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Şrift:Daha az АаDaha çox Аа

In Vendale’s Augen warf Marguerite’s Abbrechen vom Gegenstande ein ungünstiges Licht auf Obenreizer. Die unwürdige Behandlung von Seiten ihres Vormundes, versuchte sie sich abzuwehren: ihr Zorn hätte gegen ihn auflodern mögen, wenn Furcht sie nicht daran verhinderte. Vendale bemerkte ferner – obgleich das kaum der Erwähnung werth war – daß Obenreizer, Margueriten um keinen Schritt näher rückte, sondern genau in der Entfernung von ihr blieb, die er von Anfang an innegehalten hatte, als ob bestimmte Grenzen zwischen ihnen gezogen seien. Auch hatte er sie nie angeredet ohne das Wörtchen Miß vor ihren Namen zu setzen, wenn er es aber aussprach, so geschah es mit einer kaum bemerkbaren Beimischung von Spott. Jetzt wurde es Vendale zum ersten mal klar, daß das Seltsame des Mannes, was ihm bis heute nicht möglich gewesen war näher zu bezeichnen, in einer Art von spöttischem Wesen bestand, mit der er jedem offenen Angriff und jeder näheren Erörterung auswich. Er hielt sich davon überzeugt, daß Marguerite, was die Freiheit ihres Willens anbetraf, eine Gefangene war – obgleich sie vermöge der ihr eigenthümlichen Charakterstärke ihre eigenen Ansichten gegen die der bei den Verbündeten geltend machte, was sie natürlicherweise nicht aus ihrem Joch befreien konnte. Nachdem er diese Ueberzeugung gewonnen hatte, fühlte er sich nur noch mehr gestimmt dem Mädchen seine Neigung zuzuwenden. Mit einem Worte, er hegte eine gewaltige Liebe zu ihr im Herzen und war durchaus entschlossen die Gelegenheit sie zu sehen, die sich ihm immerhin eröffnet hatte, aufs Aeußerste zu verfolgen.

Für’s Erste begnügte er sich damit, der Freude zu erwähnen, welche Wilding u. Co. empfinden würden, wenn Miß Obenreizer sich herablassen wollte das Haus mit ihrer Gegenwart zu beehren – ein merkwürdiges altes Haus und noch dazu das eines Junggesellen – und begnügte sich damit seinen Besuch nicht über die Zeit, die dergleichen Besuche einnehmen dürfen, auszudehnen. Als er, geleitet von seinem Wirth, die Treppe hinabging, sah er vor dem Obenreizer’schen Comptoir, welches weiter zurück auf dem Hausflur münden, verschiedene schäbige Gestalten in ausländischer Tracht stehen, die Obenreizer mit einigen Worten in seinem Dialect bei Seite schob, damit Vendale vorüber konnte.

»Landsleute,« erklärte er, als Vendale die Thür öffnete. »Arme Landsleute, dankbar und anhänglich wie Hunde! Leben Sie wohl. Auf Wiedersehen. Sehr erfreut gewesen!«

Nach einer leichten Umarmung und einen Griff an seine Ellenbogen sah sich Vendale in der Straße entlassen.

Die liebliche Marguerite an ihrem Stickrahmen, Madame Dor’s breiter Rücken und deren telegraphische Zeichen gaukelten bis Cripple Corner vor ihm her. Als er dort ankam, hatte sich Wilding mit Bintrey eingeschlossen. Die Kellerthüren standen offen. Vendale zündete eine Kerze, die in einem zinnernen Leuchter stand, an und ging die Stufen hinab, um einen Streifzug durch die Gewölbe zu unternehmen. Die anmuthige Marguerite gaukelte getreulich vor ihm her, aber Madame Dor’s breiter Rücken war oben geblieben.

Die Gewölbe, geräumig und sehr alt, sind Krypten gewesen, damals als die Vergangenheit noch Gegenwart war. Einige sagen, Theile davon hätten Mönchen zum Refectorium gedient, andere sagen, Theile davon seien zur Kapelle benutzt worden, wieder andere sagen, sie seien ein heidnischer Tempel gewesen. Das blieb sich jetzt alles gleich. Lasse man jeden was er will aus verwitterten Pfeilern, zertrümmerten Bogen und was dergleichen mehr ist herauserkennen; die vergangene Zeit hat daraus gemacht was sie wollte und bleibt unberührt davon, wenn es ihr anders bewiesen wird.

Die eingeschlossene Luft, der dumpfige Geruch und das verworrene Geräusch der Straße oben vertragen sich gut genug mit dem Bilde der hübschen Marguerite, weil nichts davon an das gewöhnliche Leben erinnerte. Vendale schritt vorwärts, bis er, um eine Ecke biegend, ein Licht sah dem ähnlich, welches er selbst trug.

»O, Du bist hier Joey?«

»Wäre es besser, wenn ich ginge? Sie sind hier! wirklich, Sie sind hier, Master George? Meine Pflicht ist es hier zu sein, aber was haben Sie hier zu suchen?«

»Sei nicht böse, Joey.«

»Ich bin nicht böse,« erwiderte der Kellermeister. »Das was böse in mir ist, ist der Weindunst, der durch die Poren dringt. Ich nicht. Nehmen Sie sich in Acht, daß er nicht auch in Sie hineinzieht, Muster George. Wenn Sie lange hier im Dunste bleiben, haben Sie ihn weg.«

Seine Beschäftigung bestand in diesem Augenblick darin, den Kopf in die Weinverschläge zu stecken, Maaß zu nehmen, Berechnungen anzustellen und das Resultat in ein Buch einzuschreiben, das in Rhinozerosfell gebunden zu sein schien und wie ein Theil von ihm aussah.

»Sie haben ihn weg,« nahm er den Rücken streckend seine Worte wieder auf und legte den hölzernen Maßstock, dessen er sich bedient hatte, über zwei Fässer, um seine letzte Berechnung anzustellen. »Verlassen Sie sich darauf. – Sie sind also in aller Form in das Geschäft eingetreten, Master George?«

»Ja aller Form. Ich hoffe, Du hast nichts dagegen, Joey?«

»Nichts. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Aber die bösen Dünste in mir sagen, daß Sie zu jung sind. Sie sind alle beide zu jung.«

»Der Uebelstand wird mit jedem Tage geringer, Joey.«

»Das wohl, Master George; aber der Uebelstand, daß ich zu alt bin, nimmt Tag für Tag zu. Ich werde nicht mehr im Stande sein, Ihr Hineinwachsen zu sehen.«

Diese Erwiderung kitzelte Joey Ladle’s Laune. Er stieß ein Lachen aus, das sich wie Grunzen anhörte, wiederholte das Gesagte und stieß, nachdem er zum zweiten Mal »Ihr Hineinwachsen« hervorgebracht hatte, sein wunderliches Lachen aufs Neue hervor.

»Aber was nicht zum Lachen ist, Master George,« fuhr er fort seinen Rücken ausdehnend, »daß der junge Master Wilding das Glück aufgestört hat. Merken Sie sich meine Worte. Er hat es aufgestört und wird es bald erfahren. Ich bin nicht umsonst mein ganzes Leben hier unten gewesen. Ich weiß an welchen Zeichen ich gemerkt habe, wenn der Geschäftsverkehr fiel oder wenn er stieg, wenn er blühte oder ein Stillstand eintrat. Ich weiß ebenso gut an welchen Zeichen ich gemerkt habe, wenn das Glück sich änderte.«

»Hat dies Gewächs hier irgend etwas zu thun mit Deiner Sehergabe?« fragte Vendale das Licht gegen ein feuchtes zottiges dunkles Schwammgewächs haltend, welches von der Decke herabhing und ein unangenehmes widriges Ansehen hatte. Wir sind berühmt, weil dieses Gewächs an unserer Kellerwölbung haftet, nicht wahr, Joey?«

»Das sind wir, Muster George,« erwiderten Joey Ladle, ein oder zwei Schritte zurückweichend, »und wenn Sie von mir einen Rath annehmen wollen, so bleiben Sie davon.« Den Maßstock, der noch zwischen den beiden Fässern lag ergreifend und leise den lappigen Schwamm damit bewegend, fragte Vendale: »Davon bleiben! Warum?«

»Warum? Nicht weil aus den Weinfässern Dunst emporsteigt und Sie dadurch in Erfahrung bringen können, welche Bestandtheile ein Mann in sich aufnimmt, der sich sein ganzes Leben in dieser Luft herumtreibt, und ebenso wenig weil auf dem Boden des Gewächses Maden leben, die Sie aus sich herunterholen werden,« erwiderte Joey Ladle sich in Entfernung haltend, »sondern eines andern Grundes wegen, Muster George.«

»Wie heißt der Grund?«

»In Ihrer Stelle, Sir, würde ich es nicht mit dem Stock berühren. Wenn Sie mit mir hier fortkommen wollen, so sollen Sie den Grund erfahren. Erst werfen Sie noch einen Blick auf die Farbe des Schwammes Master George.«

»Ich thue es.«

»Gut, Sir. Jetzt kommen Sie fort von der Stelle.«

Er ging mit seinem Licht voraus und Vendale folgte ihm mit dem seinigen. Als Vendale Joey eingeholt hatte und beide zusammen dem Ausgang zuschritten, sprach Ersterer: »Nun, Joey. Die Farbe?«

»Sieht aus wie geronnenes Blut, Master George.«

»Mag sein.«

»Genau so, finde ich,« rief Joey Ladle den Kopf bedenklich hin und her wiegend.

»Gut, ich will sagen ebenso. Ich will sagen ganz genau so. Was dann?«

»Master George. Man sagt —«

»Wer?«

»Wie kann ich wissen wer?« entgegnete der Kellermeister empört über die unvernünftige Frage. »Man! man ist Allewelt. Was wollen Sie? Wie kann ich wissen wer »man« ist, wenn Sie es nicht wissen?«

»Das ist wahr. Weiter.«

»Man sagt, daß derjenige, welchem durch Zufall ein Stückchen von diesem Gewächs auf die Brust fällt, sicher und gewiß von Mörderhänden stirbt.«

Als Vendale lachend seine Schritte einhielt, um den Kellermeister anzublicken, der, seine Augen auf das Licht heftend, geheimnißvoll jene Worte sprach fühlte er plötzlich, wie eine schwere Hand ihm nach der Brust griff. Der Bewegung der Hand, welche die seines Gefährten war, mit den Augen folgend, bemerkte er, daß sie ein Blatt oder einen Klumpen des Schwammes von seiner Brust fortgeschlugen hatte, und daß derselbe eben zu Boden fiel.

Im ersten Augenblick warf er dem Kellermeister einen ebenso entsetzten Blick zu, als dieser ihm, aber als ihm in der nächsten Minute das Tageslicht entgegen schien, sprang er fröhlich die Kellertreppe hinauf und blies das Licht und mit demselben allen Aberglauben aus.

Wilding tritt ab

Am Morgen des nächsten Tages ging Wilding fort – und ließ seinem Schreiber den Auftrag zurück: »Wenn Mr. Vendale oder Mr. Bintrey nach mir fragen sollten, theilen Sie ihnen mit, daß ich mich in das Findelhaus begeben habe.« Alles was sein Compagnon ihm gesagt, Alles was sein Geschäftsführer, der dessen Ansicht theilte, an geführt hatte, war nicht im Stande gewesen, ihm die Angelegenheit in einem andern Licht erscheinen zu lassen. Den Mann, dessen Platz er unrechtmäßig einnahm, aufzufinden, machte von jetzt ab das Hauptinteresse seines Lebens aus und die Anfrage im Findelhaus sollte der erste Schritt zu den beabsichtigten Nachforschungen sein. Der Weinhändler begab sich demgemäß an den erwähnten Ort. Das ihm bekannte Gebäude schien ihm verändert, wie ihm das Portrait an der Kaminwand verändert schien. Die treue Anhänglichkeit, die er einst für die Stätte gehegt hatte, welche seine Kindheit behütete, war für immer aus seiner Seele getilgt. Ein besonderer Widerwille bemächtigte sich seiner, als er sein Begehren unter der Thür aussprach. Sein Herz that ihm weh, wie er allein im Vorzimmer wartete, während man nach dem Zahlmeister geschickt hatte, den er sprechen wollte. Beim Beginn der Unterredung vermochte er nur durch gewaltsame Anstrengung sich so weit zu sammeln um den Grund seines Kommens auseinander zu setzen.

 

Der Zahlmeister hörte mit einem Gesicht zu, das Aufmerksamkeit ausdrückte und nichts weiter.

»Wir sind verpflichtet,« sagte er, als die Reihe zu sprechen an ihm war, »bei allen Nachforschungen, die von Fremden angestellt werden, vorsichtig zu sein.«

»Sie können mich nicht als einen Fremden betrachten,« entgegnete Wilding einfach. »Ich bin früher einer ihrer Zöglinge gewesen.«

Der Zahlmeister erwiderte höflich, daß dieser Umstand ihn mit besonderem Interesse für seinen Besucher erfülle, aber er drang nichtsdestoweniger darauf, die Beweggründe zu kennen, die Mr. Wilding zu seinen Nachfragen trieben. Ohne weitere Umschweife, theilte ihm Wilding seine Beweggründe mit, indem er nicht die geringste Kleinigkeit zurückhielt.

Der Zahlmeister erhob sich und führte den Andern in das Zimmer, in dem die Register des Instituts auf bewahrt wurden. »Alle Aufklärungen, die unsere Bücher geben können, stehen Ihnen von ganzem Herzen zu Diensten,« sagte er. »Es thut mir leid, aber nach der Zeit, die darüber hingegangen ist, bleiben sie das einzige, was wir Ihnen zum Anhaltspunkt bieten können.«

Die Bücher wurden zu Rath gezogen und die gesuchte Stelle aufgefunden. Sie lautete:

»Den 3-ten März 1836. Ein Knabe, Namens Walter Wilding, an Kindesstatt aufgenommen und aus dem Findelhause abgeholt. Name und Stand der Frau, die das Kind abgeholt hat: Mrs. Jane Anne Miller, Wittwe. Adresse: Lime-Tree Lodge, Groombridge Wells. Auskunftgeber: Der Reverend John Harker, Groombridge Wells und Mrs. Giles, Jeremie und Giles, Banquiers, Lombardstreet.«

»Ist das Alles?« fragte der Weinhändler. »Standen Sie Mrs. Miller später nicht mehr in Verbindung?«

»Nein – oder es müßte sich ein Nachweis davon in diesem Buche vorfinden.«

»Darf ich mir die Stelle abschreiben?«

»Gewiß. Sie sind ein wenig aufgeregt. Ich werde die Abschrift für Sie besorgen.«

»Meine einzige Hoffnung beruht darauf,« sagte Wilding traurig, die Abschrift betrachtend, »den Aufenthalt der Mrs. Miller auszukundschaften, indem ich versuchte, ob die genannten Auskunftgeber mir dazu verhelfen können?«

»Es ist das Einzige, was zu thun übrig bleibt,« entgegnete der Zahlmeister. »Ich hätte aufrichtig gewünscht, Ihnen von größerem Nutzen sein zu können.«

Von den trostreichen Abschiedsworten begleitet, machte sich Wilding auf den Weg, Um seine Nachforschungen fortzusetzen, die an der Thür des Findelhauses begonnen hatten. Der erste Gang, den er unternahm, war nach dem Geschäftslocal der Banquiers in Lombardstreet. Zwei von den Theilhabern der Firma waren nicht sprechbar für zufällige Besucher. Der Dritte, nachdem er zuvor unüberwindliche Schwierigkeiten vorgeschützt hatte, willigte endlich ein, von einem seiner Schreiber das Hauptbuch welches den Buchstaben M. trug, durchsehen zu lassen. Der Rechenschaftsbericht für Mrs. Miller Wittwe, Groombridge-Wells, befand sich darin. Er war mit zwei langen verblichenen Linien durchstrichen und unten stand: Die Rechnung geschlossen am 30. September 1837.«

So endete der erste Gang, der an diesem Tage gemacht wurde – er endete und noch immer wußte Wilding nicht aus noch ein? Er schickte ein Paar Zeilen nach Cripple Corner, um Vendale zu benachrichtigen, daß sich seine Abwesenheit auf Stunden noch in die Länge ziehen könne, dann löste er ein Billet auf der Eisenbahn und fuhr der zweiten Station an dem heutigen Tage, der Wohnung der Mrs. Miller in Groombridge Wells zu.

Mütter und Kinder reisten mit ihm; Mütter und Kinder begrüßten sich auf dem Anhaltepunct; Mütter und Kinder waren in allen Lädchen, in denen er einsprach, um sich nach Lime-Tree Lodge zu erkundigen. Ueberall stellte sich die nächste und innigste aller menschlichen Verwandtschaft fröhlich im heilen Tagesschein dar; überall wurde er an die köstliche Täuschung erinnert, aus der er so grausam aufgerüttelt worden – an die verlorene Erinnerung, die von ihm gewichen war, wie das Spiegelbild von einem Glase.

Hier und dort fragte er an. Niemand wußte von dem Namen Lime Tree Lodge. Bei einer Häuseragentur vorübergehend, trat er hinein und that zum letzten Male dieselbe Frage. Der Agent wies über die Straße hinweg auf ein häßliches Haus mit vielen Fenstern. Es mochte eine Manufactur gewesen sein, jetzt war es ein Gasthaus.

»Da hat Lime Tree Lodge vor zehn Jahren gestanden, Sir,« sagte der Mann.

Die zweite Station war erreicht und Wilding wußte wieder nicht aus noch ein!

Eine Hoffnung blieb noch. Der geistliche Auskunftgeber Mr. Harker konnte aufgefunden werden. Kunden des Agenten traten in diesem Augenblick ein und nahmen dessen Aufmerksamkeit in Anspruch; Wilding ging die Straße hinab und begab sich in den Laden eines Buchhändlers Er fragte. ob man ihm den gegenwärtigen Aufenthalt des Reverend John Harker nennen könne?

Der Buchhändler sah augenblicklich erschrocken und verwundert auf. Er antwortete nicht.

Wilding wiederholte seine Frage.

Der Buchhändler nahm von seinem Ladentisch ein zierliches kleines Buch in grauem Einband und hielt dem Frager das Titelblatt vor. Wilding las:

»Das Märtyrerthum des Reverend John Harker in Neu-Seeland. Erzählt von einem früheren Mitglied seiner Gemeinde.«

Wilding legte das Buch auf den Ladentisch zurück. »Ich bitte um Entschuldigung,« sagte er, vielleicht, indem er es sagte, an sein eigenes Märtyrerthum denkend. Der schweigsame Buchhändler gab seine Geneigtheit zu entschuldigen durch eine Verbeugung zu erkennen und Wilding verließ den Laden.

Dritte und letzte Station und nach dem dritten und letzten Versuch wieder nicht aus noch ein.

Es blieb nichts übrig, es war keine Wahl, er mußte völlig enttäuscht nach London zurückkehren.

Bei seiner Rückfahrt betrachtete der Weinhändler von Zeit zu Zeit die Abschrift der Notiz aus dem Register des Findelhauses Es giebt eine Art der Verzweiflung – vielleicht die alle bemitleidenswerteste – welche sich hartnäckig hinter Hoffnungen versteckt. Wilding behielt das nutzlose Stückchen Papier, welches er aus dem Wagenfenster schleudern wollte, in der Hand. »Es kann noch zu irgend etwas gut sein,« dachte er. »So lange ich lebe, will ich es aufbewahren, und wenn ich sterbe, sollen meine Willensvollstrecker es in meinem Testament versiegelt finden.«

Die Erinnerung an sein Testament lenkte die Gedanken des redlichen Weinhändlers in eine andere Bahn, ohne seine Seele von dem sie ganz erfüllenden Gegenstand abzubringen. Er mußte sofort seinen letzten Willen aufsetzen. Der Ausspruch: nicht aus noch ein! und seine Anwendung auf diesen Fall war von Mr. Bintrey ausgegangen. In der ersten langen Berathung, welche der Entdeckung gefolgt war, hatte der scharfsinnige Mann mit ausdrucksvollem Kopfschütteln mehr wie hundertmal wiederholt: »Nicht aus noch ein, Sir. Nicht aus noch ein! – Nach meiner Üeberzeugung ist jetzt keine Ermittlung mehr möglich, und mein Rath ist, finden Sie sich so gut es geht darein.«

Im Verlauf der sich lang ausdehnenden Unterredung wurden eine Menge Flaschen des fünfundvierzigjährigen Portweins vorgehen, um Mr. Bintrey’s gesetzverkündende Kehle damit anzufeuchten, aber je sicherer er seinen Weg durch den Wein fand, je weniger fand er ihn durch den Fall in Rede und wiederholte, so oft er sein Glas niedersetzte: »Mr. Wilding, nicht aus noch ein! Lassen Sie die Sachen, wie sie sind, und seien Sie dankbar.«

Sicher ist, das des rechtschaffenen Weinhändlers Angst, ein Testament zu machen, einzig aus seiner großen Gewissenhaftigkeit entsprang, obgleich das nicht ausschließt und sich auch ganz gut mit seiner Gewissenhaftigkeit verträgt, daß er es zu gleicher Zeit und ihm selbst unbewußt auch in dem Gefühl betrieb, welche Erleichterung es ihm gewähren würde, die ihn niederdrückenden Schwierigkeiten auf andere Männer, welche ihn überleben würden, abzuwälzen Wie dem auch sei, er verfolgte diesen neuen Gedanken mit Eifer und ließ unverzüglich nach seiner Ankunft George Vendale und Mr. Bintrey zu einer vertrauten Unterredung nach Cripple Corner einladen. »Nun wir alle drei bei verschlossenen Thüren versammelt sind,« sagte Mr. Bintrey, bei dieser Gelegenheit eine Ansprache an den neuen Compagnon richtend, »möchte ich mir, bevor unser Freund, und mein Client, uns seine weiteren Ansichten eröffnet, zu bemerken erlauben, daß ich Ihre Meinung, welche die jedes mitfühlenden Menschen sein muß, aus voller Seele theile, Mr. Vendale. Ich habe Mr. Wilding zu beherzigen gegeben, daß das Geheimniß durchaus zu bewahren sei. Ich habe mit Mrs. Goldstraw gesprochen in seiner Gegenwart und auch allein, und wenn Jemandem zu trauen ist [das Wenn ist freilich ein sehr deutungsreiches Wort], so glaube ich, daß ihr in diesem Fall getraut werden kann. Ich habe ferner unserm Freund, und meinem Clienten, zu bedenken gegeben, daß auf’s Gerathewohl angestellte Nachfragen nicht allein den Teufel in Gestalt von allen Schwindlern des Königreichs über uns heraufbeschwören müßte, sondern, daß es so viel heißen würde, als den Besitz verschleudern. Und sehen Sie. Mr. Vendale, unser Freund, und mein Client, will nichts weniger, als den Besitz verschleudern, im Gegentheil, er will damit genau haushalten zum Besten desjenigen, den er für den rechtmäßigen Eigenthümer hält – ich habe nicht gesagt, daß ich einen andern dafür halte – wenn nämlich dieser rechtmäßige Eigenthümer aufgefunden werden kann. Ich zweifle, daß er je aufgefunden werden kann – aber das gehört nicht hierher. Mr. Wilding und ich komme schließlich darin überein, daß der Besitz nicht angegriffen werden darf. Ich habe Mr. Wildings Wünschen soweit nachgegeben, eine Annonce einzurücken, durch welche ich vorsichtig Diejenigen, die etwas über das dem Findelhause entnommene adoptierte Kind wissen, einlade, sich in meinem Büreau zu melden. Ich habe mich dazu verpflichtet, daß die Annouce regelmäßig wieder erscheint. Ich habe es von unserm Freund, und meinem Clienten gefordert, hier mit Ihnen zusammenzutreffen, nicht damit Sie ihm Rath geben sollen, sondern damit Sie seine Aufträge entgegen nehmen. Ich bin ebenfalls bereit, seine Aufträge auszuführen und seine Wünsche zu ehren, aber ich bitte bemerken zu wollen, daß ich mich deshalb nicht einverstanden erkläre mit seinen Maßnahmen, noch dieselben als Rechtskundiger billige.«

So sprach Mr. Bintrey und richtete seine Rede eben sowohl an Wilding wie an Vendale Ungeachtet der Sorgfalt für seinen Clienten belustigte ihn dessen Don Quiroterie so höchlich, daß er es nicht lassen konnte, ihn von Zeit zu Zeit mit blinzelnden Augen anzusehen, in so hochkomischem Lichte erschien er ihm.

»Nichts kann klarer sein,« bemerkte Wilding. »Ich wünschte nur, mein Kopf wäre eben so klar, als der Ihrige, Mr. Bintrey.«

»Wenn Sie das Sausen wieder fühlen,« sagte Mr. Bintrey, ihn erschrocken anblickend »so machen Sie ein Ende. Ich meine mit der Unterredung.«

»Durchaus nicht. Ich danke Ihnen,« sagte der Weinhändler.

»Was wollte ich doch« – —

»Regen Sie sich nicht auf, Mr. Wilding,« warnte der Advocat.

»Nein, ich wollte nichts« sagte Wilding. Mr. Bintrey und George Vendale, würde einer von Ihnen ein Bedenken oder eine Abneigung dagegen haben, wenn ich Sie gemeinsam zu meinen Bevollmächtigten und Willensvollstreckern ernennen würde, oder willigen Sie beide in mein Begehren?«

»Ich willige ein,« erwiderte Vendale sogleich.

»Ich willige ein,« sagte Bintrey nicht ganz so schnell.

»Ich denke Ihnen. Mr. Bintrey, der Inhalt meines letzten Willens und meines Testamentes wird kurz und bestimmt sein. Vielleicht haben Sie die Güte, ihn nieder zuschreiben. Ich vermache mein ganzes unbewegliches und bewegliches Eigenthum, ohne irgend welche Ausnahme oder irgend welchen Vorbehalt, Ihnen beiden, meinen Bevollmächtigten und Willensvollstreckern, in dem Vertrauen, daß Sie das Ganze dem wirklichen Walter Wilding ausliefern, wenn er während zweier Jahre, von dem Tag meines Todes ab gerechnet, aufgefunden und für den richtigen erkannt werden sollte. Träte der Fall nicht ein, so verlange ich von Ihnen beiden, daß Sie die ganze Masse als Vermächtniß und Unterstützung dem Findelhause überantworten.«

»Ist das Alles, was Sie begehren, Mr. Wilding?« fragte Bintrey, das tiefe Schweigen unterbrechend, in dem keiner den anderen angesehen hatte.

 

»Alles.«

»Und Sie sind fest entschlossen, das Ausgesprochene für Ihren letzten Willen zu erklären?«

»Durchaus, fest und unwiderruflich.«

»So bleibt nur noch übrig« sagte der Mann des Rechtes mit Achselzucken, »es in die übliche bindende Form zu bringen, dieselbe auszuführen und zu unterschreiben. Hat das so große Eile? Ist es nöthig, die Sache so schnell zu betreiben? Sie denken noch nicht an Sterben, Sir.«

»Mr. Bintrey,« antwortete Wilding ernst, »wann es Zeit zum Sterben sein wird, weiß ein Höherer besser als Sie oder ich. Ich werde beruhigter sein, wenn Sie nichts dagegen haben, sobald das Geschäft von der Seele herunter ist.«

»Wir sind wieder Geschäftsführer und Client,« erwiderte Bintrey, der für Wildings Entschluß volle Theilnahme empfand. »Wenn es Ihnen selbst und Mr. Vendale recht ist, heute über acht Tage an demselben Ort und um dieselbe Zeit, wieder zusammenzukommen, so will ich es in meinem Tagebuch anmerken, daß ich Sie demgemäß hier zu erwarten habe.«

Die Verabredung wurde getroffen und richtig eingehalten. Der letzte Wille war in aller Form unterschrieben, untersiegelt, den Zeugen eingehändigt, von denselben ebenfalls unterzeichnet und endlich von Mr. Bintrey fortgetragen, um sicher unter den aufgespeicherten Papieren seiner Clienten aufbewahrt zu werden. Ein jeder Client besaß seinen respectiven Eisenkasten mit dem Namen des respectiven Eigenthümers an der Außenseite. Die eisernen Kasten waren auf eisernen Regalen in Bintreys Amtszimmer aneinandergereiht und gaben dem Letzteren das Ansehen einer einzigen großen Familiengruft von Clienten.

Mit mehr Theilnahme, als er in der letzten Zeit für seine früheren Interessen gezeigt hatte, machte sich Wilding an die Vervollständigung seines patriarchalischen Haushaltes, bei welchem Geschäfte er nicht allein von Mrs. Goldstraw, sondern auch von Mr. Vendale lebhaft unterstützt wurde, der vielleicht im Sinn hatte, so eilig wie möglich den Obenreizers ein Diner zu geben. Dem mag sein, wie ihm wolle, so bald der Haushalt von rühriger Thätigkeit wiederhallte, wurden die Obenreizers, Vormund und Mündel, zum Diner eingeladen und Madame Dor in die Einladung mitbegriffen. Wenn Vendale schon vorher bis über die Ohren verliebt gewesen war – ein Satz, der nicht so aufzufassen ist, als ob die Thatsache im geringsten bezweifelt werden solle – so stürzte ihn das Diner um zehntausend Faden tiefer in die Liebe hinein. Aber wenn er auch sein Leben darum gegeben hätte, er erreichte es nicht, ein Wort mit der reizvollen Marguerite zu sprechen. Sobald ein glücklicher Augenblick gekommen zu sein schien, stellte sich ganz gewiß Obenreizer mit dem Schatten auf seinem Antlitz hart an Vendales Ellenbogen, oder Madame Dor’s breiter Rücken pflanzte sich vor seine Augen. Die ganz stumme Matrone sah man von dem Augenblick ihrer Ankunft an bis zu dem ihres Scheidens niemals von vorn – ausgenommen bei Tische. Sobald sie sich in das Drawingroom zurückzog (sie hatte kräftig zu dem Verzehren der Speisen beigetragen) verharrte sie, wie gewöhnlich, mit dem Gesicht gegen die Wand.

Ja, während vier oder fünf köstlicher wenn auch quälender Stunden durfte er Marguerite anblicken, Marguerites Stimme hören, Marguerite einmal sogar anrühren. Als man die Runde durch die alten finsteren Kellergewölbe machte, führte sie Vendale an der Hand, als sie Abends in dem hellerleuchteten Zimmer sang, stand Vendale dicht neben ihr, um die von ihr abgestreiften Handschuhe zu halten, für die er gern jeden Tropfen des oft erwähnten Fünfundvierziger eingetauscht hätte und wenn er fünfundvierzigmal fünfundvierzig Jahr älter gewesen, und sein Werth fünfundvierzigmal fünfundvierzig Pfund höher gestiegen wäre. Und als sie fort war und mit einem Schlage in Cripple Corner eine große Leere entstand, quälte er sich mit der Frage, ob sie wohl wüßte, wie er sie bewunderte! Ob sie wüßte, daß er sie anbetete! Ob sie eine Ahnung davon hätte, daß sie ihn mit Herz und Seele gewonnen habe! Ob sie überhaupt an ihn zurückdächte! Ob sie und ob sie nicht? so ging es »die Tonleiter ab und auf, über und unter der Linie, Himmel! Himmel!

Armes ruheloses Menschenherz! Zu denken, daß die Menschen, die schon vor Tausenden von Jahren Mumien waren es ebenso machten und nach dem Tode erst die Ruhe fanden.

»George,« fragte Wilding am andern Tage, »Wie finden Sie Mr. Obenreizer?« ( »Wie Sie Miß Obenreizer finden, lasse ich ungefragt!«)

»Ich weiß nicht,« sagte Vendale, »und habe nie recht gewußt wie ich ihn finde?«

»Er ist klug und wohl unterrichtet,« sagte Wilding.

»Gewiß ist er klug.«

»Und musikalisch.« (Er hatte gestern Abend sehr gut gespielt und sehr gut gesungen.)

»Unzweifelhaft sehr musikalisch.«

»Und erzählt gut.«

»Ja,« sagte George Vendale überlegend, »er erzählt gut.«

»Wissen Sie Wilding, nun ich über ihn nachdenke betreffe ich mich darauf, daß ich ihn nicht für verschwiegen halte.«

»Wie meinen Sie das? Er ist nicht zudringlich geschwätzig.«

»Nein. Das mein ich auch nicht. Beobachten Sie ihn einmal, wenn er still ist, so können Sie, wenn auch vielleicht ungerechterweise, nicht umhin ihm zu mißtrauen. Nehmen wir zum Beispiel Jemand, den Sie kennen und lieben. Nennen Sie einen, den Sie kennen und lieben.«

»Das ist bald gethan, mein Freund.« sagte Wilding. »Ich nenne Sie.«

»Darum habe ich es freilich nicht gesagt und das habe ich nicht vorausgesehen,« erwiderte Vendale lachend. »Aber immerhin, nehmen Sie mich. Denken Sie einen Augenblick nach. Ist der Ausdruck, den Sie aus meinem interessanten Gesicht kennen und lieben (alle augenblicklichen Eindrücke, durch die er wechselt, mit eingeschlossen) vollständig darin, auch wenn ich schweige?«

»Ja, ich glaube,« sagte Wilding.

»Ich glaube es auch. Jetzt, geben Sie Acht. Wenn Obenreizer spricht – oder mit anderen Worten, wenn er Gelegenheit hat aus sich herauszugehen – so sieht er redlich aus, aber wenn ihm die Gelegenheit aus sich herauszugehen nicht geboten wird, so sieht er unredlich aus. Darum sage ich, er ist nicht verschwiegen. Und indem ich die Gesichter, die ich kenne und denen ich mißtraue, schnell an mir vorübergehen lasse, überzeuge ich mich, daß keines von allen verschwiegen ist.«

Diese Ansicht über Physiognomik war Wilding neu. Sie wollte ihm anfänglich nicht in den Sinn, bis er sich selbst die Frage that, ob wohl Mrs. Goldstraw verschwiegen wäre? Wie er sich erinnerte, daß ihr Antlitz gerade wenn es in Ruhe blieb, Zutrauen erweckte, war er so befriedigt, wie der Mensch gewöhnlich ist, wenn er glauben darf, was er zu glauben wünscht.

Es verstrich eine lange Zeit bis Wilding seine Launen und seine Gesundheit wiedererlangte und seine Gefährte erinnerte ihn, als einen Versuch ihn aufzurichten – vielleicht auch weil die Obenreizers Vendale hartnäckig im Kopfe lagen – an seine musikalischen Pläne, die er in der Familie zur Ausführung bringen wolle und an das Einrichten einer Singeklasse im Hause und eines Chorgesangs in der benachbarten Kirche. Die Klasse wurde so schnell wie möglich ins Leben gerufen und da zwei oder drei der Leute schon musikalische Kenntnisse mitbrachten und Erträgliches leisteten, so begann auch der Chorgesang sehr bald. Letzterer wurde von Wilding selbst geleitet, welcher die Hoffnung hegte, seine Untergebenen zu lauter Findelkindern umzuformen, was die Fähigkeit anbelangt, geistliche Musik zu singen.

Da die Obenreizers musikalisch gebildet und begabt waren, so war es leicht dahin zu bringen, daß sie aufgefordert wurden, Theil an den Versammlungen zu nehmen. Vormund und Mündel sagten zu oder vielmehr der Vormund sagte für beide zu, wodurch nothwendig eintrat, daß Vendale ein Leben des absolutesten Sichgefangengebens und Verrückseins führte. Denn, Sonntags in der dumpfigen Christopher-Wren Kirche, mit ihrer Gemeinde der lieben Brüder, fünfundzwanzig an der Zahl, war es nicht ihre Stimme, die wie Licht in den dunkelsten Winkel drang, von den Mauern und Pfeilern wiederhallend, als ob sie Stücke von seinem Herzen wären! In dieser Zeit befand sich noch dazu Madame Dor in einer Ecke des hohen Kirchenstuhles ihren Rücken jedermann und jedem Dinge zugekehrt; auch konnte es nicht ausbleiben, daß sie in manchen Augenblicken von den Gebräuchen des Gottesdienstes völlig in Anspruch genommen war. Er gebärdete sich wie der Mann, dem die Aerzte verordnet hatten, sich einmal in jeden Monat zu betrinken und der, um die Vorschrift nicht zu versäumen, sich alle Tage betrank.