Kitabı oxu: «Ich, Alexander. Liebling der Götter.», səhifə 2

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Ich bin mir fast sicher, lieber Freund: Aus Kultur entsteht Gemeinschaft und aus Gemeinschaft entsteht eine neue Kultur. Man kann Kultur natürlich sehr individuell definieren, denn das Erlebnis und die Bedeutung von Kultur ist doch in den meisten Fällen etwas sehr Persönliches. Was Kultur für uns bedeutet, wird uns häufig sehr bewusst, wenn wir andere Kulturen erleben, so, wie wir sie hier erleben: Es hat uns geprägt, ich glaube sogar verändert. In den letzten Kriegsjahren haben wir feststellen müssen, dass es oft schwierig sein kann, zu bestimmen, was Kultur für einen bedeutet, wenn man aus seiner eigenen Kultur herausgerissen wird. Dann kommen die bohrenden Zweifel. Was ich mich frage, ist dies: Was ist unsere Kultur? Was bedeutet sie für mich und die anderen? Hat sich meine Kultur verändert durch unsere zehnjährigen Eroberungen vieler fremder Völker, in denen wir keine Ruhe fanden? Diese Fragen müssen wir mit den besten Köpfen unserer Zeit diskutieren und analysieren. Wir müssen uns austauschen und die Ergebnisse niederschreiben, damit sie überliefert werden können. Denn ich bin mir sicher, dass es auch in fernen Tagen zu neuen Eroberungen kommen wird, wenn neue Reiche entstehen und neue Kulturen dominieren. Denn Krisen wird es immer geben. Der Friede ist eine Wohltat auf Zeit, doch wir müssen uns hüten, aus jeder Krise gleich eine Katastrophe zu machen. So bin ich sicher, dass die Zukunft den Pragmatikern gehören wird, den Homo Faber. Sie aber befinden sich in einem Wettstreit mit dem Homo Sapiens. Daher müssen wir die aktiven Veränderer sein, erst dann wird eine neue Ära zu beschreiben und zu reflektieren sein.

Wir schreiben eine Art Tagebuch, mehr noch: die Erinnerungen eines Mannes aus dem unwegsamen Makedonien im Nordosten Griechenlands. Nicht nur der kühne Eroberer und der Mensch Alexander werden zu Wort kommen, sondern auch der Befreier beispielsweise Ägyptens vom Joch der Perser. Das wird immer schnell vergessen, wenn Chronisten über mich und mein Großreich urteilen. Die Ägypter haben mich jubelnd zu ihrem Pharao gewählt - man muss sich das vorstellen. Ich überließ den Ägyptern ihre Sitten und Kulte und wurde von Stunde an von den Menschen als ihr neuer göttlicher Pharao verehrt. Ich gründete im Nildelta meine Stadt, Alexandria, die sich zu einer der bedeutendsten Städte des gesamten Mittelmeerraumes entwickeln wird. Ist das nicht wunderbar? Viele glauben, ich sei nur der primitive Schlagetot, der herzlose Wüterich, einem Ungeheuer auf zwei Beinen ähnlich. Der Sohn eines tyrannischen Barbaren. Ich sei ein Berserker wie mein Vater Philipp! Das ist nicht wahr: Ich habe inzwischen den Beginn des Hellenismus proklamiert. Viele begreifen noch nicht, was ich darunter verstehe: Hellenismus - das kann sogar eine neue Religion werden, sicher aber eine neue Kulturepoche, basierend auf griechischem Denken und den positiven Einflüssen anderer Völker, ein neues grandioses Zeitalter, vergleichbar dem des Perikles, geboren im Heute für das neue Morgen.

(Alexander setzt sich wieder)

Wir müssen reinen Tisch machen und den Mut aufbringen, etwas ganz Neues zu schaffen. Wer, wenn nicht wir. Ich habe viel von meinen Feinden gelernt, wie Aristoteles voraussagte, denn die Logik macht erst einen gebildeten Menschen aus: Aus Nichts kann nichts entstehen! Er sagte: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge.“ Recht hat er: Viel Tod, viel Gewalt, viel Leid und Zerstörung, aber auch neues Leben blüht aus den Ruinen. Und er sagte auch: „Ich bin nicht wie Nestor, der die gute alte Zeit verherrlicht. Ich sehe das Heute und das Morgen. Und beides bist Du, Alexander, das strahlende Heute und das bessere Morgen!“

Viele kluge Menschen glauben, wir hätten die Naturgewalten gezähmt wie wilde Tiere in einem Käfig. Nur, weil wir elegante Kleidung tragen, in Palästen leben, Vieh züchten, Münzen prägen, das Erz schmelzen und zu Waffen schmieden, Seide aus Raupenfäden herstellen und Glas blasen können zu fragilen Gefäßen. Das ist ein Irrtum, die Natur ist stärker als wir Menschen, denn sie ist das Werk der Götter und wir sind nur ein Teil der Natur - allerdings klüger als die Vierbeiner. Dabei: Oft ist ein Pferd schlauer als ein dummer Mensch, wie mir scheint. Ein Pferd ist lernfähig, ein Idiot niemals. Das ist ja der Jammer unserer Tage. Ich wiederhole diesen Spruch sehr gerne: Das Volk ist dumm, wäre es gebildeter, es wäre nicht klüger. Du weißt, viele dumme Menschen sitzen auf Thronen und glauben schlauer zu sein als ihre gescheiterten Vorgänger. Das Spiel um die Macht wiederholt sich durch alle Zeiten hindurch. Schau Dich um in unserer Welt, sie wimmelt wieder von Despoten, Egozentrikern, Lügnern, Wichtigtuern und Gernegroßen. Was wir an angeblich bedeutenden Dingen schaffen, bleibt immer nur Menschenwerk. Ich habe lange gebraucht, um das zu begreifen, aber mein Lehrer wies mich an, es nie zu vergessen: „Der Mensch lebt nicht von Brot allein!“ So habe ich denn beschlossen, im zweiten Teil meines Lebens positive Spuren zu hinterlassen, von denen die kommenden Generationen sprechen werden. Denn ich will unseren zehnjährigen, sorglosen Umgang mit dem Tod und dem Töten beenden. Diese Dekade war angereichert mit Triumphen und Entbehrungen, war so intensiv sie reicht normalerweise für ein ganzes Leben!

Wir leben nun in einer Periode, in der unsere bereits sehr fortgeschrittene Kultur mit den Kulturen des Orients verschmilzt. Denn ein tiefer Sinn steckt in den alten Bräuchen der Völker, in ihren überlieferten Mythen, Sagen und Legenden. Hieraus ergibt sich dann eine einzigartige Verbindung von griechischer, europäischer und ägyptischer, von persischer und indischer Kultur. Ich meine die Wissenschaft und die Waffentechnik ebenso wie die schönen Künste, die Philosophie, die Architektur, die Physik und die Medizin. Wann hat es jemals solch einen kühnen Plan gegeben? Hat es jemals einen Mann gegeben, der außer mir - diesen Plan verwirklichen könnte? Erinnere Dich, mein Lieber, wie wir das unbesiegbare, uneinnehmbare Tyros, einer der Haupthäfen der persischen Flotte und legendäre Inselfestung, nach sieben Monaten Belagerung schließlich besiegten. Von da an sank der Stern des persischen Großkönigs - und meiner stieg auf! Wieder fällt mir heute ein Spruch ein, den ich von Aristoteles hörte: Dem Tapferen hilft oft das Glück! Doch heute weiß ich auch: Das eigene Glücklichsein liegt ebenfalls im Glücklichmachen anderer! Ich denke, Du verstehst mich . . .

Es wird Zeit, dass ich da einiges geraderücke, denn vieles von dem, was sie über mich erzählen, stimmt so nicht. Es entsteht ein falsches Bild von mir und unsere Zeit, meine Taten und über die Wiege des Abendlandes, wie man Griechenland schon heute nennt. Das darf nicht sein! Niemals! Es käme der Wahrheit nicht nahe und würde die Geschichte verfälschen, was ja so oft und gerne praktiziert wird. Es ist ein Jammer: Die tatsächliche Wahrheit weicht dem Gefühl und somit einer gefühlten Wahrheit, wie die Dichter sie für ihre Werke nutzen. Auf diese Weise werden falsche Nachrichten in die Welt gesetzt, Lügen und Verleumdungen. Das ist unerträglich, aber bei einigen unserer derzeitigen Herrscher üblich, und nur aus dem Grund, um von eigenen Defiziten abzulenken. Es ist nun einmal so, dass die Bilder im Kopf vieler Menschen haften bleiben, auch wenn es falsche Bilder sind. So betrifft mich das ebenso: Es sind die Auslegungen neidischer Leute, die alles zu wissen glauben, obwohl sie mich nicht einmal kennen. Sie urteilen über meine Taten, ohne in meine Seele geblickt zu haben, ohne meine Empfindungen zu kennen. Sie geben vor, mich zu kennen, obwohl sie nie mit mir gesprochen haben. Ihr Bild von mir kann also nicht stimmen!

Schreibe es so auf, mein Freund: Ich will meinen Untertanen, die aus sehr verschiedenen alten Kulturen stammen, nicht nur König sein, ich möchte ihnen Hoffnung geben, Wohlstand, Motivationen und Visionen für eine große, glückliche und gerechtere Welt. Als ein Heilsbringer will ich mein Viel-Völker-Reich regieren. Wie ein Liebling der Götter. Ich, Alexander, dem Makedonien als Königreich zu klein geworden war. . .

Das mag für viele arrogant klingen, aber die Frage ist doch zu stellen: Was bedeutet Größe? Was Fortschritt und Zivilisation? Nach den Grauen der vergangenen Kriege, die wir führten, müssen wir um Vertrauen werben und die geschlagenen Völker nicht quälen und weiter ausbeuten, wir müssen ihnen Mut machen für eine neue Zukunft in Frieden und Wohlstand. Darauf müssen wir neue Antworten geben. Es muss ein Gemeinschaftswerk, ein Friedenswerk sein, das ich anstrebe. Ich habe mich nie mit Kleinigkeiten abgegeben. Das überlasse ich gerne den Spießern, den Nationalisten und ewig Gestrigen. Ein Eroberer ist immer auch ein gefürchteter, gewalttätiger Schlächter. Ja, das ist wohl so. Das alte Europa kann ein Lied davon singen. Das muss nun aufhören. Es darf nicht sein, dass wir jedes Mal die alten Kulturen und die prächtigen Städte zerstören, die Menschen niedermetzeln, die Frauen schänden und die Kinder versklaven. Das ist der falsche Weg zu einem neuen großen Europa, an das ich glaube. Ich weiß nicht, warum mir diese Vision seit einiger Zeit vorschwebt. Sind es vielleicht die vielen Toten, die uns auf unserem Weg begleitet haben? Eine Form von schuldhafter Erkenntnis vielleicht? Wie auch immer: Meine Vision ist ein friedliches Europa freier Völker unter einem Dach. Es müssen Neid und Missgunst, Gewalt und Unterdrückung gegenüber allen Völkern in Europa ein Ende haben. Auch in Asien und im Nahen Osten. Wir müssen unsere Kräfte bündeln für eine erfolgreiche Zukunft, von der wir alle gemeinsam profitieren werden. Der Handel und der Austausch der Wissenschaft werden für einen ungeahnten Wohlstand sorgen. Auch bei den noch unterentwickelten, barbarischen Völkern in den garstigen Ländern des Nordens und des Nordwestens, wo vor uralten Zeiten das ewige Eis jede Entwicklung verhinderte und erst die gewaltige Schmelze neues Leben ermöglichte. Aristoteles sagte es überdeutlich: Die Völker, die in den kalten Gegenden wohnen, sind zwar mutig, ermangeln aber einer höheren Kultur. Sie erhalten sich zwar dauernd ihre Freiheit, sind aber zur Staatsbildung unfähig und daher auch nicht imstande, ihre Nachbarn zu beherrschen.

Ich sehe es deutlich vor mir: Es wird jetzt eine Zeit der Seefahrer und mutigen Entdecker neuer Länder und fremder Welten anbrechen. Da bin ich mir sicher. Die Zeit ist jetzt reif: Wir müssen für diese grandiose neue Welt heute den Grundstein einer neuen Zivilisation legen, indem wir uns mischen, unsere Völker und unsere Erkenntnisse. Ich sehe diese blühenden Landschaften vor mir in einer Welt des Friedens. Ja, Dein Alexander als Friedensfürst, als Verheißung einer prächtigen neuen Zeit, in der jeder seinen Platz finden kann. Mein großes Ziel ist nicht nur Glück zu erlangen, sondern Unglück zu vermeiden. Aus den vielen Schwächen müssen Stärken erwachsen. Wir haben in Europa eine lange Tradition, den Einfluss von Kraft und Handel und Kultur in Einklang zu bringen und dabei künftig dem Individuum Raum zu bieten. Diese kulturelle Prägung ist Europas großer Vorteil bei der Gestaltung der Zukunft. Es darf nicht heißen wie bisher: Griechenland zuerst, sondern Griechenlands Errungenschaften für alle! Das soll uns mit Stolz, nicht aber mit Arroganz erfüllen.

Aristoteles lehrte mich vor allem, dass ein Mann nur dann Erfolg haben kann, wenn er über ein wichtiges Talent verfügt: die Risikobereitschaft. Siege sind immer riskant. Das Risiko zu kalkulieren, es zu minimieren und mit Neugierde und Ehrgeiz zu verbinden - das bringt den Erfolg. Und natürlich die Treue meiner Männer, meiner kampferprobten Truppen, ohne die mein Talent und mein Mut nur wenig hätten ausrichten können. Diese Armee ist wie unsere Phalanx aus einem Guss, ihre Stärke ist ihre Begeisterung für ihren jungen Feldherrn, dem sie ihr Leben blind vor Bewunderung anvertrauen. Noch auf dem Schlachtfeld von Gaugamela, als wir in das Herz Persiens vorstießen, riefen sie mich zum König von Asien aus! Ist das nicht wunderbar, in diesem taumelnden Jubel zu baden? Harte Männer weinen zu sehen vor Begeisterung? Ich gebe zu, mich freut das ungemein. Es gibt mir das Gefühl, alles richtig zu machen.

Hast Du das, Hephaistion?

Blicke mich nicht so ungläubig an. Was ich Dir hier anvertraue, sind sehr intime Gedanken und Pläne. Das gebe ich zu. Aber ich werde all meine Kraft und Autorität einsetzen, um diese neue Welt zu gründen. Sie wird Hellenismus heißen! Vielleicht ist es das, was von mir übrigbleibt, wenn ich eines Tages, die Götter mögen mir noch eine längere Weile des Erdendaseins gönnen, sterbe. Solch einen ungewöhnlichen Plan zu realisieren, bedarf es ausreichend Zeit. Wir haben getötet und gewütet auf unserem Weg durch Persien, aber wir haben uns gerächt für viele Jahrzehnte der Schmach und der persischen Gewalt gegenüber uns Hellenen. Ich zahlte nur zurück, was uns widerfuhr! Und ich rächte Meineid, denn die Perser hielten sich nie an Verträge. Ihr Hochmut sorgte letztendlich für ihren Fall.

Nun ist das Ziel erreicht, nun möchte ich versöhnen, Frieden halten mit den Provinzen in Nah und Fern, Frieden stiften für alle Völker und zwar aus der Position des Stärkeren. Wir haben die Erde verbrannt und vieles zerstört, also müssen wir die Welt reparieren durch eine neue Botschaft, vielleicht entsteht aus dem Hellenismus eines Tages durch unsere Gelehrsamkeit eine Form des Humanismus. In unserer bekannten Welt, die wir auf Gedeih und Verderb seit Anbeginn untereinander aufteilen, sind die tiefen Wunden, die wir schlugen, noch lange nicht verheilt, sie bedürfen eines Retters , eines modernen Erlösers, der die Welt von Morgen der Menschheit als etwas Gutes zurückgibt. Dieser Retter möchte ich sein und diesem Ziel meine ganze Energie widmen. Mit einer Handvoll Gleichdenkender, Gleichfühlender, Gleichhandelnder.

Die Götter mögen meinen Wunsch erhören, denn ich brauche sie und ihr Wohlwollen, obwohl ich nicht täglich die heiligen Tempel aufsuche wie diese falschen Gottesanbeter. Doch es muss zur Not auch ohne sie gehen, denn die Götter des Olymps ähneln doch uns Menschen sehr, auch sie sind voller Neid und Machtstreben, sie benehmen sich wie Menschen, das kann auf Dauer nicht gut gehen. Denn wenn Götter sich wie Menschen benehmen, dann müssen sie scheitern, weil sie ihre Göttlichkeit verlieren in den Augen ihrer Völker. Götter müssen Götter bleiben, sonst droht ihnen die Götterdämmerung!

Ist dieser Gedanke zu anspruchsvoll, lieber Freund? Zu anmaßend oder gar verrückt? Wir könnten, wenn wir es wollten, ein Großreich werden, indem jede noch so unterschiedliche Nation ihre eigene Entwicklung beibehalten soll, unter dem Dach des vereinten Griechenlands, als ein treues Bündnis der heutigen Welt für die Welt von Morgen. Nicht gegeneinander, sondern miteinander bei Beibehaltung der eigenen nationalen Kultur, der fremden Götterwelten und der Besonderheiten. Wir bieten diesen verschiedenen Völkern militärischen Schutz in einem neuen, fairen Bündnis, das mindestens ein Säkulum halten soll!

Denn dies ist die Vergangenheit: Ich habe mich zehn lange Jahre für diesen großen vaterländischen Krieg gegen die Perser vorbereitet und wiederhole es gerne - selten ist ein Prinz so gut auf den Thron vorbereitet, besser: gedrillt worden. Ich bin ein guter Jäger, ein mutiger Kämpfer, der immer in der ersten Linie an der Seite seiner Männer steht, und ein kühner Reiter, der schon als Jüngling in einer schweren Schlacht die Reiterei seines Vaters erfolgreich angeführt hat. Ein Mann, der sich von den Göttern erwählt wähnt und es den Heroen Homers nacheifern will. „Ein Herrscher, verzehrt von seiner Leidenschaft nach Ruhm", wie Chronisten und Kriegsberichterstatter behaupten. „Er ist ein noch junger König, dessen Charisma jedoch erfahrene Heerführer seiner Armee ebenso verzaubert wie die gedrillten Fußsoldaten aus den rauen Bergen Makedoniens, die schmerzfreien Schwertkämpfer aus Sparta und die furchtlosen mykenischen Elitereiter.“ Sie alle folgen mir ohne Murren, obwohl ich sie schinde und von einer Schlacht in die andere jage. Sie werden gut bezahlt, weil sie begriffen haben: Wer siegt, darf plündern! Wenn sie ihre Speere oder Schwerter gegen die bronzenen Schilde schlagen und der Kriegsruf laut erschallt, dann sind sie motiviert, sogar ihr junges Leben für ihren König hinzugeben. Dieses erhabene Gefühl kann ich nicht beschreiben, es trifft mein Herz mit voller Wucht und macht mich stolz, diese Armee anzuführen.

Schon in der Schlacht bei Issos wurde deutlich, was mich von anderen unterscheidet und zu einem einzigartigen Eroberer werden ließ: Die für mich typische Kombination aus listenreicher Planung und tolldreistem Genie, meine Kampfsucht in vorderster Linie mit meinen Kriegern und mein unerschütterlicher Glaube daran, dass unter allen Menschen die Götter gerade mich für diesen größten Krieg aller Zeiten erwählt haben. Ich habe nicht nur das Königreich Makedonien geerbt, sondern auch den Krieg gegen die verhassten Perser, die seit zweihundert Jahren in Griechenland wüteten. Immer wieder und immer brutaler - sie plünderten vor einigen Jahrzehnten sogar Athen selbst. Das ist nun vorbei.

Dein Alexander, mein Freund, ist nach zehn Jahren Kampf und Sieg ein anderer Mensch geworden. Ich lege den berühmten Speer meiner Vorfahren, das geweihte Eisen Makedoniens, beiseite, weil ich andere Pläne verfolgen werde. Das wird die Völker aufhorchen lassen. Meine Kritiker werden verstummen, sie werden mich verstehen müssen, mich und meine neuen Gedanken. Ich hoffe nur, mir bleibt genug Zeit, meine Visionen tatsächlich zu realisieren.

Hephaistion, sterbe ich zu früh, wird es einen Krieg um mein Erbe alle gegen alle geben . . . ich muss eine für alle akzeptable Lösung finden und als mein Testament bestimmen. Eigentlich müsste es der Stärkste sein. Es müsste einer wir ich sein. Doch das gibt es nicht. Leider! Ich benötige dazu Deine Hilfe – und die von Aristoteles. Wenn er doch nur hier in meiner Nähe wäre!

Mein guter Chronist: Ich schreibe, also bin ich. Vielleicht ist dies auch ein Hauch von Wichtigtuerei oder die belächelte homerische Ruhmessucht, die manch einen befällt. Also schreibe, guter Hephaistion: „Ich bin der Herr der Welt. Bin König, Pharao, Maharadscha und Sultan in einer Person.“ Sie sollen wissen, dass ich die meisten Mitglieder meines Hofstaates nicht mehr ernst nehme, weil sie den Beweis erbringen, dass Erfolg und Reichtum den Charakter verändern. Einige meiner Freunde sind stehen geblieben auf ihrem alten Wissen. Sie denken wie vor zehn Jahren, als sei nichts geschehen. Sie denken wie alle Sieger - nur ans Prassen, Saufen und Huren. Sie häufen ihre Reichtümer zu Bergen, sie werden zunehmend fett an Leib und faul an Seele und vernachlässigen ihre Aufgaben, die ich ihnen übertragen habe, um ein so großes Reich überhaupt regieren zu können. Kein König kann das alleine schaffen. Also muss er sich auf seine Minister und Generäle und Berater verlassen. In letzter Zeit entdecke ich bei meinen Führern und Statthaltern, die ein so großes Reich an vielen Orten in meinem Namen regieren, eine Fülle von Schwächen, Fehlern und sogar Anzeichen einer Misswirtschaft. Ist das der Beginn einer schleichenden Dekadenz, vor der Aristoteles immer wieder in seinen Lehrstunden uns Studenten gewarnt hat? Die Frage also: Macht absoluter Luxus faul und träge und widerspenstig? Dabei bin ich ihnen ein Vorbild: Ich trainiere, wie Du ja weißt, täglich meinen Körper und übe mich in den verschiedenen Waffengängen. Ich lese viel und liebe die Diskussion, den Wettstreit der Gedanken. Das wohl, aber ich trinke an manchen Tagen und Nächten zu viel und nehme außerdem zu viel von der Droge Opium, dieser beliebten Göttergabe, um meine Sorgen zu vertreiben und meine Schlafstörungen zu betäuben. Wer niemals einen Rausch hatte, der ist kein braver Mann, sondern ein Spießer! Nur vor einer Schlacht trinke ich Tage vorher keinen Tropfen, nehme kein Opium und benehme mich sehr diszipliniert und konzentriert.

Wie also kann ich meine Führungsriege besser motivieren, um all die großen Pläne zu verwirklichen? Das Lotterleben macht sie fertig. Es ist schon merkwürdig: Wenn es heißt, wir ziehen in den Krieg, dann marschieren sie, bereiten sich bestens auf die Schlacht vor und sind wieder das, was griechische Soldaten auszeichnet: Tapfere Helden, stark und ideenreich im Kampf um den Sieg. Doch nach dem Sieg setzt das süße Leben wieder in einer Maßlosigkeit ein, die mich schockiert. Bin ich auch so? Ich werde das ändern müssen. Ich muss den Freunden neue Aufgaben zuteilen, die dem Großreich dienen. Noch einmal, Hephaistion, ich stelle mir oft die Frage: Habe ich noch genügend Zeit, meine Visionen zu realisieren? Wie alt muss ein Mann werden, um das alles zu schaffen, was er plant?

Hast Du das notiert? Schreibe es genauso nieder, auch wenn es Dich verwirren sollte! Meine Worte werden die Meute aufheulen lassen, ja, sehr wütend machen. So will ich es haben! Denn was höchste Macht tut, ist immer Recht. Aristoteles drückte es anders aus: „Dein großer Feldzug gegen die nimmersatten Perser ist ein bedeutender Rachefeldzug für die vielen Toten, die verheerenden Verwüstungen, die Raubzüge und Demütigungen der Hellenen in den vergangenen Jahrzehnten. Was Du also tust, mein Prinz, ist nur folgerichtig. Vollende damit ein gutes Werk. Und denke immer daran: Der Beweis von Heldentum liegt nicht im Gewinnen einer Schlacht, sondern im Ertragen einer möglichen Niederlage. Die erhabenen Götter mögen Dich schützen!“

Du lächelst, schweigst aber. In Deinen großen, dunklen Augen, sehe ich Bewunderung aufleuchten. Ich spüre, wie Du eine Deiner sonst so flapsigen Bemerkungen hinunterschluckst. Hephaistion, Du nickst mir zu, als wolltest Du mich anspornen. Das ist gut. Es gibt mir Mut und Kraft, mich zu konzentrieren.

(Alexander erhebt sich und umarmt seinen Freund)

Schreibe also weiter, etwas ganz Intimes: Ich liebe Dich, mein schöner Freund, den schönen, jungen Körper des knabenhaften, wenngleich muskulösen Makedoniers, den meine Wache vor zehn Jahren zu mir brachte, als sie ihn in der Nähe des Palastzeltes in Lykien, gemeinsam mit sechs weiteren Jünglingen in voller Bewaffnung, aufspürten. Er, mir schon aus Kindertagen bekannt, aus gutem makedonischen Landadel, sei mir gefolgt, um an meiner Seite zu kämpfen, berichtete er mir später. Er habe den Aufmarsch und die Abreise meiner Armee verschlafen, genauer, im weinseligen Rausch und in den weichen Armen einer schönen Geliebten verpasst. Seit dieser Zeit ist er mir ein höchst begabter General für den lebenswichtigen Bereich Nachschub und Verpflegung, ein treuer Ratgeber und mein kundiger Schreiber. Dein erster Rat, mein guter Hephaistion, den ich sofort befolgte, war klug: Die eroberten Städte des lykischen Städtebundes nicht zu zerstören, sondern zur Treue zu verpflichten, um bei einem späteren Rückmarsch nach Griechenland über genügend Proviant und Ausrüstung zu verfügen. Wörtlich sagtest Du damals: „Verbrannte Städte haben keine Vorratskammern!“ Smyrna ist heute eine blühende Stadt an der Westküste Kleinasiens dank Deiner klugen Voraussicht.

Wir beide haben seit dieser Zeit ein enges freundschaftliches Verhältnis, das ist wohl wahr, wir lieben uns sogar ab und zu im königlichen Bett, doch wir lieben auch unsere Frauen. Blick nicht so erstaunt, mein Freund, schreibe es nieder! Jeder kann es wissen . . . muss es wissen! Du bist ein wichtiger Teil meines Lebens. Ein besonders wichtiger, denn das Natürliche ist nicht anstößig, meint auch Euripides. Unsere Liebe, diese homoerotische Begeisterung zweier junger Männer, die sich wie junge, ausgelassene Stiere lieben, wie junge Hengste sich mit einer wunderbaren Zärtlichkeit begegnen, das ist eine Erfahrung, die niemand begreift, der nicht begreift, was Liebe zwischen Männern bedeuten kann. Die Götter scheinen uns erwählt zu haben, indem sie uns zusammenführten. Aristoteles bezeichnete die Liebe zwischen zwei Männern als ein Ziel der naturgegebenen Verbindung. Für ihn schließen Menschen Ehen nicht nur zum Zwecke der Kindererzeugung, sondern zum Zweck des Zusammenlebens. Wie in guten Freundschaften sollen Nutzen, Lust und sittlicher Gewinn in dieser Verbindung zu erhoffen sein. Männer und Frauen sollen ihre Form des Zusammenlebens wie Freund und Freund gemäß den Regeln der Gerechtigkeit suchen. Folgt man dieser Definition, ist Freundschaft zwischen Männern und Frauen eine erstrebenswerte Basis für Liebesbeziehungen, für Ehen oder Lebenspartnerschaften. Ich finde, mein guter Freund, Liebe ist Freundschaft plus. Plus Vergnügen, Akzeptanz, Vertrauen, Respekt, gegenseitige Hilfe, Verstehen, Verlangen, Spontaneität und Zutrauen. Alle diese Charakteristika treffen auch auf die Männerliebe zu, allerdings kommen zwei Dimensionen hinzu: die Leidenschaft, also Faszination, sexuelles Verlangen, Exklusivität und die Anteilnahme. Sie wird sogar gefördert - und Liebesbeziehungen sind folglich als Freundschaften anzusehen, sie unterliegen immer der Macht des Eros. Eros also auch, wenn kein körperliches Verlangen vorliegt, sondern eine gegenseitige Begeisterung für den jeweils anderen.

(Alexander geht wieder auf und ab)

Unser enges Verhältnis begann in den gewaltigen Ruinen von Troja: Hier, an diesem Heiligen Ort - wer nie dort gewesen ist, versteht die Magie der zerstörten Stadt nicht und den Mythos der Steine - opferten wir feierlich - ohne auf jemanden Rücksicht zu nehmen und zum Leidwesen der fanatischen Priester - einen gewaltigen kretischen Stier den beiden strahlenden Helden Achilles und Patroklos, beide enge Freunde und vielleicht auch ein Liebespaar. Am Grabe des Achilles in Sigeum huldigten wir den beiden Helden: Denn dem Gleichen nähert sich stets der Gleiche. Das Achilleon ein großer Hügel, dicht am Meer gelegen - trägt folgende Inschrift:

Dies ist des Achilles Grab: dem künftigen Troja zum Schrecken

setzten die Griechen es hier an den Trojanischen Strand.

Sohn der Meeres-Göttin, Du liegst am Ufer begraben,

dass Dir die Welle des Meeres rausche Dein ewiges Lob.

Wir verehrten ebenso - bis heute - einen Mann, der unsterblich geworden ist, ohne je ein Schwert geführt zu haben: den weisen Homer, den Dichter. Wir wollten so sein wie Achilles gewesen war, er wurde unser Vorbild. Wir wollten unter den Ersten die Besten sein. Ich sagte damals, als wir auf dem Tumulus des Achilles standen, gerührt und ergriffen zugleich, mit glühenden Worten der Verehrung, aber auch mit einem Anflug von Verzweiflung: „Glücklicher Achilles, dass Du einen Dichter wie Homer als Autor Deiner Heldentaten gefunden hattest! Wer wird mein Berichterstatter, wer wird mein Homer sein?“ Vielleicht wirst Du es eines Tages, lieber Hephaistion, wir beginnen ja schon mit meinen Aufzeichnungen.

Achilles ist für uns bis heute eine der schillerndsten und zugleich attraktivsten Figuren im Mythos um den trojanischen Krieg. Wie kaum ein anderer Heros der griechischen Mythologie wird sein Leben, Lieben und Sterben durch die Jahrhunderte bis heute beleuchtet. Entsprechend hat sich jede Epoche ihr eigenes Verständnis vom Helden Achilles erschlossen und ihn gemäß den jeweils aktuellen Interessen wieder für sich neu erfunden. Wir tun das ja auch, Hephaistion. Ergebnis: Ich möchte so sein wie er war. Jedenfalls ist das meine aktuelle Meinung. Und Deine auch.

Lieber Hephaistion, Troja - das war für uns beide wie ein Rausch der Seelen in jenen Tagen. Noch ahnten wir nicht, was uns auf unserem Feldzug erwartete. Wir waren voller Euphorie, suchten den heldenhaften Kampf und die Schätze des Orients, von denen wir gehört hatten. In Troja sah ich sie vor mir, die unsterblichen Helden, deren stolze Frauen und uns Griechen, wie wir vergeblich die Mauern der Stadt anrannten, ohne wirklich Erfolg zu haben. Die Bilder liefen durch meinen Kopf bis ins kleinste Detail. Wir feierten daraufhin ein großes, ausgelassenes Fest zu Ehren der Unsterblichen und lasen aus der Ilias mit verteilten Rollen. Götter, wie waren wir glücklich! Wohl wissend, was uns bald an Strapazen, Tod und Trauer erwartete. Ich werde Troja, diesen heiligen Ort, nie vergessen!

Du erinnerst Dich sicher, mein Freund, dass wir in jenen Tagen auch die Frage diskutierten, die uns bis ins Jetzt verfolgt: Wo war Odysseus nach dem Sieg über Troja wirklich? Ein so kluger und mutiger Mann kann doch unmöglich zehn Jahre durch das Mittelmeer geirrt sein, um erst dann nach Ithaka zurückzukehren. Zehn Jahre in diesem doch eher kleinen Meer. Wo also landete und lebte er in all diesen Jahren, auch wenn die Götter seine Reise, ohne Gnade walten zu lassen, bestimmten? Er war ein guter Kapitän, wie jeder Inselherrscher. Lag er in den Armen einer schönen Frau und vergaß sein Weib Penelope, das auf ihn wartete? Sicher ist, dass er ohne Zweifel an den Küsten Afrikas landete, an der Küste Iberiens ebenso, er war sicher auch in der griechischen Hafenstadt Massalia und in den weiteren Ablegern wie in Antipolis, Glanum, Nikäa. Alle Küstenbereiche des Mittelmeeres waren mit griechischen Ortschaften besiedelt, in denen sich Odysseus mit Sicherheit ebenfalls aufhielt. Er benötigte ständig neues Segelzeug, Proviant, frisches Wasser, Kleidung, Waffen und vieles mehr in den zehn Jahren seiner Odyssee. Die Frage ist, ob er auch an den Säulen des Herakles vorbeisegelte, die Europa von Afrika nur durch wenige Seemeilen trennen? Wir wissen es nicht! Aber wir vermuten es!

Einem Mann wie Odysseus, zudem auch noch Liebling der Göttin Athene, bedeutete der Befehl des Herakles an die Seefahrer: „Nicht mehr weiter“, der das Ende der Welt signalisieren sollte, kein Hindernis. Ich bin sicher, dass er weitersegelte. Platon siedelte sogar sein mythisches Atlantis, es soll das Paradies Poseidons gewesen sein, das bisher niemand je entdeckt hat, hinter der Meerenge an. Dieses unbekannte Reich soll, so geht die Fama, wegen der Hybris, der Gier und der Arroganz ihrer Herrscher - durch den erzürnten Zeus im Okeanus untergegangen sein. Niemand hat Atlantis je gefunden, es ist dann doch wohl nur eine Erfindung des guten Platon gewesen, das warnende Trugbild eines himmlischen Fantasie-Ortes, eine Fabel - als Ziel für uns Menschen erstrebenswert, doch unerreichbar für einen Sterblichen. Wir wissen es nicht. Vielleicht war Odysseus selbst in dieser Inselwelt, nur Homer wusste ebenfalls nichts von diesem wunderbaren Eiland, denn er lebte lange vor Platon. Jeder, der das Land der Iberer durchquerte, erzählte von dem „riesigen Meer“, das er vor sich sah: „Ein Meer, so groß, so weit wie der Himmel über uns.“

Pulsuz fraqment bitdi.

12,31 ₼