Das Grimmingtor

Mesaj mə
Müəllif:
0
Rəylər
Fraqment oxumaq
Oxunmuşu qeyd etmək
Şrift:Daha az АаDaha çox Аа

Unter einem ungeheuerlichen, brennroten Regendach spazierte sie zum Dreizipf und setzte sich an einen Ort, der von überhängendem Wacholder geschützt war. Die Sonnberger Bauern munkelten, als sie eben heimzu gingen.

»Ach Gott …«, sagten sie. »Der Schulmeister ist trübsinnig und wunderlich. Hiazt fangt sein Töchterl auch schon an.« Aber das rare Gehaben der Regina wurzelte nicht in Weltverachtung noch in allzu heftigem Wissensdurst. O nein! Sie freute sich nur unbändig über das Geheimnis und über die sichere Tatsach, daß sie binnen kurzer Weil ebenso gescheit sein werde wie der Matthäus, der prahlerische Lackel.

Sie wartete also ganz bitterlich wohl eine Stunde und noch mehr. Er kam nicht. Immer noch wartete sie, bedenkend, daß der Regen könne schuld sein; oder daß der Herr Vater ihn hab ins Gäu geschickt; oder daß die Frau Mutter keinen Verlaub gegeben.

Jedoch solches traf nicht zu. Der Matthäus hatte einfach darauf vergessen. Maßen er nämlich als Lehrbub in kein Wirtshaus durfte, war er in die Grafentaverne gegangen und saß nun im Stübchen des Blasius Stocker bei einer dottergelben Biersuppe. Er redete nicht viel. Das Regengetraschel und das geile Getränk sowie das einförmige Gerede des Bräuknechts machten ihn ganz matt. Er warf sich auf die Liegestatt und schlief schon.

Daheim aber suchte die Frau Mutter das rote Parapluie. Zuerst eigentlich suchte sie den Brotlaib. Und Lukas, welcher gar niemalen eine Gelegenheit ausließ, ihr beflissen in die Speiskammer nachzuhüpfen, Lukas sagte neunmal in einem Atem: »Teufel, halt die Pratzen weg, sonst kömmt der Engel und haut dich weg!«

Weil aber dies nicht half, meinte er gescheit, es werde ihn wohl die Rögerl wieder eingesperrt haben.

»So frag sie«, befahl die Stralzin.

»In einem solchen Sauwetter muß ich zum Dreizipf laufen?«

»Ja, wie denn?«

»Lernen tut sie halt mit dem Matthäus«, entfuhr es dem Buben. Wie nun die Frau Mutter kein Wort darauf sagte, erschrak er baß und stellte sich alsogleich grauenhaft deutlich die brüderlichen Fäuste und den Brennesselbuschen der Rögerl für. Die Stralzin war über den neuentdeckten Bildungstrieb wenig erfreut. Wenn sie eine eigene Tochter gehabt, so hätte sie nicht einmal dieser gestattet, am lieben Sonntag zu tändeln, wohlgemerkt in einem Alter, wo man ein Jüngferl schon anhalten muß, daß es die Leibwäsch selber flickt und daß es anfängt, zwei Dutzend schneeweiße Modelstrümpfe für das Heiratsgut zu stricken. Und nun gar ein armes Ziehkind! Es war aus der Weise, zumal durch diese nichtsnutzige Lernerei auch eine frühe Liebschaft sich entspinnen konnte.

Sie wurde immer zorniger, sprach heimlich zu sich selbst und suchte ausgerechnet ihr rotes Regendach. Und je länger sie’s nicht fand, um so verdächtiger kam ihr die Geschichte für. Sie warf urblitzlich ihren Schurz von sich, ließ alles liegen und stehn und ging im ärgsten Guß ohne Kopftuch und Schirm fort … Das enge Gäßchen zwischen Berghammüller und Engelharscht hinauf bis gegen das Loherhaus. Sie hatte die Augen fast zu, weil der Wind scharfe Tropfen daherpeitschte, und so bemerkte sie lange nicht, daß die Rögerl ihr entgegenstapfte.

Das Kind war sehr bedrückt; es hatte einen grünen Strumpf in der Hand, welcher schon abfärbte, und es trug das Parapluie so dicht überm Kopf, daß die eisernen Spreizchen an der Schläfe ordentlich weh taten. Ihr Kittel hatte einen breiten und nassen Saum, zum Erbarmen. Die Regina wußte im Augenblick nicht, sollte sie bleiben oder davonlaufen; bis ihr einfiel, daß sie den Schirm ohne jeden Verlaub mitgenommen und daß sie schuld sei, wenn die Mutter Stralzin sich verkühle. Da nahm sich das Kind einen Anrand und reichte ihn zaghaft hin.

Die Stralzin machte blinzelnd die Augen auf und sagte:

»Da gehst her!«

Alsdann drehte sie sich in ihrer ganzen Stattlichkeit um. Die Rögerl wurde noch trauriger, duckte sich tiefer und ging mit dem zunderroten Regenschirm gar weh- und demütig hinterdrein. Schon beim Egger Roßstall brach die Frau Mutter das grausige Schweigen.

»Das sind schöne Stückeln, Fratz du!« sagte sie über die Achsel. Die kleine Ziehtochter blieb mäuschenstill, beharrlich tropfte der Regen von der Sonntagsschürze; vielleicht daß auch ein Tränlein nieder auf die Gasse rann …

Beim Engelharscht stellte sich die Stralzin unter den vorspringenden Gang, schaute die Dirn von oben bis unten an und beutelte ihr die Kleider aus, daß es nur so spritzte. »Schad ums Gewand«, murrte sie endlich. Das Kind wollte ihr den Schirm wieder hinreichen und bat:

»Aber Frau Muatter!«

Doch Constantia Stralzin verspürte an sich die Nässe und das Unwetter nicht, und nur aus einer ganz unbewußten Gewohnheit raffte sie die weiten Röcke und trat von Stein zu Stein und räsonierte, bis sie nach Hause kamen.

»In der Kuchel«, sagte sie alsdann zur Stalldirn, zur Kellnerin und zum Fleischburschen, die einträchtig auf der Ofenbank saßen und plauderten, »in der Kuchel«, sagte sie, »kann ich hiazt niemand nit brauchen; fahrts ab!«

Das Mannsbild machte einen Brummler, und die Kellnerin stieß einen Kübel um.

»Ah so!« schimpfte die Frau Mutter, den Schurz bindend, »ah, da schau her! Därf eins im eigenen Haus nimmer anschaffen.« Und sie stellte sich vor die Dienstboten hin, donnerte sie zusammen.

»Hiazt wird’s mir zu dumm«, meinte der Fleischknecht. »Am kleinen Frauntag geh ich, daß Ihr’s wißt, Stralzin.«

Und die Dirn und die Kellnerin kündigten ihr auch.

»Gehts nur!« rief ihnen die Frau Mutter nach, »ist mir recht.«

Und wie nun die Dienstleut aus der Küche verschwunden waren, zog sich das Gewitter gegen die Ecke hin, wo die Rögerl armselig und erschrocken herstund. Die Frau Mutter schlug ihr nochmals den Kittel aus und lamentierte:

»Da hört sich alles auf. Schamst dich nit? Bist ein Schulmeistertöchterl und ziehst umeinander wie ein Zigeunermensch. Auf den Sunntag fangst mir einen Glockenzug an mit Kreuzelstich und Perlnähterei. Merk dir’s!«

Das Kind nickte steif und traurig und sinnierte, ob es wegen dem Regenparapluie oder wegen der Studi wär. Es sagte leise:

»I hab ja nit denkt, daß es gefehlt ist.«

»So?« sagte die Stralzin, durch die bittere Kümmernis solcher Worte ein wenig besänftigt, »aber hiazt weißt es, Rögerl. Tu mir nie Unrechtes nit, sonst müßt ich dich wegjagen … Du breder Nigel, du!«

Die Rögerl erschrak noch ärger. Sie dachte nicht so sehr darüber nach, was für ein Unrecht gemeint sei. Und wenn der liebe Gott, der Herr Pfarrer und die Mutter Stralzin auch hie und da eine Unterweisung zur Tugend gegeben, so hatte sie diese mit ihrem frühreifen Köpfchen wohl begriffen, doch ihr unschuldiges Herz war noch allzu jung und streifte mit sieben Schleiern daran vorüber. Sie dachte also nicht an die Sünde, sondern an die Straf, durch welche alle Herrlichkeit, nenne Kipfelkoch, Butterkrapfen, Bratel, eingesottene Zwetschken, ihr Bett mit der federweichen Hülle, die Spieluhr zum Aufziehen und alle Herrlichkeit konnte verlorengehen. Ihr wurde siedig heiß und eiskalt, und sie begann herzhaft zu weinen. Da verschluckte die Frau Mutter aufseufzend den weiteren Teil der gut überlegten Predigt, drehte sich gegen den Herd, schürte tüchtig das Restchen Glut auf der Feuerstell und rückte die Milchsuppe herzu, welche seit einer langen Weil unter dicken Hautschrümpfen abgekühlt war. Schließlich fiel ihr wiederum der Brotlaib ein, und sie frug, noch immer grollend, wo die Rögerl ihn hingetan habe. Allein wie die Stralzin aufhorchte, wurde sie einer recht merkwürdigen Stille gewahr, und indes sie sich nach dem Winkel umwandte, konnte sie dortselbst keine Regina mehr erblicken. Solches stimmte sie nachdenklich. Sie setzte sich breit zur hülzernen Herdbank, goß die Suppe in ein tönernes Schüsselchen, und während sie mit dem geschnitzten Beinlöffel vorsichtig umrührte, und während sie blies und kostete, wuchs ein schweres inniges Unbehagen von irgendwo in ihr Gemüt hinein.

»Ach, eine Suppen ohne Brocken …

Und ein Dirnlein ohne Docken …«

So sprach sie bei sich selbst, und es machte dieser unschuldige Reim auf ihre grade und einfache Hausfrauenseel immerhin Eindruck, wennschon man nicht feststellen kann, ob sie ihn irgendwo zusammengeklaubt oder im besagten Augenblick erdichtet hat. Sicher ist, daß die Mutter Stralzin weder früher noch später einen Hang zur Poesie gezeigt hat, daß aber jedesmal nach hitzigstem Zorn die bessere Einsicht erst zag, dann laut und lauter pochte, und daß sie im vorliegenden Fall erwog, wie die Rögerl blitzdumm und kindisch genug wäre, um den Matthäus für ein großmächtiges Spielzeug anzuschauen; welchem Unfug man mit Klugheit beikommen müsse. Und daß sie ferners erwog, wie alle Dienstleut heutigestags nichts mehr nutz wären, indem sie keine Lehren und Vorwürf und keinen wohlgemeinten christlichen Zuspruch mehr aushielten. Die Mutter Stralzin bedauerte es und nahm sich heilig für, nimmer so grob zu schimpfen, und wenn es schon nicht das erstemal gewesen, sollte es gewiß das letztemal sein; daß sie, so wahr und ehrlich sie gelobte, auch wieder fehlen werde, bedachte sie nicht. Es gehörte eben zum Sorgerischen Erbteil, daß die Wirtschaft und die Erziehung sie manches Mal aber schon gewaltig aus dem Häusel brachten, daß sie in Abwesenheit ihres Eheherrn die Leut nach Noten herunterkanzelte und diesem oder jenem einen Tiegel nachschmiß. Deswegen ist jedoch niemals ein Dienstbot vom Haus geschieden, und wann einer aufkündigte, so hatte dies sicher seinen gewichtigen Grund.

Langsam verging der Nachmittag. Die Kellnerin, mit ihrem flinken Mundwerk, erzählte es einem jeden, der durchs Vorhaus kam, daß die Frau Mutter den bösen Humor hab, und so getraute sich weder die Veitkramerin noch die Buglmüllerin oder sonst ein Weib zur Stralzin in den Heimgarten. Und das Regengeriesel am Fenster, das verglimmende Erlscheit und die vielen dicken Fliegen blieben ihre einzige Gesellschaft.

 

Dann … auf einmal krachte die Küchentür, und darin sich bückend, stapfte der Matthäus daher. Seine Augen waren noch klein und verschlafen; er pfiff eins, und das liebe närrische Glück tanzte wieder einmal darnach, ohne daß er’s wußte. Wär er nämlich beim ersten Ansturm gekommen, hätte er – sicher wie das Amen im Gebet – eine Dachtel erfangen. Nun aber blitzte nur noch schwach das letzte Wetterleuchten, und seine Mutter sagte fast sänftlich:

»Zeit ist’s, daß du heimkömmst.«

Der Bub gähnte, und die Stralzin meinte noch milder:

»Daß du auch nit gescheiter bist.«

Matthäus wollte sonach den Mund auftun und entgegnen: Was wird die Frau Muatter greinen wegen so einem Tröpferl Bier.

Aber es ist doch ein wundersam Ding, daß die Reden der Bauern sind wie die Wege. Die winden sich auch an Wiesenrand, an Bach und Berghang zu einer Keusche hinauf, zur andern hinunter. Und nur deswegen, weil die Leut so unendlich viel Zeit haben, und weil ihnen jedes Büschel Gras zu kostbar und jede Krume Ackererde zu heilig ist, als daß sie kreuz und quer darüberführen. Ja … daß die Reden sind wie die Wege … immer bedächtig an Saum und Baum vorbei. Denn öfter als ein Langsamer was versäumet, hat ein Eilender sich vergaloppiert.

Also der Matthäus wollte schon Antwort geben, als die Stralzin nahe herzutrat und sagte:

»Schau, ich mag’s nit leiden, daß du gar so zu der Rögerl haltst.«

Der Bub bekam ein recht dummes, erstauntes Gesicht. Sie hielt solches für Verstellung und wurde bös.

»Du!« sprach sie mit erhobenem Zeigefinger. »Bald ich euch zwei noch mal im Dreizipf oben sehen sollt, nachher wirst was erleben.«

Nun war er ganz baff. Er frug sich … wann … wann er im Obstgarten gewest. Und er gähnte, daß die Stralzin bis in den Hals, nein, beinahe bis ins Herz hinabsah. Dann setzte er sein Hütel auf und ging.

Er ging stockstumm in den Hof hinaus, und wie er immerfort verwundert hin und her studierte, trat Markus mit aufgestreiftem Hemdärmel aus dem Stall und sagte:

»Die Glockkuah hat sich blaht.«

Und Lukas schoß eilfertig an ihm vorbei, mit seiner hellen Stimm die Mutter rufend. Sie kam. Und nach und nach folgte ihr das ganze Hausgesind. Und alle standen sie um die arme Bergscheckin, welche sich überfressen hatte und sich mit gequollenem Leib im Miste wälzte und die vier Beine in Krämpfen von sich stieß.

Die paar Rinder, so zu dieser Jahreszeit daheim waren, schoben plärrend die breiten Kiefer, peitschten mit dem Schwanz die Bremsen ab und wetzten an der Kette. Die Säu hinter dem Verschlag grunzten in wahrem Höllspektakel zusammen. Und vom Heuboden schaute mit grünen Glaspupillen die Katz und achtete wohl der Schmerzen.

Oh, die Tiere sind nicht stumpf!

Ging Markus nur einen Schritt hintan, wie kläglich und bang glotzte das Kühel ihm nach. Fühlte sich in seiner Todesangst noch mehr verlassen. Der Bub ließ auch vorab niemand zuhelfen. Wie jedoch sein Kneten und Reiben nichts nutzte, rief er endlich das Viehmensch. Das räumte eben das fette Grünfutter aus den Trögen und murrte:

»So hat mich das Unglück auf keinem Platz nit verfolgt. Aber die Schuld därft man eher den Mannsleuten geben, was jedes Frühjahr so viel Dung verprassen, daß der Klee schon von der Wurzel aus fäulen und gären muß.«

»Es war gescheiter, wann die Scheckin das Maul offen hätt, statt deiner!« sagte Markus. Und den Knechten schaffte er, die Kuh zu halten, daß sie nicht mehr strampfen könne. Er selbst zwängte ihren Schädel zwischen die gespreizten Knie und packte die Hörner mit einem zähen Griff. So brachten ihr Lukas und Rögerl doch die Kiefer voneinander. Und Mutter Stralzin stopfte ein ergiebiges Quantum Rauchtabak und Kohlöl in den Schlund.

Sintemal sich aber der Zustand verschlechterte und das Tier selbst mit Gewalt nicht auf die Füße zu bringen war, schickte Frau Constantia zum Kurschmied; und Markus zählte indieweil schon die Rippen ab, die Stell suchend, wo nach seiner Ansicht mußte angestochen werden.

Plötzlich … stand eine im Tor, von niemand gerufen, von niemand gewünscht, die verschriene Mutter des Bäckenhansei. Gleich machte die Dirn ein heimliches Kreuz. Die Knechte drehten ihr den Buckel, und Matthäus, der bislang beim schwingenden Tor gelehnt und die Hände in den Hosensack gesteckt hatte, ermunterte sich aus seinem Schlafdusel und sagte grob:

»Brauchen dich nit! Kömmt eh der Zedler.«

Sie überhörte es. Schob sich ungebeten durch Herrenleut und Hausgesind und hielt der Kuh ein Salz für die Nase, das ähnlich wie Balsaminen roch. Und rücklings gehend, lockte sie das kranke Tier damit in den Hof. Alsdann gab sie das Wunderbröckel dem Markus und wispelte:

»Alleweil kreuzweis muaßt sie zarren. Und im Wegmittel laß sie schmecken und lecken beim Kern. Bald er gar ischt, schrumpft ihr das Wampel ein wie eine krowotische Leinwand.«

Und ehe ein Mensch danken konnte, sprach sie selber:

»Vergelt’s Gott! Und geseng’s Gott.«

Auf der Straße aber wandte sie sich noch einmal mißtrauisch zurück. Nahm hiebei wahr, daß Markus ernsthaft ihren Rat befolgte, während Matthäus groß und kommod am Stalltor lehnte und eins pfiff.

»Ja, ja, die Geschwistert«, sagte sie unheimlich lachend.

»Eins fallt auf die Ofenbank. Und das ander kriegt eine Himmelbettstatt völlig geschenkt … über Nacht wird’s zum Tauschen. Schmecks Kropfeter!«

Bei diesem Wort dachte Matthäus wie von ungefähr ans Tafelzimmer; an das Geheimnis mit der Rögerl und insbesonders an die lateinische Instruktion, welche er versprochen und nicht gehalten hatte.

Dies war eigentlich keine genügende Antwort auf mancherlei verzwickte Rätsel. Aber es war doch eine Antwort. Und da er weder zu Gründlichkeit noch Grübelei neigte, gab er sich damit zufrieden.

DER VERBOTENE DREIZIPF

Am nächsten Tag, in aller Frühe, hatte die Mutter Stralzin schon wieder ihren nüchternen, klaren, umsichtigen Lebenssinn, und der schöne und ersprießliche Vers vom Dirnlein und der Docke war ihr gänzlich entfallen.

Sie machte daher, kaum daß der Kramer seine eiserne Balkentür aufgesperrt hatte, einen Sprung über die Straße und kaufte anderthalb Ellen Straminband, etliche Strähne Berlinerwolle und eine Schachtel glührote Perlen für die Rosen, blaue für die Vergißmeinnicht, gelbe für die Tulpanen und grasgrüne, moosgrüne, schilffarbene, smaragdgrüne und kastanienbraune Perlen für Blätter aller Art.

Ob selbiger Glockenzug alsdann vor der Fleischbank aufgehängt werde oder vor der Gaststube? frug die Veitkramerin. Die Frau Mutter hatte in ihrem Eifer an dergleichen noch nicht gedacht und fühlte sich in Verlegenheit. Sie nahm statt irgendwelcher Antwort eine Prise Pfeffer vom Tiegel und roch daran. Ferner kostete sie mit dem benetzten Finger den Zimmetstaub.

Ob die Stickerei wohl ein Geschenk für den Stralzen werde? Er hab ja zu Andre seinen Namenstag.

»Ja, ja«, sagte die Frau Mutter, zu Andre habe er seinen Tag. Die Kramerin stellte Zimmetstaub und Pfeffer unter die Budel hinein und wollte soeben die War in ein Fetzlein Papier tun, als Mutter Stralzin das ganze Zeug mit jähem Handgriff in die Schürze wischte.

Die Rögerl würd es schon in ihrer Truhe säuberlich einräumen, meinte sie.

»Ah ja, die Rögerl«, entgegnete nun die Kramerin, um ein kleines gescheiter. Sie habe sich das wohl gedacht … Zween Gulden und fünfzig Kreuzer sei die Schuldigkeit … Stramin, Wolle und die scheckigen Perlen all zusammen. Ja. Und die Dirn würd es schon fein säuberlich ausnähen. Sie habe ja frische Augen im Kopfe, die blitzten wie Stern.

Mutter Stralzin griff in den Kittelsack und warf zwei Gulden und ein paar Sechser hin.

Die Buben im Dorf schielten ohnedem schon heimlich auf die Rögerl, behauptete die Veitin. Und es gäbe leider Gottes auch manches kopfschwache Mannsbild, so es ihnen nachmache. Der Michel Praßthofer, auf den die Rede gemünzt war, sagte von der Stehleiter herab gedankenvoll, es habe das Kind bei aller guten Pfleg doch eine schmale Statur; vielleicht ein Erbstück von der Schulmeisterin selig. Es brauche einer ja nur über den Bach zu schauen, so erinnere man sich, als sei’s eine Wochen her, an das ausgezehrte Frauenzimmer, was ihren sechs Hungervögeln hatte fortsterben müssen.

»Ja, ja«, meinte Mutter Stralzin und hielt schon die Türschnalle in der Hand. Da erblickte sie just hinter des Kramers gebräuntem Schädel ein blitzblaues Halstuch, mit seidenem Faden durchwirkt. Das kam ihr recht. Sie handelte nicht lang und griff abermals in ihren tiefen Kittelsack, und es war, als täte sie mit dem Geld auch ein Bätzlein Sorge aus ihrem guten Herzen, das allzu leicht überging. Die Veitkramerin frug nur noch weniges; nämlich sie frug, ob denn die Stralzin gestern marod gewesen, indem man sie nirgends nit gesehen hab; da fing sie die ganze Geschichte zu erzählen an, erstlich von hinten, alsdann von vorn, in genauen Einzelheiten aufregend und zugleich beschaulich, so daß der Kramer letzten Endes ganz steif in den Leitersprossen lehnte und sein Eheweib die runden Augen voll Wasser hatte, zumal sie den Wert der Tugend in reifen Jahren achten und mit Herbheit schätzen gelernt hatte.

Ja, die Mutter Stralzin stand, plauderte und plauderte, bis Pflicht und Arbeit sie zogen wie bleierne Gewichte an einem Uhrwerk. Sie ging mit großen, stattlichen Schritten über die Straße und, kaum im Hause, breitete sie auf dem Küchentisch die ganze scheckige Pracht gar lieblich her und rief der Rögerl. Nicht lange, so kam das Dirnlein angestapft und staunte sich die Augen aus. Und als die Frau Mutter ihr zuletzt das blaue Seidentüchlein in die Hand gab, oh, wie fing ihr das Herz zu pumpern an!

»Rögerl«, sagte die Stralzin, »ich hab dich fortgenummen von deiner Frau Mutter ihrer Totenbahr. Und darum muß ich schaun auf dich und Obacht geben. Ansonst möcht mir keine Freud vergunnt sein an meinen Kindern.«

Das Mädchen wußte nichts Rechtes darauf zu sagen, sie nickte nur und empfand einesteils einen armselig bittern Schmerz, dessen tiefste Ursache, steinkalten Schatten gleich, an ihrem Gedächtnis vorbeiwischte. Anderseits wurde sie durch die bescheidene Wichtigkeit, die man ihrer Person beimaß, zu Dankgefühlen entflammt. Und als die Stralzin sie nun zu braver Aufführung ermahnte, bußte Regina so inbrünstig den schweren goldenen Ehering, als täte sie ein Gelübde.

Noch am selben Tage brachte die gute Hausmutter auch die Sache mit den Dienstboten wieder in Ordnung, indem sie nämlich der Kellnerin drei Ellen Rupfen für eine Pfaid geschenkt und der Stalldirn ein Sonntagsfürtuch in den Koffer gelegt hat. Dem Fleischknecht aber schickte sie ein Endstrumm Butterwecken zur Jause, und er hat solches zu deuten gewußt.

Recht merkwürdig erging es dem Matthäus. Manchmal war er entschlossen, seine Brüder durchzuhauen, denn er traute ihnen schon zu, daß sie den Mund nicht gehalten hatten. Manchmal wieder dachte er, die Rögerl habe der Mutter etwas fürgelogen, aus lauter Zorn, weil er nicht in den Dreizipf gekommen war. Er wollte sie stellen. Dann schämte er sich, denn sie ging mit einem heiligen Gesicht herum und schaute nicht rechts und nicht links. Ganz klein wurde der Matthäus, wenn das Dirndel so schweigsam hantierte, und er dachte gegen alle Gewohnheit angestrengt, wie er wieder gutmachen könne. Und als sie just einen Kübel Saufutter in den Stall hinausschleppte, sah der Bub so mir nichts, dir nichts bei der Schlagbrucke heraus und frug mit glührotem Gesicht:

»Auf ’n Sunntag möchten wir wohl mit dem Lateinischen anheben, ist es dir recht?«

Das Dirndel aber schlug mit der ganzen Bravheit und allen guten Vorsätzen die lieben Augen hellauf und entgegnete:

»Na weiter! Ich mach hiazt einen Glockenzug!«

»So laßt es!« schrie er jähzornig und wichste die Tür zu.

Es verstrichen wiederum ein paar Tage. Die kleine Stralzendirn dachte immerfort an ihr blaues Tüchlein und an ihre Bravheit, und dem Matthäus wurde wind und wehe. Es war ein Glück, daß er und Markus am Abend gleich müde hinfielen vom strengen Handwerk, und daß der pfiffige Lukas mitsamt seinem schlechten Gewissen meistens in der freien Weid herumstrawanzte, sonst wären sich die drei Stralzenbuben von wegen des besagten Geheimnisses aber schon höllenmäßig in die Haar gefahren.

Am Freitag, dies ist der Tag, wo man nichts anfangen soll, zumal es keinen Bestand hat; am Freitag also konnte der Matthäus nicht anders, er holte vom Dachboden sein lateinisches Lernbuch, preßte es unter den fleckigen Brustlatz seines Schurzes und versteckte sich hinter der Fleischbanktür, bis die Rögerl mit dem Saufutter kam. Und als dieser Augenblick da war, räusperte er sich, trat herfür und sagte, grob das Buch hinreichend:

 

»So da, übermorgen nach der Litanei mußt bis Seiten fünf alles auswendig künnen wie den Katechis!«

Das Mägdlein stellte den Kübel nieder, faßte mit spitzen Fingern schier neugierig zu. Doch jählings funkelten ihre Augen auf, und sie rief trutzig:

»Du weißt es, ich hab nit Zeit!«

Der Matthäus Stralz wurde abermals rot. Seine Zähne schoben sich krachend vor Zorn; er packte das Dirndel am Handgelenk und sagte fibbernd:

»Himmelsakra, du muaßt! Dickschädel, du.«

»Au weh«, stöhnte die Rögerl bitterlich entsetzt. Da ließ er ihre kleinen zerschundenen Glieder los, schmiß das Buch gegen die Mauer und ging.

Das Mädchen war itzt in grausiger Verlegenheit. Indem ein sündteures und gelehrsames Büchel nicht im Vorhaus liegenbleiben durft, so versuchte sie vorerst es einzusackeln. Aber der Schlitz war zu klein, und der Zeug war zu schleißig und hätte einer solchen Belastung nimmer standgehalten. Die Fensterbank erschien ihr zu unsicher, und der Hackstock hinterm Tore war nicht sauber genug. Da wußte sie keinen Rat. Sie hob den Deckel der Kleibentruhe … Und augenblicks war das Stückel admontischer Schulweisheit hinabgepascht.

Damit hatte die Geschichte keineswegs ihr Ende. Denn Regina schlich an diesem Tag sicher ein dutzendmal daran vorbei und schaute heimlich, ob das Buch etwa schon verschwunden wär. Und abends, als kein Knecht und keine Dirn mehr im Hause ging, als die Stralzensöhne wie drei schwere Bloch in ihrer Bettstatt lagen, als selbst die Frau Mutter nirgends mehr zu sehen war, da schlich die Rögerl in ihrem Unterkittel die zwei Stiegen hinab und holte das Buch.

Es gloste und glimmte eine helle Augustnacht. Gelbliche Dämmerung blinkte vor allen Fenstern, und das Kind, das beim Hinaufsteigen die Seiten überschlug, konnte hie und da Worte deutlich lesen. Oben in ihrer winzigen Dachkammer war noch der Widerschein von Wolken und Bergglühen. Der Geruch des Wassers schwebte die Mauern entlang. Die vielen grünen Obstbäume bargen ein Geschwirr von lebensheißen Tierlein. So fein und fröhlich sang die ganze Natur vor dem offenen Fenster. Und Regina saß da … hatte den Kopf tiefsinnig in die Hände gestützt und lernte wie ein braver Papagei die ersten fünf Seiten. Sie lernte Kraut und Rüben, Aufschrift, Regel und Erklärung, und obschon sie nur Geringes davon verstand, wurde ihr die Sache leicht, denn es flossen Klang und Tonfall ins Gehör, und der kühle sternweiße Abend hielt sie munter.

Ihr rosenroter Leibkittel tauchte immer mehr in violette Schatten, ihr weißes Hemd, darin zu beidseiten des Halsschlitzes die Anfangsbuchstaben ihres Namens großmächtig eingemerkt waren, ihre Stirn empfing ein ganz seltsames Licht, das eine Ahnung von Farben und schwingender Helle war. Die Zeilen rannen mählich ineinander wie Zithersaiten. – Es zirpte silbern … Die Sterne tanzten nach einer müden Musik. Und beim Fluder blies der Bäckenhansei wieder einmal auf dem Waldhorn …

Die gute Rögerl geriet völligst aus dem Takt und fing immer von vorn an, bis ihr das Lateinische im Kopf surrte und kreiselte, und bis ihr die Augen zufielen. Erst in später Stunde erwachte sie, fröstelnd vom Wind, der aus dem Wasser und den Gärten zu ihr hereinwehte und auf den nackten Armen eine Gänsehaut fältete. Sie huschte schauernd unter ihr Deckbett und verschlief sich weit in den Morgen hinein.

Den ganzen Samstag bereute sie ihre Dummheit. Als jedoch die weiche klare Augustnacht wiederum über ihre Kammer brach, fing sie von neuem zu lernen an, und diemalen klüger. Sie versuchte die Sätze auszudeutschen und hatte nun ihre kreuzschwere Not, indem es ihr mit der Zahl der Worte nicht stimmen wollt. Sie drehte, deutelte und riet. Und je mehr das Denken sie verwirrte, um so schrankenloser wuchs ihre Hochachtung vor dem Matthäus, so daß sie endlich schier brennend wünschte, ihn nach derlei Kunststücken auszufragen. Doch sie spürte dunkel, daß die Frau Mutter es nicht leiden konnte. Und wollte das Buch in die Kleibentruhe zurücklegen. Und wollte beten zu Gott und allen Heiligen, daß der Matthäus würde am frühen Sonntag auf den Viehhandel geschickt. Sie zog das kostbare Halstuch herfür, breitete es auf dem Schoße aus und strich die Büge glatt.

Es war alles umsonst, auch der Schlaf.

In der ersten Rosenwolke sprang sie auf. Und indem sie eilfertig ins Gewand schlüpfte, das wieder schön geputzt, gestärkt und gebügelt war, und indem sie ihre geblümte Schürze umband, ach Gott, da fuhr sie mitten in die böse Versuchung hinein. Die große, glühlichte Sonne war ausgeschüttet über Leib und Seele. Das Stübchen leuchtete. Der Berg leuchtete. Und die Rögerl bildete sich plötzlich ein, daß eigentlich gar nichts dabei wär, wenn sie zum Dreizipf ging … inmaßen ihr die Frau Mutter doch nur verboten hatte, den Kittel dreckig zu machen.

Sie wurde ganz fröhlich. Und als sie bei der Morgensuppe die drei Buben anblitzte, erschrak der Kleine, dem das gebrochene Ehrenwort wie ein Batzen Blei auf dem Herzen lastete, und glaubte, daß sie bald mit ihm abrechnen werde. Der Mittlere herentgegen meinte, daß sie nun wohl wieder gesund sei, und kam insofern der Wahrheit näher, als er die ganze Woche ein inneres Leiden, nämlich Zahnweh, bei ihr vermutet hatte. Der Große aber erriet es, ja er wußte ganz genau: die Rögerl war wieder gut auf ihn.

An diesem Vormittag mußte die kleine Dirn fleißig springen und rennen, denn bei solch schönem Wetter kehrte ein Haufe Kirchleut zu, insbesondere die Sunnberger Bauern und die Nieder-Öblinger. Die Schattenberger und die Mitterberger spannten lieber beim Torbäck aus, weil es gebräuchlich und kommod war. Und die groben Holzknecht, die Flößer und Jager und gar die liederlichen Knappen tranken sich beim Blasius Stocker einen Rausch an, trieben es toll, schlugen und stachen, weil keine Frau im Hause war.

Da wurde nun sogar dem guten Bräuknecht angst und bang. Aber wie er einen Mordslotter stellen wollte, ergriffen ihn ihrer drei und tunkten den Hascher ins Maischfaß. Ist zum Glück der Markus in der Grafentaverne gewesen und hat, sintemal er sich allein nicht ausgesehn, den Herrn Vater zu Hülf gerufen und demselben einen Ochsenziem in die Hand gedrückt. Sie kamen zum ärgsten Spektakel, und der Stralz schaffte sich herrisch Respekt.

Die Burschen grölten nur und meinten, es wäre ein Spaß.

Da zog der Bräumeister gewaltig aus und hieb ihnen baß um das Maul, worauf sie sogleich alle Engel singen hörten. Und der arme Blasel ist tropfnaß und schlüpfrig aus dem Bottich getaucht und hat gezittert, daß es nun seinem hochwerten Bruder könnt an das Leben gehn. Gottlob! Es passierte nichts, denn es genoß der freie Bürgerstand immerhin Ansehen, und das gemeine Volk war wohl unbändig und verwahrlost, aber es besaß noch so viel Ehre, die Faust eines rechtlichen Mannes zu achten.

Freilich gab’s heimliche Flüch und Scheltwort. Und sogar der Bader Gasteiger mußte her, um einem das blutende Nasenloch zu verpflastern. Auch die Frau Mutter eilte, kaum daß ihr Lukas die schaudervolle Begebenheit zugetragen, mit einem Fläschchen wohlschmeckenden Balsams auf die Straße. Indem sie sich aber keinem schädlichen Anblick aussetzen durfte, bat sie durchs Küchenfenster ihren Bruder Sebastian, die heilsame Medizin zu übernehmen. Der aß gerade ein Triangel Bratwürste, und es dauerte eine gute Weil, bis er aufstehend sich zum Werke christlicher Nächstenliebe entschloß.

Pulsuz fraqment bitdi. Davamını oxumaq istəyirsiniz?