Kitabı oxu: «Ich war ein Roboter», səhifə 6

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Ihr Verhalten hatte mich nicht zum ersten Mal nachdenklich gestimmt. Der Umgang mit uns Freunden war Ralf und Florian nicht immer leicht gefallen. Wie wir uns fühlten, darüber dachten die beiden wohl kaum nach. Das war aber keine böse Absicht von ihnen, sondern fehlende Empathie - die mangelhafte Wahrnehmung der Gefühle ihrer Kollegen, wie ich es mir später erklärte. Es hatte natürlich auch mit unseren unterschiedlichen familiären Herkünften zu tun.

Auf jeden Fall war alles derart aufregend neu und positiv in New York, dass ich solche Randerlebnisse und unangenehmen Gefühle schnell wieder verdrängte. Nach zwei ›Warm-Up-Gigs‹ fand am 5. April das erste große Konzert statt. Wir sollten im Beacon Theatre am Broadway auftreten. Als wir nachmittags dort ankamen - von unseren Hotels aus bequem zu Fuß zu erreichen - staunten wir nicht schlecht. Das Beacon war ein gut erhaltenes Art Deco Theater, das schon lange unter Denkmalschutz stand. Mit mehreren Balkonen übereinander hatte es bestimmt an die zweitausend Sitzplätze. Alle Ornamente war goldfarben und die Polstersitze hatte man mit purpurnem Samt bezogen. Es erinnerte mich schon ein bißchen an das ebenfalls plüschig-rote Olympia in Paris, wo wir bereits im Vorjahr schon einen kleinen Auftritt absolviert hatten. Aber hier war alles viel größer, viel luxuriöser. So war eben Amerika ... An der Außenfassade machte eine riesige Neonlichtreklame mit unserem Namen und denen unserer beiden Vorgruppen - Greenslade und Michael Quatro - das Straßenpublikum auf das ungewöhnliche Musikereignis dieses Abends aufmerksam.

Unser Equipment hatten wir zusammen mit den Bühnenhelfern schnell aufgebaut. Viel war es ja nicht, wir hatten nur die beiden Synthesizer, eine Farfisa-Orgel, unsere beiden Elektro-Drums, Karls Vibraphon und Florians Elektro-Flöte dabei. Und eben das neue Vaco-Orchestron. Auch ineinander stapelbare Lautsprecherboxen, die ich Jahre zuvor selbst gebaut hatte, wurden auf die Bühne hinter uns gestellt, damit wir uns selbst hören konnten. Diese Boxen hatten eine außergewöhnliche Eigenschaft. Nach einem von Florian besorgten deutschen Bauplan hatte ich sie aus Furnierholzplatten und Biegesperrholz gebaut. Es waren sogenannte Baßrutschen. Ein Tieftonlautsprecher strahlte im oberen Teil der Box seine Schallwellen nach vorn ab. Die nach hinten abgestrahlten Frequenzen wurden nicht wie bei einer üblichen Baßbox mit Dämm-Material ›gesumpft‹, sondern durch ein gefaltetes Horn in den unteren Teil der Box geleitet und über eine Austrittsrutsche wiederum nach vorn abgegeben. Der Effekt war immens. Die Tiefen, die unten herauskamen, waren um vieles verstärkt und hatten wunderbare Subbässe, die einem den Magen umdrehen konnten. Alle Boxen differierten um jeweils zwei Wandstärken in ihrem Breitenmaß. Die unteren Hälften mit den Austrittsrutschen konnten durch Schnellspannverschlüsse abgenommen und bei Transporten ineinander gestapelt werden. Das sparte Platz. Allerdings konnten wir diese edlen Speaker nicht lange benutzen, da sie der rauhen Behandlung auf Tournee dauerhaft nicht gewachsen waren. Viel zu schnell gingen die genialen Kabinette während der vielen Transporte kaputt und wir mussten den Schrott dann irgendwann in den Staaten zurücklassen. Schade drum.

Als Lightshow hatten wir Kästen mit farbigen Neonröhren mitgebracht, die ich ebenfalls schon in den Jahren zuvor gebaut hatte. Wir stellten sie einfach hinter uns auf den Bühnenboden. Die blauen Neonschilder mit unseren Vornamen, von denen inzwischen jeder sein eigenes hatte, positionierten wir direkt auf den Boden vor uns. Emil hatte eine riesige Dialeinwand aufgespannt, auf die er während der Show, passend zu unseren Songs, einige seiner schönsten Gemälde projizierte. Das klappte recht gut, war aber ein wenig lichtschwach, da sein Projektor eine ziemlich schlappe Birne hatte. Videobeamer kannte man damals noch nicht.

Der Abend nahte, und wir wollten nun unsere Feuertaufe in der berühmtesten Metropole der westlichen Welt bestehen. Die zweitausend Plätze des Theaters waren vollkommen ausverkauft. Unser Autobahn-Hit, der ständig im Radio lief, war die beste Werbung für das Konzert. Nachdem die beiden Gitarrenbands ihre eher unspektakulären Auftritte absolviert hatten, kamen wir vier deutschen Musiker spät abends auf die Bühne. Als wir mit unserer minimalistischen Show begannen, war es mucksmäuschenstill im Theater. Die Leute waren schon von unserem ordentlichen Aussehen mit Anzügen und Krawatten und unserer konzentrierten Steifheit fasziniert, ja schockiert, und unsere ›exotischen‹ Klänge taten ihr übriges. Solche Typen wie uns hatten sie noch nicht gesehen, geschweige denn gehört. Die Synthesizer mit ihren satten tiefen Klängen waren absolut neu für das Publikum. Zwar war das Instrument in Amerika erfunden und produziert worden, doch hatte es bisher nur eine untergeordnete Rolle in der Popmusik gespielt. Bands wie Emerson, Lake & Palmer hatten es auch schon benutzt und andere Künstler hatten einige musikalische Figuren in ihren Songs damit eingespielt. So komplex und konsequent jedoch, wie wir den Synthie für unsere komplette Musik benutzten, war er wirklich etwas ganz Neues für die Amerikaner. Es ließ sich nicht übersehen: Hier waren wir mit unseren Klängen um Lichtjahre voraus. Ich sah nur offene Münder in neugierigsten Gesichtern mit fassungslos weit aufgerissenen Augen, als Ralf während unseres Autobahn-Songs die Sounds panoramamäßig von links nach rechts und wieder zurück über die gesamte Bühnenbreite donnern ließ. Das Stück war einfach unser Hammer. Und wir genossen das.

Da wir allerdings noch nicht viele Lieder hatten, spielten wir die wenigen, die wir hatten, sehr lang aus. Stücke von den Platten Ralf & Florian und Autobahn, spielten wir fast doppelt so lang, wie auf den Tonträgern. ›Tongebirge‹, Titel wie ›Mitternacht‹, ›Tanzmusik‹ oder ›Kometenmelodie‹, dehnten wir einfach aus. Karl und ich klopften auf unsere Elektroschlagbretter wie irre. Durch das Langziehen unserer Songs kamen wir mit der Show auf eine akzeptable Länge, und schon allein das Stimmen und Einstellen der Synthesizer zwischen den Songs war derart attraktiv für die Leute, dass unser Minirepertoire gar kein Problem bedeutete.

Die angesehene New York Times schrieb am nächsten Tag in einer Review des Abends, das Publikum hätte unser Konzert so andächtig verlassen, wie nach einem Kirchgang. Und selbst die deutsche Teenie-Illustrierte Bravo war über den großen Teich geflogen, um unseren triumphalen Auftritt mitzuerleben. Die Zeitschrift widmete uns einen Beitrag, der die gleiche Überschrift trug wie das nächste Kapitel:

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KRAUTROCK IST TOP:

KRAFTWERK ELEKTRISIERT AMERIKA

New York, April 1975 +++ Verstärkt wurde alles durch eine Lautsprecheranlage und ganze Stapel von Klangverstärkern, die Manager Ira Blacker in den USA gemietet hatte und die er von einer Soundcompany immer in der jeweiligen Stadt, in der wir auftraten, neu aufbauen ließ. Die Leute der Mietfirma mussten die ganzen kommenden Wochen mit uns reisen. Das Beacon war jedenfalls ein großer Erfolg und ›Öffner‹ für unsere gesamte Tournee, und obwohl die New Yorker nicht recht kapiert hatten, was wir Kinder aus dem kulturtechnisch orientierten Nachkriegsdeutschland der Grundigs und Siemens mit unserer Musik eigentlich ausdrücken wollten, waren sie außerordentlich begeistert. Und wir waren vielleicht stolz, am weltberühmten Broadway so minimalistisch aufgetischt und futuristisch beeindruckt zu haben.

Die nächsten Konzerte liefen nicht immer perfekt in der Reihenfolge des Tourneeplans, den Ira Blacker zusammengestellt hatte. Auf seinem Tourplakat war auch deutlich zu lesen ›Taking offers now for May‹, was bedeutete, dass der Geschäftsmann noch weitere Veranstalter in anderen Städten suchte. Karl und mir war auch schon in Düsseldorf angekündigt worden, dass die Tour eventuell länger dauern könnte als die fest geplanten 22 Auftritte. Auf dem US-Tourplakat stand damals übrigens schon ganz dick als Überschrift ›Kraftwerk - Die Menschmaschine‹. Ich weiß nicht mehr, ob dieses Wort nicht sogar unseres amerikanischen Managers Idee dessen war, was wir einmal werden würden - eine musikalisch-philosophische Menschmaschine. Die Gestaltung des frühen Plakats zeigte außerdem schon mit seiner Grafik eines unserer späteren Themen - Metropolis, die globale Stadt von Fritz Lang.

Nach und nach ging es immer zügiger mit unseren Konzerten voran. Amerika konnte so verschieden sein, wie ich es mir niemals vorgestellen hätte. Wir waren in Gegenden, die absolut europäisch aussahen. Wir bereisten Landesteile, die durchaus spanisch wirkten mit ihrer niedrigen Vegetation und dem trockenen Klima. Waren wir noch hoch im Norden einem Schneesturm von der Schippe gesprungen, mussten wir uns kurz danach in San Diego und Hollywood an der Westküste und später in Florida vor der heißen Sonne schützen. Unsere Tournee wurde länger und länger. Ira Blacker bekam immer mehr Konzertangebote von Veranstaltern im ganzen Land auf seinen Tisch und hatte Schwierigkeiten, die Termine in eine erfüllbare und ökonomische Reisefolge zu bekommen. Wir spielten sogar in kleineren Ortschaften wie Little Rock, der Geburtsstadt von Bill Clinton, den die Welt 1975 noch nicht kannte. Auch in Dallas, wo John F. Kennedy ermordet worden war, traten wir auf. Dort war es extrem schwül, und wir sahen überall Scharen von riesigen Kakerlaken durch die Rinnsteine der Straßen flitzen, dass es mich nur so geekelt hat.

Wir spielten in Florida, in New Orleans, der Stadt des Jazz, und wir traten in Kleinstädten des mittleren Westens in heruntergekommenen Rockschuppen auf, die gar nicht vertrauenswürdig aussahen. Manchmal ließ uns Henry Israel sogar erst dann auf die Bühne gehen, wenn er vor unserem Auftritt die ausgehandelte Gage aus dem Ticketverkauf ausgehändigt bekommen hatte. Viel Erfahrung musste der Begleiter mit den Promotern haben, weil er schon seit Jahren Bands auf ihren Reisen durch das weite Land lenkte. Er wusste genau, wem zu trauen war und bei wem man sich zuerst die Kohle aushändigen lassen musste. Hin und wieder brauchte Henry sogar Bodyguards, um seinen Geldkoffer während unseres Konzerts bewachen zu lassen. Es gab nichts, was ihm nicht schon passiert wäre im Land, wo die Colts locker sitzen. Karl und ich bekamen allerdings eine fest ausgehandelte Monatsgage von unseren Entdeckern und wir brauchten keine Angst um unser Geld zu haben, denn wir hatten Vertrauen zueinander und Verträge waren unter uns nie ausgehandelt worden. Außerdem waren wir schon in Düsseldorf im Voraus bezahlt worden.

Auf einem der winzigen Flugplätze kaufte ich mir in einem News Shop eine Landkarte von Nordamerika und zog von da an während der Flüge immer eine Linie zur nächsten Stadt. Es wurde nämlich derart unübersichtlich für mich, wie die Tour sich wild über den Kontinent ausstreckte, dass ich dringend eine Erinnerung an die Route brauchte für später. Die Karte war am Ende mit Linien nur so überzogen. Nach den anfänglich geplanten 22 Auftritten bekamen wir immer mehr Buchungen. Letztendlich wurden es doppelt so viele Konzerte, wie ursprünglich geplant.

In der Zwischenzeit erschienen in der Heimat die ersten Headlines über uns in den Tageszeitungen und Illustrierten. Meine Mutter sammelte alles, was sie über Kraftwerk zu lesen bekam: ›Deutsche Pop-Autobahn erobert Amerika‹ - ›Kraftwerk - sie fahrn, fahrn, fahrn an die Weltspitze‹ - ›Die neuen Eroberer Amerikas‹ - ›Kraftwerk elektrisiert Amerika‹.

Ha, das konnte uns gefallen! Hatten uns die deutschen Medien doch bisher mehr oder weniger verständnislos belächelt. Man hatte uns eher als durchgeknallte Knöpfchendreher oder monotone Tonroboter gesehen.

Zwischen unseren Flügen und Auftritten hatten wir auch öfter freie Tage. Wir nutzten sie für private Unternehmungen. So schrieb ich manchmal Briefe an meine Eltern in Deutschland. Stolz berichtete ich ihnen von unseren Erfolgen in den Staaten. Irgendwie suchte ich noch immer die Anerkennung meines Vaters, der doch so wenig mit meinem umtriebigen Musikerleben anfangen konnte. Oft ging ich schwimmen, wenn das Hotel einen Pool hatte, oder ich sah mir die Stadt an, in der wir gerade waren.

Einmal flog ich mit Emil, Florian und Ralf von Memphis zurück nach New York. Wir hatten in der Geburtsstadt von Elvis Presley gespielt, und Karl wollte an den folgenden freien Tagen unbedingt noch dort bleiben, weil er sich in eine schwarze Schönheit verguckt hatte. In einer Discothek hatte er sie kennengelernt und sich heimlich mit ihr verabredet. Wir bangten ein wenig um unseren Freund, weil er so leidenschaftlich war und sich mit der Lady besser nicht in der Öffentlichkeit blicken ließ, da sie die Freundin eines berühmten Musikers aus der Blues- und Funkszene war. Henry Israel hatte Karl vor des Gitarristen Gewalttätigkeit gewarnt. Doch Karl wollte nicht auf ihn hören, zu heiß war er auf die ›schwarze Gazelle‹, die auch an ihm Gefallen gefunden und ihn in der Disco den Bump tanzen gelehrt hatte. Karl hoffte aber noch viel mehr von ihr zu lernen ...

Mit gemischten Gefühlen und der Telefonnummer seines Hotels flogen wir anderen nach New York zurück. Ich hatte mit meinem Freund verabredet, dass wir jeden Tag mindestens einmal telefonieren würden, um uns die erotischen Neuigkeiten zu erzählen. In New York war es kalt und regnerisch. Ich hatte mein Zimmer die nächsten Tage für mich allein und fühlte mich wieder einmal privater, weil Ralf und Florian auch ständig unterwegs waren. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie sich ganz bewusst von der ›Truppe‹ fernhielten. Also unternahm ich eigene Exkursionen in die Stadt, am liebsten, um Schuhe zu kaufen. Stundenlang wanderte ich durch die Straßenschluchten der geschäftigen City und machte meine Beobachtungen über Randerscheinungen auf meinen Wegen. Natürlich schraubte ich mich auch zur höchsten Aussichtsplatform des Empire State Buildings hoch. Zweimal musste ich dabei in andere Fahrstüle umsteigen. Das gesamte Innendesign im Art Deco Look gefiel mir außerordentlich gut.

Irgendwann erreichte ich eines Nachmittags eine Gegend, die gar nicht mehr so großstädtisch aussah. Die Häuser waren hier bei weitem nicht so hoch und regelrecht vergammelt. Die Straßen wurden schmutziger, die meist schwarzen Menschen sahen immer ärmer aus, und die Preise in den Schaufenstern wurden niedriger. Das gefiel mir allerdings gut, da ich ja in Kauflaune war. Endlich fand ich ein Schuhgeschäft, das genau jene Art von Stiefeletten im Fenster hatte, die meiner Vorstellung entsprachen. Während ich meine Nase am Glas plattdrückte, sprachen mich plötzlich zwei Schwarze von hinten an und fragten, ob ich Interesse an Lederstiefeln hätte. Sie murmelten etwas von »discount« und »proper offer«. Der eine trug einen langen, rötlichen Ledermantel mit breitem Revers, der andere eine Lederjacke mit Fransen und einen ebenfalls ledernen Schlapphut mit mächtiger Krempe. Ich dachte, die beiden seien Mitarbeiter des Geschäfts und wollten mich als Kunden ködern. Also bejahte ich ihre Frage. Mein Englisch war nicht gerade das beste, aber ich glaubte verstanden zu haben, dass sie noch viel bessere Sonderangebote hätten. Ich solle doch nur ein paar Häuser weiterkommen. Also gehörten sie wohl doch nicht zu diesem Laden. Aber ich war naiv genug, ihnen zu folgen, und sie waren professionell genug, um mich zu täuschen. Verdächtig nah auf Tuchfühlung gingen sie neben mir her, einer links und einer rechts. Ich fühlte mich gar nicht wohl dabei, derart in die Zange genommen zu werden. Mein sechster Sinn sagte mir, dass ich sofort abhauen müßte, weil ich von den beiden bestimmt keine Schuhe erwarten könne. Da fragte auch schon einer, wieviel ich denn ausgeben wolle und wieviel Geld ich überhaupt dabei hätte. Diese Frage war mir dann doch zu direkt, und ich ahnte, dass sie es auf mein Bares abgesehen hatten. An einem Hauseingang blieben sie stehen, und wollten mich hineindrücken. Dünn und biegsam wie ich war, entwand ich mich ihnen aber und rannte, was das Zeug hielt, in die anderen Richtung. Ich rannte und rannte, bis ich nicht mehr konnte, und rettete mich in einen Coffee-Shop, wo viele Menschen saßen. An der Bar bestellte ich völlig außer Atem ein Donut und ein Canada Dry. Ich hatte erst einmal die Nase voll vom Shopping und beobachtete immer noch ängstlich den Eingang der Bar, ob ich weiter verfolgt würde.

Die nächsten Tage unternahm ich nur noch Spaziergänge in sichere Gegenden der näheren Umgebung meines Hotels. Schuhe habe ich dann doch noch gekauft, und zwar am Broadway. Keine Stiefel waren es, aber weiße Halbschuhe mit vielen Steppnähten, wie man sie in den Staaten zu Zeiten des großen Gatsby getragen hat. Diese Schuhe waren auf jeden Fall kein Sonderangebot, sondern echt teuer.

Auch eine SX 70 Polaroid kaufte ich mir in einem der vielen mit Kameras vollgestopften Elektronikgeschäfte rund um den Time Square. Die Sofortbildkamera war der neue Hit, weil sie flach zusammengeklappt schmal wie ein Taschenbuch war. Nun begann ich wie verrückt zu fotografieren, und das ging ins Geld, weil die Filme sehr teuer waren. Aber ich hatte nun ein neues Hobby neben der kleinen 8-Millimeter-Filmkamera. Mit ihr war das Filmen ziemlich umständlich, weil man unterwegs immer irgendwo in einer dunklen Ecke den Film einfädeln und nach viereinhalb Minuten Aufnahmezeit wieder herausnehmen und umdrehen musste, um wieder weiter filmen zu können. Das nervte. Trotzdem hielt ich all die Monate durch, und so brachte ich achtzehn volle Filmdosen mit nach Hause. Die neue Polaroidkamera dagegen war modern und schnell. Ich hatte sie deshalb ständig bei mir.

Aber es gab noch erfreulichere Dinge als eine neue Polaroidkamera. Eines Nachmittags - ich hatte es mir in meinem Zimmer gerade gemütlich gemacht und wollte deutsche Zeitungen lesen, die ich an einem Straßenkiosk gekauft hatte - klingelte das Telefon und Anne war dran. Wow! Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich dachte zwar oft an sie, aber ich glaubte nicht, dass sie mich anrufen würde. Diese Initiative hätte ich doch eher selbst ergreifen müssen. Anne war auch unsicher, das konnte ich hören. »Hi, Wulfgäääng«, sagte sie. »I‘ve heard you‘re back in town. How are you doin‘? How‘s the tour goin‘?« Sie fragte mich lauter höfliches Zeugs und drückte sich ums Wesentliche. Ich fragte, wann wir uns wieder sehen könnten und verriet ihr auch, dass ich oft an sie denken würde. Daraufhin lud sie mich zum Abendessen in ein Restaurant meines Geschmacks ein. Ich sollte wählen zwischen dem ›Edelweiß‹, einem deutschen Restaurant in Germantown, oder einem italienischen Pizzapalast in Little Italy. Wir könnten doch ein scharfes Chop Suey in Chinatown zu uns nehmen, schlug ich vor . Nach einigem Hin und Her sagte Anne dann, ich könne sie auch zu Hause besuchen, aber in diesem Fall solle ich bitte eine Flasche Weißwein mitbringen. Das gefiel mir wesentlich besser, weil ich ja sowieso ständig in Restaurants aß. Außerdem war ein Besuch bei ihr etwas Aufregendes, etwas viel Intimeres. So selten, wie wir uns sahen, da ich immer irgendwo unterwegs war, musste doch dabei schon was passieren. Diesen schönen Abend in öffentlichen Restaurants zu verbringen, wäre nur Verschwendung wertvoller Zeit gewesen. Also verabredeten wir uns für 21 Uhr in ihrem Appartement. Sie wohnte in einem weit entfernten Stadtteil, den ich nur mit dem Taxi erreichen konnte.

Wie ein Kind freute ich mich auf den Abend, badete mich und zog meine schönsten Sachen an. Auch die weißen Gatsby-Schuhe schnürte ich mir an die großen Füße. Viel zu früh war ich fertig und saß nun in vollem Schmuck vor dem Fernseher und guckte Soap. Ich wartete auf die richtige Uhrzeit für meinen Aufbruch zu Anne und stellte sie mir ständig vor meinem geistigen Auge vor. Sie war auf jeden Fall die schönste Frau, die ich kannte. Wie eine Mischung aus Johnny Wertmüllers Liane und Walt Disneys Pocahontas wirkte sie auf mich.

Erotik lag in der Luft, Melancholie und Regen lagen über der Stadt, meine Jacke lag bereit zum Überstreifen - da klingelte erneut das Telefon. Ich dachte sofort, Anne hätte es sich anders überlegt und wolle wieder absagen. So wenig Selbstvertrauen hatte ich damals, dass ich ständig alles in Frage stellte, was sich mir positiv anbot. Es war aber nicht Anne am Telefon, sondern Karl. Er rief aus Memphis an und berichtete von heißen Sexabenteuern mit seiner ›schwarzen Gazelle‹, die ihn ebenfalls zu sich nach Hause eingeladen hatte, während ihr Mann auf einer Konzertreise war. Aber das war doch eine Spur zu heiß, sagte ich dem Karl. Was wolle er denn machen, wenn der eifersüchtige Musiker plötzlich verfrüht nach Hause käme? Der würde Karl wahrscheinlich abmurksen. Ich beschwor meinen Freund, er solle wenigstens in ein unbekanntes Hotel außerhalb der Stadt wechseln und mit der Geliebten diskreter umgehen. Ich machte mir ernsthafte Sorgen um Karl. Der aber beschwichtigte mich, er habe alles im Griff. Als ich ihm von meinem bevorstehenden Rendezvous mit Anne berichtete, wünschte er mir einen amourösen Abend.

Mit dem Yellow Cab fuhr ich zu der Schönen. Unterwegs hielt ich noch an einem Laden, um eine Flasche italienischen Weißwein zu kaufen, die mir der Verkäufer sofort in eine braune Packpapiertüte einwickelte, als sei es etwas Verbotenes. Das Taxi hielt nach einer Fahrt von zwanzig Minuten vor einem schmalen Haus, das ungefähr in der gleichen Gegend lag, wohin ich mich verirrt hatte, als ich überfallen werden sollte. Hier also lebte sie, die rechte Hand von unserem Musikverlag. Konnte sie sich bei ihrer Stellung nicht eine bessere Wohngegend leisten, fragte ich mich. ›Famous‹ wirkte es hier jedenfalls nicht. Anne wohnte im zweiten Floor. Ich ging zu Fuß hinauf, es gab keinen Aufzug. In dem Viertel waren die Häuser höchstens vier oder fünf Etagen hoch. Das Treppenhaus war schummerig und schmal, genauso wie man es in amerikanischen Gangsterfilmen immer sieht. Durch die vielen Türen auf den Fluren schallte irgendwelche Musik oder TV-Lärm.

Anne öffnete nicht sofort auf mein Klingeln. Ich versuchte, einen gelassenen Eindruck zu machen, obwohl ich ganz schön aufgeregt war. Dann wurden verschiedene Schlösser und Riegel bewegt, und die Türe öffnete sich. Anne stand vor mir in einem himmelblauen, flauschigen Bademantel. Ihre langen schwarzen Haare waren nass und sie hielt ein Handtuch in den Händen. Barfuß stand sie vor mir und raubte mir den Atem, so schön war sie. Dass sie noch unter der Dusche gestanden hätte, als ich klingelte, sagte sie und bat mich aufreizend lächelnd in ihre Wohnung. Mit federnden Schritten lief sie über den dicken Teppich ihres Appartements. Bei jedem Schritt öffnete sich ihr langer Bademantel ein wenig und schenkte mir Ausblicke auf ihre schlanken braunen Beine und zierlichen Füße. Das erregte mich. Anne nahm mir die braune Tüte mit dem Weißwein ab und entkorkte die Flasche ruckzuck in ihrer kleinen Kitchenette. Es machte ihr offensichtlich Spaß, mich zu reizen. Keine Gelegenheit ließ das Biest aus, um mir immer wieder Blicke auf ihren grazilen Körper zu gewähren. Es war eine Freude, sie anzuschauen. Sie machte auch gar keine Anstalten, sich noch etwas mehr anzuziehen. Leicht wollte die Verführerische es mir anscheinend an diesem Abend machen. Sie schenkte den Wein in zwei langstielige Gläser ein, und wir prosteten uns zu. Anne setzte sich direkt zu meinen Füßen auf den Teppich. Sie zog die Beine an den zierlichen Körper und lächelte mich verführerisch an. Wir redeten und redeten, wir tranken und tranken, und ich bewunderte ihren offenherzigen Bademantel. Ich wusste genau, ich brauchte nur zu ergreifen, was sie mir anbot. Die Wassertropfen zeigten mir doch den Weg. Und Anne wollte es. Sie ließ den Kragen ihres Bademantels tiefer und tiefer über ihre zarten Schultern gleiten. Ich saß da wie versteinert auf dem Sofa und konnte es nicht lassen, ihre festen brünetten Brüste zu bewundern. Ihre Augen lockten. Aber weshalb tat ich nicht, was wir beide wollten? Was machte es mir so schwer, die Initiative zu ergreifen? Ich war total gehemmt und gelähmt. Wegen ihrer Schönheit. Wäre sie etwas weniger anmutig gewesen, wäre es mir bestimmt leichter gefallen. Instinktiv war ich wohl auf der Hut, mich in Anne zu verlieben, denn an einer Liebe zu dieser Frau hätte ich mich damals sicherlich verbrannt. Man bedenke: ich in Düsseldorf und Anne in New York, Tausende von Kilometern entfernt, das konnte einfach nicht gutgehen.

Auf jeden Fall aber wurde es ein Abend voller schöner Gespräche, tiefer Einblicke und gegenseitiger Komplimente. Eine Erotik lag in der Luft, die mir fast den Atem nahm. Spät in der Nacht waren wir beide müde vom vielen Erzählen und vom Wein. Ich ließ Anne ein Taxi rufen und fuhr ermattet und traurig in mein Hotel zurück, wo später im Bett meine rechte Hand das an mir erfüllte, was ich mir in meiner schärfsten Fantasie von Anne ausgeführt vorstellte. Irgendwie war ich doch nicht zufrieden mit mir. Hatte ich sie enttäuscht? Mich? Hätte ich vielleicht doch ...

Als Karl einige Tage später mit dem Flugzeug aus Memphis zurückkam, erzählten wir uns aufgeregt unsere Erlebnisse. Karl hatte alles bekommen, wonach er sich gesehnt hatte, und noch so einiges mehr. Er jedenfalls war glücklich. Über mich musste er allerdings herzhaft lachen. In seinen Augen hatte ich komplett versagt. Das empfand ich jedoch nicht so. Ich redete mir einfach ein, ich hätte einen Sieg über mein Begehren errungen. Dennoch war ich ein wenig neidisch auf Karl, der nicht so zimperlich gewesen war.


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