DER ENIGMA-VIRUS

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DER ENIGMA-VIRUS
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Der Enigma-Virus
Nick Thacker

übersetzt von Tina Lohse

This Translation is published by arrangement with Nick Thacker.

Title: THE ENIGMA STRAIN. All rights reserved. First Published by Turtleshell Press, 2014.

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

Impressum

Deutsche Erstausgabe

Originaltitel: THE ENIGMA STRAIN

Copyright Gesamtausgabe © 2020 LUZIFER-Verlag

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Übersetzung: Tina Lohse

Lektorat: Astrid Pfister

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2020) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-522-4

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Der Enigma-Virus

Impressum

Prolog

Prolog II

Prolog III

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Über den Autor

Prolog

Alexei-Expedition

Nordwestterritorium, Kanada

1704

Das Geräusch eines weiteren explodierenden Baumes ließ Nikolai Alexei vor Schreck zusammenfahren.

Er hörte die Männer hinter sich kichern, machte sich aber nicht die Mühe, sie zurechtzuweisen. Es war die Zeit nicht wert, und abgesehen davon zeugte es nicht unbedingt von guten Führungsqualitäten, solche Belanglosigkeiten anzusprechen. Sein Vater hatte ihm diese eigenartigen Vorkommnisse während eines Jagdausflugs erklärt, als er ein Junge gewesen war. Der Baumsaft in den Kiefernstämmen dehnte sich aus, wenn er gefror, und brachte die Rinde irgendwann zum Platzen. Er hatte nachts oft wach gelegen und die krachenden Explosionen gezählt, die durch die Wälder um ihre Jagdhütte herum ertönt waren. Er kannte das Geräusch deshalb gut und doch erschreckte er sich jedes Mal, wenn es passierte.

Er murrte vor sich hin und setzte seinen Marsch durch den knietiefen Schnee fort.

Ihm gefiel dieses Land, denn es erinnerte ihn an seine Heimat. Die schier endlosen tiefen schwarzen Wälder, bewohnt von denselben Tieren, die er zu jagen gewohnt war … die gleichen Bäume, die er früher erklommen hatte, und dieselbe bittere Kälte, nach der er sich gesehnt hatte, mit einer frischen Decke aus Schnee, dick genug, um ein Pferd aufzuhalten. Auch der Geruch war derselbe … die saftigen, immergrünen Bäume und die frische eisige Luft. In diesen Wäldern fühlte er sich wesentlich wohler als all seine Männer, mit Ausnahme von Lev.

 

Dennoch frustrierte ihn ihr Gelächter. Nicht so sehr wegen ihrer Aufmüpfigkeit, sondern mehr aufgrund ihrer Faulheit. Seit drei Monaten zogen sie nun schon über Berge und durch Täler so hoch und so tief, dass er irgendwann nicht mehr daran geglaubt hatte, die andere Seite mit allen Männern lebend zu erreichen. Sie hatten Tundra, Plateaus und Sumpfgebiete durchquert, und all das, ohne einen Mann zu verlieren. Ihre Jagdabstecher waren stets erfolgreich gewesen und die meisten Abende hatten um ein großes Lagerfeuer herum geendet, mit einem Reh, das am Spieß brutzelte. Zum Frühstück gab es stets heiße Suppe und unterwegs aßen sie Räucherfleisch-Streifen.

Nikolai musste zugeben, dass dies eine seiner erfolgreicheren Expeditionen war, und er wusste, dass Gott in diesem neuen Land auf sie herablächelte. Er wusste aber auch, dass es sie schwach machte und sie verweichlichte. Sie waren fett und träge geworden und mit jedem neuen Tag wurde die täglich bewältigte Strecke kürzer. Ihre Energie und Begeisterung waren einer Ruhelosigkeit gewichen, die ihre Geschichten und Gedichte um das Feuer herum zu lustlosen Liedern gewandelt hatte.

Ohne sich umzudrehen, rief Nikolai: »Doktor?«

Ein kleiner, dünner Mann kämpfte sich durch den Schnee, um aufzuholen, denn Nikolai verlangsamte seine Schritte nicht. »Sobald wir eine Lichtung finden, werden wir ein Lager aufschlagen. Der Fluss liegt im Norden, dort können wir fischen, so lange wir wollen.«

»Teilen Sie die Männer in Zweier- und Dreiergruppen auf«, befahl Nikolai. »Ich werde sie am Morgen losschicken, um die Gegend zu kartografieren. Den Kosaken wird die Abwechslung guttun und ich selbst werde allein einen Ausflug unternehmen.«

Nikolai war ein Mann des Wortes; ein Mann von Integrität. Er hatte dem Zaren eine Karte des wilden Terrains von Nordamerika versprochen und er war fest entschlossen, diese auch zu liefern. Seine Expedition war allerdings zunehmend stumpfsinnig geworden, und deshalb war es an der Zeit, ihr neues Leben einzuhauchen.

»Also wollen Sie in dieser Gegend allein herumwandern?«, fragte der Doktor besorgt.

Nikolai lachte. »Ich werde aufpassen, mich nicht im Nebel zu verirren, falls Sie darauf anspielen. Manchmal muss ein Mann auch mal allein umherziehen, mein Freund. Aber seien Sie versichert, dass wir uns in drei Tagen wieder zusammenfinden werden.«

Der Doktor nickte und fiel hinter seinem Anführer zurück. Nikolai war sich nicht sicher, ob sein Plan ihnen guttun oder sie alle gefährden würde, aber er war bereit, dieses Risiko einzugehen, denn bisher hatten sie nichts von Nutzen gefunden; nichts, was das Mutterland in Anspruch hätte nehmen wollen. Kartografierung war zwar ihre offizielle Mission, aber er machte sich nichts vor. In kleinen Gruppen könnten sie größere Gebiete abdecken, als wenn sie in der großen Gruppe weiterwanderten.

Bisher hatten sie den großen Fluss nördlich von ihnen den ganzen Weg vom Meer aus verfolgt, denn sie wussten, dass jeder Fluss irgendwo entsprang. Ob dies nun ein See zwischen den Bergspitzen oder ein schmelzender Gletscher war, wusste er allerdings nicht.

Es war ihm ehrlich gesagt aber auch gleich.

Nikolai Alexei war allein aus einem einzigen Grund hier: Sein Heimatland war auf der Suche nach Reichtümern, genauso wie seine Männer. Alle Menschen sannen schließlich nach mehr, als Gott ihnen ursprünglich gegeben hatte. Es war eines Mannes Pflicht, nach dem zu streben, was ihm im Leben zustand, um im Leben nach dem Tode umso mehr Segenswünschen zuteil zu werden.

Dieses neue Land war nicht für seine Schätze bekannt, doch nur ein Narr würde glauben, dass die Spanier in der Lage gewesen waren, es zu bezwingen, als sie herkamen. Dieses Land war für Russen gemacht, denn nur sie verstanden seine raue Natur. Das große Unbekannte, das Nikolai schon immer so sehr angezogen hatte, war eine Gelegenheit gewesen, die er sich nicht hatte entgehen lassen können.

Prolog II

Alexei-Expedition

Nordwestterritorium, Kanada

1704

Als der erste Stern am Himmel erschien, begannen die Männer, ihr Lager aufzuschlagen und nahe dem Flussufer Öltücher über ihre Zeltstangen zu werfen.

Sie waren viel zu langsam, stellte Nikolai missmutig fest. Nach den Anstrengungen der letzten Tage war das zwar nicht überraschend, aber er war dennoch unzufrieden. Es dauerte über eine Stunde, die zehn Zelte im Kreis aufzustellen und ein Feuer zu entfachen, aber weniger als zehn Minuten, bis sich die Männer darum versammelt hatten.

Bald darauf stieg der nahezu volle Mond empor. Ein gebratenes Reh und Kräutersuppe wurden zubereitet, und die Männer begannen zu singen.

Nikolai war es leid. Er stahl sich unbemerkt aus dem Lager und zog die Kapuze aus Elchleder über seinen Kopf. Der sibirische Yupik-Parka stammte aus einem der besten Tauschgeschäfte, die er je in seinem Leben gemacht hatte. Die bittere Kälte versuchte in sein Fleisch zu dringen, und der Wind drohte, sein Innerstes zu gefrieren, aber er bemerkte es gar nicht. Er strebte auf eine kleinere Lichtung zu, die sie zuvor gesehen hatten, an der ein Felsüberhang aus einer Bergwand hervortrat. Der Fluss, dem sie folgten, hatte das Tal, in dem sie sich befanden, vermutlich ausgehöhlt, und mit ein bisschen Glück gab es hier vielleicht ein paar interessante Gesteinsformationen.

Er erreichte nun die Lichtung und scheuchte dabei einen kleinen Biber auf, dessen Pelz eine feine Mütze abgeben würde, wenn er ausgewachsen wäre, und betrat eine grasbedeckte Fläche, um die Felszunge näher betrachten zu können. Es schien so, als ruhten die Felsbrocken um ein Loch im Boden herum, das ihn unwillkürlich anzog. Als er näherkam, konnte er selbst im dämmrigen Licht erkennen, dass er den Eingang einer kleinen Höhle gefunden hatte.

Er hatte zwar leider keine Lichtquelle dabei, schlüpfte aber dennoch hinein. Aber es hatte keinen Zweck, er konnte nicht viel erkennen.

Gleich morgen früh würde er mit einer Fackel und ein paar Männern zurückkehren. Denn diese Art von Höhle war der perfekte Unterschlupf für die eingeborenen Stämme, die diese Gegend ihr Zuhause nannten. Bisher waren ihnen allerdings noch keine dieser Menschen begegnet, deshalb wusste er nicht, ob die ansässigen Stämme, von denen er gehört hatte, auch entlang dieses Flusses lebten.

Ein Licht erschien jetzt plötzlich hinter ihm, flackernd und orange. Er konnte die Wärme der Flamme beinahe spüren, als sie näher kam.

»Nikolai?«, fragte eine leise Stimme. »Sind Sie das?«

Es war der Doktor, der ein wenig verunsichert klang.

»Ja, Doktor«, antwortete Nikolai. Er spürte, wie seine Begeisterung immer mehr zunahm. »Bringen Sie das Licht näher zu mir! Hier gibt es einen Ort, den ich mir unbedingt genauer ansehen will.«

Der Doktor stieß zu ihm und leuchtete mit der brennenden Fackel in die Höhle hinein.

An den Wänden befanden sich Dutzende von Malereien … Darstellungen tanzender Männer und Frauen um Lagerfeuer herum … auf der Jagd … und auch ihre Toten.

So viele Tote.

Ein besonders makabres Bild zeigte einen Mann und eine Frau, die mit überkreuzten Armen nebeneinander lagen. Sechs Kinder waren darunter verteilt, als hätte man sie in größeren zeitlichen Abständen nach und nach hinzugefügt.

Nikolai und der Doktor betrachteten die Malereien und versuchten ihre Bedeutung zu entschlüsseln. Manche Teile waren auch ausgekratzt oder übermalt worden, als hätte der Künstler zwischendurch seine Meinung geändert.

»Daraus werde ich nicht schlau. Sie, Sir?«

Nikolai antwortete nicht. Er nahm seinem Begleiter die Fackel aus der Hand und wagte sich noch tiefer in die Höhle hinein. Nach ein paar Schritten wurde die Decke höher und er konnte sich zu seiner vollen Größe aufrichten. Weitere Felsenbilder zierten die Wände links und rechts von ihm und nahe dem Boden waren Pfeile aufgemalt. Ein Stück entfernt führte die kleine Höhle nach links und endete schließlich in einer runden Kammer.

Er schwenkte die Fackel umher und suchte zunächst nach weiteren Öffnungen, damit er seinen Weg fortsetzen konnte. Da er nichts fand, hielt er die Flamme irgendwann tiefer. Knochen und Schädel, in allen vorstellbaren Größen, stapelten sich am Boden übereinander. Männer, Frauen und Kinder lagen nahe beieinander, vermutlich nach Familien angeordnet.

Davor entdeckte er mehrere Behälter aus Tierhäuten, verschlossen mit Deckeln aus Leder und Knochenstücken. Die Handwerksarbeit war äußerst bemerkenswert. Er bückte sich, um einen der Körbe aufzuheben. Er reichte dem Doktor die Fackel und betrachtete den Gegenstand in seiner Hand aufmerksam. An den Seiten und auf dem Deckel waren mehrere Zeichen und Symbole eingeprägt, die er nicht deuten konnte. Das Muster überzog den gesamten Korb und ließ kein Stück Leder ohne Verzierung.

»Wunderschön«, flüsterte er. Er versuchte den Deckel anzuheben, doch er saß zu fest, entweder absichtlich oder aufgrund seines hohen Alters. Nikolai probierte es erneut, dieses Mal etwas fester, und bemerkte, wie sich der Deckel langsam löste.

Der Korb sprang auf und Staub wirbelte daraus hervor. Er wedelte ihn beiseite und ließ den Deckel dann achtlos fallen.

Erst jetzt, wurde ihm bewusst, wie schwer der Korb eigentlich war. Er drehte das Gefäß herum und leerte den Inhalt auf dem Boden aus. Hunderte Silbermünzen prasselten herab und rollten durch den Dreck.

»Allmächtiger …«, rief der Doktor mit heiserer Stimme.

»Genau wegen so etwas sind wir hergekommen«, verkündete Nikolai. Er klaubte eine Handvoll Silbermünzen auf und hielt sie ins Licht. »Erkennen Sie diese Münzen?«

»Nein, solche habe ich noch nie zuvor gesehen.«

Jede der Münzen trug ein erstaunlich komplexes Bildnis, entweder von Hand gefertigt oder geprägt. Es zeigte die Büste eines eingeborenen Mannes und Nikolai konnte sogar seinen finsteren Blick erkennen. Der Mann war von etwas umgeben, das wie Flammen aussah … jede der Linien war sorgfältig bemessen und ausgeführt worden.

»Von der hiesigen Bevölkerung vielleicht?«, fragte der Doktor.

Nikolai schüttelte den Kopf. »Nein. Die Leute hier nutzen Muschelschalen als Zahlungsmittel und die meisten betreiben ganz normalen Tauschhandel. Das hier muss einen ganz anderen Ursprung haben.«

Er drehte die Münze in seiner Hand. Von der anderen Seite blickte ihn derselbe Mann finster an. Das Feuer fehlte jedoch, stattdessen wurde der Mann von Wirbeln umrahmt.

»Feuer auf der einen Seite, Wind auf der anderen«, flüsterte Nikolai. »Ein Gegensatz. Was soll das bloß bedeuten?«

»Was ist in den anderen Behältern?«, fragte der Doktor. Er bückte sich nach einem und versuchte ihn hochzuheben. Der Korb rutschte zwar eine Handbreit auf ihn zu, bewegte sich aber kein Stück in die Höhe. »Dieser hier ist deutlich schwerer, Sir«, sagte er.

Nikolai streckte den Arm aus und nahm den Deckel ab, dann stieß er das Gefäß mit seinem rechten Fuß um und sah, wie unzählige Silbermünzen hervorpurzelten, identisch zu der in seiner Hand.

»Doktor«, sagte er. »Holen Sie sofort die Männer her, und bringen Sie Taschen mit. Ich zähle hier mindestens zwanzig dieser Körbe.«

Der Doktor schüttelte aufgeregt den Kopf. »Vielleicht sogar mehr.«

»Falls jeder davon auch nur einen Teil von dem enthält, was in den ersten beiden ist, sollte das mehr als ausreichen, um unsere Heimkehr zu rechtfertigen, finden Sie nicht?«

Der Doktor lächelte.

Nikolai war nicht gierig, aber er fühlte unweigerlich Begeisterung in seiner Brust. Er würde diesen Schatz natürlich ohne Frage mit seinen Männern teilen, aber er musste erst einmal herausfinden, was sie da genau gefunden hatten. Er ging bis ans Ende der Kammer und befand sich nun direkt vor den Stapeln aus Knochen. Er beugte sich hinab und hob den Deckel des Korbs an, der ganz hinten stand.

Noch mehr Staub drang aus dem gerade geöffneten Behälter und er wedelte hektisch mit der Hand in der Luft umher. Dann hielt er die Fackel näher an die Öffnung des Korbes und sah hinein.

Er war leer.

Das war eigenartig. Er öffnete den Korb direkt daneben. Auch dieser war leer, abgesehen von ein paar Werkzeugen.

 

Er dachte kurz darüber nach, den Doktor zurückzurufen, entschied sich dann aber dagegen. Warum hatte man sie hier beigesetzt?, fragte er sich. Und warum hatte jemand einen fast leeren Korb als Tribut neben die Verstorbenen platziert?

Oder war ihm jemand zuvorgekommen und hatte die Körbe bereits geleert? Doch das alles ergab keinen Sinn. Denn jeder, der diese Höhle entdeckt hätte, hätte sie garantiert ihrer Schätze beraubt und nichts von Wert zurückgelassen, und außerdem hätten sie die Körbe bestimmt nicht wieder sorgfältig verschlossen. Diebe waren schließlich nicht für ihren Ordnungssinn bekannt.

Und doch waren diese beiden Körbe leer. Er hob noch einmal einen der Behälter hoch und drehte ihn vor seinen Augen hin und her. Er begutachtete die Kanten am Boden, die fest vernäht waren, woraufhin ein paar der Dinge im Inneren umherrutschten … mehrere kleine Pfeifen, eine Tonschale und einige Stöckchen und Steinchen.

Erst als er husten musste, fiel ihm auf, wie dicht der Staub in der Luft auf einmal geworden war. Mit wedelnden Händen trat er von der Grabstätte zurück. Er hustete erneut und spürte wie sich seine Lunge verkrampfte.

Er ging zurück in Richtung Ausgang, wo die Decke wieder niedriger wurde, und trat dann hinaus auf die Lichtung. Inzwischen war es vollkommen dunkel geworden und Tausende von Sternen leuchteten auf ihn herab. Nach Atem ringend, sank er auf die Knie. Er zwang sich, mehrmals tief Luft zu holen und seine Lunge zu öffnen. Er rutschte noch ein Stück vorwärts und rollte sich dann auf den Rücken in den Schnee.

Nikolai hatte Mühe, seine Gedanken zu ordnen, und schloss deshalb kurz die Augen.

Ich muss durchatmen. Bewusst und kontrolliert atmete er mehrmals tief ein und aus, bis er das Gefühl hatte, dass der Staub seinen Körper wieder verlassen hatte. Seine Atmung wurde nun wieder normal.

In diesem Moment hörte er die stapfenden Schritte der Männer, die sich der Lichtung näherten. Er stand auf und klopfte sich den Schnee vom Rücken, dann hob er den Kopf und ging den Männern entgegen. »Habt ihr die Taschen mitgebracht?«

»Jawohl, Sir. Wo ist die Höhle?« Die Stimme gehörte Lev, dem riesigen Bären von einem Mann, der jetzt als Erster aus dem Wald stapfte. Seine Augen waren weit aufgerissen und sein heftiger Atem stieß sichtbar aus Mund und Nase hervor. Die Narben auf seinem Gesicht und Körper sprachen von einem harten Leben als Soldat und Waldläufer im Dienste seines Heimatlandes.

Nikolai genoss dessen Gesellschaft stets und vertraute auf dessen Fähigkeiten als passionierter Naturforscher, da er ebenso bewandert war wie er selbst.

Nikolai wies auf den Eingang. Die Gruppe, die aus fünfzehn Männern bestand, lief hinein und kam kurz darauf mit prall gefüllten Taschen wieder zum Vorschein. Das Unterfangen dauerte nur eine halbe Stunde und anschließend versammelten sich alle vor Nikolai auf der Lichtung. Nur vier der Körbe waren leer gewesen, einschließlich der zwei, die Nikolai gefunden hatte.

Falls die Männer vorher schon ausgelassen gewesen waren, waren sie nun wie berauscht vor Freude. Sie wussten, dass ihr Anführer ein gerechter und ehrlicher Mann war und jeder von ihnen einen gehörigen Anteil an ihrer Entdeckung bekommen würde. Der beste Kartograf unter ihnen, Roruk, machte nun Aufzeichnungen in einem kleinen Notizbuch, das er aus seiner Tasche geholt hatte. Er verzeichnete dabei die Größe der Lichtung, wofür er seine Schritte zählte und skizzierte dann alles in seinem Buch.

Als er fertig war, nickte er Nikolai zu und sie alle kehrten zu ihrem Lager zurück.

»Morgen reisen wir ab«, verkündete Nikolai, als die anderen Männer sich um ihn herum versammelt hatten. »Wir haben nun zu viel Gewicht bei uns, um die Expedition fortzuführen, und mit den Vorräten, die wir noch dazu transportieren müssen, wird es schon schwer genug.«

Jubel brach um das Lagerfeuer herum aus und die Männer begannen nun zu singen. Nikolai wunderte sich, dass die Männer ohne Zuhilfenahme von Alkohol so fröhlich sein konnten, aber er konnte ihnen ihre ausgelassene Stimmung nicht verübeln.

Wortlos entfernte er sich von Lev und dem Doktor und betrat sein Zelt. Als Leiter der Expedition musste er es mit niemandem teilen und er genoss dieses Privileg sehr. Er legte seinen Mantel ab und machte es sich auf seiner Pritsche gemütlich.

Der Lärm um das Feuer herum wuchs immer mehr an, aber Nikolai nahm es kaum wahr. Er fühlte sich, als stünde sein kompletter Geist in Flammen und als würde sein Kopf über einen Topf kochenden Wassers gehalten. Er begann zu schwitzen und seine Hände und Arme fingen an zu jucken. Nikolai konnte das brennende Gefühl irgendwann kaum noch ertragen und erwägte den Doktor um Hilfe zu bitten, doch bevor ihm das gelang, fiel er in einen willkommenen und tiefen Schlaf.