, da er aus dem Amte entflohen war. Aber der letztere wünschte zu wissen, ob man irgend welche Maßregeln zu seiner Ergreifung angeordnet habe, und der Methusalem wollte den Tong-tschi und den Ho-po-so benachrichtigen lassen, daß er seine Reise dank ihrer Unterstützung glücklich beendet habe. Der T‘eu übernahm es, die Wünsche beider zu erfüllen.

Bereits nach zwei Stunden kehrte er mit dem Ho-po-so zurück und meldete, daß von einer Verfolgung Jin-tsians nicht die Rede gewesen sei, und der Ho-po-so bat, Kanton schleunigst zu verlassen, wozu er eine besondere Dschunke zur Verfügung stellen wolle. Er habe den betreffenden Befehl bereits erteilt.

Es dauerte auch gar nicht lange, so kam ein Schnellsegler herangerudert und legte sich Bord an Bord mit der Dschunke aus Schao-tscheu. Auf diese Weise konnte die Umquartierung vor sich gehen, ohne daß die Aufmerksamkeit der auf den nahe liegenden Schiffen befindlichen Chinesen mehr als gewöhnlich erregt wurde.

Nun galt es, Abschied von dem Bettlerkönig und dem Ho-po-so zu nehmen. Man hatte dem letzteren viel und dem ersteren noch weit mehr zu verdanken. Der Ho-po-so machte, nachdem er dem Führer der Dschunke seine Befehle erteilt hatte, die Sache mit einigen Verbeugungen ab. Er war, obgleich er diesen Fremden das Leben verdankte, doch herzlich froh, sie nun auf der Heimreise zu wissen. Degenfeld wollte dem Bettlerkönig den T‘eu-kuan zurückgeben, doch bat derselbe, den Paß als ein Andenken an ihn zu behalten. Dann reichte er allen die Hände, versprach, seinen Schwiegersohn und den Tong-tschi zu grüßen und vor allen Dingen sich des Mijnheer anzunehmen, und verabschiedete sich dann mit einer Herzlichkeit, aus welcher zu ersehen war, daß er die Fremdlinge aufrichtig liebgewonnen hatte.

Kurze Zeit später zog die Mannschaft die beiden Segel auf, und die Dschunke setzte sich nach Whampoa zu in Bewegung, um durch die Bocca Tigris nach Hongkong zu gehen, dessen Hafen man beim Grauen des nächsten Morgens erreichte.

Dort wurde die Dschunke, nachdem das Gepäck aus derselben an Bord von Turnersticks Klipperschiff geschafft worden war, abgelohnt; die Reisenden selbst aber begaben sich nach dem Hotel, in welchem sie den braven Mijnheer kennen gelernt hatten. Der Wirt lächelte vergnügt, als er sie, den Neufundländer voran, sich durch das Menschengewühl Bahn brechen und auf sein Haus zusteuern sah. Turnerstick zog es dieses Mal vor, zu gehen. Er hatte nicht Lust, wieder »Sänfte zu laufen«. Die Damen jedoch wurden per Palankin nach dem Hotel gebracht.

Infolge des ungeahnt schnellen und glücklichen Verlaufs des Unternehmens schlug der Gottfried vor:

»Es jiebt zwar hier kein Faß; aberst ich möchte mich nicht nachreden lassen, dat ich diesem China wie ein durstiger Pudel den Rücken jewandt habe; darum ist es meine höchst maßjebliche Vorder- und Seitenansicht, dat wir einige Flaschen des heimatlichen Jerstensaftes ausstechen. Wer thut mit?«

»Ich!« antwortete der Methusalem, und die andern hatten nichts dagegen.

Als dieses löbliche Vorhaben ausgeführt war, begab sich Turnerstick nach seinem Schiffe, um nachzusehen, ob der Steuermann seinen Instruktionen nachgekommen sei. Bei seiner baldigen Rückkehr meldete er, daß die Ladung gelöscht und neue Fracht an Bord genommen sei und man schon am nächsten Tage unter Segel gehen könne.

Die Reise hätte per Dampfer schneller und wohl auch bequemer zurückgelegt werden können; aber der gute Turnerstick hatte so lange gebeten, bis es ihm versprochen worden war, daß man sich auch auf der Rückfahrt seines Schiffes bedienen werde. Er wollte, und sollte es zu seinem größten Schaden sein, die Freunde bis in ihre Heimatstadt begleiten, um dort Ye-kin-li und Richards Mutter kennen zu lernen und – was er aber kaum sich selbst eingestand – auch seinen Anteil an dem Ruhme zu haben, der die Heimkehrenden dort erwartete.

An Bord des Klippers sollte ein ausführlicher Bericht über das Erlebte verfaßt und mit dem ersten vorüberlaufenden Dampfer vorangeschickt werden.

Turnerstick schlief die Nacht schon an Bord. Die andern blieben im Hotel. Als sie sich am Morgen auf dem Klipper einfanden, hatte er seine chinesische Mandarinenkleidung ab- und den Südkarolinafrack samt Halstuch mit Schmetterlingsschleife wieder angelegt. Seine eigene Kabine war während der Nacht ganz allerliebst für die Damen eingerichtet worden, und ebenso hatte er sehr ausgiebig dafür gesorgt, daß die männlichen Passagiere gute Plätze fanden.

Seine Kommandostimme erscholl munter über das Deck. Die Anker wurden angezogen und die Segel gehißt. Getrieben von der Ebbe und einer guten Prise glitt der schlanke Klipper aus dem Hafen.

Die Passagiere standen alle an Deck, die Blicke nach dem Lande gerichtet, von welchem als sicher anzunehmen war, daß sie es nicht wiedersehen würden. Als es verschwinden wollte, nahm Turnerstick den Klemmer ab und sagte, indem er sich mit der Hand über die Augen fuhr:

»Sonderbare Erde, und noch sonderbarere Menschen darauf! Können nicht einmal ihre Muttersprache richtig sprechen; haben nicht den mindesten Begriff von einer richtigen chinesischen Endung! Und doch thut es mir leid, daß ich Abschied nehmen muß. Vielleicht nur deshalb, weil wir den Dicken zurücklassen mußten.«

»Dat wird es sein!« stimmte der Gottfried bei. »Wäre meine Oboe mich nicht jar so lieb, so hätte ich sie ihm als Andenken an seinen Jottfried zurückjelassen. Auch mich thut dat Scheiden weh; aberst es beseligt mir doch dabei der Jedanke, dat wir unser Kong-Kheou erfüllt haben. Darum weg mit die traurigen Jefühle! Habe ich dat China mit einem Tsching- tsching bejrüßt, so verabschiede ich mir jetzt von ihm mit einem Tsching-lao, wat so viel heißt als: Adje, du Land der jeschlitzten Augen; du thust mich herzlich leid, denn dich jeht soeben dein schönster Jottfried für immer verloren!«

Daheim, daheim!

Unbegreiflich, vollständig unbegreiflich! Die Herren Professoren und Dozenten standen da, schüttelten die Köpfe, sahen sich an, schüttelten wieder die Köpfe und brachten es doch zu keiner Erklärung der ungeheuerlichen Thatsache, daß heute auch nicht ein einziger Hörer erschienen war. So etwas war noch nie dagewesen. So etwas spottete sogar der Weisheit des sonst unwiderleglichen alten Ben Akiba!

Und doch wäre die Erklärung so leicht gewesen, wenn man im »Geldbriefträger von Ninive« nachgefragt hätte. Die Sache hatte einfach folgenden Grund:

Die Aufregung der akademischen Welt über das plötzliche Verschwinden des Methusalem hatte sich nach und nach gelegt. Man vermißte ihn zwar, aber man sprach nicht mehr davon. Da kamen aus China die Briefe an Frau Stein und Ye-kin-Ii, die Berichte über den glücklichen Verlauf des abenteuerlichen Unternehmens. Die Adressaten waren entzückt und brachen in ihrer Freude ihr bisheriges Schweigen. Nun erfuhr man, wohin der Blaurote sei und was er dort wolle. Hätte man es eher erfahren, so hätte man darüber gelacht; da aber die Aufklärung zugleich mit der Kunde des Gelingens kam, so war des staunenden Rühmens kein Ende, und man erwartete mit Spannung die Heimkehr des Helden. Man erachtete es für ganz selbstverständlich, daß ihm ein solenner Empfang bereitet werde.

Das hatte der Methusalem geahnt und war, um dem vorzubeugen, mit seinen Gefährten dahin übereingekommen, daß sie ganz heimlich kommen und die Ihrigen überraschen wollten. Alle hatten zugestimmt, auch Gottfried von Bouillon; heimlich aber war dieser nicht mit dem Abkommen einverstanden. Er glaubte, einen solchen Empfang verdient zu haben, und so hatte denn heute früh der Telegraphenbote eine Depesche mit der Aufschrift »Geldbriefträger von Ninive« zur Besorgung anvertraut erhalten. Als der Wirt das Telegramm geöffnet hatte, las er:

»Heute abend Zehnuhrzug Methusalem zurück, vier Herren, drei Chinesinnen, zwei Chinesen, ein Halbchinese und ein Hund. Gottfried von Bouillon.«

Die Rückkehr seiner zwei besten Stammgäste versetzte den Wirt in eine so freudige Aufregung, daß er die Depesche sofort in Zirkulation gab, infolgedessen sich seine Aufregung mit außerordentlicher Schnelligkeit der ganzen akademischen Bürgerschaft mitteilte. An eine Vorlesung war nicht zu denken. Man kam in den »Kneipen« zusammen, um wichtigen Beschluß zu fassen, und bald waren sämtliche Seiler der Stadt emsig beschäftigt, aus sanftem Werg und zähem Pech festliche Fackeln zu bereiten.

Der Methusalem ahnte nicht, welch eine Bewegung daheim um seinetwillen herrschte. Er hatte einen ganzen Waggon zweiter Klasse genommen, um sich und seine Gefährten bequem unterzubringen. Die Damen hatten ein abgesondertes Coupé erhalten. Die beiden Säcke mit den Barren, sorgfältig in Decken eingeschnürt, lagen auf dem weichen Plüsch, denn er mochte sie dem Gepäckwagen nicht anvertrauen.

So dampfte er wohlgemut und ahnungslos der Heimat entgegen und stand bereits am letzten Anhaltepunkte von seinem Sitze auf, um durch das geöffnete Fenster die Lichter des Bahnhofs zuerst zu erblicken.

»Soll ich die Pipe anbrennen? Jestopft habe ich ihr schon,« fragte Gottfried.

»Ja, denn Ordnung muß sein!«

Der Gottfried lächelte still vor sich hin und gab ihm das Mundstück. Degenfeld begann zu rauchen. Der Wichsier schnallte dem Hunde den Ranzen auf den Rücken und gab ihm das Stammseidel in das Maul. Ein schrilles Pfeifen, ein Glockenzeichen, ein ohrbetäubendes Knirschen und Stöhnen der Räder – der Zug hielt.

»Alle Teufel!« rief der Blaurote. »Was ist das? Draußen wimmelt es von Mützen aller Farben. Wem soll das gelten?«

Aber man hatte bereits seinen Kopf gesehen. Die Thür wurde aufgerissen, und aus mehreren hundert Kehlen ertönte ein donnerndes Salve Methusala!«/EM« Man zog ihn aus dem Coupé; man umringte ihn jubelnd und drängte ihn fort. Er hörte Rufe wie: »Wo sind die Damen? Wo sind die echten Zöpfe? Wo ist der Halbchinese? Da ist der Hund; laßt ihn durch! Nehmt die Säcke mit! Wetter sind die schwer! Doch nicht etwa Moneten darin?«

Im Nu brannten die Fackeln. Er sah drei Equipagen stehen. Er sah auch, daß man die Chinesinnen höflich geführt brachte und einzeln in die Wagen placierte. Er wollte sich sträuben, doch vergebens. Er wetterte aus Leibeskräften. Lautes Lachen war die Antwort, und er mußte sich fügen.

Voran das Musikkorps, setzte sich der Zug in Bewegung. Zwölf Chargierte folgten mit Schärpen und blanken Schlägern. Hinter ihnen trollte der Hund mit Tornister und Bierglas. Dann kam der Methusalem, vor Aerger dampfend wie ein Vulkan. An seinen Fersen schritt der Gottfried von Bouillon mit der Pfeife und Oboe, ein vergnügtes Lachen auf dem verschmitzten Angesicht. Nun folgte Richard mit dem Onkel Daniel, welcher europäische Kleidung trug. Ihr Hintermann war Turnerstick, in chinesischer Mandarinentracht mit dem Klemmer auf der Nase und den ausgebreiteten Fächer in der Hand. Es war ihm anzusehen, daß er sich mit als Held des Tages fühlte. Nun kamen Liang-ssi und Jin-tsian in ihrer heimatlichen Kleidung, worauf die drei Wagen folgten. Hinter diesen gingen mehrere Packträger, welche die beiden Säcke und diejenigen Gepäckstücke trugen, die sich im Wagen befunden hatten, und an sie schloß sich der schier endlose Zug der fackeltragenden Burschen. Fackelträger gingen auch zu beiden Seiten der Triumphatoren und —torinnen.

So bewegte sich der Zug durch die Stadt, bis man die Wohnung der Frau Stein und Ye-kin-lis erreicht hatte.

Diese beiden hatten natürlich die Ankunft der Ihrigen erfahren. Sie standen miteinander unter der Thür, als die Spitze des Zuges sich unter den Klängen eines Festmarsches nahte. Da aber löste sich die Reihenfolge der so sehnsüchtig Erwarteten schnell auf.

Der Hund war samt Ranzen und Glas mit einigen schnellen Sätzen in das Haus hinein und die Treppe hinauf. Richard warf sich mit einem lauten Freudenrufe in die Arme seiner Mutter. Die chinesischen Brüder traten mit ehrerbietigen Schritten auf Ye-kin-li zu, dessen Kleidung ihn als ihren Vater bezeichnete. Degenfeld, Gottfried und Turnerstick öffneten die Wagenschläge, um die Damen beim Aussteigen zu unterstützen und sie dem Händler zuzuführen. Dann verschwanden alle diese Personen in dem Hause, nach ihnen die Kofferträger mit den Sachen. Diese letzteren kehrten bald zurück, die ersteren aber natürlich nicht.

Welch‘ eine Fülle von Freude und Wonne diese Mauern jetzt umschlossen, das konnten sich die auf der Straße Bleibenden wohl denken. Sie hatten sich während der letzten Scene still verhalten. Sie drängten sich heran und schwiegen auch noch eine geraume Weile. Dann aber erscholl, erst vereinzelt und dann vielstimmig der Ruf:

 

»Methusalem, ans Fenster!«

Er wurde so lange wiederholt, bis der Blaurote sich droben zeigte.

»In den ‚Geldbriefträger‘!« rief man ihm zu. »Bring den Jottfried mit!«

»Heute nicht, heute abend nicht!«

»Wir gehen nicht eher. Wir warten. Oder willst du eine Katzenmusik?«

»Tolle Kerls! Nun wohl, wir kommen.«

Er gab nur deshalb seine Zustimmung, weil ihm sein Zartgefühl riet, die beiden glücklichen Familien für jetzt sich selbst zu überlassen. Bald erschien er an der Thür mit dem Hunde, mit Gottfried und mit Turnerstick, welcher sich natürlich für vollberechtigt hielt, die Ovation bis zur Neige auszukosten. Sie wurden wieder in Reih und Glied genommen und unter den Klängen der Musik nach dem »Geldbriefträger« geführt, dessen großer, hell erleuchteter Saal die Teilnehmer des Fackelzuges kaum zu fassen vermochte.

Was dort getrunken, gesungen, erzählt, bestaunt und – belacht wurde? Hm, das blieb für lange Zeit Geheimnis der Beteiligten. Erst nach Wochen munkelte man hie und da etwas von einem berühmten Tur-ning-sti-king kuo-ngan ta-fu-tsiang, von famosen Endungen, von einem Klemmer, der nie auf der Nase bleiben wollte, von einem talmichinesischen Mandarin, welcher mit allen Anwesenden Schmollis getrunken und sie dann einzeln doch mit »Mijnheer Dicker« angerufen hat. Was davon zu glauben ist, das werden diejenigen wissen, welche dabei waren. Thatsache ist, daß gerade in dem Augenblicke, als der auf der Humboldtstraße wohnende Bäcker die neubackenen Semmelzeilen in das Schaufenster legte, drei männliche Personen mit einem Neufundländer, der ein leeres Seidel trug, um die Ecke des Pfeffergäßchens gebogen kamen und nach längerem Klirren des Hausschlüssels in dem Hause verschwanden, in welchem der Methusalem seit Jahren seine »Bude« hatte.

Als sie sich im Flur befanden, wurde die Thür zur Wohnung Ye-kin-lis, deren Insassen alle noch munter waren, geöffnet, und der Händler bat:

»Herr Degenfeld, darf ich Sie so spät noch zu mir bitten? Ich habe Sie doch noch gar nicht gesehen und begrüßt!«

»Gleich, lieber Freund. Ich will erst den Kapitän in die Koje bringen.«

Man munkelt ferner davon, daß Turnerstick die Treppe mittels einer vierarmigen Sänfte erstiegen habe, nämlich menschenarmig, was er, wenn es wirklich geschehen sein sollte, jedenfalls nur der größeren Bequemlichkeit wegen gethan hat. Konstatiert aber ist es, daß er, als er droben in Gottfrieds Bett gelegt wurde, sofort tüchtig zu schnarchen begann und, davon erwachend, zornig ausrief:

»Nicht schnarchen, Dicker! Ich will schlafing! Schmollis, Mijnheer! Fiduzit, Methusalung!«

Er blieb noch eine volle Woche bei seinen Freunden, hatte aber bereits am ersten Tage den langen, chinesischen Rock wieder mit dem Südkarolinafrack vertauscht. Dann kehrte er nach Hamburg zurück, wo sein Klipper vor Anker lag.

Wer der Meinung gewesen war, daß der Methusalem seine täglichen, regelmäßigen Gänge nach dem »Geldbriefträger« wieder beginnen werde, der hatte sich sehr geirrt. Ja, er ging täglich aus, aber nur einmal, mit dem Gottfried und dem Hunde ganz in der früheren Weise und Reihenfolge, aber nicht in das altberühmte Schanklokal, sondern nach einer einsam gelegenen Promenade. Fragte man ihn, warum er diese ungeahnte Neuerung eingeführt habe, so antwortete er:

»Ik wil niet drinken. De lucht is hier zeer goed.«

Darüber schüttelte man natürlich die Köpfe und ließ nach einigen vergeblichen Versuchen, ihn wieder in seine alte Bahn zu lenken, ihn ruhig seines Weges gehen. Und »de lucht« schien ihm allerdings sehr gut zu bekommen. Sein Gesicht nahm nach und nach eine hellere Farbe an, und die Nase näherte sich mehr und mehr der Form solcher Nasen, welche nicht infolge eines »Hiebes« blaurot angelaufen sind.

Einem intimen früheren Zechbruder soll er gesagt haben:

»Ich bin ein Thor gewesen. Der Mensch hat andre Zwecke als das Pokulieren, welches doch nur Leib und Geist zerrüttet. Ich brauche kein Amt, denn ich bin reich; aber ich will dem braven Jungen, dem Richard Stein als Beispiel leben, damit er nicht auf meine früheren Wege gerät. Er soll doppelt lernen, erstens das Seinige und zweitens das, was ich versäumt habe.«

Onkel Daniel lebt mit seiner Schwägerin und deren Kindern als Rentier von den Zinsen seines Vermögens. Der Methusalem wohnt bei ihnen.

Wer die Hauptstraße entlang geht, dem fällt ein eigentümlich geformtes Schild auf, welches die Firma »Liang-ssi, Droguenhändler« enthält. Der Laden ist mit Hilfe der bekannten Goldbarren glänzend eingerichtet und die Thür desselben erklingt fast unausgesetzt vom frühen Morgen bis zum späten Abend.

Méi-pao und Sim-ming, die beiden Schwestern, kamen in ein Institut, um schneller Deutsch zu lernen und eine deutsche Erziehung zu erhalten.

Wer nun, da einige Jahre vergangen sind, auf dem Universitätsplatze wohnt, der kann täglich drei Studenten beobachten, welche ein einmal belegtes Kollegium gewiß nicht versäumen. Sie gehen stets Arm in Arm. Der mittlere ist von hoher, starker Figur; er muß die Dreißig schon zurückgelegt haben. Der zweite hat ein hübsches, rotwangiges, offenes Gesicht, dessen Oberlippe sich unter dem Flaume eines leisen Bärtchens dunkelt. Der dritte zeigt mongolische Züge, doch ohne daß der Schnitt derselben auffällig wäre. Diese drei sind der Methusalem, Richard Stein und Jin-tsian. Sie studieren um die Wette, die beiden letzteren aus Eifer für ihren späteren Beruf und der erstere, um sie anzufeuern. Daß er, der Alte, auch während der Vorlesungen zwischen ihnen, den viel Jüngeren, sitzt, das hat erst manches Lächeln hervorgerufen, ihn aber gar nicht stören können. Er hat sich selbst das Ehrenwort gegeben, daß er ihnen als Beispiel voranleuchten wolle, und wie er sein Versprechen in China gehalten hat, so hält er auch dieses Wort, dieses stille »Kong-Kheou«.