Yoga Nidra in der Schwangerschaft

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Yoga Nidra in der Schwangerschaft
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NADJA BRENNEISEN

YOGA NIDRA

IN DER

Schwangerschaft


1. Auflage 2021

© 2021 Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, Aitrang

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Jennifer Jünemann | bitdifferent

unter Verwendung einer Illustration von Meike Haug

Illustrationen: Meike Haug

Lektorat: Eva Wagner

Layout und Satz: Marx Grafik & ArtWork

ISBN 978-3-86410-322-3

eISBN 978-3-86410-355-1

www.windpferd.de

Für Merilian, mein Kind und meinen Lehrer.


Inhalt

Vorwort von Barbara Kündig

Warum braucht es dieses Buch?

Meine Geschichte

Was Angst und Stress in deinem Körper bewirken

Der Steinzeitmensch in uns

Der Geburtsschmerz

Funktionsweise der Gebärmutter

Wie Angst den Geburtsprozess beeinflusst

Das autonome Nervensystem

Der Sympathikus

Angst-Spannung-Schmerz-Kreislauf

Das aktive dorsale Vagussystem

Der aktive ventrale Vagus

Den Schmerz willkommen heißen

Wirkungsweise von Yoga-Nidra in der Schwangerschaft und als Geburtsvorbereitung

Was ist Yoga-Nidra?

Wie Yoga-Nidra ganzheitlich entspannt

Die Wurzeln von Yoga-Nidra

Mein Ansatz

Das Bewusstsein, das Unterbewusstsein und das Unbewusste

Das Eisbergmodell

Der Sankalpa

Den eigenen Sankalpa finden

Der Unterschied zwischen Yoga-Nidra und Hypnose sowie HypnoBirthing

HypnoBirthing

Vanessas Geburtsbericht

Der Unterschied zwischen Yoga-Nidra und Meditation

Erfahrungswelten

Die persönliche Pille

Schwellenzustände

Zeitlosigkeit

Intuition

Ablauf von Yoga-Nidra in der Schwangerschaft

Grundsätzliches

Beginn

Sankalpa

Die Wahrnehmung kreisen lassen

Wahrnehmen des Babys

Atemfokus

Gegensätze

Innere Bilder

Abschluss

Tipps

Yoga-Nidra während der Geburt

Ablauf der Geburt

Der Beginn der Geburt

Zuhause

Die Geburtsarbeit

Atmung

Entspannung

Bewegung

Das Baby und die Plazenta gebären

Sonderfall Bauchgeburt

Der geplante Kaiserschnitt

Sekundärer Kaiserschnitt

Yoga-Nidra während des geplanten oder sekundären Kaiserschnittes

Notkaiserschnitt

Yoga-Nidra als Mama

Körperliche Veränderungen

Innere Veränderungen

Achtsam durchs Wochenbett

Yoga-Nidra im Wochenbett

Yoga-Nidra-Texte

Link für die Yoga-Nidra-Übungen

Yoga-Nidra für die Schwangerschaft

Yoga-Nidra fürs Wochenbett

Literaturangaben

Über die Autorin

Vorwort von Barbara Kündig

Als ich vor zwanzig Jahren Yoga-Nidra in Indien kennenlernte, hatte ich keine Ahnung, welche beruflichen und privaten Auswirkungen diese wunderbare Meditations- und Entspannungstechnik auf mein Leben haben würde. Einige Jahre später, als ich selbst Mutter geworden war, konnte ich im Privaten am eigenen Leibe gut spüren, welche Wirkungen die Tiefenentspannungsübung Yoga-Nidra auf eine Mutter, auf ein Kind und auf eine ganze Familie haben kann. Ich hatte den Eindruck, dass es wahrlich das Einzige ist, was eine frisch gebackene Familie nötig hat. Alles, was die Medien vorschlagen, welche Anschaffungen man machen und was man alles haben müsste mit einem kleinen Baby, war für mich nicht mehr wichtig. Denn ich spürte, dass Ruhe und Gelassenheit der Schlüssel sind, um mit der neuen Situation umzugehen.

In der Schwangerschaft wirst du Yoga-Nidra nicht mehr missen wollen. Es ist dein tägliches Aufladen deiner Batterien und das Ausgleichen deiner Energien. Yoga-Nidra hilft dir, deinen Körper, deinen Geist und auch dein Herz in eine neue Situation hineinwachsen zu lassen.

Das halbstündige Pendeln zwischen Alpha- und Theta-Hirnwellen ist das nachhaltigste und tiefgreifende Entspannungstraining, das mir in meiner über 20-jährigen Tätigkeit als Beraterin und Lehrerin begegnet ist.

So wünsche ich dir, liebe Leserin, die jetzt dieses Buch in den Händen hält, wunderbare Erfahrungen mit der glückseligsten aller Entspannungstechniken, und dass du noch viele Jahre davon profitieren wirst.

 

Alles Liebe, deine Barbara Kündig

Warum braucht es dieses Buch?

Durch meine Arbeit als Doula und Yogalehrerin wird mir Woche um Woche aufs Neue bewusst, wie viele Frauen mit einer Grundhaltung in die Geburt gehen, die das Geburtserleben negativ beeinflusst. Diese Grundhaltung nährt sich aus der Annahme, dass man die Verantwortung für die Geburt des eigenen Kindes abgeben kann. Man geht davon aus, dass das Spital, die behandelnde Ärztin und die Hebamme schon wissen, was gut für einen ist. Viele Frauen gehen pflichtbewusst zur Vorsorge, machen jede vorgeschlagene Untersuchung, leiten dann ein, wenn die Ärztin es vorschlägt, und gebären im nächstgelegenen Spital. Das mangelnde Bewusstsein darüber, wie eine Geburt abläuft und welche Ressourcen der Körper dafür bereithält, halten sie davon ab, den Geburtsprozess aktiv mitzubestimmen. Die Frauen geben sich nicht ihrem Körper, sondern dem medizinischen Personal hin, das in der Folge die Verantwortung übernimmt.

Eine Folge dieser Grundhaltung ist unter anderem, dass viele Frauen unzureichend vorbereitet in die Geburt gehen. Ich mache die Erfahrung, dass viele Frauen im Geburtsprozess schon relativ früh vom Schmerz übermannt werden. Nicht, weil der Schmerz nicht zu bewältigen wäre, sondern weil die Frauen schlicht und einfach keine Strategien erlernt und geübt haben, mit ihm umzugehen. Und wenn eine Frau merkt, dass sie keine Möglichkeit hat, sich in den Schmerz hinein zu entspannen, und sich deshalb instinktiv gegen ihn wehrt, dann droht die Angst vor dem Schmerz in Panik auszuufern und sie zu übermannen. Hebammen, Ärzte und auch viele werdende Co-Elternteile tun ihr Bestes, um Frauen aus diesen Zuständen herauszuholen – mit gutem Zureden, mit Hilfestellung bei der Atmung und mit Medikamenten. Doch das Gefühl des Ausgeliefertseins und vor allem das Gefühl, dass man es nicht alleine geschafft hätte, verändert das Geburtsempfinden der Frauen und somit den Start in ihre Mutterschaft auf einer tiefer liegenden Ebene.

Mit diesem Buch möchte ich dir dabei helfen, in deine innere Kraft und Gebärfähigkeit zurückzufinden. Ich möchte klarmachen, dass jede Frau die Verantwortung für die Geburt ihres Kindes übernehmen soll, im Wissen, dass sie alles Nötige in sich hat, um selbstbestimmt und vor allem aus eigener Kraft zu gebären. Eine Geburt ist nicht nur der Start ins Leben eines Kindes, sondern eben auch der Start ins Leben der Frau als Mutter. Die Mutter wird geboren. Und es ist unendlich kostbar und heilsam, wenn sie in einem Selbstvertrauen geboren wird, das ihr Grundvertrauen festigt, als Frau und als Mutter den weiteren Weg in eigener Kraft gehen zu können.

In meinem ersten Jahr als Doula ließ ich mich in klassischem HypnoBirthing ausbilden und stellte einige Parallelen zu meiner Lieblingspraxis der yogischen Techniken – dem Yoga-Nidra – fest. Nach einigen HypnoBirthing-Kursen, die ich leitete, bemerkte ich aber auch relevante Unterschiede, und mir wurde klar, dass Yoga-Nidra tiefere und ganzheitlichere Aspekte bereithält, die durch HypnoBirthing nicht erreicht werden. So begann ich, mit dem yogischen Schlaf zu experimentieren und »meine« Frauen damit gezielt auf die Geburt vorzubereiten. Als ich während der Corona-Krise eine Frau während der Geburt ihres Kindes unterstützen durfte, die ich zuvor mit Yoga-Nidra begleitet hatte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Diese Technik gehört in die Welt. Jede Frau sollte die Chance haben, so zu gebären.

Ich hatte Tamara schon früh in ihrer Schwangerschaft kennengelernt. Sie war frisch schwanger, als sie mich engagierte. Wir trafen uns einige Male in dieser Phase, und ich bereitete sie und ihren Freund auf die Geburt vor. Mit Tamara übte ich Yoga-Nidra, leitete sie an und erklärte ihr, dass sie von nun an, bis zur Geburt, die Übung täglich machen sollte.

Als ihr Freund mich einige Monate später zur Geburt rief und ich im Spital ankam, war Tamara schon beinahe zur Hälfte eröffnet. Sie saß in der Badewanne, in einer Anmut, die ich bis dahin selten gesehen hatte. Wenn eine Wehe kam, beugte sie sich vor und ließ ihr Becken intuitiv kreisen, stöhnte, blieb aber absolut entspannt. Die Geburt ging zügig voran. Tamara stieg aus eigener Kraft aus der Wanne und begann durchs Zimmer zu gehen. Wie eine Tänzerin. Zwischen den Wehen lief sie andächtig durch den Raum und bewegte ihre Hüften. Während der Wehen stütze sie sich auf dem Wannenrand ab und schien tief in ihrem Inneren zu versinken. Ich tat wenig in diesen Stunden. Tamara hat mich kaum gebraucht. Sie gebar so selbstbestimmt und selbstsicher, animalisch, instinktiv und wunderschön, wie ich es bisher kaum erlebt habe.

Tamara unterschied sich von anderen Frauen insofern, dass sie ihrem Körper vertraute und ihn spürte. Sie wusste, dass nur die Angst ihr Feind war und dass sie sich vor dem Schmerz nicht fürchten musste. Sie verstand, dass ihre Wehen von ihrem Körper kamen und so nie stärker sein konnten als sie selbst. Ich begriff, dass Tamara ihre Entspannung tief in ihrem Körper verankert hatte, sodass sie während der Geburt, die eine Extremsituation darstellt, nicht darüber nachdenken musste, wie sie sich entspannen und atmen sollte, sondern intuitiv auf dieses im Körper gespeicherte Wissen zugreifen konnte.

In diesem Buch möchte ich dir Schritt für Schritt erklären, wie du Yoga-Nidra für dich nutzen kannst, um deinen Körper auf Entspannung zu konditionieren, wie du ruhiger und gelassener durch die Schwangerschaft gehen und deinen Geist so verändern kannst, dass du ihn kontrollierst und er dir als Freund zur Seite steht, statt im falschen Moment Panik auszulösen.

Meine Geschichte

Eins vorweg: Eigentlich möchte ich nicht, dass du folgendes Kapitel liest. Du bist schwanger und erwartest vielleicht dein erstes Kind. Vielleicht hast du aber auch schon einmal geboren. Mit Sicherheit hast du aber in deinem Leben bereits viele Horror-Geschichten über Geburten hören oder in Filmen sehen müssen. Mein erster Tipp an dich ist, dass du dir von nun an keine dieser Geschichten mehr anhören sollst. Denn alles, was du über die Geburt zu wissen glaubst, ist subjektiv und gründet darauf, was du in deinem Leben bisher über Geburten gehört und gesehen hast.

Viele Frauen in deinem Umfeld werden dir ihre eigene Gebär-Geschichte erzählen wollen, sobald sie wissen, dass du schwanger bist. Sag diesen Leuten, dass du nur Geschichten hören willst, die positiv und schön in ihrer Aussage sind. Sag ihnen, dass sie Geschichten über Dammschnitte, Notkaiserschnitte oder auch nur über immensen Schmerz für sich behalten sollen, bis du die Chance hattest, deine eigene Geburtserfahrung zu machen.

Meine eigene Schwangerschafts- und Geburtsgeschichte gehört in diese Kiste, aus der ich keiner Schwangeren ungefragt erzählen würde. Sie ist nicht schön, sondern traurig. Trotzdem glaube ich, dass du ein Recht darauf hast, zu wissen, wer ich bin und wieso ich es mir zur Aufgabe gemacht habe, Frauen bei ihrer selbstbestimmten Geburt zu unterstützen. Wenn du also folgende Zeilen über meine Geburtsgeschichte liest, lass dir gesagt sein: Ich hatte damals keinen blassen Schimmer. Ich hatte mich nicht mit Yoga-Nidra auf die Geburt vorbereitet und auch keine Atemtechnik verinnerlicht. Ich habe mich blind vertrauend in die Hände des Spitalpersonals gegeben und dabei etwas ganz Wichtiges vergessen: meine Selbstverantwortung. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht, ob eine Spitalgeburt das Richtige für mich ist. Ich hatte mir nicht überlegt, was für mich als Individuum der wirklich passende Weg ist, mein Kind in diese Welt zu gebären. Ich bin auf einem ausgetrampelten Pfad gegangen, weil ich dachte, dass dies der normale Weg sei.

Dieses Buch ist dazu da, dass dir dieser Fehler nicht passiert. Entscheide bitte für dich selbst, ob du meine Geschichte lesen oder an diesem Punkt zum nächsten Kapitel blättern möchtest.

Ich erinnere mich gut an den Tag, an dem ich von meiner Schwangerschaft erfuhr. Es war ein kalter Novembertag, der Geburtstag meines Vaters. Ich war mittags zum Yoga gegangen. In Shavasana, der Tiefenentspannung am Ende der Lektion, versank ich in einem Zustand tiefer Meditation. Plötzlich wusste ich, dass ich schwanger bin. Als hätte mir jemand diese Information einfach in den Kopf gelegt. Als ich mich dann warm einpackte und auf den Weg machte, mit meinem Mann mittagessen zu gehen, konnte ich nicht anders, als vor mich hin zu lächeln. Ich war noch nicht überfällig, meine Periode sollte erst in den nächsten Tagen einsetzen. Während des Mittagessens sagte ich noch nichts zu meinem Mann. Ich beschloss allerdings, gleich einen Test zu machen.

Wenn man den Schwangerschaftstest vor dem Ausbleiben der Menstruation macht, ist ein negatives Ergebnis nicht zwangsläufig ein Zeichen dafür, dass keine Schwangerschaft vorliegt. Es ist möglich, dass der Hormongehalt im Urin noch zu niedrig ist, um angezeigt zu werden. Wenn der Test aber positiv ausfällt, besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schwangerschaft.

Der Test, den ich machte, sobald ich zuhause war, zeigte meine Schwangerschaft bereits an.

Während den ersten Wochen meiner Schwangerschaft litt ich enorm unter Gefühlsschwankungen. Wir bliesen unsere geplante Afrikareise ab. (Der Tropenarzt sagte: „Wenn das Kind nicht erwünscht ist, würde ich Ihnen raten, nach Tansania zu reisen. Sie sind ja noch jung und werden leicht wieder schwanger, wenn sie es dort verlieren.“) Stattdessen flogen wir für zwei Wochen in die Arabischen Emirate und kamen in einem riesigen Hotel neben einer monströsen Baustelle unter. Ich googelte andauernd nach Informationen darüber, was ich nun als Schwangere essen darf und wovon ich besser die Finger lassen sollte. Mir ging es während dieses Urlaubs nicht gut. Ich war unglaublich verunsichert und im emotionalen Chaos. Davon, dass diese depressiven Verstimmungen auch schlicht und einfach mit der Hormonumstellung zu tun hatten, hatte ich damals keine Ahnung.

Im Januar legte sich die emotionale Achterbahnfahrt, und ich hatte das Gefühl, endlich wieder in meinem Körper anzukommen.

An meinem Geburtstag Ende Januar nahm sich eine meiner besten Freundinnen das Leben. Parallel dazu verkrachte ich mich mit meiner Mutter. Ich stürzte in ein weiteres Loch. Dazu kam ein furchtbar schlechtes Gewissen gegenüber meinem Baby. War ich eine schlechte Mutter, wenn ich meinem Kind nicht einmal eine entspannte Schwangerschaft bieten konnte? Würden all meine Emotionen, all meine Trauer und meine ohnmächtige Wut mein Kind prägen? Ich versuchte, mich möglichst weit abzugrenzen, um mein Baby zu schützen, so gut es ging. Was alles andere als einfach war.

Medizinisch ging es mir gut. Meine Ärztin informierte mich gut und war immer erreichbar, wenn ich Fragen hatte. In der Mitte meiner Schwangerschaft bekam ich Kreislaufprobleme und wurde an der Kasse eines Kleidergeschäfts ohnmächtig. Meine Ärztin schrieb mich so weit krank, dass ich nur noch morgens arbeiten musste. Von da an trat ich ruhiger. Ich versuchte meine Schwangerschaft zu genießen, besuchte Schwangerschafts-Yoga-Lektionen und legte mich routinemäßig zum Mittagsschlaf hin.

Zum Ende meiner Schwangerschaft hin versöhnte ich mich wieder mit meiner Mama, was mich unheimlich stärkte. Es war mittlerweile Sommer, und ich genoss es, rund wie ich war, nur in leichten Sommerkleidern zur Eisdiele zu watscheln. Ich hielt fleißig meinen Mittagsschlaf ab und machte so viel Yoga, wie noch ging.

Mein Mann und ich beschlossen eines Abends – sechs Tage vor dem errechneten Geburtstermin –, zusammen in der Quartierbeiz gleich neben unserem Wohnblock essen zu gehen. Während der Vorspeise merkte ich plötzlich, wie es in meiner Unterhose feucht wurde. Auf der Toilette sah ich mich mit jeder Menge Glibber konfrontiert. Der Glibber war durchsichtig, leicht gelblich und etwa teelöffelgroß. Mein Schleimpfropf war abgegangen. Mir wurde klar, dass es mit der Geburt nicht mehr lange dauern würde.

Zuhause gingen wir zu Bett. Vor Aufregung konnte ich aber kaum schlafen, und bald machten sich auch erste Wehen bemerkbar. Wenn man noch nicht geboren hat, ist es unglaublich schwer einzuschätzen, wie sich die Wehen anfühlen sollten und wann es wirklich Zeit ist, aufzubrechen. So entschied ich mich gegen fünf Uhr morgens, meinen Mann zu wecken. Wir aßen noch von dem Kuchen, den ich am Vortag gebacken hatte, und machten uns dann auf den Weg ins Krankenhaus.

Dort angekommen, wurde ein CTG geschrieben und mein Muttermund getastet. Es schien, als bewirkten meine Wehen noch nicht wirklich viel. Eine Hebamme kam mit einer Packung Zäpfchen herein und meinte zu mir: „Nehmen sie doch ein solches Zäpfchen. Es wird entscheiden, ob Sie es mit echten Geburtswehen zu tun haben oder nicht. Sind es echte Wehen, so werden sie dadurch stärker. Wenn nicht, dann wirkt es wie ein Schmerzmedikament, und sie können entspannt wieder nach Hause gehen.“ Obwohl ich noch keine wirklichen Schmerzen hatte, leuchtete mir die Erklärung der Hebamme ein. Ich nahm das Zäpfchen. Dass es sich dabei um Tramadol handelte, ein hochwirksames Opioid, sagte man mir nicht. Neben der schmerzstillenden Wirkung hemmt der Stoff auch die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin im Gehirn, was bei mir ein ekstatisches Gefühl auslöste. Man schickte mich also ziemlich high auf einen Spaziergang, der die Wehen in Gang bringen sollte.

 

Der Spaziergang war in gewisser Weise schön. Ich fühlte mich wie auf Drogen: voll und ganz im Moment, mit intensivierter Sensorik. Ich genoss es, die Hand meines Mannes in meiner zu spüren und den Wind im Haar wahrzunehmen. Immer wieder musste ich anhalten, um Wehen zu verschnaufen. Mein Mann fand mich lustig. Wir ahnten noch nicht, welche Odyssee gerade begonnen hatte.

Zurück im Krankenhaus, schickte man mich mit einem weiteren Zäpfchen Tramadol nach Hause, weil die Wehen noch immer nicht genug stark waren. Mein Mann legte sich zuhause noch einmal aufs Ohr. Ich selbst schlief nicht mehr, da die Wehen doch schon recht unangenehm waren. Wie von der Hebamme angeordnet, nahm ich das Tramadol gegen Mittag.

Eine halbe Stunde später überfuhren mich die Wehen wie ein Lastwagen. Ich weckte panisch vor Schmerz meinen Mann und befahl ihm, mich sofort zurück ins Spital zu bringen. Während ich im Auto die mittlerweile sehr schmerzhaften Wehen veratmete, fluchte ich immer wieder vor mich hin, dass ich jeden, der mich jetzt wieder nach Hause schicken wollte, einen Kopf kürzer machen würde.

Zurück im Spital, schickte man mich sofort ins Geburtszimmer.

Eine andere Hebamme betrat den Raum, im Schlepptau eine Kollegin, die noch lernte, und ertastete meinen Muttermund. Da er nach hinten verzogen war, konnte sie ihn nicht einfach erreichen und bat mich, mich auf meine geballten Fäuste zu setzen, damit sich das Becken mehr neigte. Nachdem sie den Muttermund endlich ertastet hatte, versuchte auch die Lernende ihr Glück – fünf Mal. Dann gab sie auf. Kurz daraufhin verabschiedeten sich die beiden und eröffneten mir, dass nun Schichtwechsel sei und ich eine neue Hebamme zugeteilt bekäme. Ich fühlte mich sehr ausgeliefert.

Mit der neuen Hebamme harmonierte ich aber gut. Sie rieb meinen Bauch mit Zimtöl ein, was die Wehen weiter anregte. Ich war nach wie vor high vom Tramadol und fand nicht zu mir. Der Schmerz übermannte mich, und ich bekam Angst. Die Hebamme schickte mich in die Badewanne und verließ den Raum. Nach ein paar Minuten wurden die Wehen in der Wanne so unglaublich überwältigend, dass ich panisch wurde und zu weinen begann. Ich flehte meinen Mann an, sofort die Hebamme zu holen, die mir ein stärkeres Medikament geben sollte. Ich war nicht imstande, meine eingeübten Atemübungen zu machen – ja, nicht einmal fähig, mich an sie zu erinnern.

Die Hebamme erlöste mich in gewisser Weise. Sie schloss mich an ein Schmerzmittel an, das ich mir per Infusionspumpe selbst verabreichen konnte. Das Medikament heißt Remifentanil und gehört ebenfalls zur Gruppe der Opiate. Es wird nur in wenigen Spitälern während der Geburt verwendet. Die Krankenhäuser bewerben dieses Medikament unter dem Namen „Happy Button“.

Doch der Button machte mich nicht happy. Vielmehr schoss mich das Opiat ins All. Von außen muss ich wie halbtot ausgesehen haben. Mein Mann klopfte mir immer wieder auf die Brust und sagte: „Nadja, vergiss nicht zu atmen. Hallo! Nadja, atmen!“ Ich bekam von alldem nichts mehr mit. Während mein Körper von sich aus jede Wehe meisterte, schoss mein Geist zwischen fernen Sternen hindurch, wanderte durch unbekannte Galaxien. Mein Bewusstsein war ausgeschaltet. Einmal sagte ich etwas zu meinem Mann, was mir wichtig erschien: „Wir dürfen nicht vergessen, den Fischern ihren Anker mitzubringen!“ Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich glaubte, zum Stuhlgang aufs Klo zu müssen. Das war etwa vier Stunden später.

Solange das Kind durch die Nabelschnur mit Sauerstoff versorgt wird, besteht für es durch das Medikament Remifentanil keine Gefahr. Wenn es aber abgenabelt ist, muss das Medikament abgebaut sein, sonst droht eine Atemdepression. Also wird der „Happy Button“ etwa eine halbe Stunde vor der eigentlichen Geburt des Kindes abgeschaltet. Für mich bedeutete dies: ein Erwachen in die Presswehen. Ich wusste nicht, was mit mir geschehen war. Ich wusste nur, dass hier etwas gewaltig schiefgelaufen war. Dass ich noch vor Minuten in einer anderen Welt geschwebt hatte und nun von mir erwartet wurde, mein Kind durch meine Yoni zu pressen. Ich hatte irrsinnigen Pressdrang. Allerdings hatte ich kein Gespür mehr für mich oder meinen Körper. So presste ich wie eine Wahnsinnige auch neben den Wehen, immer noch komplett beduselt und im Schock.

Und dann war mein Kind da. Dass ich genäht wurde, merkte ich nicht mal mehr. Ich sah nur mein wunderschönes Kind an und war unendlich froh, dass ich es geschafft hatte.

Die ersten Wochen waren hart. Das Stillen war das Einzige, was gut klappte. Ansonsten war mein Sohn enorm unruhig, schlief schlecht, ließ sich kaum beruhigen, und ich war ein Schatten meiner selbst. Nach sechs Wochen – ich hatte noch immer Schmerzen im Dammbereich – stellte meine Gynäkologin fest, dass man mich im Spital falsch zusammengenäht hatte. Ich musste die Dammnaht also noch einmal öffnen und neu zunähen lassen. Ich weiß nicht mehr, wie ich die ersten sechs Monate überstand. Immer wieder dachte ich: „Das ist normal. Ein Baby zu haben, ist nun mal hart.“ Ich hatte eine immense Schlafstörung entwickelt, fand tagsüber nie und nachts nur noch stundenweise zur Ruhe, auch wenn mein Mann sich um unser Kind kümmerte. Heute weiß ich: Hätte ich eine Doula gehabt, hätte sie mich längst zur Aufarbeitung meiner Niederkunft geschickt.

Erst sechs Monate später und nach fünf schlaflosen Nächten in Folge ging ich zum Arzt. Dieser diagnostizierte bei mir eine Autoimmunkrankheit, einen Morbus Basedow, der sehr wahrscheinlich durch „ein stressiges Event“ ausgelöst worden sei. Erst jetzt bekam ich Hilfe in Form von Medikamenten, die die Symptome behandeln sollten, sowie Psychotherapie. Mir wurde aber bald bewusst: Wenn ich wirklich heilen wollte, musste ich das ganzheitlich angehen. Mein inneres Selbst wusste, dass ich diese Heilung im Yoga finden würde. Dieser inneren Stimme folgte ich.

Und so schrieb ich mich wieder in einem Yogastudio ein und verschlang jedes Buch, das ich über Yoga und Meditation in die Finger bekam. So stolperte ich bald über Yoga-Nidra. Als ich das erste Mal bewusst Yoga-Nidra praktizierte, sank ich wieder in diesen wunderbaren Zustand – in diese Tiefe, in diesen inneren Raum –, in dem ich Monate zuvor einfach gewusst hatte, schwanger zu sein. Dieses Mal aber wusste ich, dass hier der Weg meiner Heilung begann.

Meine Krankheit verschwand nach einem Dreivierteljahr. Ärzte bezeichnen mich heute als schubfrei, ich selbst weiß aber, dass ich gesund bleibe, solange ich den Weg gehe, den mir diese innere Stimme weist.

Einzig die Schlafstörung hielt sich hartnäckiger, aber dank Yoga-Nidra konnte ich schlaflose Nächte so weit kompensieren, dass ich durchhielt. Auch mein Sohn schlief, bis er eineinhalb Jahre alt war, nicht mehr als drei Stunden am Stück.

Alles veränderte sich, als ich mit ihm gemeinsam zu einer Naturärztin ging. Sie unterstützte uns mit Craniosacral-Therapie und löste bei meinem Sohn das Geburtstrauma auf. Ich werde nie vergessen, wie wir in der Praxis auf einer Matratze am Boden saßen und die Ärztin meinem schreienden Sohn immer wieder sanft erklärte: „Deine Mama hätte sich auch eine andere Geburt gewünscht. Sie wäre gerne so für dich da gewesen, wie du es gebraucht hättest.“ Mein Kind schrie, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Es war ein verzweifeltes Schreien, ein Urschmerz, ein Verarbeiten in aller Tiefe. Ich weinte mit. Und wir heilten. Schon zwei Wochen später schlief er durch, und ich konnte meine Schlafmedikamente absetzen.

Alles in allem war diese Zeit die wohl härteste meines Lebens. Ich weiß heute, dass sehr viele dieser unglücklichen Umstände hätten vermieden werden können. Trotzdem bin ich für diese Erlebnisse dankbar, denn sie haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ohne mein Kind hätte ich kaum damit begonnen, mein Leben so tief zu hinterfragen und drastisch zu ändern. Mein Sohn war der Prozessbeschleuniger, der mich zu meiner wahren Bestimmung brachte. Ohne das Leid, das mich dazu zwang, eine neue Richtung einzuschlagen, wäre ich wohl kaum Doula geworden und hätte meinen Weg als Schülerin des Yoga verpasst. Ich bin dem Universum dafür dankbar, dass es mich an diesen Punkt geführt hat, an dem ich es mir zur Aufgabe machte, Frauen dabei zu unterstützen, eine selbstbestimmte und für sie richtige Geburt zu erleben – ohne Übergriffe, Angst und Leid.

Dein Baby und du habt den bestmöglichen Start verdient.

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