Was fehlt?

Mesaj mə
0
Rəylər
Fraqment oxumaq
Oxunmuşu qeyd etmək
Şrift:Daha az АаDaha çox Аа

3.Die nachuniversitäre Phase: Zu viele Philosophien – Zuwenig Reflexion

Ein wenig anders ist es mit den Fragen, die landläufig philosophische Fragen genannt werden können, und die nicht nur in Gesprächen mit Führungskräften zur Sprache kommen, aber eben auch bei ihnen in Zusammenhängen aufleuchten, in denen von Freiheit, Verstrickung, Schuld, Befreiung, Sehnsucht, nicht anders handeln können – aber anders handeln wollen – die Rede ist.

Im Rahmen dieser Gespräche ist häufig festzustellen, wie stark der Einfluss von gesellschaftlich dominierenden Annahmen ist, bzw. popularisierten Ableitungen aus aktuell hochgeschätzten Wissenschaften zur persönlichen Orientierung genutzt und als Grundlage zur persönlichen Lebens- und Handlungsgestaltung eingesetzt werden.

Ein Beispiel: ganz besonders eindrücklich ist das an der Frage der Führung von Mitarbeitern und Unternehmen festzustellen. Mit Hilfe einer Beratungsindustrie (zu der ich wiederum selbst gezählt werden kann) wird der betreffenden Zielgruppe eine Vielzahl von Modellen, Systemen und Werkzeugen angeboten, die stets den Schein mit sich führen, beziehungsweise ihn auch explizit formulieren, dass mit Hilfe geeigneter Erkenntnisse, der daraus entwickelten Werkzeuge und deren effektiver und effizienter Implementierung die Lenkung, Steuerung und Gestaltung der unternehmerischen Wirklichkeit und der darin agierenden beziehungsweise zu führenden Mitarbeiter erfolgreich machbar ist.

Ja, mehr noch: wie es so schön und vielversprechend einer der Einflussreichsten in dieser Branche, der in St. Gallen sitzende Fredmund Malik, kürzlich in der „ZEIT“ formulierte: „Das Unternehmen muss dem Wandel voraus sein, um dessen Regeln maßgeblich mitzugestalten“7.

Dazu braucht es natürlich ganz andere Tools und Lösungen als bisher, denn der typische Angstansatz, den sicherlich einige der hier Anwesenden noch aus dem Religionsunterricht der eigenen Schulzeit oder aus Predigten kennen, hoffentlich auch nur aus der Schulzeit, der wird auch im ökonomischen Beratungskontext immer wieder gerne gewählt: mach den Leuten Angst und bring die Erlösung/Problemlösung gleich mit. Da heißt es dann: mit herkömmlichen Managementmethoden werden Konzerne (z.B. Siemens) in der digitalen Transformation untergehen. Nur gut, dass Malik dann auch die neuen erfolgversprechenden Lösungskonzepte parat hat: „Für das Meistern dieser Anforderungen gibt es Lösungen, die aus den Komplexitätswissenschaften stammen, einer Kombination mehrerer Wissenschaften. Allen voran gehört dazu die Kybernetik – die Wissenschaft funktionierender Systeme und ihrer Selbstorganisation –, aber auch die Gehirnforschung sowie die Bionik, also die Übertragung von Lösungen aus der Natur auf Technik und gesellschaftliche Organisationen“8.

So etwas zu sagen, ist nur dann möglich, wenn dazu und davor eine gnadenlose Abstraktion der Realität durchgeführt wird, also ontologisch gesehen das Ganze des Seienden auf Vorhandenheit reduziert wird und anschließend das Ganze der als relevant bestimmten Vorhandenheitsbrocken in Relationen bzw. in Funktionsbeschreibungen aufgelöst wird.

Zur Steuerung, Lenkung und Gestaltung von Unternehmens- wie Führungsprozessen werden aus Personen Menschen gemacht, Menschen werden als kognitiv-biologische Lebewesen definiert, die als primär anreizorientierte Triebbündel agieren. Die relevanten Schalt- und Steuerungsmechanismen dieser Triebbündel befinden sich im Gehirn. Kenntnisse der Gehirnabläufe liefern die Fundamente für gelingende Interaktionen. Gelingende Interaktionen liegen vor, wenn die Akteure Mehrleistung generieren zum Wohle des Gesamtsystems auch auf Kosten, also zu Lasten des produzierenden Funktionselements, das heißt des Akteurs.

In funktionalen Führungsparadigmen gibt es keine „Handlungen“ mehr, weil es keine „Personen“ mehr gibt. Und dort, wo Personen fehlen, haben Begriffe wie Autonomie, Gut-und-böse-sein-Können, Gerechtigkeit, Verantwortung, Glaubwürdigkeit, Endlichkeit, Unverfügbarkeit, Schuld und Sehnsucht keinen Sinn mehr. Das Geheimnis Mensch wird so gnadenlos ausgepinselt mit der von einer popularisierten Wissenschaft gelieferten Schwarz-Weiß-Palette. Er wird in abgrenzbare Bezirke aufgeteilt und, man muss es zugestehen, auch im Malen nach Zahlen kommt etwas heraus.

Und weil dann doch ein Bild aus bloßen Grauschattierungen ziemlich eintönig wirkt und allerlei Teambildungsspielchen bzw. Reorganisationsmaßnahmen auch nicht helfen und alles irgendwie beim Alten bleibt, trotz vielfältigster Aktionen des „HR“ (department for human resources), kommt dann doch die andere Seite, die weichen Faktoren bildende, die nicht-objektive, die jenseitige, im Zwie- und Dämmerlicht verortete Seite von Mensch und Unternehmen ins Blickfeld. Wie im Privatfernsehen die Mysteryserien wuchern, sprießen im Unternehmens- und Führungskontext die Werte.

Werte sollen und müssen zu Ankern werden, zu Verbindlichkeitskonstanten, denen sich alle unterordnen. Aber welche Werte und woher? Im Normalfall werden diese von der Firmenleitung oder von einer Arbeitsgruppe gesetzt beziehungsweise aufs Tablett gehoben und dann steht eben in der Firmenzeitung oder auf den Internetseiten des Unternehmens: „Wir wollen mit (hier die Werte ihrer Wahl) für unsere Kunden …“

Zur Auftaktveranstaltung werden dann auch gerne hauptamtliche Wertevertreter – sprich Ordensangehörige und Ordensobere – eingeladen, die gleich einen ganzen Sack voller Werte mitbringen und dazu auch noch ein paar christliche Werte offerieren und, wenn es ganz schlimm kommt, von einer „Christlichen Führung“ sprechen.

Der Effekt im Unternehmen geht gewöhnlich gegen Null. Doch was sich die Ordensoberen bzw. die Orden damit selbst antun (die Indienststellung des Glaubens), das ist eine ganz andere Frage, die vor einiger Zeit Rainer Bucher an die Benediktiner gestellt hat: „Mit welcher Herausforderung unserer Kultur, unserer Gesellschaft heute verbindet man etwa Ihren Orden, die Benediktiner? Ich frage nicht: verbinden Sie in Ihrem Selbstverständnis Ihren Orden, sondern verbindet diese Gesellschaft mit Ihrem Orden“9.

Am schlimmsten, am wenigsten fassbar und geradezu fassungslos aber sind für mich die Unternehmen, die auf einem christlichen Selbstverständnis gegründet sind, sich auf diese Wurzeln berufen und sich im Alltag bedenkenlos „angesagten“ Managementphilosophien ausliefern. Dies geschieht, indem sie Berater und Geschäftsführer konsultieren und einstellen, die durch ihre kybernetisch-funktional-chaostheoretische Sicht auf die unternehmerische Gegenwart Folgen generieren, die weder den Menschen (Mitarbeitern wie Bewohnern) dienen – noch den Bilanzen (und auch dann wären sie nicht legitimiert, wenn ihnen das gelänge) nutzen. Systeme, die Personen systematisch übersehen, produzieren ein gerüttelt Maß an Demotivierung oder innerer Kündigung. Die Vorstände dieser dienenden Einrichtungen sind ja nicht selten Theologen! Ich erwarte nicht, dass diese die aktuellen theologischen Forschungsstände in den einzelnen Disziplinen kennen, aber die Grundaussagen ihres Glaubens in Bezug auf den Menschen sollten sie kennen – und eben ihnen entsprechend handeln.

Doch dort wo Angst herrscht, die Farben der Wissenschaft, also Schwarz und Weiß herrschen, da ist es schwer, nach anderen, farbigen Maßstäben zu handeln.

Darin sehe ich die Aufgabe einer Theologie heute. Wenn Theologie verstanden wird als Rede des Menschen von seinem Gott, als, so Alexius Bucher, Glaube im Modus des Denkens10, dann ist der Gott Jesu Christi als ein menschenliebender Gott zu begreifen. An diesen menschenliebenden Gott zu glauben, führt ins Freie und gibt Sicht über Schwarz und Weiß hinaus.

Aber wie soll jemand an die befreiende Nachricht glauben, wenn er in dem, der von diesem Gott erzählt, alles andere als einen Befreiten sieht, sondern sich einem gegenübersieht, der eine noch eingeschränktere Farbpalette mitbringt.

Was uns Theologen fehlt und von uns erwartet würde, vermögen wir dann zu erkennen, wenn wir die Lebenswelt der Gläubigen, der Suchenden, wie auch der Gleichgültigen zum Thema machen und anschauen, was Menschen umtreibt. „Der Theologe hat in nachmetaphysischer Epoche nur eine Chance: Er versucht, die erfahrbare Welt des Menschen im Licht unter den Bedingungen jener Interpretationsvorlage zu deuten, wie sie ihm in Wort und Werk des Glaubensstifters und dessen heilsamer Wirkgeschichte initiatorisch begegnet.“11

Anders und abschließend formuliert: Der Theologe, dem das unverschämte Glück übereignet ist, zeigen zu können, dass es weit mehr als Schwarz und Weiß und die entsprechenden Grauschattierungen gibt, er ist dazu da, den Menschen die Farbpaletten für die Bilder ihres Lebens zu erweitern und von diesen Farben zu künden.

Mit dem Gott Jesu Christi steht ein unabsehbarer Farbenreichtum zur Verfügung, bei dem wir schon bei einer Farbe über die Grenze des Erfassbaren kommen, wie es so treffend Herbert Grönemeyer in seinem Stück vom Himmel formuliert: „Es gibt Milliarden Farben und jede ist ein anderes Rot“.

Wir Theologen haben den Menschen die Milliarden Farben von Rot, Grün, Blau, von Azur, Gelb, Braun, … anzubieten. Die Leinwand des Lebens ausmalen, das können die Menschen dann schon selbst.

Literatur

Bloch, E., Etwas fehlt – Glück und Utopie. Ein Gespräch mit Theodor W. Adorno, in: Apel, K.-O./Böhler, D. u.a. (Hg.), Praktische Philosophie/Ethik, aktuelle Materialien, Reader zum Funk-Kolleg, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1980, 405-413, 484.

Bucher, A.J., ‚Das Weltkind in der Mitten‘. Vom theologischen Interesse an der Philosophie, in: Müller, G. (Hg.), Das kritische Geschäft der Vernunft. Symposion zu Ehren von Gerhard Funke, Bonn 1995, 55-74.

 

Bucher, R., Stabilität in einer „Fluid Church“. Die Chance der Orden in der Transformationskrise der katholischen Kirche, in: zur debatte 8/2012, 28-30.

Malik, F., Auf ins Ungewisse. Mit herkömmlichen Methoden werden Konzerne in der digitalen Transformation untergehen, in: Die Zeit, Nr. 21, 15. Mai 2014, 26.

Marx, R./Heckl, W.M./Zierer, K., Glaube und Bildung. Ein interdisziplinäres Gespräch zwischen Erziehungswissenschaft, Naturwissenschaft und Theologie, in: zur debatte 6/2014, 1-8.

Rahner, J., Einführung in die katholische Dogmatik, Darmstadt 22014.

Rohrhirsch, F., Christliche Führung – Anspruch und Wirklichkeit. Führen mit Persönlichkeit und Ethik, Wiesbaden 2013.

1Bloch, Etwas fehlt, 413.

2Marx u.a., Glaube und Wissenschaft, 4 (Bildunterschrift).

3Ebd.

4Ebd., 5.

5Ebd.

6Rahner, Einführung, 37.

7Malik, Auf ins Ungewisse, 26.

8Ebd.

9Bucher, R., Stabilität, 30.

10Vgl. Rohrhirsch, Christliche Führung, 60.

11Bucher, A.J., ‚Das Weltkind in der Mitten‘, 73.

Quid est homo?
Der Mensch in Zeiten seiner körperlichen Transformation

Klaus Wiegerling, Karlsruhe

Die Theologie erfährt durch neue Möglichkeiten der Transformation des menschlichen Körpers bzw. der Steigerung körperlicher Vermögen eine Herausforderung, die bisher kaum beachtet wurde.

Das katholische Menschenbild, durch ein auf der Gottesebenbildlichkeit beruhendes Naturrecht gegründet, wird mit in erheblichem Maße technisch bedingten Veränderungen menschlicher Ressourcen und damit möglicherweise des Menschseins selbst konfrontiert. Die ‚conditio humana‘ hat längst eine bio- bzw. informationstechnologische Dimension.

Wir müssen die Frage stellen, ob der Mensch der Zukunft, der zumindest in den hochtechnisierten Teilen der Welt wohl nicht nur in einer natürlichen Deszendenz, sondern zunehmend auch in einer technischen Entwicklungsreihe stehen wird, noch problemlos angeschlossen werden kann an das, was wir heute unter einem Menschen verstehen. Was bleibt vom ‚Wesen‘ des Menschen, wenn dieses Wesen eine völlig andere Disposition erfährt. Es stellt sich in der Nachfolge von Heideggers Destruktion der Metaphysik die Frage, ob die bisherige Endgestalt der Metaphysik, die er in der zu seiner Zeit modernen Technik sah, nicht dann eine Überbietung erfährt, wenn das technische Denken, als ‚stellendes‘ Denken, den Menschen selbst erfasst, und zwar als ein technisches Artefakt, in dem bio- und informationstechnische Verfahren konvergieren. Dies ist in dem Sinne zu verstehen, dass der Mensch erstens in biotechnischen Verfahren von Geburt an eine von Menschen hergestellte besondere genetisch-physiologische Disposition erfährt und sozusagen als ein Biofakt zur Welt kommt; zweitens erfährt der Mensch im Laufe seines Lebens eine informationstechnologische Aufrüstung durch intelligente Implantate und Prothesen, die verknüpft mit einer intelligenten Umwelt Möglichkeiten einer quasi instantanen Anpassung an Umweltbedingungen bzw. Rollenanforderungen sowie eine Möglichkeit der permanenten Überwachung und Regulierung von vitalen Prozessen bietet; drittens ist noch denkbar, dass informationstechnologische Funktionen von entsprechend gestaltetem organischem Material übernommen werden, dass es also in gewisser Hinsicht zu einer Aufhebung des Gegensatzes von Informations- und Biotechnologie kommt. Es stellt sich damit in einer neuen Art und Weise die Frage nach dem Adressaten der Heilsbotschaft. Wer also ist der künftige Mensch, wer der künftige Adressat der Heilsbotschaft? Im Folgenden soll in fünf Thesen die Dringlichkeit der Frage nach dem künftigen Adressaten der Heilsbotschaft exponiert werden.

These 1: Wir leben in einer Zeit, in der die Frage nach dem Adressaten der christlichen Heilsbotschaft eine neue Qualität erlangt, insofern der Mensch in seiner organischen Disposition eine Transformation erfährt, die sogar Einfluss auf seine Denkfähigkeit zu nehmen vermag

Man hat traditionell die physiologische Disposition des Menschen von dem unterschieden, was unter dem Begriff ‚conditio humana‘ gefasst wurde. Längst ist die physiologische Disposition des Menschen allerdings Teil einer technischen Verfügungsmacht geworden. Bio- und informationstechnologische Möglichkeiten werden bereits zur ‚Herstellung‘, zur Erhaltung, aber auch zur Aufrüstung menschlichen Lebens genutzt. Das heißt, die ‚conditio humana‘, die sich wesentlich in sozialen bzw. kulturellen Bedingungen äußert – wie sie von Anthropologen wie Plessner oder Gehlen etwa formuliert wurden –, erfährt eine Art Unterwanderung durch technische Verfügungsmittel, die Teil unserer physiologischen Disposition geworden sind. In gewisser Hinsicht dringt Technik, die freilich schon immer ein Ausdruck der kulturellen bzw. historischen Disposition des Menschen war, in die organischen Grundlagen des Menschen. Sie ist damit nicht nur das, was man zur äußeren Bewältigung des Lebens nutzt, sondern sozusagen ‚innerer‘ Bestand unserer ‚Natur‘. Der menschliche Körper stand immer in einer besonderen Beziehung zu den Bedingungen seiner Lebenswelt.

Immer schon gab es kulturelle Rhythmisierungen und Prägungen unseres Körpers bis hin zum Schmerzempfinden – man denke an das Schmerzempfinden Angehöriger von Jagdvölkern oder der Fakirkultur. Dies geschieht durch passive und aktive Anpassungsvorgänge, durch Sozialisierung, durch Trainingseffekte, Gewöhnung und Erziehung.

Die neuen Techniken zur Steigerung der Fähigkeiten des menschlichen Körpers sollen aber Möglichkeiten bieten, den menschlichen Körper quasi im Instantverfahren auf veränderte Lebensbedingungen und deren Erfordernisse einzustellen. Dies kann bedeuten, dass es situative Anpassungen geben wird, etwa wenn der Biorhythmus eines Piloten bei Transatlantikflügen so verändert wird, dass eine möglichst optimale Aufmerksamkeit gewährleistet ist. Die organische Regulierung des Körpers kann nun in automatisierter Weise durch intra- aber auch extrakorporal vorgenommene informatische Steuervorgänge erfolgen.

Ohne Frage wird man menschliche Gebrechen künftig nicht nur mit dem Skalpell oder mit Medikamenten behandeln, sondern auch vom Rechner aus, indem man intelligente Implantate neu justiert. Die ‚conditio humana‘ des modernen Menschen in den technisch hochgerüsteten Teilen der Welt sieht also so aus, dass die Natur – die nach aristotelischem Verständnis etwas sich von selbst Bewegendes, Wachsendes bzw. Zurückentwickelndes und den technischen Fähigkeiten des Menschen Gegenüberstehendes ist – substantiell auf einen hyletischen Restbestand reduziert wird. Ja man kann sogar sagen, dass Natur in einen Reflexionsbegriff transformiert wird, der die Bedingung eines Verhältnisses fokussiert, aber kein eindeutiges Referenzobjekt mehr hat.

Die moderne synthetische Biologie geht von einem radikal reduzierten Naturverständnis aus, wenn sie Leben aus unbelebten physikochemischen Grundbeständen zu schaffen beansprucht. Dass die transhumanistischen Vorstellungen eines technisch aufgerüsteten menschlichen Körpers oft naiv sind, steht dabei außer Frage. Man kann nicht ohne weiteres das menschliche Gehör auf das Niveau des Gehörs eines gesunden Hundes bringen, ohne dass dies Auswirkungen auf den Gesamtorganismus und vor allem die Psyche des Menschen hätte.

Natürlich muss jede Steigerung körperlicher Fähigkeiten mit dem gesamten Organismus vermittelt werden. Es sind aber durchaus enorme Möglichkeiten der Leistungssteigerung – etwa im Feld der Orthopädie – denkbar. Dabei ist allerdings auch nach langfristigen Folgen für den Gesamtorganismus zu fragen. Kurzfristige Leistungssteigerungen werden – wie beim Doping im Sport – nicht selten mit den Organismus schädigenden Spätfolgen erkauft. Dennoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Eingriffe in den menschlichen Organismus möglich sind, die sogar einen Einfluss auf die Stimmung und die Denkleistung jenseits pharmazeutischer Möglichkeiten ausüben.

These 2: Die körperliche Transformation des Menschen hat Auswirkungen auf sein leibliches Selbstverständnis und seine Weltwahrnehmung

Unsere Leiberfahrung unterscheidet sich von der in der Dritten-Person-Perspektive gemachten Körpererfahrung nicht nur dadurch, dass es sich bei ihr um eine Wahrnehmung in der Ersten-Person-Perspektive, sondern vor allem auch dadurch, dass es sich um die Wahrnehmung einer historisch-kulturellen Entität handelt. Der Leib als naturalisiertes Kulturstück bzw. als kultiviertes Naturstück kann nicht nur naturwissenschaftlich erklärt werden, sondern muss wie jedes historische Phänomen immer wieder aufs Neue ausgelegt werden. Er ist für uns das zentrale Medium der Welt- und Selbstvermittlung. Wir erfahren uns als ein besonderes, von der Welt und anderen lebendigen Entitäten geschiedenes Naturstück, das uns über die Sinnesvermögen einen Zugang zur Welt verschafft und uns ein Selbstgefühl gibt. Wir erfahren durch den Leib Widerständigkeiten, die uns die physikalisch fassbare Außenwelt, aber auch den fremden Willen anderer Leiber erfahren lässt.

Der individuelle Leib impliziert aber auch Intersubjektives. Damit ist nicht nur das gemeint, was Merleau-Ponty ‚Zwischenleiblichkeit‘ nennt, also quasi eine präkognitive Disposition des menschlichen Handlungsraumes durch die Nähe anderer Leiber wie im Verhältnis von Mutter und Kind, sondern ein Leiberlebnis und Leibverständnis, das ich mit Angehörigen meiner Kultur und Epoche teile. Indische Yogis erleben ihren Körper anders als wir. Der Leib ist immer etwas transzendierendes, seine organische Disposition Übersteigendes. Unser Selbst- und Weltverständnis kann also nicht von unserer Körperlichkeit her verstanden werden, sondern ausschließlich von unserer Leiblichkeit her.

Verändert sich aber durch technisches Handeln die körperliche Disposition des Menschen, hat dies auch Auswirkungen auf das Leibverständnis. Ärzte berichten davon, dass die Patientenerwartung zunehmend der eines Kleinkindes gleicht, das nach dem Sturz weinend zur Mutter rennt und ‚Heile machen‘ ruft. Der Arzt soll das körperliche Gebrechen sozusagen instantan beheben. Der eigene Leib wird zunehmend als eine Maschine empfunden, die gewartet und repariert oder auf neue Anforderungen auf- oder umgerüstet werden kann. Diese Erwartungen werden zum Teil von den Gesundheitsinstitutionen evoziert bzw. initiiert, etwa wenn eine fortschreitende Präventionsmedizin sich als Wartungsdienst begreift und die Grenzen zwischen ‚Gesundheit‘ und ‚Krankheit‘ zunehmend verwischt. Ein Sofortismus hat alle Sphären des gesellschaftlichen und individuellen Lebens erfasst und prägt zunehmend auch Erwartungshaltungen gegenüber der Medizin.

These 3: Traditionelle Vorstellungen der Natur als etwas, das sich selbst hervorbringt, ebenso wie traditionelle naturrechtliche Prämissen genügen nicht mehr, um den gegenwärtigen Transformationsprozess des Menschen und dessen künftiges Selbstverständnis zu fassen

Es stellt sich die Frage, ob naturrechtliche Voraussetzungen, die theologisch auf der Gottesebenbildlichkeit des Menschen beruhen, noch genügen, um die sich im gegenwärtigen Zeitalter der Transformation des Menschen verändernde ‚conditio humana‘ fassen zu können.

Ohne Frage liegt hier eine neue Herausforderung für die Theologie, die den zentralen kirchlichen Auftrag der Vermittlung der Heilsbotschaft betrifft. Es geht um die Frage, wer das Wesen ist, dem die Heilsbotschaft vermittelt werden soll.

Das christliche Naturverständnis geht von der kreatürlichen Eigenständigkeit des Menschen aus. Dabei wird die Natur des Menschen durchaus als offen, also als veränderlich angesehen. Es wird also keineswegs ein starrer Naturbegriff angenommen, sondern durchaus einer, der Veränderlichkeit etwa im Sinne der Deszendenztheorie einschließt.

Nun ist, wie erwähnt, die ‚conditio humana‘ ein Begriff, der das Feld körperlich-organischer Dispositionen transzendiert. Zu ihr zählen Weisen der Gemeinschafts- und Gesellschaftsorganisation, gehören auch kulturelle Dispositionen, die unabdingbar sind für das nackte Überleben, aber auch Bedingung eines gelingenden Lebens des Menschen sind.

Zur ‚conditio humana‘ gehört nicht zuletzt auch die technische Disposition des Menschen, wie sie von Helmuth Plessner im ersten anthropologischen Grundgesetz von der natürlichen Künstlichkeit des Menschen formuliert wurde. Die neue Qualität sieht nun aber so aus, dass die Kultur sich in anderer Weise in unseren Leib einschreibt, als es die klassische Lebensweltphilosophie und die Phänomenologie im Verhältnis von Leib und Lebenswelt annimmt. Es geht nicht mehr um Prägungen und Anpassungen, auch nicht darum, dass die organische Disposition des Menschen in seiner Vorgegebenheit angenommen und gewürdigt wird, sondern um die technische Gestaltung und Hervorbringung dieser körperlichen Dispositionen. Es steht damit schlicht und ergreifend die Natalität des Menschen infrage. Der Mensch ist dann nicht mehr Ausdruck eines Neuanfangs, sondern etwas, das von fremden Mächten geformt bzw. disponiert ist, ein Wesen, das sozusagen nicht mehr Herr im eigenen Haus ist, gerade, weil es sich zum Herrn der Schöpfung gemacht hat. Das Fatale an den neuen Möglichkeiten informations- und biotechnologischer Aufrüstung des menschlichen Körpers liegt darin, dass die Implantate und die extrakorporalen Überwachungssysteme zunehmend autonom agieren. Der Mensch hätte dann in seiner körperlichen Disposition eine Technologie freigesetzt, die sich in einem nicht unerheblichen Maß einer unmittelbaren Steuerung und Kontrolle entzieht. Der entglittene Besen des Zauberlehrlings treibt sozusagen in uns selbst sein (Un-)Wesen.

 

These 4: Die moderne Technik, die Martin Heidegger als eine Endgestalt des stellenden, alles einem Kalkül unterwerfenden metaphysischen Denkens sah, erweist sich als ein ‚vorletzter‘ Ausdruck des metaphysischen Denkens, insofern die Endgestalt erst dann erreicht wäre, wenn das Denken des Menschen selbst technisch unterwandert, also Ausdruck einer quasi autonomen Technologie ist

Es stellt sich in der Folge von Heideggers Destruktion der Metaphysik die Frage, ob die bisherige Endgestalt der Metaphysik, die Heidegger in der zu seiner Zeit modernen Technik sah – und die für ihn der Inbegriff des stellenden, alles unter seine Verfügung bringenden Denkens ist –, nicht dann noch eine Überbietung erfährt, wenn das technische Denken den Menschen selbst von innen her, also seinen organischen Dispositionen her kolonialisiert, wenn dieses Denken zu einer gestaltenden, die organische Disposition transformierenden und substituierenden, technischen Praxis wird.

Der Mensch wird zunehmend als ein technisches Artefakt, als im Labor hergestelltes Biofakt oder eine Art Cyborg gesehen, in dem bio- und informationstechnische Verfahren konvergieren. Dieses letzte metaphysische Denken würde sich dann auch in – innerhalb eines gewissen Rahmens – ‚autonom‘ agierenden intelligenten Implantaten und Prothesen artikulieren und somit in die biologische Substanz des Menschen dringen. Der Mensch erfährt sich so nicht nur als ein in einer natürlichen Deszendenzlinie, sondern zugleich als ein in einer technischen Entwicklungslinie stehendes Wesen.

Intelligente Implantate und Prothesen können nun nicht nur körperliche Vermögen steigern bzw. neuartige körperliche Vermögen verschaffen, sie können auch intellektuelle Vermögen beeinflussen. So wird bereits in der klinischen Psychiatrie mit Hirnimplantaten experimentiert, die bei an schweren Depressionen Leidenden Gehirnpartien lahmlegen und so für eine Stimmungsaufhellung ohne Medikamente mit schweren Nebenwirkungen sorgen sollen.

All diese intelligenten Implantate und Prothesen können natürlich auch von außen eine Überwachung und Steuerung erfahren. Dies heißt freilich noch nicht, dass das Denken des Menschen von außen in einem expliziten Sinne gesteuert werden kann, dies würde ja bedeuten, dass ein ‚Es‘ denkt, womit auch die Rede von einem autonomen und überhaupt individuellen Wesen, das verantwortlich handeln kann, obsolet wäre. Es ist aber durchaus, ähnlich wie unter medikamentösem Einfluss, vorstellbar, dass ein Stimmungswandel auch informationstechnologisch herstellbar ist. Die Haut als Außengrenze des Körpers ist dann überwunden, wenn intrakorporale Vorgänge wie bei der Blutwäsche von außen gesteuert werden können. Diese Steuerung betrifft aber alle physiologischen Dispositionen, auch diejenigen, die Auswirkungen auf unsere Denkleistungen haben.

Die Situation, in der wir uns derzeit befinden, sieht so aus, dass der Mensch sich zunehmend zu einer Art Cyborg transformiert, Technologie also in seine leibliche Disposition eindringt und ihn zu einem Wesen transformiert, das sich quasi technischen Kalkülen unterwirft; dementsprechend werden auch andere Erwartungen an Gesundheit bzw. Funktionalität der eigenen körperlichen Vermögen gestellt. Auch der Umgang mit dem Altern wird wohl einen Wandel erfahren und es werden damit auch neue Einstellungen zum Alter und zum Altern entstehen.

All dies hat nicht nur Auswirkungen auf unser Selbstverständnis, sondern auch auf unser Sozialverhalten. Damit ist noch keineswegs gesagt, dass posthumanistische Steigerungsphantasien realisiert werden können, dazu sind in diesen Konzepten noch zu viele logische Widersprüche, tatsächlich auch zu viel Ideologie, Ökonomie und Metaphysik enthalten. Andererseits haben diese Visionen aber bereits heute Auswirkungen auf unser Selbst-, Gesellschafts-, und Weltverständnis.

Die letzte Stufe des metaphysischen Denkens wäre nun ein selbständig gewordenes technisches Kalkül, in das der Mensch in seiner körperlichen Substanz quasi eingebunden ist. Der Mensch wäre eine einem Kalkül unterliegende Apparatur, die ganz in ihrer Funktionalität aufgeht. Individuelle Abweichung wäre wohl rasch ein Regulierungsanlass. Technisches Denken als letzte Stufe der Metaphysik hätte sich damit in gewisser Weise selbst unterlaufen, hätte deren ursprüngliche Begründungsabsicht zugunsten eines radikalen Regulierungs- und Beherrschungskalküls aufgegeben. Der kritische Impetus und der Transzendierungswille des Denkens wäre damit überwunden, und damit wohl auch das, was in den bisherigen Vorstellungen den Menschen auszeichnet.

These 5: Quid est homo? Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, die nicht zuletzt im ‚Ecce homo‘ des Gekreuzigten zum Ausdruck gebracht ist, muss im Zeitalter der körperlichen Transformation des Menschen neu gedacht werden

Es stellt sich heute in einer neuen Art und Weise die Frage nach dem Adressaten der Heilsbotschaft. Wer ist der künftige Mensch, wer der künftige Adressat der Heilsbotschaft, wenn die naturale Disposition des Menschen – selbst wenn diese veränderlich gedacht ist – völlig dem menschlichen Gestaltungswillen unterworfen ist?

Die ‚conditio humana‘ gerät damit insgesamt in einen technischen Blick, wobei Technik dem Menschen ja keineswegs nur äußerlich, sondern ein substantieller Ausdruck seiner Existenzweise ist. Wenn Technik immer tiefer in die organische Substanz des Menschen dringt, dann läuft der Mensch Gefahr, sozusagen seine eigene technische Zurüstung zu werden.

Wie sieht eine originär christliche Gesellschaftsvision aus, wenn mitmenschliche Probleme gänzlich unter technischen Regulierungsaspekten gesehen werden, wenn die Vorgegebenheit der Welt, der Schöpfung, infrage steht, wenn Natur auf einen hyletischen Restbestand für den menschlichen Gestaltungswillen reduziert wird?

Ich glaube nicht, dass wir auf diese Fragen vorschnelle Antworten geben können. Jede Reflexion und Bewertung künftiger Entwicklungen bleibt letztlich vage, gibt aber wertvolle Hinweise auf gegenwärtige Einstellungen und Tendenzen. Die bereits eingeleiteten technischen Entwicklungen müssen uns zu denken geben.

Die Theologie muss sich – jenseits sinnvoller pragmatischer Erwägungen – diesen Entwicklungen stellen, weil sie bereits heute, unabhängig von der Realisierung transhumanistischer Visionen, Auswirkungen auf unser Leben, unser Selbst-, Gesellschafts- und Weltverständnis haben.