Pulsuz

Aus meinem Leben. Erster Teil

Mesaj mə
Müəllif:
Oxunmuşu qeyd etmək
Şrift:Daha az АаDaha çox Аа

Auf dem Erfurter Gewerkschaftskongreß, auf dem sechs Gewerkschaftsorganisationen, die der Manufaktur- und Fabrikarbeiter, der Metallarbeiter, der Holzarbeiter, der Schneider, der Schuhmacher, der Maurer und verschiedene Fachvereine vertreten waren, wurde eine Gewerkschaftsunion und die Herausgabe eines Gewerkschaftsorgans, „Die Union“, beschlossen. Auf Antrag Yorks wurde folgende Resolution einstimmig angenommen:

„In Erwägung, daß die Kapitalmacht alle Arbeiter, gleichviel, ob sie konservativ, fortschrittlich, liberal oder Sozialdemokraten sind, gleich sehr bedrückt und ausbeutet, erklärt der Kongreß es für die heiligste Pflicht der Arbeiter, allen Parteihader beiseite zu setzen, um auf dem neutralen Boden einer einheitlichen Gewerkschaftsorganisation die Vorbedingung eines erfolgreichen kräftigen Widerstandes zu schaffen, die bedrohte Existenz sicherzustellen und eine Verbesserung ihrer Klassenlage zu erkämpfen. Insbesondere aber haben die verschiedenen Fraktionen der sozialdemokratischen Arbeiterpartei die Gewerkschaftsbewegung nach Kräften zu fördern, und spricht der Kongreß sein Bedauern darüber aus, daß die Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (in Berlin) einen gegenteiligen Beschluß gefaßt hat.“

Als ich nach langer Festungs- und Gefängnishaft im Frühjahr 1875 wieder frei war, machte mir August Geib den Vorschlag, an Stelle des braven York, der leider in der Neujahrsnacht auf 1875 gestorben war, die Redaktion des Zentral-Gewerkschaftsblattes „Die Union“ zu übernehmen. Er stellte 50 Taler monatliches Gehalt in Aussicht. Partei und Gewerkschaften waren mittlerweile finanziell stärker geworden. Geib meinte, ich könne die Redaktion ganz gut neben meinem Geschäft übernehmen. Ich lehnte ab. Ich konnte unmöglich neben meinem Geschäft und meiner Tätigkeit für die Partei auch noch dauernd gewerkschaftlich tätig sein.

Mittlerweile hatte die preußische Regierung sowohl gegen die sozialdemokratischen Parteien wie gegen die Gewerkschaften die Verfolgungen aufgenommen. Der Staatsanwalt Tessendorf, der sich auf diesem Gebiet schon in Magdeburg die Sporen verdient hatte, war 1874 nach Berlin berufen worden, um hier auf größerer Stufenleiter die Verfolgung fortzusetzen. Tessendorf entsprach den in ihn gesetzten Erwartungen. Er erreichte durch seine Anklagen nicht nur die Unterdrückung der Parteiorganisationen, auch verschiedene Gewerkschaften fielen diesen zum Opfer. Dann kam das Attentatsjahr 1878 mit dem Sozialistengesetz, und nun wurde mit einem Schlage zerstört, was in mehr als zehnjähriger Arbeit unter unendlichen Opfern an Zeit, Geld, Kraft und Gesundheit geschaffen worden war.

Meine erste Verurteilung

Die Miß- und Günstlingswirtschaft, die unter der Regierung der Königin Isabella von Spanien eingerissen war, vereinigte die Oppositionsparteien zu einer gewaltsamen Erhebung, die die Flucht Isabellas – Ende September 1868 – zur Folge hatte. Die Unentschiedenheit, mit der die aus den Führern der Oppositionsparteien zusammengesetzte provisorische Regierung die Frage nach der neuen Staatsform behandelte, veranlaßte die Demokratie der verschiedenen Länder, in Resolutionen und Adressen dem spanischen Volke die Gründung der Republik zu empfehlen. Natürlich glaubten wir noch ein übriges tun zu müssen und den Spaniern die Gründung einer sozialdemokratischen Republik anraten zu sollen, wozu nicht weniger als alle Bedingungen fehlten. Von den mehr als sechzigtausend Mitgliedern, die nach Zeitungsnachrichten sich der Internationale angeschlossen haben sollten, standen wohl mehr als fünfzigtausend nicht einmal auf dem Papier, sie waren ein Produkt der Phantasie. Es war damals die Periode der Uebertreibungen, die namentlich der Internationale zugute kamen. Hörte man die bürgerlichen Zeitungen, so besaß die Internationale in Europa Millionen Mitglieder, und dementsprechend waren ihre Geldmittel ungeheure. Der gute Bürger geriet in Angst und Schrecken, las er in seiner Zeitung, der Kassierer der Internationale brauche nur den großen Geldschrank zu öffnen, um für jeden Streik Millionen zur Verfügung zu haben. Ich selbst war eines Abends Augen- und Ohrenzeuge, wie Prince Smith, der mir bei einer geselligen Zusammenkunft im Verein der Berliner Presse gegenübersaß, seinem Nachbar vertraulich erzählte: er habe heute einen Brief aus Brüssel erhalten, wonach der Generalrat der Internationale für den Streik der Kohlengräber in der Borinage (Belgien) zwei Millionen Franken zur Verfügung gestellt habe. Ich hatte Mühe, das Lachen zu unterdrücken. Der Generalrat wäre froh gewesen, wenn er zwei Millionen Centimes gleich zwanzigtausend Franken in der Kasse gehabt hätte. Der Generalrat hatte einen sehr großen moralischen Einfluß, aber Geld war immer seine schwächste Seite.

Diesen Uebertreibungen von der Macht der Internationale fiel einige Jahre später nach dem Aufstand der Kommune auch Bismarck zum Opfer. Er wollte eine internationale Konferenz zur Bekämpfung der Internationale veranstalten, wobei ihm der österreichische Kanzler, Herr v. Beust, bereitwillig an die Hand ging, obwohl nach dessen eigenem Geständnis die Internationale für Oesterreich nicht in Betracht kam. Die Durchführung des schönen Planes durchkreuzte die englische Regierung. Und nicht bloß Bismarck, auch ein so gewandter Diplomat und Unterhändler wie Oberst v. Bernhardi ließ sich über die Internationale die größten Bären aufbinden. So teilt er in „Aus dem Leben Theodors v. Bernhardi“ den Bericht eines seiner Vertrauensleute mit, in dem es heißt:

„Vor allem werden die sozialistischen Wühlereien von London und Genf aus eifrig fortgesetzt, um ganz Europa zu revolutionieren, und zwar, um nicht bloß eine politische, sondern auch eine soziale Revolution hervorzurufen. Sie werden von den beiden Comités internationaux in London und in Genf geleitet. Das Komitee in London präsidiert Louis Blanc, das Komitee in Genf Philipp Becker. Die Revolution soll zuerst in Paris ausbrechen, und wenn sie dort siegreich ist, sich zunächst auf Italien und dann auf das südliche Deutschland ausdehnen, wo viel Zündstoff ist; sie soll dann aber auch das nördliche Deutschland erfassen, wo man ebenfalls zahlreiche Verbindungen hat, und überhaupt ganz Europa umgestalten. Zunächst ist man überall bemüht, das städtische Proletariat vermittels des Koalitionsrechts militärisch zu organisieren.“

Nach Bernhardi waren alle Hauptstädte Deutschlands bereits insurgiert. Häupter der Bewegung seien namentlich Schweitzer und Bebel. Solcher Unsinn wurde also von sehr ernst zu nehmenden Leuten verzapft.

Die erwähnte Adresse „An das spanische Volk“, die Liebknecht in einer Versammlung begründete und ich, als Vorsitzender der Versammlung, vorgelesen und zur Abstimmung gebracht hatte, führte uns vor den Kadi. Wir wurden schließlich jeder zu drei Wochen Gefängnis wegen Verbreitung staatsgefährlicher Lehren verurteilt, die wir gegen Ende 1869 – so lange hatte der Instanzenzug gedauert – im Leipziger Bezirksgerichtsgefängnis verbüßten.

Daß die spanische Revolution in ihrem weiteren Verlauf indirekt Anlaß zum Kriege zwischen Frankreich und Deutschland geben würde, ahnte damals niemand.

Vor Barmen-Elberfeld

Die Kämpfe mit den Lassalleanern beider Linien wurden mit dem Jahre 1868 immer heftiger. Daran änderte auch nichts, daß wir für die Wahl Hasenclevers im Wahlkreis Duisburg – Herbst 1868 – eine Geldsammlung veranstalteten und die engere Wahl Yorks gegen den nationalliberalen Professor Planck – der später Hauptmitarbeiter am Bürgerlichen Gesetzbuch wurde, zu dem er einen Kommentar schrieb – im Wahlkreis Celle unterstützten. Beide Schritte sollten beweisen, daß wir einen Unterschied zwischen den Mitgliedern des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und ihrem Präsidenten machten. Für Anfang März 1869 hatten wir einen allgemeinen sächsischen Arbeitertag nach Hohenstein-Ernstthal ausgeschrieben, mit der Tagesordnung: Reform des sächsischen Vereinsrechts und Wahlrechts. Die Einladung hatten auch die sächsischen Führer der beiden Richtungen der Lassalleaner unterzeichnet. Den Tag vor dem Arbeitertag sollte unsere Partei eine Landesversammlung abhalten, mit der Tagesordnung: die Gewerksgenossenschaften. Im Rate der Mende-Hatzfeldt war es anders beschlossen.

Als ich Sonntag früh von einer Versammlung aus Mittweida nach Hohenstein kam, sah ich, daß viele Arbeiter, die übernächtig und mit Schmutz bedeckt waren, auf den Bahnhof eilten. Ich erfuhr jetzt, daß diese, Anhänger der Mende-Hatzfeldt, den Abend zuvor 80 bis 100 Mann stark aus Chemnitz in das Versammlungslokal gedrungen seien, um die Landesversammlung zu sprengen. Es war zu einem großen Tumult und schließlich zu Gewalttätigkeiten gekommen, worauf der Bürgermeister die Feuerwehr requiriert hatte, weil die Polizei sich als machtlos erwies, die Ruhe herzustellen. Vahlteich war verhaftet worden, weil er einen Stockdegen gezogen hatte. Nach wenigen Tagen kam er wieder frei. Die furchtbare Erregung, die diese Vorgänge in der ganzen Bevölkerung hervorriefen, hatten weiter dazu geführt, daß man die Landesversammlung absagte, was ich für einen Fehler hielt. Von verschiedenen Seiten wurde mir gratuliert, daß ich bei jenem Tumult nicht zugegen gewesen sei; die Tumultuanten hätten besonders nach mir verlangt und mich niederzuschlagen gedroht.

Sechs Monate später – der Eisenacher Kongreß war vorüber – hielt ich in Chemnitz mit durchschlagendem Erfolg eine Riesenversammlung ab. Nach der Versammlung kamen eine Anzahl Arbeiter zu mir, die sich an jenem Tumult in Hohenstein beteiligt hatten, und baten mich um Verzeihung; sie begriffen selbst nicht mehr, wie sie damals der Verhetzung hätten Folge leisten können.

Liebknechts und mein Wunsch war lange, mit J.B.v. Schweitzer eine persönliche Begegnung und Auseinandersetzung zu haben. Der Wunsch wurde rascher erfüllt, als wir hofften. Am 14. Februar beschloß eine von den Lassalleanern einberufene Versammlung in Leipzig, in der weder Liebknecht noch ich zugegen waren, Schweitzer und Liebknecht einzuladen, sich in einer öffentlichen Versammlung gegenüberzutreten und gegenseitig ihre Anschuldigungen vorzubringen. Liebknecht erklärte sofort im „Demokratischen Wochenblatt“, daß er diesen Beschluß mit Freuden annehme und bereit sei, in einer Volksversammlung Schweitzer entgegenzutreten und zu beweisen, daß Schweitzer – sei es für Geld oder aus Neigung – seit Ende des Jahres 1864 systematisch die Organisation der Arbeiterpartei zu hintertreiben suchte und das Spiel des Bismarckschen Cäsarismus spiele. Sollte Schweitzer, wie er schon einmal getan, ihm ausweichen wollen, so sei er bereit – allein oder mit mir —, in Gegenwart von Schweitzers Bevollmächtigten und der Arbeiterschaftspräsidenten ihm entgegenzutreten, oder – allein oder mit mir – auf der Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins zu erscheinen und seine Anklagen zu begründen. Weiter machte er den Vorschlag, den Generalrat der Internationale als Schiedsrichter zwischen Schweitzer und sich anzurufen.

 

Nachdem der „Sozialdemokrat“ festgestellt, daß Schweitzer auf der letzten Generalversammlung nahezu einstimmig zum Präsidenten gewählt worden sei, also das volle Vertrauen des Vereins besitze, erwiderte er: Nach der Organisation sei der Präsident über sein Tun und Lassen nur der Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins verantwortlich. Schweitzer sei in Haft; seinen Entschließungen könne er, der „Sozialdemokrat“, nicht vorgreifen, er glaube aber versichern zu können, daß er jedem, also auch den Herren Liebknecht und Bebel, auf der Generalversammlung in Barmen-Elberfeld Rede und Antwort stehen werde. Liebknecht werde also beim Wort genommen. Auf ein Schiedsgericht in Sachen seines Präsidenten könne sich der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein nicht einlassen.

Wir waren von dieser Antwort, die offenbar Schweitzer selbst verfaßt hatte, sehr befriedigt. Bei dem Verlauf, den die Angelegenheit genommen, und bei dem Aufsehen, das sie in beiden Lagern gemacht hatte, konnte Schweitzer nicht ausweichen. Daß er sich für unsere Zulassung zur Generalversammlung entschied, war uns recht, obgleich wir, streng genommen, dorthin nicht gehörten, da wir nicht Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins waren. Offenbar nahm Schweitzer an, daß er inmitten der Delegierten zur Generalversammlung am ehesten Deckung finden würde und eine Verhandlung hinter verschlossenen Türen ihn am wenigsten kompromittiere.

Merkwürdigerweise erklärte der „Sozialdemokrat“ drei Tage später, Schweitzer werde sich uns nicht stellen, wir hätten kein Recht, auf der Generalversammlung zu erscheinen. In der nächsten Nummer des „Sozialdemokrat“ wurde aber diese Notiz widerrufen. Wir sollten kommen, Schweitzer werde sogar auf der Generalversammlung seinen Einfluß ausüben, daß wir zugelassen würden. In Barmen-Elberfeld las man's später anders.

Nachdem wir die offizielle Einladung zur Generalversammlung erhalten hatten, dampften wir ab. In Kassel stieg ein Herr in unser Abteil, den wir für einen Delegierten zur Generalversammlung hielten. Unsere Vermutung stellte sich als begründet heraus. In der Unterhaltung erfuhren wir, daß unser Reisegefährte Wilhelm Pfannkuch war, der gleich geahnt hatte, wer wir waren. Wir fuhren zusammen nach dem Wuppertal.

Die Vorgänge auf der Generalversammlung in Barmen-Elberfeld und was dann weiter folgte zu schildern, behalte ich mir vor für den nächsten Teil meiner Erinnerungen; vor allem sollen dann auch die Gründe dargelegt werden, die J.B.v. Schweitzer und uns zu Gegnern gemacht hatten.

Zum Schluß möchte ich noch bemerken, daß das Jahr 1869 für die deutsche Arbeiterbewegung von schwerwiegender Bedeutung geworden ist. Während desselben wurden, wenn auch erst nach heftigen Kämpfen und Beseitigung mancher Mißverständnisse, die Richtlinien festgelegt, die für die weitere Entwicklung sich als ausschlaggebend erwiesen. Der Eisenacher Kongreß, Anfang August, auf dem die sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands gegründet wurde, bildete den Höhepunkt in dieser Entwicklung. Auch politisch war die Situation eine gänzlich andere gegen wenige Jahre früher. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes war dem Schöpfer desselben, Bismarck, wie auf den Leib geschnitten, wobei natürlich die liberalen Forderungen, von demokratischen zu schweigen, sehr übel gefahren waren. Die Hoffnungen und Erwartungen, die nach dieser Richtung in den Kreisen der Liberalen vorhanden waren, erwiesen sich als eitel. Bismarck war nicht der Mann, der eine ihm günstige Situation ungenutzt vorübergehen ließ. Vorgänge, wie er sie in der Konfliktszeit erlebte, suchte er jetzt ein für allemal unmöglich zu machen. Und der größte Teil der Liberalen kam ihm darin entgegen. Es war ihnen vor ihrer eigenen Gottähnlichkeit, als Männer der starren Opposition, bange geworden. Das preußische Militärsystem wurde in Bausch und Bogen und unter entsprechender Erweiterung auf den Norddeutschen Bund übertragen. Für die Marine wurden die ersten Keime gelegt. Ministerverantwortlichkeit und Diäten für die Abgeordneten flogen ins alte Eisen. Bismarck war unumschränkter Beherrscher der inneren Situation.

Dafür, daß die liberale Bourgeoisie in allen wichtigen politischen Fragen Bismarck das weiteste Entgegenkommen zeigte, ein Entgegenkommen, das bis zur Entmannung ging, erlangte sie die volle Befriedigung ihrer wirtschaftlichen Forderungen, die nach ihrer Natur auch eine Anzahl Forderungen der Arbeiterklasse erfüllten. Freizügigkeit, Aufhebung der Paßbeschränkungen, Erleichterung der Eheschließung und Niederlassung, denen im Jahre 1869 der Entwurf einer Gewerbeordnung folgte, hatten mittlerweile Gesetzeskraft erlangt. Mit der Schaffung des Zollparlaments war unter Teilnahme der süddeutschen Staaten die Zoll-, Handels- und indirekte Steuergesetzgebung ebenfalls in den Kreis der parlamentarischen Beratungen gezogen. Damit war ein Tätigkeitsfeld eröffnet, das ich nach meinen Kräften beackern half. Wie und mit welchem Erfolg, soll mit Gegenstand der Darlegung im zweiten Teile werden.