Wer's glaubt, wird selig ... Wer's nicht glaubt, kommt auch in den Himmel

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3. Autonomie in gebrochener Vielfalt

Alexander Schimmel hat in seiner Untersuchung den sehr ausgeprägten Autonomieanspruch von Jugendlichen, verbunden mit der Abwehr von Vereinnahmung und Fremdbestimmung vor allem im Bereich des persönlichen Glaubens und der eigenen Religiosität, unterstrichen.16 Hier begegnen offensichtlich auch keine Ängste mehr gegenüber kirchlichen Autoritäten bzw. gegenüber Gott. Vielmehr zeigt sich ein nicht ausschließender und unideologischer Umgang mit religiösen Fragen, verwurzelt in den je persönlichen Biographien, die zwischen den Menschen und Gruppierungen zugleich als religiöse Pluralität erlebt und in Gleichwertigkeit zugestanden werden.

Längst gilt auch für ältere Menschen: „Die Verlagerung der kirchlichen Innen-Außen-Grenze in die Biographie des Individuums und die zunehmend wahrnehmbare Pluralität von Deutungsangeboten lassen die Rede von einem ‚festen Glauben‘ zu einer unrealisierbaren und letztlich unerreichbaren Option werden.“17

Renate Wieser hat hinsichtlich katholisch sozialisierter alter Frauen das Bild gründlich zerbrochen, dass diese glauben würden, was ihnen zu glauben vorgegeben wurde: Theologie und Kirche „haben nicht bemerkt, dass ihnen viele ältere und alte Frauen längst schon den Rücken gekehrt haben, und sich kaum darum gekümmert, was diejenigen, die so selbstverständlich noch da sind … wirklich brauchen würden.“ Theologie und Kirche „haben sich mit den alten Frauen gerade nicht auf die Suche nach einem pluralitätstauglichen Glauben gemacht, haben nicht nach ihrem Überlebensglauben gefragt und auch nicht nach ihren Erlösungshoffnungen“. Der kirchlich vermittelte Glaube wird als „leere“ Kommunikation erlebt, die im Ernstfall nicht trägt. Denn tatsächlich gilt: „Kontingent, mehrdeutig, unentschieden, plural, ungleichzeitig, ambivalent, jenseits von klaren und sauberen Grenzziehungen – mit Bezeichnungen wie diesen lässt sich die alltägliche Wirklichkeit von Frauen beschreiben, die in einem Jahrhundert älter und alt wurden, in dem sich so viel änderte, dass kaum mehr ein Stein auf dem anderen blieb.“18

Wo Menschen einen bedrückenden Glauben erleben, gilt das, was Tilman Moser schreibt: „Vor allem viele ältere Frauen hätten, im Glauben an eine solche christliche Botschaft, ihr Leben in Enge und Aufopferung verbracht, und da stieße der Pfarrer auf viel untergründigen, aufgestauten Zorn, berechtigte Bitterkeit und heftige Trauer um das unter solchen Imperativen versäumte Leben, das nun nicht mehr zurückzuholen sei.“19 So gibt es offensichtlich bei gar nicht wenigen älteren Menschen jenes Betrugsgefühl, dass sie auch im Bereich ihres Glaubens um wichtige Möglichkeiten ihres Lebens gebracht wurden.20 Was ist das für ein Glaube, der derart Leben stranguliert? Und wie müsste er sein, dass er dies nicht mehr tut? Wieser nennt dies in den Frauenbiographien den Topos des „ungelebten Lebens“, das viele Gründe hat, unter denen allerdings leider ein Grund seine verschärfende Dynamik entwickelt, nämlich die Kontexte von Glaube und Kirche.21 So stellen sich die Frauen „gegen eine Theologie und Kirche, die nicht mit der eigenen Einsamkeit, dem eigenen Scheitern, der eigenen Ohnmacht, der Nicht-Erfahrbarkeit Gottes rechnet und fordern … eine Karsamstags-Theologie, in der dem Tag der Tiefe, der Unterwelt und der Verlassenheit zwischen der Kreuzigung und der Auferstehung die ihm zustehende Bedeutung eingeräumt wird.“22

Alte katholisch sozialisierte Frauen erleben auch, dass der Glaube angesichts des Leidens in der Welt und des Leidens, das sie selbst wahrgenommen und erlebt haben, keinen Sinn stiftet und keine Antwort gibt. „Das Leid begegnet als die Durchkreuzung aller herrschenden sinnstiftenden Diskurse schlechthin – denn in der Sinnlosigkeit des Leidens offenbart sich die Grenze aller Erklärungsmuster.“23

Es gibt eben keine Erklärung für das Leiden der Menschen und auch die Vorstellung, dass Gott selber dieses Leiden in Christus erlitten hat, verkleinert nicht die Sinnlosigkeit des Leidens, sondern verschärft sie bis ins Unendliche, bis in die wohl nur in Gott aushaltbare Differenz zwischen dem am Kreuz klagenden Christus und jenem Anteil in Gott, der als „Gott Vater“ für alles verantwortlich ist.24

4. Bedeutung des Lebens?

Und dann gibt es viele Menschen, die sagen können, dass sie Gott und Glaube nicht brauchen, entweder weil sie beides nie anders kannten und nie vermisst haben oder aus den Enttäuschungen heraus, dass beides ohnehin nichts hilft, nichts bringt und für nichts wirklich zu gebrauchen ist. Es wird sich im Folgenden zeigen, dass sie mit dem Nichtbrauchenkönnen und -müssen gar nicht so unrecht haben.

Heutzutage kommt Menschen aber nicht nur die Bedeutung des Glaubens abhanden, sondern leider auch die Bedeutung des Lebens, bis hinein in einen sich offensichtlich ausweitenden Bedeutungsverlust sogar hinsichtlich der Selbstwertigkeit des Lebens. Janne Teller ist hier in ihrem Jugendroman „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ erschreckend deutlich: „Das Ganze ist nichts weiter als ein Spiel, das nur darauf hinausläuft, so zu tun, als ob – und eben genau dabei der Beste zu sein.“25 Und weil dies so ist, verlässt ein Schüler die 7. Klasse und setzt sich auf einen Pflaumenbaum. „Alles ist egal … Denn alles fängt nur an, um aufzuhören. In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben. Und so ist es mit allem … Das Leben ist die Mühe überhaupt nicht wert.“ Und: „Nichts bedeutet irgendetwas … Das weiß ich schon lange. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun.“26 Und: „In wenigen Jahren seid Ihr alle tot und vergessen und nichts, also könnt ihr genauso gut sofort damit anfangen, euch darin zu üben.“27 Und: „Ich sitze im Nichts. Und lieber im Nichts sitzen als in etwas, was nichts ist!“28

Eine solche Übung führt zur Apathie: „Wenn es etwas gibt, über das es sich lohnt sauer zu werden, gibt es auch etwas, worüber es sich lohnt, sich zu freuen. Wenn es etwas gibt, über das es sich lohnt zu freuen, gibt es auch etwas, was etwas bedeutet. Aber das gibt es nicht!“29 Die anderen jungen Menschen aus der Klasse wollen diesem Aussteiger aber beweisen, dass es Bedeutsames gibt.30 Und so fordern sie sich gegenseitig auf, die Symbole und auch die Wirklichkeiten dieser Bedeutung zu einem Berg der Bedeutung aufzutürmen. Es ist zum Teil erschütternd, was sie sich dabei gegenseitig abverlangen. Am Ende fallen der ganze Berg, das Sägewerk und der Aussteiger dem Feuer zum Opfer. Am Ende bleibt die Asche der Bedeutung, aber genau diese Asche wird jetzt von den Jugendlichen eingesammelt: „Ich habe immer noch die Streichholzschachtel der Asche vom Sägewerk und dem Berg aus Bedeutung. Dann und wann hole ich sie vor und schaue sie an. Und wenn ich vorsichtig die abgenutzte Pappschachtel öffne und auf die graue Asche blicke, bekomme ich dieses merkwürdige Gefühl im Bauch. Und selbst wenn ich nicht erklären kann, was das ist, weiß ich doch, dass es etwas ist, was Bedeutung hat. Und ich weiß, dass man mit der Bedeutung nicht spaßen soll.“31

Denn die Jugendlichen wissen: Wenn der Berg der Bedeutung nichts bedeutet, dann bleibt nichts übrig, weil dann nichts etwas bedeutet,32 dann ist auch das, was vom Berge übrig bleibt, die Asche, ohne Bedeutung.

Von Seiten des Glaubens kann man dieser Geschichte nicht antworthaft fordernd oder gar drohend begegnen, sondern nur solidarisch mitgehen und am Ende mitverweilen an der „Bedeutung“ verlorener Bedeutung, an dieser Asche, die am Ende doch etwas ist, was Bedeutung hat (vgl. Ijob 42,6).

Was ist bei all diesen hier nur vereinzelten Hinweisen und Spuren für die Zukunft des Glaubens religionskritisch in den Blick zu nehmen? Inwiefern begegnen in ihnen „Zeichen der Zeit“, die Entscheidendes zu „melden“ haben?

3. Gewalt im Glauben?
1. Allmächtig und gut?

In der christlichen Botschaft wird Gott die Allmacht zugesprochen, und sie wird auch nicht angesichts des Dilemmas abgesprochen: Wenn Gott allmächtig und gut ist, könnte er das Böse und das Leid verhindern; da Gotte es aber nicht tut, ist er entweder nicht allmächtig oder nicht gut. Im letzten Fall will Gott das Leid nicht verhindern und entpuppt sich dann als Satan, der allmächtig ist und als solcher alles geschaffen hat und ganz mit Absicht das Böse und das Leid mit hineingeschaffen hat, so dass alle Schöpfungen katastrophal zugrunde gehen und dieses Zugrundegehen zugleich auch ihr Schöpfungsziel ist. Will man aber daran festhalten, dass der allmächtige Gott zugleich ein guter Gott ist, dann muss es einen Grund, und zwar einen guten Grund, für das Böse und das Leid geben. Aber kann es das geben? Denn wenn der Grund zu „gut“ ist, also zu schnell beruhigt, dann täuscht er allzu leicht über den Tatbestand des Leidens und des Bösen hinweg.

In der Theologie hat man diesen guten Grund in der Freiheit der Menschen gefunden. Es muss kräftige Alternativen geben, zwischen denen sich Menschen entscheiden können, damit sie frei sind. Allerdings steht diese Freiheit unter dem Zwang, richtig zu entscheiden. Denn wer sich gegen das Gute und damit gegen den guten Gott entscheidet, fällt in die allerletzte Kombination von Bösem und Leid, in die Hölle zurück. Für Menschen, die sich gegen das Gute bzw. gegen Gott entscheiden, zeigt sich Gott angeblich als der vernichtende, der katastrophale Gott. So bindet man den richtigen Gebrauch der Freiheit an einen ganz bestimmten Gehorsam, der die Freiheit einschränkt. Mit der hintergründigen Drohung, dass die Ungehorsamen vom Heil Gottes wenig gestreift werden. Ist das ein guter Ausgang?

 

Der sozialpolitische Kampf um die Freiheit der Menschen ist, zumindest von seiner Absicht her, ein Kampf um eine gute Freiheit, um die Freiheit gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Das Pathos dieses Freiheitsbegriffs, der bereits die Wahl des Guten beinhaltet, kann also nicht auf den Freiheitsbegriff übertragen werden, der nicht die Wahl des Guten, sondern die Wahl zwischen Gut und Böse freigibt. Das Freiheitsargument ist zudem viel zu dünn, als dass es ernsthaft zur Verteidigung Gottes aufgerufen werden könnte. Wenn es stimmen sollte, dann müsste man annehmen, dass der Himmel, wo es diese Wahlmöglichkeit zwischen Gut und Böse nicht mehr gibt, ein Ort der Unfreiheit wäre. Und wenn es im Himmel eine neue Freiheit eigener Art geben würde, wäre die Frage, warum Gott diesen Himmel nicht von vornherein geschaffen hat, in einer Schöpfung ohne Leid, ohne das Böse und ohne den Tod. Außerdem: Im Erlebensfall des Leidens reicht das Freiheitsargument nicht aus, zu sagen: Gott lässt dies alles zu, weil ihm die Freiheit des Menschen wichtig ist. Man sage das einmal einem Menschen, der akut gefoltert wird. Der Erklärungswert des Freiheitsarguments erreicht nicht das Niveau dessen, was dieses Freiheitsexperiment Gottes mit den Menschen die Menschen (und im Christentum auch Gott) kostet.

Überhaupt ist es schon für sich ein Problem, wenn die Menschen sich einbilden, Gott verteidigen zu müssen.33 In der biblischen Klage wird Gott nicht entschuldigt, sondern beschuldigt. Gott gegenüber steht vielmehr die Doxologie (siehe unten Kap. 15) an, die betende Anerkennung der Gottheit Gottes, oft auch als dunkles Geheimnis über die Welt hinaus; und wenn es jene Klage ist, die Gott auch noch einmal in der Anklage durch den leidenden und auch den schuldigen Menschen Gott sein lässt, Gott größer sein lässt als das eigene Elend und die eigene Schuld34 und als solchen beansprucht und zur Rechenschaft zieht. Gott lieben heißt im Alten Bund auch das: sich der Gottheit aussetzen in dem Sinn, dass ihre göttliche Macht und Qualität anerkannt wird.

Die Bibel kennt kaum unwidersprochene Ursachenerklärungen für dieses Dilemma: Zwar gibt es die Vorstellung, dass erlittenes Leid mit vergangener Schuld (eigener oder der der Vorfahren) zu tun habe, aber diese Vorstellungen werden auch immer wieder aufgelöst und widerlegt, so dass man daraus keine generelle Einsicht machen kann. In der Bibel begegnet uns vielmehr das Bild des leidenden Gerechten, also gerade des Menschen, bei dem es in jeder Hinsicht unergründlich, unerklärbar und unbegründbar ist, warum er leiden muss. Und dann bleibt nichts anderes, als Gott die Frage entgegenzuschleudern und die Anklage, dass er, der in seiner Allmacht für alles verantwortlich ist, so im Stich lässt. Die Bedingung der Klage und der Anklage Gottes ist ja gerade, dass der Mensch noch an einen guten Gott glaubt, denn sonst könnte er ihn nicht in dieser Form – dass er die Not wenden möge – ins Gebet nehmen. Im Klagegebet kommt also die Beziehung zum allmächtigen Gott, der auch noch gut ist, und zum guten Gott, der auch noch allmächtig ist, in die Krise und wird darin ausgehalten. Heute fragen sich viele allerdings, warum man denn diese Spannung noch aushalten sollte, warum man nicht einen solchen Gott, möge er existieren oder nicht, lieber verabschieden müsste. Und zwar um des Menschen willen.

Die in Psalm 22 angesprochene Frage „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, die auch Jesus am Kreuz hinausschreit (vgl. Mk 15,34), bleibt also schmerzhaft offen und kann durch keine Erklärungsmätzchen in ihrer Radikalität eingeschränkt oder gar banalisiert werden. Lässt man sich überhaupt auf keine religiöse Hoffnung ein, dann ist diese Frage gar keine Frage, weil es keinen Adressaten gibt. Das atheistische Abwürgen der Warum-Frage erscheint mir nicht viel besser als das Abwürgen dieser Frage durch scheintheologische Erklärungsversuche. Wird dort die Evolution entschuldigt, so soll hier Gott entschuldigt werden. Beides wird dem, was Menschen erleiden, nicht gerecht.

Ein Teil der Religionen reagiert auf diese Problematik derart, dass sie das Problem über das Ende der Welt hinaus verlängern, nämlich in die Spaltung zwischen Himmel und Hölle. Dadurch wird Gottes angebliches Freiheitsprojekt mit der Vernichtung bzw. mit dem ewigen Leid und der ewigen Bosheit eines je nach Religion größeren oder kleineren Teils der Menschheit verbunden. Für diese Menschengruppe wird Gott zum Satan bzw. es gibt einen Satan neben dem „guten“ Gott, was in der Auswirkung auf das Gleiche hinausliefe.

2. Begrenzt gut?

Die vorfindbaren Spuren in der Schöpfung deuten auf einen zwiespältigen Gott hin, auf einen, der beides will, die Freude und das Leid, das Gute und das Böse. Die Reaktion der menschlichen Vernunft ist hier nicht von vorneherein festgelegt. Denn beides gibt es in der Schöpfung. In diesen Spuren liegt wenig Hoffnung, dass eine neue Welt, von dem gleichen Schöpfer geschaffen, sehr viel anders sein könnte. Religionen, die am Ende vom Heil aller Menschen ausgehen, bilden so etwas wie ein Gegenprojekt, weil sie auf einen Gott hoffen, der nur gut ist und Gutes will und dessen neue Welt tatsächlich ohne Böses und ohne Leid ist. Es ist ein unwahrscheinliches Projekt und muss deshalb mit viel Aufwand an Phantasie, Ästhetik, Symbolen und Kult erlebbar werden. Und oft bleiben die Religionen dabei selbst auf halbem Weg stehen, wenn sie den ungläubigen bzw. bösen Teil der Menschheit aus dem Gottesheil ausschließen (als gäbe es diese Anteile nicht auch in ihnen selbst). Natürlich muss man dann einen Gott voraussetzen, einen absichtsfähigen, also in analoger Weise personalen, denn vom Kosmos und von seiner Evolution kann nichts anderes als „stirb und werde und stirb“ erwartet werden.

Die Spuren dieser Welt sind also nicht so, dass Gott aus der Erfahrung dieser Spuren als radikale Güte gedacht werden müsse. Vielmehr ist, ohne die Güte dieser Welt gänzlich zu leugnen, die andere Seite genauso deutlich zu sehen, die viele, die sie erleben, ganz anders darüber denken lassen. Weder Natur noch Vernunft können hier einlinig für einen guten Gott beansprucht werden, wo es doch so viel Ungutes, Böses und am Ende immer die Vernichtung gibt. Und man muss wohl innerhalb der Theologie die Vorstellung aufgeben, die vor allem im Verhältnis von Glaube und Vernunft vorherrschend ist, dass eine „gesunde“ Vernunft und eine „gesunde“ Naturbetrachtung zum Glauben führe, während dann, konsequent, eine ungesunde Vernunft dies nicht täte. Vielmehr ist auch jene Vernunft nicht als „ungesund“ abzuwerten, die angesichts der Naturkatastrophen und der Katastrophen, die sich Menschen zufügen, nicht zu diesem Glauben an einen gütigen Gott führen. Hier ist die Theodizeefrage sehr ernst zu nehmen: Wer kann einen guten Gott zur Sprache bringen, wer kann Gott verkünden, wenn diese Verkündigung so gegenläufig zu vielen Erfahrungen steht?

Das kann der Mensch nie im eigenen Namen tun, sondern nur im Namen dieses Gottes selbst und auf seine Verantwortung, also auf der spirituellen Basis der Doxologie, nämlich Gott größer sein zu lassen als die eigene Not, die eigene Größe, die eigenen Grenzen, unendlich größer sein zu lassen und dieses Größerseinlassen zugleich mit der Qualität seiner Liebe zu identifizieren.

In der Bibel begegnen uns dazu jene Texte, die den Wandel von einem Gott, der das Leiden nicht beseitigt, zu Gott, die nicht anders kann, als es zu beseitigen, auch wenn es verschuldet ist, in eindrucksvollen Passagen zeigen: wo sich Gott im eigenen Herzen umwendet und allen Zorn und alle Vernichtungsabsicht in der eigenen Liebe auflöst. Ähnliches gilt für die Theologie des Kreuzes, am deutlichsten in der Vorstellung von der Sühne Christi am Kreuz für die Sünden der Menschen, so dass es nichts mehr gibt, was Gott einen Grund liefern könnte, das Heil der Menschen, und zwar aller Menschen, in Frage zu stellen. Jedenfalls ist das Strafen nicht Gottes letztes Wort. Bei ihm gibt es ein Darüberhinaus, nämlich dass es ihm selbst leidtut. Wie sehr seine Barmherzigkeit über seinen Zorn wegen der Untreue seines Volkes siegt, zeigt ein wunderschöner Text aus dem Alten Testament, bei dem Gottesboten Hosea (11,1–9), der Gott sprechen lässt:

Als Israel jung war, liebte ich es;

aus Ägypten rief ich mein Kind heraus.

Ich habe es laufen gelehrt, nahm sie auf meine Arme.

Doch sie haben nicht erkannt, dass ich sie heilte.

Mit Menschenbanden zog ich sie, mit Stricken der Liebe.

Und ich wurde für sie wie die, die einen Säugling an ihre

Wange heben.

Ich neigte mich zu ihm, gab ihm zu essen.

Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf.

Ich will meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken,

will Israel nicht verderben.

Denn ich bin Gott, nicht ein Mann.

Ich komme nicht mit Schrecken.

Die Erzählungen der Bibel kann man als eine nie aufgegebene Suche nach Gottvertrauen wahrnehmen. Religiöse Menschen sehnen sich danach, dass sie Gott wichtig sind. Viel wichtiger als die Frage, ob es Gott gibt, ist die Frage, wo, in welchem Ereignis Gott zu „finden“, besser zu erahnen ist: im Hass oder in der Liebe, im Leben oder in der Vernichtung? Ist es ein Gott, der grausam zuschaut, der ins Leben ruft, um es zu zerstören, sei es aus kalter Gleichgültigkeit, sei es aus heißer Lust am Leiden? Dann schon lieber das gottlose kalte Universum mit seiner diesbezüglich absichtslosen Evolution. Und wenn Gott liebt, liebt Gott dann nur ein wenig, nur unter ganz bestimmten Bedingungen, gewissermaßen wenn die Menschen brav sind?

Jedes Wenn-Dann kann die Einbruchstelle von Gewalt werden, wenn die Bedingungen und ihre Erfüllungen erzwungen sind. Wenn es ein Wenn-Dann des Glaubens für Liebe und Rettung gibt, besteht immer die Versuchung, Menschen mit Gewalt vor der göttlichen Vernichtung zu retten, wenn Religionen die Ordnungsmacht haben bis hin zu Todesurteilen für Menschen, die konvertieren. Die Geschichte zeigt, dass Menschen das Fürchten lernen und lehren, wenn fundamentalistische Kreise auch gesellschaftliche und staatliche Macht erhalten. Theokratische Herrschaftsformen gehören nicht nur der Vergangenheit an, sondern formieren sich auch heute in der religiösen Unterdrückung kleiner und großer Gesellschafts- und Lebensbereiche. Die Symbiose zwischen Gottes- und Menschenwerk ist perfekt: dem „Allmächtigen“ wird durch menschenverachtendes Menschenwerk Allmacht verschafft. Die Frage „Wer ist wie Gott?“ erweist sich von daher so aktuell wie eh und je. Und hierzulande mag die Dankbarkeit dafür umso größer werden, dass es – trotz ihres geschichtlichen Schattens – eine Aufklärung und Säkularisierung gegeben hat.