Kitabı oxu: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 209»

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-545-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Dunkelheit lag über dem Sumpfwald des Irawadi-Deltas.

Das Mondlicht stach wie mit silbernen Nadeln durch das Blätterdach der Urwaldriesen, spiegelte sich in Schlamm und schwarzem, schillerndem Wasser und ließ ab und zu die Waffen der Männer aufblitzen, die sich keuchend durch das Dikkicht kämpften. Drei Dutzend wilde, verwegene Gestalten: Malaien, Inder und Birmanen, Eingeborene der Inselwelt zwischen Pazifischem und Indischem Ozean, Gesindel aus aller Herren Länder, schließlich der schlitzäugige, kahlköpfe Mongole, der die wüste Horde mit eiserner Faust zusammenhielt. Bis heute jedenfalls war ihm das immer gelungen.

Jetzt hatte sich seine Streitmacht in einen ungeordneten, von panischer Furcht getriebenen Haufen verwandelt.

Bill, der Moses der „Isabella“, biß die Zähne zusammen und haderte mit sich selbst und dem Geschick, vor allem mit dem teuflischen Zufall, der ihn dieser Bande von Halsabschneidern und Halunken in die Hände gespielt hatte. Blut rann über seine Haut, er glaubte immer noch, die Spitze des Krummschwerts an der Kehle zu spüren. Er hatte den Mongolen stellen wollen, diesen elenden Hund, der versuchte, sich feige aus dem Kampf zu verdrücken. Aber dann war es umgekehrt gelaufen: Bill stolperte, stürzte unglücklich und konnte nicht verhindern, daß der Kerl ihn als Geisel benutzte. Ihn – und Kyan Ki, den jungen Krieger aus dem Volk der Mon, der Bill hatte beispringen wollen.

Dem Mongolen ging es um den legendären Schatz, den die Mon angeblich in ihrer geheimnisvollen Dschungelfestung am Irawadi versteckten.

Ein Schatz, an dessen Existenz Bill nicht recht glaubte. Wenn die Mon solche Reichtümer besaßen – hätten sie es dann nötig gehabt, die „Isabella“ zu überfallen, nur um ein paar Waffen zu erbeuten? Hätten sie sich dann vor den ständigen Angriffen ihrer birmanischen Feinde in die Wildnis des Deltas zurückziehen müssen? Selbst wenn sie keine Chance gegen die Übermacht des birmanischen Reichs hatten – mit Hilfe eines solchen Schatzes wären sie doch sicher in der Lage gewesen, wenigstens die Piraten zu verjagen und sich gegen jenen Priester der geheimnisvollen Schwarzen Pagode zu wehren, der mit Hilfe einiger verspengter Spanier eine Armee um sich gesammelt hatte und seinen Privatfeldzug gegen die Mon führte.

Aber der Mongole glaubte daran. Er würde seine Pläne nicht aufgeben und auch weiter versuchen, dem jungen Mon-Prinzen die Wahrheit zu entreißen. Bill schauerte und zerbiß einen Fluch, als ihm einer die Piraten wieder einmal die Faust in den Rücken stieß, um ihn anzutreiben.

Neben ihm stolperte Kyan und verlor das Gleichgewicht.

Er war am Ende und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Mit brutalen Tritten versuchten seine Peiniger, ihn wieder hochzuscheuchen- und das war mehr, als Bill mit ansehen konnte.

Fauchend vor Wut wirbelte er herum.

Der Kerl, der den Wehrlosen getreten hatte, war viel zu überrascht, um zu reagieren. Blitzschnell drosch ihm Bill die Faust ins Gesicht. Der Pirat brüllte und taumelte zurück. Blut schoß aus seiner Nase, der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, und dieser Anblick entschädigte den Moses ein wenig für das, was im nächsten Moment über ihn hereinbrach.

Die Piraten hatten eine vernichtende Niederlage erlitten.

Entsprechend war die Wut, die sich in ihnen gestaut hatte und Bill jetzt zu spüren kriegte. Er wehrte sich wie ein Tiger, doch es dauerte nur Minuten, bis es dunkel um ihn wurde.

Der Mongole hatte dem Ausbruch brutaler Gewalt schweigend zugesehen.

Jetzt spuckte er aus. Seine schmalen schwarzen Augen funkelten wütend.

„Narren!“ zischte er in seiner Heimatsprache. „Eure eigene Schuld, wenn ihr sie jetzt tragen müßt!“

Wind strich durch das übermannshohe Sumpfgras und kräuselte die Rinnsale, die mit der auflaufenden Flut allmählich wieder breiter wurden.

Dort, wo die „Isabella VIII.“ auf einer Untiefe festsaß, lag das Mondlicht wie ein fahler Silberschleier über dem Schwemmland des Deltas. Die Waldsäume wichen an dieser Stelle etwas zurück, das Filigran von Masten, Rahen und Stagen zeichnete sich als scharf umgrenzte Schatten auf dem dunklen Schlick ab.

Die Galeone war nach einer endlosen Irrfahrt durch das Labyrinth der Wasserarme hier gestrandet. Nicht etwa, weil die Männer der Crew aus Leichtsinn ein zu hohes Risiko eingegangen wären, sondern weil unsichtbare Gegner, von deren Existenz sie nichts ahnten, ihnen den Rückweg abgeschnitten und sie ganz bewußt und sehr geschickt in die Falle gelockt hatten.

Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, stand mit verschränkten Armen auf dem Achterkastell und spähte zu dem etwas entfernten Wasserarm hinüber, wo jeden Moment die flachen Flußboote der Mon auftauchen mußten.

Aber diesmal nicht, um die „Isabella“ von neuem anzugreifen. Das hatten sie zweimal versucht und sich dabei blutige Köpfe geholt, obwohl unter der Crew eine unbekannte Tropenkrankheit wütete und sechs Männer fiebernd und halb oder ganz bewußtlos im Vorschiff lagen. Nein, diesmal erschienen die Boote der Mon, um zu helfen.

Die Kranken und Verletzten sollten den Irawadi hinauf zu der geheimnisvollen Stadt im Dschungel gebracht werden, der letzten Bastion jenes stolzen Volkes. Ihre Heilkundigen kannten sich mit dem tropischen Fieber aus. Und die Krieger kannten das Delta, jeden Mündungsarm des Irawadi, jedes Rinnsal, jeden Tümpel. Unter anderem auch die Bucht, die von der Piratenflotte des Mongolen als Schlupfwinkel benutzt wurde.

Gegen diese Bande von brutalen Mördern, die nicht einmal Frauen und Kinder verschonten, hatten sich die Mon mit den Seewölfen verbündet.

Ein paar Meilen entfernt stolperte Bill, der Moses, neben Kyan Ki her und hatte vergessen, daß es dieser Mann war, dem sie im Grunde den ganzen Schlamassel verdankten: weil er als vermeintlicher Schiffsbrüchiger die Wasservorräte der „Isabella“ ungenießbar gemacht hatte, um sie zu zwingen, in das Flußdelta zu laufen.

Hier auf der „Isabella“ stand der Seewolf neben Yannay Ki, Kyans älterem Bruder, und verschwendete ebenfalls keinen Gedanken mehr an den Ärger, den sie den Mon verdankten. Nein, die feine Art war es nicht gerade gewesen, ein fremdes Schiff in die Falle zu locken, das keinerlei feindliche Absichten hegte, und dazu ausgerechnet die Hilfsbereitschaft der Crew auszunutzen.

Aber die Mon befanden sich in einer verzweifelten Lage. Sie wurden von den Piraten bedrängt, und sie mußten jeden Tag damit rechnen, daß die Birmanen angriffen, die sich in den Bergen um die Schwarze Pagode eingenistet hatten. Letztere verfügten zwar ebenfalls kaum über Schußwaffen, doch dafür war ihre Übermacht um so erdrückender. Der junge Kyan hatte einfach nach einem Strohhalm gegriffen, als er sah, wie leicht die „Isabella“ mit der Piratendschunke fertig wurde, die die Boote der fliehenden Mon verfolgten.

Yannay, älter und weniger voreilig, hatte sich überzeugen lassen, da die Falle nun einmal gestellt war. Gefallen fand er von Anfang an nicht an dem Plan. Ganz davon abgesehen, daß die Rechnung nicht aufging, weil die Mon ihre Opfer gewaltig unterschätzen.

Immerhin: die Lage der „Isabella“ war alles andere als rosig gewesen.

Deshalb entschloß sich der Seewolf auch zu einem Bravourstück: mit zwei Mann holte er Yannay Ki mitten aus seinem Lager heraus, um ihn als Faustpfand zu benutzen. Doch so weit kam es nicht mehr. Unmittelbar danach hatten die Piraten das Lager überrannt. Sie wollten den Schatz. Kyan sollte ihnen verraten, wo sie die sagenhaften Reichtümer finden konnten – und die Schreie des Gefolterten waren noch auf der „Isabella“ zu hören gewesen.

Daß die Seewölfe in dieser Situation nicht triumphiert, sondern sich bereitgefunden hatten, das Opfer herauszuhauen – das war eine Tatsache, die der Anführer der Mon erst einmal verdauen mußte.

Jetzt wußte er, mit wem er es zu tun hatte. Mit Männern, die fair und anständig kämpften, die auf kleinliche Rachsucht verzichteten, die es sogar fertigbrachten, dem geschlagenen Gegner beizuspringen – auch wenn er es im Grunde nicht verdiente. Yannay Ki war überzeugt davon, daß er und seine Leute diese Hilfe nicht verdient hatten. Längst schämte er sich seiner eigenen Handlungsweise. Genauso, wie es Scham gewesen war, die seinen Bruder zu dem Versuch trieb, sich dem Mongolen als Geisel anzubieten, damit er Bill freiließ.

Genutzt hatte es nichts.

Jetzt befanden sich beide in der Gefangenschaft der Piraten. Vorerst! Für die Seewölfe war es selbstverständlich, die beiden Männer zu befreien. Inzwischen kannte Yannay Ki diese Teufelskerle gut genug, um zu glauben, daß sie es schaffen würden.

Er, Yannay, würde mit den unverletzten Mon-Kriegern die dezimierte Crew der „Isabella“ verstärken.

Für den Transport der Kranken und Verwundeten standen die flachen Flußboote zur Verfügung, die in diesem Augenblick auf dem Wasserarm erschienen. Die sechs Kranken waren bereits an Deck gebracht worden: Garry Andrews, Bob Grey und der weißhaarige Segelmacher Will Thorne bewußtlos, Dan O’Flynn und Jeff Bowie im Fieber phantasierend, selbst der bullige Smoky in einem Zustand, in dem er seine Umgebung offenbar nicht mehr richtig wahrnahm.

Der Kutscher hatte die verwundeten Mon versorgt, so gut es ging. Außer ihm sollten Old O’Flynn und die Zwillinge mit in die Boote gehen. Letztere mit ziemlich gemischten Gefühlen, weil sie nicht recht wußten, was nun spannender war: gegen eine Bande heimtückischer Piraten zu kämpfen oder die geheimnisvolle Dschungelfestung der Mon kennenzulernen.

Für den Seewolf gab den Ausschlag, daß die beiden Jungen in der Dschungelfestung sicherer sein würden. Das glaubte er jedenfalls. Wie sehr er sich irrte, konnte er noch nicht ahnen.

Old O’Flynn versicherte mit grimmiger Miene, daß er schon auf die „Rübenschweinchen“ aufpassen werde.

Hasard junior und Philip junior ignorierten diesen Punkt. Sie sonnten sich lieber in der Wichtigkeit ihrer Aufgabe: im Verein mit ihrem Großvater und dem Kutscher auf die Kranken aufzupassen. Noch lieber hätten sie allerdings geholfen, ihren besonderen Freund Bill zu befreien. Aber Widerspruch gab es nicht in einer solchen Situation. Um das zu wissen, fuhren die Zwillinge nun schon lange genug auf der „Isabella“.

Ein paar Minuten später kletterten sie zusammen mit den anderen in eins der flachen Boote.

Ein knappes Dutzend Mon-Krieger stakten die schwerfälligen Fahrzeuge durch das langsam auflaufende Wasser. Der Seewolf sah ihnen nach, bis sie in der Dunkelheit verschwanden. Ganz wohl war ihm nicht bei der Sache, aber er wußte, daß er keine Wahl hatte. Die Mittel gegen die heimtückische Krankheit gab es nur in der Festung am Irawadi. Inzwischen hätte Hasard seine Hand dafür ins Feuer gelegt, daß sie den Mon vertrauen konnten.

Daß in diesem gefährlichen, von Unruhen geschüttelten Landstrich alles mögliche Unvorhergesehene passieren konnte, ließ sich nun einmal nicht ändern.

Der Seewolf preßte die Lippen zusammen. Noch mußten sie warten. Yannay Ki hatte behauptet, die „Isabella“ werde bei der nächsten Flut von selbst aufschwimmen, weil der auffrischende Wind das Wasser tiefer ins Delta drückte. Ob das stimmte, war noch die Frage. Eine weitere Frage mußte ebenfalls geklärt werden: inwieweit die Mon tatsächlich eine Verstärkung für die Crew waren.

Im Enterkampf Mann gegen Mann würden sie sich bestimmt bewähren.

Aber mit den schweren Culverinen konnten sie vermutlich überhaupt nicht und mit Musketen und Pistolen nur sehr beschränkt umgehen. Und ob sie je vorher eine Galeone aus der Nähe gesehen hatten oder eine Brasse von einem Fall unterscheiden konnten, war gleichfalls fraglich.

Einmal mehr mußte Pak-Sung, der Birmane, in Aktion treten.

Er gehörte zur Streitmacht des schwarzen Priesters und war als Gefangener bei den Mon gewesen. Da er Spanisch sprach, hatten sie ihn geschickt, um den Seewölfen ihre Bedingungen zu stellen: die Waffen der „Isabella“ gegen freien Abzug und Hilfe für die Kranken. Pak-Sung hatte es vorgezogen, nicht zurückzugehen, sondern sich unter den Schutz der Engländer zu stellen. Er stand immer noch unter ihrem Schutz – eine Tatsache, die von den Mon stillschweigend akzeptiert wurde.

Jetzt übersetzte er etwas mühsam Hasards Fragen.

Yannay Ki lächelte leicht und straffte die Schultern. Er sei mit einem Teil seiner Leute lange genug zur See gefahren, erwiderte er. Bis ins ferne Reich des großen Chan und in die Inselwelt des Pazifik. Dabei hätten sie manchen Sturm und manches Gefecht überstanden – was auch gleich die Frage nach ihren Erfahrungen mit den Waffen beantwortete.

Hasard nickte nur.

Die Auskunft war beruhigend, vor allem im Hinblick auf die Übermacht, mit der sie sich würden schlagen müssen. Die genaue Stärke der Piratenflotte kannten auch die Mon nicht. Aber das war auch nicht der Punkt, über den sich der Seewolf den Kopf zerbrach. Das eigentliche Problem bestand nicht darin, mit dem Gesindel des Mongolen fertigzuwerden, sondern in der Notwendigkeit, vorher die beiden Geiseln herauszuholen.

Eine knappe halbe Stunde später plätscherten die ersten Wellen gegen die Bordwände der „Isabella“.

Das Wasser stieg jetzt rasch. Es knirschte und rieb unter dem Kiel, eine Serie winziger Rucke erschütterte die Galeone. Jetzt konnte es nur noch Minuten dauern, bis sie aufschwamm. Der Seewolf stützte die Hände auf die Schmuckbalustrade des Achterkastells und atmete tief durch.

„An die Brassen und Fallen! Fock und Besan klar zum Aufheißen!“

„Klar zum Aufheißen!“ bestätigte Ben Brightons ruhige Stimme.

„Hoch damit!“

Es klappte wie am Schnürchen, was den Profos natürlich nicht daran hinderte, die „lahmen Säcke“ mit den schauerlichsten Höllenstrafen zu bedrohen. Die Mon packten mit an, ein bißchen zögernd zuerst. Der Wind fuhr in Fock und Besan, blähte das Tuch, die „Isabella“ legte sich leicht nach Steuerbord über. Wieder knirschte es unter dem Kiel – und dann, langsam und ruckhaft, nahm die Galeone Fahrt auf.

Jubel brandete auf.

Ein donnerndes „Arwenack“, das die Mon etwas erschrocken zusammenzukken ließ und den Papagei Sir John veranlaßte, sich schimpfend in die Toppen zurückzuziehen. Mit wachsender Fahrt glitt die Galeone über den Wasserarm, und auch Hasard atmete auf, als er endlich wieder die vertrauten Schiffsbewegungen unter den Stiefeln spürte.

Yannay Ki, der hier jeden Fußbreit Boden kannte, spielte den Lotsen.

Eine knappe Stunde brauchten sie, um die Stelle zu erreichen, wo ihnen während ihrer Odyssee durch das Delta klargeworden war, daß sie den Weg verloren hatten. Inzwischen kannten sie den Grund: ein Damm, den die Mon errichtet hatten und der sich in nichts von den grünen Wänden des Dickichts unterschied.

Oder doch: inzwischen waren Büsche und Schlinggewächse etwas angewelkt und verrieten, daß sie keine Wurzeln mehr hatten.

Die „Isabella“ drehte bei. Gemeinsam rupften die Mon und die Seewölfe die künstliche Barriere auseinander. Minuten später lag der Wasserarm vor ihnen, den sie kannten. Ben Brighton knirschte mit den Zähnen, denn er war es gewesen, der damals das Kommando gehabt hatte, als sie ahnungslos an dem Abzweig vorbeisegelten. Und Edwin Carberry, ebenfalls höchst erbittert, redete gestenreich auf dem kleinen Birmanen ein, von dem er offenbar verlangte, ihm ein paar bestimmte Worte im Dialekt der Mon beizubringen.

Ein vergeblicher Versuch.

Pak-Sungs Spanisch-Kenntnisse waren begrenzt. Was es mit den Affenärschen und den abgezogenen Hautstreifen auf sich hatte, konnte ihm der eiserne Profos beim besten Willen nicht verklaren.

2.

Der Laderaum der Dschunke war ein unordentliches, vergammeltes Loch, das nach Bills Meinung eine Schande für die allgemeine Seefahrt darstellte.

Nun ja, der Mongole war ja auch kein ehrlicher Seefahrer, sondern ein ganz besonders mieses Exemplar von Halsabschneider. Im Augenblick hielt ihn die Aufgabe, seine Flotte durch das Labyrinth des Deltas zu steuern, davon ab, sich weiter mit seinen Gefangenen zu befassen. Er hatte sie an Händen und Füßen gefesselt in den Laderaum werfen lassen. Das war zwar alles als angenehm, aber zumindest für Kyan ein wahres Glück. Das Schicksal, das den jungen Mon in den Händen der Piraten erwartete, mochte sich Bill lieber gar nicht erst ausmalen.

Was sie bisher mit ihm angestellt hatten, war schlimm genug.

Kyan lag reglos auf der Seite und kämpfte mit zusammengebissenen Zähnen gegen Durst, Schwäche und Schmerzen. Bill konnte gut verstehen, daß dem anderen nicht nach Betätigung zumute war. Aber vom Nichtstun wurde ihre Lage nicht besser.

Unterhalten konnte sie sich mangels Sprachkenntnissen nicht.

Bill überlegte kurz, dann rollte er sich ein paarmal über die Planken, bis er sich in Kyans Rücken aufsetzen konnte. Der junge Mon stöhnte, als er Bills Stiefel ins Kreuz kriegte und auf dem Bauch landete. Das war der Zweck der Übung gewesen.

„Entschuldigung“, murmelte der Moses und ließ sich rasch nach vorn fallen, bevor sich Kyan wieder herumwälzte.

Der begriff in der Sekunde, in der er Bills Zähne an seinen Handfesseln spürte.

Der Moses spannte die Muskeln, zerrte an den Knoten herum und verfluchte die Tatsache, daß die Piraten auf ihrem verdammten Kahn offenbar alles verrotten ließen, nur nicht das Tauwerk. Kyan rührte sich nicht, obwohl die Bauchlage für ihn ziemlich schmerzhaft sein mußte, da er ein paar böse Brandwunden auf der Brust hatte. Noch befuhr die Dschunke einen der Mündungsarme des Irawadi und lag ruhig im Wasser. Bill wußte, daß die Sache wesentlich schwieriger werden würde, sobald sie das offene Meer erreichten, deshalb beeilte er sich. Er hatte kräftige Zähne, aber er brauchte dennoch eine geschlagene Stunde, bis er den ersten Erfolg verzeichnen konnte.

Inzwischen spürte er an den rollenden Schiffsbewegungen, daß die Piratenflotte das Delta verlassen hatte und nach Osten in den Golf von Martaban ablief.

Bill verdoppelte seine Anstregungen. Er nahm an, daß der Schlupfwinkel der Piraten irgendwo in der Nähe lag. Sobald sie ihn erreichten, würde sich der Mongole wieder auf seinen Gefangenen besinnen. Auf Kyan vor allem. Dem Moses lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht, das Blut rauschte in seinen Ohren, und die verkrampften Muskeln an Nacken und Schultern taten ihm so weh, daß er sich kaum noch bewegen konnte. Verbissen nagte und zerrte er an den Stricken, und dann, nach einer Ewigkeit, wie es ihm schien, hielten nur noch ein paar Fasern die Fesseln zusammen.

Kyan hatte schon ein paarmal versucht, sie zu sprengen.

Mit aller Kraft drückte er die Hände auseinander – und diesmal schaffte er es. Mit einem Ruck riß der Strick. Kyan schüttelte die Reste der Fesseln ab, stützte sich mühsam hoch und kam auf die Knie.

Seine Augen funkelten, als er sich Bill zuwandte.

Der drehte sich bereits um und bewegte auffordernd die Hände. Die Dschunke fiel jetzt spürbar ab, ging mit dem Heck durch den Wind und nahm Kurs auf die Küste. Bill vermutete, daß sie eine versteckte Bucht anlaufen würde. Auch Kyan begriff, daß ihnen nicht mehr viel Zeit blieb. Hastig hantierte er an den Fesseln seines Mitgefangenen, und Minuten später hatte auch der Moses die Hände frei.

Die Dschunke verlor an Fahrt.

Während sie ihre Fußfesseln aufknüpften, hörten die beiden Männer im Laderaum deutlich, wie die Ankertrosse ausgefahren wurde. Kein Zweifel, die Piraten hatten ihr Ziel erreicht. Lange würde es jetzt bestimmt nicht mehr dauern, bis der Mongole seine Gedanken wieder auf den begehrten Schatz konzentrierte.

Bill fegte die Reste der Fesseln beiseite, griff nach Kyans Arm und zog ihn in die Deckung einer verrotteten Kiste.

Der Laderaum lag tief unten im Schiffsbauch und war nicht durch eine Luke, sondern durch ein Schott zu erreichen. Bill schüttelte den Kopf über sich selbst, als ihm einfiel, daß er sich darum noch gar nicht gekümmert hatte. Er holte es nach – vergeblich. Das Schott war verriegelt, aber es hätte ja immerhin sein können, daß die Piraten auch in diesem Punkt nachlässig gewesen waren.

Kyan versuchte mit zusammengebissenen Zähnen, eine Latte aus der morschen Kiste herauszubrechen.

Bill folgte seinem Beispiel. Es war nicht einmal schwierig. Zwar zeigte das Holz nicht gerade die beste Qualität, doch für die Köpfe der Piraten würde es hoffentlich ausreichen.

Die beiden jungen Männer grinsten sich an.

Auf leisen Sohlen huschten sie zurück zum Schott und bauten sich rechts und links davon auf. Ein paar Minuten verstrichen, dann konnten sie draußen auf dem Niedergang Schritte hören.

Die Schritte von drei Männern.

Wenn schon, dachte Bill verbissen. Seine Faust schloß sich fester um die Latte. Kyan preßte die Lippen zusammen und straffte sich. Beide hielten den Atem an, als die Schritte auf dem Niedergang verstummten.

Das Schott flog auf.

Die drei Piraten betraten den Laderaum ohne jede Vorsichtsmaßnahme. Einer von ihnen hielt die Lampe. Seine Komplizen sollten offenbar die beiden Gefangenen an Deck schaffen. Gefangene, denen sie jetzt ahnungslos den Rükken zuwandten.

Mit einem einzigen Schritt sprangen Bill und Kyan vor.

Als hätten sie es geübt, holten sie beide gleichzeitig aus. Falls ein winziges Geräusch entstand, wurde es übertönt vom Knarren der Rahen und Blöcke und dem steten Ächzen in den Verbänden. Die beiden Piraten begriffen die Gefahr erst, als schon die Latten auf ihre Köpfe krachten.

Auch bei ihnen sah es so aus, als hätten sie die Art geübt, wie sie genau gleichzeitig nach vorn zusammensackten.

Wider Erwarten überstand das morsche Kistenholz die Belastung. An den Schädeln der Getroffenen würden prachtvolle Beulen erblühen, doch darum konnten sich Bill und Kyan jetzt nicht kümmern. Der Kerl mit der Lampe fuhr auf dem Stiefelabsatz herum. Das dunkle Malaien-Gesicht verzerrte sich. Er holte Luft, um zu schreien, aber Bill war schneller.

Mit einem Panthersatz sprang er dem Burschen an die Kehle.

Den Alarmschrei rammte er ihm sozusagen in die Zähne zurück. Sie stürzten und rollten ineinander verkrallt über die Planken. Der Pirat verlor die Lampe aus dem Griff, doch inzwischen war auch Kyan heran und hob sie hastig auf, ehe sich das auslaufende Öl entzünden konnte.

Der junge Mon umklammerte immer noch die Latte.

Von Fairneß hielt er nicht viel, das wäre von zwei Männern, die allein gegen eine ganze Piratenbande standen, auch etwas viel verlangt gewesen. Kyan wartete, bis der schwarze, ölige Haarschopf des Malaien ein einladendes Ziel bot, dann hob er die Latte und schlug kurz und trocken zu.

Der Pirat erschlaffte.

Genau drei Minuten dauerte es, bis die Reste der Stricke ihn und seine Komplizen zu Bündeln verschnürten. Mit einem wenig edlen, aber äußerst befriedigenden Gefühl der Schadensfreude stopfte Bill den Kerlen ihre eigenen schmutzigen Fußlappen zwischen die Zähne. Kopftücher und Schärpen verhinderten, daß sie die Knebel ausspukken konnten. Kyan sah mit einem verzerrten Grinsen zu. Dann hob er fragend die Brauen, wies auf die blakende Lampe und machte eine Geste, die den ganzen Laderaum umfaßte.

Bill begriff.

Er runzelte die Stirn und biß sich heftig auf die Lippen. Die Idee war verlockend, würde Verwirrung stiften und ihnen vielleicht die entscheidende Chance verschaffen. Aber sie konnten die drei Bewußtlosen nicht in Sicherheit bringen, sondern höchstens ein Stück aus der Gefahrenzone schaffen. Und ob ein Kerl wie der Mongole überhaupt versuchen würde, sie zu retten?

Bill schüttelte den Kopf.

Kyan zuckte mit den Schultern. Daß er in mörderischer Stimmung war, konnte ihm niemand verdenken – schließlich waren seine Gegner schon auf dem besten Wege gewesen, ihm ein ganz ähnliches Schicksal zu bereiten, wie es die drei Bewußtlosen in dem brennenden Laderaum erwartet hätte. Aber im Grunde hatte wohl auch der junge Mon nicht den Nerv, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er schwang herum, glitt zum Schott und spähte in den Schatten des Niedergangs.

Nichts rührte sich dort.

Kyan winkte mit der Hand und schlich weiter. Bill folgte ihm, da er annahm, daß sich der Mon auf einer Dschunke besser auskannte als er selbst. So war es auch. Kyan stieg nicht nach oben, sondern tiefer in den Schiffsbauch zu einem weiteren Laderaum, der sich bis nach achtern hinzog. Schließlich lehnte er eine Bambusleiter an den unteren Süllrand einer Luke, die nach Bills Ansicht unmittelbar vor der Poop liegen mußte.

Der Moses schluckte trocken.

Er hätte Kyan gern gefragt, ob er etwa den Mongolen in seiner Kammer besuchen wolle, doch mangels Verständigungsmöglichkeiten ging das nicht. Bill blieb nichts anderes übrig, als hinter dem jungen Mon an der Leiter aufzuentern. Inchweise stemmte Kyan den Lukendeckel hoch, lauschte sekundenlang und glitt wie eine Schlange nach draußen.

Platt auf dem Bauch liegend, hielt er die Luke ein Stück offen, während auch Bill hindurchkroch.

Zwei Schritte, und sie schlüpften durch das Schott ins Achterkastell.

Ein blitzschneller Rundblick hatte Bill gezeigt, daß niemand auf sie achtete. Die meisten Männer standen an den Schanzkleidern, riefen, winkten und unterhielten sich mit den Besatzungen der übrigen Schiffe, die in der Bucht vor Anker lagen. Da der Mongole vorher den Befehl gegeben hatte, die Gefangenen an Deck zu bringen, vermutete Bill ihn auf der Poop. Im Achterschiff hielt sich kein Mensch auf – und Minuten später zeigte sich, daß in Kyans Plan auch das I-Tüpfelchen nicht fehlte.

Durch die leere Kapitänskammer gelangten sie auf eine schmale Galerie.

Und von dort aus konnten sie die Trosse des Heckankers erreichen und sich so gut wie lautlos ins Wasser hangeln.

Bill brauchte beide Hände, sonst hätte er dem anderen krachend auf die Schulter geschlagen. Kyan grinste ihm zu und verzog dann schmerzlich das Gesicht, weil das Salzwasser in seinen Wunden brannte. Salz heilt, dachte Bill optimistisch. Ob das für den Mon ein Trost war, wagte er allerdings zu bezweifeln. Kyan wies mit dem Kopf nach Steuerbord. Vorsichtig, dicht im Schatten des Schiffsrumpfs, schwammen sie hinüber und hielten auf das Boot zu, das mit der Vorleine an einer Sprosse der Jakobsleiter belegt war.

Hatte Kyan das gewußt oder sich einfach auf sein Glück verlassen?

An Land zu schwimmen, wäre ziemlich riskant gewesen, weil die Bucht einen breiten Strand hatte, auf dem sich einfache Hütten drängten und eine Menge kleinerer Boote lagen. Und im offenen Meer hätten sie schon wegen Kyans Verletzungen mit Haien rechnen müssen, wobei zu bedenken war, daß ein Hai auch nicht viel schlimmer sein konnte als der Mongole. Bill verschob die Frage, während er sich lautlos ins Boot schwang und dem Mon auf die Ducht half. Wieder tauschten sie ein rasches Grinsen. Bill dachte daran, daß sie sich bisher eigentlich auch ohne Worte ganz gut verstanden hatten.

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