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Durch das Land der Skipetaren

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Oxunmuşu qeyd etmək
Şrift:Daha az АаDaha çox Аа

Das Prasseln des Feuers hatte mich doch irre gemacht. Die Breite des von Bäumen bestandenen Areales war hier nicht so groß, wie ich gedacht hatte. Wir erreichten schon nach kurzer Zeit die außerhalb desselben beginnenden Büsche und sahen auch ganz deutlich die Stelle, an welcher sich die Flüchtlinge den Weg durch dieselben gebahnt hatten.

Wir folgten ihm und gelangten in demselben Moment ins Freie, als meine Fackel verlöschte.

Da hörten wir unter uns das Wiehern eines Pferdes, und gleich darauf erscholl lautes Pferdegetrappel durch die Nacht.

»Odschurola chowardalar – lebt wohl, ihr Schurken!« rief eine laute Stimme zu uns herauf. »Kyzartsiz jaryn dejil o bir gün dschehennemde – ihr bratet übermorgen in der Hölle!«

Das war sehr deutlich gesagt. Wenn ich noch nicht gewußt hätte, daß man uns auflauern wolle, so hätte ich es nun erraten. Sehr klug waren diese Leute denn doch nicht.

Mein kleiner Halef war höchlichst ergrimmt über diese Beleidigung. Er legte beide Hände an den Mund und brüllte mit aller Kraft seiner Stimme in das nächtliche Dunkel hinein:

»Ata binin schejtanile, jutylyn nenesinadan – reitet zum Teufel, und werdet gefressen von seiner Großmutter! Koschyniz bana kambur üzerinde, on kerre jokarija hem jirmi kerre aschagha – lauft mir nach dem Buckel, zehnmal hinauf und zwanzigmal hinab!«

Er hatte sich in einen solchen Zorn hineingeredet, daß er ihnen noch nachrief:

»Siz haidudlar, öldürüdschülar, kundakdschylar, derisini tschykarmakdschilar, dar adschadschy ipleri – ihr Räuber, ihr Mörder, ihr Mordbrenner, ihr Schinder, ihr Galgenstricke ihr!«

Ein lautes Hohngelächter erscholl als Antwort herauf. Ganz atemlos vor Redeanstrengung fragte mich der Kleine:

»Herr, habe ich es ihnen nicht fein gesteckt? Habe ich es ihnen nicht deutlich gesagt?«

»Ja, so fein, daß sie dich auslachten, wie du ja gehört hast.«

»Sie haben keine Bildung. Sie wissen sich nicht zu benehmen. Sie haben keine Ahnung von dem Gesetze der Höflichkeit und von den Regeln der guten Sitten. Man muß selbst seinen Feind anständig behandeln, und mit schönen, wohlklingenden Komplimenten besiegen.«

»Ja, das hast du eben jetzt bewiesen, lieber Halef. Die Komplimente, die du ihnen nachgerufen hast, waren niedlich.«

»Das war nicht ich, sondern der Zorn. Hätte ich selbst gesprochen, so wäre ich höflich gewesen. Nun sind sie fort. Was ist zu tun?«

»Jetzt gar nichts. Wir stehen nun wieder grad so da, wie vor unserer Ankunft hier in Ostromdscha. Unsere Feinde sind vor uns; sie sind frei und haben sich sogar noch um einen Mann vermehrt. Jetzt kann die Jagd von neuem beginnen, und wer weiß, ob wir jemals wieder so günstige Gelegenheiten bekommen, wie hier.«

»Recht hast du, Sihdi. Diesen Kodscha Bascha sollte man an den Galgen hängen!«

»Er hat sie nicht nur frei gelassen, sondern ihnen auch ihre Pferde wieder gegeben.«

»Meinst du?«

»Selbstverständlich! Du hast doch gehört, daß sie Pferde hatten? Die haben für sie bereit gestanden.«

»Er wird es leugnen.«

»Seine Lügen nützen ihm nichts. Ich habe ihm ein Stück aus dem Kaftan gerissen, und es befindet sich in meiner Tasche.«

»Was aber willst du mit ihm machen? Hast du Gewalt über ihn?«

»Leider nicht.«

»Nun, so nehme ich die Sache in die Hand.«

»Was willst du tun?«

»Das wird sich finden.«

»Keine neue Uebereilung, Halef!«

»Sei unbesorgt, Sihdi! Ich werde mich nicht übereilen, sondern die Sache in der größten Ruhe und Gemächlichkeit erledigen. Müssen wir jetzt nicht nach der Hütte zurückkehren?«

»Ja. Vielleicht ist da noch etwas zu retten.«

Es wurde uns nicht schwer, den Weg, den wir nun kannten, trotz der Dunkelheit zurückzufinden.

Die Wohnung des Mübarek mußte viele das Feuer nährende Stoffe enthalten haben, denn die Flamme stieg sehr hoch empor. Es waren unterdessen Leute angekommen, welche der weithin sichtbare Brand herbeigelockt hatte.

Eben als wir unter den Bäumen hervortraten, kam von der andern Seite, wo der Weg mündete, der Kodscha Bascha herbeigelaufen. Dieser Titel ist übrigens ein sehr eigentümlicher für einen Stadtrichter oder Bürgermeister, denn er bedeutet, wörtlich übersetzt: »Oberhaupt der Ehemänner«. Als dieses Oberhaupt uns erblickte, erhob er den Arm, deutete auf uns und rief:

»Ergreift sie! Haltet sie fest! Sie sind die Brandstifter!«

Ich war über diese Frechheit mehr erstaunt als erzürnt. Der Mensch besaß eine geradezu verblüffende Unverschämtheit. Die Anwesenden, welche alle wußten, wie ich ihm heute mitgespielt hatte, beeilten sich natürlich gar nicht, seinen Befehl auszuführen.

»Habt ihr‘s gehört?« fuhr er sie an. »Ergreifen sollt ihr die Brandstifter!«

Da geschah etwas, dessen er sich wohl schwerlich versehen hatte. Der kleine Halef trat nämlich auf ihn zu und fragte:

»Ne mi iz sewgülüm – was sind wir, mein Liebling?«

»Harakadschilarsiz – Brandstifter seid ihr,« antwortete er.

»Du irrst, Kodscha Bascha. Wir sind etwas ganz anderes. Wir sind Gerber, und um dir das anschaulich zu machen, werden wir dir jetzt ein wenig das Fell gerben, nicht das ganze Fell, denn dazu haben wir keine Zeit, sondern nur denjenigen Teil, über dessen Festigkeit du dich dann königlich freuen wirst, da du ihn zum Sitzen brauchst. Osko, Omar, kommt herbei!«

Die beiden Genannten ließen sich das nicht zweimal sagen. Zwar warfen sie zunächst einen fragenden Blick auf mich, um zu erfahren, wie ich mich zu der Absicht des streitbaren Kleinen verhalten werde; aber da ich weder dafür noch dagegen sprach, sondern mich ganz neutral verhielt, so packten sie den alten Wackelkopf mit kräftigen Armen und legten ihn auf den Boden nieder.

Er merkte, was da vorgehen solle, und erhob ein angstvolles Geschrei.

»Allah, Allah!« rief er. »Was wollt ihr tun? Wollt ihr euch an der göttlichen und menschlichen Obrigkeit vergreifen? Allah wird euch vernichten, und der Padischah wird euch in alle seine Kerker stecken. Man wird euch die Köpfe abschlagen und dann eure Leiber an den Toren aller Städte und Dörfer aushängen!«

»Schweig!« befahl ihm Halef. »Der Prophet hat seinen Anhängern geboten, jedes Schicksal geduldig hinzunehmen, weil es im Buch des Lebens verzeichnet steht. Gestern habe ich darin gelesen, daß du Hiebe bekommen sollst, und weil ich ein gläubiger Sohn des Propheten bin, so werde ich dafür sorgen, daß dieses schöne Kismet an dir in Erfüllung geht. Legt ihn auf den Bauch, wenn er überhaupt einen hat, und haltet ihn fest!«

Osko und Omar befolgten pünktlich diesen Befehl. Zwar wendete der Kodscha Bascha seine ganze Kraft auf, um sich seinem Verhängnis zu widersetzen, aber die beiden kräftigen Männer waren ihm jedoch so überlegen, daß sein Widerstand ihm ebensowenig nützte wie sein fortgesetztes Geschrei.

Gern gestehe ich, daß ich der Sache nicht gar sehr sympathisch gegenüberstand. Prügel auszuteilen, ist nichts Aesthetisches; auch waren wir hier fremd und konnten nicht wissen, wie die anwesenden Einheimischen sich dazu verhalten würden. Es waren ihrer viele da, und es kamen immer mehr. Aber dieses unwürdige Oberhaupt hatte sich überhaupt sehr feindselig gegen uns verhalten; sein Handeln war ungesetzlich gewesen, und nun gar seine Beschuldigung, daß wir die Brandstifter seien, war eine so freche, daß ihm ein Denkzettel gar nichts schaden konnte. Vielleicht wirkten die Hiebe dahin, daß er später ein besserer Ausleger der Paragraphen des Gesetzes wurde.

Was die Leute betraf, welche sich neugierig herbeidrängten und einen Kreis um uns schlossen, so fürchtete ich sie nicht. Der Kodscha Bascha hatte wahrscheinlich keinen Freund, der sich für ihn hätte opfern mögen.

Er wurde also in die bezeichnete Lage gebracht. Osko hielt ihn an den Schultern nieder, und Omar kniete ihm auf die Beine. Als nun der kleine Halef seine Peitsche aus dem Gürtel nahm, ließ sich doch eine laute Stimme vernehmen.

»Wollt ihr es dulden, daß unser Oberhaupt geprügelt werde? Verteidigt den Kodscha Bascha!«

Von einigen Gleichgesinnten, die sich zu dem Sprecher drängten, ward ein drohendes Murmeln erhoben. Sie schoben sich näher heran.

Ich schritt langsam auf sie zu, stieß den Kolben des Gewehres auf den Boden, legte die Arme gekreuzt auf die Mündung und sah ihnen in die Gesichter, ohne ein Wort zu sagen. Sie wichen zurück.

»Hakk, tamam, wuryniz onu, kesyniz onu – recht so, recht so, haut ihn, haut ihn!« riefen mehrere uns freundliche Stimmen.

Halef nickte überaus huldvoll nach der Seite hin, von welcher die Stimmen erschollen waren, und begann sein mildtätiges Werk. Er gab sich demselben mit rührendem Eifer hin. Als er seine Peitsche aus Nilpferdhaut wieder in den Gürtel steckte, gab er dem Bestraften folgenden guten Rat:

»Nun bitte ich dich, in den nächsten Tagen dich ja auf nichts Hartes zu setzen. Das könnte den Glanz deiner Augen, die Schönheit deines Angesichtes, die Harmonie deiner Züge und die Feierlichkeit deiner Rede beeinträchtigen. Du darfst die Wirkung unserer edlen Tat nicht stören und wirst dann von deiner gegenwärtigen Jugend an bis in das späte Alter hinein die Fremden segnen, deren Erscheinen dir so gnadenreich geworden ist. Wir hoffen, daß du den heutigen Tag alljährlich mit andächtiger Feier begehen wirst, und wir werden zu derselben Zeit deiner stets in ganz besonderer Zuneigung gedenken. Erhebe dich und gib mir den Kuß des Dankes, der mir gebührt!«

Ein lautes Gelächter erscholl nach dieser in hohem Ernst vorgetragenen Rede.

Der Kodscha Bascha, von Osko und Omar nun losgelassen, stand langsam auf und legte seine beiden Hände auf die von Halef bereits näher beschriebene Körpergegend. Als der Kleine sich ihm nahte, fuhr er ihn wütend an:

»Mensch, Kerl, Hund! Was hast du getan! Du hast den Leib der Obrigkeit entweiht. Ich werde dich und die Deinen in Fesseln legen lassen – —«

 

»Ereifere dich nicht!« unterbrach ihn der Kleine. »Wenn du es eine Entweihung nennst, daß du nur zwanzig bekommen hast, so wollen wir den Fehler auf der Stelle verbessern. Legt ihn noch einmal nieder!«

»Nein, nein!« schrie der Bedrohte. »Ich gehe, ich gehe!«

Er wollte sich eiligst entfernen; da aber ergriff ich ihn am Arm.

»Bleib, Kodscha Bascha! Ich habe ein Wort mit dir zu reden!«

»Gar nichts hast du mit mir zu reden, gar nichts!« rief er, indem ich ihn in den Kreis zurückzog. »Ich mag von euch nichts mehr wissen. Ich habe genug von euch!«

»Das ist freilich sehr wahrscheinlich, aber ich will etwas von dir wissen, und darum wirst du noch einige Augenblicke bleiben. Nimm deine Hände da hinten weg! Es ziemt sich nicht, sie dort zu haben, wenn man mit einem Effendi spricht.«

Er versuchte, diesem Befehl nachzukommen, aber es wurde ihm so schwer, daß er abwechselnd bald die rechte, bald die linke Hand eine retrograde Bewegung machen ließ.

»Du hast uns als Brandstifter bezeichnet. Welchen Grund hast du dazu?« fragte ich ernst.

Diese Erkundigung verursachte ihm sichtlich Unbehagen. Blieb er bei seiner Behauptung, so konnten sich die Hiebe leicht wiederholen. Widersprach er sich aber, so stand er als Lügner da. Er kratzte sich also, während er die Rechte jenseits der Hüften hatte, mit der Linken den kahlen Scheitel und antwortete diplomatisch:

»Ich dachte es.«

»Und warum dachtest du es? Ein Kodscha Bascha muß einen jeden seiner Gedanken erläutern können.«

»Weil ihr vor uns hier gewesen seid. Wir sahen es brennen und eilten herbei. Als wir hier ankamen, befandet ihr euch schon da. Ist das kein Grund zum Verdacht?«

»Nein, denn wir können ja ebenso wie ihr herbeigeeilt sein, weil wir es brennen sahen. Aber besinne dich! Sind wir wirklich vor dir hier gewesen?«

»Natürlich! Ihr habt mich ja hier ankommen sehen.«

»Und ich denke, du warst vor uns da.«

»Unmöglich!«

»O doch! Wir sahen dich von hier kommen.«

»Das ist ein großer Irrtum von dir.«

»Gewiß nicht. Wir haben dich erkannt.«

»Herr, du täuschest dich. Ich war daheim und schlief. Da erwachte ich durch ein großes Geschrei. Ich erhob mich, blickte aus der Türe und sah das Feuer auf dem Berg und eilte herbei, denn als Obrigkeit bin ich dazu verpflichtet.«

»Bist du als Obrigkeit auch verpflichtet, flüchtige Verbrecher zu warnen?«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Lüge nicht! Wo sind die vier Gefangenen, welche dir anvertraut worden sind?«

»Selbstverständlich im Gefängnisse.«

»Sind sie gut bewacht?«

»Doppelt. Ein Knecht steht vor der Türe und ein anderer vor dem Hause.«

»Wie viele Knechte hast du?«

»Diese zwei.«

»Was hat denn dieser hier oben zu suchen?«

Derjenige nämlich, welcher vorhin sich für den Kodscha Bascha geäußert hatte, stand ganz in der Nähe. Ich hatte in ihm gleich den Knecht erkannt, dem die Bewachung der Gefangenen anvertraut worden war, und zog ihn jetzt unter den übrigen hervor.

Der Beamte spielte den zornigen.

»Was hast du hier zu stehen?« schrie er den Knecht an. »Willst du augenblicklich fort, heim auf deinen Posten!«

»Laß ihn!« sagte ich. »Es gibt nichts mehr zu bewachen. Die Gefangenen sind frei.«

»Frei?« fragte er, indem er sich den Anschein gab, erschrocken zu sein.

»Verstelle dich nicht! Du weißt es noch viel besser als ich. Du selbst hast sie freigelassen und dafür eine bedeutende Summe von dem Mübarek erhalten.«

Jetzt brachte er zum erstenmal die beiden Hände zugleich nach vorn. Er schlug sie zusammen und schrie:

»Was sagst du? Wessen beschuldigst du mich? Wer bist du, daß du es wagst, einen Kodscha Bascha zum Verbrecher zu stempeln? Geld hätte ich erhalten? Frei hätte ich die Gefangenen gelassen? Ich werde dich arretieren und mit der ganzen Strenge des Gesetzes gegen dich verfahren – — nein, nein, fort, laß mich!«

Diese letzten Worte galten Halef, der ihn beim Arme ergriff und, die Peitsche erhebend, in drohendem Tone fragte:

»Soll ich dir auch noch andere Gegenden gerben? Weißt du noch immer nicht, daß wir auf diese Weise nicht mit uns verhandeln lassen? Sagst du noch ein einziges Wort, welches meinem Ohre nicht behagt, so wird meine Peitsche sich über dich ergießen, wie ein Hagel, der durch die Dächer schlägt!«

Ich wendete mich an die Leute und erzählte ihnen, was ich von der Nebatja erfahren hatte, ohne aber ihren Namen zu nennen. Ich fügte dazu, daß der Kodscha Bascha uns dann begegnet sei und die Verbrecher gewarnt habe.

Da trat einer hervor, in welchem ich einen der Beisitzer des Gerichts erkannte, und sagte:

»Effendi, was du uns hier erzählst, erfüllt mich mit Staunen. Wir haben euch sehr viel zu verdanken, denn ihr habt den größten Verbrecher entlarvt, den es jemals hier gegeben hat. Sollten sie wirklich entflohen sein, er und seine Kumpane, so muß derjenige, der ihnen dazu verholfen hat, auf das allerstrengste bestraft werden. Ich habe dich heute gesehen und gehört; ich glaube, daß du nichts sagst, was du dir nicht vorher überlegt hast. Du mußt also wirkliche Gründe haben, den Kodscha Bascha anzuklagen. Da ich nun der Anwalt bin, also der Oberste nach ihm, so bin ich verpflichtet, an seine Stelle zu treten, wenn er sich seines Amtes unwürdig gemacht hat. Du wirst dich also nun an mich zu wenden haben.«

Der Mann schien brav zu denken, wenn ich ihm auch keine große Entschiedenheit zutraute. Ohne mich lange zu besinnen, antwortete ich ihm:

»Es freut mich, in dir einen Mann zu sehen, dem das Wohl der Bürger am Herzen liegt, und ich hoffe, daß du furchtlos und unparteiisch handeln wirst.«

»Das werde ich tun, doch wirst du mir die Wahrheit deiner Anschuldigung beweisen müssen.«

»Natürlich!«

»Du wirst mir also sagen, woher du weißt, daß der Kodscha Bascha mit den Flüchtlingen hier oben gewesen ist und von dem Mübarek Geld bekommen hat.«

»Nein, das werde ich nicht sagen.«

»Warum nicht?«

»Ich will die Person, welche alles gehört und gesehen hat, nicht in Schaden bringen.«

»Sie wird keinen Schaden haben.«

»Erlaube, daß ich daran zweifle. Du bist ein sehr braver Mann, aber nicht alle Beamten sind so, wie du. Ich kenne euch zur Genüge. Wenn ich fort sein werde, so wird dieser gute Kodscha Bascha wieder schalten und walten nach Belieben. Jener Person, von welcher ich alles erfahren habe, würde es schlecht ergehen. Es ist also besser, ich nenne ihren Namen nicht.«

»Aber dann kannst du deine Rede nicht beweisen!«

»O doch! Das Geld, welches der Kodscha Bascha erhalten hat, wird sich in seiner Tasche oder in seinem Hause finden, und daß er hier oben war und sich mir entriß, das ist auch sehr leicht zu beweisen; denn er hat ein Stück seines Kaftans in meiner Hand gelassen.«

»Das ist nicht wahr!« rief der Beschuldigte. »Schau her! Fehlt etwa ein Stück?«

Er deutete mit beiden Händen nach der Stelle, an welcher ich ihn gefaßt gehabt hatte. Der Kaftan war unversehrt.

»Siehst du, daß du dich irrst!« meinte der Gerichts-Anwalt. »Du scherzest,« erwiederte ich lachend.

»Wieso?« fragte er erstaunt.

»Wenn ich die Klugheit deines Gesichtes mustere, so bin ich überzeugt, daß du gesehen hast, wie der Kodscha Bascha sich jetzt verraten hat.«

»Verraten?«

»Ja. Er will der oberste der Ehemänner sein und macht doch die Dummheiten eines Anfängers im Verbrechen. Hast du gesehen, wohin er zeigte, als er uns jetzt seinen Kaftan wies?«

»Ja freilich!«

»Nun, wohin denn?«

»Nach der oberen Brust, da links.«

»Habe ich euch aber erzählt, aus welcher Stelle ich das Stück gerissen habe?«

»Nein, Effendi.«

»Nun, ganz genau aus derselben Stelle, auf welche er gedeutet hat. Woher weiß er das?«

Der Vertreter des Gesetzes blickte mich sehr verblüfft an und fragte:

»Effendi, bist du vielleicht ein Oberster der Polizei?«

»Warum fragst du so?«

»Weil nur ein solch hoher Beamter so scharfsinnige Gedanken haben kann.«

»Da irrst du dich. Ich wohne nicht im Land des Padischah, sondern im Nemtsche memleketi, dessen Bürger so streng nach den Gesetzen handeln, daß jedes Kind sofort die Unvorsichtigkeit des Kodscha Bascha bemerkt und begriffen hätte.«

»So hat Allah eure Gegend mit mehr Verstand betraut, als die unserige.«

»Aber du siehst wohl ein, daß ich recht habe?«

»Ja, da er nach dieser Stelle deutete, muß er wissen, daß der Kaftan dort verletzt worden ist. Was sagst du dazu, Kodscha Bascha?«

»Ich sage nichts,« antwortete der Gefragte. »Ich bin zu stolz, mit einem Mann, wie dieser Nemtsche ist, noch länger zu verkehren.«

»Aber deine Haltung ist keineswegs eine stolze. Was suchst du mit den Händen hinter dir?« fragte ich ihn lachend.

»Schweig‘!« schrie er mich zornig an. »Es wird ein großes Wehe über dich ergehen, und du wirst noch nach langen Jahren an die Folgen deiner Verleumdung denken müssen. Siehst du denn nicht, daß mein Kaftan gar nicht zerrissen ist?«

»Ganz gewiß. Ich sehe aber auch, daß es ein anderer Kaftan ist. Derjenige, welchen du heute anhattest und also auch vorhin getragen haben wirst, war älter als dieser.«

»Ich habe nur den einzigen.«

»Wollen sehen!«

»Ja, der Kodscha Bascha hat nur diesen einen Kaftan,« bestätigte der Knecht.

»Du hast nur zu sprechen, wenn du gefragt wirst,« belehrte ich ihn. Und mich an den Anwalt wendend, fuhr ich fort:

»Weißt du vielleicht, wie viele Kaftans der Kodscha Bascha hatte?«

»Nein, Effendi. Wer bekümmert sich um das Gewand eines andern?«

»Aber du weißt wohl, wohin er die Pferde der drei Verbrecher geschafft hat? Ich überließ sie ihm.«

»In seinen Stall.«

»Hat er selbst auch Pferde?«

»Ja.«

»Wie viele?«

»Vier. Er hält sie gewöhnlich in seiner Umzäunung, damit sie sich im Freien befinden.«

»Welche Farbe haben sie?«

»Sie sind schwarz, denn er hat eine Vorliebe für Rappen. Nicht wahr, Bascha?«

»Was gehen diese Menschen meine Pferde an!« antwortete der Gefragte.

»Sehr viel, das weißt du wohl auch,« erwiderte ich. »Du hast die Entflohenen mit Pferden unterstützt, und da sie Grund haben, die Farben ihrer bisherigen Rosse zu wechseln, so wirst du ihnen andere gegeben haben. Es wird sehr gut für dich sein, wenn wir dich im Besitz sämtlicher Tiere finden. Hier gibt es nichts zu retten. Die Hütte ist niedergebrannt, und in kurzer Zeit wird es dunkel sein. Der alte Mübarek ist so klug gewesen, sie vor seiner Entfernung anzuzünden, sonst hätten wir wohl viele Beweise schlimmer Taten darin gefunden. Er hat sogar Pulver vorrätig gehabt, sie in Brand zu setzen oder gar leicht in die Luft zu sprengen. Es war von dem Kodscha Bascha eine Verrücktheit, zu sagen, daß wir sie angezündet hätten. Grad uns lag alles daran, sie unversehrt zu finden. Gehen wir also jetzt zu der Wohnung des Gerichtes, um euch zu überzeugen, daß die Gefangenen wirklich fort sind.«

Als wir uns zum Gehen anschickten, sah ich den Hadschi eiligst davonspringen, und gleich darauf erscholl von dem Weg her seine drohende Stimme:

»Halt, du bleibst, sonst steche ich dir das Messer zwischen die Rippen!«

»Laß mich!« rief eine andere Stimme. »Was habe ich mit dir zu schaffen?«

»Gar nichts, aber ich desto mehr mit dir. Du bist gefangen.«

»Oho!«

»Ja, und wenn du dich nicht fügest, so habe ich hier eine Peitsche, welche der Knecht sehr leicht kennen lernen kann, nachdem bereits sein Herr ihre Liebkosungen erfahren hat.«

Aha! Der Knecht hatte sich beeilen wollen, vor uns nach der Wohnung des Kodscha Bascha zu kommen, wohl um die Familie zu warnen und vorzubereiten. Er wurde, wie sein Herr, in die Mitte genommen.

Und zum zweitenmal bewegte sich ein so sonderbarer Zug den Berg hinab. Einige Männer trugen Feuerbrände, um den Weg zu beleuchten. Alle Bewohner des Ortes waren alarmiert, und als wir den Hof erreichten, war er fast ebenso voll wie am Abend.

Das Gefängnis war natürlich leer. Die Pferde der Entflohenen standen in dem alten, baufälligen Stall, aber die Rappen des Kodscha Bascha waren fort. Die beiden Knechte behaupteten, daß sie auf dieselbe unerklärliche Weise verschwunden seien wie die vier Verbrecher.

»Jetzt wollen wir sehen, ob wir das Geld und den Kaftan des Kodscha Bascha finden,« sagte ich zu dem Anwalt.

»Wo willst du es suchen?«

»Bei seiner Frau.«

»Die wird leugnen.«

»Wir wollen es abwarten. Es kommt sehr viel auf den Ton an, in welchem man spricht. Komm mit herein!«

Wir beide traten in das Innere des Hauses, wozu wir bis jetzt niemand die Erlaubnis gegeben hatten, natürlich dem Besitzer schon gar nicht. Der Anwalt kannte die Oertlichkeit. Er tappte im Finstern voran und stieß dann eine Türe auf. Diese führte in eine kleine Stube, welche einen Tisch und einige Holzstühle enthielt. Längs der einen Wand lag ein langes Polster für diejenigen Personen, welche beliebten, sich nach orientalischer Weise zu setzen.

 

Auf dem Tisch stand eine Tonlampe, und neben demselben saß ein altes Weib.

»Das ist die Frau,« sagte mein Begleiter.

Ihr Gesicht war ängstlich auf uns gerichtet. Ich trat zu ihr, ließ den Gewehrkolben dröhnend auf den Boden niederfallen und fragte in meinem barschesten Ton:

»Jaschly kaftani senin kodschanün werde – wo ist der alte Kaftan deines Mannes?«

Wenn sie bereit gewesen war, zu leugnen, so hatte mein Ton sie ganz verblüfft; denn sie antwortete, nach einer zweiten Türe deutend:

»Sandykda – in der Kiste.«

»Onu getir- bringe ihn!«

Sie ging zu dieser Türe hinaus. Ich hörte einen Holzdeckel klappern, dann kam sie wieder und brachte das geforderte Kleidungsstück. Ich nahm es ihr aus der Hand und entfaltete es. Ein Stück des linken Brustteiles fehlte, und als ich den abgerissenen Fetzen aus der Tasche zog und an den Riß legte, paßte er ganz genau an die Stelle. Die Frau beobachtete unsere Bewegungen mit angstvollen Blicken. Sie war ganz sicher in alles eingeweiht.

»Getir aktscheji – bringe das Geld,« befahl ich ihr in demselben barschen Ton.

»Ne asl aktscha – welches Geld?« fragte sie zögernd.

»Dasjenige, welches dein Mann vorhin von dem Mübarek bekommen hat. Wo ist es? Schnell!« antwortete der Anwalt.

Er gab sich dabei Mühe, einen eben solchen Ton anzunehmen, wie der meinige gewesen war. Sie wurde auch wirklich so eingeschüchtert, daß sie zitternd gestand:

»Auch in der Kiste.«

»Her damit!«

Sie ging wieder in die dunkle Kammer, aber diesmal dauerte es länger bis sie zurückkehrte. Das Geld war tief in der Kiste versteckt worden. Man hatte es in ein altes, zerrissenes Turbantuch gewickelt. Der Anwalt zählte es, und es stimmte auf die Summe, welche die Pflanzensucherin mir genannt hatte.

»Was soll damit geschehen?« fragte er.

»Das mußt du wissen,« erwiderte ich.

»Ich konfisziere es.«

»Natürlich. Du hast es dem Obergericht einzusenden.«

»Gewiß, und das soll geschehen, sobald der Morgen angebrochen ist. Gehen wir nun wieder hinaus?«

»Nein; ich habe erst noch ein Wort mit dieser Frau zu reden, der es sehr schlimm ergehen wird, wenn sie mir die Wahrheit nicht sagt. Die Bastonnade ist für ein Weib in diesem Alter eine lebensgefährliche Sache.«

Da sank sie auf den Boden nieder, hob die Hände empor und rief:

»Nicht die Bastonnade, nicht die Bastonnade, großer, berühmter, gnädiger Effendi! Ich sehe ja, daß alles verraten ist, und werde keine Unwahrheit sagen.«

»So stehe auf! Man darf nur vor Allah knieen. Nicht wahr, dein Gemahl hat die vier Männer fliehen lassen?«

»So ist es.«

»Und ihnen dazu seine Rappen gegeben?«

»Ja, alle vier.«

»Wo sind sie hin?«

»Nach – nach – — nach Radowitsch.«

Da sie stockte, vermutete ich, daß sie jetzt nur teilweise gestand. Darum gebot ich ihr:

»Sage alles! Warum verschweigst du mir die übrigen Orte? Wenn du nicht aufrichtig bist, werde ich dennoch die Bank hereinbringen und dich von den Mägden peitschen lassen müssen.«

»Herr, ich will es sagen. Sie sind nach Radowitsch und wollen von da weiter nach Sbiganzy.«

»Etwa zum Fleischer Tschurak, der dort wohnt?«

»Ja, zu diesem.«

»Und dann nach der Schluchthütte?«

»Herr, du kennst sie?«

»Antworte!«

»Ja, sie wollen dorthin.«

»Und dann weiter?«

»Das weiß ich nicht.«

»Was wollen sie dort?«

»Auch das habe ich nicht erfahren. Mein Mann sagt mir solche Dinge nicht.«

»Aber er kennt den Schut?«

»Vielleicht; ich weiß es nicht.«

»Er hat aber mit dem alten Mübarek stets Heimlichkeiten getrieben?«

»Was sie getrieben haben, das erfuhr ich nie; aber er war oft oben auf dem Berg, und der Mübarek kam des Nachts zu uns.«

»Hast du die Gefangenen heute betrachtet?«

»Ich habe sie gesehen.«

»Kanntest du sie?«

»Nur einen von ihnen, der früher zuweilen hier war.«

»Welchen? Wohl Manach el Barscha?«

»Ich weiß seinen Namen nicht. Er ist Einnehmer der Charadschsteuer in Uesküb gewesen.«

»So war er es. Was weißt du sonst noch von dieser Angelegenheit?«

»Nichts, gar nichts, Effendi. Ich habe dir alles gesagt, was ich selbst weiß.«

»Ich sehe dir an, daß du die Wahrheit sprichst, darum will ich dich nicht weiter quälen. Aber vielleicht hast du schon einmal den Namen »Aladschy« gehört?«

»Auch nicht.«

»Effendi,« meinte der Anwalt, »was ist‘s denn mit diesen?«

»Kennst du sie?«

»Nein, aber ich hörte von den beiden reden.«

»Also zwei sind es? Was hast du über sie vernommen?«

»Es sind die schlimmsten Skipetaren, die es gibt; zwei Brüder in riesiger Gestalt, deren Kugeln niemals fehl gehen und deren Messer stets die Stelle treffen, nach welcher sie gerichtet sind. Ihre Heiduckenbeile sollen entsetzliche Waffen sein. Sie schleudern dieselben so weit, wie eine Kugel fliegt, und treffen damit so sicher den Nacken desjenigen, dem sie den Wirbel brechen wollen, als ob der Scheïtan selbst die Beile geworfen habe. Und auch im Gebrauch der Schleuder hat es ihnen noch niemand gleich getan.«

»Wo ist ihr Aufenthalt?«

»Sie sind überall, wo es gilt, einen Mord oder Raub zu verüben.«

»Waren sie schon einmal hier?«

»In Ostromdscha selbst noch nicht, aber in der Umgegend. Erst kürzlich sollen sie in der Gegend von Kodschana gesehen worden sein.«

»Das ist ja gar nicht weit von hier. Ich glaube, man muß diesen Ort wohl ungefähr in fünf Stunden zu Pferd erreichen können.«

»Es scheint, daß du unsere Gegend sehr genau kennst?«

»O nein, ich schätze nur so ungefähr. Woher die beiden Brüder stammen, weißt du wohl nicht?«

»Man sagt, sie seien oben von Kakandelen her, von den Bergen des Schar Dagh herab, wo die eingefleischten Skipetaren wohnen.«

»Und warum nennt man sie Aladschy?«

»Weil sie zwei Schecken reiten, Pferde, welche den Teufel ebenso im Leib haben, wie ihre Herren. Sie sollen am dreizehnten Tag des Monats Moharrem geboren sein; das ist der Tag, an welchem der Teufel aus dem Himmel verstoßen wurde. Ihre Herren geben ihnen täglich ein vollgeschriebenes Blatt des Kuran im Futter zu fressen; darum sind sie unverwundbar, schnell wie der Blitz, gegen jede Krankheit gefeit und tun niemals einen Fehltritt.«

»O wehe! Dann kann es mir schlimm ergehen.«

»Warum?«

»Der Mübarek hat diese Aladschy herbeigerufen, damit sie mir auflauern und mich töten.«

»Woher weißt du das?«

»Diejenige Person, welche oben an der Hütte alles erlauschte, hat es gehört.«

»Und du glaubst es?«

»Vollkommen.«

»Es läßt sich auch glauben, weil die beiden Unholde in unserer Nähe gesehen worden sind. Effendi, nimm dich in acht! Dreißig Männer wie du vermögen nichts, gar nichts gegen diese zwei Skipetaren. Wenn sie dich erwischen, so bist du verloren. Ich meine es gut mit dir.«

»Nimm meinen Dank für deine Teilnahme; aber ich fürchte sie nicht!«

»Herr, überhebe dich nicht!«

»Nein, das tue ich sicher nicht; aber ich habe einen Beschützer bei mir, auf welchen ich mich verlassen kann.«

»Wer ist denn dieser Beschützer?«

»Der kleine Hadschi, welchen du gesehen hast.«

Der Mann machte ein sehr langes Gesicht, zog die Brauen empor und sagte:

»Der? Dieser Knirps!«

»Ja, doch du kennst ihn nicht.«

»Wahrlich, die Peitsche versteht er vortrefflich zu führen; aber was tut man mit der Karbatsche gegen so gewaltige Helden!«

»Du meintest, dreißig Männer meiner Art hätten sich vor den beiden Schecken zu fürchten; aber ich sage dir, daß fünfzig solcher Burschen, wie sie sind, nichts, gar nichts gegen meinen kleinen Hadschi Halef vermögen. Ich stehe unter seinem Schutz und brauche keinen Feind zu scheuen. Das weiß ich ganz genau.«

»Wenn du das denkst, so ist dir freilich nicht zu helfen, und du bist verloren.«

»O nein! Du mußt wissen, daß der Hadschi täglich nicht nur ein Blatt, sondern eine ganze Sure des Kuran verspeist. Darum würde selbst eine Kanonenkugel von seinem Leibe abprallen. Er ist stich-, hieb- und kugelfest. Um das zu probieren, hat er bereits Messer, Bajonette, Pulver und Zündhölzer verschluckt, und doch ist ihm dies alles so gut bekommen, als ob er einen fetten Pillaw genossen hätte.«

Er schaute mir mit ernstem, forschendem Blick in das Gesicht und fragte nach einer Pause des Ueberlegens:

»Effendi, du scherzest wohl?«