tali dignus amico

Mesaj mə
Seriyadan: Classica Monacensia #54
0
Rəylər
Fraqment oxumaq
Oxunmuşu qeyd etmək
Şrift:Daha az АаDaha çox Аа

2) Philosophische Rechtfertigung der cultura potentis amici: epist. 1,18

Horazepist. 1,8Die wohl Lollius Maximus1 gewidmete Epistel wird thematisch vom „Spannungsverhältnis aus individueller Freiheit (liberrime) und der Eingebundenheit in eine soziale Institution (amicitia)“2 bestimmt. Aus dem Kontext der Epistel geht eindeutig hervor, dass das Wortfeld von amicitia hier für nichts anderes als das klienteläre Abhängigkeitsverhältnis3 steht, das der Sprecher offen cultura potentis amici (86) nennt.

Die Epistel beginnt mit einer Ausdifferenzierung von drei Typen des cliens: Die beiden Pole des parasitischen scurra einerseits und der asperitas als demonstrativer Unabhängigkeit andererseits werden beide als unangemessen erwiesen. Wie das Ideal des amicus aber konkret aussieht und durch richtiges Verhalten erreicht werden kann, muss im Verlauf der Epistel geklärt werden (epist. 1,18,1‑9):Horazepist. 1,18,1 9


Si bene te novi, metues, liberrime Lolli,
scurrantis speciem praebere, professus amicum.
ut matrona meretrici dispar erit atque
discolor, infido scurrae distabit amicus.
est huic diversum vitio vitium prope maius, 5
asperitas agrestis et inconcinna gravisque,
quae se commendat tonsa cute, dentibus atris,
dum volt libertas dici mera veraque virtus.
virtus est medium vitiorum et utrimque reductum

Beschreibt der Sprecher in epist. 1,17,3ff. seine Erfahrung so bescheiden, als wolle er gewissermaßen als Blinder den Weg zeigen (ut si | caecus iter monstrare velit, 3f.), so berät er hier doch aus der Position eines erfahrenen Klienten seinen Adressaten, den er gut zu kennen scheint, geschickt. Wie bei Horaz zu erwarten, sorgen humorvolle Relativierungen dafür, dass cliens und dives amicus nie idealisiert, sondern auf ein Normalmaß reduziert agieren,4 selbst wenn philosophische Sentenzen diese Ratschläge in ihrer Gültigkeit wieder aufwerten. Ähnlich wie in epist. 1,17 werden die Begriffe durch Vergleiche aus anderen sozialen Bereichen in ihrer moralischen Wertigkeit bzw. Wertlosigkeit charakterisiert.5 Der scurra entspricht in der Zuverlässigkeit der Beziehung der meretrix:6 Nur wenn er bzw. sie materielle Vorteile erkennt, wird er bzw. sie die Beziehung pflegen. Die moralische Festigkeit des wahren amicus entspricht dagegen der fides einer matrona. Schon bei Cicero galt ein solcher Mangel an fides als amicitia-ausschließendes Merkmal: firmamentum autem stabilitatis constantiaeque est, eius quam in amicitia quaerimus, fides; nihil est enim stabile quod infidum est (Cic. Lael. 18,65; davor sprach er vom nullus locus amicitiae, wo nulla fides sei, fehle es an einer stabilis benivolentiae … fiducia (ebd. 15,52)). Dazu stellt fides ein grundlegendes Element im patronus-cliens-Verhältnis dar, wie in der Einleitung gezeigt wurde.CiceroLael. 15,52CiceroLael. 18,65

Bei der Charakterisierung des scurra kann man Horaz leicht folgen, denn er bezieht sich mit diesen Aussagen auf eine konsensfähige Auffassung. Überraschend ist nur (wie schon das Diogenes-Bild in der vorausgehenden Epistel), dass das gegenteilige Verhalten, das zunächst moralisch sehr positiv erscheint, ebenfalls verurteilt wird: libertas kann sogar zu einem maius vitium werden.

Die übertriebene Freiheit (libertas mera), die sich als vera virtus ausgibt, wird als Fehler entlarvt und als eine asperitas agrestis definiert, also im Sinne eines kynischen Verstoßes gegen Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens ausgelegt.7

Der scurra- und der asper-Typus werden in den folgenden Versen genauer charakterisiert (10‑14; 15‑20): Stellt der scurra einen unverhohlenen Schmeichler dar (alter in obsequium plus aequo, 10), so handelt es sich beim asper um einen „intransigent unsociable dogmatizer“8 (alter rixatur de lana saepe caprina,9 15), welcher mit Rechthaberei über Banalitäten10 streitet und daher unsympathisch wirkt.11

Der Sprecher führt nun einen Perspektivenwechsel mit Hilfe des sog. vitia-Katalogs (mit abschließendem Beispiel) durch und demonstriert aus der Sicht des dives amicus, welche vitia auf patroni abschreckend wirken (epist. 1,18,21‑36):Horazepist. 1,18,21 36


quem damnosa venus, quem praeceps alea nudat,
gloria quem supra vires et vestit et unguit,
quem tenet argenti sitis inportuna famesque,
quem paupertatis pudor et fuga, dives amicus,
saepe decem vitiis instructior, odit et horret, 25
aut, si non odit, regit ac veluti pia mater
plus quam se sapere et virtutibus esse priorem
volt et ait prope vera: ‘meae – contendere noli –
stultitiam patiuntur opes, tibi parvola res est:
arta decet sanum comitem toga: desine mecum 30
certare.’ Eutrapelus cuicumque nocere volebat
vestimenta dabat pretiosa; beatus enim iam
cum pulchris tunicis sumet nova consilia et spes,
dormiet in lucem, scorto postponet honestum
officium, nummos alienos pascet, ad imum 35
Thraex erit aut holitoris aget mercede caballum.

In fünf anaphorischen Relativsätzen präsentiert der Sprecher eine Liste der negativen Eigenschaften von typischen clientes (21‑25), die vor allem in den Bereich der luxuria gehören. Der Sprecher bleibt durch seine Kommentierung präsent, statt das Wort etwa an den patronus abzugeben; damit kann er auch über den dives amicus sprechen, der nämlich über diese vitia seiner clientes ein negatives Urteil fällen darf, obwohl er selbst solchen vitia verfallen ist. Aber er darf die vitia ausüben, weil er die Mittel dazu hat. Es geht hier also nicht um allgemeingültige moralische Werturteile, sondern um die materiellen und gesellschaftlichen Grenzen des Verhaltens (vgl. contendere noli, 28; desine mecum | certare, 30f.; arta decet sanum comitem toga, 30). Gleichzeitig fordert der Sprecher damit den cliens aber auf, sich in den patronus hineinzuversetzen: Ein parasitisches Benehmen stelle eine stultitia dar, die eigentlich nur dem Klienten schadet; es verursacht die Aversion des Patrons und richtet den Klienten zugrunde. Dies fasst der Sprecher mit dem Eutrapelus-Beispiel zusammen (31‑36): Selbst ohne prosopographische Identifizierung12 ist im horazischen Eutrapelus die Figur des callidus patronus zu erkennen, welcher sich über seine schmeichlerischen, schmarotzerhaften clientes lustig macht, wie schon Porphyrio notiert.13 Eutrapelus machte dem cliens ein kostbares Geschenk – scheinbar als eine gute Handlung, deren Absicht jedoch durch den Erzählerkommentar entlarvt wird (er will dem cliens schaden). Der Mechanismus, den das Geschenk auslöst, wird mit psychologischer Weitsicht schon am Anfang des vitia-Katalogs beschrieben: gloria super vires et vestit et ungit (21): Statt ein honestum officium zu übernehmen (34f.), also cliens zu bleiben, verfällt der reich Beschenkte in hochmütiges und unangemessenes Verhalten, so dass er seinen wirtschaftlichen Zusammenbruch und seinen sozialen Abstieg selbst verursacht (35f.).

 

Dass für den Sprecher decus also ein zentrales Element im patronus-cliens-Verhältnis ist, wird evident. Daher führt er nun einen für den angehenden (Dichter-)Klienten zu empfehlenden Verhaltensregelkatalog ein (37‑103). Wichtig ist, dass der Lehrvortrag an Lollius zwar die Sicht der patroni verdeutlicht, aber nicht von einem patronus vorgetragen wird, sondern von einem Sprecher, der selbst ein cliens und amicus ist. Er steht damit auf derselben sozialen Stufe wie der Belehrte und darf seine Autorität aus der Erfahrung und dem Erfolg im Umgang mit patroni beanspruchen, indem er die „Tugendforderungen“ (Krebs 2002, 90ff. spricht sogar von einem „Dekalog“) konkretisierend veranschaulichen kann.

Inhaltlich lässt sich der Katalog folgendermaßen zusammenfassen: a) Im ersten Teil (37‑40) empfiehlt der Sprecher drei Verhaltensregeln: Vertrauenswürdigkeit, Bescheidenheit und Zurückhaltung bei eigenen Vorlieben zugunsten der Interessen des patronus.14 Letzteres erläutert er anhand eines Vergleichs mit dem mythischen Beispiel des Brüderpaars Zethos und Amphion (41‑48): Habe Amphion mit dem Spielen der Lyra aufgehört, um dem Bruder zu helfen,15 so solle der Dichterklient seine carmina zur Seite legen, wenn der potens amicus etwa jagen gehen möchte. Dies fasst der Sprecher prägnant in der Sentenz zusammen: tu cede potentis amici | lenibus imperiis (44f.). Nach einem längeren Exkurs, der humorvoll römische virtus bei der Jagd und körperlicher Ertüchtigung als Aufmunterung für den (offenbar als Dichter an körperlicher Aktivität wenig interessierten) Adressaten präsentiert (41‑66), setzt der Sprecher b) als monitor im zweiten Teil des Katalogs seine Veranschaulichung der Forderungen fort (67), indem er die Vertrauenswürdigkeit behandelt. Dabei warnt er seinen Adressaten vor den negativen Folgen ungünstiger Beziehungen zu Personen außerhalb des Verhältnisses zum Gönner (68‑85): Er empfiehlt folglich wiederum Diskretion sowie das Vermeiden von percontatores und garruli sowie schließlich von erotischen Avancen gegenüber den pueri und puellae des Gönners (68‑75). Auch von persönlichen Empfehlungen wird abgeraten, denn diese könnten zu unangenehmen Situationen führen – gegebenenfalls seien falsche Empfehlungen also zu bekennen, um die eigene Verlässlichkeit dem Patron gegenüber zu zeigen (78‑85). c) Im letzten Teil empfiehlt der Sprecher schließlich, sich der Stimmung des potens amicus anzupassen, um Erfolg zu genießen (85‑95). Dies wird als besondere Herausforderung beim Umwerben eines mächtigen Freundes dargestellt, die höchste Disziplin abverlangt. Dabei greift Horaz nicht nur sprichwörtlich auf Pindars γλυκὺ δὲ πόλεμος ἀπειροίσιν (Frg. 110 SM) zurück,16 sondern definiert ein solches „Umwerben“ ausdrücklich als cultura potentis amici (epist. 1,18,86‑88):Horazepist. 1,18,86 88

dulcis inexpertis cultura potentis amici:

expertus metuet. tu, dum tua navis in alto est,

hoc age, ne mutata retrorsum te ferat aura.

Hier wird cultura semantisch auf eine innovative Weise eingesetzt.17 Denn tatsächlich ist in der römischen Literatur nur an dieser Stelle das Substantiv cultura im Sinne von cura hominum (so der TLL 4,1323,40 s.v. cultura) zu finden: Das Pflegen der Beziehung zu mächtigen Freunden wird als offensichtliche Umdeutung aus dem Bereich des Ackerbaus für das Verhältnis zwischen Patronen bzw. Gönnern und (Dichter-)Klienten eingesetzt.18 Während es bei Pindar der Krieg (πόλεμος) ist, der Angst macht, so stellt Horaz das Pflegen (cultura) des Verhältnisses zu einem mächtigen Gönner als furchterregend dar.19 Bemerkenswert ist, dass Horaz gerade an dieser Stelle nicht von amicitia spricht, sondern von cultura … amici. Dies zeigt, dass es sich dabei natürlich nicht um eine aufrichtige amicitia in einem philosophischen Sinne handelt,20 sondern das komplexe und vielschichtige Abhängigkeitsverhältnis zu einem Gönner intendiert wird, das zwischen wahrer und utilitaristischer Freundschaft sowie offener clientela schwankt.21 Diese Komplexität bezieht der Sprecher hier aber nicht nur auf die bisher dargestellten Punkte im Verhaltensregelkatalog, sondern sie wird vor allem in der Schwierigkeit erklärt, sich dem Temperament und der Stimmung des Patrons anzupassen, ja sich willfährig zu zeigen, ohne dabei als scurra oder als asper Anstoß zu erregen (89‑95)22 – wer darin aber die Andeutung vonseiten des Horaz-Sprechers erkennen will, dieser nehme den Verlust der inneren Freiheit in Kauf, um Profit aus der cultura potentis amici zu ziehen, lässt m.E. die Tatsache unbeachtet, dass eine solche Stimmungsanpassung erst dann erfolgt, wenn der angehende Klient eine philosophische Selbsterkenntnis gewonnen hat, wie die letzten Verse der Epistel klar darlegen (vgl. v.a. das se sibi amicum reddere in 10123). Denn aus der eigenen Erfahrung beteuert der Sprecher, dass die für eine solche Tätigkeit nötige innere Ruhe nur in der Philosophie zu finden sei, ohne welche diese cultura keinesfalls erfolgreich durchgeführt werden könne.

Dafür stellt also die eigene philosophische Einstellung die Voraussetzung dar, wie der Horaz-Sprecher am selbst erlebten Beispiel zeigt (96‑103). Dabei geht es nicht um absolute Wahrheit oder um eine fixe Regel, sondern um Entscheidungsprozesse, die jeder selbst mit Hilfe der Philosophie durchlaufen muss. Gefragt wird nach einem traducere leniter aevum, d.h. nach einer vita beata, die nur durch Selbsterkenntnis erreicht werden kann.24 Jeder müsse also selbst entscheiden, meint der Horaz-Sprecher, was ihn glücklich mache und wo die virtus liege. Negative Motive aus den Versen 21‑25, die auf avaritia und luxuria hindeuten und die folglich Unruhe verursachen, werden damit wieder aufgegriffen (vgl. inops cupido und pavor et rerum mediocriter utilium spes, 98f.) und der tranquillitas gegenübergestellt. Ziel des Lebens sei dagegen die eigene Zufriedenheit, wie die folgenden Motive zeigen: virtutem parare, curas minuere, se sibi amicum reddere sowie schließlich tranquillare (100‑102). Ist das gegeben, so dürfe man sich frei entscheiden, ob die Zufriedenheit in honos und dulce lucellum (102f.) oder in einem epikureischen λάθε βιώσας (secretum iter et fallentis semita vitae: 103) erreicht wird.25 Mit dem eigenen Beispiel erklärt der Horaz-Sprecher seine Zufriedenheit: Im Gebet an Jupiter um den Erhalt des Zustands (den er dank der cultura potentis amici gewonnen hat26) bringt er zum Ausdruck, dass letztendlich jeder Mensch für sein Glück (aequus animus, 112) selbst verantwortlich ist.

Die Epistel geht also das Problem des amicus-Begriffs an, indem die moralphilosophische Theorie und die praktische Erfahrung innerhalb des patronus-cliens-Verhältnisses zusammengeführt werden. Zunächst wird der Fehler von Extrempositionen (scurrantis species – species libertatis/virtutis) in der aristotelischen Mitte27 vermieden. Dann werden die Motive des scurra aus der wirtschaftlichen und sozialen Perspektive der patroni beurteilt, also unabhängig von allgemeingültigen moralischen Bewertungskriterien. Anschließend werden „Tugenden“ eingeführt, die zunächst eher auf sozial verträgliche Verhaltensweisen (nachgeben: cedere) als auf moralphilosophische virtutes hinweisen.28

Die wichtigste Aussage, auf die Horaz die Argumentation hinauslaufen lässt, ist dabei: Diese Verhaltensweisen erfordern größte Disziplin und Selbsterkenntnis. Sie können also nur auf der festen Basis moralphilosophischer Prinzipien verwirklicht werden (beim Adressaten wird daher genau das vorausgesetzt – er wurde schon in der an ihn adressierten epist. 1,2 als an Literatur und Philosophie interessierter junger Mann präsentiert29). Der ideale amicus ist also kein scurra, kein angepasster Schmeichler, und auch kein demonstrativer „Freigeist“, sondern ein ethisch gefestigter Mensch, dessen Verhalten gegenüber anderen (und besonderes gegenüber den patroni) auf der eigenen tranquillitas animi und der Zufriedenheit mit sich selbst (se sibi reddere amicum) beruht.30 Er muss sich nicht anpassen oder anderen etwas demonstrieren, weil er sich selbst ein amicus ist.

Resümee

In den besprochenen Episteln 1,7; 1,17 und 1,18 widmet sich der Horaz-Sprecher dem Problem der sozialen und finanziellen Abhängigkeit von einem mächtigen Gönner im moralphilosophischen Kontext. Dabei setzt er sein eigenes Verhältnis zu Maecenas als wirkungsmächtiges Beispiel ein, um die Probleme aus eigener Betroffenheit heraus glaubwürdig zu erörtern. Die Rezeption bei Martial und Juvenal weist darauf hin, dass Maecenas nicht kritisiert werden sollte, sondern vielmehr die demonstrierte Möglichkeit der freien Diskussion solcher Themen als Beweis einer echten Freundschaftsbeziehung verstanden werden konnte.

Aus einer Doppelperspektive (der des Klienten und der eines Kenners der Patrone) erteilt der Sprecher Ratschläge, die ethische Diskurse und ihre praktische Anwendung im sozialen Umfeld verbinden. Die philosophische Grundlage ist deswegen wichtig, weil das richtige Verhalten von Entscheidungsprozessen abhängt, die jeder selbst durchlaufen muss. Die Philosophie kann zwar Entscheidungshilfen und Denkanstöße geben, aber kein starres Regelwerk mit einer rigiden Unterteilung in Gut und Schlecht zur Verfügung stellen. Der Versuch, solche absoluten Regeln im Verhalten durchzusetzen, wird regelmäßig als Absurdität und als Scheintugend bloßgestellt. Die innere Freiheit, die vorher selbstverantwortlich erworben werden muss, ist damit der Schlüssel zur Freiheit innerhalb eines sozialen Abhängigkeitsverhältnisses.

4. Martial: Einzelaspekte und Perspektivenwechsel

Anders als Horaz interessiert sich Martial gattungsbedingt vor allem für die Darstellung konkreter officia innerhalb des patronus-cliens-Verhältnisses,1 etwa den Besuch der cena bei einem Patron, die Auszählung der sportula oder die morgendliche salutatio sowie die anteambulatio zum Forum. Wie man sehen kann, wurden auch solche Aktivitäten bei Horaz gelegentlich thematisiert (man denke an das mane cliens et iam certus conviva in epist. 1,7,75), jedoch eher als Nebenphänomene. Sozusagen horazischer verhält sich der Sprecher bei Martial, wenn er als Dichterklient auftritt und vor allem wenn er die Spannung zwischen amicitia und clientela beleuchtet. Dies geschieht hauptsächlich, weil sich hier an die gut bekannten Kontrastdiskurse von wahrer und falscher Freundschaft, urbs-rus, sowie libertas-servitus anknüpfen lässt. Was die Perspektive des martialischen Ich-Sprechers betrifft, ist, wie schon längst in der Forschung beobachtet wurde, zu bemerken, dass selbstreferenzielle bzw. autobiographische Anknüpfungen nur da in Betracht zu ziehen sind, wo sich der Ich-Sprecher seinen Adressaten gegenüber positiv verhält. Denn dies deutet darauf hin, dass diese nicht nur nicht fiktiv sind, sondern auch tatsächlich eine patronale Rolle Martial gegenüber spielten.2 Doch das Interesse der vorliegenden Arbeit liegt vor allem einerseits in der Darstellung problematischer Aspekte im patronus-cliens-Verhältnis, andererseits in der im Laufe der Epigrammbücher entwickelten Perspektive des Sprechers bei Martial, der ähnlich demjenigen bei Horaz eine Distanzierung von den als Last empfundenen städtischen Pflichten (bei Martial entsprechen sie offensichtlicher als bei Horaz klientelären Diensten) immer häufiger in der Landruhe sucht.3

Unter den regulären Kontaktsituationen eines Klienten im Rahmen des patronus-cliens-Verhältnisses, die in den Epigrammen Martials als besonders problematisch dargestellt werden,4 finden sich drei. Da sie schon ab dem ersten Epigrammbuch in folgender Reihenfolge auftreten, werden sie in der vorliegenden Arbeit demgemäß betrachtet: a) Die Einladung zur und Teilnahme an der cena beim patronus; b) die Abgabe und der Empfang der sportula (meistens als Geldsumme, gelegentlich auch als kleine Essensportion) als Belohnung für den cliens und schließlich, am unbeliebtesten, c) die salutatio, zu der der Klient allzu früh aufstehen und die schmutzige Stadt durchstreifen muss, um seinen Patron zu begrüßen und ihn dann auf das Forum zu begleiten (anteambulatio). Dabei wird d) das gespannte Verhältnis zwischen amicitia und clientela öfter vorausgesetzt. Denn die Terminologie der amicitia überschneidet sich mehrmals mit derjenigen der clientela. Dies heißt natürlich nicht, dass beide Begriffe gleichzusetzen sind, sondern vielmehr, dass anhand der amicitia-Begriffe verschiedene Aspekte des patronus-cliens-Verhältnisses vorgestellt werden: Einerseits als stillschweigende Voraussetzung des Abhängigkeitsverhältnisses an sich, andererseits als Ausdrucks- bzw. Kontrastmittel, um den Widerspruch zur tatsächlichen amicitia hervorzuheben. Im Folgenden werden diese vier Aspekte anhand der Analyse verschiedener Martial-Epigramme untersucht, so dass ein Gesamtüberblick über die Darstellungsweise der patronus-cliens-Problematik bei Martial möglich wird.