Kitabı oxu: «Die Schwere einer Nacht»

Şrift:

Die Schwere einer Nacht

1  Start

Start
Die Schwere der Nacht.
Urs De Plierer

NOVELLE

FÜR VERONIKA

IMPRESSUM

Autor:

Urs De Plierer

Herausgeber:

Wolfgang Schulz-Binz, Elbinger Straße 2, 31515 Wunstorf

©2019 Die Rechte der Vervielfältigung obliegen dem Autor.

In den frühen Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts hatte es sich zugetragen. Gleich anfang des Jahres ist ein Schlumpf schweizerischer Bundespräsident geworden. Der erste Macintosh kam auf den Markt. Als Antwort auf die Pershings im Westen wurden nun die SS20 in der DDR postiert. Die Menschen, respektive deren Entscheider spielten mal wieder verrückt. Auf geniale Weise und doch nicht weit genug vom Wahnsinn entfernt. Die Uhr des Lebens tickte schneller, nicht für jeden, doch für die allermeisten.

Nicht ganz geräuschlos rollte die hellblaue, mit vielerlei bunten Pril-Blümchen-Aufklebern bekleisterte Kastenente, unmittelbar vor das Portal des Hauptbahnhofs. Das Schnattern des Motors brach mit der Stille des lauen Frühlingsabends.

»Hast du noch‘n bisschen Zeit, Linda? Ist immer ziemlich öde, nachts allein im Bahnhof. Ständig wird frau von irgend‘nem Kerl blöd angequatscht oder von Trunkenbolden angepöbelt. Das nervt. Aber, wenn du es eilig haben solltest ...«

»Ach was, auf‘ne Zigarettenlänge habe ich allemale noch Zeit. Sag, Zyndia, wie lange hast du eigentlich noch Aufenthalt?« Indessen kramte sie eine rot-weiße Pappschachtel aus ihrer Strickjackentasche hervor, fingerte eine Fluppe heraus und zündete sie an.

»Noch ungefähr zwei Stunden bis der Zug eintrudelt. Dann noch eine weitere halbe Stunde Fahrzeit und etwa zwölf Minuten zu Fuß. Ist zwar kein Pappenstiel, aber geht klar.«

»Magst du vielleicht auch‘ne Zichte?«

»Nein, danke, ich kurbel mir eine. War heut‘ wieder‘ne beschissene Nacht, was?« bemerkte Zyndia seufzend.

»Tja, das kann frau wohl getrost behaupten. Ich meine, war wieder 'ne Menge los«, bestätigte Linda, meinte nach einer knappen Pause gedankensprüngig, dass zwei Stunden ja eine verdammt lange Zeit wäre. »Was tust du denn solang, um dir die Langeweile zu vertreiben? Mir wär das zu fad, dort herumzulungern bis endlich der Zug eintrifft.«

»Na ja, ich lese da gerade ein ganz tolles Buch: Der veruntreute Himmel, von Franz Werfel.«

»Kenn‘ ich gar nicht«, bekannte Linda und schien mit diesem Autor wirklich nicht das geringste anfangen zu können.

»Die vierzig Tage des Musa Dagh«? schob Zyndia nach.

»Gedichte?« fragte Linda dann wortkarg.

»Ne, ein Roman. Bin ihn erst angefangen. Doch das Ende gefällt mir gut. Wenn ich ein Buch kaufe, lese ich erst die letzten Seiten vorweg. Entscheide dann, ob ich es kaufen sollte. Ich glaube, viele tun das. Auf jeden Fall heißt es dort in dem Buch: Der veruntreute Himmel ist der größte Fehlbetrag unserer Zeit. Seinetwegen kann die Rechnung nicht aufgehen. Er beschreibt damit bestechend die Gegenwart, die Gegenwart heute und die Gegenwart von damals, die keinesfalls wie Vergangenheit anmutet.«

»Äh – ziemlich abstrus.«

Zwei Glutpunkte glosten auf, hüllten zwei Gesichter in hellrotes Leuchten. Und im Nu legte sich wieder die Schattenhand der Nacht über beide, dass bloß noch ihre Umrisse vage zu erkennen blieben. Nikotinrauch schlingerte in schmalen Fäden empor, formierte sich zu winzigen Puffwölkchen, die sich von innen nach außen wälzten, und benetzte den falben Himmel des Fahrgastraumes mit dem typischen Teint vieler Raucherautos.

Eine Gestalt scharwenzelte um die hellblaue Kastenente, klopfte schließlich mit den Fingerknöchelchen seiner klauenartigen Hand an die Scheibe der Fahrertür. Jäh und eiskalt floss über beider Insassen ein Schauer. Vom ersten Schreck erholt, öffnete Linda das Seitenfenster, schwenkte es nach außen hoch, sah sich einer finstren Miene mit dunkelblauer Schirmmütze, wie sie die hiesige Bahnpolizei zu tragen pflegt, gegenüber.

»Hier dürf’n S’e aber unmöglich steh’nbleiben, junge Frau. Das is’ nich’ erlaubt«, tadelte der Uniformierte, dessen Gesicht nun, durch die Gewöhnung der Augen an die Dunkelheit, deutlicher auszumachen war.

»Wieso?« fragte Linda in ihrer Verblüffung kritisch, aber noch durchaus freundlich.

»Wie-so wohl!« frotzelte der blaue Papagei. »Warum wohl? Weil S’e hier im Parkverbot steh’n, und das schon’ne geraume Weile.«

»Aber«, widersprach Linda kess, »ich parke doch gar nicht. Ich halte doch nur, wenn’s gestattet ist, mein Herr.« Und ein liebenswürdiges, keinesfalls unflätiges Schmunzeln wogte in ihrem Gesicht und zerschellte am sich erkühnenden Schnabel.

»So geht’s jed’nfalls nicht. Wenn S’e sich jetzt bitte schick-lichst in eine dieser Parklücken bemüh’n möcht’n!« verwies sie der Beamte und schrankte seinen Arm, deutete mit der flachen Hand zu einer Stelle, zwischen einigen geparkten Autos. In seiner Stimme, welche zunächst noch höflich klingen sollte, bebte ein merkbares Maß an Ungehaltenheit und gezügeltem Verdruss.

»Okay, Sir, wird umgehend erledigt. Wenn es Ihnen Freude macht. Obwohl wir hier niemanden behindern — aber egal, ganz wie Sie wünschen«, gab Linda devot bei und startete den Motor.

»Ob Sie, Madame ...«, begann der Beamte, dieses Mal ziemlich klar akzentuiert, wurde jedoch seitens Linda unterbrochen.

»Mademoiselle, bitte. Wenn’s Ihnen nicht allzu viel ausmacht«, fiel sie ihm barsch ins Wort.

»Gewiss nicht, Mademoiselle. Doch lass’n Sie’s sich gesagt sein, ob Sie hier jemanden behindern oder nicht, ist vollkommen gleichgültig. Das Park’n is’ hier strikt untersagt, so oder so, wie Sie’s auch drehen oder wenden. Vorschrift is’ eben Vorschrift, meine Dame. Und im übrigen hört sich Ihr Auspuff auch nich’ gerad’ gesund an, muss durchlöchert sein wie’n schweizer Käse. Sollt’n sich schleunigst drum kümmern. So, das wär’s dann schon. Gute Nacht allerseits«, verabschiedete sich der Herr in der blauen Uniform und verschwand im Dunkel der Nacht.

»Ui, puh«, prustete Zyndia und wedelte mit ihrer linken Hand, blies sich dabei auf die Fingerspitzen, als ob sie sich die Finger verbrannt hätte. Meinte dann abfällig: »Typisches Mannsbild.«

»Blöder Typ«, murrte Linda und rangierte ihre Ente in die zugewiesene Parklücke. »Ist doch gar nicht sein Ressort, glaubt sich wohl für alles zuständig.«

»Ach komm«, beschwichtigte Zyndia, winkte indes mit der rechten Hand lässig ab, dass unbemerkt ein Stückchen Asche zwischen die Sitze fiel. »Reg dich doch nicht auf über so etwas, Linda. Ist eben ’n oller Korinthenkacker, einer von der alten Garde, der seine Kompetenz gar nicht mehr kennt oder gerne mal malafide überschreitet. Oder – was weiß denn ich. Jedenfalls des Ärgerns nicht wert«, lenkte Zyndia ein.

Linda zog kräftig an ihrer Filterzigarette und inhalierte tief. Ein Glutpunkt knisterte auf, dann erlosch erneut das Glühen eines Gesichts. Und ein graublauer Nebel erfüllte das Schweigen in der Vierpersonendschunke, trotz des geöffneten Fensters. Die Luft ward stickig und beißend, hatte nur sehr wenig von der Würze des Tabaks, woraufhin ebenfalls Zyndia ihre Seitenscheibe hochklappen wollte.

»Du, das Fenster ist kaputt. Die Sicherungsverriegelung ist abgebrochen. Der Haken zum Arretieren, weißt du«, unterband Linda Zyndias Absicht freundlich. »Jetzt wünschte ich mir 'n Rollverdeck.«

»Och, macht nix«, meinte Zyndia hierauf und streichelte mit aufgesetzter Mitleidigkeit Lindas Knie. Witzelte dann: »Wie gut, dass das Entchen noch Flügel hat.« Dann öffnete Zyndia die Tür einen Spalt breit.

»Allerdings, ha hah«, lachte Linda und zerdrückte ihre Kippe im überschäumenden Aschenbecher. »Müsste auch mal wieder geleert werden. Schau dir das an. Da häufen sich Asche und Stummel. Ein Berg von üblen Gewohnheiten. Ganz schön traurig, was?« Während sie dies äußerte, nestelte sie nervös an ihrem Hosenreißverschluss. »Ach, ich hab’ es ja so satt. Allmählich fang‘ ich an, die Arbeit, die wir verrichten, zu hassen. Ewig derselbe Trott, andauernd die gleichen Prospekte. Und zu alledem der eklige Geruch von Druckerschwärze: Pestilenz, die die Haut juckreizt. es geht mir langsam, aber sicher auf’n Senkel. Dir etwa nicht?«

»Sicherlich, mir auch«, stimmte Zyndia einmütig zu. »Na ja, und viel verdienen tun wir auch nicht gerade. Nicht mal ordentlich krankenversichert sind wir da, eine mordsmäßige Schweinerei ist das, echt ein Hohn: Mehr Risiko für weniger Lohn. Aber, wenn frau die Penunse braucht — was bleibt einem anderes übrig? Radfahren, wie frau so schön sagt: Treten und Buckeln, um voran zu kommen. Voran, aber wohin?«

»Stimmt. Wohin und wofür? Ist wirklich mies. Irgendwann schmeiß‘ ich die ganze Sache einfach hin, schnappe mir meine Sieben Sachen und haue ab, nehme mir ’n Charterflug nach, meinetwegen Zansibar«, schwärmte Linda leicht verwegen.

»Irgendwann — das sagt sich so leicht dahin«, knüpfte Zyndia nahtlos an. »Nacht für Nacht plagt frau sich mit Hochglanz-Prospekteinlagen. Nur, damit am kommenden Morgen die braven Zeitungsleser, anstatt des flüchtigen Überfliegens der fett gedruckten Schlagzeilen, sich am Frühstückstisch mit neuen Angeboten einer Supermarktkette beschäftigen, damit sie wissen, wo sie ihr Frühstücksei demnächst noch billiger erstehen können. Ist das nicht Schwachsinn — oder grob fahrlässige Ignoranz oder perfide, süffisante Farce des Lebens —?« spottete Zyndia mit schweren Worten.

Was sie gerne tat, denn so, meinte sie, könne sie sich von ihrer Seelenlast ein wenig erleichtern, ihr Luft zum Durchatmen verschaffen, das würde sie ein wenig entlasten und das Leben im großen Grau erträglicher machen. Jedes mal, sobald sie ein derartiger Anflug von Rage und Melancholie zugleich ergriff und ihren Spott prickte, dass es nur so prickelte, dass ihr Ventil sich öffnete, hatte sie große Lust verspürt, diese Worte zu notieren, um vielleicht mal ein Gedicht daraus zu machen. Doch meistens ermangelte es ihr an einem Stift, einem Stückchen Papier oder beidem oder aber an Elan.

»Irrtum. Kein Schwachsinn, keine Ignoranz«, insistierte Linda. »Das ist moderne Marktwirtschaft, platt, aber dafür grenzenlos. Und zwar in ihrer konsequentesten Form.«

»Durch Kopf, Bauch, Kopf. Vor allem jedoch über die Bäuche anderer«, feuerte Zyndia dazwischen.

»Aber sieh doch: Den meisten Konsumenten ist’s doch völlig einerlei, ob sie von Tschibo oder Direkt-Kaffee aus Nicaragua trinken, hauptsache er ist preiswert. Der günstigere Preis und die Aufmachung, die geile Verpackung, bestimmen über den Kaufwillen. Der entscheidende Genuss liegt nicht in der Qualität des Produkts, sondern in der Quantität. Das ist der Normalfall. Und wen interessieren schon weltpolitische Hintergründe?«

Ein Glutast knisterte und fraß sich voran, dass der Mund mit den zart aufgeworfenen Lippen sich für einen kurzen Moment in der Windschutzscheibe spiegelte, um dann wieder, wie vom Glas absorbiert, geräuschlos und diskret zu verschwinden.

»Laut Statistiken lassen sich zirka drei bis fünf Prozent aller mündigen Bürger oder besser, aller wahlberechtigten Bürger durch reine Wahlpropaganda, seien es Plakate, Filmspots oder sonstwas, in ihrem Votum beeinflussen; zwar nicht gravierend viel, dennoch erschreckend genug. Nicht wahr? Ferner ist erwiesen, dass ältere Leute häufig nur deswegen die Zeitung kaufen, um die Sterbeanzeigen zu studieren, um zu erfahren, ob eventuell jemand bekanntes aus der damaligen Schulzeit oder aus früher Jugend oder gar die erste Liebe in den Himmel gefahren sei. Das bedeutete, einen Schlussstrich unter die Erinnerungen zu machen, die einen mit jener Person noch verbanden? Nein – keinesfalls. Ebenso gut kann es dann auch sein, dass viele, viele Leute die Tageszeitung bloß wegen irgendwelcher schnöden Reklamebeilagen kaufen. Eine verrückte, chaotische Welt ist das«, resümierte Linda.

Sie fühlte sich speedig, aufgedreht wie eine tanzende Primaballerina, die man erst mit einem Schlüssel aufziehen muss, damit sie tanzt und sich im Kreise dreht; und nun war sie aufgezogen. Unruhig griffelte sie am runden, glatten Knauf des Schaltknüppels, rieb mit dem Daumen im Kreise über die schwarze Plastikkugel und starrte zum gegenüber geparkten Automobil, in das soeben ein junger Herr in gestriegelter Konfektion und mit einem breitkrempigen Hut einstieg. »Wie sinnlos ist das alles?« Und das klang aus Lindas Munde, wie eine Reszission ihres Seins.

Pulsuz fraqment bitdi.

3,67 ₼
Janr və etiketlər
Yaş həddi:
0+
Həcm:
50 səh. 1 illustrasiya
ISBN:
9783748530077
Naşir:
Müəllif hüququ sahibi:
Bookwire
Yükləmə formatı:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabla oxuyurlar