Kitabı oxu: «Erinnerungswürdig»
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Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2021 Verlag Anton Pustet
5020 Salzburg, Bergstraße 12
Sämtliche Rechte vorbehalten.
Lektorat: Anja Zachhuber
Grafik und Produktion: Nadine Kaschnig-Löbel
Coversujet: Franto Andreas Uhl, Kopfgeburt I, 2017, Ölkreide auf Papier
eISBN 978-3-7025-8086-5
auch als gedrucktes Buch erhältlich: ISBN 978-3-7025-1033-6
Walter
Thaler
ERINNERUNGSWÜRDIG
Prägende Persönlichkeiten
der Salzburger Geschichte
Inhalt
Feuer gefangen!?
Einführung
ELISABETH OBERBÜCHLER
Das Schicksal einer protestantischen St. Johanner Bauerntochter
FRANZ MICHAEL VIERTHALER
Salzburgs erster großer Schulreformer
CONSTANZE MOZART
Mozarts erste Biografin
BARBARA KRAFFT
Sie schuf das Porträt Mozarts
EMILIE KRAUS VON WOLFSBERG
Einst Geliebte Napoleons, dann Hundsgräfin von Gnigl
PETER KARL THURWIESER
Der „Gamspeter“: Theologe, Meteorologe und Salzburgs erster Alpinist
FRANZ STELZHAMER
Der gefeierte Mundartdichter bediente gefährliche Klischees
CHRISTIAN DOPPLER
Seine Forschungen haben die Welt verändert
JOSEF MAYBURGER
Der Botschafter der Schönheit Salzburgs
ALBERT POLLAK
Salzburgs erster Jude
JOSEF WESSICKEN
Schloss-Baumeister des Pinzgaus und Gestalter des Manhattans der Alpen
HANS MAKART
Der Maler der Sinne und der Dekadenz prägte ein Vierteljahrhundert
HERMANN SCHMIDTMANN
Kunstdüngerfabrikant und Pinzgauer Schlossherr
ERZHERZOG LUDWIG VIKTOR VON HABSBURG
Der verbannte Habsburger im Schloss Kleßheim
IRMA VON TROLL-BOROSTYÁNI
Die Vorkämpferin der Frauenemanzipation in Salzburg
ROSA KERSCHBAUMER-PUTJATA
Eine gebürtige Russin wird Salzburgs erste Augenärztin
HERMANN BAHR
Ein kultureller Seismograph und „intellektueller Herr von Adabei“
MARGIT GRÄFIN SZÁPÁRY
Eine sächsische Gräfin wird im Krieg zur Mutter des Lungaus
ISAAK ARDITTI
Der jüdische Hotelier verliert drei Hotels in Fusch und Zell am See
EDUARD RAMBOUSEK
Salzburgs höchster Beamter unterschlägt 7 Millionen Kronen im Kriegsjahr 1918
ALOIS GRASMAYR
Der Barfuß-Millionär und „Faust“ vom Mönchsberg
POLDI WOJTEK – HELENE VON TAUSSIG
Die konträren Schicksalswege zweier Salzburger Künstlerinnen
JOHANNES FREUMBICHLER
Der erste und wichtigste Lehrer Thomas Bernhards
ALEXANDER MORITZ FREY
Hitlers Frontkamerad wird vom Führer ins Exil getrieben
FRIDERIKE M. ZWEIG
Die Frau im Schatten des Literaturgiganten
LILLY VON EPENSTEIN
Der mysteriöse Tod der Burgherrin von Mauterndorf
DAGOBERT PECHE
Ein Lungauer ist „das größte Ornamentgenie seit der Barockzeit“
VICKI BAUM
Literaturstar verliebt sich in Zeller Bademeister
LOIS WELZENBACHER
Der Gegner der Einheitsarchitektur hinterlässt zwei architektonische Juwele in Zell am See
JOSEF THORAK
Der Kampf von Hitlers Lieblingsbildhauer um Schloss Prielau
FRANZ LÖSER
Der ländliche Hofmannsthal
ERNST LOTHAR
Trotz Vertreibung und Demütigung ein glühender Patriot
GRETE TRAKL
Die einzig wichtige Frau in Georg Trakls Leben
LEO REUSS
Zeller Bergbauer narrt die Wiener Theaterwelt
THEODOR HERZ
Der jüdische Arzt aus Piesendorf wird „Gringo-Doctor“ im argentinischen Regenwald
MAX ZWEIG
Stefan Zweigs Cousin Max lebt 20 Jahre im politischen und sprachlichen Exil in Israel
EDUARD BÄUMER
Seine Kunst ist ausschließlich auf das Schöne gerichtet
KAROLINA WEISS
Das Schicksal der Pflegemutter Thomas Bernhards zwischen den Weltkriegen
MAX PEIFFER-WATENPHUL
Die Vaterfigur einer in den Startlöchern scharrenden jungen Künstlerschar
CARL ZUCKMAYER
Seine frühen Erfolgsdramen entstehen in der Henndorfer „Wiesmühl“
ALJA RACHMANOWA
Ein Leben voller Heimsuchungen, Katastrophen und Geheimnisse
JAKOB HARINGER
Der François Villon von Ebenau bleibt ein einsamer Vagant
MELA (KENT) STEINHARDT
Zeller Seevilla als Domizil einer Künstlerin
MARTIN BORMANN
„Der böse Geist Hitlers“ und seine Pläne in Zell am See
MAGDA GOEBBELS
Die „Gefährtin des Teufels“ erholt sich in Bad Gastein vom Ehekrieg
WILHELM KAUFMANN
Maler, Weltbürger und Aktivist für die Stadtgestaltung Salzburgs
PAULA FICHTL
Das Gnigler Dienstmädchen ist „eingegangen in die Weltgeschichtl“
GRETE WEISKOPF
Salzburgerin wird berühmte DDR-Kinderbuchautorin
HERBERT VON KARAJAN
Der Stardirigent wäre fast zum Thumersbacher geworden
SIGFRIED UIBERREITHER
Das zweite Leben des Gauleiters und Germanisierungsfanatikers
LEOPOLD KOHR
Der Philosoph des menschlichen Maßes
IRMA RAFAELA TOLEDO
Die Bergeinsamkeit wird zum künstlerischen Erweckungserlebnis
TONI SCHNEIDER-MANZELL
Der berühmte Bildhauer wird von Fuscher Hotelier um sein Honorar geprellt
HERMANN HÖFLE
Der Adolf Eichmann von Salzburg
LUCAS SUPPIN
In Frankreich „Ritter der Ehrenlegion“, in Salzburg Nonkonformist
SIMON SCHMIDERER
Saalfeldener Eisenbahnerbub heiratet Tiffany-Erbin und wird Stararchitekt in den USA
WALTER FELIX SUESS
Der Bad Gasteiner Arzt und Dirigent wird Opfer des Holocaust
AGNES MUTHSPIEL
Die Malerin der untergehenden Welt
ROSA (RATZI) HOFMANN
Ein grausames Schicksal wie das der Geschwister Scholl
TRUDE ENGELSBERGER
Frauen in einsamen Paradiesgärten
ILSE AICHINGER
Ihr einziger Roman war der Beginn von Österreichs Nachkriegsliteratur
H.C. ARTMANN
Salzburgs Universität ehrte den Dichter mit dem Dr. h.c.
SEPP HÖDLMOSER
Der Festungskünstler als malerischer Exzentriker
RUDOLF HRADIL
Der meisterhafte Gestalter des Atmosphärischen
HERBERT BREITER
Majestäten, Monumente, Miniaturen
GEROLD FOIDL
Schreiben war der Schrei seines Scheiterns in der Gesellschaft
CLEMENS EICH
Ein Grenzgänger zwischen verschiedenen Welten
Danksagung
Literatur- und Quellenhinweise
Karl Müller
Feuer gefangen!?
Walter Thaler und sein Lesepublikum haben Feuer gefangen und brennen seit Jahren! Denn einerseits lässt Thaler seine Leser*innen seit einigen Jahren in sein über die Jahrzehnte hinweg angesammeltes Menschenarchiv seiner Salzburger Heimat schauen und andererseits kriegt sein Lesepublikum nicht genug davon. Seit Mitte der 2010er-Jahre veröffentlicht Thaler unentwegt ein Menschenporträt nach dem anderen – inzwischen sind es fast 300 – und die meisten Lesenden sagen wohl heimlich zu sich selbst: „Welche Zusammenhänge tun sich da auf! Ich sehe die Welt um mich herum jetzt anders!“
Zuerst waren es hauptsächlich die auf verschiedenste Weise künstlerisch tätigen Menschen aus dem Pinzgau, wo Walter Thaler mit seiner Familie ansässig geworden ist und wo er auch in führenden politischen Funktionen tätig war: „Kunst und Literatur im Pinzgau. Die Kraft der Provinz“ (2015), so hieß seine erste Porträt-Sammlung. Dann folgten 2017 seine Pinzgauer „Helden“ und „Pioniere“, die auf ihren jeweiligen Gebieten so viel Gutes und Bewunderungswürdiges bewirkt haben. Zugleich bot Thaler auch Porträts von „Nicht-Helden“ an, also von bedenklichen Menschengestalten, die er vornehm zurückhaltend als „Narren“ bezeichnete. Sodann erschien 2019 eine Sammlung zahlreicher Lebens- und oft genug Leidenswegen von Menschen, die eng mit dem nachbarlichen Pongau verbunden waren und sind – jenseits aller üblichen Provinz-Klischees und schönfärberischer Tourismuswerbung.
Thalers Erkundungs- und Schreibprojekt zog immer weitere Kreise. Jetzt folgen an die 70, sehr behutsam, weil exemplarisch ausgewählte und – wie schon immer – auf wenige Seiten eingeschmolzene Biografien von Menschen, die irgendwann in ihrem Leben etwas mit Salzburg zu tun hatten, geboren zwischen 1713 und 1954. Es handelt sich allerdings um mehr als herkömmliche Lebensabrisse, es geht um das Herausschälen von Lebensessenzen in den jeweiligen Umständen ihrer Zeit. So werden die Porträts zu lebendigen und anschaulichen Erscheinungen. Viele der Porträtierten flößen Ehrfurcht und Bewunderung ein, viele von ihnen bereiten aber auch Entsetzen und Abscheu – jenseits von Allzumenschlichem. Kein Leben ist zu groß oder zu gering, zu vorbildhaft oder zu verachtenswert, um nicht Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Bemühens, Gelingens und Scheiterns auszuloten und auf diese Weise das vielfältige Panorama menschlicher Existenzen schreibend zu verfeinern: Salzburg – eine Gegend, in der weibliches und männliches Menschsein seine Probe hält: Bauernkinder, Maler*innen, Bildhauer,
Schulreformer, Ehefrauen, Geliebte, Gräfinnen, Gehilfinnen und sich emanzipierende Frauen, Theologen, Meteorologen, Alpinisten, Physiker, Schönheitstrunkene, Unternehmer, Baumeister, Architekten, Plastiker, Dramatiker, Sprachbastler, Schauspieler, Düngemittelfabrikanten, Flüchtlinge und Vertriebene, Adabeis, Sozialreformer*innen, Jüdinnen und Juden, Protestant*innen, Katholiken, Frontkameraden, Schreibende aller Arten, Kriminelle verschiedener Profession, Priester, Ärztinnen und Ärzte, Dirigenten, Philosophen, Bohemiens, Vagabunden, Abenteurer, Menschenfreunde und Menschenfeinde, Grenzgänger, Manager, Moralisten, Widerstandskämpfer*innen ...
In der „Einführung“ zu seinem neuen Buch bietet Thaler Einblicke in die Motivationen seines Schreibens. Sie machen einen selbstreflexiven Autor sichtbar, der sich nicht nur über die immer prekäre Auswahl seiner Menschenbilder kritische Gedanken macht, sondern auch über jene glatt polierten Bilder Salzburgs, die sich als von mächtigen wahrnehmungslenkenden Instanzen kollektiv eingeschliffene Geschichtskonstruktionen herausstellen. Diesen wollen seine Porträts Paroli bieten. Thaler ist sich der virulenten „Geschichtsvergessenheit“ beziehungsweise des „Schattendaseins“ objektiver Erinnerung unseres Zeitalters bewusst. Er weiß um die schwierig zu erschütternde Mächtigkeit derartig verhärteter und oft ideologiegetränkter Erinnerungskultur und hat ein anderes, wirklichkeitsnäheres „Zeitgewebe“ im Sinn. Dazu braucht es freilich aufmerksame, aufgeschlossene Leser*innen, die befähigt sind, hinter die Fülle von empirischen Daten und Fakten – jeweils den aktuellen Forschungsständen vertrauend (vgl. Literatur- und Quellenhinweise) – zu blicken. Thaler gibt sich nicht mit einer Wirklichkeit zufrieden, die wider besseres Wissen harmonisierend daherkommt. Er hat sich – ein Kind aus einfachsten Verhältnissen – ein Sensorium für jene erarbeitet, die nicht (mehr) im Rampenlicht der Erinnerung stehen oder noch nie im Rampenlicht gestanden sind – aus welchen Gründen immer: Bloßes Vergessen oder doch Verdrängung, oft wohl auch Vertuschung, Zufall oder doch Strategie?
Wie in allen Büchern Thalers dürfen sich die Leser*innen auf einen glasklaren Schreibstil freuen – da gibt es keine Schnörkel und Manierismen. Was Thalers Porträts, seine biografischen und zugleich zeitgeschichtlichen Erkundungen so eindringlich machen, ist nicht nur die Grundsatzentscheidung, uns, den Leser*innen, das biografische Geschehen im historischen Präsens nahe zu bringen, es also als unmittelbar gegenwärtig erscheinen zu lassen und nachvollziehbar zu machen. Es ist auch das G’spür für das Relevante des jeweiligen Lebens zu sehen, also für den roten Faden in einer Biografie, und jeweils jene Achse zu entdecken, die das jeweilige Leben zu einem mehr oder weniger gelungenen beziehungsweise einem mehr oder weniger verpfuschten gemacht hat, zu einem vorbildhaften oder gar verwerflichen Leben. Thalers Bemühungen haben ein geistiges Fundament – seine Überzeugung vom Individuum als einem in alle Richtungen offenen und freien Potenzial an eigenen Voraussetzungen, aber auch vom Individuum als einem Ort geschichtlicher Möglichkeiten und zugleich von Zufällen und Schicksalen. Besonders auffällig ist Thalers Neigung, immer wieder ganz bestimmte Aspekte zu betonen – etwa Kinderschicksale in den Blick zu nehmen, atemberaubende Karrieren, wirtschaftliche Grundlagen und Besitzverhältnisse zu beachten sowie überraschende familiäre Vernetzungen und überraschende private und soziale Beziehungen nicht unerwähnt zu lassen. Auch Kurioses und Herzzerreißendes haben Platz.
Ein Warnbuch? Ein Eye-Opener-Buch? Eine Wissensbereicherung? Ein Sensibilisierungsbuch jedenfalls.
Einführung
Es sind Personen und Naturgewalten, die unsere Welt stets neu gestalten.
Wie in meinen früheren Sammelbänden über Lebenswege und Leidensgeschichten von bedeutenden Pinzgauer*innen und Pongauer*innen betreibe ich auch in diesem Buch eine Art Spurensuche nach Persönlichkeiten, die im Orkus des Vergessens gelandet sind. Denn die Tsunamis an Informationen, die uns täglich überfluten, besonders aber das Gezwitscher (die Twitteria) der „social media“ und des Boulevards übersteigen die Fassungskraft der Aufnahme- und einer dauerhaften menschlichen Erinnerungsfähigkeit. Wir leben in einem Zeitalter der Geschichtsvergessenheit, in dem einige Medien mit ihrem Voyeurismus, den man in Österreich auch als „Lugnerismus“ bezeichnen könnte, dem wahrhaft Wichtigen den Boden entziehen. Gratiszeitungen, die mit ihren Trash-Programmen eine neue Gegenaufklärung betreiben, wetteifern mit den „Seitenblicke“-Programmen der TV-Kanäle zu zentralen Sendezeiten. Doch statt Seitenblicken wäre mehr Tiefblick gefragt!
Das Bundesland Salzburg hat eine Vielzahl von Persönlichkeiten hervorgebracht oder als Landesbürger*innen aufgenommen, die der Entwicklung der Welt einen deutlichen Schub verpasst, also nachhaltige Entwicklungen ausgelöst haben. Diese Menschen mit Vorbildcharakter haben es gewagt, die herrschenden Tabus und abgestandenen Wertvorstellungen eines jahrhundertelang erzkonservativen Fürsterzbistums zu durchbrechen. Sie waren weitsichtig genug, Entwicklungen zu erkennen und zu beschleunigen. Zu ihnen zählen der Pädagoge Franz Michael Vierthaler, der kulturelle Seismograph Österreichs, Hermann Bahr, der Maler Hans Makart, der die Kunst und das Gesellschaftsleben Wiens ein ganzes Vierteljahrhundert geprägt hat; dazu gehören später der Regisseur und Schriftsteller sowie das Mitglied des Direktoriums der Salzburger Festspiele, Ernst Lothar, der Philosoph des menschlichen Maßes Leopold Kohr, die Vorkämpferin der Frauenemanzipation Irma von Troll-Borostyani und viele Künstler*innen und Geistesmenschen. Sie und viele andere Salzburger*innen, die der Welt so viel gegeben haben, dürfen nicht in Vergessenheit geraten.
Manche der hier Porträtierten aber haben durch ihr Handeln großes Unrecht begangen und sind für den Tod vieler Menschen verantwortlich. Sie haben sich zu Unmenschen entwickelt, weil sie sich dem mörderischen Unrechtsregime des Dritten Reiches angedient haben. Daher wird hier das Leben des aus Salzburg stammenden steirischen Gauleiters Sigfried Uiberreither wie auch Adolf Höfles, des Adolf Eichmann von Salzburg, beleuchtet. Auch sie müssen dem Vergessen entrissen werden, weil das Böse auch in unserer Zeit latent vorhanden ist und daher den Anfängen gewehrt werden muss. Dem Verfasser wird manchmal gesagt, er solle doch die unrühmliche Vergangenheit ruhen lassen. Dem muss ich entgegenhalten, dass die Kultur der objektiven Erinnerung in Österreich immer noch ein Schattendasein führt. Sie wird verdeckt von den Schutzschichten der Verdrängung, der Verschleierung und der Verleugnung des Mitwissens. Daher ist es dringend geboten, auch deren Opfer zu benennen, etwa den Schauspieler Leo Reuss, den Schriftsteller Carl Zuckmayer, den Hotelier Isaac Arditti und Hitlers Frontkamerad, den Schriftsteller Alexander Moritz Frey, die allesamt den Verfolgungen des Nazi-Regimes und der Verdrängung der Nachkriegszeit ausgesetzt waren.
Weil es im Bundesland Salzburg so viele Menschen gibt, die als „historisch“ eingestuft werden können, fiel es mir auch diesmal schwer, eine gerechte Auswahl zu treffen. Gewisse Einschränkungen konnten aber leicht vorgenommen werden. Das musikalische Weltgenie Mozart, über das bereits ganze Bibliotheken geschrieben worden sind, habe ich bewusst ausgeklammert. Nicht jedoch Mozarts Ehefrau Constanze, die lange Zeit als geistlos und raffgierig Geschmähte, die Mozarts erste Biografie verfasst hat. Von Salzburgs größtem Lyriker Georg Trakl gibt es eine Fülle von Monografien und literaturwissenschaftlichen Abhandlungen, daher habe ich stattdessen den Leidensweg seiner Schwester Grete aufgezeichnet, der mit dem ihres Bruders schicksalhaft verstrickt ist. Der Literaturgigant Stefan Zweig ist in Salzburg ohnehin eine fest verortete Größe, daher versuche ich, dessen erste Ehefrau Friderike und seinen Cousin Max dem Vergessen zu entreißen. Keineswegs wollte ich den bedeutenden Salzburger Mathematiker, Physiker und Astronomen Christian Doppler ausblenden, denn dieser ist bei Weitem nicht so präsent im Bewusstsein der Bevölkerung, hat aber das Leben der Menschheit durch seine Forschungen extrem revolutioniert und verbessert.
Aufgenommen habe ich auch Persönlichkeiten wie die junge Pongauer Protestantin Elisabeth Oberbüchler, die durch die brutale Politik des Landesfürsten Erzbischof Firmian den Bauernhof in St. Johann verlassen und nach Ostpreußen emigrieren musste. Nicht übergehen konnte ich die Hausgehilfin Paula Fichtl aus Gnigl, die jahrzehntelang dem großen Psychoanalytiker Sigmund Freud und seiner Tochter Anna als Haushälterin zur Seite stand und mit ihm auch ins Exil nach England ging.
Ein besonderes Anliegen war es mir, bedeutende Frauengestalten im Buch zu porträtieren. Die meisten der hier beschriebenen Frauen mussten sich gegen Widerstände und Benachteiligungen ihren Platz erkämpfen, auch im Widerstreit gegen das Unwissen des eigenen Geschlechts. Zu groß waren die Übermacht der Männer und die starren Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft in der Vormoderne. Aber mit Mut und Zuversicht haben sie zu ihrem eigenen Leben gefunden und sind zu Vorzeigefiguren unseres Bundeslandes geworden. Sie sind Ikonen dafür, was Frauen erreichen können, wenn sie sich etwas zutrauen. So etwa die Vorkämpferin der Frauenemanzipation in Salzburg, Irma von Troll-Borostyani, oder die Powerfrau des Lungaus, Margit Gräfin Szápáry.
Neben den biografischen Darstellungen finden sich im Buch auch blitzlichtartig ausgeleuchtete Ereignisse, in denen strukturell und gesellschaftlich gut vernetzte Personen versucht haben, ihre Machtinstrumente zu ihrem persönlichen Nutzen einzusetzen. Diese kurzen Lebensausschnitte solcher Menschen sollen als Warnschilder aufgestellt sein, um Wiederholungen zu verhindern. Ihnen gegenüber stehen Künstler*innen-Persönlichkeiten, die im Stillen und konsequent an ihrem Lebenswerk gearbeitet und den Ruf Salzburgs als Kulturland gestärkt haben. Entstanden ist so ein Zeitgewebe über vier Jahrhunderte, dargestellt an Menschen der verschiedensten Sozialschichten, die es gilt, ins kollektive Bewusstsein zurückzuholen.
Walter Thaler