Frauen stören

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Überhöhung des Papsttums

Im Mai 2019 nahm ich zum zweiten Mal an der UISG-Vollversammlung in Rom teil. Sie stand unter der Überschrift „Säerinnen prophetischer Hoffnung“. Diesmal war die Audienz mit Papst Franziskus auf den letzten Tag festgesetzt worden. Zuerst hatten wir eine Messe im Petersdom mit dem Vorsitzenden der Religiosenkongregation, Kardinal João Braz de Aviz. Aufgrund der umfassenden Sicherheitskontrollen saßen wir lange vor Gottesdienstbeginn in der Apsis der mächtigen barocken Basilika, der bedeutendsten Kirche des Katholizismus. Über eine Stunde betrachtete ich die Cathedra Petri, das imposante Kunstwerk Gian Lorenzo Berninis. Im Auftrag von Papst Urban VII. hatte Bernini den aus dem Mittelalter stammenden hölzernen und mit Elfenbein verzierten Thron in eine Bronzeskulptur eingebettet. Nun tragen vier Kirchenväter – zwei aus dem Orient, zwei aus dem Okzident – den Heiligen Stuhl lediglich mit ihren Fingerspitzen. Der überhöht dargestellte Sitz schwebt auf den Wolken, über den Köpfen der Gläubigen. Direkt über dem majestätischen tonnenschweren Arrangement schwebt die Heilig-Geist-Taube, umhüllt von einer dünnen Alabasterschicht, durch die die Strahlen der einfallenden Morgensonne den Raum in ein mystisches Licht tauchen. Diese – vom auferstandenen Christus und seinem Heiligen Geist – herkommenden Strahlen wurden durch die künstlerische Hand Berninis genial verstärkt.

Die nonverbal vermittelte Botschaft lautet: Der Papst ist absoluter Herrscher und Monarch der ganzen Christenheit, er thront zwischen Himmel und Erde, ist Mittler Jesu Christi und sein Stellvertreter auf Erden. Mit dem Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Gewissensfragen wurde dieser Autoritätsglaube beim Ersten Vatikanischen Konzil 1870 dogmatisch zur kirchlichen Lehre erhoben. Seitdem bedeutet Glaube im Katholizismus auch gehorsame Unterwerfung unter die kirchliche Hierarchie. Wer nicht gehorcht, glaubt nicht richtig. An die Stelle innerer Überzeugung tritt die Annahme dessen, was das Lehramt entscheidet und zu befolgen gebietet. Etwas überspitzt könnte man auch sagen: Das Kirchenrecht und der Katechismus überflügeln das Evangelium. Katholisch Christ*in sein heißt nun nicht mehr in erster Linie Jesusnachfolge, sondern das Für-wahr-Halten von vorgelegten Glaubenssätzen.

Tendenziell ist diese Auffassung einer streng hierarchischen Kirchenverfassung, die sich erst im Ultramontanismus des 19. Jahrhunderts ganz auf Rom hin ausrichtete und zentralisierte, per se eher demokratiefeindlich und schwer zu vereinen mit dem postmodernen Streben nach Freiheit sowie Erscheinungen von Pluralität, Geschichtlichkeit und Veränderbarkeit. Schnell werden Wünsche nach mehr Partizipation, Synodalität und Mitbestimmung als Angriffe des Relativismus auf die unveränderliche göttliche Ordnung gesehen oder – mit einem antiökumenischen Unterton – als Protestantisierung abgetan. So nimmt die römisch-katholische Kirche zunehmend identitäre Züge an, während sie meint, dem Zeitgeist und Mainstream zu trotzen. Sie generiert sich als Hüterin der Tradition und eines einmal geoffenbarten und unveränderlichen Glaubensgutes. Dieses Wächteramt habe Jesus Christus den Aposteln mit Petrus als primus inter pares übertragen, seine Nachfolger sehen sich als durch Weihe und Handauflegung legitimiert und ermächtigt, diese Überlieferung zu bewahren. So entsteht ein geschlossenes klerikales, männerbündisches System. Durch die Einheit zwischen Ordination und Jurisdiktion, wie sie lehramtlich erst im Zweiten Vatikanischen Konzil festgeschrieben wurde, wird zudem das Geschlechterverhältnis hierarchisiert.27 Denn geweiht werden können nur Männer. So bleiben auch die Positionen der Letztverantwortung in ihrer Domäne, ganz unabhängig davon, ob man diese ungleiche Verteilung der Kompetenzen über lehramtliche Deutungshoheit, Personal, Finanzen und andere Ressourcen nun mit der Vokabel „Macht“ benennt oder mit dem Begriff „Dienst“ verharmlost.

Andere Auffassungen vom Wachsen des Reiches Gottes oder vom gemeinsamen Priestertum der Gläubigen und von der mit der Taufe verliehenen Würde der Kinder Gottes kommen gegen das hierarchische Priestertum, das davon als wesenhaft und dem Grade nach verschieden angesehen wird, nicht an (vgl. Lumen gentium, LG 10). Wir haben es – so die Dogmatikerin Johanna Rahner in Anlehnung an Michael Seewald – hier mit einer „Verrechtlichung der Theologie zu tun, die an die Stelle der Bezeugung der Wahrheit tritt, d. h. äußerer Gehorsam, hierarchisch organisierte Machtstrukturen treten an die Stelle von innerer Einsicht, argumentativer Absicherung und Begründungsleistung, der vernünftigen Durchdringung und kognitiven Hilfeleistung“.28 Dieses Traditionsverständnis bricht radikal mit dem vor der Neuzeit geltenden Verständnis, dass die Offenbarung geschichtlich vermittelt ist, demzufolge die Überlieferung immer ein Prozess der aktiven Fortschreibung der Offenbarung in die jeweilige Zeit, Kultur und Situation hinein ist.

Trotzdem geben die Verfechter*innen dieses Verständnisses vor, als sei ihre Auffassung die einzig wahre Interpretation von Tradition. „Typisch katholisch“ ist nun nicht mehr das sorgfältige Abwägen von Vernunftgründen, die verschiedene Ansichten und Schlussfolgerungen erlaubt, sondern der Ausschluss anderer Meinungen, die durch die Überhöhung der monarchisch-ständischen Ordnung und der Kirche als Sakralinstitution zum Ausdruck kommt. Was im Dogma der Unfehlbarkeit des Papsttums gipfelt, ist die Unfähigkeit zur Selbstkorrektur, zur Fehlereinsicht und zum Schuldeingeständnis.29

Indem sich das katholische Lehramt an die Stelle Gottes setzt oder zumindest nur wenig tiefer, wie es die Position der Cathedra Petri im Petersdom augenscheinlich signalisiert, vermittelt es, dass es – und nur es allein – weiß, was der unveränderliche Wille Gottes ist. In Zeiten, in denen Staatsführungen ihren Machtanspruch durchsetzten, indem sie sich als Herrscher von Gottes Gnaden präsentierten, mag dieses Selbstkonzept noch aufgegangen sein. Angesichts der demokratischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts und weitreichender Modernisierungs- und Pluralisierungserfahrungen in vielen Gesellschaften verliert die katholische Kirche jedoch durch ihr Beharren auf autoritärer Führung, hierarchischen Strukturen und Reformunfähigkeit ihren letzten Rest an Glaubwürdigkeit. Dem Machtanspruch auf der einen Seite stehen innerkirchlich ein massiver Abbruch an Autorität und Vertrauensverlust gegenüber. Die Kirche marginalisiert sich selbst, exkludiert sich immer mehr aus gesellschaftlichen Diskursen.30

Glaubwürdigkeit liegt in Trümmern

Nach dem Gottesdienst in der an Prunk, Gold und Marmor kaum zu übertreffenden Kirche standen die Repräsentantinnen apostolisch-tätiger Gemeinschaften aus allen Ländern der Welt am 10. Mai 2019 erneut Schlange, diesmal vor der vatikanischen Audienzhalle. Im Eingangsbereich der Aula war eine Fotoausstellung zu sehen, die Papst Franziskus gleich eröffnen sollte: Seit 2009 existiert Talitha Kum, ein Netzwerk katholischer Frauengemeinschaften, mit denen über 2.000 Schwestern in 76 Ländern gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vorgehen. Papst Franziskus unterstützt die Initiative, mit der weltweit Maßnahmen zu Prävention, Schutz und Rehabilitation gefördert werden. Unter der Überschrift „Nuns healing hearts“ – „Nonnen heilen Herzen“ hat Lisa Kristine, eine amerikanische Fotografin und Menschenrechtsaktivistin, die Arbeit der Ordensfrauen fotografisch dokumentiert. Dabei geht es ihr darum, mit ihren Bildern Menschen zu Veränderungen zu inspirieren und anzuregen, sich für die Menschenwürde einzusetzen.31

Während wir auf Papst Franziskus warteten, betrachtete ich in der von Architekt Pier Luigi Nervi 1971 erbauten Halle die Skulptur hinter der Tribüne, „La Resurrezione“, 1975 von Pericle Fazzini geschaffen. Auch diese aus Messing und Bronze errichtete Skulptur wiegt annähernd 40 Tonnen. Meine Online-Recherchen ergeben, dass der Künstler die Auferstehung Christi in einem großen Olivenhain darstellen wollte, ein an sich friedlicher Ort, an dem Jesus bei seinem nächtlichen Gebet vor seiner Verhaftung Todesängste ausstand. Angesichts der atomaren Bedrohung in den Zeiten des Kalten Krieges und eisernen Vorhangs ließ Fazzini Christus aus einem Krater aufsteigen, den eine Atombombe aufgerissen hat. Gegenwärtig denke ich bei dieser Darstellung an die zerstörende Wucht der verübten Gewalt in der Kirche selbst; an die körperlichen, seelischen, geistigen und geistlichen Wunden, die in den Leben hunderttausender Kinder, Jugendlicher und Erwachsener gerissen worden sind. Durch Missbrauch geistlicher Macht und Vorrangstellung, durch sexualisierte Gewalt gegenüber Minderjährigen, Schutzbefohlenen und Frauen, durch Verschweigen, Wegschauen, Vertuschen und Verharmlosen. Eine gewaltige, grausame Explosion aus Verbrechen, die die Glaubwürdigkeit der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche zutiefst erschüttern. Ob es aus diesen Trümmern jemals eine Auferstehung zu neuem Leben geben wird?

Am Nachmittag des 7. Mai hatten wir uns als Generaloberinnen unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Medienvertreter*innen mit dem Thema „Missbrauch an Ordensfrauen“ befasst. Mit großer Klarheit sprach die Referentin Anna Deodato über sexualisierte Gewalt durch Bischöfe, Priester und/oder Ordensmännern an Ordensfrauen.32 Ermöglicht und begünstigt wurden und werden diese Formen von Gewalt durch die klerikale Macht sowie finanzielle Abhängigkeit. Über erlittene Grenzverletzungen, Manipulation, Bevormundung bis hin zu physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt zu sprechen oder nicht, hängt aber auch mit kulturellen Einstellungen und gesellschaftliche Tabus zusammen.

 

Ein Teil der Verantwortung liegt bei den für die Ausbildung neuer Mitglieder zuständigen Schwestern und den Leitungskräften, nicht zuletzt bei den während des Treffens der UISG versammelten Generaloberinnen. Schockierend waren Berichte über Gemeinschaften, die in eine komplette Abhängigkeit vom Klerus geraten waren. So mussten Novizinnen vor Ablegung ihrer ersten Gelübde eine Woche lang im Bischofshaus „Praktikum“ machen und sexuelle Dienstleistungen erbringen, als Bedingung dafür, dass der Bischof bei der Ablegung ihrer Gelübde der Eucharistie vorsteht oder sie weiterhin finanziell unterstützt. Das alles geschah (und geschieht) nicht selten im Wissen und mit dem Einverständnis der zuständigen Oberinnen. So verkamen ganze Schwesternkonvente zu einem Harem des Episkopats. Durch Mark und Bein gingen Zeugnisse von Frauen, die von ihren Gemeinschaften verstoßen wurden, nachdem sie nach einer Vergewaltigung durch einen Priester schwanger geworden waren. Statt ihnen zur Seite zu stehen und den Fall zur Anzeige zu bringen, wurde der betroffenen Schwester die Schuld gegeben und der Priester gedeckt. Die perverseste Schilderung betraf eine Ordensfrau, die vom Hausgeistlichen ihrer Gemeinschaft vergewaltigt wurde. Als sie ihre Schwangerschaft nicht mehr verbergen konnte, wurde sie von ihrer Gemeinschaft verstoßen. Ihr Peiniger zwang sie zur Abtreibung. Als sie bei dem Eingriff starb, war es derselbe Täter, der als Priester die Beerdigung hielt und das Requiem für sie zelebrierte.

Auf dem Hintergrund dieser erschütternden, kaum auszuhaltenden Berichte und persönlichen wie strukturellen Sünden erscheint mir die Foto-Ausstellung „Nonnen heilen Herzen“ wie ein Trostpflaster, das die eigentlichen – gerade die innerkirchlichen Missstände – nicht beheben kann. Die Arbeit der Ordensfrauen und das Engagement kirchlicher Organisationen können unsägliches Leid mildern und Betroffenen helfen. Durch Initiativen wie Talitha kum, RENATE33 oder SOLWODI e. V.34 werden weltweit Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution oder Betroffene ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse in ihrer Würde ernst genommen und mit ihnen Wege gesucht, damit ihre körperlichen und seelischen Wunden heilen können. Unsere Gemeinschaft ist selbst seit mehr als 20 Jahren Mitglied im „Aktionsbündnis Frauen gegen Frauenhandel“35 und hat in unseren frauenspezifischen Jugendhilfeeinrichtungen immer wieder Mädchen und junge Frauen begleitet, die im Rahmen eines Zeuginnenschutzprogramms Zuflucht vor Verfolgung gesucht haben. Zusammen mit vielen engagierten Männern und Frauen legen Ordensleute ihren Finger in die Wunde der Auswüchse eines weltweit agierenden kriminellen Netzwerks, in dem Menschen wie Sklav*innen gehalten bzw. wie Waren gehandelt, gekauft, benutzt und weggeworfen werden.

Wie kaum ein anderer Kirchenvertreter vor ihm entlarvt Papst Franziskus die menschenverachtende Dynamik eines dahinterstehenden kapitalistischen neoliberalen Wirtschaftssystems, das dem Götzen des Profits und unersättlichen Reichtums huldigt und damit über Leichen geht. Dennoch stehen die Kirche und die Ordensgemeinschaften in ihr erst am Anfang, wenn es um die Aufarbeitung von geistlichem Missbrauch, Machtmissbrauch sowie sexualisierter Gewalt an Mädchen und (Ordens-)Frauen in den eigenen Reihen geht.36 Wie bei der Aufdeckung von Missbrauch an Minderjährigen und Schutzbefohlenen ist zu fragen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um diesen Verbrechen ein Ende zu bereiten und die Strukturen zu verändern, die solche Abhängigkeiten und Ausbeutung begünstigen. Solange innerkirchlich die klerikalen und patriarchalen Machtverhältnisse nicht durchbrochen werden, kann es keine wirkliche Befreiung und Gleichstellung zwischen den Geschlechtern geben.

Innerkirchliche Frauenverachtung hat System

Diese Beseitigung von Diskriminierung sowie die volle Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit in der römisch-katholischen Kirche halte ich für eine – wenn nicht sogar für die zentrale – Bedingung der Möglichkeit, auf Augenhöhe zu kommunizieren und in die Gesellschaften aller Kulturen hinein ein Vorbild für eine neue Geschwisterlichkeit und globale Solidarität abzugeben, wie sie Papst Franziskus in seiner Sozialenzyklika „Fratelli tutti“ fordert.37 Die Frauenfrage ist ein Thema, das die Hälfte der Menschheit als Individuen betrifft und in allen Kulturen, Gesellschafts- und Staatsformen eine Rolle spielt. Als weltumspannende Institution könnte die katholische Kirche hier eine Vorreiterfunktion übernehmen, um der Ungleichbehandlung, Ausbeutung, Diskriminierung von Frauen auf dem Boden der froh machenden Botschaft Jesu Christi, seines wertschätzenden Umgangs mit Frauen, seiner Erwählung von Frauen zu Erstzeuginnen der Auferstehung und seines Rufs in die Nachfolge unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Status entgegenzuwirken. Von dieser Voraussetzung sind wir allerdings innerkirchlich weit entfernt. Stattdessen wird ein Klassensystem aufrechterhalten, das schon rein sprachlich das Volk Gottes aufteilt in Geweihte und Nicht-Geweihte, Haupt- und Ehrenamtliche, Mann und Frau.38

Als (Ordens-)Frau bin ich besonders sensibilisiert für Erfahrungen, die mit Abwertung, Verachtung und Ausgrenzung von Frauen in der von Männern dominierten Kirche zu tun haben. Chauvinismus, Sexismus und Misogynie sind ähnlich wie Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie oder andere Formen der Stigmatisierung Andersdenkender, -glaubender oder -liebender für mich als gläubige Christin unerträglich, weil sie nicht nur Lehre und Leben Jesu Christi konterkarieren, sondern gegen alles verstoßen, wofür Kirche zu stehen hat. Sie sind aber an der Tagesordnung – nicht nur, weil wir alle Sünder*innen und fehlbar sind – sondern weil die Strukturen selbst Schieflagen und Asymmetrien hervorbringen.

Ich möchte dies an einem konkreten Beispiel illustrieren: Am Nachmittag des 9. Mai 2019 sprach der Vorsitzende der Religiosenkongregation im Vatikan, Kardinal Braz de Aviz, zu den in Rom versammelten 850 Generaloberinnen. Zunächst dankte er den Ordensfrauen für ihren Dienst und teilte einige Neuigkeiten aus seiner Behörde mit. Der jovial wirkende Kardinal gilt als umgänglich und offen für die Anliegen der Ordensgemeinschaften. Nach einer kurzen Ansprache stellte er sich unseren Fragen. Es ging um Finanzen, Ordensnachwuchs und andere Themen. Jedes Mal antwortete der Brasilianer ausführlich und zeigte Sinn für Unterhaltung und Humor. Grundlegend ermutigte de Aviz die aus der ganzen Welt angereisten Schwestern, nicht zu ängstlich zu sein oder auf das Kirchenrecht zu schielen, sondern die eigenen Ermessensspielräume kreativ auszuloten und pragmatisch zu nutzen. Als ich an die Reihe kam, stellte ich dem Kardinal die Frage, was denn die Kommission herausgefunden habe, die sich seit 2016 mit dem Frauendiakonat beschäftigt hatte. Auf einmal verfinsterte sich die Miene des vorher so unterhaltungsfrohen und zum Plaudern aufgelegten de Aviz: „Dazu kann ich nichts sagen. Ich habe mit der Kommission nichts zu tun.“ Punkt. Kein vermittelndes Wort, keine freundliche Erklärung. Ich konnte gar nicht anders, als mich schlichtweg abgewürgt zu fühlen. Dann folgte ein Nachsatz im chauvinistisch-paternalistischen Ton: „Wenn ich in Ihre Runde schaue, sehe ich, wie viel sich im Ordensleben verändert hat. So viele bunte Gewänder. So viele schön gestaltete Frisuren.“ Innerlich kochte ich vor Wut. Am Ende der Sitzung schlug ich mich ans Podium durch und wartete geduldig, bis der Kardinal die zahlreichen Wünsche erfüllt hatte, sich mit ihm ablichten zu lassen.

„Herr Kardinal, würden Sie den Satz, den Sie vorhin über unsere bunten Ordenskleider und hübschen Frisuren gesagt haben, auch so sagen, wenn Sie zur Mitgliederversammlung der Vereinigung der Ordensoberen (USG) eingeladen wären? Würden Sie vor 850 Äbten, Generaloberen und Provinzialen wiederholen, man könne den Fortschritt, den das Ordensleben in den letzten Jahrzehnten gemacht habe, daran erkennen, dass sie so bunt vor Ihnen sitzen und so hübsche Frisuren hätten? Ich sehne mich nach einer Kirche, in der Frauen endlich ernst genommen werden und man mit uns auf Augenhöhe über Inhalte spricht statt über Äußerlichkeiten.“ Sichtlich überrascht über meine Aufregung versuchte der Kardinal zu beschwichtigen: „Ich komme aus einer kinderreichen Familie mit vielen Brüdern und Schwestern. Wir haben immer viel gestritten, das ist ganz normal. Da gab es keine Unterschiede …“ Bald dämmerte mir, dass es an dieser Stelle keinen Sinn haben würde, weiter zu diskutieren; die Schlange der Schwestern, die den Kardinal persönlich sprechen wollten, war noch lang. Also verabschiedete ich mich mit den Worten: „Machen wir weiter im Einsatz für das Reich Gottes!“39

Symbolische Gesten reichen nicht

Diese Begegnung vom Vortag ging mir noch durch den Kopf, als die Kameraleute von Vatikan News Bilder auf die Leinwände produzierten, die uns signalisierten: Es geht los, der Papst kommt. Nach der Eröffnung der Fotodokumentation über Talitha Kum zog er Seite an Seite mit Sr. Carmen Sammut in die Audienzhalle ein und schritt die Stufen herab. Spontan erinnerte mich die Feierlichkeit des Anblicks an eine Hochzeit – allerdings in vertauschten Kleidern und Rollen: Der Papst im langen weißen Gewand und an seiner Seite die Präsidentin der UISG im dunklen Kostüm. Dahinter die Security-Leute, Staatssekretäre und engsten Mitarbeiter des Papstes. Unter dem Applaus der aus der ganzen Welt versammelten Schwestern näherte sich die Prozession einem Podium, das – anders als drei Jahre zuvor – nicht oben auf der Tribüne aufgebaut, sondern unterhalb auf der Ebene des Auditoriums stand. Hatte der Papst 2016 auf einem großen weißen Sessel Platz genommen, flankiert von seinen Staatssekretären, war diesmal ein Tisch bereitgestellt mit zwei unterschiedlich großen Stühlen. Kurzerhand ließ Franziskus den für ihn gerichteten Sessel wegtragen und durch einen kleineren Stuhl ersetzen. Dann bat er Sr. Carmen Sammut, sich direkt neben ihn zu setzen. Wohl um ihre Verlegenheit zu überspielen, kommentierte diese schlagfertig die ihr zuteilwerdende Ehre mit den Worten: „Oh, ich sitze zur Rechten des Vaters.“

Es wird viel darüber spekuliert, inwiefern diese Gesten, für die Papst Franziskus bekannt ist, eine nachhaltige Wirkung haben oder ob sie nicht lediglich darüber hinwegtäuschen, dass er letztlich kaum einschneidende Veränderungen vornimmt, sondern lehramtlich und kirchenrechtlich vieles beim Alten belässt. Auch ich bin hin- und hergerissen, wie die Zeichen und Symbolpolitik einzuordnen sind. In Gedanken gehe ich zurück zu Berninis Cathedra Petri, die nur wenige hundert Meter von der Audienzhalle in Bronze gegossen die Überhöhung des Papstamtes wirkmächtig vor Augen führt. Wenn ich dann sehe, dass 400 Jahre später der ranghöchste Repräsentant dieser Kirche an der Seite einer Frau am Tisch sitzt, ahne ich, welche gewaltige Entwicklung zwischen dem Selbstverständnis Urban VIII. in der frühen Neuzeit und Franziskus I. in der Spätmoderne liegt.

Gemessen an dem Verhalten Jesu, der sich mit Zöllnern und Dirnen zu Tisch legte und grundsätzlich keine Berührungsängste mit Frauen und Fremden, Ausgestoßenen und Sündern hegte, scheint mir allerdings auch diese Inszenierung geradezu grotesk. Und ich frage mich: Was muss geschehen, damit wir angstfrei auf Augenhöhe miteinander kommunizieren? Wie könnten Hierarchien durchbrochen, eine entklerikalisierte Kirche realisiert werden, in der das jesuanische Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe tatsächlich Maßstab allen Redens, Entscheidens und Handelns wäre?

Wenn es bei einigen Einzelentscheidungen bleibt, die eher kosmetisch wirken, als entschieden eine strukturelle Reform in Gang zu setzen, wird dies systemisch kaum Auswirkungen haben. „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“, kommentierte Angela Merkel einmal die Bemerkung, dass sie als Bundeskanzlerin beispielhaft für die Chancengleichheit von Frauen steht, in Deutschland eine herausragende Führungsposition einnehmen zu können.40

Ähnlich gilt auch in der katholischen Kirche: Eine vatikanische Museumsdirektorin oder eine paritätisch besetzte Theologische Kommission machen noch kein Ende mit der strukturellen Benachteiligung von Frauen. Zwar hat – und das lässt immerhin aufhorchen – Papst Franziskus den Frauenanteil an den Leitungsfunktionen im Vatikan deutlich erhöht.41 Im Januar 2021 änderte er das Kirchenrecht dahingehend, dass Frauen nun auch dauerhaft mit dem Amt des Lektors oder Akolythen betraut werden dürfen und beseitigt so die letzten Unterschiede, die zwischen Männern und Frauen im Kirchenrecht bestanden, ausgenommen die Vorschriften zum Empfang des Weihesakraments.42

 

Der Schmerz, dass vorhandene diakonische oder priesterliche Berufungen von Frauen nicht geprüft werden, bleibt weiter bestehen. Auch an den Machtverhältnissen und Entscheidungsbefugnissen wird sich nichts ändern, solange die Spitzenpositionen, die mit der meisten Amtsfülle ausgestaltet sind, nach wie vor die Weihe voraussetzen. Die dem Papst vorbehaltende Leitung der Gesamtkirche sowie die von Bischöfen geleiteten Teilkirchen bleiben in der Hand von ordinierten Männern. Diese klerikal-hierarchische Struktur wird seit Jahrzehnten diskutiert und kritisiert. Eine Änderung dieser Zulassungsbedingungen zum Weiheamt müsste vom Vatikan genehmigt werden, was aktuell allerdings nicht in Sicht ist. Inzwischen äußern einige deutsche Bischöfe, dass es so nicht weitergehen kann. Die Frage ist, ob sie auch den Mut und den Willen aufbringen, ein Votum an den Papst zu richten, per Indult die Weihe von Frauen zu Diakoninnen zuzulassen, sowie ihren Dissens zu erklären, dass Frauen von der Priesterweihe ausgeschlossen sind.43

Als Argument für die Zögerlichkeit des Papstes, eine bahnbrechende, systemverändernde Reform von oben herbeizuführen, werden meist die Gefahr einer Kirchenspaltung und sein Dienst an der Einheit der Weltkirche angeführt. Zu wenig berücksichtigt wird dabei, dass es bereits eklatante Spaltungsphänomene gibt, die durch anhaltenden Reformstau und die weltweit aufgedeckten Skandale verschärft werden. Die Trennlinie verläuft zwischen Hierarchie und Basis, zunehmend aber auch zwischen liberal-aufgeschlossenen Gläubigen (sowohl im Klerus als auch bei den Lai*innen) und rechtskonservativ bis autoritär-fundamentalistisch eingestellten Katholik*innen. Die verschiedenen Positionen stehen sich unvermittelbar und unversöhnt gegenüber.