Weltreise in 70 Jahren - Band I

Mesaj mə
0
Rəylər
Fraqment oxumaq
Oxunmuşu qeyd etmək
Weltreise in 70 Jahren - Band I
Şrift:Daha az АаDaha çox Аа

Weltreise in 70 Jahren

„Das Leben ist eine Reise wert“

Der Autor nimmt seine Leser mit auf eine Weltreise in Form einer Lebensbeschreibung. Der erste Band schildert Erlebnisse und Fiktionen von 1948 bis 1988. Die Reise beginnt in dem badischen Ort Wössingen und geht über Karlsruhe, Baden Baden, Heidelberg, Buchen, Obernkirchen in die Ferne. Dort in Rio oder Bali, in Hongkong oder New York, Mallorca oder Korsika entführt der Autor den Leser aus der bürgerlichen Enge der Nachkriegszeit.

Über den Autor

Friedbert Wittum ist Jurist, 1948 geboren, verheiratet, drei Kinder und wohnt in Obernkirchen.

Neben juristischer Literatur hat er folgende belletristische und poetische Bücher geschrieben:

1970 Der Herr mit den sieben Schlüsseln

1980 Spiritus Fausti

1981 Gedichte

1983 Autorenwerkstatt 3, Gedichte

1984 Haitabu

1989 Autorenwerkstatt 17, Gedichte

1992 Ein Blumenstrauß, Gedichte

1993 Der Maler Friedbert Wittum

1994 Das Geschlecht der Alther von St. Gallen

1995 Reisezeit, Gedichte

1996 Entropie

2004 Der Schatz der Erde

2009 Zeus und seine Geliebten

2017 Weltreise in 40 Tagen

Inhalt

1. Abschnitt 1948 bis 1958

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

2. Abschnitt 1958 bis 1968

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

3. Abschnitt 1968 bis 1978

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

4. Abschnitt 1978 bis 1988

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

1. Abschnitt 1948 bis 1958

Kapitel 1


Nach der griechischen Mythologie ist am Anfang das Chaos. Das Chaos ist die gähnende Leere in der die Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft enthalten sind. Dann haben sich Finsternis (Erebos) und Nacht (Nyx) vereinigt und haben die Luft (Aither) und Tag (Hemera) geboren.

Nach der Bibel ist am Anfang das Wort. „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht“. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.

Ich bin am 5. Oktober 1948 in Karlsruhe im Kreißsaal des Vincentius Krankenhauses geboren. Mein erstes Wort war: „Dietz“. Dies wurde von dem anwesenden Professor Dr. Linzenmeier als: „Licht“ gedeutet.

Da drei Jahre zuvor der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen war, sahen meine Eltern dies als Zeichen Gottes. Das Licht bringt Frieden. Deshalb wurde ich Friedbert genannt. Aus Dankbarkeit habe ich dann in späteren Jahren Theologie studiert. Dabei dachte ich darüber nach, wann das Leben eigentlich beginnt. Die moderne Wissenschaft ist sich darin einig. Das Leben beginnt mit der Befruchtung, der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Dieses Produkt heißt Zygote. Ob dies ein Junge oder Mädchen wird entscheidet der Mann. Enthält sein Samen ein Y-Chromosom wird es ein Junge, enthält sein Samen ein X Chromosom wird es ein Mädchen, enthält sein Samen ein XY Chromosom wird es ein Zwitter. Mein Vater Hermann hat sich gütig entschlossen ein Y Samen für mich zu spenden, so dass ich ein Junge wurde.

Für mein Leben kommt es also auf den Tag, an dem ich zu einem Zygoten wurde, an. Üblicherweise wird auch bei mir der Geburtstag gefeiert und Geschenke überreicht. Meine Erklärung, dass dies angemessener am Zygotentag wäre, findet keine Beachtung. Niemand will davon etwas wissen.

Ich habe nun mehrere Semester des Theologiestudiums damit verbracht, meinen Zygotentag und den Zygotenort zu bestimmen. Das ist deshalb wichtig, da der Zygotentag die Zukunft des Menschen bestimmt. Es kommt darauf an, wo an welchen Ort und aus welchen Eltern der Zygote entsteht. Diese Bestimmung ist äußerst schwierig. Um einen Zygoten herzustellen, müssen die Frau ein befruchtungsfähiges Ei und der Mann befruchtungsfähige Samenzellen zur Verfügung stellen. Hierbei gibt es Konstellationen, die die Berechnung des Zeitpunktes der Entstehung einer Zygote schwer machen. Fakt ist, dass das Ei 24 Stunden befruchtungsfähig ist, während der Samen des Mannes im Körper der Frau 5 Tage befruchtungsfähig bleibt. Wenn also vor der Befruchtungsfähigkeit des Eis mehrtägiger Geschlechtsverkehr stattgefunden hat, kann der Zygotentag nur mit detektivischer Kleinarbeit bestimmt werden.

Dies ist mir nach drei Semestern Theologiestudium in Heidelberg gelungen.

Aus Dankbarkeit darüber, dass ihr Sohn Friedbert Theologie studiert, übergab mir meine Mutter zu Beginn des ersten Semesters die Familienbibel, die sie zur Heirat im Jahr 1943 bekommen hatte.

Im dritten Semester in Heidelberg wurde eine Vorlesung über die Epheser gehalten. Als ich im Vorlesungssaal die Familienbibel unter dem Kapitel Epheser aufschlug, fand ich dort einen Brief. Darin schrieb meine Mutter Hilde an meinen Vater Hermann folgendes: „Lieber Hermann, ich sitze gerade mit Hermännle im Wohnzimmer, die Oma ist in den Keller gegangen, um Most für das Abendessen zu holen. Deshalb habe ich etwas Zeit. Ich freue mich, dass Du einen Zug herausgesucht hast, damit ich zu Dir nach Baden-Baden kommen kann. Hermännle kann übers Wochenende bei der Oma bleiben. Kann ich auch wirklich am Sonntag bei Dir übernachten, hat Deine Wirtin nichts dagegen? Ich komme um 17:00 Uhr, muss aber am Montagabend wieder zu Hause sein. Die Oma hat einen großen Geburtstagskuchen gebacken und ich bringe was Feines zum Essen mit. Was wünschst Du Dir?! Hermännle ist schon groß geworden, ich bringe Dir ein neues Bild von ihm mit. Liebe Grüße von Oma, Hermännle und Deiner lieben Hilde.“

Der Brief wurde am 1. Januar 1948 in Wössingen geschrieben. Mein Vater ist am 5. Januar 1913 in Straßburg geboren.

Damit wurde mir klar, dass Baden-Baden der Ort war, wo ich zwischen dem 4. und 9.1.1948 Zygote wurde. Es vergingen viele Jahre. Im August 1982 besuchte ich mit meiner Mutter Hilde und meinem Sohn Maximilian Omi Maria in Baden-Baden. Omi wollte unbedingt auf den Merkur. Diesen kann man mit einer Bergbahn in etwa zwei Minuten erreichen und ist dann oben auf dem Gipfel. Hier hat man eine schöne Sicht in das Rheintal. Meine Mutter erzählte, dass sie schon einmal mit dieser Bahn auf den Merkur gefahren ist und zwar mit meinem Vater Hermann. Damals aber sei es eisig kalt und verschneit gewesen, so dass sie schnell in der Gaststätte Zuflucht gesucht hätten.

Auch mir kamen die Bergfahrt zum Merkur und das Gasthaus bekannt vor, obwohl ich noch nie da gewesen war. Ich sah vor meinem Auge, wie ich mich in einer Art Höhle befand. Ich hörte Stimmengewirr und das Knattern einer Bahn. Ich sah meine Mutter, meinen Vater die Bahn und das Walmdach des Gasthauses.

 

Lange habe ich darüber nachgegrübelt. Jetzt weiß ich, dass ich auf der Bergbahnfahrt zum Merkur zu einem Zygoten geworden bin. Dies geschah am Montag, dem 5. Januar 1948.

Mein Leben begann demnach auf dem Merkur in Baden-Baden. Es ist durch den römischen Gott Merkur bestimmt, dessen Attribute der Hermesstab und der Geldbeutel sind.

Meine Erfahrung zeigt, dass die Eltern darauf achten sollten, dass der Zygotenort ein heiliger Ort sein sollte. Der Zygotenort bestimmt die Zukunft, er ist der Anfang und das Ende. Dazwischen liegt die Zeit des Lebens. Der erste Schritt ins Leben ist der Bedeutendste. Zeit und Ort sollten daher sorgfältig gewählt sein.

Als ich aufhörte Zygote zu sein und ein Fötus wurde, hatte ich ein schreckliches Erlebnis. Am 26.6.1948, einem Samstag, wollte meine Mutter zum Kirschenpflücken auf das Grundstück zum oberen Berg. Ihr Bruder Karl fuhr sie mit Pferd und Fuhrwerk zu dem Grundstück. Schon die Hinfahrt war für mich eine Qual, da es unangenehm ratterte und rumpelte. Mein Onkel Karl stellte die Leiter an den Kirschbaum und meine Mutter kletterte mit einem Korb bewaffnet die Leiter hinauf. Da tauchte im hohen Gras die Schulfreundin meiner Mutter, Anna Kurz, auf, was meinem Onkel Karl gut gefiel. Er lief dieser entgegen, um ihr seine Freude zu zeigen und ließ die Leiter auf der meine Mutter sich befand, im Stich. Als diese sich nach einer weit entfernten Kirsche streckte, gab ein Kirschenzweig nach und die Leiter wankte erheblich. Meine Mutter schrie um Hilfe, der Onkel eilte herbei, aber er konnte nicht mehr verhindern, dass die Leiter zur Seite kippte und meine Mutter aus nicht unerheblicher Höhe auf die Erde stürzte. Mir hat der Sturz gar nicht gut getan. Einige Tage machte ich mir ernsthaft Gedanken, ob ich überhaupt den Schritt ins Leben wagen wollte. Aber ich verzieh meiner Mutter und Onkel Karl. Schließlich wagte ich den Sprung ins Leben, am 5. Oktober 1948 wurde ich in Karlsruhe unter der Geburtsregisternummer 3308 geboren und am 29.10.48 evangelisch getauft. Von nun an war ich ein Baby. Noch in der Landesfrauenklinik in Karlsruhe biss ich meiner Mutter in die rechte Brust. Sie musste operiert werden, so dass sich der Aufenthalt um 14 Tage verlängerte. Dies war ein kostspieliges Ereignis. Die gesamte Familie musste einspringen und Naturalien sammeln, um den Hunger von Professor Dr. Linzenmeier zu stillen. Ab der Taufe war ich ein ordentliches Mitglied der Menschheit. Zuerst freute ich mich über die Schönheit meiner Mutter und die strenge Güte meines Vaters. Er nannte mich „Bärle“. Dann traf ich auf meinen Bruder Hermann, Hermännle, gerufen. Dieser war lieb und brav und ich eigenwillig und bockig.

Als ich drei Jahre alt war, unternahmen meine Eltern mit uns Kindern eine Schifffahrt von Heidelberg nach Neckarsteinach und zurück. Mehrfach kletterte ich die Reling hoch und wollte in das Wasser springen. Mein Vater bebte vor Zorn. Meine Mutter nahm mich in Schutz und sagte: „Es ist doch noch ein Kind“. Schließlich kam es soweit, dass auf dem Weg vom Schiff zum Bahnhof mein Vater mit Hermännle in gehörigem Abstand vorausging und ich mit meiner Mutter hinterher. Ab und zu blieb mein Vater stehen und drehte sich zu uns um und rief immerzu: „Da nimm Dein Teufele zu Dir“. Das tat meine liebe Mutter denn auch. Mich wunderte nur, dass er Teufele zu mir sagte, anstelle Bärle.

Mein Bruder ging jeden Tag zum Kindergarten, der etwa 400 m von unserem Haus entfernt war.

Das gefiel mir als zweijähriger Bub gar nicht, da ich in dieser Zeit allein mit meiner Mutter und Großmutter war. Eines Tages war ich spurlos verschwunden. Die ganze Ortschaft wurde mobilisiert. Man suchte mich zwei Stunden lang. Eine Flüchtlingsfrau gab den entscheidenden Hinweis. Sie habe mich am Morgen über den Bach springen sehen, in Richtung Kindergarten. Dort fand man mich auch, friedlich neben meinem Bruder sitzend. Ich hatte mir so selbst die Kita erkämpft. Am Abend wollte mein Vater mir den Hintern versohlen. Dies gelang ihm aber nicht, da ich eilends unter das Familienbett kroch. Um mich dort zu erwischen, musste er auf seinen Bauch liegen um unter das Bett greifen zu können. Da sein Bauch groß war, wurde er in dieser Lage, alsbald ruhig. Erst als er versprach mir nichts anzutun und endlich Bärle zu mir zu sagte, kam ich vorsichtig unter dem Bett hervor. Als mein Vater wieder auf den Füßen stand, war er dann völlig beruhigt. Seine Lust auf Schläge war ihm vergangen, so dass er gerne sein Versprechen einlöste.

An meine Oma, Mina Soldinger, erinnere ich mich gerne. Sie war gütig und ich habe sie nur als alte Frau erlebt. Bis 1958 lebten wir mit Oma Mina in der Hauptstraße 24 in Wössingen. Dort waren ein Kolonialwarengeschäft und eine Zapfsäule mit ESSO Benzin vor dem Haus.

Meine Opas habe ich nie erlebt. Sie haben es vorgezogen zu sterben, bevor sie meiner ansichtig wurden, was für ihre Klugheit spricht. Die Hauptstraße 24 war Anlaufpunkt meiner vielzähligen Verwandtschaft. Ich hatte zwei Onkels und drei Tanten. Und das kam so: Die Soldinger sind seit 1654 durch den Stammvater Hans Soldinger von der Schweiz nach Baden eingereist. Sie besiedelten, das durch den 30-jährigen Krieg entvölkerte Land. Mein Urgroßvater Gustav Soldinger war Landwirt in Berghausen. Er heiratete Sophie Schumacher aus Wössingen. Der Bruder von Sophie Carl Schumacher betrieb das Kolonialwarengeschäft in Wössingen, Kaiserstrasse 102 (heute Hauptstraße 24). Er war mit Emilie Schumacher verheiratet. Die Ehe war kinderlos. Als Gustav Soldinger im Jahr 1874 in Berghausen verstarb und Frau und zwei Kinder hinterließ, bot ihr Bruder an, ihr einen landwirtschaftlichen Betrieb zu besorgen, wenn sie mit ihren Kindern nach Wössingen kommt. Das Ehepaar Schumacher setzte ihren Neffen Karl-Ludwig zum Erben ein. So wurde die Landwirtschaft in Berghausen verkauft und die Witwe zog mit ihren Kindern in die Hauptstraße 33 nach Wössingen. Ihr Sohn Karl-Ludwig ist mein Großvater. Mit 28 Jahren war er immer noch nicht verheiratet. Deshalb wurde eine Kupplerin, die Tante Weidacker, aus Bretten beauftragt. Schnell wurde die 16-jährige Mina Ungerer aus Berghausen gefunden, die zur Heirat mit meinem Großvater Karl Ludwig bestimmt wurde. Zuerst kamen die Kinder Karl Ludwig 1898 und Berta 1899 auf die Welt. Allerdings hatte meine Großmutter Mina nicht nur ihren Karl Ludwig, sondern auch ihre Schwiegermutter Sofie mitgeheiratet. Diese, schon lange verwitwet, hütete ihren Lieblingssohn Karl Ludwig wie ihren Augapfel. Meine arme Großmutter Mina wurde drangsaliert. Sie war erst 18 Jahre alt, als sie es nicht mehr aushielt und nach Berghausen zu ihren Eltern flüchtete. Dort blieb sie fünf Jahre. Alles gute Zureden der Kuppeltante Weidacker nützte nichts. Erst, als sie mit meinem Onkel Emil im Jahr 1904 schwanger wurde, gab es die Versöhnung. Nun kamen im Jahr 1906 meine Tante Sophie, im Jahr 1909 meine Tante Mina und am 2.4.1916 meine Mutter Hilde zur Welt. Mein Opa Karl Ludwig verstarb 1926, meine Oma Mina am 18.3.1962, im Jahr meiner Konfirmation.

1950 betrieb den Kaufladen, Hauptstraße 24, meine Tante Berta. Diese war mit dem Architekten Heinrich Stöckle verheiratet. Er wurde von uns Onkele genannt. Die Oma herrschte über den Haushalt. Mein Vater führte ein eigenes Geschäft, meine Mutter arbeitete mit, aber auch im Haushalt der Oma. Zum Mittagessen erschienen manchmal Onkel Emil aus Bretten und Onkel Karl vom Haus Hauptstraße 33 gegenüber mit ihren Frauen und Kindern, so dass zu Mittag oft bis zu 20 Personen anwesend waren und versorgt wurden. Im Haus gab es auch einige Katzen. An einem Sonntag war zum Besuch Onkel Emil aus Bretten mit seiner Frau, Tante Auguste, angesagt. Tante Auguste mochte keine Katzen. Prompt war ihr erstes Wort, als sie bei uns eintrat: „Katz weg“. Deshalb musste das Esszimmer von den Katzen freigehalten werden. Ich war zu dieser Zeit drei Jahre alt. Ich ergriff eine Katze, nahm sie hinaus und warf sie in das Plumpsklo. Als meine Oma, während des Essens auf dieses musste, hörte sie unter sich ein fürchterliches Gejammer und Miauen. Die Katze schwamm in der Jauche. „Hermann, Hermann“ rief meine Oma und meinte damit meinen Vater. Der kam auch und öffnete die Jauchegrube und half der Katze mittels einer langen Stange heraus. Kaum spürte diese wieder festen Boden unter den Tatzen, sprang sie durch das ganze Haus, über Tisch und Bett und verbreitete einen fröhlich herben Sonntagsduft. Oma, meine Mutter und Tante Auguste waren dann stundenlang damit beschäftigt das Haus zu säubern und die Bettwäsche neu zu beziehen. Als man mich fragte, warum ich das getan hätte, sagte ich: „Ihr habt doch selbst gesagt, wenn Tante Auguste kommt, heißt es: Katz weg“. So waren dann alle dankbar und zufrieden.

Um diese Zeit, als ich etwa drei Jahre alt war, gab es im Hühnerhof einen prächtigen Hahn. Immer, wenn die Oma den Hühnerhof betrat, um die Hühner zu füttern, stürzte sich der Hahn auf sie und bedrohte sie mit dem Leben. Beim Mittagessen beklagte sie sich oft darüber und sagte zu meinem Vater oder Onkel Karl: „Mach doch was. Ich bin es leid. Der Hahn muss geschlachtet werden!“ Nun, mein Onkel Karl war nicht nur ein Schürzenjäger, sondern auch ein Waidmann. Er bot an mit der Flinte sich des Hahnes zu bemächtigen, was die Oma aber vehement abwehrte. Sie war praktisch veranlagt und fürchtete, dass der Hahn im Suppentopf keine Verwendung mehr finden konnte. Also war mein Vater Hermann gefragt. Dieser war erst vor sechs Jahren hoch dekoriert, mit EK 2 und EK 1, vom 2. Weltkrieg zurückgekommen. Aber Tage und Wochen vergingen und der Hahn war noch immer nicht um einen Kopf kürzer gemacht. Die Oma jammerte jeden Tag und beschimpfte meinem Vater schließlich mit dem Wort: „Feigling“. Dieses fand ich damals, wie auch noch heute als unangemessen. Mein Vater hatte eine Frau und zwei kleine Kinder zu ernähren. In einer solchen Situation soll man den Mann nicht einer Gefahr aussetzen. Meine Großmutter war aber uneinsichtig und blieb bei ihrer Meinung. Schließlich, so argumentiert sie, sei sie Tag für Tag durch den Hahn in ihrem Leben bedroht. Dieser Notstand bedrückte die ganze Familie. Während des Mittagsessens stand ich auf, ging in den Hühnerhof, griff den Hahn, brachte ihn zum Richtblock und hackte ihm den Kopf ab. Beschämt und sprachlos kam ein Familienmitglied nach dem andern zu dem Tatort und fragten mich scheinheilig, wie ich das fertiggebracht hätte. Die Oma aber praktisch, wie sie veranlagt war, rupfte den Hahn und am nächsten Tag gab es eine prächtige Hühnersuppe. Meinem Vater und meinem Onkel Karl schmeckte sie besonders gut.

Kapitel 2


Als ich vier Jahre alt war, wurde der Kindergarten langweilig. Ich hatte schon einige Kameraden um mich geschart, insbesondere die drei Nachbarskinder, die so genannten Friederichle (Friedrichbuben). Mit denen war besprochen, dass wir vom Kindergarten ausbüchsen. Gegenüber der Kindergärtnerin, Schwester Sofie in Tracht, gaben wir vor, auf die Toilette zu müssen. Dort kletterten wir alle vier aus dem Toilettenfenster und sprangen ins Freie. Dann ging's ab in die Gärten, wo wir Unterschlüpfe für uns gebaut hatten. Da waren wir allein, da konnte uns auch keiner finden. Als ich abends nach Hause kam, war ein großer Aufmarsch. Onkel, Tanten, mein Bruder, Vater, Mutter, Oma und die Kindergärtnerin Schwester Sofie sowie der Ortspolizist standen um mich herum. Ich wurde verhört, beschimpft, angeschrien, so dass ich immer verstockter wurde. Der Ortspolizist erklärte, dass die Friedrichbuben alles gestanden hätten. Endlich nahm mich meine Mutter in den Arm und brachte mich ins Bett. Sie gab mir noch einen Gute-Nacht-Kuss. Am nächsten Tag gab sie mir zehn Pfennige mit, damit ich mir eine Brezel kaufe. Sie schärfte mir ein, dass ich mich bei der Schwester Sofie entschuldigen solle, sie habe sich große Sorgen um mich gemacht. Das tat ich dann auch. Als die Schwester Sofie meine Brezel sah, nahm sie diese in die Hand und sagte: „Vielen Dank, das wäre aber nicht nötig gewesen.“ Dieser Brezelraub hat sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt, und er taucht immer wieder dann auf, wenn ich glaube, dass mir Unrecht geschieht.

Es ist eine Glückssache Glück zu empfinden. Glück streut die Göttin Tyche aus. Es kann jeden Menschen treffen. So hängen Glück und Zufall eng zusammen. Das Glück hat aber auch eine subjektive Seite, so dass jeder Mensch das Glücksgefühl auf seine eigene Weise empfindet. Insbesondere können Kinder spontan Glücksgefühle entwickeln. Die Eltern schauen manchmal in glückliche fröhliche Gesichter ihrer Kinder. Dies ist ansteckend, so dass auch die Eltern dabei glücklich sind. Ich kann mich an ein Glücksgefühl erinnern, als ich etwa vier Jahre alt war. Ich war krank, hatte Fieber, musste im Bett bleiben und konnte nicht in den Kindergarten. Meine Mutter brachte mich ins große Ehebett und ich wurde unter eine riesige Decke gesteckt. Dort war es dämmerig und duster, wohlig und warm. Ich fühlte mich wie ein Fötus. Ich war wieder im Bauch der Mutter. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkam mich. Ich war losgelöst von Fieber, Angst, Schmerz und Leid. Das ist Glück.

 

Aber auf der Erde gibt es auch Leid. Das erste Leid, als ich noch nicht auf der Welt war, fügte mir mein Onkel Karl zu. Als ich dann auf der Welt war, fügte mir wieder mein Onkel Leid zu. Da er Landwirt war, hatte er neben Pferden und Kühen auch einen Trecker. Dieser war grün und wir Buben nannten ihn Bulldog. Im Jahr 1953 war ein Bulldog noch eine Seltenheit. Es war die Zeit, wo noch amerikanische Panzer und Kriegsfahrzeuge durch unsere Straßen fuhren. Die einheimische Bevölkerung hatte keine Kraftfahrzeuge, geschweige denn einen Bulldog. Stolz fuhr mich mein Onkel auf seinem Bulldog durch die Straßen und ich wurde von meinen Kameraden gebührend bewundert. Einmal durfte ich den Bulldog alleine fahren und der Onkel setzte sich neben mich. Plötzlich schlug die Bremse nach unten und quetschte und riss meinen Daumen auf. Noch mit dem Bulldog fuhr mich mein Onkel Karl zum Arzt, ich schrie und jammerte fürchterlich. Davon habe ich eine Narbe zurück behalten, die mich für den Rest meines Lebens begleitet.

Es gibt auch Narben, die in der Seele verbleiben.

Als ich 1954 eingeschult wurde, setzte sich neben mich auf die Schulbank ein gleichaltriger Junge. Er hieß Jörg Heidt. Er war oft im Unterdorf, gleich neben dem Haus von Onkele und meiner Tante Berta. Daneben war die Bahn. Er war mein Lieblingsspielgefährte. Weihnachten 1955 führte die Schule ein Krippenspiel auf. Die Mitschülerin Ursel Wolf war die Maria, ich der Josef, Hildegard Schulze der Nikolaus und Jörg der erste Hirte. Der Schorschle, ein Repetent aus der dritten Klasse wollte uns dies heimzahlen, weil er an dem Krippenspiel nicht teilnehmen durfte. Als die Geburt anstand und die Ursel gerade die Christkindspuppe in die Wiege legte, explodierte der Christbaum. Der zu zerstörerischen Maßnahmen neigende Schorschle, hatte einige Christbaumkugeln mit Karbid gefüllt. Als die flackernden Kerzen den Kugeln zu nahe kamen, explodieren sie. In dem Chaos zwischen brennendem Christbaum, erstickendem Christkind, verblüfftem Nikolaus, schreiender Maria, erschreckter Hirten, durcheinander wirbelnder Eltern, hilfloser Lehrerin, schnappten Jörg und ich uns den Schorschle und verprügelten ihn. Seit diesem Tag war er unser bester Freund. Unsere Lehrerin, Fräulein Sternberg, forschte zwar nach, wer den Streich gespielt hat, ich sagte es ihr aber nicht. Aber ich wurde künftig nicht mehr als Josef beim Krippenspiel engagiert.

1956 durfte ich in den großen Ferien zu Onkel Wilhelm Jockers nach Schiltach in den Schwarzwald fahren. Schon die Fahrt mit dem Zug durch das Höllental war für mich ein beeindruckendes Erlebnis. Meine Mutter hatte mich in Karlsruhe in den Zug gesetzt und dort saß ich in einem Schienenbus neben dem Fahrer. Dieser erzähle mir gruselige Geschichten vom Höllental, so dass ich mich ein wenig deswegen fürchtete. Zuvor kamen viele Tunnels, die durchfahren werden mussten, so dass ich einen Vorgeschmack von der Hölle bekam. Mein Onkel Heinrich Stöckle, genannt Onkele, hatte viele dieser Tunnels gebaut. Er war der leitende Ingenieur bei der Firma Harsch in Bretten. Bei dieser Fahrt machte ich mir zum ersten Mal Gedanken über den Tod. Diese verflogen, als das Höllental durchfahren war und sich oben der strahlende Himmel öffnete. Ich wollte weder in den Himmel noch in die Hölle. Ich wollte leben. In Schiltach holte mich mein Onkel Wilhelm am Bahnhof ab. Bei seinem Sohn Hans, der in der Nähe wohnte und gleichaltrige Kinder hatte, durfte ich sechs schöne Wochen verleben. Seine Frau Ruth war lieb und herzlich zu mir. Sie verzieh mir alle Streiche, die ich dort anstellte. Mein Onkel Wilhelm war davon weniger erbaut. Er war pensionierter Lehrer und sehr penibel. Er beendete jeden Satz mit den Worten „und dergleichen“. Schnell verging die Zeit, so dass ich Ende August wieder in Wössingen eintraf. Dieser Tag war einer der Schwärzesten in meinem Leben. Meine Mutter erzählte mir, dass mein Spielkamerad Jörg tot sei. Kurz nachdem ich weggefahren war, habe er sich mit einem Bolzenschussgerät, mit welchen man Tiere schlachtet, selbst in den Kopf geschossen und sei dadurch gestorben. Ein schrecklicher Unfall. Dieser Vorfall hat tiefe Narben in meiner Seele hinterlassen, die bis zum heutigen Tage zu fühlen sind. Der Tod von Jörg war eine ernüchternde Lebenslehre: Glück bedeutet, sich durch das Leben zu mogeln, um dem Tod zu entrinnen.

Mein Großvater Karl-Ludwig war 1926 verstorben. Seit seinem Tod war meine Großmutter Mina Witwe. Mit ihren sechs Kindern war sie die Erbin nach dem Großvater. 1954 setzten sich mein Vater und Onkel Emil zusammen, um die Erbengemeinschaft aufzulösen. Den Erbhof in der Hauptstraße 33 erhielt mein Onkel Karl, das Ladengeschäft Hauptstraße 24 Tante Berta und den Kindergarten Hallenstraße 22, welchen Kaufmann Schumacher für die Gemeinde gebaut hatte, erhielt meine Mutter. Im Übrigen wurden die Grundstücke unter den Kindern aufgeteilt.

Die Erbauseinandersetzung lief im Wesentlichen friedlich ab. An einem Sonntag, während die Familie zu Mittag aß und die Erbengemeinschaft diskutiert wurde, klingelte es. Wie hasste es mein Vater, wenn er während des Mittagessens gestört wurde. Deshalb stand meine Oma auf und schaute nach, wer vor der Tür stand. Da ich neugierig war, folgte ich ihr. Es war ein Automobilist, im Sonntagsanzug, der Benzin verlangte. Oma kurbelte an der Zapfsäule, ich hielt den Schlauch und Schwups gossen sich die ersten drei Liter über Kopf und Körper des Autofahrers, der wenig erfreut, hielt zur Abwehr beide Hände über dem Kopf und schaute in Richtung Ladentür. Dort stand zu unser aller Entsetzen Onkel Karl mit einer Zigarette im Mund. Wir alle bedeutetem ihm verzweifelt, dass er sich von uns fernhalten solle. Aber er kam lachend näher. Geistesgegenwärtig sprang der Automobilist in sein Auto und fuhr klappernd davon. Er kam nicht weit. Schon nach 20 m blieb das Auto aus Benzinmangel stehen. Der Automobilist stieg dann schleunigst aus und verschwand irgendwo im Häusergewirr. Ich habe ihn nie wieder gesehen.

Mein Vater produzierte Werbeplakate für Brauereien und Getränkehersteller. 1954 waren die Verkehrsverbindungen noch nicht gut organisiert. Er hatte sich deshalb ein Motorrad NSU Quickly zugelegt und fuhr damit zu einer Frankfurter Brauerei. Auf dem Rücksitz hatte er das Muster eines Werbeplakates aus Glas. In Frankfurt geriet er mit beiden Rädern des NSU Quickly in die Schienen der Straßenbahn, was das Quickly abrupt zum Stehen veranlasste. Fahrer und das Glasplakat flogen in hohem Bogen, weit dem Quickly voraus, auf die Straße. Mit zerbrochenem Muster und geschundenen Knien kam mein Vater nach Hause zurück. Also wurde beschlossen: Ein Auto muss her. Meine Mutter schlug einen VW vor. Mein Vater wusste es besser, er kaufte einen Fiat Topolino, Mäuschen genannt. Der nächste Sonntagmorgen nahte. Eine Spritztour mit dem Mäuschen war geplant. Meine Mutter hatte sich und ihre beiden Kinder fein gemacht. Wir standen beim Wagen, mein Vater stieg ein. Er startete den Motor. Dieser stotterte ein wenig müde, wollte aber trotz vielfachen Bemühens meines Vaters nicht aufwachen. Schließlich kam mein Vater wieder aus dem Wagen hervor, öffnete die Motorhaube, schloss sie wieder und klopfte wütend auf das Blech des armen Topolino. Mäuschen war von nun an völlig beleidigt und rührte sich überhaupt nicht mehr. Meine Mutter erkannte, dass die Spritztour wohl ins Wasser fiel. Sie erlaubte sich daher folgende Bemerkung: „Hättest du gleich einen VW gekauft!“ Dadurch geriet mein Vater nun völlig in Raserei. Er drosch hemmungslos auf das arme Topolino ein und rief immer wieder: „Von was denn? Verkauf' ein Äckerle!“ Armes Mäuschen, hätte es sich doch unter dem Ehebett meiner Eltern versteckt. Wir gingen dann ins Haus zurück und gegen Mittag, zum Essen, kam auch unser Vater, er hatte

Müəllifin digər kitabları