Kitabı oxu: «Mein Leben – ein Leben?! (2) Das war ich auch»

Şrift:

Mein Leben – ein Leben?!

(2)

Siegfried Massat

Mein Leben – ein Leben?!

Das war ich auch

Engelsdorfer Verlag

2012

Bibliografische Information durch

die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://www.dnb.de abrufbar.

Alle Namen mussten verfälscht werden.

Gefördert durch den Fonds

„Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutsch-land

in den Jahren 1949 bis 1975“

Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag

Coverfoto © deviantART - Fotolia.com

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Prolog

Der erste Gefängnisaufenthalt als Erwachsener

Oberems

Flucht aus Oberems

Der Gefängnisarzt

Die Frau des Kohlenhändlers

Die erste Verurteilung im Ruhrgebiet

Die Mutteranstalt

Geschichten aus dem Knast – Erlebnisse mit Beamten

Es war einmal ein Mensch ...

Psychologen und Beamtinnen

Der Einbrecher

Der falsche Kamerad

Eine Zweckgemeinschaft

Der Nachschlüssel

Die Hauptverhandlung

Ein Fluchtversuch

Der Hungerstreik

Der Umgang mit der Einsamkeit

Die Ausbildungsstätte und der Lude

Knastbekanntschaften

Das Raub- und Einbruchstrio

Leben hinter Gittern

Mein permanentes Lernen

Einbruchswerkzeug Lkw

Einige Tage, einige Taten

Die Verhaftung

Als Revierarbeiter in Untersuchungshaft

Dank

Der Autor

Vorwort

Ich war in meiner Zeit als junger Mann einer, der sich nicht in eine gängige Form pressen ließ. Ich war keines der vielen Rädchen im System, ich schwamm gegen den Strom.

Heute kann ich sagen, dass dies gar nicht so verkehrt war, allerdings habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass derjenige, der gegen den Strom schwimmt, bei aller Individualität nicht vergessen sollte, sich im legalen Fahrwasser zu bewegen.

Das Entscheidende ist, die Grenzen zu erkennen, wenn jemand, so wie ich damals, die Chance erhält und diese nicht nutzt. Für mich waren das entscheidende Momente in meinem Leben, denn mein Werdegang wurde zu dem, über den ich hier schreibe. Hätte ich auch nur eine der mir gebotenen Chancen genutzt, wäre mein Leben anders verlaufen.

Und schon sind wir beim Punkt: Viele Jugendliche bedürfen der Hilfestellung, aber nicht, indem ihnen dies oder jenes verboten wird. Nein, ihnen müssen Alternativen zu ihrem bisherigen Leben aufgezeigt werden, und diese können immer nur individueller Natur sein. Wer auch immer sich eines gefährdeten Menschen annimmt, muss wissen, wovon er spricht. Nur dann wird es möglich sein, einen Zugang zu diesem möglicherweise am Abgrund stehenden Menschen zu finden.

Individualismus ist also gar nicht das Problem, er sollte sich aber im Rahmen der bestehenden Gesetze bewegen. Nur so schafft es das Individuum, auf Dauer mit seinem Leben klarzukommen.

Prolog

Als junger Mann boten sich mir einige Chancen, einen anderen Weg einzuschlagen, doch ich nutzte sie nicht. Ich verwarf sie leichtfertig und alle Versuche, dies zu einem späteren Zeitpunkt zu revidieren, schlugen fehl.

Und doch beschäftigte ich mich mit dem anderen Weg. Während ich im Gefängnis war, gab es eine ehrenamtliche Betreuerin namens Margret sowie eine Aspirantin zur Sozialpädagogin, die als Protokollführerin eingesetzt war. Zusammen mit diesen beiden Damen und drei Mithäftlingen, die zu langjährigen Strafen verurteilt waren, versuchte ich jugendliche Straftäter, die auf der Kippe standen, davon abzuhalten, ihren eingeschlagenen Weg weiter zu bestreiten.

Margret hatte sich mit dem Amtsgericht in ihrer Stadt in Verbindung gesetzt und den dortigen Jugendrichter davon überzeugt, dass wir „vier erfahrene Knackis“ in der Lage seien, jugendlichen Straftätern zu helfen. Anhand unseres eigenen Lebensweges konnten wir den Probanden aufzeigen, wie und wo ein solcher Weg enden konnte.

Nun, dies taten wir – ich kann voller Stolz sagen – mit Erfolg!

Natürlich gab es einige, die absolut beratungsresistent waren, doch die meisten brachten wir ins Grübeln. Eine oder zwei Personen konnten wir, solange ich dabei war, davon überzeugen, einen anderen Lebensweg als den bisherigen einzuschlagen. Und so war ich mit mir und meiner Arbeit zufrieden. Es ist möglich, dass die Gruppe nach meinem Ausscheiden weiter Erfolg verbuchen konnte, ich weiß es leider nicht.

Heute wird es die Heimproblematik, wie ich sie in Teil 1 „Das bin ich“ meiner Trilogie geschildert habe, sicherlich so nicht mehr geben, aber sexuelle Übergriffe gibt es immer noch, vielleicht sogar noch viel ausgeprägter, ob im Heim, in der Kirche, bei den Pfadfindern, im CVJM, im Sportverein oder in anderen Vereinen und nicht zuletzt in der Schule oder im Elternhaus beziehungsweise in der Verwandtschaft. Auch körperliche Gewalt ist nicht aus unserer Gesellschaft verschwunden. Mit Sicherheit werden Kinder heute genauso gedemütigt, erniedrigt, zum reinen Objekt herabgestuft und somit kriminelle Karrieren herangezüchtet.

Die Achtung vor dem eigenen Leben geht dabei verloren und dadurch auch die Achtung vor dem Leben anderer. Wie soll ich zu einem selbstbewussten – mir meines eigenen Wertes bewussten – Menschen heranwachsen, wenn mir dauernd gesagt wird, wie unwert ich doch eigentlich sei.

„Du bist unfähig, du kannst nichts!“

„Aber nun komm her, mach dies, mach das!“

„Fass mich hier an!“

„Dafür bist du zu gebrauchen.“

„Wenn du das tust, habe ich dich auch lieb.“

Ja, meine Herrschaften, was für Werte werden einem hier vermittelt?

Gar keine!

Wer als Kind anderen zu Willen ist, hat persönliche Vorteile und erhält für einige Zeit eine gewisse Aufmerksamkeit, bis er durch das nächste Kind abgelöst wird.

Unter diesen Gesichtspunkten erscheint es mir verwunderlich, dass nur wenige Personen aus dieser damaligen Heimzeit – meiner Heimzeit – kriminell, zu Totschlägern oder Kinderschändern wurden.

Ein Psychologe sagte einmal zu mir: „Ich muss Sie bewundern, dass Sie diese Zeiten so überstanden haben. Bei dem, was Ihnen widerfahren ist, hätte mich keine auch noch so abartige Straftat gewundert.“

Und ein paar Monate später war er der Erste, der sagte, dass ich zurück in den festen Bau müsse. Er versuchte mir die größtmöglichen Schwierigkeiten zu bereiten, indem er bei meiner Verlegung in dem Transportschreiben und dem Schreiben für den festen Bau vermerkte, ich sei suizidgefährdet.

Dies war natürlich absolut unsinnig, hatte er doch dafür gesorgt, dass ich die drei Tage bis zu meiner Verlegung allein in einer Arrestzelle lag. Dort hätte ich an Selbstmord denken können – wenn denn überhaupt eine solche Neigung bei mir vorhanden gewesen wäre, was aber mit Sicherheit nicht der Fall war.

Ich muss mich wirklich fragen: Was ging in diesem Kopf vor? War es einfach nur das Desinteresse einem Inhaftierten gegenüber? Oder war es reine Bösartigkeit? War es Enttäuschung, weil ich in „seinem Haus“ lag und einer strafbaren Handlung verdächtigt wurde?

Ich vermute, es war von allem etwas, aber eines weiß ich mit Sicherheit: Diese Art zu handeln ist eines Psychologen unwürdig. Ein Mitgefangener hätte sich nicht so verhalten. Ich hatte doch tatsächlich geglaubt, dieser Psychologe verfüge über Empathie und er könne sich in meine Situation hineinversetzen. – Über nichts dergleichen verfügte dieser Mensch, weder über Empathie noch über Mitgefühl, er ließ nicht einmal den nötigen Gerechtigkeitssinn erkennen.

Es stellte sich nachträglich heraus, dass ich nichts mit den im Raum stehenden Verdächtigungen zu tun hatte. Diese waren so hirnrissig, dass schon die Behauptung, ich könne von einem eventuell geplanten Drogengeschäft gewusst haben, absoluter Unsinn war. Außerdem hatte ich einem Mithäftling eine Adresse genannt, an die er sich wenden müsse, um eine Wohnung zu kaufen. Ich kannte den Vermittler, und wenn er aufgrund meiner Hinweise eine Wohnung verkauft hätte, hätte er mir von seinem Gewinn einen Obolus abgegeben. Dies alles brachten sie gegen mich vor.

Die Leitung des Hauses ging aufgrund dieser Vorwürfe mit einer Vehemenz gegen mich vor, die nicht zu begreifen war und bis heute nicht zu begreifen ist.

Lebensmittel wurden vernichtet, weil sie angeblich nicht mit dem Transport geschickt werden konnten. Aus demselben Grund wurde Obst vernichtet. Ich war aber noch drei Tage in einer Arrestzelle, in der mir dies alles hätte ausgehändigt werden können. Meine Bekleidung wurde mit den Schuhen in einem Karton geworfen, Töpfe und Pfannen mit der Bettwäsche zusammen, Fernseher und Radio beziehungsweise DVB-T-Gerät zusammen mit einem Teppich und meinem Besteck. Da ich in der offenen JVA sehr viel private Kleidung und zahlreiche Gegenstände besessen hatte – ich hatte in diesem Haus mein eigenes Zimmer gehabt, und weil ich im freien Beschäftigungsverhältnis war, hatte ich mein Zimmer auch selbst bezahlen müssen –, waren nun sehr viele Kartons gepackt worden. Außerdem besaß ich auch ein Auto, das ich neu gekauft hatte und für das ich monatlich Raten zahlte. Auch dieser Besitz wurde mir mit der Verlegung in den geschlossenen Vollzug genommen, denn ich konnte die Raten nun nicht mehr bezahlen. Das Auto wurde sichergestellt und ich saß auf einen Schuldenberg, den ich nicht bewältigen konnte.

Und warum das alles?!

Was dieser Rückverlegung die Krone aufsetzte, war Folgendes: Meine Ehefrau und meine Tochter, mit denen ich täglich telefonierte, machten sich natürlich Sorgen über das Ausbleiben meiner Anrufe und darüber, dass ich mich nicht meldete. Meine Ehefrau befand sich zu dieser Zeit selbst noch in Haft und so bedurfte es unzähliger Versuche meiner Tochter, bis sie oben erwähnten Psychologen endlich erreichte, um zu erfahren, was mit mir los war und warum ich mich nicht mehr meldete.

Und jetzt kommt der Hammer: Wortwörtlich sagte der Psychologe zu meiner Tochter: „Ihr Vater ist wieder straffällig geworden, er ist nicht tragbar für den offenen Vollzug. Ich muss Ihnen sagen, Ihr Vater ist ein gieriger alter Mann.“

Derartige Sprüche, gerichtet an Mitglieder meiner Familie, waren und sind das absolut Letzte, was ein Mensch von sich geben kann. Ganz sicher wäre nicht ein einziger meiner Mitgefangenen zu einer derartigen Bösartigkeit fähig gewesen, und dieser Mann – ein Psychologe! – sollte doch wohl gewusst haben, was er mit Worten wie diesen anrichtete. Meine Ehefrau musste sich wegen meiner Rückverlegung die schlimmsten Anschuldigungen anhören: „Sehen Sie, Ihr Mann ist unverbesserlich. Was tut er Ihnen an? Er wird immer wieder straffällig werden ...“ Eine Frau, die nicht so gefestigt und stark ist wie die meine, hätte sich wahrscheinlich umgebracht.

Ich hatte diesem Psychologen geglaubt, hatte ihm vertraut, mich ihm offenbart und mein Leben vor ihm ausgebreitet. Er hatte den Anschein erweckt, als ob er mir zuhörte, als ob er mich zu verstehen versuchte.

Nichts verstand er und nichts versteht er. Er hat einen Job, verdient gutes Geld und druckt seine vorformulierten Standardsätze aus, um Beurteilungen zu schreiben.

Psychologen, die länger als zehn Jahre in einer Justizvollzugsanstalt arbeiten, sind für die Beurteilung von Gefangenen kaum noch zu gebrauchen – Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.

Warum schreibe ich dies?

Nun, um aufzuzeigen, wie jemand, der ihm anvertrauten Menschen helfen sollte beziehungsweise könnte, letztendlich mit diesen umgeht.

Wie fühlen sich Kinder und Jugendliche in Situationen, in denen ihnen niemand glaubt?

Wie fühlen sich Personen, die vom Schicksal gebeutelt sind und trotzdem immer wieder aufs Neue vertrauen? Und was ist, wenn dann dieses Vertrauen missachtet und damit aufgezeigt wird, dass nicht nur ihr Vertrauen nichts wert ist, sondern auch der das Vertrauen schenkende Mensch?

Ja, wie fühlt man sich, wie fühlte und fühle ich mich?

Mittlerweile weiß ich, was es doch für armselige Menschen sind, die sich hinter irgendwelchen Allgemeinplätzen verbergen.

Und um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, brauchte ich lange Jahre der Entbehrungen, viele Jahre der Einsamkeit, in denen mir nur meine Familie Halt gab. Viele Jahre der Auseinandersetzungen, Demü-tigungen und Beleidigungen erfolgten, bis ich die nötige Gelassenheit hatte, um dies zu überstehen.

Ich schreibe diese Zeilen in erster Linie für mich, aber auch, um aufzuzeigen, was in unseren Heimen und Justizvollzugsanstalten los ist. Es geht so einiges ab in dieser „Schattenwelt im Spiegelbild der Gesellschaft“.

Ich verarbeite die düsteren Jahre meines Lebens in meinem Bü-chern und hoffe, dass diese dem einen oder anderen Menschen helfen, derartige Erfahrungen erst gar nicht zu machen. Ich wäre in vielen Phasen meines Lebens über jede Hilfe erfreut gewesen, wenn mir denn eine zuteilgeworden wäre.

Die Erlebnisse mit dem genannten Psychologen gehören eigentlich zu meiner letzten Haftzeit. Er hätte mich unterstützen sollen. Stattdessen drückte er mich immer tiefer in die Scheiße.

Zu diesem Thema möchte ich abschließend noch Folgendes sagen:

Das gesamte Justizwesen, dieses gnadenlose System, ist – sobald es dich einmal erfasst hat – darauf angelegt, dir das Gefühl zu geben, machtlos zu sein. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit, der Hilflosigkeit und der Hoffnungslosigkeit spült und reißt die Schwachen hinweg, hinaus in die Bedeutungslosigkeit. Nur die psychisch und physisch Starken überleben ein so gnadenloses System.

Wer diese Sätze liest, mag sagen: Was für ein Quatsch! Die meisten überleben doch das Gefängnis.

Ja, im Sinne des Überlebens mag das stimmen. Sie vegetieren dahin, sind unfähig, sich in der realen Welt zu behaupten. Kommen mit ihrem Dasein nicht mehr zurecht, zerbrechen an ihrer eigenen Antriebslosigkeit. Dies wird in den meisten Gefängnissen nicht nur geduldet, sondern bewusst oder unbewusst sogar gefördert, zum Beispiel durch das Erlauben von Fernsehgeräten. Etwa 75 Prozent der Straffälligen werden irgendwann wieder rückfällig, sind ihren Süchten ohne Gegenwehr ausgeliefert, konsumieren Drogen oder Alkohol. Jeder halbwegs normale Mensch weiß, dass Therapien dieser Art, wie sie heute durchgeführt werden, nur eines sind, nämlich ein riesiger aufgeblähter Kostenapparat, der in meinen Augen nur den Sinn hat, als Daseinsberechtigung für psychologische und sozialtherapeutische Dienste herzuhalten.

Für Sexualstraftäter zum Beispiel werden enorm kostenaufwendige Abteilungen in einzelnen Justizvollzugsanstalten eingerichtet. Psychologen, Sozialarbeiter und Beamte sind en masse vorhanden, jeder Sexualstraftäter hat seinen persönlichen Betreuer, sie können sich auf ihrer Abteilung frei bewegen, können kochen, Billard spielen oder an einem Computer arbeiten. Man versucht, die Psyche dieser Straftäter zu stärken, damit sie ihrer Sucht, sich an Kindern zu vergehen, Herr werden.

Aber was ist der Erfolg?

Einer wird mit einem Handy erwischt – und was findet man darauf?

Kinderpornos!

Und was passiert?

Ein Wochenende Einschluss und am Montag wieder brav zur Arbeit.

Vom Ansatz her ist es gut, dass man sich mit solchen Personen beschäftigt, aber das darf nicht in einem „normalen“ Gefängnis geschehen. Für das rausgeschmissene Geld müssten eigene, ganz spezielle Gefängnisse eingerichtet werden. Sexualstraftäter sind sowieso stigmatisiert und sie bleiben es auch, von daher ist es egal, ob die Bevölkerung weiß, wer dort einsitzt. Ein Sexualstraftäter gehört nicht nach draußen, er hat so lange im Gefängnis zu bleiben, bis ein Psychologe – oder besser zwei – erklärt, dass dieser Mensch geheilt ist und nicht mehr als eine Gefahr für Kinder angesehen werden muss. Ich wäre gespannt, wer dann noch mit einer Entlassung rechnen kann, es sei denn, ein Psychologe mit ähnlicher Neigung nimmt die Begutachtung vor.

Die wenigen Starken sollen und müssen sich zu Wort melden, damit sie den Schwachen und Hilflosen Schutz und Hilfe leisten, insbesondere den jungen schwachen, die auf dem besten Weg sind, von diesem gnadenlosen Justizsystem gefressen zu werden.

Der erste Gefängnisaufenthalt als Erwachsener

Nach meinen beiden Jugendstrafen verbüßte ich meine erste Strafe als Erwachsener. Während dieser Zeit absolvierte ich meine Gesellenprüfung und machte meinen Meister, in sportlicher Hinsicht wie auch in der kriminaltechnischen Arbeit.

Das Gefängnis, in dem ich nun einsaß, war früher ein Zuchthaus gewesen. Mit der Abschaffung der Zuchthausstrafe erfolgte eine Umstellung und es gab hier nach und nach nur noch Strafgefangene. Diejenigen, die zu dem Zeitpunkt noch mit einer Zuchthausstrafe einsaßen, wurden nach Werl verlegt. Die Verlegungen nahmen einige Zeit in Anspruch, weil die Zuchthäusler die Neuen in den Betrieben erst anlernen mussten. Hinzu kam, dass die Betriebe lieber mit Langstraflern zusammenarbeiteten als mit Personen, die nur ein Jahr oder noch weniger Zeit abzusitzen hatten. Aus diesem Grunde waren Ztler und Blaue1 noch in einigen Betrieben zusammen.

Die Zuchthäusler von den „normalen“ Gefangenen zu trennen, war aus den angegebenen Gründen nicht immer möglich. Wo in dieser Zeit Zuchthäusler und Blaugefangene aufeinandertrafen, spielten sich nach einiger Zeit unglaubliche Dramen ab. Die Ztler schluckten ganze Bestecke, also Gabel, Messer oder Löffel, damit sie nicht verlegt wurden. Und warum das? Ist doch klar, es ging immer nur um Sex oder Geld, hier ging es um Liebe. Es war natürlich keine Liebe, es war Sex, und die jungen Blaugefangenen waren knackig, ihr Geschlechtsteil stand wie eine Eins und die Ztler ließen sich nur zu gerne auf gegenseitige sexuellen Handlungen ein.

Über alles, was dort ablief, war ich natürlich nicht informiert, aber über das meiste, denn Manfred Fass, mein Spannmann beim Sport und auf der Zelle, und ich waren bekannt und hatten einen „Namen“. Aus diesem Grunde trug man uns die wichtigsten Neuigkeiten zu, natürlich immer unter dem Siegel der Verschwiegenheit.

Manfred und ich verdienten für Knastverhältnisse ein Vermögen, machten Sport und beschützten einige Personen – wenn sie bezahlten. Einmal kam ein junger Bursche zu uns und fragte, ob wir ihn beschützen würden. „Kein Problem, was zahlst du?“ Dieser Bursche bekam von Mama immer Geld zugesteckt und besaß schönen Schmuck. Diesen, zumindest eine goldene Halskette, hatte man ihm schon abgeluchst, die war schon draußen, beim Besuch rausgegeben, und die Burschen wollten mehr.

Ein paar dieser Burschen kannte ich, unter anderem den Zweimetermann, der zu mir sagte: „Siggi, das kannst du nicht machen, wir hatten den Vogel zuerst.“ Sie wollten ihn ausnehmen, aber ich gab an, dass er unter unserem Schutz stehe. Wir beschlossen, ein Armdrücken zu veranstalten. Der Gewinner sollte ihn haben. Ha, ich mit meinen 172 Zentimetern gegen ihn, den Zwei-Meter-Mann. Und doch hatte er keine Chance, er verlor sang- und klanglos. Er wurde sogar noch kiebig und wollte mir eine langen, aber bis der ausgeholt und zugeschlagen hatte, bekam er von mir schon zwei Faustschläge und ging in die Knie. Beim Runterrutschen – er hielt sich an mir fest – klaute er mir Blättchen. Egal, dieses Thema war geklärt und der Bursche, der uns um Hilfe gebeten hatte, kam zu uns auf die Zelle.

Die Mutter unseres Schützlings schickte ihrem Sohn Streifbandzeitungen, in die sie jedes Mal einen Fünfzig-Mark-Schein geklebt hatte. Und wenn Mama zu Besuch kam, gab es weitere Zuwendungen.

Um noch mehr Geld zu besitzen, fingen Manfred und Eberhard bei einem Betrieb an, der Gummibänder herstellte. Ich blieb auf der Zelle, las viel und versuchte über den Oberlehrer einen Lehrgang als Werbetexter zu erhalten.

In der Zelle befanden sich oberhalb der Tür viereckige Löcher. Ich konnte nicht in Erfahrung bringen, warum sie dort waren, aber für uns waren sie gut. Dazu folgende Vorgeschichte:

Manfred hatte mir erzählt, dass es bei seiner Firma Kupferspulen gab. Mit Kupferdraht ließen sich Imchen, das waren ganz simple Radios, herstellen. Da Radios und Fernsehgeräte im Gefängnis nicht geduldet wurden, waren Imchen sehr begehrt. Manfred hatte in der Firma eine kleine Kiste mit etwa hundert dieser Kupferdrahtspulen gefunden und diese gestohlen. Meine Aufgabe war es, sie zu Geld zu machen. Wir wickelten Kupferdraht auf einen Ferritstab, und je nachdem, wie viele Wicklungen wir verwendeten, ließen sich bis zu drei Sender empfangen. Auch Kopfhörer fertigten wir aus dem gestohlenen Material an. Die Imchen wurden in einem Stoffbeutel am Körper versteckt getragen, teilweise an delikaten Stellen, denn auch sie waren verboten.

Wir bekamen für jede Spule, die wir bauten, eine Stange Tabak oder eine entsprechende Menge Lebensmittel. Beim Einkauf flogen durch besagtes Loch in der Zellenwand kiloweise Lebensmittel – von Butter, Wurst, Nudeln, Suppendosen bis hin zu Eiern.

Manfred und ich aßen übrigens große Mengen an Eiern, weil wir jeden Tag trainierten und somit einen höheren Bedarf an Eiweiß hatten. Dementsprechend muskelbepackt sahen wir auch aus. Verschiedene Leute nahmen dies zum Anlass, von uns zu lernen. Nun gut, lernen konnten sie, aber alles hatte seinen Preis, also verkauften wir sogar unsere Trainingspläne.

Durch den Spulenverkauf hatten wir genügend Geld, Lebensmittel und was wir sonst noch benötigten. Deswegen konnten wir Eberhard nicht mehr gebrauchen, er ging uns auf die Nerven und wir wollten ihn wieder loswerden. Eberhard machte keinen Sport und Zeitungen hatten wir genug. Also überredeten wir ihn, in ein anderes Gefängnis zu wechseln.

Danach kamen verschiedene Inhaftierte zu uns auf die Zelle. Zwei oder drei von ihnen sollen hier Erwähnung finden:

Einer von ihnen, Max, ein großer, kräftiger Bursche, wollte unbedingt Sport machen und sich eine so gute Figur antrainieren, wie wir sie hatten. Nun war er aber total behaart. Wir klärten ihn auf: „So geht das nicht! Du musst deine Haare wegmachen lassen oder hast du schon einmal einen Bodybuilder gesehen, der so behaart war, wie du es bist?“ Außerdem sagten wir: „Auf Granit wächst kein Gras.“

Zuerst rasierte er sich die Brust, die Oberarme und den Rücken. Wenige Tage später begannen die Haare wieder zu sprießen.

Der Firma, für die Manfred arbeitete, verwendete zum Kleben ihrer Gummibänder einen Leim, und diesen brachte er eines Tages mit. Wir rieben unseren Zellengenossen mit dem Leim ein und warteten, bis dieser hart geworden war. Max lag auf dem Bett, die Hände um das Kopfgestell gekrallt und die Füße gegen die unteren Streben des Bettes gedrückt. Dann rief er: „Jetzt!“

Manfred riss von links und ich von rechts und mit einem Ruck hatten wir seinen Körper von dem Leim und einem kleinen Teil seiner Haare befreit. Die Enthaarungsstudios machen das heute schließlich auch nicht anders ... Die Prozedur muss für den armen Kerl sehr schmerzhaft gewesen sein. Für uns war sie jedenfalls sehr anstrengend. Wir waren sehr erfindungsreich, um den Vorgang der Enthaarung unseres Mithäftlings zu beschleunigen. Wir besorgten Eisenstäbe und Zangen, mit denen wir an dem Wachs rissen. Es war die reinste Sisyphusarbeit, weil auch diese Haare – wenn auch nicht ganz so schnell – wiederkamen.

Als Max unsere sportlichen Tätigkeiten auf die Dauer zu anstrengend wurden, verabschiedeten Manfred und ich uns von ihm. Natürlich erst nach Bezahlung der vereinbarten Summe. Das war wichtig, weil es uns als Schwäche hätte ausgelegt werden können, wenn wir ihm die Bezahlung erlassen hätten. Wenn man etwas vereinbart hatte, musste man es durchziehen.

Auf unserer Drei-Mann-Zelle war immer etwas los. Wenn Umschluss war, befanden wir uns manchmal mit fünf oder sechs Personen in diesem „Käfig“, und geraucht wurde auch noch.

Wie schon erwähnt, kamen immer wieder neue Inhaftierte wegen der sportlichen Aktivitäten zu uns. Mit einigen von ihnen wetteten wir, wer wie viel von dieser oder jener Übung schaffen würde. Andere kamen um der Unterhaltung willen, denn bei uns war es immer lebendig, es wurde gezockt oder Schach gespielt. Wir spielten nur um Einsatz. Für uns war das kein Problem, aber diejenigen, die vorsichtig sein mussten, verloren dann auch noch, weil sie zu ängstlich waren oder eben zu vorsichtig. Dabei spielten sie gar nicht einmal so schlecht. Ich spielte besser als Manfred und so forderte ich alle anderen heraus, angefangen bei Mühle, Dame oder weiß der Himmel was sonst für Spielen.

Manfred hatte einen Faible für sein eigenes Geschlecht. So kam fast jeden Tag irgendein Stricher, ein Bubi, zu uns in die Zelle. Die beiden hängten dann eine Wolldecke vor das untere Bett – genauer gesagt, die Wolldecke wurde in dem oberen Bett unter die Matratze geschoben und reichte dann bis zum unteren Bettrand.

Ich wollte nicht, dass ein Stricher auf unsere Zelle zog, aber dann kam dieser Jochen Dickkopf. Auch er war sehr sportlich und blieb als dritter Mann bei uns. Jochen und Manfred lagen fast jede Nacht zusammen im Bett. Ich störte mich nicht daran. Wenn es dunkel war, hörte ich Radio auf dem Imchen, und wenn es noch hell oder das Licht noch an war, dann las ich.

Eines Tages geschah etwas, das dazu führte, dass Stricher von da an Zellenverbot hatten. Wir bekamen Zellenbesuch von einem, der professionell anschaffte. Für Tabak konnte man seine sexuellen Neigungen an ihm abreagieren. Er lag zusammen mit einem anderen Typen, der auf unserer Zelle zu Besuch war, in unserem unteren Bett. Manfred zog, als es hinter der Wolldecke zur Sache ging, diese weg und sagte: „Ich gucke zu, das gibt ein halbes Pack! Jochen auch.“ Und so blieb mir nichts anderes übrig, als ebenfalls ein halbes Pack zu zahlen. Theoretisch hätte mich das vielleicht ja noch angemacht, aber das Gegrunze des einen Typen und das vergebliche Bemühen des Strichers, auf Touren zu kommen, erstickten jegliche Lust im Keim. Von diesem Tag an war Schluss mit lustig.

Was die Praktiken dieser Männer anbelangte, wusste ich in der Theorie über alles Bescheid. Ich hatte auch zahlreiche Bekannte, die bis auf die Knochen schwul waren. Andere waren „knastschwul“, das waren diejenigen, die ihre Sexualität nicht mit sich selbst ausleben wollten. Sie suchten sich einen gleichgeschlechtlichen Partner mit demselben Ziel der gegenseitigen Befriedigung.

In diesem Zusammenhang erzählte mir Manfred noch ein paar Geschichten aus seiner früheren Zeit. Bevor er in dieses Gefängnis verlegt worden war, war er auf einem Kabelhof gewesen, wo die irrsten und wahnsinnigsten Typen überhaupt anzutreffen waren. Wenn man dort von einem der Ztler ein Butterbrot bekam, dann durfte man es nicht annehmen, denn ganz sicher hatte dieser vorher auf die Brotscheibe ejakuliert und anschließend Schmalz darauf gestrichen. Biss man dann in dieses „Butterbrot“, wurde man ganz gewiss von dem Ztler beobachtet, der sich hinter einem Stapel Kabel oder Eisen verbarg und dabei onanierte.

Dort gab es Pärchen, das schon fünf oder zehn Jahre zusammen war. Doch wie auch bei anderen Paaren und Ehepaaren kam es oft zu Streitereien. Und die wurden ausgetragen, indem sie sich gegenseitig mit dicken Kupferkabeln auf den Kopf schlugen, bis einer von ihnen zusammenbrach. Dann war alles wieder gut und die nächsten zufriedenen Jahre konnten folgen.

Manfred erzählte auch von Hammer-Conny. Dieser lief immer mit einem Hammer herum und sagte: „Dieser Hammer ist noch zu weich für einen Menschenkopf; lass Ratten laufen, aber Menschen zertrete den Kopf.“ Er hatte eine ganze Bauernfamilie ausgerottet.

Wie war es dazu gekommen? Hammer-Conny war als Strafgefangener bei einem Bauern beschäftigt gewesen. Dieser hatte ihn immer getriezt, wenn er der Meinung war, der Gefangene würde zu langsam arbeiten. Der Bauer besaß ein Luftgewehr, bei dem man den Lauf herausdrehen konnte. In diesen Gewehrlauf brachte er einen Pfropfen ein, den er aus einer rohen Kartoffel geschnitten hatte. Damit schoss der Bauer auf den Gefangenen und traf dessen Oberschenkel, den Hintern und noch einige andere Körperteile. Der Gefangene hatte den Bauern gewarnt, aber der hatte die Sprüche nicht ernst genommen. Hätte er es nur getan ... Der Gefangene wurde eines Tages entlassen, fuhr zu diesem Bauernhof und schlug dann mit einem Hammer zuerst auf die Großeltern, dann auf die Eltern und schließlich auf drei Kinder ein. In keinem dieser Fälle war es Mord, denn alle Familienangehörigen lebten noch. Erst im Krankenhaus verstarben sie. Der Gefangene sagte später aus, er habe sie nur verletzen wollen. Er bekam fünfzehn Jahre und die Sicherungsverwahrung, jedoch kein „lebenslänglich“.

Ein anderer Inhaftierter, von dem Manfred erzählte, war „Der Weiße Tod“. Er fuhr mit einem VW-Bus, den er als Krankenwagen getarnt hatte, zu einer Schule, um angeblich Untersuchungen bei den Kindern durchzuführen. Dieser Typ misshandelte daraufhin die Schulkinder aufs Grausamste. Sein Urteil lautete: „lebenslänglich“.

Ich werde aus dieser Zeit nichts mehr über Straftaten anderer schreiben, weil mir nur die ekelhaftesten Delikte in Erinnerung geblieben sind, und davon kommen noch genügend ans Licht, wenn ich über meine letzte Haftzeit schreibe, die mir noch viel lebendiger in Erinnerung ist.

Janr və etiketlər
Yaş həddi:
0+
Litresdə buraxılış tarixi:
23 dekabr 2023
Həcm:
321 səh. 2 illustrasiyalar
ISBN:
9783954883417
Müəllif hüququ sahibi:
Автор
Yükləmə formatı:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip