Warum Liturgiereformen?

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Warum Liturgiereformen?
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Warum Liturgiereformen?

Beobachtungen in

Geschichte und Gegenwart

Friedrich Lurz

Butzon & Bercker

Bibliografische Information

der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


EPUB ISBN 978-3-7666-4182-3

MOBI ISBN 978-3-7666-4183-0

© 2012 Butzon & Bercker GmbH,

47623 Kevelaer, Deutschland, www.bube.de

Alle Rechte vorbehalten.

Satz und Umschlaggestaltung: Friedrich Lurz

Inhalt

  Einleitung

  Motive für Liturgiereformen in der Antike

  Anfang und Anknüpfung christlicher Liturgie Liturgische Zentren als Leitbilder Liturgische Reform aufgrund eines gesellschaftlichen Wandels Entstehung einer liturgischen Form in der Spannung von Amt und Charisma

  Impulse für liturgische Veränderungen im Mittelalter

  Die verändernde Wirkung der Verlagerung in eine neue Kultur Liturgie zwischen Klerikalisierung und Laienfrömmigkeit

  Gottesdienst auf dem Prüfstand der Neuzeit

  Die gottesdienstlichen Anliegen der Reformation Liturgiereform während und nach dem Konzil von Trient Liturgische Veränderungen in Barock und Aufklärung Restauration und gottesdienstlicher Zentralismus

  Liturgiereformen als Aufgabe der Moderne

  Liturgiereform vor und auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil Die nachkonziliare Liturgiereform

  Resümee und Ausblick

  Reform und Tradierung der Liturgie

  Vom selben Autor bei Butzon & Bercker erschienen:

Einleitung

Am 4. Dezember 2013 jährt sich zum fünfzigsten Mal die Verabschiedung der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Nicht nur dieses Ereignis, sondern die gesamte Liturgiereform, die es auslöste, wird in der kirchlichen Öffentlichkeit besondere Aufmerksamkeit erfahren.

Die gottesdienstlichen Veränderungen wurden in der Kirche von den Bischöfen bis zu den Gemeinden weitgehend begrüßt. Das Aufkommen der Traditionalisten („Erstarken“ wäre ein unzutreffendes Wort) blieb bei aller kirchenpolitischer Brisanz weitgehend ein Randphänomen. Es passte ebenso in das anzutreffende Spektrum von Meinungen und Zielsetzungen innerhalb der katholischen Kirche wie auf der anderen Seite die Versuche, die Reformen in konkreten Gemeinden wesentlich weiter zu betreiben, als der kirchliche Konsens zu diesem Zeitpunkt zuließ. Von beiden Außenpositionen versuchte man sich in der Mitte der katholischen Kirche abzugrenzen, ohne die grundsätzliche Befürwortung der Liturgiereform in Zweifel zu ziehen.

Umso mehr überraschte gerade in den letzten Jahren, dass die Reform von bekannten theologischen und nichttheologischen Autoren sowie von hochrangigen Kirchenvertretern auf einmal kritisch gesehen wurde – weniger von den Gläubigen in den Gemeinden selbst. Es wurde der Vorwurf erhoben, hier sei ein Bruch mit der Tradition vollzogen worden, der liturgiegeschichtlich gesehen einmalig sei. Diese Sicht wurde durch das Motu propio Summorum pontificum von 2007 verstärkt, mit der die vorkonziliare Liturgie in der unmittelbar vor dem Konzil gültigen Gestalt von Papst Benedikt XVI. als „außerordentliche Form“ neben die „ordentliche Form“ des römischen Ritus gestellt wurde.

Gewiss hat der Gottesdienst viel mit der Tradierung des Glaubens zu tun, greift also jede Veränderung in diesen Prozess ein. Die gottesdienstlichen Feiern (Leiturgia) sind zusammen mit der Verkündigung (Martyria) und der Fürsorge für die Nächsten (Diakonia) die entscheidenden Kennzeichen, dass die Kirche Jesu Christi in der Zeit und in dieser Welt existiert. Entsprechend ist der Gottesdienst durch inhaltliche Konstanten geprägt, die sich aus dem theologischen Fundament des mit Israel gemeinsamen Jahwe-Glaubens und des genuinen Christus-Ereignisses ergeben.

Zugleich hat der christliche Gottesdienst immer wieder Veränderungen und Reformen erlebt, oft untergründige, zunächst gar nicht wahrnehmbare, teilweise bewusst geplante. Gottesdienstliche Veränderungen konnten von Bischöfen oder vom Papst ausgehen, aber auch „von unten“ gegen Widerstände angestoßen werden. Zum Teil waren theologische Gedanken die Leitlinien, zum Teil müssen gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen als treibende Kraft angesehen werden. Geschichtlich gesehen bildet die Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil keineswegs eine Ausnahme!

Deshalb lohnt es, sich einige Epochen in der Geschichte des christlichen Gottesdienstes anzusehen und zu befragen: Was waren die sie prägenden Veränderungen? Wodurch wurden sie ausgelöst? Durch wen und wie wurden sie durchgeführt? Welchen Effekt hatten sie auf Dauer gesehen? Erst anschließend soll die Reform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil genauer in den Blick genommen und bewertet werden, um so Perspektiven für die nahe Zukunft zu gewinnen.

Im Zentrum der Überlegungen steht der Gottesdienst der römisch-katholischen Kirche, während die ebenso relevanten Formen und Reformen in der evangelischen Kirche weitgehend unberücksichtigt bleiben müssen, da dort Veränderungen in einem anderen organisatorischen Rahmen und zumindest teilweise gemäß anderer Kriterien abliefen und ablaufen. Gerade in jüngerer Zeit ist aber zu beobachten, dass Reformimpulse zunehmend ökumenisch wirksam sind.

Dieses E-Book stellt die überarbeitete und ergänzte Reihe von Beiträgen dar, die in der Zeitschrift „MAGNIFICAT. Das Stundenbuch“ in den Heften „Dezember 2010“ bis „November 2011“ unter der Rubrik Die Mitte erschließen erschienen war.

Motive für Liturgiereformen in der Antike

Anfang und Anknüpfung
christlicher Liturgie

Gottesdienste im frühen Christentum

Es gibt eine grundlegende Spannung zwischen Tradition und Wandel, in der der christliche Gottesdienst aller Epochen steht. Diese Spannung wurde bereits zu Anfang mit der Anknüpfung an die jüdische Liturgie deutlich.

Jesus und der jüdische Gottesdienst

Nimmt man die drei Orte der jüdischen Liturgie (Tempel, Synagoge und Haus) in den Blick, so ging Jesus ganz selbstverständlich vom Tempelkult und seiner Priesterschaft aus (vgl. Mt 5, 23f., Mk 1, 44). Auch der Besuch der Synagoge wird mehrfach berichtet (vgl. Mt 4, 23; 12, 9; 13, 54 etc.). Zugleich relativierte und radikalisierte Jesus jüdische Ritualvorstellungen, wenn er etwa Reinheitsvorschriften nicht auf das Äußere, auch nicht auf die Nahrung und was in den Körper gelangt, sondern auf das Innerste des Menschen, auf seine Seele, anwandte (Mk 7, 15). Er führte die bereits im Alten Testament anzutreffende prophetische Kritik an der Veräußerlichung des Kultes fort, indem er um des Menschen willen das strenge Halten des Sabbats in Frage stellte (Lk 14, 1–6). Es war der feste Glaube an den Anbruch der Gottesherrschaft, der ihn zu Handlungen wie der Tempelreinigung bewegten (Mk 11, 15–19), weil die Nähe Gottes nicht mehr der an den Tempel gebundenen kultischen Vermittlung bedurfte.

Jesu Beten war einerseits ein gänzlich jüdisches Beten, wie das Vaterunser zeigt, das andererseits mit seiner direkten Gottesanrede „Vater“ („Abba“) eine ungewöhnliche Unmittelbarkeit aufwies. Die festlichen Mahlzeiten Jesu mit seiner Jüngerschaft standen in Kontinuität zur jüdischen Tradition, in der das Essen immer eine liturgische Konnotation besaß. Wieder bezeugte die für seine Umwelt so ungewöhnliche Tischgemeinschaft Jesu mit Sündern und Zöllnern (Mk 2, 16 par.) die radikale Zuwendung Gottes selbst an die Sünder und Ausgestoßenen der Gesellschaft, die aus dem Anbruch der Gottesherrschaft resultierte.

Beispiel: Die eigentliche Eucharistiefeier

So kann nicht verwundern, dass das gottesdienstliche Handeln der Jünger nach dem Tod Jesu und der Erfahrung seiner Auferweckung zugleich durch die Anknüpfung an und die Abgrenzung von der jüdischen Tradition gekennzeichnet war. Es spricht vieles dafür, dass die Jünger zunächst noch an den Gottesdiensten in Tempel und Synagoge teilnahmen (vgl. Apg 2, 46; 3, 1), aber höchstens bis dieses gottesdienstliche Gefüge durch die Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) völlig umgestaltet wurde. Eigenständige gottesdienstliche Ansätze der jungen Christen lagen in den häuslichen Mahlzeiten, die sie miteinander hielten und die bereits die neutestamentlichen Schriften mit „Brotbrechen“ (Apg 2, 46 etc.) oder „Herrenmahl“ (1 Kor 11, 20) eigenständig bezeichneten und charakterisierten. Sie setzten die Mahlzeiten Jesu mit seinen Jüngern fort. Zugleich erfuhr die frühe Christenheit in ihnen die besondere Präsenz des auferstandenen und erhöhten Herrn in ihrer Mitte, in dessen Namen sie sich versammelte.

 

Die Überlieferung vom Letzten Abendmahl Jesu (1 Kor 11, 23–25, Lk 22, 19f. und Mk 14, 22–25, Mt 26, 26–29) wurde in der Folge grundlegend für die Gestalt und das Verständnis dieser Feiern, die als Verwirklichung von Jesu eigenem Auftrag „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (1 Kor 11, 24f.) verstanden wurden. Auch wenn viel dafür spricht, dass dieses letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern ein Pessachmahl war, so sind die aus den Einsetzungsberichten ableitbaren Elemente solche, die in jedem jüdischen Festmahl dieser Zeit anzutreffen waren. Es war durch mehrere Weinbecher gegliedert, die gemeinsam getrunken wurden. Dieses zeitgenössische jüdische Festmahl bildete den allseits bekannten Verstehenshorizont, der erst das spezifisch Christliche der Feier erkennen ließ. Denn Jesus selbst gab einzelnen Elementen einen neuen Sinn. Sie zeigte sich in den Worten „Das ist mein Leib für euch“ (1 Kor 11, 24) und „Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut“ (1 Kor 11, 25), mit denen er seinen bevorstehenden Tod als Lebenshingabe für die Seinen deutete. In der Erfüllung des Wiederholungsauftrags, wie ihn Paulus formulierte: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1 Kor 11, 26), erfuhren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Gemeinschaft mit Jesus, dem Christus, der bis zur endgültigen Durchsetzung der Gottesherrschaft sowohl als abwesend als auch als pneumatisch-sakramental anwesend erfahren wurde.

Während die Liturgiewissenschaft aus diesen Erkenntnissen bislang abgeleitet hatte, dass das eigentliche Sättigungsmahl zwischen Brotbrechen zu Beginn und Becher mit Segensgebet zum Abschluss schon in neutestamentlicher Zeit aus der Eucharistiefeier ausgelagert wurde, gibt es in jüngerer Zeit Forschungsansätze, die die Mahlzeiten der frühen Christenheit aus den hellenistischen (d. h. den hellenisierten jüdischen) Mahlfeiern in Form des Symposions ableiten. Die Zuordnung, d. h. das Ineinander von Sättigungsmahl und Eucharistie, ließe sich besser erklären wie auch der in 1 Kor 11 aufscheinende Konflikt. Weiterhin würden aber Brotsegen und Brotbrechen konstitutive Elemente der frühen christlichen Mähler sein, die aus dieser hellenistischen Form nicht herzuleiten wären.

Auch das Eucharistische Hochgebet, das die Sinngestalt der Feier prägt, aber textlich erst in späteren Jahrhunderten greifbar ist, kann bislang nur aus jüdischen Formen abgeleitet werden: dem Gebet nach dem Essen beim jüdischen Festmahl (Birkat ha-mazon) und dem davon unabhängigen Dankopfergebet (Toda).

Trotz bruchstückhafter Quellenlage wird an dieser zentralen Feier schon deutlich, dass christlicher Gottesdienst an jüdische liturgische Formen anknüpfte, selbst wenn sie hellenistisch beeinflusst waren. Zugleich war das Christus-Ereignis, die Erfahrung der Auferweckung Jesu, die die Besiegelung des Anbruchs der Gottesherrschaft darstellte, von solch prägender Kraft, dass Umformungen und Ergänzungen zu einer eigenständigen Sinngestalt führten, die für die zeitgenössische jüdische Umwelt nicht mehr akzeptabel waren.

Beispiel: Der Wortgottesdienst der Eucharistiefeier

Auch auf anderen Gebieten erweist sich der frühe christliche Gottesdienst sowohl als Anknüpfung an jüdische Vorbilder als auch als Neuschöpfung bzw. Herausbildung eigener liturgischer Formen. Die Schwierigkeit, konkrete Aussagen zu machen, liegt oftmals darin begründet, dass uns allein Quellen aus späteren Jahrhunderten vorliegen, bei denen man im Einzelnen abschätzen muss, inwieweit sie etwas beschreiben, das schon zuvor üblich war. Es gab zunächst ja keine Autorität, die „Liturgische Bücher“ herausgegeben oder den Gottesdienst schriftlich festgelegt hätte. Wir haben es mit einer überwiegend mündlichen Tradierung zu tun, die erst allmählich zu einer Verschriftlichung tendierte – z. B. als Reaktion auf bestimmte Auseinandersetzungen.

So ging man lange davon aus, dass der Wortgottesdienst der Messe eine Fortentwicklung aus dem entfalteten Wortgottesdienst der Synagoge war – nur eben unter Hinzunahme der neutestamentlichen Schriften, deren Entstehung von der Mitte des ersten bis mindestens Anfang des zweiten Jahrhunderts reichte. Heute weiß man, dass die jüdischen Quellen, die man dazu heranzog, überhaupt nicht bis in die Zeit des frühen Christentums zurückdatiert werden können – manches darin Fassbare dürfte sich sogar dadurch entwickelt haben, dass sich die Judenheit nach der Tempelzerstörung neu konstituieren musste und dabei von den jungen Christengemeinden abgrenzte.

Sicher lebten Juden wie Christen geistlich zu einem erheblichen Grad aus den Heiligen Schriften, während der Gottesglaube im Christentum durch die Person Jesu Christi eine eigene Gestalt erlangte. Eine These (und weiter als bis zu Thesen gelangt man nicht) für die Entstehung unseres Wortgottesdienstes ist, dass man wie beim Pessachmahl mit der Pessachhaggada, der großen Erzählung vom Auszug Israels aus Ägypten, auch bei den frühen Herrenmählern erzählte und verkündete, was grundlegend für den eigenen Glauben und das aktuelle gottesdienstliche Handeln war. Eine andere Wurzel wäre in den Gebetsgottesdiensten zu sehen, die am Morgen und Abend gehalten wurden und auch Schriftlesungen enthalten konnten, gerade wenn die Gebetsgottesdienste vor dem Sonntag zu Lesegottesdiensten in der Nacht (Vigilien) ausgebaut wurden. Von einer überall gleichen Entwicklung in den verstreuten kleinen Christengemeinden dürfen wir ohnehin nicht ausgehen.

Erstmals greifbar ist ein sonntäglicher Wortgottesdienst in einem Zeugnis des Justin aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts. Zu Beginn stand eine Lesung aus den Evangelien oder den „Propheten“, der eine Predigt folgte. Daran schlossen sich Gebet und Fürbitten sowie der Friedensgruß an, um anschließend mit dem Herbeibringen der Gaben in den eucharistischen Teil überzugehen.

In den sogenannten Apostolischen Konstitutionen war bereits die Abfolge: Lesungen – Antwortgesang – Evangelium – Predigt – Allgemeines Gebet (Fürbitten) dokumentiert. Dennoch ist weiterhin von regionalen Unterschieden auszugehen. Im Osten, vor allem in der syrischsprachigen Liturgie, kommt dem Alten Testament mit einer Lesung jeweils aus dem Gesetz (Tora) und den Propheten eine hohe Stellung zu. Darin dürfte sich der noch länger bestehende intensive Kontakt zum Judentum widerspiegeln. Hingegen las man im lateinischen Westen höchstens eine alttestamentliche Lesung, wie wir aus liturgischen Zeugnissen aus Mailand und Nordafrika erfahren.

Überall war gerade am Lesegottesdienst der Messe noch ein anderes Konstitutivum der frühen Liturgie zu erkennen, nämlich eine große gestalterische Freiheit. Denn was konkret aus der Heiligen Schrift gelesen und worüber gepredigt wurde, schien nur an hohen Festtagen festzustehen, ansonsten oblag die Auswahl dem Zelebranten. Zu ausgebildeten Leserordnungen fanden die einzelnen Liturgiefamilien erst später: Im Osten war die erste im Armenischen Lektionar für Jerusalem vom Anfang des 5. Jahrhunderts, im Westen waren Zeugnisse erst im 7./8. Jahrhundert greifbar. Eine solche liturgische Freiheit wurde anscheinend nicht als Willkür aufgefasst, sondern man ging davon aus, dass die für den Gottesdienst zuständigen Amtsinhaber nicht nur das Charisma, sondern auch die Kompetenz besaßen, mit dieser Freiheit sachgemäß umzugehen. Erste Formen von Leseordnungen bestanden aus Bahnlesungen, dem Lesen eines biblischen Buchs über längere Zeit, nicht aber im Herausgreifen einzelner, inhaltlich passender Abschnitte, wie wir dies von späteren Perikopenordnungen kennen.

Beispiel: Die Taufe

Wenn wir die Anfänge christlichen Gottesdienstes betrachten, gilt es, die Taufe besonders in den Blick zu nehmen. Denn es gab keine „tauflose Anfangszeit“; bereits die neutestamentlichen Schriften berichten mehrfach von der Taufe. Hier dürfte weniger das Judentum den Anknüpfungspunkt bilden, das zwar schon im AT rituelle Reinigungsbäder (Lev 11–15, Num 19) kannte, nie aber als Eingliederung in die Glaubensgemeinschaft. Für spätere Zeiten ist die „Proselytentaufe“ bezeugt, wenn Heiden zum Judentum konvertierten; diese kann aber nicht einfach in die Zeit Jesu zurückdatiert werden und beinhaltete auch nicht das Moment der Sündenvergebung. Außerdem war bei Männern immer die Beschneidung der eigentliche Ritus der Aufnahme in die jüdische Glaubensgemeinschaft.

Viel prägnanter als Vorläufer der christlichen Taufe erscheint die im Jahwe-Glauben völlig singuläre Bußtaufe des Johannes. Ihr Empfang war Antwort auf dessen vorausgehende Gerichts- und Umkehrpredigt (Mk 1, 4; Lk 3, 3). Der Vollzug im Jordan verdeutlichte die Handlung als symbolischen Neubeginn, als erneuten Einzug des Gottesvolkes in das Gelobte Land.

Die jungen Christengemeinden knüpften daran an und gaben der Taufe zugleich ihre ganz spezifische Deutung in der festen Überzeugung, den Auftrag des auferstandenen Herrn zu erfüllen (vgl. Mt 28, 19). Das Tauchbad, das die Empfänger nie selbst vollzogen, war Zeichen der inneren Umkehr und bewirkte die Vergebung der Sünden. Es war zugleich Bekenntnis des Glaubens an diesen Jesus Christus, auf dessen Namen sie getauft wurden (Apg 2, 38). Die Taufe stellte somit einen Herrschaftswechsel dar, war Anteilgabe an Tod und Auferstehung Jesu Christi (1 Kor 1, 13) und bewirkte die Wiedergeburt des Menschen im Heiligen Geist (Joh 3, 5f.).

Damit erweisen sich die beiden zentralen sakramentalen Feiern der frühen Christenheit sowohl als Anknüpfung an bekannte Vorbilder (wodurch die Feiern in der Umwelt leichter verständlich waren) und zugleich als selbstständiger Anfang einer eigenen liturgischen Praxis, die die nachfolgenden Jahrhunderte prägte.

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