REJ - Der spezielle Gefangene

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REJ - Der spezielle Gefangene
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REJ - Der spezielle Gefangene

1  Widmung

2  0 - Anklagepunkte

3  1 - Arzt oder Arsch

4  2 - Widerstand ist doch zwecklos

5  3 - Ich bin wie ein Fahrstuhl

6  4 - Erniedrigung und der Gnom

7  5 - Der Müde, der Köter und der Experte

8  6 - Gnom und Grillgemüse

9  7 - Xenon an Rej, sind Sie noch im Orbit?

10  8 - Kaffeeklau

11  9 - Herr Sadist und Herr Terrorist

12  10 - Dämmerung

13  11 - Hering unter Haien

14  12 - Den Tod verdient

15  13 - Ich bin Krankenpfleger, keine OP-Schwester

16  14 - Nicht pflegeleicht und nicht sympathisch

17  15 - Aber die Kinder!!

18  16 - Mot? Echt jetzt?

19  17 - Wozu das ganze?

20  18 - Freiheit und Konsequenz

21  19 - Ein Höllentag

22  20 - Was zum Henker...?

23  21 - Badeente

24  Glossar

25  Bild der Hauptpersonen

Widmung

...gewidmet den heiligen Spindinhabern,

den geometrischen Formen

und dem Möbelhaus-Tribe...

0 - Anklagepunkte

"Herr Lio'Ta, was wollen Sie noch zu Ihrer Verteidigung vorbringen?"

Der Angeklagte war fast dankbar darüber, dass der Vorsitzende der Richter des Obersten Gerichts von Xiantiao ihn immer beim Namen nannte, wenn er ihn direkt ansprach. Dies half ihm dabei, zu erkennen, wann es für ihn wichtig war, seine Aufmerksamkeit auf das Geschehen vor sich zu lenken. Es kostete ihn viel Kraft, sich an dem Verfahren zu beteiligen, viel Anstrengung, sich auf die Stimmen und die vielen Personen um sich herum zu konzentrieren. Mühsam hob er den Blick und sah dem Obersten Magister Hel, dem Gerichtsvorsitzenden, ins Gesicht. Er konnte ihn nur als blassen hautfarbenen Schemen in dunklen Gewändern ausmachen, denn vor seinen müden und geschädigten Augen blieb alles unklar und verschwommen. Aber er war sich bewusst, dass gerade in diesem Moment mehrere Kameras auf ihn gerichtet waren, dass die Monitore, die sich links und rechts von dem Wahrzeichen Xiantiaos über den Köpfen der sechs Richter befanden, ihn in Großaufnahme zeigten, dass seine Reaktionen, seine Mimik und jedes seiner gesprochenen Worte in ganz Xiantiao, vermutlich sogar über die Grenzen der Landesgroßen Stadt hinaus, zu sehen und zu hören waren.

Dieser Moment war wichtig, vielleicht sogar wichtiger, wie alle vorangegangenen Möglichkeiten, bei denen man ihm Fragen gestellt hatte. Denn bis auf die knappen hundert Personen, die für den Prozess als Zuschauer zugelassen worden waren, um behaupten zu können, dass das Volk als Zeuge bei diesem wichtigen Gerichtsverfahren zugegen gewesen war und jede seiner Aussagen mit verfolgt hatte, würden seine Worte einer sehr strengen Zensur unterliegen. Das Videomaterial würde beschnitten, die Berichte der Presse kontrolliert und an den Stellen gekürzt werden, an denen er die gefährliche Wahrheit zu verbreiten gesucht hatte. Statements der Journalisten würden überprüft und wie das Videomaterial zeitverzögert und gekürzt frei gegeben werden.

Aber dieser Moment war der letzte, an dem man ihm vor Gericht das Wort überließ. Und an dieser Stelle etwas von seinen Worten heraus zu schneiden, oder zu verändern, wäre äußerst schwierig, vor allem aber auch auffällig gewesen. Das vor der Öffentlichkeit erklären zu müssen, sollte diese irgendwie dahinter kommen, dass seinen Aussagen ein Teil fehlte, war ein zu großes Risiko für die Verantwortlichen. Das hoffte er zumindest. Denn dies war die letzte Chance, die Menschen da draußen wissen zu lassen, welchen Lügen sie aufsaßen. Und es war die letzte Chance, eine Nachricht an seine Leute zu übermitteln. Es war die letzte Chance, Verantwortung zu übernehmen.

"Nichts", war jedoch das vorerst einzige Wort, dass er keuchend über die Lippen brachte und das über das Mikrophon an seinem Ohr verstärkt wurde. Ihm fehlte die Luft zum Atmen, jeder Atemzug tat weh, das Sprechen war anstrengend und zehrte an seinen noch wenigen verbliebenen Kräften. Die Fesseln an seinen Oberarmen, die über Verstrebungen mit Manschetten an Oberschenkeln und Fußknöcheln verbunden waren, waren das Einzige, was ihn noch irgendwie aufrecht hielt. Er war nicht in der Lage, sich aus eigener Kraft aufrecht zu halten, vor dem Gericht nieder zu knien, dass er zu Beginn des Prozesses nicht mal als das seine anerkannt hatte, weil sein Bestehen auf einem Lügengebäude aufbaute und die Leichtgläubigkeit der Bewohner Xiantiaos schamlos ausnutzte.

"Wie bitte? Können Sie das noch einmal wiederholen?", fragte der Oberste Magister Hel, als habe er nicht richtig gehört und beugte sich über das Pult zu ihm vor. Auch die anderen Richter, die mit über sein Schicksal entscheiden würden, lehnten sich über den länglichen Tisch, warteten gebannt auf seine weiteren Ausführungen. Ihre Irritation war für ihn deutlich spürbar.

"Nichts - zu meiner Verteidigung", gab er sich Mühe, mit fester Stimme zu sprechen. "Nichts zu meiner Verteidigung vor diesem verlogenen Gericht. Das hier ist ein Schauprozess. Das Urteil steht schon längst fest. Das tut es, seit man mich zum Staatsfeind ernannt hat, meine Familie - die Song - als eine terroristische Vereinigung verboten hat." Er hustete und die verschwommenen Flecken vor seinen Augen tanzten, wurden farblos und grau. Nach jedem zweiten oder dritten Wort musste er kurz inne halten, um nach Luft zu schnappen. Aber der Gedanke an seine Leute ließ ihn sich zusammenreißen und noch ein weiteres Mal tief Atem holen. "Habe ich dieses Urteil verdient? Bin ich schuldig, im Sinne dieser Anklage?"Er legte alles Vertrauen in seine brüchige Stimme und alle Selbstsicherheit in seinen glasigen Blick und in seine nächsten Worte. "Ja, und ja, das bin ich. Ich bedauere jedes unschuldige Opfer, dass uns dieser Kampf bisher gekostet hat, uns dieser Kampf noch kosten wird. Unbeteiligte Tote und Verletzte, wie bei der Stilllegung des Energieverteilers in ThanaVelu, hätte es niemals geben dürfen. Ein unverzeihlicher Fehler." Das Sprechen war so anstrengend, dass Sterne vor seinen Augen zu flirren begannen. Ihm war bewusst, dass er für all zu lange Ausführungen nicht genug Sauerstoff bekam - gleichzeitig konnte er sich keine längeren Sprechpausen leisten, denn das hätte man als Ende seiner Verteidigungsrede interpretiert. "Das tut mir sehr leid. Es wurden Fehler gemacht und ich habe auch falsche Entscheidungen getroffen, die nicht zu entschuldigen sind. Dafür und für alle weiteren unschuldigen Verletzten und Toten übernehme ich die volle Verantwortung." Er schloss für einen kurzen Moment die übermüdeten geröteten Augen, um dann mit noch mehr Entschlossenheit im Blick wieder zu den Kameraaugen aufzusehen. "Aber das bedeutet nicht, dass unsere Forderungen falsch sind - im Gegenteil! Die Menschen in Son'Gashania verdienen es, gehört zu werden! Sie verdienen es, unter menschenwürdigen Bedingungen zu leben! Sie verdienen es, eine faire Chance zu erhalten!" Gerne hätte er sein Plädoyer mit einer energischen Handgeste unterstrichen, allerdings erlaubten die schweren Metallmanschetten, die seine Arme auf dem Rücken festhielten, keinerlei Bewegungen. "Und die Menschen aus Xiantiao verdienen es, endlich die Wahrheit über die verlogene Regierung zu erfahren! Über..." Eigentlich hatte er vorgehabt, noch weiter zu sprechen, den Anwesenden mitzuteilen, was er über die Gründung der AneLAAN, des Regierungsapparates von Xiantiao, über den Alaver-Bezirk ThanaVelu und über den Vorfall des Xuemenchkara wusste, aber man hatte ihm das Mikrophon abgestellt und damit für ihn beschlossen, dass seine Rede nun zu Ende war. Seine bläulich verfärbten Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln. Damit hatte er ja gerechnet - nur nicht schon so früh. Wenigstens war es nun gleich vorbei.

Im Publikum war es währenddessen zu einem Murmeln und Raunen gekommen, welches der vorsitzende Richter unterbrach, in dem er seine Stimme dagegen erhob. "Als formaler Verteidiger des Angeklagten haben Sie das letzte Wort, bevor wir uns zur Urteilsberatung zurückziehen werden. Solicidan Tela Enika, Ihr Plädoyer, bitte."

 

Der angesprochene junge und unerfahrene Mann stand hinter seinem Pult auf, verschränkte nervös seine Finger vor dem Schoss und richtete seinen Blick erst auf den neben ihm knienden Angeklagten, dann nacheinander auf die Richter. Er räusperte sich demonstrativ und brachte dann rasch den einen Punkt vor, der nicht von der Hand zu weisen war. "Herr Lio'Ta gilt im Laufe der Verhandlung als umfangreich für sich selbst geständig und ist bereit, die komplette Verantwortung für die Verbrechen der Song auf sich zu nehmen. Die fixe Idee einer Verschwörung mag ihn in seinen Fehlentscheidungen und in seinem verwerflichen Handeln negativ und ungesund beeinflusst haben. Darum bitte ich das Oberste Gericht von Xiantiao um ein wenn möglich mildes Urteil."

Der Solicidan hätte genauso gut auch gar nichts sagen können - vermutlich wäre das sogar noch eher hilfreich gewesen. Aber dem Angeklagten war das egal, er hatte es nicht anders erwartet. Bald war dieser in seinen Augen lächerliche Schauprozess überstanden und dann spielte sein Leben keine weitere Rolle mehr. Dann lag alles weitere nur noch in den Händen seines Bruders, Shen To.

Die Richter erhoben sich und sammelten ihre Datenpads zusammen. "Damit ziehen wir uns zur Urteilsfindung zurück. Bitte bleiben Sie in der Nähe des Sitzungssaales - zur Verkündung wird mittels GeRi-System gerufen." Demonstrativ deutete der Magister Hel auf sein Handgelenk, an dem ein schlichtes Armband glänzte, das mit der genannten Technologie verbunden war, dann wandten sich die Amtsmänner zum Gehen.

Gleich darauf wurde es um einiges lauter im Saal und der Angeklagte schloss die Augen, blendete den Tumult aus, er versuchte erst gar nicht, dem Treiben mit einem seiner Sinne zu folgen. Er würde hier, in seinen Fesseln fixiert, die Wartezeit verbringen müssen, ständig vom aufgestockten Sicherheitspersonal beobachtet, kraftlos in sich zusammen gesunken, gegen diabolische kaum auszuhaltende Schmerzen ankämpfend.

Nach einer Weile machte sein schlaksiger schwarzhaariger Pflichtverteidiger mit einem dezenten Räuspern auf sich aufmerksam. Widerwillig hob der Gefangene die Lider und blickte in die verschwommenen Gesichtszüge des nervösen Mannes. "Was wollen Sie?", flüsterte er müde, mit leicht gereiztem Unterton.

Der Solicidan, Tela Enika, kratzte sich verlegen am Kopf und hielt ihm dann ein Glas vor die Nase. "Ich... ich habe Ihnen etwas zu trinken geholt, Herr Lio'Ta", stotterte er unbeholfen. "Sie sehen sehr erschöpft aus."

"Ich hab' leider keine Hand frei, Tela", gab er zurück, obwohl er es nett von dem jungen Mann fand, dass er sich um ihn bemühte.

"Ich... ich könnte es Ihnen halten", bot dieser nun noch unsicherer an und schob seine zitternde Hand mit dem Gefäß etwas näher. Der Angeklagte fragte sich, ob der junge Verteidiger nur vor Aufregung zitterte, oder weil er Angst vor ihm hatte. Obwohl er das selbst als unnötig empfand, hätte er dies trotzdem verstanden. Ja, in Xiantiao erzählten manche tatsächlich herum, dass er aus Spaß Kinder bei lebendigem Leibe grillte. "Das wäre sehr nett von Ihnen.".

Seine Hals brannte wie Feuer, als das Wasser seine Kehle hinab rann. Er fühlte sich wie eine Wüste, innerlich ausgetrocknet und verdörrt, und obwohl das Schlucken schmerzte, genoss er es, endlich seinen Durst löschen zu können. "Danke", keuchte er, als das Glas leer war und der Solicidan es neben sich auf das Verteidigerpult stellte. Als Tela sich nicht entfernte, war dem Gefangenen klar, dass das noch nicht alles gewesen war.

"Ich... ich...", fing Enika erneut unbeholfen an. Dass ihm extrem unwohl dabei war, konnte der Angeklagte sogar mit seinen beschädigten Augen sofort erkennen. Der Norm hatte kalten Schweiß auf der Stirn stehen und seine Finger kneteten ständig an seinen Handballen herum. Schließlich hielt er plötzlich ganz still, dann quoll es aus ihm heraus, was ihm auf dem Herzen lag. "Herr Lio'Ta, ich konnte Sie nicht besser verteidigen - das wissen Sie! Ich bin nur Ihr Pflichtverteidiger und Sie ein Terrorist. Aber die Sache ist die:", er rieb sich nervös über die Nase, "ich konnte es nicht, nein, ich durfte es nicht. Sie... verstehen Sie, was ich sagen will...?"

Das Herumgestottere war zwar nicht sonderlich deutlich, aber der Angeklagte verstand sofort, um was es dem Solicidan ging. Trotz der Schmerzen, die seinen gesamten Körper traktierten, brachte er ein schwaches Lächeln zustande. "Keine Sorge, Tela, das ist mir schon klar. Unabhängig Ihrer persönlichen Motivation mussten Sie tun, was man von Ihnen verlangt." Er holte tief Luft, um dann dem jungen Kerl etwas zu verdeutlichen. "Man hat mir mit Ihnen einen der jüngsten und unerfahrensten Verteidiger zur Seite gestellt. Aber glauben Sie nicht, dass es Zufall war, dass es Sie getroffen hat, Tela." Er verfiel für ein paar Augenblicke in Schweigen, da das Sprechen zu anstrengend für ihn wurde.

Der Schwarzhaarige beugte sich zu dem Gefangenen vor und flüsterte: "Was meinen Sie?"

"Diese Verhandlung hier führt zu meiner Hinrichtung. Aber - das sollte Ihnen bewusst sein - es ist auch die Ihre." Er blickte zu dem Pflichtverteidiger auf und sah ihm ernst ins Gesicht. "Man hat Sie ausgewählt, weil Ihre weitere Karriere für sie unbedeutend ist. Und weil Ihre Karriere mit dem heutigen Urteil auch beendet werden wird."

Der Solicidan runzelte die Stirn und wich ein Stück vor dem Angeklagten zurück. "Versuchen Sie nicht, mir Angst zu machen, Herr Lio'Ta. Was nützt Ihnen das denn?"

Sein Gegenüber schüttelte leicht in Unverständnis den Kopf, schloss die Augen und lächelte erneut. "Das versuche ich nicht, Tela, ich sage Ihnen einfach nur... wie es laufen wird. Haben Sie sich nie gewundert, warum man Sie, trotz Ihrer C-Herkunft, so gefördert hat. Sicherlich auch, weil aus Ihnen ein guter Verteidiger werden hätte können. Aber vor allem, um für einen Schauprozess wie diesen ein Lamm zu haben, das problemlos geopfert werden kann. Glauben Sie, irgendwer wird sich danach noch für Sie interessieren?"

"Lassen Sie sich keinen Unfug vom Angeklagten einreden, Herr Enika", mischte sich plötzlich die unangenehm laute Stimme des Regierungsanwaltes ein. Seine breitschultrige Silhouette war neben der Gestalt des jungen Mannes aufgetaucht und hatte diesem ganz väterlich eine Hand auf die Schulter gelegt. "Sie wissen doch, er beherrscht die Gabe, Leute in sein Geschwätz einzuwickeln, um sie für seine verächtliche Sache zu gewinnen. Habe ich nicht Recht, Herr Lio'Ta?"

Der Gefangene verzog das Gesicht, weil der Tonfall des älteren Mannes in seinem Schädel dröhnte. "Sie dürfen... außerhalb des laufenden Prozesses... nicht mit dem Angeklagten, mit mir, sprechen", keuchte er atemlos. "Halten Sie sich gefälligst... an Ihre Regeln und Gesetze..., die Sie so sehr verehren!"

Der Regierungsanwalt stieß einen Laut der gespielten Überraschung aus. "Ha! Sie kennen sich also doch mit den Gesetzen von Xiantiao aus, wer hätte das gedacht?" Er schnipste mit dem Finger direkt vor seinem Gesicht in die Luft. "Na, hätten Sie sich mal besser an sie gehalten!" Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand aus dem eingeschränkten Blickfeld des Gefangenen.

Dieser hätte ihm gerne noch etwas Unschönes hinterher gerufen, aber er sparte sich den Atem lieber.

"Ich bin kein Opferlamm!", zischte Tela Enika wütend zu ihm herüber und ließ sich hinter seinem Pult nieder, begann dann akribisch seine Unterlagen zu sortieren.

Der Angeklagte wurde aus einem sich endlos zu wiederholen scheinendem Sekundenschlaf gerissen, als ein tiefer Signalton ankündigte, dass sich zur Urteilsverkündung versammelt werden sollte. Er hörte, wie hinter ihm die Tore geöffnet wurden und die Menschen, die zuvor den Saal verlassen hatten, in Scharen wieder herein strömten. Nun richteten sich zu den Augen des Wachpersonals auch wieder unzählige Kameralinsen auf ihn, aber das spielte kaum eine Rolle. Da er sowieso wusste, wie das Urteil aussah, da dieses keine sonderliche Überraschung mit sich bringen würde, konnten die Reporter auch nichts einfangen, was sie seiner Meinung nach nicht hätten zeigen sollen. Er würde sicherlich nicht weinen, oder um Gnade bitten - er war darauf vorbereitet, was kam.

Auch die Staatsanwaltschaft nahm auf der Tribüne der LAAN-Akudanaies wieder Platz, die Zeugen, die zuvor ihre Aussagen gemacht hatten, reihten sich auf ihre Stühle dahinter, die Richter betraten als letzte wieder den Gerichtssaal. Kurz darauf erklang der Signalton ein zweites Mal und es wurde schlagartig sehr Stil in dem großen Raum.

Die sechs Magister Hel erhoben sich und der Vorsitzende ergriff das Wort. "Wir möchten Sie bitten, sich zur Urteilsverkündung zu erheben." Vielfältiges lautes Rascheln signalisierte, dass die Anwesenden der Aufforderung auch nachkamen. Allein das war schon ein Witz. Zur Verkündung des Urteils sollten sich alle zu Ehren des Gesetzes von Xiantiao erheben, nur dem Angeklagten selbst, dem, den es am meisten betraf, war dies nicht möglich. Allerdings wäre es ihm auch ohne die ihn aufrecht haltenden Fesseln nicht gelungen aufzustehen.

"Unter Hel, dem höchsten Gott der Gerechtigkeit und im Namen des einigen Volkes von Xiantiao, wird nun Recht gesprochen. Wir, die Magister Hel, sind zu folgendem einstimmigen Urteil gelangt: Der Angeklagte, Herr Rej Lio'Ta, hat sich in folgenden Anklagepunkten schuldig gemacht: Hochverrat durch die Angriffe auf den inneren Bestand und die verfassungsmäßige Ordnung Xiantiaos, Teilnahme an Kriegshandlungen gegen Xiantiao, Versuch des Sturzes der Regierung und versuchter Mord an der AneLAAN. Friedensverrat durch die Vorbereitung und Aufstachelung Dritter zu einem Angriffskrieg, Landesverrat durch Spionage, sowie Gründung und Leitung einer terroristischen Vereinigung."

Es bereitete ihm große Mühe, aber der Gefangene sah dem vorsitzenden Richter, während dieser sprach, permanent in die Augen. Er würde das Urteil sicher nicht mit Demut entgegen nehmen, sondern so aufrecht, wie ihm nur möglich.

"Zudem ist er in den weiteren Punkten für schuldig zu erkennen: Verbreitung von Propagandamitteln einer verfassungswidrigen Organisation, Agententätigkeiten zu Sabotagezwecken und verfassungsfeindliche Sabotage, verfassungsfeindliches Einwirken auf die öffentlichen Sicherheitsorgane und die ShaoSetFai. Das Auskundschaften und Offenbaren von Staatgeheimnissen, Nötigung von Verfassungsorganen, Nötigung des Gouverneurs und von Mitgliedern der AneLAAN, Störung der Tätigkeiten der AneLAAN, Wahlbehinderung, Abgeordnetenbestechung, Störpropaganda gegen die ShaoSetFai, Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln."

Der Angeklagte fragte sich, wie viele der genannten Punkte auf jeden einzelnen der AneLAAN zutraf oder auch nur auf jeden einzelnen der Magister Hel. Aber dies stand hier nicht zur Debatte. Und nun konnte er auch nicht mehr aktiv dazu beitragen, dass dies jemals zur Debatte stehen würde.

"Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte der ShaoSetFai, Gefangenenbefreiung, Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, Volksverhetzung, Anleitung, Belohnung und Billigung von Straftaten, Fälschung von Zahlungskarten und Schecks, Verleumdung gegen die AneLAAN. Außerdem Mord in mehreren Fällen, sowie fahrlässige Tötung in mehreren Fällen, mehrfache gefährliche Körperverletzung, Freiheitsberaubung, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme und Nötigung. Den besonders schweren Fall des Diebstahls von Waffen, Entziehung elektrischer Energie, schwerer Raub mit Todesfolge, Strafvereitelung, Geldwäsche, Computerbetrug, Fälschung technischer Aufzeichnungen, Vorbereitung und Verschaffung von falschen amtlichen Ausweisen und der SASC, Sachbeschädigung, Datenveränderung, Computersabotage, Gemeinschädliche Sachbeschädigung, Zerstörung von Bauwerken und wichtigen Arbeitsmitteln, Brandstiftung mit Todesfolge, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, Herbeiführen einer Überschwemmung, gemeingefährliche Vergiftung, gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr sowie dem Straßenverkehr, Störung von Telekommunikationsanlagen, Störung des GeRi-Systems, Beschädigung wichtiger Anlagen."

Endlich war der Mann in den offiziellen Gewändern zu einem Ende der langen Liste an Verbrechen gelangt. Ja, der Gefangene hatte ja gesagt, er nehme alle Verbrechen der Song - seiner Organisation, seiner Familie - auf sich. Er übernehme die Verantwortung dafür. Schließlich hatte er über alle Aktionen den letzten Blick behalten und war an einigen sogar selbst beteiligt gewesen. Aber in der geballten Gesamtheit machte die Liste selbstverständlich großen Eindruck. Und genau das war ja auch das Ziel des Prozesses. Hervor zu heben, trotz seiner momentanen eher mitleiderregenden körperlichen Erscheinung, wie gefährlich und böse er war. Was für ein Monster er war. Und dieses Monster galt es in aller Öffentlichkeit durch die starke Hand der Regierung, der AneLAAN, zu vernichten.

 

"Der Angeklagte Lio'Ta wird deshalb zum Tode verurteilt, das Urteil wird durch die Elektroschockfolter vollstreckt. Die Hinrichtung findet in sechs Wochen statt, der Ort wird kurz vor der Exekution bekannt gegeben."

Ein Raunen ging durch die Menge und auch der Gefangene war verwundert. Nicht über das Urteil an sich, damit hatte er ja gerechnet, sondern darüber, dass die Hinrichtung erst in sechs Wochen vollzogen werden sollte. Er verstand nicht, warum man sich dafür so lange Zeit ließ. Sonst wurden Exekutionen von Schwerverbrechern in Xiantiao meist recht rasch vollzogen. Und wollte die AneLAAN daraus ein ähnliches Spektakel machen, wie für diesen Schauprozess, dann reichten ihnen doch für die Vorbereitung auch wenige Tage - das hatten sie ja mit der Gerichtsverhandlung heute eindrucksvoll bewiesen. Warum also sechs Wochen und wie wollte man das bewerkstelligen?

"Rej Lio'Ta wird bis zum Vollstreckungstermin im Hauptgefängnis von Xiantiao im Hochsicherheitstrakt untergebracht. Der Haftbefehl bleibt selbstverständlich aufrecht erhalten. Zu den Gründen gibt es nur noch folgendes zu sagen: Das Urteil begründet sich auf die im Prozess glaubhaft dargelegten Beweise und Zeugenaussagen, die die LAAN-Akudanaies vorgebracht hat. Rej Lio'Ta, der ehemalige Anführer der terroristischen Vereinigung 'Song' und der ebenso ehemalige Kommendan des Flaggschiffs der Song 'Tahemetnesut' hat durch seine Taten versucht, die Grundfeste unserer Gemeinschaft zu erschüttern und ihre Tugenden zu Fall zu bringen, auf die Xiantiao baut - nämlich den Frieden, die Einigkeit, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie. Er hat versucht im Volk von Xiantiao Unsicherheit und Angst zu sähen, um uns Zwietracht und Gewalt ernten zu lassen. Doch die AneLAAN hat gemeinsam mit den ShaoSetFai erneut eindeutig bewiesen, dass die Bemühungen dieser Terroristen umsonst waren, dass die Stärke der Bürger von Xiantiao weiter reicht, als die Schatten, die die Song über sie gebracht haben..."

Der Verurteilte beschloss für sich an der Stelle, der Rede des Richters nicht mehr weiter zu folgen. Das schwülstige Geschwafel machte seine hämmernden Kopfschmerzen nicht unbedingt besser und vermehrte nur die Übelkeit, die ihn immer wieder zu überwältigen drohte. Zudem kreisten seine Gedanken um die sechs Wochen. Er hatte geglaubt, nur noch wenige Stunden, maximal Tage für seine Familie aufrecht durchhalten zu müssen, aber nun sollten es sechs Wochen werden? Im Hochsicherheitsgefängnis von Xiantiao - und das in seinem Zustand? Es würde eine unvorstellbare Qual werden. Ironischerweise würde er bis zu seiner Exekution sicherlich nicht überleben.