Lebensbilder aus dem Bistum Mainz

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Pfarrer in Gaulsheim und in Seligenstadt

Am 6. Juli 1832 konnte tatsächlich die Ernennung Lennigs zum Pfarrer von Gaulsheim bei Bingen erfolgen. Burg war es gelungen, eine gesonderte Genehmigung des zuständigen Ministeriums in Darmstadt zu erlangen, welche die Verleihung dieser Pfarrpfründe, so wie es noch unter Bischof Colmar übliche Praxis war, nur durch den Bischof selbst und nicht durch die großherzogliche Regierung ermöglichte. Bis 1839 sollte Lennig hier seinen Dienst als Pfarrer leisten und die dörfliche Abgeschiedenheit für weitere Studien zum Alten Testament und zu den Kirchenvätern nutzen. Doch pflegte er auch regen Kontakt zu seiner Familie in Mainz, besonders zu seinem Schwager Wilhelm Moufang, sowie zu zahlreichen Personen, denen er freundschaftlich verbunden war.

Die sogenannten Kölner Wirren des Jahres 1837 mit der öffentlichen, militärisch unterstützten Inhaftierung des Kölner Erzbischofs Clemens August von Droste zu Vischering am 20. November sorgten dann auch im beschaulichen Leben Lennigs in Gaulsheim für einige Aufregung. Der Kölner Erzbischof hatte sich beharrlich der Anordnung der preußischen Regierung widersetzt, bei gemischtkonfessionellen Eheschließungen auf das Versprechen einer katholischen Kindererziehung seitens der Ehepartner zu verzichten. Die Inhaftierung des Erzbischofs löste tatsächlich landesweit große Empörung unter den Katholiken aus und fachte in Mainz erneut den Widerspruchsgeist des Kreises um Wilhelm Moufang an, wie aus der Korrespondenz seines Sohnes Christoph, der sich zum Theologiestudium in München aufhielt, mit seinem Onkel Friedrich Lennig hervorgeht. Zum sogenannten Münchner Kreis, in dem Christoph Moufang verkehrte, gehörten neben Fritz Windischmann, dem Sohn des Bonner Philosophen, der später Generalvikar Erzbischof von Reisachs in München wurde, auch Joseph Görres, Georg Philipps und Clemens Brentano. Letzterer wollte in Adam Franz Lennig sogar schon den geeigneten Nachfolger auf dem Kölner Erzbischofsstuhl sehen. Wenngleich Lennig diesen Gedanken gegenüber seinem Neffen Christoph in einem Brief vom 11. Januar 1838 mit den Worten ablehnte: so weiß ich nicht mit wem er [Brentano] es schlimmer meint: mit der Kölner Diözese, mit den Preußen oder mit mir4, mag hier in ihm vielleicht doch auch der Gedanke an ein künftiges Wirken als Bischof von Mainz geweckt oder bestärkt worden sein. In ihrer Wirkung begrüßte Lennig die Vorgänge in Köln als einen Weckruf: Gott sei tausendfacher Dank, daß die Sache so gekommen ist, denn ein Fall der Art war nötig, um die Katholiken aus ihrer unglaublichen Schlafsucht zu erwecken. In den Gesinnungen geht allenthalben eine große Veränderung vor sich, und die Leute werden genöthigt, Partei zu nehmen, wodurch denn der Indifferentismus von selber ein Ende nimmt.5 Er hoffte sogar auf eine weitere Zuspitzung der Lage, damit sich der Widerstandsgeist der katholischen Bevölkerung gegen die Anmaßungen des Staates noch verstärke, wodurch die preußische Regierung zu einer grundlegenden politischen Lösung gedrängt wäre. Die von Joseph Görres gegen das preußische Vorgehen verfasste Streitschrift „Athanasius“ hatte schließlich eine enorme Mobilisierung der katholischen Bevölkerung bewirkt und wurde von Lennig hoch geschätzt.

Über die kirchenpolitisch brisanten Vorgänge führte Lennig eine ausgedehnte Korrespondenz mit seinem weit verzweigten Freundes- und Bekanntenkreis. Außerdem fanden sich im Gaulsheimer Pfarrhaus auch Gleichgesinnte ein, so etwa der Düsseldorfer Pfarrer Anton Joseph Binterim, der wegen seines Protests gegen das Vorgehen der Regierung die Stadt vorübergehend verlassen musste. Auch der Koblenzer Pfarrer Seydel, der mit seiner öffentlichen Parteinahme für den Kölner Erzbischof die katholische Bevölkerung mobilisiert hatte, nahm im Februar 1838 einige Tage in Gaulsheim Aufenthalt bis sich die Lage wieder beruhigt hatte. Damals wurde Lennig von einem nassauischen Beamten der Konspiration bezichtigt und – allerdings erfolglos – bei der Regierung in Wiesbaden angezeigt. Grund war ein Besuch, den er gemeinsam mit Seydel beim Pfarrer des auf der gegenüberliegenden Rheinseite gelegenen Rüdesheim unternahm, wozu ein Spaziergang über den zugefrorenen Rhein Gelegenheit bot. Als dort noch andere mit dem Pfarrer bekannte Geistliche eintrafen, hatte der Beamte gleich ein staatsgefährdendes Komplott vermutet. Auch im zuständigen Darmstädter Ministerium, wo Lennig inzwischen weniger aufmerksam beobachtet worden war, erhielt man Kenntnis davon. In Preußen wurden in der Streitfrage zur Konfession der Kinder in gemischtkonfessionellen Ehen am Ende die staatlichen Vorschriften durch den 1840 auf den Thron gelangten preußischen König Friedrich Wilhelm IV. zurückgenommen. Dem jungen König war an einer friedlichen Koexistenz mit der Kirche gelegen. Im hessischen Großherzogtum waren zu dieser Zeit ähnliche Auseinandersetzungen ausgeblieben.

Während seiner Zeit als Pfarrer in der kleinen Landpfarrei Gaulsheim waren mehrere Versuche unternommen worden, den hervorragend ausgebildeten Lennig doch noch als akademischen Lehrer für die Priesterausbildung an der neuen Fakultät in Gießen zu gewinnen. Schon 1831 wurde dort seine Berufung als Professor für biblische Exegese vorgeschlagen, auch in der Absicht, die verärgerten Mainzer mit der Gießener Fakultät zu versöhnen. Aber er lehnte das Angebot genauso ab wie jenes von Seiten Bischof Humanns im Jahre 1834, eine Professur in der theologischpraktischen Ausbildung am Mainzer Seminar zu übernehmen. In den Jahren 1836 und 1837 wurden ihm dann in Gießen mit Zustimmung Bischof Kaisers zuerst eine Professur für die Fächer Moraltheologie und Pastoraltheologie, danach die Professur für Exegese angeboten. Gerade für letztere wurde er auch wegen seiner vielseitigen Kenntnisse der biblischen Sprachen als besonders geeignet erachtet. Doch Lennig lehnte eine Tätigkeit als Professor im protestantischen Gießen erneut kategorisch ab. Das vermochte sogar das persönliche Erscheinen Bischof Kaisers, der ihn schon früher in Gaulsheim besucht hatte, in Begleitung von Universitätskanzler Freiherr von Linde nicht zu ändern. Denn wenn der ungeliebten Gießener Staatsfakultät durch das Ausbleiben von Neuberufungen nach Todesfällen und Wegberufungen von Professoren an andere Fakultäten ihre Existenzgrundlage schwinden sollte, lag das nur in Lennigs Interesse. So verblieb er in der dörflichen Zurückgezogenheit von Gaulsheim, wo er nicht nur gute Kontakte zu seinem Nachbarpfarrer in Ockenheim pflegte, sondern auch Windischmann, Walter und Klee aus Bonn sowie Brentano, Veit und andere mehr in seinem gastfreien Pfarrhaus zu ernsthaftem Austausch in politischen Fragen und zu geselliger Runde empfing.

Als 1839 der katholische Mainzer Abgeordnete Johann Maria Kertell in der Zweiten Kammer in Darmstadt einen Antrag zur Rückverlegung der Theologischen Fakultät von Gießen nach Mainz stellte, fand sich Lennig nicht einmal dazu bereit, ihn mit einer argumentativen Darlegung zu unterstützen. Er fürchtete wohl sonst bei der großherzoglichen Regierung erneut Aufmerksamkeit zu erregen.

Achtete Lennig darauf – möglicherweise schon mit Blick auf eine spätere Besetzung des Mainzer Bischofsstuhls – sich weder in Rom noch in Darmstadt zu kompromittieren? Sicher war er eingenommen von einem starken konfessionellen und mentalitätsmäßigen Ressentiment gegen das protestantische Gießen. Eine Tätigkeit als Professor an der theologischen Fakultät und in der Pfarrseelsorge Gießens hätte er aber auch als Herausforderung begreifen können. Die Priesteramtskandidaten waren in Gießen zweifellos manchen Einflüssen ausgesetzt, die ihnen später im Mainzer Priesterseminar Schwierigkeiten bereiteten. Hier hätte er sich bewähren können. Fehlte ihm die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in einer kritisch-aufgeklärten und liberalen Umgebung als Wissenschaftler und akademischer Lehrer zu behaupten und sich als Seelsorger einer kleinen katholischen Minderheit mit der evangelischen Bevölkerung zu arrangieren? Offenbar sah er seinen künftigen Platz in der seelsorglichen Praxis in einem katholischen geprägten Umfeld sowie in der Organisation und Verwaltung des kirchlichen Lebens. Zumindest fällt auf, dass er sein zurückgezogenes und ruhiges Leben in Gaulsheim auch nicht zur Publikation wissenschaftlicher Studien nutzte.

Auf persönliche Veranlassung Bischof Kaisers übernahm Lennig am 10. September 1839 die Pfarrei St. Petrus und Marcellinus in Seligenstadt. Dort unterstützte ihn sein am 19. Dezember 1839 zum Priester geweihter Neffe Christoph Moufang von Januar 1840 bis Dezember 1843 als Kaplan. Seinen Dienst als Pfarrer dieser bedeutenden Pfarrei versah Lennig mit großer Einsatzbereitschaft in der Feier der Liturgie und in der Unterweisung der Gläubigen in Predigt und Katechese. Lennig beschränkte sein Engagement aber nicht auf den engeren kirchlichen Bereich. Beachtung verdient die von ihm 1841 initiierte und durchgesetzte Einführung von Lehrerinnen für die Mädchenschule in Seligenstadt. Sie zeugt von einem wachen Sinn für die pädagogischen Bedürfnisse der Mädchen, deren schulische Situation sich deutlich verbesserte. Zugleich belegt diese Maßnahme seine Einsicht, dass einer guten, kirchlich geprägten Ausbildung von Mädchen als zukünftigen Müttern für die katholische Ausrichtung der Familien in einem Staat, dessen konfessionsverschiedene Bevölkerungsteile sich unausweichlich annäherten, ein nicht zu unterschätzender Wert zukam.

Ende 1841 sollte ein ungewöhnlicher Vorgang an der Gießener Fakultät dann doch dazu führen, dass Lennig seine Zurückhaltung in kirchenpolitischen Fragen für einen Moment aufgab. Auf Beschluss des großherzoglichen Ministerrats in Darmstadt war dem an der Gießener Fakultät lehrenden Kirchenhistoriker und Priester Kaspar Riffel am 19. November die Lehrerlaubnis entzogen worden, allerding ohne dass dafür ihm selbst und dem Mainzer Bischof noch der Öffentlichkeit eine Begründung mitgeteilt wurde. Den Anlass für diesen Schritt vermutete man in Riffels Publikation „Christliche Kirchengeschichte der neuesten Zeit“ (Mainz 1841). Darin hatte er die Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts harscher Kritik unterworfen und Martin Luther, den er als ihren Hauptverursacher benannte, mit schärfster Polemik überzogen. Unabhängig von dieser Tatsache verurteilte Lennig das Vorgehen der Regierung, die offenbar in Geringschätzung der Katholiken eine Erklärung schuldig geblieben war, in einer als Denkschrift des Dekanats Seligenstadt an Bischof Kaiser abgefassten Stellungnahme. Er sah in dem Vorgang nicht nur einen erneuten Beweis für die Bevormundung der katholischen Kirche durch die Regierung, sondern auch einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit katholischer Theologen. In gänzlicher Abhängigkeit vom Staat sei die katholische Theologie an der Gießener Fakultät eine Staatsangelegenheit, wodurch die künftigen Geistlichen ihr katholisches Selbstverständnis und ihre Beziehung zur Kirche verlören. Die Konsequenz konnte für ihn daher nur die Rückverlegung der Theologischen Fakultät nach Mainz sein. Dieser Denkschrift schlossen sich acht der 16 Dekanate des Bistums an. Wenngleich Bischof Kaiser sich durch das Verhalten der Regierung brüskiert sah, so wollte er doch der dringenden Empfehlung Lennigs nicht folgen. Davon ließ ihn sicher auch der durch Riffel selbst über längere Zeit an der katholischen Fakultät verursachte Unfrieden und dessen insgeheime Opposition gegen ihr Fortbestehen Abstand nehmen.

 

Der bewährte Mitarbeiter Bischof Kaisers

Als im Jahre 1844 Bischof Arnoldi zur Hl.-Rock-Wallfahrt nach Trier aufgerufen hatte, erhob der liberal gesinnte schlesische Kaplan Johannes Ronge öffentlich Protest gegen diesen in seinen Augen unsinnigen und unzeitgemäßen religiösen Brauch. Da der von ihm erhoffte Erfolg ausblieb, löste sich Ronge aus der Kirche und gründete mit einigen Anhängern, die sich gleichfalls von der Kirche getrennt hatten, eine eigenständige „moderne“ deutsche Nationalkirche. Dieses Vorhaben fand die Unterstützung der antikatholischen, liberalen und radikalen Presse, insbesondere des Frankfurter Journals. Im Großherzogtum Hessen sammelten sich zunächst in dem Seligenstadt benachbarten Offenbach Sympathisanten unter liberal gesinnten Bürgern, vor allem Fabrikanten und Kaufleute, aber auch unter Arbeitern, die sich der Kirche in ihrem neuen Lebensumfeld entfremdet hatten. Kennzeichen der Rongeschen Bewegung waren die Reduktion des Christentums auf eine reine „Vernunftreligion“ ohne Lehramt und Dogma und ohne die meisten sakramentalen Handlungen. Getragen von nationalem Pathos und einer damit einhergehenden konfessionellen Irenik befürwortete man Ehen von Angehörigen verschiedener Bekenntnisse, verwarf die Abhängigkeit von Rom als kirchlichem Zentrum und damit einhergehend die von einem zölibatären Klerus gebildete kirchliche Hierarchie. Bei der protestantischen Geistlichkeit traf die neue Sekte auf vielfältige Unterstützung und auch die Regierung unternahm nichts, um ihr Treiben abzustellen, wenngleich der Großherzog sich sonst zum Schutzherrn der katholischen Kirche erklärte und in ihre Belange eingriff.

Musste diese Erfahrung sehr bedrückend auf Bischof Kaiser wirken, so sah sich Lennig in seiner Haltung vollauf bestätigt. Entschieden wandte er sich gegen die Sekte in seiner Nachbargemeinde. Da Bischof Kaiser selbst einen völlig erfolglosen Versuch unternommen hatte, mit Vertretern der „Deutschkatholiken“ aus Offenbach zu einer Verständigung zu gelangen, entschied er sich nun doch zu einem Richtungswechsel im Vorgehen. Auf seinen Vorschlag erfolgte am 5. Juni 1845 die Wahl Lennigs zum Domkapitular. Außerdem verlieh er ihm den Titel eines Geistlichen Rates. Lennig sollte ihn sowohl in der Abwehr des „Deutschkatholizismus“ als auch in der diesbezüglichen Korrespondenz mit der Regierung unterstützen. So ging seine Zeit als Pfarrer in Seligenstadt, wo ihm noch im Mai 1845 der auf der Durchreise befindliche Nuntius in Brüssel, Joachim Pecci – der spätere Papst Leo XIII. – einen kurzen Besuch abgestattet hatte, ihrem Ende entgegen. Pecci kannte Lennig noch aus dessen Zeit in Rom. In Zusammenhang mit der Wahl Lennigs zum Domkapitular fällt zumindest auf, dass die Regierung gegen seine Wahl, obgleich er ja zuletzt mit einer Denkschrift gegen die Absetzung Riffels hervorgetreten war, keinen Einspruch erhob. Das Vertrauen, das Bischof Kaiser zu ihm gewann, sollte am 16. August 1847 mit seiner Ernennung zum Leiter des geistlichen Gerichts im Amt des Offizials seinen Ausdruck finden.

Häufig trat Lennig als Prediger im Mainzer Dom gegen den „Deutschkatholizismus“ auf, der selbst in der Bischofsstadt unter liberalen, finanzstarken Bürgern und Handwerkern sowie darüber hinaus bei wohlhabenden rheinhessischen Bauern einigen Zulauf gefunden hatte. Auf politischer Ebene verfasste er zu dessen Abwehr Eingaben an die Regierung. Nachdrücklich wies er auf die Gefahr der Anarchie hin, die sich aus dieser Bewegung ergäbe, da sie nicht allein die kirchliche Autorität, sondern in der Folge auch jene des Staates angreife, der ihrem Treiben jedoch tatenlos zusehe, weil er sich wohl insgeheim eine Schwächung der katholischen Kirche erwarte. Daher nehme die Regierung es hin, dass die protestantische Bevölkerung gegen die Katholiken aufgehetzt und der konfessionelle Friede gestört werde.

In der Auseinandersetzung mit dem „Deutschkatholizismus“ beklagte Lennig sehr das Fehlen einer politischen Tageszeitung, welche die Interessen der katholischen Kirche darlegte und gegen die permanenten Anfeindungen seitens der liberalen kirchenfeindlichen Tagesblätter verteidigte. Zu seinem Ärger hatten diese auch in Mainz große Verbreitung und entfalteten bei der Bevölkerung ihre Wirkung. Durch eine neue, dezidiert katholische Zeitung musste hier für Abhilfe gesorgt werden, denn weder die eher wissenschaftlich orientierte Zeitschrift „Katholik“, noch die „Katholischen Sonntagsblätter zur Belehrung und Erbauung“ entsprachen diesem Zweck. Letztere erschienen seit November 1842 unter der Leitung von Pfarrer Heinrich Himioben. Sie gingen auf eine Initiative Lennigs und einen Kreis von Pfarrern zurück. Wies das Innenministerium 1847 sein Gesuch um Zulassung der Gründung eines politischen Blattes noch mit der Begründung zurück, dass dafür in Mainz kein Bedarf bestehe, so erteilte es im Januar 1848 unter den veränderten politischen Verhältnissen die Genehmigung. Die Finanzierung der Zeitung erfolgte auf Aktienbasis, wofür auch Lennig einen erheblichen Anteil aus seinem Familienvermögen beisteuerte. Am 16. Juni 1848 erschien dann erstmals das „Mainzer Journal“, dessen Redaktion bei Franz Sausen lag. Mit dieser Tageszeitung, die auch in anderen Diözesen vertrieben wurde und ihr Erscheinen erst 1941 zwangsweise einstellte, verfolgte Lennig zugleich das Ziel, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Katholiken zu stärken, um aus ihnen eine Formation zu bilden, die ihrem politischen Gewicht im Staat entsprach.

In Mainz war Lennig wieder mit seinem Neffen Christoph Moufang zusammengekommen, der inzwischen Pfarrer von St. Quintin und Religionslehrer am Gymnasium geworden war. Seinen Bruder Friedrich hatte er allerdings bereits im Juni 1838 in Folge einer Typhusinfektion verloren, und sein Schwager Wilhelm Moufang, der Mentor des katholisch-konservativen Mainzer Kreises, war wenige Monate vor Lennigs Rückkehr nach Mainz am 5. Januar 1845 verstorben. In Fortführung der familiären Tradition empfing Lennig in seiner Mainzer Wohnung in den Jahren bis zu seinem Tode zahlreiche hochstehende kirchliche Persönlichkeiten, Professoren der Theologie und der Rechtwissenschaften, so namentlich Franz Xaver Dieringer (Bonn), Johann B. Alzog und Franz Joseph Buß (Freiburg), Franz Jakob Clemens (Münster), Johannes von Kuhn (Tübingen), Karl Ernst Jarke und Georg Philipps (Wien), Joseph Hergenröther und Franz Hettinger (Würzburg). Dazu versammelte er regelmäßig ihm befreundete Priester und Laien, die schließlich den „Zweiten Mainzer Kreis“ bildeten, zu Gesprächsabenden über Themen aus Theologie und Kirche, Kunst und Politik.

Eine günstige Gelegenheit, das staatskirchliche Regiment der großherzoglichen Regierung wenn nicht ganz abzuschütteln, so doch zurückzudrängen, bot sich im Rahmen des allgemeinen Freiheitsstrebens im Jahre 1848, als der polizeistaatliche Druck, den die Fürsten zur Wahrung ihrer Position ausübten, für die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr zu ertragen war. Aus Furcht vor einem Verlust der Kontrolle im Staat wurde durch die Regierungen jegliche soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung behindert. Hessen-Darmstadt galt als einer der wirtschaftlich ärmsten und politisch reaktionärsten Staaten im Deutschen Bund. Um sich der Gängelung durch die großherzogliche Regierung zu entledigen, gingen die liberal-demokratischen Kräfte und der politische Katholizismus für einige Zeit ein Zweckbündnis ein. Der in Darmstadt gefürchtete Marsch der Mainzer Demokraten auf die Landeshauptstadt führte zum Sturz des Systems des leitenden Staatsministers du Thil. Er wurde zunächst durch den liberalen Heinrich Freiherr von Gagern als Ministerpräsidenten abgelöst, bis dieser im Mai 1848 zum Präsidenten der als „Paulskirchenparlament“ bezeichneten Nationalversammlung gewählt wurde. Ihm folgte der liberale Staatsrat Carl Jaup. An die Stelle des Großherzogs Ludwig II. (1830–1848), der in seinem Denken noch mehr als sein Vater Ludwig I. (1806–1830) dem Ancien régime verhaftet war, trat Erbprinz Ludwig III. (1848–1877), der zwar als wohlmeinend und populär galt, politisch aber weitgehend bedeutungslos blieb. Als neuer Großherzog hob Ludwig III. in einem Reformedikt die härtesten staatskirchlichen Vorschriften von 1830 auf.

In Mainz zögerte Lennig nicht, das durch die März-Revolution errungene Vereinsrecht zu nutzen und gründete am 23. März 1848 im Haus „Zum Römischen König“ den „Pius-Verein für religiöse Freiheit“, darin maßgeblich von Kaspar Riffel unterstützt. Riffel war nach seiner Zwangspensionierung nach Mainz gekommen und hielt in diesem Haus Vorträge zu verschiedenen kirchenhistorischen Themen. Dabei war Lennig auf den Gedanken gekommen, einen Verein zum Schutz der religiösen und kirchlichen Freiheit zu gründen, der keine geistliche Bruderschaft, sondern ein nach weltlichem Recht organisierter Verein sein sollte und eine prioritär politische Zielsetzung verfolgte. Die Wahl des Namensgebers, des seit 1846 amtierenden Papstes Pius IX., stand für die Ausrichtung: papsttreu-ultramontan. Bei der konstituierenden Sitzung waren den ersten 24 Mitgliedern schon 300 weitere beigetreten. Lennig übernahm, unterstützt von Himioben, Riffel, seinem Neffen Christoph Moufang sowie Domkaplan Johann Baptist Heinrich, das Präsidium und hielt selbst regelmäßig Vorträge zu aktuellen Fragen. Auch mit dem neuen Verein zielte Lennig vordringlich auf einen aktiven Zusammenschluss der katholischen Bevölkerung und ihre Mobilisierung als politisch selbstbewusste Partei im sich verändernden Staats- und Gesellschaftssystem. Da der Verein sich gegen die radikaldemokratischen Forderungen stellte, die von Franz Zitz, Ludwig Bamberger und ihren Anhängern erhoben wurden, schlug ihm in der Öffentlichkeit bald auch Ablehnung entgegen. Dagegen empfahl Bischof Kaiser seinem Klerus den Pius-Verein als Einrichtung, in der Laien die Kirche durch ihr Engagement unterstützen konnten.

Rasch zog das Mainzer Beispiel die Gründung zahlreicher gleichartiger Vereine in ganz Deutschland nach sich. Dem Mainzer Verein kam dabei die Stellung des Zentralvereins zu. Um den neu gewonnenen Organisationsgrad zu festigen, trat auf Lennigs Anregung vom 3. bis 6. Oktober 1848 in Mainz die erste Generalversammlung der Katholiken Deutschlands zusammen. Nach der Eröffnung der Zusammenkunft mit einer hl. Messe in St. Peter versammelte man sich unter Lennigs Leitung im Akademiesaal des benachbarten kurfürstlichen Schlosses. Da zur gleichen Zeit in Frankfurt auch die Nationalversammlung tagte, hatte man Delegierte des „Katholischen Klubs“, zu dem sich die etwa 60 Katholiken unter den 560 Abgeordneten am 14. Juni 1848 zusammengeschlossen hatten, zur Teilnahme an der Generalversammlung in Mainz eingeladen. Dieser Einladung waren am 4. Oktober 23 Mitglieder des Klubs gefolgt, unter ihnen auch Pfarrer Wilhelm Emmanuel von Ketteler aus Hopsten. Ort der Zusammenkunft war das Haus „Zum Römischen König“. Ketteler machte mit seinen Ausführungen über die sich zuspitzende soziale Frage erstmals in Mainz auf sich aufmerksam. Der gleichfalls unter den Abgeordneten anwesende Münchner Theologieprofessor Ignaz Döllinger berichtete über die dezidiert staatskirchlich ausgerichteten Beschlüsse des Verfassungsausschusses des Frankfurter Parlaments, die eine völlige Unterordnung der Kirche unter die Staatsgesetze vorsahen sowie die volle staatliche Schulaufsicht und das Verbot geistlicher Orden. Auf maßgebliches Betreiben Lennigs verabschiedete die Versammlung hierauf als „geistiges Parlament des katholischen Volkes“ am 5. Oktober ein Protestschreiben gegen die von der nationalliberalen Mehrheit getragenen Beschlüsse der Nationalversammlung. Diese „Verwahrung an die Frankfurter Nationalversammlung“ hatte den Erfolg, dass im Entwurf der Reichsverfassung von 1849 nur noch eine Unterordnung der Kirche unter die allgemeinen Staatsgesetze vorgesehen war und der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen der Aufsicht der Geistlichkeit unterstellt blieb.

 

In Mainz wurde der Pius-Verein auch zum Impulsgeber für das kirchliche sozialkaritative Leben in den 1850er Jahren. So ging etwa der Vinzenz- und Elisabeth-Verein, dem Lennig ebenfalls angehörte, auf seine Initiative zurück, sowie die Gründung des noch heute bestehenden Vinzenz- und Elisabeth-Hospitals. Daneben unterstützte er unter Ausnutzung der politischen Umbruchsituation die Ansiedlung der Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul. Diese wurden in der Krankenpflege tätig, zunächst nur in ihrem eigenen Hospital, seit 1852 außerdem im Rochusspital und seit 1854 im Invalidenhaus (heute städt. Altersheim).

Zur Entschlossenheit, mit der Lennig die Kirche aus ihrer Lethargie gegenüber dem Staatskirchentum herauszureißen gedachte, gehört es selbstverständlich auch, die Bischöfe zu mobilisieren. Sie sollten die Gunst der Stunde nutzen und endlich aus der Vereinzelung heraustreten, in der sie gegenüber ihren zumeist protestantischen Landesherrn gefangen waren. Unter erheblichem persönlichem Einsatz drängte er daher auf die Einberufung einer Versammlung der deutschen Bischöfe. Es gelang ihm dafür den zunächst noch widerstrebenden Kölner Erzbischof Johannes von Geissel als Initiator zu gewinnen. Dieser war ihm aus gemeinsamen Mainzer Seminartagen der Jahre 1815–1818 freundschaftlich verbunden. 1842 war Geissel die Leitung des Kölner Erzbistums übertragen worden. Mit der Unterstützung durch den Limburger Bischof Blum, der Geissel ebenfalls die Notwendigkeit einer gemeinsamen Beratung des deutschen Episkopats verdeutlichte, gelang es Lennig dann doch, den entscheidenden Anstoß zur Einberufung der deutschen Bischofsversammlung durch Erzbischof von Geissel zum 21. Oktober 1848 nach Würzburg zu geben. Lennig war überzeugt, dass es dem Episkopat nach entsprechenden gemeinsamen Beratungen eines von ihm vorbereiteten Themenkatalogs, den er Geissel unterbreitet hatte, am ehesten möglich sei, durch ein untereinander abgestimmtes geschlossenes Auftreten gegenüber den Regierungen ihre uneingeschränkte Handlungsfähigkeit als Leiter ihrer Diözesen zu erlangen. Da eine schon längere Zeit andauernde Krankheit die Teilnahme Bischof Kaisers nicht mehr zuließ, wurde Lennig, der ihn nach Würzburg begleiten sollte, schließlich als Vertreter des Bischofs entsandt. Unter den 24 anwesenden Bischöfen vertrat der Erzbischof von München, Graf Reisach, der zu Unrecht eine nationalkirchliche Absonderungsbewegung befürchtete, einen strikt an den Interessen der römischen Kurie orientierten Kurs und geriet damit zunächst in Gegensatz zur Mehrheit der Teilnehmer. Lennig sprach sich dagegen nachdrücklich für einen besseren Zusammenschluss der Bischöfe aus. Nur so könnte Angriffen des Staates wie etwa seinerzeit der Verhaftung Erzbischofs von Droste-Vischering in Köln wirksam vorgebeugt und begegnet werden. Damit stellte er die Abwehr staatskirchlicher Eingriffe in den Vordergrund. Gleichwohl sah auch er die Notwendigkeit, gegenüber Rom den Eindruck einer nationalkirchlich ausgerichteten deutschen Sondersynode zu vermeiden. Man einigte sich schließlich darauf, dass die bis zum 14. November tagende Versammlung offiziell nur als freiwillige Nationalberatung betrachtet wurde.

Der Oktober und die erste Hälfte des Novembers 1848 waren ein neuer Höhepunkt in Lennigs kirchenpolitischem Wirken, der ihm in der dichten Abfolge der Ereignisse jedoch auch einen außerordentlichen persönlichen Einsatz abverlangte. Danach sollte aber für den rastlos und erfolgreich vorwärts Strebenden eine Krise folgen. Diese bahnte sich nach dem Tode des schwer erkrankten Bischofs Kaiser an, der am 30. Dezember 1848 verstarb. Am 5. Januar würdigte Lennig in seiner Trauerrede ausdrücklich die vielfältigen Verdienste des Verstorbenen.

Zwar war es Lennig gelungen, bei jenen Gläubigen, die die Lage der Kirche in Staat und Gesellschaft ähnlich wie er beurteilten, für sein Engagement viel Anerkennung zu erfahren. Doch stimmten längst nicht alle Katholiken mit ihm und seinen Anhängern darin überein, wie sich das kirchliche Leben künftig gestalten sollte. Es gab auch eine beträchtliche Gruppe, zu der neben einigen Theologieprofessoren etliche Kleriker der Diözese auch aus den höchsten Rängen zählten, die sich für eine demokratisch-konstitutionell verfasste Kirche einsetzten und eine Wiederbelebung der Synoden als konstitutives Element des kirchlichen Lebens forderten. Diese unüberbrückbare Differenz im Klerus wurde nach Bischof Kaisers Tod dadurch offenbar, dass nicht Tobias Höfer, ein Parteigänger Lennigs und als Domdekan das ranghöchste Mitglied des Kapitels, sondern Kaspar Grimm, der älteste Domkapitular, zum Bistumsverweser gewählt wurde. Grimm war 1811 in Aschaffenburg zum Priester geweiht worden, wo Erzbischof Karl Theodor von Dalberg 1807 ein Priesterseminar gegründet hatte, dessen Ausbildungsgang an einer gemäßigten Aufklärung orientiert war. Das Staatskirchentum wurde hier nicht grundsätzlich abgelehnt.

Die Bischofswahl der Jahre 1849/1850

Nach den gravierendenden politischen Umwälzungen des Jahres 1848 war der Darmstädter Regierung mittlerweile daran gelegen, den mit der Kirche erreichten Zustand nicht durch die Wahl eines eigenwilligen Bischofs wieder zu gefährden. Der Großherzog machte daher von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch, indem er beabsichtigte, Johann Baptist Lüft, den katholischen Pfarrer seiner Residenzstadt, als Stellvertreter des Bischofs in die Erste Kammer zu berufen. Lüft galt zwar allgemein als ein Mann des Ausgleichs, war aber auch ein Sympathisant Lennigs und lehnte ab. Nun berief Ludwig III. am 10. Januar 1849 Prof. Leopold Schmid. Dieser, ein gebürtiger Schweizer, war zunächst Regens am Limburger Priesterseminar gewesen und erhielt 1839 den Lehrstuhl für Dogmatik an der Gießener Fakultät. In seinem Denken war er geprägt vom Deutschen Idealismus und galt als Vertreter eines friedlichen Ausgleichs zwischen den Konfessionen. Daher waren Konflikte mit Kaspar Riffel zu dessen Gießener Zeit nicht ausgeblieben. Die Berufung Schmids durch den Großherzog konnte von den Mitgliedern des Domkapitels durchaus als Signal verstanden werden. Als sie am 20. Januar zur Erstellung der Kandidatenliste zusammenkamen, soll Lennig sich aus formalen Gründen für die Berücksichtigung Schmids ausgesprochen haben. Die Kandidatenliste, auf der sich auch Lennigs Name fand, wurde auf Anraten des Kreisrats für Mainz und Kommissars für die Provinz Rheinhessen, Reinhard Freiherr von Dalwigk, seitens der Regierung gebilligt. Man fürchtete wohl den Eklat, den die Streichung seines Namens verursacht hätte.