Dem Logos zuhören

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In diesen Überlegungen deutet sich schon an, dass sich eine Öffnung in Richtung Gottes auftut. Tatsächlich wird die Intersubjektivität auch als einer der Wege Husserls zu Gott eingeschätzt197. Im Rahmen unseres Gedankenganges ist indes schon viel mit der Feststellung gewonnen, dass aus phänomenologischer Sicht die Begegnung zweier Subjekte durchaus eine Dynamik freisetzt und mit der Einfühlung einen Prozess in Gang bringt, der die bloße Summe der Begegnenden überschreitet und auf etwas verweist, das beiden vorausliegt und in Anlehnung an Husserls Terminologie Eidos genannt werden kann.

Damit ist die phänomenologische Grundlage dafür ausgemacht, wie sich über die Intersubjektivität des Erlebens die Brücke vom Ich zum Anderen schlagen lässt. Das Erleben des Anderen wird zwar nicht zum Erleben des Ich, aber es wird vom Ich durchaus wahrgenommen: Das Erleben des Anderen ist dem Erleben des Ich kompräsent:

„Der Erlebnisstrom des Anderen ist mir kompräsent gegeben, in kompräsenter Wahrnehmung ist mir das fremde gegenwärtige Erleben gegeben, im kompräsenter Erinnerung die fremde Erinnerung und so die Einheit des ganzen fremden Erlebnisstromes. Genauer, in Kompräsenz ist mir das fremde Erlebnis jetzt gegeben mit seinen, wenn auch größtenteils sehr unbestimmten, Zeithorizonten.“198

Daran zeigt sich, dass die Einfühlung für Husserl von zwei Determinanten geprägt ist: zum einen von Zeitlichkeit – diese hält die Erlebnisse im Strom zusammen – und zum anderen vom Leib des Anderen – dieser dient als Index199, d. h. als eine Art phänomenologischer Kristallisationspunkt, von dem her die Einfühlung ihren Ausgang nimmt.

Unter diesem Blickwinkel wird erneut deutlich, wie sehr es Husserl daran gelegen ist, einer solipsistischen Interpretation seines Werkes entgegenzutreten200. Das phänomenologische Sein reduziert sich nämlich gerade nicht allein auf das phänomenologische Ich, „das ausgezeichnet ist als wahrnehmendes, erinnerndes, einfühlendes Ich und als dabei phänomenologisch reduzierendes“, sondern zugleich auf „a n d e r e, in der Einfühlung gesetzte, und als schauende, erinnernde, evtl. einfühlende Ich gesetzte Ich“201.

So ergibt sich die Bildung von intersubjektiven Einheiten. Die Einfühlung bewirkt nicht nur einmal oder punktuell, dass fremdes Erleben eingefühlt wird, sondern begibt sich in eine Dynamik des Ineinanderseins, die Gemeinsamkeiten im Erfahren, Wollen und Streben hervortreten lässt und so Kriterien offen legt, anhand derer sich soziale Institutionen bilden können. Husserl formuliert dies so:

„Dabei wirkt jedes personale Subjekt nicht nur unmittelbar-ursprünglich in Form seiner selbsterlebten Intentionalitäten, […] sondern in der Kommunikation wirkt es durch das fremde Bewusstseins-Ich hindurch in Form der fremden Strebungen und Wollungen. […] als Korrelate haben wir die Einheit „einer“ Leistung, „eines“ Werkes, evtl. eine sich in die offene Unendlichkeit der Zeiterstreckung […] durchentwickelnde Einheit eines Staats, einer Religion usw.“202

Hier zeigt sich, dass die Intersubjektivität durch Einfühlung auch soziologischen Charakter hat, indem sie verschiedene Gruppierungen mit gänzlich verschiedenen „Strebungen und Wollungen“ umspannen kann. Entgegen N. Luhmann kann daher festgestellt werden, dass nicht die Kommunikation, sondern die ihr zugrunde liegende intersubjektive Einfühlung, die kleinste Einheit eines sozialen Systems ist, aus der dieses sich autopoietisch aufbaut.

1.1.2.2Edith Steins Analyse der Einfühlung: Originarität und Nichtoriginarität

Schon in der bei Husserl zu sehenden begrifflichen Darstellung tritt bei der Thematik der Einfühlung die Notwendigkeit hervor, stets die psychologische Betrachtungsweise auszuscheiden. Es geht zunächst um eine rein geistige apriorische Perspektive, die per se die Analyse von (klinischbzw. naturwissenschaftlich-) psychischen Vorgängen außer Acht lässt. Sehr wahrscheinlich war es Husserl selbst klar, dass seine wenn auch bereits weit reichenden Überlegungen zur Intersubjektivität und gerade zur Einfühlung sortiert und differenziert dargestellt werden müssen. Mit dieser Aufgabe hat er Edith Stein beauftragt. Sie war seit 1913 Schülerin Husserls in Göttingen und Freiburg i. Br., dort zuletzt von 1916 bis 1918 seine Assistentin.

Mit ihrer 1916 an der Universität Freiburg vorgelegten Dissertation203 ist es E. Stein gelungen, die zahlreichen bis dahin zum Thema auffindbaren Gedanken im Werk ihres Lehrers aufzugreifen und einen synthetischen Überblick über die Einfühlung zu liefern204. Stein erkennt dabei das Problem, dass in den wissenschaftlichen Erörterungen zur Einfühlung unter anderem die erkenntnistheoretische, die rein deskriptive und die psychologische Seite derselben vermengt waren und so einer „befriedigenden Lösung im Wege gestanden“205 haben. Daher stellt sie gleich zu Beginn ihres Werkes fest, dass der Begriff der Einfühlung völlig ungeachtet seiner herkömmlichen Verwendung zu gebrauchen sei, als eine Grundart von „Akten, in denen fremdes Erleben erfasst wird“206. Im Gegensatz zur Husserlschen Formulierung207 wird der Begriff der Einfühlung sogleich ebenso knapp wie präzise näher bestimmt und damit vor Missverständnissen geschützt: Es gehe dabei nicht um eine äußere Wahrnehmung und auch nicht um etwas dieser Vergleichbares; das einzige Gemeinsame sei die zeitliche und räumliche Gegebenheit des Objekts208. Damit führt die Einfühlung zur Differenzierung zwischen Originarität und Nichtoriginarität209. Äußere Wahrnehmung ist immer originär, d. h. sie entsteht am und im Subjekt und bringt sich in ihm zur Geltung. Bei der Einfühlung ist die Sachlage differenzierter. Die Einfühlung hat durchaus einen originären Aspekt, insofern sie einen Akt des Bewusstseins darstellt, der sich hier und jetzt vollzieht210; gleichwohl ist sie auch nichtoriginären Charakters, insofern das, was sich in ihr zur Geltung bringt, nicht im erkennenden Subjekt entsteht, sondern von außen her und von sich selbst nicht ableitbar in es hinein kommt. E. Stein erläutert diesen Zusammenhang an der Erinnerung, der Erwartung und der Phantasie. Diese drei Arten menschlicher Akte sind als solche originär, bringen aber Nichtoriginäres des eigenen Ich zum Erleben: Die Erinnerung bringt ein Erlebnis der Vergangenheit, das so nicht mehr da ist, die Erwartung ein Erlebnis der Zukunft, das so noch nicht da ist; und wenn das Erlebnis nicht da ist und auch nicht da sein wird, dann ist es die Phantasie, die es zum Erleben bringt. Die ehemalige oder zukünftige oder vorgestellte Originarität des eigenen Erlebnisses wird sozusagen hineingetragen in die Nichtoriginarität des Erinnerten, Erwarteten oder Phantasierten, die ihrerseits auf diese Originarität zurückweist211. Es ist eine enorme Leistung des Bewusstseins, sich etwas zu vergegenwärtigen und in gewisser Weise zu eigen zu machen, was ihm nicht direkt gegeben geschweige denn seiner Verfügungsgewalt unterworfen ist212. Dabei wird jede Analogie auf wahre Transzendenz hin überschritten213.

Was die Erinnerung, die Erwartung und die Phantasie in Bezug auf die eigenen Erlebnisse sind, das ist die Einfühlung in Bezug auf die Erlebnisse von anderen. E. Stein stellt fest, dass auch die Einfühlung als Erlebnis des einfühlenden Subjekts originär ist, während das eingefühlte Erlebnis des anderen nichtoriginär bleibt. Mit dieser wichtigen Unterscheidung hat E. Stein mindestens zwei Beiträge zum tieferen Verständnis der von Husserl bereits ausführlich thematisieren Einfühlung geleistet:

Zum einen hat sie erneut klargestellt, dass die phänomenologische Intersubjektivität im Medium der Einfühlung nicht solipsistisch ist, und Husserls folgende Ausführungen bestätigt:

„Es ist also nicht so, dass ich erst solipsistisch meine Dinge und meine Welt konstituiere, dann einfühlend das andere Ich erfasse, […] sondern meine Sinneinheit ist dadurch, dass die indizierte fremde Mannigfaltigkeit nicht geschieden ist von meiner, eo ipso dieselbe wie seine eingefühlte.“214

Steins Unterscheidung zwischen originär und nichtoriginär erläutert die bei Husserl schon vorgenommene phänomenologische Differenzierung in ihrer spannungsreichen Dialektik. Sie bringt zum Ausdruck, dass mit der Einfühlung sich das Wahrgenommene sowohl im eigenen Bewusstsein - originär – und auch im fremden Bewusstsein – nichtoriginär – zur Gegebenheit bringt. Husserl hatte es vorgezogen, anstatt von phänomenologischen Daten von „Dabilien“ zu sprechen; „denn es bedarf erst der Wendung des meinenden Blickes, um sie zu wirklichen Daten, zu Gemeintheiten und Gegebenheiten zu machen.“215 Damit war das Zusammenspiel zwischen Erscheinendem und Erscheinen, zwischen Noema und Noesis, in vorzüglicher Weise dargestellt; die Frage nach dem Solipsismus hingegen klärt Husserl einseitig im Rahmen der Noesis. Wenn aber mit E. Stein gesehen wird, dass der von Husserl so genannte „meinende Blick“ Originäres und Nichtoriginäres zusammen bringt, dann wird die Einseitigkeit aufgehoben, weil die Unterscheidung originär und nichtoriginär sich auf das Noema bezieht und bereits in diesem jeglichen Solipsismus entgegentritt. Die Gleichzeitigkeit von Originärem und Nichtoriginärem hingegen entzieht dem solipsistischen Ansatz den Boden. Sie wird gerade in der Einfühlung zutiefst begründet. Sie vertieft das Verständnis der bereits aufgezeigten Dialektik, indem sie im tiefsten Grunde des Ich Gegensätzliches zusammenhält. Damit sichert sie zugleich die Freiheit der einander Begegnenden, denn diese liegt darin, dass sie sich nicht gegenseitig vereinnahmend ineinander versetzen216, sondern sich den Anderen in seinem Anders-Sein zu Eigen machen und dabei zugleich sein Anders-Sein stehen lassen.

 

Zweitens hat E. Stein die Gedanken ihres Lehrers weiter präzisiert und fortentwickelt. Mit deutlichen Worten kommen bei ihr Aspekte zum Ausdruck, die Husserl so klar noch nicht herausgestellt hatte. So weist sie darauf hin, dass „Einfühlung eine Art erfahrender Akt sui generis“217 sei. Das bedeutet, dass Einfühlung weder aus anderen Arten der Erfahrung herleitbar ist noch sich in dem Rahmen dessen halten muss, was diese Erfahrungen ausmacht. Das wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, was Einfühlung bewirkt: Sie verbindet Originäres mit Nichtoriginärem und ist damit in der Lage, auch Gegensätzliches untrennbar zueinander zu führen und zusammen zu halten. Dieser Zusammenhalt ermöglicht die größtmögliche Freiheit – das Hinübergehen zum Gegensatz – sowie konsequenterweise die größtmögliche Liebe. Dem Einfühlenden erschließt sich also dasjenige noch tiefer, was er in seinem Inneren antrifft und was wir bereits bei Husserl als geheimnisvolle dialektische Spannung eruiert haben. Er stößt nämlich gerade im Umgang mit dem anderen zu seinem tiefsten Inneren vor218 und darin zu einem Potential, das so radikal frei und so radikal liebend ist, dass es als göttliches Residuum im Ich gesehen werden kann. Auch wenn der Philosoph ihm keinen Namen geben kann, so verschafft sich dieses Residuum doch unwiderruflich Geltung.

Husserl hatte die durch Einfühlung vermittelte oder begründete Intersubjektivität als Zusammenfassung zu einer Gemeinschaft von mehr oder weniger Gleichgesinnten aufgefasst. E. Steins Formulierungen lassen nunmehr deutlich hervortreten, dass Einfühlung noch weiter gehen kann: Ohne dass es auf die Gegenstände des Erfahrens ankommt, erhebt sich im Zusammenhang mit der Einfühlung aus dem Ich und dem Du das Wir als „ein Subjekt höherer Stufe“219.

Dabei folgt die Einfühlung eigenen und einzigartigen Regeln. Durch die Einfühlung wird das Seelenleben eines Menschen erfasst220, und zwar nicht nur in seinen inhaltlichen Ergebnissen, sondern auch in seiner Struktur. So wird deutlich, dass die Einfühlung keinesfalls nur physisch-psychisch zu verstehen ist; vielmehr liefert sie die Voraussetzung und Grundlage für jegliches psychologische Verstehen menschlichen Miteinanders. E. Stein wendet sich daher zunächst ausführlich dem Wesen der Einfühlungsakte selbst zu, um erst danach und von da aus die Konstitution des psychophysischen Individuums zu erörtern sowie in diesem Zusammenhang auch die in der Phänomenologie wichtige Frage des Leibes. Die Absicherung ihres Denkweges vor den (tiefen-)psychologischen Abgründen ihrer Zeit vollzieht sie dadurch, dass sie in Treue zur scholastischen Tradition221 die Frage des Leibes im Zusammenhang mit derjenigen der Seele und des Geistes belässt222. Dieser scholastische Hintergrund Steins verhilft ihr indessen zu der Überlegung, dass in „dem Augenblick, wo man sich den Leib wegdenkt, […] die Phänomene [sc. der psychophysischen Erlebnisse schwinden] […], aber der geistige Akt bleibt“223. Anschaulich spricht E. Stein davon, dass

„Gemeingefühle als Eigenerleben […] Leib und Seele ‚füllen’ und jedem geistigem Akt wie jedem leiblichen Vorgang eine bestimmte Färbung verleihen, wie sie sodann […] am Leibe ‚mitgesehen’ werden.“224

Diese Formulierungen sind so gewählt, dass die phänomenologische Methode leicht ihre Ansatzpunkte findet: Es geht ihr nicht um das, was befüllt wird, sondern um die Betrachtung dessen, was füllt und wie dieses Füllen geschieht. Alles andere wird reduktiv ausgeklammert. Damit kann sie durch den Leib hindurch blicken, ohne sich von dessen psychophysischen Verschränkungen gefangen nehmen zu lassen. Unterstützt wird dies durch die strikte Trennung zwischen Kausalität und Motivation, auf die sie hinweist: Während Kausalität psychophysische Zusammenhänge erklärt und als solche nur nachvollzogen werden kann, liegt die Motivation aller Kausalität voraus und damit auch jedem psychophysischen Zusammenhang. Insbesondere kann die Kausalität der Motivation nicht dadurch den Rang ablaufen, dass sie im Bereich des Psychischen mit ihr gleich gesetzt wird225. Es ist der Geist, der die Oberhoheit über Motivation und Einfühlung behält: „Ein geistiges Subjekt ergreift einfühlend ein anderes und bringt sich sein Wirken zur Gegebenheit.“226

Diese Struktur gilt nicht nur zwischen den Menschen, sondern verbindet den Menschen sogar mit Gott: E. Stein zieht die Konsequenz, dass auch Gott selbst einfühlend das Seelenleben des Menschen erfasse227. Diese These erscheint kühn, weil E. Stein sich nicht scheut, das, was sie über zwischenmenschliche Verhältnisse sagt, ohne den Vorbehalt der Analogie auf Gott zu übertragen. Gleichwohl ist die Aussage konsequent und theologisch vertretbar, weil die Einzigkeit und Unerreichbarkeit Gottes zum einen durch die Unterscheidung zwischen Originarität und Nicht-Originarität abgesichert ist und zum anderen weil die Allwissenheit Gottes im Gegensatz zu den Erfahrungsmöglichkeiten der Menschen jegliche Täuschung über das eingefühlte Erlebnis ausschließt. Genauer gesagt: Gott weiß genau, was der Mensch erlebt, er fühlt es ein, ohne aber dass das Erlebnis zu einem für Gott originären wird. Die Einfühlung Gottes entspricht also in ihrer phänomenologischen Struktur der menschlichen Einfühlung. Da sich die Nicht-Originarität menschlichen Erlebens für Gott durchhält, ist die menschliche Freiheit in Form dieses Verbleibs menschlicher Erlebnisse in der Nicht-Originarität abgesichert. Gott verzichtet darauf, sich die Erlebnisse des Menschen originär anzueignen, denn dies hieße letztlich über ihn zu bestimmen228.

1.1.2.3Die phänomenologische Einfühlung als Wegweiser zum Dialog

Die Einfühlung als Medium der Intersubjektivität ist damit eine grundlegende Haltung, die aus der Selbsttranszendenz des Ich heraus und in der Spannung von Originarität und Nichtoriginarität zwischenmenschliche Beziehungen konstituiert, in denen die Subjekte ineinander untrennbar verwoben sind. Die Einfühlung bringt das Subjekt dazu, das Streben des anderen in sein je eigenes Streben aufzunehmen229. Dies führt zur Bildung von Einheiten, die sich durch die Wechselwirkungen der Intentionalitäten bilden, wie z. B. die Einheiten von Staat und von Religion230. Das lässt sich nach Husserl als christlich verstandene Liebe deuten, denn diese

„ist verbunden mit dem Streben (das notwendig von der Liebe her motiviert ist), in möglichst großem Umfange zur Liebesgemeinschaft zu werden. Also Streben, zu den Menschen ‚in Beziehung zu treten’, sich ihnen zu eröffnen und sie für sich zu erschließen etc., alles nach praktischer Möglichkeit, deren Grenzen ethisch und damit selbst durch ethische Liebe gesteckt sind.“231

Die Verankerung der Liebe in der durch Einfühlung vermittelter Intersubjektivität232 enthebt sie dem alleinigen Zugriffsbereich von Moralität und ähnlichem und spricht sie als Verstehensstruktur durchaus dem gesamten zwischenmenschlichen Bereich zu. Eine Schlüsselrolle kommt hierbei der Aussage Husserls zu, dass ein Christ, der den Feind liebe, damit nicht das Böse im Feind liebe und auch dessen böses Tun nicht in seinem Willen billige233. Diese Aussage ist von paradigmatischer Bedeutung, weil sie die Differenzierung von Originarität und Nichtoriginarität in der phänomenologischen Einfühlung anschaulich macht. Hier deutet sich an, wie Einfühlung für das Verständnis von Dialog fruchtbar werden kann. In ihr liegt eine Struktur, die es ermöglicht, das eingefühlte Erlebnis in der Neutralität des Einfühlens zu sehen und auch dann zu bewahren, wenn es begleitet wird von ganz unterschiedlichen und gar gegensätzlichen Färbungen234. Es geht dann beim Dialog darum, zu ergründen, was im Wahrnehmen des Anderen, in dem, was er sagt, abläuft, welcher Prozess dahinter steckt. Ob ein Dialog als gelungen bezeichnet werden kann, hängt dann nicht davon ab, ob die Dialogpartner zu einem übereinstimmenden „So ist es“ kommen235. Zwar ist Grundvoraussetzung des Dialogs wie jeder Begegnung der Wunsch der Beteiligten, zueinander zu finden. In der phänomenologischen Betrachtung rückt indes der Prozess des Aufeinander-zu-Gehens in den Blick, der in der leiblich vermittelten Einfühlung beschlossen liegt. Das Gelingen des auf Einfühlung gegründeten Dialogs wird also vielmehr davon abhängen, wie weit es die Beteiligten schaffen, Täuschungen und Fehler bei der Einfühlung selbst zu vermeiden. Die genannte Gefahr erscheint indessen immer mehr reduziert, je konsequenter die Einfühlung vorgenommen wird und welchen Grad der Abstraktion und Fundamentalität von Erlebnissen sie erreicht. Im Bereich der Religionsphänomenologie ist z. B. ein höchstmöglicher Grad von Abstraktion und Fundamentalität bereits erreicht, wenn die Erlebnisse etwa als Anvertrauen, fromme Verehrung oder Offenheit auf den Anderen hin236 erkannt werden. Dann ist nämlich alles, was als beschränkt oder inhaltlich falsch angesehen wird, ausgeblendet und steht als solches nicht dem Erfolg von Dialog im Wege.

1.2Dialog als Begegnung mit der Wahrheit

Wie wir gesehen haben, ergibt sich aus dem phänomenologischen Ansatz Husserls, wie er von E. Stein präzisiert und in jüngerer Zeit von anderen Autoren aktualisiert worden ist, ein vertieftes, auf Intersubjektivität und Einfühlung basierendes Verständnis von Kommunikation und Dialog. Diese sind im Zusammenhang zu sehen mit dem Grundanspruch der Phänomenologie, als Prima philosophia und als exakte Wissenschaft aufzutreten. Sie fragt nach der Wahrheit nicht im Ausgreifen des Verstandes nach ihr als Objekt, sondern als Antwort darauf, wie sie selbst sich in den Phänomenen zeigt und gibt. Das impliziert, dass die „Wahrheit wie ein Wesen im Raum“ steht und es Aufgabe der Philosophie ist, sie zum Leuchten zu bringen237.

1.2.1Ich – Du – Wahrheit: Dialogisch denken

Dialog kann in der Absicht geführt werden, „der Wahrheit zu erlauben, so ans Licht zu kommen, wie sie ist“238. Hierzu kann der intersubjektiveinfühlende Weg, der den Anderen erschließt, beschritten werden. Das Subjekt erfährt und hört nicht nur mit den je eigenen Sinnen, sondern auch mit denen des je Anderen und umgekehrt239. Dabei kommt es nicht zu einer Identifikation240; vielmehr wird ein Spannungsbogen zwischen dem Ich und dem Anderen gehalten. Das Ich erarbeitet sich selbst am Anderen241, ohne dabei aber seinen Primat242 zu verlieren.

1.2.1.1Dialog als „Zwischenreich“

Eine Gestalt der bisher phänomenologisch beschriebenen Erarbeitung des Ich am Anderen sind Kommunikation und Dialog243. B. Waldenfels hat in seiner Habilitationsschrift ein Verständnis von Dialog auf dem Boden der husserlschen Phänomenologie entwickelt. Er bezeichnet die intersubjektive Konstitution der Welt als „gemeinsames Weltverhalten“244, als ein Zusammenwirken, das zwei Subjekte in Kompräsenz mit einem Gegenstand verbindet und damit von trinarischer Struktur ist245. Diese verbietet es, dass das Ich den Anderen auf Weltliches oder Eigenes reduziert. Der Andere bleibt Partner, der in aller Intentionalität „mitfungiert“246. Es zeigt sich dabei eine Interaktivität, die allem gemeinsamen Leben zugrunde liegt und in besonderer Weise im Dialog deutlich wird. Es ist die

„spezifische Aktivität der Mitteilung (des Sichmitteilens), die als Gemeinschaft schaffende Leistung literarisch geradezu Kommunikation heißt.“247 – „Aller Sozialität liegt zugrunde […] der aktuelle Konnex der Mitteilungsgemeinschaft, der bloßen Gemeinschaft von Anrede und Aufnehmen der Anrede, von Ansprechen und Zuhören.“248

Diese Aktivität zeigt sich in der Vergegenwärtigung des Anderen, in dessen Gegenwart das Ich sich „sprungweise“ hinein versetzen kann249. Es kommt zu einem Austausch nicht nur von Äußerungen, sondern von jeglicher Äußerung vorausgehenden individuellen Potentialitäten in der Form, dass „die eigene Wirklichkeit als Verwirklichung fremder Möglichkeiten und die fremde Wirklichkeit als Verwirklichung eigener Möglichkeiten“250 auftreten kann. Die Einfühlung weist damit den Weg hin zu einem Dialog, in dem es nicht darum geht,

"[vom] anderen zu fordern, dass er mich so sehe, wie ich mich sehe. [sc. Dies] […] ist erkenntnistheoretisch naiv und letztlich unergiebig. Liegen doch Sinn und Chance des Dialogs gerade darin, mich selbst in der Perspektive des Partners wahrzunehmen."251

 

Es liegt vielmehr eine gemeinsame Präsenz jeglicher Urpräsenz (des Ich) voraus, die ihrerseits jeweils Appräsenz (für den Anderen) ist252. Diese gemeinsame Präsenz deutet auf etwas Vorgegebenes hin, aus dem sich die Gesprächspartner schöpfend verdanken, und welches sie nicht nur aktiv als ein Ziel verfolgen; vielmehr lassen sie sich als passive, Leidende, von etwas Vorgegebenem anregen253. Hier deutet sich die Struktur eines gemeinsamen Hinhörens und gemeinsamer Erfahrung an, die im Rahmen der vorliegenden Themenstellung zunächst vielversprechend erscheint:

„Fassen wir zusammen, was dialogische Verständigung und gemeinsame Erfahrung vereint leisten. In der gemeinsamen Hinnahme ö f f n e n wir uns auf das hin, was wir gemeinsam h a b e n und worin wir bereits verbunden s i n d, um dann in der Wechselverständigung eine ausdrückliche Gemeinsamkeit zu s c h a f f e n. Was zunächst implizit für uns gilt, wird in der aktiven Verständigung a l s für uns geltend herausgestellt. Es bildet sich eine gemeinsame Wahrheit, die im Einverständnis erhärtet ist. Wie freilich Begriff und Urteil zurückbleiben hinter dem, was unserm Verständnis vorgegeben ist, so bleibt die ausdrückliche Verständigung zurück hinter dem, was in unausdrücklichem Einverständnis schon da ist.“254

Hier wird erneut bestätigt, dass es im Dialog nicht entscheidend darauf ankommt, ob die ausdrückliche Verständigung das „unausdrückliche Einverständnis“ erreicht; es zeigt sich hier vielmehr diejenige Grundstruktur, die sich, wenn auch weitaus dramatischer, in der Feindesliebe als gültig erweist: Den Anderen als Gesprächspartner schätzen und ernst nehmen, heißt noch lange nicht, dessen Positionen gut zu heißen und mit ihm übereinzustimmen. Wenn das Ernstnehmen des Anderen, d. h. die fundamentale Beziehung zu ihm, abgekoppelt wird von der Bewertung der Ansichten desselben, dann ist auch eine Beurteilung des Erfolgs dieser fundamentalen Beziehung nicht abhängig davon, ob und wieweit dessen Ansichten, d. h. – phänomenologisch gewendet – dessen vom Ich eingefühlten Erlebnisse – zur Übereinstimmung gebracht werden können255. In der Tat spricht B. Waldenfels deutlich von einem ständigen „Erfüllungs- und Enttäuschungszusammenhang“256, der über jeglichem Interagieren waltet.

Obwohl damit der Dialog in gewisser Weise herausgenommen wird aus der Abhängigkeit von den Mühen der in ihm miteinander Verbundenen, so wird er im Verständnis von B. Waldenfels doch nicht ausgerichtet an einem vorgegebenen Logos, der sich darin zeigt und gibt. Vielmehr sieht er eine „Sphäre der Zwischenleiblichkeit, die zu kennzeichnen ist als präpersonale Anonymität257. Nicht ein ewiger Logos ist also diejenige Realität, der sich die Partner verdanken, sondern eine Verbundenheit, die ihnen zwar vorausliegt, letzten Endes die Ebene der menschlichen Kommunikation aber nicht übersteigt, sondern sich gerade in ihr und nur in ihr manifestiert. Damit ist der Dialog in diesem Verständnis nicht geöffnet auf Offenbarung, sondern auf Vermittlung durch Sprache. Sie ist für den Einzelnen nicht verfügbar, sondern erweist sie sich als Hintergrund, auf dem sich das Miteinander realisiert258. Das hat zwar mit dem Wort und damit in gewisser Weise mit dem Logos, zu tun; „der Logos“ jedoch „wird zum sozialen Logos in einer ‚Homologie’, also einer Übereinstimmung mit sich selbst und den Anderen“259. Wahrheit erschließt sich damit im Einverständnis. Das bedeutet nicht, dass Wahrheit letzten Endes vom allseitigen Einverständnis abhängig würde. Übereinkünfte sind jedoch eine Ebene, die auf dem Weg zur allgemeinen Wahrheit durchschritten werden muss. Es gibt also aus Sicht des Subjekts die allgemeine Wahrheit nicht à part, sondern diese gibt sich notwendigerweise vermittelt durch die Instanzen von Wahrnehmung, intersubjektiver Konstitution und Dialog260. B. Waldenfels differenziert deshalb zwischen dem sachlichen Wahrheitsgehalt und dem subjektiven Wahrheitsgeschehen261. Der sachliche Wahrheitsgehalt wird vom Subjekt verbürgt: Er liegt in dessen Geschichte und Erkennen beschlossen. Das Wahrheitsgeschehen jedoch ereignet sich zwischen den Subjekten; dieses ist der eigentliche Gegenstand des Dialogs.

B. Waldenfels zeigt damit eine Struktur auf, in der sich die von einem Subjekt erkannte Wahrheit im Dialog Geltung verschafft und vom anderen übernommen werden kann. In Anlehnung an Husserl spricht er von „Stiftung“: Im Dialog wird die Urstiftung des einen Partners als Nachstiftung von dem anderen Partner in gewisser Weise nacherzeugt262, sodass beide teilhaben an der Urheberschaft: „Die eigene Urstiftung ist also im Dialog immer auch von fremder Mitstiftung begleitet.“263 Dies vollzieht sich indes nicht als

„reine Übermittlung einer Sache, sondern gemeinsame Verwirklichung einer Einsicht, die sich auf dieselbe Sache richtet. So ist die Übernahme keine bloße Übernahme. Indem ich in der Nachstiftung auf meine Weise und aus meiner Situation heraus den vernommenen Sinn hörend realisiere, verhalte ich mich selbst in der Reproduktion produktiv, sonst wäre ich ein Resonanzboden und kein Hörender und potentielle Antwortender.“264

Zugleich wird damit deutlich, dass der Dialog sich in einem Horizont abspielt, der den jeweiligen Partnern vorgegeben ist und über den sie nicht verfügen können, der Beziehung von Ich und Du. In ihr fällt der Vorrang des Ich265. Hier zeigt sich für Waldenfels die Überwindung des transzendentalen Solipsismus, den er bei Husserl festzustellen glaubt: Zwar zeigt sich alles, was ist, immer an dem Ort, an dem das Subjekt sich befindet266. Doch bleibt es nicht dabei, denn

„ich ruhe gar nicht in mir selbst, sondern bin in ständigem Aufbruch fort von mir selbst und bin nur so bei mir; der Standort setzt mir in dieser Bewegung einen bestimmten Spielraum. Erst wenn ich mich selbst zum Woraufhin meiner Eigenbewegung mache, gerät alles in einen egozentrischen Sog und wird, wenigstens, was seinen Sinn angeht, von mir abhängig.“267

Damit zeigt sich auch bei Waldenfels wie bei Husserl das oben vorgeschlagene Bild einer diastolischen Bewegung, die der systolischen folgt. Waldenfels hat damit den Nachweis geführt, dass die husserlsche Phänomenologie ein tragfähiges Fundament für das Verständnis und die Möglichkeiten dialogischen Geschehens bietet. Damit bestätigt er die Tauglichkeit des phänomenologisch-dialogischen Ansatzes für eine denkerische Erfasasung des Hörens auf den Logos im Dialog.

Im Gegensatz zu Husserl jedoch rückt B. Waldenfels das Ziel der Bewegung nach außen in den alleinigen oder zumindest den entscheidenden Blick, das er als Feld der Zwischenleiblichkeit bezeichnet oder als „Zwischenreich des Dialogs“. Dialogische Verbindlichkeit und Wahrheit sind damit sozialphilosophisch verortet. Die tiefsten Gründe des Ich, zu denen Husserl vorgestoßen war und deren Öffnung für Offenbarung M. Henry ausdrücklich festgestellt hatte, treten demgegenüber in den Hintergrund. Der unaufhebbare Zusammenhang des Logos, der dem Ich in seinen tiefsten Gründen geheimnisvoll erscheint, mit dem Dia-Logos, in er sich vermittels des Leibes und der Einfühlung intersubjektive Geltung verschafft, wird unerheblich.

1.2.1.2Das Dialogische Denken

Die sozialphilosophischen Untersuchungen B. Waldenfels’ haben den Blick hauptsächlich auf den Prozess der Wahrheitsfindung aus der Mitte des Dialogs heraus gerichtet und nicht auf die Wahrheit selbst, die sich unverfügbar und unableitbar im dialogischen Geschehen gibt. Ihren Ansatz haben sie indessen bei der transzendentalphilosophischen Phänomenologie genommen.

Einen umgekehrten Weg schlägt das Dialogische Denken ein. Diese hauptsächlich auf F. Ebner (1882 – 1931), F. Rosenzweig (1886 – 1929) und M. Buber (1878 – 1965) zurückgehende philosophische Schule sieht im Dialog eine ontologische Ebene und verortet dort Gott selbst, der sich den Beteiligten zuschickt. Das Zwischen des Dialogs ist danach nicht, wie bei B. Waldenfels, eine intersubjektive sprachliche Gegebenheit, sondern es ist der Raum für den Logos.

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