Kitabı oxu: «Kyla – Kriegerin der grünen Wasser»

Şrift:

Regina Raaf

Kyla – Kriegerin der grünen Wasser

Die Reise

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

Impressum neobooks

1. Kapitel

»Los, Golan, wir wollen sehen, was uns in Tritam erwartet!« Kyla trieb ihr Pferd an. Sie ließ es den Berg hinabsteigen, dessen Weg in die gewaltige Talsenke führte, in der die Stadt Tritam erbaut worden war. Die Straßen und niedrigen Gebäude lagen inzwischen im Schatten, doch die höheren Bauwerke schienen im schwindenden Sonnenlicht in purem Gold zu erstrahlen. Schon von hier aus konnte Kyla erkennen, dass unzählige glitzernde Elemente in die hellen Steine eingearbeitet worden waren. Das Funkeln war in der tiefstehenden Sonne stellenweise schon ein Gleißen. So grell, dass sie die Augen ab und zu schließen musste. Kyla war froh, ihr Ziel noch vor Einbruch der Dunkelheit erreicht zu haben.

Die vergangene Nacht war äußerst unbequem für Reiterin und Pferd gewesen. Kyla hatte es bedauert, als die dichten Wälder hinter ihnen gelegen hatten, und sie gezwungen gewesen war, mit Golan für die Nacht im Gasthaus eines kleinen Dorfes unterkommen zu müssen. Ihr Bett war so altersschwach gewesen, dass es bei der kleinsten Bewegung laut geknarzt hatte, und ihr Rücken sich auf der dünnen Matratze durchbog wie fauliges Jantholz. Im Nebenzimmer hatten ein paar Männer offenbar zu viel des Wirtshausbieres genossen – sie sangen und stritten miteinander im Wechsel die gesamte Nacht hindurch. Im Morgengrauen hatten sie dann so laut geschnarcht, dass die Wände wackelten.

Als Kyla am Morgen gezahlt hatte und in den Stall gegangen war, um Golan zu holen, musste sie feststellen, dass man ihm nicht einmal den Sattel vom Rücken genommen hatte, obwohl ihr versichert worden war, man würde sich gut um ihr Pferd kümmern. Wutentbrannt hatte sie den Wirt zur Rede gestellt, doch der kratzte sich nur am Hinterkopf und zuckte ein ums andere Mal mit den Schultern, als wisse er nicht, was ihn das alles anginge. Kyla hatte es schließlich aufgegeben, ihn maßregeln zu wollen, auch wenn ein Teil von ihr versucht gewesen war, ihm stattdessen das Messer an die Kehle zu setzen – oder zumindest ihr Geld zurückzufordern. Doch sie hatte begriffen, dass das zu nichts als weiterem Ärger führen würde. Als Kriegerin der Herrscherin stünde es ihr schlecht zu Gesicht, so rasch die Nerven zu verlieren. Dennoch hatte sie den gesamten Vormittag über auf den Wirt und die betrunkenen Männer geschimpft – Golan hatte ihr ab und zu düster schnaubend zugestimmt. Umso erleichterter war sie, keine weitere Nacht in einem Dorf verbringen zu müssen, da die Auswahl an Unterkünften in Tritam um einiges zahlreicher sein dürfte.

»Du wirst sehen, hier finden wir einen Stall, in dem du eine erholsame Nacht verbringen kannst. Absatteln, striegeln und füttern werde ich dich selbst, damit du alles bekommst, was du brauchst, um dich nach dem langen Ritt zu entspannen.« Sie hoffte, dass Golan sie verstand, damit auch er freudig auf Tritam zusteuerte. Kyla selbst hatte sich vorgenommen, für die kommende Nacht nicht nur ein Zimmer zu nehmen, sondern auch die daneben liegenden zu bezahlen, sofern dies möglich war. Sie wollte, dass ihrer Nachtruhe diesmal nichts im Wege stand. Ein wenig schämte sie sich dafür, in der Abgeschiedenheit ihres ruhigen Palastflügels offenbar das einfache Leben verlernt zu haben. Früher hatte es sie nicht gestört, wenn sie Zygal aus dem Nebenzimmer schnarchen oder furzen hörte. Im Gegenteil, es hatte sie sogar beruhigt, nach ihrem einsamen Dasein im Wald nicht mehr alleine sein zu müssen. Ja, damals war all das wirklich tröstlich gewesen, und sie hatte sich, nach den anfänglichen Schwierigkeiten, geborgen gefühlt. Inzwischen sah ihr Leben jedoch vollkommen anders aus. Sie sehnte sich danach, den Schmutz vom Körper zu waschen und in einem Bett zu liegen, das sauber und bequem war. Außerdem wollte sie nicht auch nur eine einzige andere Chyrrta-Stimme vernehmen müssen, sondern in völliger Stille in den Schlaf hinüberdämmern. Doch zuerst wollte sie Tritam auf sich wirken lassen, die Straßen und Gassen erkunden, und ergründen, was die Bewohner dieser Stadt ausmachte. Kyla fragte sich, warum der Palast der Herrscherinnen nicht hier, inmitten dieses kultivierten Stückchens Chyrrta erbaut worden war. Möglicherweise war Tritam erst im Laufe der Zeit entstanden, und zweifelsohne war der Gallan-Familie Tradition sehr wichtig, was sie wohl dazu veranlasst hatte, ihren Herrschersitz nicht nach Tritam zu verlegen. Doch es ließ sich nicht leugnen, dass diese Stadt das Herzstück von Parailas Reich darstellte.

Golan hatte die Senke inzwischen erreicht. Kyla lenkte ihn auf dem Hauptweg in die Stadt hinein. Es gab noch weitere Pfade stadteinwärts, doch diese waren im Gegensatz zu dem breiten Weg, an dessen Rändern Blumen gepflanzt waren, nur schlecht befestigt. Die Pflanzen mussten regelmäßig mit unverseuchtem Wasser versorgt werden – ein Aufwand, der nicht zu unterschätzen war. Die Stadt Tritam gab sich offensichtlich Mühe, auswärtige Besucher freundlich zu empfangen. Kyla entdeckte gleich neben dem Stadttor abgedeckte Pferdetränken und zwei Brunnen, die für jeden leicht zu öffnen waren. So konnten durstige Reiter und ihre Tiere bei der Ankunft trinken. Reisende wurden auf diese Art willkommen geheißen. Und auch bei ihrem Aufbruch, nach dem Besuch in der Stadt, erhielten sie so einen herzlichen Gruß mit auf den Weg. Diese Geste zeigte bereits die Besonderheit der Stadt Tritam und ihre Verbundenheit mit Parailas Palast. Denn außer diesen beiden Plätzen kannte Kyla keinen anderen Ort, an dem trinkbares Wasser derart großzügig verteilt wurde.

Damals, als sie als Kind an Parailas Palast gekommen war, hatte sie kaum glauben können, dass es sauberes Wasser überhaupt in so einer großen Menge gab. Dort hatte sie zum ersten Mal Brunnen gesehen, aus denen es ohne Unterlass hervorströmte. Und es gab ein Becken, das so groß war, dass man sich darin regelrecht verloren fühlte, wenn man zum Baden hineinstieg. Inzwischen gehörten diese Dinge für Kyla zum alltäglichen Bild, aber das änderte nichts daran, dass außerhalb des Palastes jeder Tropfen Trinkwasser kostbar und somit hart umkämpft war. Doch hier, an diesem Ort, spürte man nichts davon, sondern konnte sich an den großzügigen Wasserspenden und der Schönheit üppiger Blumenbeete erfreuen, noch bevor man die Stadt überhaupt betreten hatte.

Kyla zweifelte keinen Moment daran, dass Reisende sehr gerne nach Tritam kamen – und ihr erging es nicht anders. Sie stieg vom Pferd, führte Golan an die Tränke und trat selbst an einen der Brunnen heran, um ein paar Schlucke zu trinken. Als sie sich den Mund mit dem Handrücken abwischte, fiel ihr Blick auf ein Gemälde an der Mauer direkt hinter der Wasserstelle – Paraila war darauf zu sehen. Die Herrscherin lächelte gütig. In goldenen Lettern war unter ihrem Porträt zu lesen:

Die Familie Gallan lässt jeden an ihrem Reichtum teilhaben – nimm so viel Wasser wie du für dich und deine mit dir reisenden Tiere benötigst, und künde auch anderen Chyrrta von den Wohltaten deiner Herrscherinnen.

Kyla fragte sich stumm, wie viele Reisende wohl noch dankbar wären, wenn sie wüssten, dass die Gallan-Frauen seit Generationen das Wasser der Flüsse, Seen und Bäche vergifteten, um das Volk unter Kontrolle zu halten. Paraila hatte ihr selbst davon erzählt und ihr erklärt, wie wichtig es war, diese schreckliche Maßnahme ergreifen zu müssen, um noch viel Grausameres zu verhindern.

Einst hatten sich die Chyrrta gegenseitig bekämpft und niedergemetzelt, weil niemand mit dem zufrieden war, was er hatte, sondern durch Gewalt und Mord immer mehr an sich reißen wollte. Hyntha Gallan – eine Ahnin von Paraila – hatte dem ein Ende bereitet, indem sie in den Wassern Parasiten ausgesetzt hatte und somit dafür sorgte, dass die Chyrrta sich nicht mehr gegenseitig bekämpfen konnten, sondern sich darum kümmern mussten, ihr eigenes Überleben zu sichern. Dazu war für die meisten fortan ein großer Aufwand nötig, denn sie mussten bis zum Palast reisen, um sich Wasser zu holen. Oder sie waren auf die Nähe ihrer Heimat beschränkt, weil sie dort entweder eine sichere Wasserquelle zur Verfügung hatten, oder sie wurden von Bediensteten des Palastes mit dem notwendigen Gut versorgt.

Der Plan ging bis heute auf, und Kyla erkannte durchaus den Vorteil, der den Chyrrta durch die harten Maßnahmen zuteil wurde. Dennoch kostete es sie immer wieder Überwindung, die Notwendigkeit der flächendeckenden Vergiftungen einzusehen. Vor allem, da diese nicht nur die Chyrrta selbst, sondern auch die Pflanzen und Tiere in Mitleidenschaft zogen. Zum Glück hatten sich viele Tiere längst auf die Gegebenheiten eingestellt und tranken nur aus Quellen, die aus dem Erdreich hervorsprudelten oder in Höhlen zu finden waren. Da die Parasiten nur dann überleben konnten, wenn das Sonnenlicht sie stärkte, blieben der Bevölkerung und den Tieren zumindest diese Möglichkeiten, um sich mit Wasser zu versorgen.

Die Pflanzen zogen sich das Wasser ohnehin aus dem Erdreich, doch wie Kyla aus Olhas Büchern wusste, hatte es früher auch üppig blühende Pflanzen gegeben, die direkt aus den Seen wuchsen. Doch in keinem natürlichen See waren sie heute noch zu finden. Und auch die Tiere, die sich im Wasser bewegten, gab es schon lange nicht mehr. Zumindest nicht in der Natur, denn auf dem Palastgelände hatte Kyla zum ersten Mal Fische gesehen, die im Wasser schwammen, das nicht grün und von Parasiten verseucht war. Es war von einer Klarheit gewesen, die Kyla vollkommen gefangen genommen hatte. Und so ging es ihr immer noch, wenn sie ein Wasser vor sich sah, bei dem sie bis auf den Grund blicken konnte.

Sie ging zur Pferdetränke und sah zu, wie Golan sich den Bauch vollschlug – als sie bemerkte, dass er zugleich Wasser ließ, musste sie lachen. Es sah aus, als würde die Flüssigkeit einfach so durch den großen Pferdekörper hindurchfließen. Als Golan den Kopf schließlich aus der Tränke hob, fasste Kyla ihn an den Zügeln und ging mit ihm durch das Stadttor. Wachen waren links und rechts positioniert. Sie blickten Kyla kurz an, nickten ihr zu und bedeuteten ihr, weiterzugehen.

Die junge Kriegerin glaubte schon, es wäre so einfach in die Stadt zu gelangen, doch plötzlich stellte sich ihr ein Mann in den Weg, der der reinste Hüne war. Er trug ein Schwert an der Seite und wurde durch einen Brustpanzer geschützt. Der Bewaffnete bemühte sich sichtlich, trotz seiner Erscheinung freundlich zu wirken. Erst dann erkannte Kyla, dass noch zwei weitere Wachen in der Nähe standen, doch offensichtlich hielten sie es bei ihrem Anblick nicht für nötig, sich zu dem ersten Wächter zu gesellen.

»Willkommen in der Stadt Tritam! Im Namen der Herrscherin Paraila gewähren wir dir Gastfreundschaft und unseren Schutz.«

Kyla musste bei den Worten des Mannes schmunzeln. Er runzelte die Stirn. »Was erheitert dich?«

»Es ist nichts. Ich bin nur amüsiert, weil ich erst vor kurzem Parailas Palast verlassen habe. Und nun gewährt sie mir hier zugleich schon ihre Gastfreundschaft. Natürlich handelt Ihr in ihrem Namen, daher ist meine Erheiterung fehl am Platz.« Kyla lächelte unbeholfen und fragte sich insgeheim, warum sie überhaupt versuchte, ihm ihre Verwirrung zu erklären.

Der Mann brauchte einen Augenblick, dann hellte sich seine Miene deutlich auf, und er machte eine Verbeugung. »Dann müsst Ihr Kyla sein – die Kriegerin der grünen Wasser.« Er versuchte, so unauffällig wie möglich auf ein Gemälde zu blicken, das in einem Holzverschlag hing, der ihm wohl bei schlechtem Wetter als Unterstand diente. Kyla folgte seinem Blick und erkannte auf dem Bild sich selbst. Der Wächter sah rasch wieder zu ihr.

»Verzeiht mir bitte, hochgeschätzte Herrin, dass ich Euch nicht gleich erkannte. Ich hoffe, Ihr könnt mir – Eurem ergebenen Diener – vergeben. Mir wurde angekündigt, dass Ihr irgendwann die Stadt besuchen werdet, jedoch bekam ich keine Mitteilung darüber, dass es nun soweit ist. Natürlich liegt es allein in meiner Verantwortung, Euch gleich beim ersten Anblick die Ehre zuteilwerden zu lassen, die Euch gebührt. Mein Versäumnis ist tadelnswert.«

»Schon gut«, murmelte Kyla, der bei der ehrerbietigen Anrede ganz seltsam zumute war. Sicher, in den Dörfern rund um den Palast hatte man auch um ihren Stand gewusst, doch die Leute waren ungebildet und bedienten sich einer schlichten Sprache, sodass sie zwar Respekt gespürt, doch selten so viel Förmlichkeit gehört hatte. Kyla wurde ein wenig rot und hoffte, der Wachmann würde es auf ihre anstrengende Reise zurückführen. In ihren Gedanken hatte sie bereits eine ähnlich förmliche Antwort formuliert, doch dann besann sie sich darauf, dass sie als höher gestellte Chyrrta beim Du bleiben musste.

»Du wusstest, dass ich irgendwann kommen würde?« Es erstaunte sie wirklich, dass man hier mit ihr gerechnet hatte – wenn auch nicht zu diesem Zeitpunkt.

»Ja, über verschiedene Boten wurde uns mitgeteilt, dass Ihr neugierig auf diese Stadt seid und sie ganz sicher irgendwann besichtigen werdet. Wir sind seit vielen Jahreszeiten darauf vorbereitet.« Kyla sah ihn erstaunt an. Man hatte sich auf ihr Kommen vorbereitet? Sie nickte nur vage, da sie nicht offenbaren wollte, wie sehr sie diese Tatsache erstaunte.

»Ein Zimmer in der besten Unterkunft der Stadt ist für Euch vorbereitet, und ein Platz im Stall des Hauses für Euer Pferd reserviert«, sagte der Wächter.

»Außerdem werden Euch drei Dienerinnen mit Freuden die Schönheiten Tritams zeigen – aber darüber erfahrt Ihr alles in der ‘Kriegerin der grünen Wasser’«.

Als Kyla ihn verständnislos anblickte, erklärte der Mann schnell: »Die Unterkunft – also das Gasthaus – wurde nach Euch benannt. Es liegt linksseitig im Zentrum des Marktes. Von dort aus habt Ihr die kürzesten Wege zu den Ständen der Händler und könnt jederzeit ins Gasthaus zurückkehren, um Euch zu erfrischen. Man wird sich sehr freuen, Euch endlich persönlich bewirten zu dürfen.«

Kyla seufzte schwer. Es war nicht ihre Absicht gewesen, hier hofiert zu werden. Ganz im Gegenteil! Sie hatte sich auf dieses Abenteuer gefreut, da sie glaubte, endlich einmal zu den gewöhnlichen Chyrrta gehören zu dürfen – alles mit deren Augen zu sehen und Dinge zu erleben, die nicht durch die Zugehörigkeit zum Palast geprägt waren. Im Grunde hatte sie bislang in ihrem Leben nur völlige Einsamkeit und ein recht bodenständiges Dasein bei Olha und Zygal, sowie – zumindest am Tage – ständige Gesellschaft und den verschwenderischen Prunk am Hofe kennengelernt.

Sie dürstete danach, die Ebenen dazwischen kennenzulernen, wie sie die absolute Mehrheit der Bevölkerung tagtäglich erlebte. Wie sollte man einem Volk nahe sein, dessen Alltag, einfache Freuden und Nöte man nicht kannte? Dies hier war ihre Möglichkeit, endlich all das hautnah zu erleben. Aber das würde ihr verwehrt bleiben, wenn bereits alles für sie bereitstand.

»Angenommen, ich wäre eine andere Besucherin dieser Stadt – eine Reisende, die hier nur Erholung sucht – welche Empfehlung für eine Unterkunft hättest du mir dann gegeben?«

Der Wachmann schien über die Frage erstaunt, aber er nahm die Herausforderung sofort an. »In der Gasse am nördlichen Ende hinter dem Marktplatz gibt es eine Unterkunft, die klein aber sauber ist und fernab des Trubels liegt. Sie heißt ‘Handuls Schenke’. Es gibt dort nur drei Zimmer im Obergeschoss. Trotz der geringen Anzahl stehen sie meist leer, denn die Händler möchten nahe am Markt wohnen, um schon früh am Morgen ihren Stand zu bestücken. Sie bevorzugen daher die Unterkünfte unmittelbar am Platze. Bei Handul hingegen logieren die wenigen Reisenden, die sich lediglich die Schönheiten der Stadt ansehen wollen, ohne selbst Geschäfte zu betreiben.«

»Genau das bin ich – eine Reisende, die die Schönheiten der Stadt sehen möchte. Und das Treiben auf dem Markt bekomme ich ja auch zu sehen, wenn ich mich von der Schenke aus dorthin begebe. Geschäfte will ich nicht betreiben, außer das eine oder andere für meine weitere Reise zu erwerben.«

Der Wächter wand sich. »Ich weiß nicht ...«, murmelte er unglücklich. »Ich wurde dazu angehalten, Euch jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Dass Ihr aber auf die Gastfreundschaft des Hauses verzichten möchtet, das eigens für Euch seit so langer Zeit alles hergerichtet hat, wird man mir übelnehmen.«

Kyla seufzte. Sie wollte nicht, dass der Wächter sich derart unwohl fühlte, nur weil sie ihre Ruhe haben wollte. Wer wusste schon, wie man ihn dafür bezahlen lassen würde, dass sie ihren eigenen Kopf durchsetzte.

»Na gut, dann werde ich diese Nacht in der ‘Kriegerin der grünen Wasser’ verbringen«, lenkte sie ein.

Der Wachmann stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Eine gute Entscheidung – immerhin wurde das Gasthaus ja auch nach Euch benannt.«

»Das sagtest du bereits«, erwiderte Kyla lächelnd. Der Mann nahm wieder mehr Haltung an, als er bemerkte, dass seine Schultern vor Kummer nach unten gesunken waren. »Erwähnte ich auch, dass man sich dort gut um Euch kümmern wird?«

»Ja, auch das hast du mir bereits gesagt.«

»Dann werde ich Euch nun dorthin geleiten.«

Kyla schüttelte den Kopf. Es fehlte gerade noch, dass er sie wie ein Kind beaufsichtigte. »Bleibe auf deinem Posten, damit ehrliche Neuankömmlinge ebenso freundlich begrüßt werden wie ich. Und damit Übeltäter ferngehalten werden. Ich werde den Weg zu meiner Unterkunft schon selbst finden.«

Ehe er ihre Worte in Zweifel ziehen konnte, trieb die junge Frau Golan dazu an, sich vom Stadttor zu entfernen und der Straße zu folgen, die ins Zentrum führte. »Ich wünsche Euch einen angenehmen Aufenthalt!«, rief der Wächter ihr nach. Kyla hob die Hand, um ihm mit dieser Geste zu danken. Sie war froh, dass sie in Tritam trotz Golan nicht sonderlich auffiel. In die Stadt kamen viele Reisende zu Pferde. Die meisten von ihnen waren zweifellos wohlhabend. Aber auch die Händler besaßen Pferde, da sie ansonsten ihre Waren nicht über weite Strecken transportieren konnten.

Kyla blickte sich um, während Golans Hufe auf dem Kopfsteinpflaster klapperten. Die Häuser hier sahen anders aus, als alle, die sie bislang in ihrem Leben gesehen hatte. Sie waren hoch gebaut und hatten viele Fenster, die zum Teil mit Stoff verhangen waren. Kyla wusste, dass in Städten oftmals mehrere Familien ein einziges Haus bewohnten – sie hatte es nur noch nie gesehen. Selbst in dem Dorf, das sich am Fuße zu Parailas Palast erstreckte, gab es nur einzelne Häuser, die vor der Kulisse des viel größeren Bauwerks beinahe so aussahen, als würden sie sich ducken. In Tritam waren die Gebäude um einiges größer und schienen einen Stolz auszustrahlen, der Kyla tatsächlich ehrfürchtig werden ließ. Über den Dächern flogen Vögel, die Kyla noch nie gesehen hatte. Einige von ihnen ließen sich bis auf die Höhe der Fenster hinabfallen und spähten in die Räume, wohl auf der Suche nach leichter Beute, falls jemand Essensreste schnell erreichbar hatte liegen lassen. Kyla konnte sehen, wie einer der Vögel durch ein geöffnetes Fenster ins Gebäude flog und kurz darauf mit einer abgenagten Hühnerkeule wieder herauskam und davonflog. Sein Gefieder schillerte in allen Farben, als das Tier sich auf dem Dach niederließ, um die Beute zu verspeisen.

»Entschuldigung, wie heißen diese Vögel?« Sie hatte eine junge Frau angesprochen, die mit einem Bündel in den Händen auf der Straße ging. Die Frau sah in die Richtung, in die Kyla deutete.

»Das sind Glinthas. Davon gibt es hier so viele, dass wir sie nach jedem vollen Mond in Käfigen fangen und verbrennen. Sie sind eine Plage, die uns über den Kopf wächst, wenn wir nicht dafür sorgen, dass sie nicht ständig mehr und mehr werden können.« Kyla nickte verstehend. Vermutlich waren diese Vögel nicht essbar, wenn man es vorzog, ihr Fleisch ungenutzt zu verbrennen. Die junge Frau eilte bereits weiter. Vielleicht war sie es gewohnt, von Fremden Fragen gestellt zu bekommen, und fühlte sich als Stadtbewohnerin von Tritam verpflichtet, sie so gut wie möglich zu beantworten. Sie ließ sich davon jedoch offensichtlich nicht von ihren Pflichten abhalten. Kyla hätte ihr zwar gerne noch weitere Fragen gestellt, aber sie akzeptierte, dass sie dazu kein Recht hatte. Es sei denn, sie würde sich als Kriegerin der grünen Wasser zu erkennen geben ... doch das hatte sie nicht vor. Zumindest auf ihrem Weg zur Unterkunft wollte sie noch unerkannt bleiben und das Stadtleben möglichst unauffällig beobachten.

Kyla ließ Golan nur langsam voranschreiten, während sie sich neugierig umsah. Die Wege hier waren so sauber, dass sie hoffte, ihr Pferd würde nicht ausgerechnet jetzt seine Äpfel fallen lassen. In den Dörfern störte so etwas niemanden, denn die Wege dort waren oft genug von den Exkrementen des Viehs völlig verschmutzt, aber in Tritam schien es kein Vieh zu geben, was Kyla nicht verwunderte.

Die Stadt war ein Aushängeschild der Familie Gallan. Tritam wurde aus diesem Grunde mit genügend frischem Wasser, Lebensmitteln, Baumaterialien und anderem versorgt. Viehhaltung war hier nicht notwendig, ebenso wenig wie grobes Handwerk. In dieser Vorzeigestadt widmeten sich die handwerklich tätigen Chyrrta filigranen Arbeiten, wie der Schmuckschmiedekunst, der Porträtmalerei oder der Herstellung von Naschwerk und kostspieligen Nahrungsmitteln, die eher dem Gaumen als dem hungrigen Bauch schmeicheln sollten.

Viele Geschäftsbetreiber verkauften natürlich auch die lebensnotwendigen Waren, die sie den Herstellern abkauften, um sie hier unters Volk zu bringen. Doch auffallend viele Geschäfte boten Waren an, die in keinster Weise zum Überleben wichtig waren – eben den genannten Schmuck, kulinarische Köstlichkeiten und eine ganz besondere Art von Wasser, dem verschiedene Düfte beigemischt waren. Kyla ließ Golan vor einem solchen Laden anhalten, stieg vom Rücken des Pferdes und betrat das Geschäft. Der Raum war nicht sehr groß, die Waren wurden in Holzregalen präsentiert, die beinahe bis unter die niedrige Decke reichten. Durch große Fenster schien das inzwischen rötliche Sonnenlicht herein; der Ladenbesitzer hatte in den Ecken Lampen entzündet, die jeglichen Schatten vertreiben sollten. Kein Staubkorn war zu entdecken. Die Verkaufsflächen und die fragilen Gefäße wurden vermutlich regelmäßig gründlich gereinigt.

Das Licht der Sonne brach sich in einigen der geschickt geschliffenen Glasbehälter und warf vielfarbige Muster an die weiß getünchten Wände. Kyla betastete mit ihren Fingern vorsichtig einige der kunstvoll geblasenen Fläschchen, in denen die teuren Flüssigkeiten untergebracht waren. Reich verzierte Deckel und silberne Stopfen zogen Kylas Blicke auf beinahe schon magische Art an. Jede einzelne Glasflasche war ein Kunstwerk und schien ein verführerisches Geheimnis in sich zu bergen.

»Willst du den Duft riechen? Warte, ich öffne rasch die Phiole. Schließe die Augen und atme tief ein – öffne die Augen erst wieder, wenn der Duft sich verflüchtigt hat. Und dann sage mir, ob du fortan noch ohne ihn zu leben vermagst.«

Kyla wusste, dass die Verkäufer gerne so taten, als bräuchte man ihre Waren unbedingt – und dieser Geschäftsmann schien ein Meister seines Faches zu sein. Sein Haar war ergraut und sein Gesicht zeigte Falten, die davon zeugten, dass er vermutlich bereits etliche Jahreszeiten an Erfahrung in seinem Metier erworben hatte, die er nun geschickt einzusetzen vermochte, wenn er ein Geschäft witterte. Ein spöttisches Lächeln umspielte Kylas Mundwinkel, weil er tatsächlich zu glauben schien, er könne ihr ein so kostspieliges Duftwasser andrehen, als sei es ein warmes Paar Schuhe, ohne das man in der kalten Jahreszeit dem Tode verschrieben war. Der Verkäufer ignorierte Kylas Herablassung jedoch. Er stellte das freundlichste Lächeln zur Schau, das sie je gesehen hatte. Sie seufzte und tat ihm den Gefallen – ihre Lider senkten sich. Kyla atmete durch die Nase ein.

Zunächst geschah gar nichts, und sie hätte die Augen schon fast wieder geöffnet, doch dann stieg ihr der erste Hauch des Duftwassers in die Nase – und er blieb nicht nur dort. Er durchströmte sie bis in den letzten Winkel ihres Körpers, dabei schien er Schmerz, Hoffnungslosigkeit und jeglichen Zorn einfach aufzulösen. Es war unglaublich! Kyla brauchte mehr von diesem Duft, der sie befreite und alles ganz leicht machte. Sie sog ihn erneut ein, und eine weitere Welle hob sie zu einem Wohlempfinden heran, das sie noch nie zuvor erlebt hatte. Einzig der Moment, wenn ihre Hand des nachts ihre Scham zum Beben brachte, schien ihr damit ansatzweise vergleichbar. Aber das hier war doch so gänzlich anders, denn dieses unglaublich gut riechende Wasser konnte sie jederzeit und überall verwenden. Sie könnte damit schlechte Empfindungen für eine lange Dauer fernhalten, einfach indem sie es sich auf die Halsbeuge träufelte – so, wie der Verkäufer es ihr nun erklärte. Kyla hörte ihm zu, doch die Augen hielt sie immer noch geschlossen. Sie hörte ihn zufrieden lachen, und auch sie war zufrieden. Doch dann verschwand der Duft plötzlich. Sofort riss Kyla die Augen auf und wollte protestieren. Der Verkäufer verschloss die Phiole mit einem silbernen Stöpsel, der mit einem zierlichen Kettchen an dem gläsernen Behältnis befestigt war.

Der Mann stellte die Phiole unter den Tresen. »Du brauchst diesen Duft nicht.«

»Doch! Ich brauche ihn!« Kyla war sich bewusst, dass ihre Antwort viel zu schnell und zu laut gekommen war. Aber sie wollte dieses Duftwasser auf jeden Fall haben, auch wenn sie sich darüber im Klaren war, dass sie in die Falle des Verkäufers tappte. Der Mann ließ sich zu ihrer Überraschung seine Selbstzufriedenheit jedoch nicht mehr anmerken. Er holte die Phiole wieder hervor, nahm ein hübsches Stückchen Stoff und wickelte das Fläschchen sorgsam darin ein. Als er den Preis nannte, war Kyla sich sicher, dass er das Doppelte von dem verlangte, was er normalerweise berechnete. Kyla wollte jedoch nicht verhandeln, denn das hätte in ihren Augen den Wert des Duftwassers geschmälert. Sie zahlte, ohne zu murren, und nahm das eingepackte Duftwasser. Sie verließ das Geschäft und verstaute das Gekaufte tief in Golans Satteltaschen.

Als sie sich in den Sattel schwang, schwor sie sich, dass dies der einzige Anfall von Schwäche bleiben sollte, den sie hier erlitt. Ein wenig war sie erschrocken, dass sie ebenso auf Schönheiten und angenehme Gerüche ansprach wie Paraila, Galynda, Lanari und all die anderen Frauen, die sie kannte.

Lanari ... Kyla spürte einen kurzen Stich in ihrem Herzen, als sie an die Freundin dachte. Doch die Gefühle, die sie für sie hatte, waren ohnehin viel zu stark. Eine Trennung war das einzig Richtige, um wieder zur Vernunft zu kommen. Während Golan gemächlich durch die Straßen schritt, wurde Kyla bewusst, dass diese Trennung aber vielleicht viel länger dauern könnte, als ihr lieb war.

Ein Laden mit ledernen Taschen erregte Kylas Aufmerksamkeit. Sie hielt Golan an und betrachtete die Auslagen. Für ihre weitere Reise benötigte sie eine größere und stabile Tasche, also war es ja keine Schwäche, sich ein Exemplar auszusuchen und käuflich zu erwerben. Der Verkäufer in diesem Laden widmete sich ihr erst, als Kyla eine blau eingefärbte Tasche bezahlen wollte. Er kassierte und überließ sie dann wieder sich selbst. Kyla fand es seltsam, dass die Ladenbesitzer hier so unterschiedlich waren, obwohl sie doch das gleiche Ziel hatten – ihre Existenz durch Verkäufe zu sichern. Da dieser Mann sich offensichtlich nicht erfolgreich genug um seine Geschäfte kümmern konnte, kaufte Kyla ihm sogleich noch eine Geldbörse und einen hübschen Schal aus feinem Stoff ab, den er auf einem hölzernen Gestell darbot. Jetzt strahlte der Verkäufer über das ganze Gesicht, und Kyla spürte eine Art von Freude, die ihr bislang gänzlich fremd gewesen war. Es bereitete ihr großes Vergnügen, diese neuen Dinge zu besitzen. Den Schal würde sie Lanari schenken, und sie freute sich darauf, ihn an ihr betrachten zu können. Mit ihren Schätzen kehrte sie zu Golan zurück und versprach ihm, nun keinen Halt mehr zu machen, bevor er nicht gut aufgehoben und fressend im Stall untergebracht war.

Sie hielt Wort und stand schon bald vor dem Gasthaus, das nach ihr benannt war. Es war mehr als sonderbar, den Schriftzug, der mit Glüheisen in Holz gebrannt und an der Fassade des mehrstöckigen Gebäudes angebracht war, zu betrachten. In Kästen vor den Fenstern hatte man Blumen gepflanzt, die keinem anderen Zweck dienten, als in prächtigen Farben vor sich hin zu blühen und die Augen der Betrachter zu erfreuen.

Das Gebäude wirkte, als wäre es gerade neu mit weißer Farbe gestrichen worden. Einige Holzstreben in der Außenfassade stachen mit ihrem dunklen Farbton hervor und zogen die Blicke auf sich. Ebenso die Schrift natürlich, die in nicht gerade kleinen Lettern Kylas kompletten Kriegerinnen-Namen zeigte. Der Eingang war einladend hell, die Tür bereits geöffnet.

Was im Inneren vor sich ging, konnte Kyla nicht erkennen. Sie stieg von Golans Rücken und blickte zum Marktplatz. Er war riesig. Zu dieser Tageszeit lag er jedoch still und verlassen da. Kein Unrat war zu sehen, der vom Markttag übrig geblieben war. Die junge Frau spürte nun doch eine gewisse Vorfreude, ihn beim nächsten Sonnenlicht voll von buntem Treiben zu erleben. Sie wandte sich dem Eingang des Gasthauses zu und betrat es. Kaum war sie im Inneren, brach wahrer Tumult aus. Kyla wusste kaum wie ihr geschah, als plötzlich etwa ein Dutzend Chyrrta um sie herum wuselten, um ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Sie seufzte innerlich und ließ es geschehen. Einzig um Golan kümmerte sie sich wie versprochen selbst und stellte sicher, dass er in dem zum Gasthaus gehörenden Stall alles bekam, das einem Pferd gut tat. Schließlich kehrte sie ins Hauptgebäude zurück und wurde sofort von drei Frauen unterschiedlicher Altersstufen im Empfang genommen.

18,90 ₼
Janr və etiketlər
Yaş həddi:
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Həcm:
312 səh. 5 illustrasiyalar
ISBN:
9783750220553
Naşir:
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