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1. Siechen- und Leprosenfriedhöfe
Friedhöfe bei den Siechenhäusern gab es schon mindestens seit dem 13. Jahrhundert, und sie sind deshalb älter als Pestfriedhöfe. Je nach Situation können sie im Erscheinungsbild diesen ähneln, aber auch wie normale Pfarrkirchhöfe mit Friedhofsmauer und Beinhaus wirken. Sie können sowohl innerhalb wie außerhalb der Städte liegen, dafür gibt es keine Regel. Ihr besonderer Charakter erschließt sich in der Regel nur durch die Nähe eines Siechenkobels oder eines Spitals. Allerdings können Archäologen in der Zusammenarbeit mit Anthropologen derartige Friedhöfe ausmachen, wenn die Bestatteten auf ihre Krankheit und Todesursachen untersucht werden. Oftmals werden die Kranken als Lepröse eingestuft, doch können auch andere Krankheitsbilder zu einer Absonderung in solche Siechenheime geführt haben. Jedoch immer dann, wenn eine Epidemie zum raschen Anstieg der Sterbeziffer geführt hat, nehmen die unregelmäßigen Mehrfachbestattungen und Massengräber zu. Gleichwohl gibt es Quellen, in denen eigene Priester für die Siecheneinrichtungen und ihre Friedhöfe gefordert und gewährt wurden, weshalb in der Regel von einem Mindestmaß an seelsorgerlicher und liturgischer Begleitung ausgegangen werden kann. Insbesondere die Nachforschungen auf Schweizer Friedhöfen haben zu einem sehr differenzierten Bild dessen geführt, was man unter einem Siechenfriedhof verstehen kann. Ob die Erfahrungen mit Epidemien und der Bestattung in außerörtlichen Friedhöfen, die hier schon in spätmittelalterlicher Zeit gepflegt wurde, Einfluss auf die Friedhofsverlagerungen in der frühen Neuzeit genommen hat, kann indes nicht nachgewiesen, aber vermutet werden. In der Literatur kommt es immer wieder zu einer Verwechslung oder Vermischung von Siechen- und Pestfriedhöfen, die von ihrer Entstehung her jedoch zu differenzieren sind. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass auf Siechenfriedhöfen auch Pestopfer bestattet wurden, doch verdanken sie dann ihre Entstehung nicht der Pest, wurden aber während dieser benutzt.
Obwohl es mittlerweile eine Reihe von archäologisch erforschten Siechenfriedhöfen gibt49, fehlt bis heute eine zusammenfassende Darstellung der aus solchen Untersuchungen gewonnenen Ergebnisse. Ihr differenziertes Bild verbietet eine generelle Zuschreibung als Sonderfriedhof.
2. Pestfriedhöfe
Noch komplexer als die Frage nach den Siechenfriedhöfen gestaltet sich die Suche nach den Anfängen und der Entwicklung jener Notfriedhöfe, die man zu Zeiten der Pest eingerichtet hat und die man deshalb kurz als Pestfriedhöfe bezeichnet. Sie zählen vielerorts sogar zu den touristischen Sehenswürdigkeiten, gelten als uralt und werden kurzerhand mit dem ersten Auftreten der Pest in Europa im 14. Jahrhundert in Verbindung gebracht. Außerdem gelten Pestfriedhöfe als die ersten Bestattungsplätze, die aus hygienischen Gründen außerhalb der Ortschaften angelegt wurden. Nach heutiger Sicht vollzog sich indes die Entwicklung des Pestfriedhofs in mehreren Etappen, und erst in der dritten Phase im 17. Jahrhundert entstanden typische Notfriedhöfe außerhalb der Städte in großer Zahl. Die erste Phase begann jedoch mit der ersten Pestwelle, die Europa um 1350 erreicht hatte; da hier die Zahl der Pesttoten jedoch noch nicht das Ausmaß späterer Jahrhunderte erreichte, war man bestrebt, die Verstorbenen schon aus religiösen Gründen auf dem örtlichen Pfarrkirchhof beizusetzen. Dies geschah zwar oftmals unter irregulären Verhältnissen, insoweit die Priester selbst gestorben oder geflohen waren, aber man hielt am Kirchhof fest. Allerdings nahm hier die Zahl der Massengräber deutlich zu. Ein Pestvotivgemälde in St. Peter in München aus der Werkstatt von Jan Pollack aus dem Jahre 1517 zeigt noch, wie die Pesttoten in einem langen Zug zum regulären Friedhof bei der Pfarrkirche getragen werden.50 War dann die Aufnahmefähigkeit überschritten, so richtete man Notfriedhöfe ein, die jedoch im 14. und 15. Jahrhundert vorzugsweise innerhalb der Städte angelegt wurden. Diesen Sachverhalt belegt etwa die Situation in Zürich. Dort konnten pestzeitliche Massengräber des 14. Jahrhunderts innerhalb der Stadt von Archäologen untersucht und als solche identifiziert werden.51 Ein Jahrhundert später ist für Köln belegt, dass nach dem Tod des 1451 an der Pest gestorbenen Malers Stephan Lochner auf einem unbebauten Grundstück neben seinem Wohnhaus ein Pestfriedhof angelegt wurde, auf dem der Meister möglicherweise selbst bestattet wurde.
Trotzdem mag es frühe Ausnahmen von dieser Regel gegeben haben. So war schon lange eine schriftliche Quelle bekannt, die in Kiel von einem Pestfriedhof spricht, der 1350 vor dem Dänischen Tor angelegt worden sein soll, und die Archäologen glauben, bei Grabungen 1960/61 diesen Notfriedhof entdeckt zu haben. Über hundert männliche Skelette kamen zum Vorschein, und man erklärte dies damit, dass man Männer und Frauen getrennt voneinander bestattet hätte. Die Quelle spricht davon, dass die Stadt von Ritter Nicolaus Split Grund und Boden erworben und vom Landesherrn die Erlaubnis erhalten hatte, dort einen Friedhof anzulegen und eine hölzerne Kapelle zu errichten. Der Hinweis auf eine Friedhofskapelle lässt aber auch die Annahme zu, dass hier kein eigentlicher Notfriedhof, sondern aus Anlass der Pest ein neuer regulärer Friedhof angelegt wurde, zumal er auch mindestens bis 1570 in Nutzung geblieben ist. Ebenso soll 1373 in Lübeck, als die Pest grassierte, außerhalb der Stadt vor dem Burgtor ein Friedhof angelegt worden sein. Da ihm aber auch ein Pockenhaus und eine Kapelle angeschlossen waren, dürfte es sich eher um einen regulären Siechenfriedhof als um einen Notfriedhof gehandelt haben. Die Friedhöfe in Kiel und Lübeck waren wie auch ein Friedhof in Hamburg aus dieser Zeit der heiligen Gertrud geweiht. Ihren Namen trugen im Mittelalter Spitäler, aber sie galt auch u. a. als Patronin der Gräber. In dieser Verbindung spricht das Patrozinium tatsächlich eher für einen Siechenfriedhof. Ganz vorsichtig ausgedrückt wird man sagen, dass Siechenfriedhöfe und Friedhöfe, die anlässlich der Pest eingerichtet wurden, durchaus miteinander in Verbindung stehen. Echte pestzeitliche Notfriedhöfe der späteren Zeit wurden meist dem heiligen Sebastian geweiht. Die Pfeile, die ihm den Märtyrertod brachten und mit denen er stets dargestellt ist, wurden mit den Pestpfeilen identifiziert.
Seit dem ersten Auftauchen der Pest dauerte es immerhin etwa zwei Generationen, bis Zusammenhänge entdeckt bzw. vermutet wurden zwischen der Ausbreitung der Seuche und mangelnder Hygiene. So gilt die Stadt Lille in Frankreich als die Erste, die aus diesen Gründen um 1400 eine Verordnung in Kraft setzte, die innerstädtische Bestattungen untersagte. Andere Städte folgten ihr und so entstanden die ersten Friedhöfe, die nachweislich aus hygienischen Erwägungen außerhalb der Siedlungen angelegt wurden, erst im 15. Jahrhundert.52 Sie bereiteten die Welle der großen Friedhofsverlagerungen im 16. Jahrhundert vor. Diese Friedhöfe sind gewissermaßen die zweite Generation der pestzeitlichen Friedhöfe, weil sie ihre außerörtliche Lage der langsam wachsenden Erkenntnis verdankten, dass unzureichende hygienische Verhältnisse die Ausbreitung der Pest begünstigten.
Erst in einer dritten Phase entstanden dann die typischen und zahlreich auch quellenmäßig belegten Pestfriedhöfe als Erscheinung des 17. Jahrhunderts. Einerseits waren die Kenntnisse zu den hygienischen Ursachen der Pest gewachsen, andererseits forderte die Pestwelle des 17. Jahrhunderts weit mehr Tote als in den vorhergehenden Jahrhunderten, wodurch die räumlichen Probleme enorm gestiegen waren. Es ist aber bemerkenswert, dass die echten Notfriedhöfe aus diesen Zeiten nur temporär belegt wurden, während man nach dem Abflauen der Pest jeweils zu den angestammten Friedhöfen zurückkehrte. Die Notfriedhöfe der Pestzeiten blieben meist Episode, denn ihnen fehlte einerseits der kultische Charakter, andererseits konnten sie die Garantie einer sozial abgestuften Bestattung nicht leisten. Sie hatten somit kaum einen Einfluss auf die Entwicklung des Friedhofswesens an sich. Insbesondere im Jahr 1635 forderte die Pest ihren Tribut, und viele Pestfriedhöfe sind entstanden.53
Der Wunsch nach einem regulären Begräbnis auf dem örtlichen Friedhof führte dazu, dass die Notfriedhöfe nach dem Abflauen der Pest wieder aufgehoben wurden und meist nur als Flurbezeichnung weiterlebten. Doch verschiedentlich entwickelten sie sich zu sog. Elendenfriedhöfen, wobei das alte Wort Elend Fremde bedeutet. So wurden auf diesen Friedhöfen Vagabunden, Bettler, Unbekannte, Soldaten oder Kinder beigesetzt. Ein Beispiel dafür bietet der alte Pestfriedhof von Lindau in Unterreitnau, der im großen Pestjahr von 1635 eingerichtet worden war. Eine Gedenktafel erinnert nicht nur an die zahlreichen Opfer der Pest, sondern auch an Fremde aus Tirol und der Schweiz, an Durchreisende, Bettler, Soldaten, Unbekannte, Arme und Andersgläubige, die hier ihre letzte Ruhe fanden. Immerhin scheint man gewissenhaft Buch geführt zu haben. Gleichzeitig unterstreicht dieses Zeugnis die soziale Hierarchie im damals herrschenden Bestattungswesen, denn für alle missliebigen Personen war auf dem regulären Kirchhof kein Platz. In einigen Fällen entwickelte sich jedoch der Pestfriedhof sogar zum regulären oder gar zum Prominentenfriedhof. Der im Pestjahr 1680 eingerichtete Eliasfriedhof in Dresden wurde nach seiner Umgestaltung durch George Bähr, den Architekten der Frauenkirche, zum Begräbnisplatz der Bürgerschaft.54 Somit kennt auch das Fortleben der Pestfriedhöfe keine Regel, sondern viele Aspekte.
Auf die Frage, was ein Pestfriedhof ist, gibt es demnach keine verbindliche Antwort. Im Volksmund oder gar im Jargon der touristischen Vermarktung werden viele außerörtlich angelegte Friedhöfe als Pestfriedhöfe bezeichnet, doch den typischen Pestfriedhof gibt es nicht. Kein Pestfriedhof hat sich in dem Zustand erhalten, als dort wirklich Pestopfer beigesetzt wurden, und die Verhältnisse, die dort herrschten, wird man sich nicht vorstellen können. Seine Entstehung, Lage, Entwicklung und Struktur müssen aus den schriftlichen Quellen und den nüchternen Erkenntnissen der Archäologie erhoben werden. Und nur der Anthropologe kann das Alter der Leichen, ihren sozialen Status und das Krankheitsbild bestimmen. Bei aller Kenntnis, die wir heute haben, lässt sich nicht genau sagen, ob und wie die pestzeitlichen Friedhöfe die allgemeine Friedhofsentwicklung beeinflusst haben oder ob sie immer Ausnahmeerscheinungen geblieben sind.
E. Totentanz
Das Genre Totentanz spielt in der Kunst-, Literatur- und Musikgeschichte des europäischen Abendlandes eine herausragende Rolle und gibt in seiner Komplexität bis heute Rätsel auf, die hier nicht erörtert werden können.55 Im Zusammenhang mit einer Geschichte der Friedhöfe ist es aber von besonderer Bedeutung, dass Kirchenwände, Beinhäuser und Friedhofsmauern zu den bevorzugten Orten für die Anbringung von Totentänzen zählen. Im Umfeld von Bestattungen scheint der genuine Ort des Totentanzes zu liegen, der hier ganz real stattfindet und im Bild festgehalten wird. Der Friedhof ist der Lebensraum der lebenden Toten oder der Untoten, wie sie im Volksmund auch genannt werden.
1. Die Vorstellung von den lebenden Toten
Dahinter steht die interkulturell verbreitete Vorstellung, nach der Menschen nach ihrem Ableben nicht existenzlos sind, sondern in irgendeiner Form fortbestehen und wirkmächtig bleiben. In der deutschen Volkskunde werden sie als lebende Tote, lebende Leichname oder Untote bezeichnet, die unter bestimmten Voraussetzungen zu Wiedergängern, Aufhockern, Nachzehrern oder Vampiren werden können.56 Da sie den Lebenden potenziell gefährlich werden können, hat man Maßnahmen zur Bannung der lebenden Toten ergriffen, die später noch unter dem Begriff der Sonderbestattung erörtert werden. Verstorbene gelten aber grundsätzlich als lebendig und es kann zu Begegnungen mit ihnen kommen. Zu den ältesten literarischen und bildlichen Zeugnissen gehört die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten.57 Die Lebenden repräsentieren die Altersstufen Jüngling, Mann und Greis, und die Toten führen ihnen die Vergänglichkeit und Endlichkeit des Lebens vor Augen: Was ihr jetzt seid, das waren wir, was wir jetzt sind, das werdet ihr. Es gibt zahlreiche bildliche Darstellungen zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert, und ihr Verbreitungsgebiet reicht von der Schweiz bis nach Norddeutschland.
Eine weitere Legende berichtet in zahlreichen Varianten vom hilfreichen Eingreifen der Toten für die Lebenden mit dem Grundmotiv, dass die Lebenden zuvor sich in Gebet und Fürbitte für die Verstorbenen eingesetzt haben. Als ein frommer Mann, der häufig Gebete für die Armen Seelen verrichtet hatte, von Feinden verfolgt wurde und sich mit letzter Kraft in einen Friedhof retten konnte, erhoben sich die Toten aus ihren Gräbern und schlugen die Feinde in die Flucht. Diese Legende soll zeigen, dass die Armen Seelen – ähnlich wie Heilige – dem Menschen in bedrohlichen Situationen Beistand leisten können. Bildliche Darstellungen dieser Legende sind nicht selten an Beinhäusern zu finden58 und verweisen darauf, dass der den Toten angestammte Ort der Friedhof ist. Dort ist ihr Lebensraum, wo sie am ehesten anzutreffen sind. Und aus diesem Grund zählen die eigentlichen Totentänze zur typischen Beinhaus- und Friedhofsikonografie.
2. Ikonografie und Bedeutung der Totentänze
Totentänze zählen zur typischen Bildsprache des Mittelalters und bleiben bis in die Kunst der Gegenwart in immer neuen Varianten lebendig. Ihre Entstehung im Spätmittelalter, die mitunter mit dem Auftreten der Pest in Verbindung gebracht wurde, kann hier nicht weiter diskutiert werden. Sie sollen hier lediglich als eine den Friedhofsraum beschreibende Bildsprache verstanden werden, denn sie zeigen nichts anderes, als dass auf dem Friedhof Lebende und Tote aufeinandertreffen. Dieses Schicksal trifft jeden, den Kleriker und den König ebenso wie den Handwerker, den Bettler und das Kind. Immer paarweise tanzen die Toten mit den Lebenden in einer Art Ständerevue, vom Papst bis zum niedrigsten Angehörigen der sozialen Gemeinschaft. Totentänze finden sich zwar nicht ausschließlich, doch bevorzugt an Friedhofsmauern, an Beinhäusern oder den Kirchenwänden.
Der Fries eines Totentanzgemäldes aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts umzieht den Karner von Metnitz in Kärnten (Abb. 7).59 Er beginnt links und rechts der Eingangstüre mit Mönchen, die die Todesverfallenheit des Menschen zum Thema ihrer Predigt machen und mahnen, dass der Höllenschlund für alle offensteht. Der erste in der Reihe, der sich etwas widerstrebend diesem Schicksal fügt, ist der Papst, und ihm müssen alle Menschen folgen.
58 Meter lang war das Gemälde eines Totentanzes mit etwa lebensgroßen Figuren entlang der Friedhofsmauer am Dominikanerkloster in Basel, der um 1440 entstand und wohl das berühmteste Beispiel seiner Gattung war. Ehe er 1805 einer Straßenerweiterung zum Opfer fiel und abgebrochen wurde, fand er in vielen Reproduktionen seinen Niederschlag, sodass wir heute über sein Aussehen gut informiert sind.60 Will man Totentänze richtig verstehen, darf man nicht übersehen, dass sie in ihrer Standardform vom Sündenfall eingeleitet und mit einem Weltgericht abgeschlossen werden. Sie erklären also, wie der Tod in die Welt gekommen ist und wie am Ende der Zeiten der ursprüngliche paradiesische Zustand wiederhergerichtet wird. In diesem Sinne wollen Totentänze nicht nur mahnen, ein frommes Leben zu führen, sondern sie charakterisieren den Friedhof auch als einen Heilsraum mit der Perspektive des ewigen Lebens.
Gemessen an seiner Möblierung und seiner Ikonografie, ist der Friedhof ein besonderer Raum, der einerseits das Zusammenleben von Lebenden und Toten regelt und andererseits als ein interimistischer Ort zwischen der irdischen und der jenseitigen Welt vermittelt.
F. Judenfriedhöfe
In der deutschen und europäischen Friedhofskultur spielen die Friedhöfe der jüdischen Glaubensgemeinschaft eine besondere Rolle. Die Juden besaßen zu allen Zeiten ihre eigenen Begräbnisplätze, die sich durch den auf Ewigkeit angelegten Grabplatz auszeichnen. Judenfriedhöfe werden deshalb Beth Olam, Haus der Ewigkeit oder auch Guter Ort, genannt. Der auf Dauer angelegte Bestand des Grabes wurzelt in der jüdischen Vorstellung von der Unverletzlichkeit der Totenruhe und der Unantastbarkeit des Grabes. Trotz des erklärten Willens der Nationalsozialisten, alles jüdische Leben und seine Kultur in Deutschland zu tilgen, blieb eine große Zahl historischer jüdischer Friedhöfe erhalten.61 Man geht heute von 2000 jüdischen Friedhöfen aus mit geschätzten 600.000 Grabsteinen. Die Verbrechen von Nazi-Deutschland an den Juden haben indes dazu geführt, dass jüdische Friedhöfe heute weitaus besser erforscht und dokumentiert sind als nicht-jüdische. So ist neben vielen Einzeluntersuchungen zu nennen das in Bearbeitung befindliche Zentralarchiv „Jüdische Friedhöfe in Deutschland“.62 Heute stellen die jüdischen Friedhöfe nicht nur, aber gerade in Deutschland ein bedeutendes Zeugnis der Friedhofskultur dar.63
Grundsätzlich sind die Friedhöfe der aschkenasischen und der sephardischen jüdischen Gemeinden voneinander zu unterscheiden. Als Aschkenasen bezeichnen sich die aus Osteuropa oder auch aus Westeuropa stammenden Juden, die in Deutschland die Mehrheit bilden. Ihre Friedhofskultur ist durchgängig von stehenden Grabmalen geprägt, die bereits auf dem ältesten jüdischen Friedhof in Worms anzutreffen sind. Als Sepharden bezeichnen sich hingegen jene Juden, die bis zu ihrer Vertreibung zwischen 1492 und 1531 in Portugal und Spanien lebten. Mehrheitlich suchten sie Zuflucht im Osmanischen Reich, wanderten aber teilweise auch nach West- und Nordeuropa aus. Die stärksten sephardischen Gemeinden Deutschlands siedelten in Hamburg und in Schleswig-Holstein. Sie unterscheiden sich von den Aschkenasen durch liegende Grabplatten, wie sie bspw. auf dem Friedhof von Glückstadt (Krs. Steinburg) noch in großer Zahl anzutreffen sind. Der Friedhof wurde 1622 angelegt. Von den etwa 100 erhaltenen Grabplatten des 17. und 18. Jahrhunderts sind etwa 90 liegend angeordnet und tragen bisweilen portugiesische Inschriften. Sie haben mitunter auch die damals gültige „christliche“ Ikonografie von Totenschädel, Stundenglas und anderen Vergänglichkeitssymbolen übernommen. Den großen jüdischen Friedhof in (Hamburg-)Altona teilten sich aschkenasische und sephardische Juden, weshalb auf ihm sowohl aufrecht stehende Grabstelen wie liegende Grabmale vorkommen. Eine auch in den Niederlanden vorkommende Form der Grabzeichen sind die sog. Zeltgräber, Grabsteine in Hausdachform mit reichem plastischem Dekor. Aschkenasische wie sephardische Grabsteine haben in Altona zudem die Besonderheit, dass sie entgegen dem biblischen Bilderverbot auch figürliche Motive und sogar eine biblische Ikonografie besitzen können, etwa eine Darstellung der Opferung Isaaks durch Abraham oder König David mit der Leier. Selbst allegorische Motive wie die Axt, die an den Baum gelegt wird, können hier beobachtet werden.
1. Die Identität des Diasporajudentums
Im alten Israel bestatteten die Juden wie selbstverständlich nach orientalischer Sitte ihre Toten in Felsgräbern, wobei sie die Körperbestattung übten.64 Dabei waren die Grabvorsorge und die Bestattung auf eigenem Grund und Boden eine Familienangelegenheit. Als die Juden nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n. Chr.) und ihrer Vertreibung durch die Römer sich in alle Welt zerstreuten, bildete die Begräbnissitte nach Art der Väter einen Teil ihrer Identität. Dazu gehörten stets eigene Begräbnisstätten, die sie nicht mit Andersgläubigen teilen konnten. So entstanden etwa in Rom im 2./3. Jahrhundert neben den christlichen eigene jüdische Katakomben. Sie sind in ihrer Anlage den christlichen Grüften sehr ähnlich, verzichteten aber aufgrund des mosaischen Bilderverbotes weitgehend auf figürlichen Bilderschmuck. Und in der Vigna-Randanini-Katakombe verwendeten sie sogar die sonst nur im Orient bekannten Schub- oder Ofengräber.65
An dieser Praxis eigener Friedhöfe hielten die jüdischen Gemeinden zu allen Zeiten fest. Wohl adaptierten sie Gebräuche aus ihrem jeweiligen kulturellen Umfeld, doch im grundsätzlichen Festhalten am Bilderverbot und der Verwendung der hebräischen Sprache unterschieden sie sich auch. Und das Kriterium der Ewigkeit der Gräber blieb entscheidend. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die ältesten jüdischen Friedhöfe in Deutschland bis ins hohe Mittelalter zurückreichen. Sie finden sich vorzugsweise im Rhein-Main-Gebiet, die ältesten in Worms und in Frankfurt.
Pulsuz fraqment bitdi.