Kalte Duschen, Warmer Regen

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René Goscinny sei mit uns!
Eine Beschwörung des Geistes

Am 5. November 1977 starb in Paris einer der zurecht gerühmtesten Söhne seiner Stadt: René Goscinny, der Schöpfer und Texter von »Asterix«, des »Kleinen Nick«, von »Isnogud«, »Lucky Luke« und anderem Groß- und Hauptpersonal der gehobenen Unterhaltungsliteratur. Gos­cinny, den man nicht um des Reimes willen ein Genie nennen muss, wurde nur 51 Jahre alt. Sein Witz und seine Brillanz fehlen dauerhaft (wer »nachhaltig« sagt, kriegt leider Haue), und gerade nach dem Erscheinen des »Asterix«-Bandes N° 36, »Der Papyrus des Cäsar« (Text: Jean-Yves Ferri, Zeichnungen: Didier Conrad), vermisse ich den Esprit Goscinnys, dieses waschechten Parisers, der als Sohn jüdischer Einwanderer und feinstofflicher Meister der Dialoge und Sottisen wie kein Zweiter geeignet wäre, seine Helden Asterix, Obelix, Miraculix und Lucky Luke, also eine perfekt abgestimmte Mischung aus List, Stärke, Zauberkunst und Entschlossenheit, gegen die stinkende Beulenpest des IS ins Rennen zu schicken.

Was sind das – neben viel Ekelhafterem – für erbärmlich verlogene Lutscher: Paris eine Ausgeburt der Sünde nennen und selbst davon träumen, mit 72 Huris pro Nase des Johannes im Bordell »Chez Allah« abzuhängen, was man sich mit dem wahllosen Abschlachten unbewaffneter, wehrloser und an Glaubenskriegen jedweder Nullbirnencouleur unbeteiligter Menschen dann ja auch redlich verdient hat! Der Prophet Mohammed, dem man nachsagt, Tiere so geliebt zu haben, dass er sich einen Ärmel vom Gewand abtrennte, auf dem eine Katze schlief, die er nicht stören wollte, käme dafür als Fünfter in den Bund der Gerechten, und für das kulinarische Unwohl der Mörder, die es bei sich selbst nicht belassen können, wäre auch gesorgt: »Reseda, bring Wein und Mohammettwurst, aber nicht von dem Zeug für Tour- und Terroris­ten!«, würde ein freundlicher Wirt sagen, während ein chronisch unrasierter Ayatollah sich eingestehen müsste: »Sie sind alle so widerwärtig dumm, und ich bin ihr Chef. (Schluchz)!«

Lucky Luke würde nicht nur weiterhin den Daily Star mit dem rauchenden Colt in der Hand beschützen – »Die Pressefreiheit ist unantastbar!« –, sondern auch für die körperliche und seelische Unversehrtheit jedes mutigen Journalisten und Reporters in der Tradition von Hergés »Tim« einstehen, und ein gut beschwipst »Latürnich!« und »Die spinnen, die Islamisten!« ausrufender Obelix könnte eine Lappen-um-den-Kopf-Wickel-Kopfbede­ckungs­­sammlung en gros und de luxe anlegen. Dass die Mörder und ihre Auftraggeber vom IS bis herunter zum strenggläubischen Betbruder keinen Spaß verstehen, heißt ja nicht, dass man sich nicht treffsicher über sie lustig machen soll; das Gegenteil ist der Fall. Wer mit dieser tief humanen Behandlungsweise nicht einverstanden ist, will es nicht anders und muss sich eben polizeilich oder militärisch erschießen lassen; so what? Ein herzliches »Tschüssikowski, Bart- und Arschgesichter!« möge – ja, fromm können wir auch – ihren Weg in den Eigenabgrund begleiten.

Leviathan und Leviten
Satire ist eine Waffe, auch gegen den Antisemitismus

Diejenigen Deutschen, deren »Ehre« sich als »Treue« buchstabiert, sind in einem tatsächlich zuverlässig treu: in ihrem Ressentiment und ihrem Hass auf alles Andere, Abweichende und ihnen Fremde oder fremd Erscheinende. Im Jahr 2015 waren es zunächst die Bewohner Griechenlands, die »uns das Blut absaugen«, dann die Flüchtlinge aus Afrika oder dem Nahen Osten, die »uns« stören, »unsere Kapazitäten sprengen«, und, Platz einnehmend, zum »Volk ohne Leerstandsraum« machen.

Eine Gruppe kann sich des Hasses seitens dieser Deutschen in Permanenz gewiss sein: Juden. »Der ewige Jude« war im Nationalsozialismus ein zu Massenmord und Vernichtung anstiftender und aufstachelnder Kampfbegriff, den der Publizist Henryk M. Broder im Jahr 1986 mit einem Buch konterte, das bis heute zur Pflichtlektüre gehört: »Der ewige Antisemit«.

Geändert hat die kluge, scharfe Streitschrift nichts, der Antisemitismus ist virulent wie immer schon, auch wenn er mittlerweile häufiger geschminkt als ungeschminkt daherkommt. Für ihren Antisemitismus bedürfen deutsche Antisemiten keiner muslimischer Einwanderer; den lassen sie sich nicht nehmen, denn ihre »Ehre« heißt, siehe oben, eben »Treue«, und in diesen Phantomdisziplinen beanspruchen sie die Meisterposition.

Dass in muslimisch geprägten Gesellschaften Antisemitismus als gemeinsamer Nenner ihrer Mitglieder gepredigt und gepflegt wird, ist unbestreitbar, und wenn es sonst keine Gründe gäbe, radikale Islamisten zu bekämpfen, wäre ihr Antisemitismus allein Grund genug. Doch soll man nicht die Balken im Auge anderer betrachten, um dann selbst fein raus zu sein, sondern sein Augenmerk auf die Eigengrütze richten.

»In Österreich«, schrieb ein österreichischer Autor, »sind sogar die Bäume antisemitisch«, und wenn deutsche AfD-Hetzer und Pegida-Aufmarschierer und ihnen nahestehende Medienexistenzen von muslimischen Zuwanderern verlangen, sich den hiesigen Gepflogenheiten gefälligst anzupassen, kann man ihnen nur antworten, dass viele islamische Einwanderer an den Antisemitismus von AfD und Pegida doch längst perfekt angepasst sind.

Nachdem am 7. Januar 2015 in der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris zwölf Menschen ermordet wurden, ging das Gratisbekenntnis »Je suis Charlie« in Serie. Bild propagierte es, und in den Fens­tern der Hamburger Hirnvergeudungsfabrik Gruner & Jahr hing es im Dutzend. Kurz nach dem Mordanschlag auf Charlie Hebdo wurde in Paris auch ein jüdischer Supermarkt überfallen; vier Menschen wurden zunächst als Geiseln genommen und dann ermordet, weil sie Juden waren.

Die Sache ist nicht neu; als palästinensische Mörder 1972 die israelische Olympiamannschaft überfielen, umbrachten, wen sie kriegen konnten und später in einem von ihnen entführten Flugzeug zuallererst wissen wollten, wer von den Passagieren Jude sei, betrieben sie Selektion in der Tradition der SS.

Wenn nach dem 139fachen Mord am 13. November 2015 einem Mitglied des Zentralrats der Muslime in Deutschland nichts anderes einfällt, als die Attentate in vollem Ernst als »Anschlag auf den Islam« umzucodieren, zu interpretieren und zu werten, scheint mir diese licht- und empathielose, weinerliche Selbstbesessenheit viel eher ein ahndungswürdiges Delikt zu sein als ein bisschen kleinkriminelles Klauen oder Drogenverticken. Zumindest zu einem lebenslangen Schweigegelübde sollte man notorische »Die wahren Opfer sind immer noch wir!«-Schreihälse deutlich ermuntern.

Es ist immer hohe Zeit, gegen den Antisemitismus jedweder Couleur mit etwas forcierterem Humor zu Werke und den Antisemiten mit Brains an ihre Lederbirnen zu gehen. »They ain’t making Jews like Jesus any more, they don’t hold the other cheek the way they did before«, sang der jüdisch-texanische Country-Songwriter Kinky Friedman schon Anfang der 1970er Jahre.

Ich beantrage hiermit, Friedmans Humor und Esprit verpflichtet, Titelschutz für zwei deutschsprachige, auch kulinarisch orientierte Satirezeitschriften mit den Titeln Leviathan und Leviten und Das finden Sie wohl auch noch itzig, was? mit Eckart Itzigmann als spiritus rector; dies allein schon um zu erfahren, wer nach einer antisemitischen Attacke auf die Redaktionen mit den Parolen »Je suis Levi«, »Heute sind wir alle itzig« oder »Bin ich nicht furchtbar itzig?« aufwarten oder mit mir in einen alten Bob Marley-Song einstimmen würde: »Itizgman vibration, ah ah positive...«

Bier, Rassismus, AKW

Auf einem Bierdeckel kann man nicht nur wie Friedrich Merz eine Steuergesetzgebung notieren oder, wie ein be­gnadeter Fussballspieler, eine ganze gegnerische Mannschaft austanzen; man kann einen Bierdeckel auch bedrucken, zum Beispiel mit den schwarz auf gelb geprinteten Buchstaben »Kein Bier für Rassisten! Fußball. Bier. Weltoffenheit.«

Meine erste Reaktion auf diese Initiative der Fan-Abteilung des BVB 09 war ein inneres, skeptisches Lachen: Ja klar, und davon verschwinden die Rassisten dann, so simpel ist das. Einfach kein Bier mehr an sie ausschenken, und schon sind sie geläutert und quasi nicht mehr vorhanden.

Das ist aber zu kurz gedacht; der Alkoholentzug gegen Rassisten ist unter Fußballfans eine soziale Abwertung und deshalb richtig; vor und nach dem Spiel gemeinsam Bier trinken – ich rede nicht über Sturzbesäufnisse – gehört für viele Fans zum Fußball dazu wie die Frikadelle beziehungsweise, münteferisch gesprochen, »gehört da mit bei«, und wer nicht mitmachen darf, ist draußen. Ein mieser Spruch über »Schwatte«, wie man Schwarze im Ruhrgebiet nennt, und der rassistische Fitti darf sich am Büdchen allein oder mit seinesgleichen ein tristes Dosenbier in den braunen Schlund gießen.

Alkohol senkt die Hemmschwellen und erhöht bei gewaltbereiten Gestalten den dringenden Wunsch, davon auch Gebrauch zu machen; die meisten der braunen Männchen, die Flüchtlinge, Asylbewerber und Menschen mit nichtweißer Hautfarbe verbal oder physisch attackieren, gefährden, verletzen und im schlimmsten Fall um ihr Leben bringen, haben sich das, was sie »Mut« nennen, weil sie keinen haben, zuvor systematisch und gezielt angesoffen. Sollten die promillegesättigten Hetzer, Schläger und Brandstifter nach vollbrachter Straftat erwischt und verhaftet werden, reden sie sich mit juristischer Hilfe auf verminderte Schuldfähigkeit heraus.

Das Gegenteil ist richtig; wer sich absichtlich abfüllt, um Gemeinheiten oder Verbrechen zu begehen und hinterher alkoholbedingt von nichts gewusst haben will, sollte – zack! – noch einen Strafzuschlag obendrauf bekommen, und die Höllen eines kalten Entzugs möge man ihm auf keinen Fall ersparen. Rassisten, ob sie eine politisch gemeinte Glatze auf dem dicken Hals oder feinen Zwirn tragen, sind hinterhältig und feige, und die Strategie des »Ich schütte mich zu, dann kann mir keiner« muss und kann man unterlaufen.

 

Wenn ein seit Ewigkeiten mit Stadionverbot geächteter Sonnenbanknazi wie »SS-Siggi«, der für »Die Rechte« in Dortmund den Mann der Politik simuliert, mit dem BVB zu werben versucht – »Vom Stadion direkt ins Rathaus« –, bekommt er das juristisch und bei Strafandrohung untersagt und muss die entsprechenden Plakate auf eigene Kosten wieder abreißen oder entfernen lassen. Manchen Antifas ist das zu wenig und viel zu lasch, aber auf längere Sicht ist der Ausschluss vom sozialen menschlichen Leben eine wirksame Waffe.

Dies alles runkelte mir durch die Rübe, als mir die Bedienung in einem Dortmunder Fußballlokal ein AKW auf den schwarz-gelben Bierdeckel stellte; AKW ist die Abkürzung für AlKoholfreies Weizenbier und für Rassisten viel zu schade.

Schon oder erst?

Die Regionalzeitung titelt: »Räuber sprengten 2017 schon 50 Geldautomaten in NRW«.

Immerhin einmal eine Nachricht und kein rein personalisiertes Wiedergekäue von Trump, Merkel, Schulz et cetera-egal als Ersatz für politische Analyse, kein Tratschbreitgelatsche von Plastic People wie Silbereisen / Fischer, Bushido, Schöne- und Katzenberger alias Böhmermann, sondern eine Nachricht: 2017 in NRW bislang 50 Geldautomaten gesprengt.

Der einzige Makel war die Verwendung des Wortes »schon«, das selbstverständlich »erst« heißen muss. Mög­licherweise klappt es ja beim nächsten Mal. Aber das Hotzenplotzwort »Räuber« ist wirklich schön. Danke.

Eine Welt in Wahn und Waffen

»Das ist eine Waffe.« Die uniformierte Frau am Flughafen Edinburgh sagte das selbstverständlich auf englisch: »This is a weapon.« Unsinn blieb es dennoch; sie sprach von dem kleinen Zigarrenschneider beziehungsweise Cut­­ter, den ich, wie auch Streichhölzer, ein zwei kubanische Zigarren, Notizbuch, Stifte und ein paar Kastanien in meiner Umhängetasche stets mit mir führe.

Das kleine Schweizer Taschenmesser hatte ich – Was blieb mir übrig ? – in der Reisetasche verstaut; man hatte mir schon einmal ein ganz winziges Exemplar, ein Mitbringsel für einen achtjährigen Jungen, wegkonfisziert oder, nennen wir es beim Namen, gezogen, gezockt, gestohlen, geklaut, und selbst eine Nagelfeile aus Holz oder eine Hornhautraspel waren schwere, lebensgefährliche Waffen in einer rettungslos verrückt geworden Welt, in der es als ernst zu nehmendes Katastrophenszenario und nicht als paranoide Wahnidee gilt, dass man einen Piloten zu Tode maniküren oder pediküren könnte, aber wahrscheinlich sind Katastrophenszenarien und paranoide Wahnideen ohnehin zu 100 Prozent identisch. Mit Kinky Friedman gesprochen: »Militärische Intelligenz ist ein Widerspruch in sich selbst.«

Meine wahren Waffen – Notizbuch und Stift – blieben als solche unerkannt, unbeanstandet und unangetastet, aber der Zigarrenschneider hatte offenbar den Nimbus und Hochgefährlichkeitsrang von Plastiksprengstoff erreicht. Noch niemals hatte ich an einem Flughafen ein Mitnahmeproblem mit dem kleinen, nützlichen Gegenstand gehabt und trug das auch, innerlich zwar relativ fassungslos, äußerlich aber sehr gefasst vor, doch die Uni­formierte blieb dabei: »This is a weapon.«

Schade, dass ich eine Frau vor mir habe, dachte ich; einem Mann hätte ich in geflissentlicher Tücke beipflichten können: »Ja Sir, Sie haben vollkommen Recht. Ich könnte beispielsweise gerade Sie dazu ermuntern, Ihren Penis in die Öffnung des Zigarrenschneiders zu zwängen und das entsprechend mickrige, allenfalls pinkeltaugliche Teil dann abknapsen. Das wäre vielleicht nicht schade drum und keine Träne wert, aber doch eine ziemlich blutige Angelegenheit, und wer soll dann die Wäsche waschen und den Boden sauberwischen? Es wird wohl wieder an mir hängenbleiben. Einmal Zivildienstleistender, immer Zivildienstleistender.«

Also überließ ich der Uniformierten seufzend – Mi­cha­el Crichton hätte gesagt: »Guiterrez zuckte die Achseln« – den Cutter, den sie entweder selbst gut brauchen konnte oder, wahrscheinlicher, als fanatische Nichtraucherin an­geekelt und mit spitzen Fingern in eine Tonne werfen würde.

Man kann, wenn man zu etwas Richtigem nicht imstande ist, alles simulieren: Liebe, Anteilnahme, Sorge, Sicherheit und Arbeit. Ich ziehe eine gute, ehrliche Arbeit vor, und so hörte ich nach meiner Rückkehr eines meiner liebsten Lieder, den »Workingman’s Blues #2« von Bob Dylan, in dem es heißt:

»My cruel weapons have been put on the shelf

Come sit down on my knee

You are dearer to me than myself

As you yourself can see...«

Handreichung zu Pogrom und Mord

»Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücken führen, einen Stein um den Hals hängen, ihn hinabstoßen und sagen: Ich taufe dich auf den Namen Abrahams.« Martin Luther, Tischreden (Nr. 1795)

Das monatlich veritableren Presseerzeugnissen beigegebene evangelische Magazin chrismon unterhält auch einen »chrismonshop«, in dem man telefonisch oder digital Waren für den Erlösungsbedarf erwerben kann: Kerzen, die »Wortlicht« genannt werden, weil sie auf der Oberfläche mit christlicher Losung aufwarten: »Ich stehe in unmittelbarem Kontakt zu Gott«, heißt es in so ur- wie unchristlicher Hybris, eine weitere Durchhalteparole lau­tet »Ich bin wertvoll, genau so, wie ich bin«; wenn die Binse stimmt, wozu muss man sie dann in eine Kerzenrinde ritzen? »Ich übernehme Verantwortung für mich und meine Mitmenschen«, pfadfindert ein weiterer der vielen guten Vorsätze, mit denen der Weg zur Hölle gepflastert ist, und abgerundet wird das matt und lasch funzelnde Lichtangebot der Christenheit mit dem blusenoffenen Bekenntnis »Ich bin innerlich frei und nur der Liebe verpflichtet«; »innerlich« ist hier der Scheitelpunkt, von dem alles weitere abhängt.

Wortschmonzetten im Jargon der Innerlichkeit gibt es im »chrismonshop« auch ganz klassisch auf Papier gedruckt, und da wird geluthert nach und mit allen Kräften: Erwerbbar sind u.a. »Schlag nach bei Luther – Texte für den Alltag«, herausgegeben von der zuverlässig grundangel-evangelischen Margot Käßmann, »Bilder von Luther – Annäherungen an den Reformator«, mit Texten von Malu Dreyer, Harald Martenstein u.a.; bei »Annäherung« auf dem Buchtitel muss ich immer an das noch zu schreibende Welt- und Menschheitsverständigungsbuch »Knallt sie ab, die Schweine! Versuch einer Annnäherung« denken. »Luthers Paradiesgarten« wird ebenso vor­gestellt wie »Luthers Küchengeheimnisse« gelüftet werden; einen Luther-Titel allerdings kann man im »chrismonshop« nicht bekommen: Luthers Schrift »Von den Juden und ihren Lügen« in der gültigen, vom Autor selbst erweiterten zweiten Ausgabe von 1543.

Dieses Buch, in dem Luther sich völlig offen als schäumender, rasender und vollends überzeugter Antisemit zeigt, ist seit knapp 500 Jahren alles andere als ein Geheimnis; gelesen wurde es immer, und nur wenige Leser nahmen Anstoß. Einer von ihnen, der Philosoph Karl Jaspers (1863-1969), schrieb: »Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern.«

Das ist weder polemisch noch sonstwie übertrieben; auf Luther berief sich während der Nürnberger Prozesse 1946 explizit auch Julius Streicher, Herausgeber des Stürmer, und brachte zum Zweck seiner Verteidigung vor: »Antisemitische Presseerzeugnisse gab es in Deutschland durch Jahrhunderte. Es wurde bei mir z.B. ein Buch beschlagnahmt von Dr. Martin Luther. Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch von der Anklagevertretung in Betracht gezogen würde. In dem Buch ›Die Juden und ihre Lügen‹ (= ›Von den Juden und ihren Lügen‹) schreibt Dr. Martin Luther, die Juden seien ein Schlangengezücht. Man solle ihre Synagogen niederbrennen, man solle sie vernichten.«

Hierin sprach der Berufslügner, Denunziant, Demagoge und Hetzer Streicher die Wahrheit über den »Dr. Martin Luther«, wie er ihn gleich dreimal in ehrerbietender Absicht nennt. »Von den Juden und ihren Lügen« ist eine Handreichung zum Pogrom, eine Anweisung für und eine Rechtfertigung von Massenmord. Luther forderte die Verbrennung der Synagogen, ein Lehrverbot für Rabbiner bei Androhung der Todesstrafe, Aufhebung der Wegefreiheit für Juden, die Zerstörung ihrer Häuser und ihre Zwangsunterbringung, die Wegnahme ihrer religiösen Bücher, ihre Zwangsenteignung und Zwangsarbeit.

Luthers Pamphlet geht über zeittypische antisemitische Ressentiments, die sich bis heute erhalten haben, weit hinaus: seine Forderungen nach mit Gewalt durchzusetzender Unterdrückung der Juden bis hin zu ihrer Ermordung sind konkret gemeint und aufzufassen. Verstanden wurde Luther nicht nur von den Nationalsozialisten, die seine antisemitischen Vernichtungsphantasien im alten lutherischen Geist mit modernsten Mitteln umsetzten; seine gedruckte Hetze war ein populäres Vademecum, wann immer es galt, die ältere jüdische Weltanschauungskonkurrenz auszuschalten. Was Luther verlangte, wurde Jahrhunderte später »Arisierung« genannt, und dazu war Luther wie seinen Nachfolgern jedes Mittel der Verleugnung und Denunziation recht.

Luther bezichtigt die Rabbiner, »vorsätzliche Lügner und Lästerer der Gottesworte« zu sein, nennt die Juden ein »böses, ärgerliches gotteslästerliches Volk«, Leute, die, »selbst wenn sie 100.000 Jahre lang lügen sollten und alle Teufel zu Hilfe nähmen, trotzdem für immer mit der Schande leben müssten« für das »Fluchen und Läs­tern aus dem Herzen und Maul des Juden«, »denn was weder die Vernunft noch das menschliche Herz erfasst, das wird erst recht nicht das verbitterte, bösartige, blinde Herz der Juden begreifen.« Man kann diese wahre Lutherbibel, diesen Nibelungenschrein des Judenhasses auf jeder x-beliebigen Seite öffnen und wird immer sofort fündig; Luther inszeniert sich als Rächer mit Feuer und Schwert, der die Mär vom »Mord an unserem Herrn Jesus Christus« so lange repetiert, bis er seine neiderfüllte Niedertracht für den höchsten Ausdruck christlicher Liebe hält. Da könnte etwas dran sein; in der mörderischen Intention seiner antijüdischen Raserei ist Luther ganz bei sich, selbstzufrieden, selbstgewiss und gottgefällig sich dünkend, ein Protestant reinsten Abwassers.

In Zeiten, in denen angeblich aufgeklärte Mitteleuropäer die Liebe zum Islam entdecken und davon schwärmen, wie schön es sei, einem muslimischen Schwiegervater sein Patriarchenhändchen abzuküssen und in denen die schon erwähnte Frau Käßman nach jedem islamistisch motivierten Mordanschlag den Tätern ihre Geschwisterhand darreicht, darf man sich über die Salonfähigkeit des Antisemitismus nicht wundern, wie ja das antisemitische Ressentiment überhaupt für viele ein für Menschen unbegreiflicher, aber manifester Reflex ist. Die Behauptung, dass man hierzulande »ja nichts gegen Juden sagen dürfe«, gehört längst zur Grundausstattung aller Antisemiten, die selbstverständlich »nichts gegen Juden haben«, nur Israel gerne in einen jüdischen Friedhof verwandelt sähen.

Dem Aschaffenburger Alibri Verlag, in dem auch Bücher von Karlheinz Deschner und Denis Diderot erscheinen, gebührt das Verdienst, Luthers Text erstmals in heutigem deutsch zu präsentieren; linksseitig liest man ein Faksimile des Originals, rechts den Text in gewohnter Typographie. Der Inhalt bleibt, weil zu widerwärtig, dennoch schwer zu lesen. »Ich hatte mir wirklich vorgenommen, nichts mehr über oder gegen die Juden zu schreiben«, heuchelt Luther los, um dann von der ersten Zeile bis zum letzten Amen seine Sprach- und Wirkungsmacht wider das Judentum in Stellung zu bringen. Der Rest ist braune Geschichte und Gegenwart, nur kann eben kein »Lutherliebhaber«, wie chrismon solche Kundschaft nennt, noch länger die Lüge aufrecht erhalten, er oder sie hätte »es nicht gewusst«. Schließlich ist Luthers »Von den Juden und ihren Lügen« seit Jahrhunderten ein verlässlicher Lesespaß für die ganze deutsche, protestantische Familie.

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