Erwerb der deutschen Pluralflexion

Mesaj mə
Müəllif:
Seriyadan: Language Development #35
0
Rəylər
Fraqment oxumaq
Oxunmuşu qeyd etmək
Erwerb der deutschen Pluralflexion
Şrift:Daha az АаDaha çox Аа

Gülsüm Günay



Erwerb der deutschen Pluralflexion



Empirische Studien zu Kindern mit Türkisch als Erstsprache und Deutsch als Zweitsprache



A. Francke Verlag Tübingen















© 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.francke.de

 • info@francke.de





Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.





E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen





ePub-ISBN 978-3-8233-0024-3





Inhalt







Tabellenverzeichnis







Abbildungsverzeichnis







Abkürzungsverzeichnis







1 Einleitung







Teil I Zur Nominalflexion







2 Die Nominalflexion des Deutschen



2.1 Das Numerussystem des Deutschen



2.2 Das Genussystem des Deutschen



2.3 Das Kasussystem des Deutschen



2.4 Zusammenfassung






3 Die Nominalflexion des Türkischen

3.1 Das Numerussystem des Türkischen

Funktion I:Funktion II:Funktion III:

3.2 Das Genussystem des Türkischen

3.3 Das Kasussystem des Türkischen

3.4 Zusammenfassung





Teil II Zum Spracherwerb






4 Der Zweitspracherwerb

4.1 Zur Begriffsklärung

4.2 Die Rolle des Alters

4.3 Zur Erklärung der Sprachverarbeitung

4.4 Zusammenfassung




5 Der Erwerb der deutschen Nominalflexion

5.1 Der Erwerb der deutschen Nominalflexion im Erstspracherwerb

Zum PluralerwerbZum GenuserwerbZum Kasuserwerb

5.2 Der Erwerb der deutschen Nominalflexion im Zweitspracherwerb

5.3 Fragestellungen und Hypothesen

Hypothese IHypothese IIHypothese IIIHypothese IVHypothese VHypothese VI





Teil III Zum Plural- und Kasuserwerb –Eigene Untersuchung






6 Experiment 1: Das Zauberkisten-Experiment – Zum Pluralerwerb

6.1 Methode und Material

6.2 Untersuchungsteilnehmer

DaZ-KinderDaE-Kinder

6.3 Durchführung

6.4 Auswertungskriterien

6.5 Hypothesen

6.6 Ergebnisse

6.7 Diskussion der Ergebnisse




7 Experiment 2: Das Kunstwort-Experiment – Zum Pluralerwerb

7.1 Methode und Material

7.2 Untersuchungsteilnehmer

7.3 Durchführung

7.4 Auswertungskriterien

7.5 Hypothesen

7.6 Ergebnisse

7.7 Diskussion der Ergebnisse




8 Experiment 3: Das Bildkarten-Experiment – Zum Pluralerwerb

8.1 Methode und Material

8.2 Untersuchungsteilnehmer

8.3 Durchführung

8.4 Auswertungskriterien

8.5 Hypothesen

8.6 Ergebnisse

8.7 Diskussion der Ergebnisse




9 Experiment 4: Das Clown-Experiment – Zum Akkusativerwerb

9.1 Methode und Material

9.2 Untersuchungsteilnehmer

9.3 Durchführung

9.4 Auswertungskriterien

9.5 Ergebnisse

9.6 Diskussion der Ergebnisse




10 Experiment 5: Das Wink-Experiment – Zum Dativerwerb

10.1 Methode und Material

10.2 Untersuchungsteilnehmer

10.3 Durchführung

10.4 Auswertungskriterien

10.5 Ergebnisse




11 Experiment 6: Das Bauernhof-Experiment – Zum Pluralerwerb

11.1 Methode und Material

11.2 Untersuchungsteilnehmer

11.3 Durchführung

11.4 Auswertungskriterien

11.5 Ergebnisse





Teil IV Diskussion der Ergebnisse






12 Zum Pluralerwerb

12.1 ErwerbsphasenHypothese IHypothese II

12.2 Übergeneralisierungen

12.3 Einflussfaktoren

Hypothese IIIHypothese IV

12.4 Zusammenfassung




13 Zum Verhältnis von Numerus, Genus und Kasus

13.1 Zum Verhältnis von Numerus, Genus und Auslaut

Hypothese V

13.1 Zum Verhältnis von Numerus und Kasus

Hypothese VI

13.3 Zusammenfassung





Teil V Zusammenfassung und Ausblick







Zusammenfassung







Ausblick







Anhang







Literaturverzeichnis


















Tabellenverzeichnis




Tabelle 1:

Zur Flexion des Nomens im Deutschen

8

Tabelle 2:

Genusmarkierung im Deutschen (im Nominativ Singular)

17

Tabelle 3:

Genusmarkierung im Deutschen (im Nominativ Plural)

18

Tabelle 4:

Kasusmarkierung im Deutschen (im Singular)

23

Tabelle 5:

Kasusmarkierung im Deutschen (im Plural)

23

Tabelle 6:

Deklinationstypen der deutschen Kasusflexion (erstellt nach Wegener 1995: 146f. und Dudenredaktion 2006: 197f.)

24

Tabelle 7:

Kasusregeln für Nomenmarkierung

25

Tabelle 8:

Kasusregeln für Artikelmarkierung

25

Tabelle 9:

Kasusregeln für Adjektivmarkierung

26

Tabelle 10:

Beispiel für Genus-, Kasus- und Numerussynkretismen (nach Wegener 1995: 166)

27

Tabelle 11:

Zu den semantischen Rollen in der Kasusmarkierung

28

Tabelle 12:

Geschlechtsunterscheidungen im Türkischen (nach Korkmaz 2007: 254f.)

37

Tabelle 13:

Kasusmarkierung am Nomen im Türkischen

39

Tabelle 14:

Erwerbsreihenfolgen von Kindern mit DaE in unterschiedlichen Studien

60

Tabelle 15:

Übergeneralisierungsrichtung von Kindern mit DaE in unterschiedlichen Studien

61

Tabelle 16:

Pluralerwerbsphasen nach Bittner (2000) übertragen auf den ZSE

71

Tabelle 17:

Untersuchungsteilnehmer (DaZ-Kinder)

77

Tabelle 18:

Berufe der Mütter (DaZ-Kinder)

78

Tabelle 19:

Berufe der Väter (DaZ-Kinder)

79

Tabelle 20:

Vorleseverhalten der Eltern (DaZ-Kinder)

80

Tabelle 21:

Gesamtauswertung

Cito

-Test

Tabelle 22:

Untersuchungsteilnehmer (DaE-Kinder)

80

Tabelle 23:

Berufe der befragten Mütter (DaE-Kinder)

81

Tabelle 24:

Berufe der befragten Väter (DaE-Kinder)

81

Tabelle 25:

Vorleseverhalten der Eltern (DaE-Kinder)

81

Tabelle 26:

Items des Zauberkisten-Experiments (vgl. Bartke 1998: 71)

83

Tabelle 27:

Mittelwert der zielsprachlichen Pluralformen (Zauberkisten-Experiment)

85

Tabelle 28:

Insgesamt produzierte Pluralformen nach Items und Zielsprachlichkeit (Zauberkisten-Experiment)

85

Tabelle 29:

Auswertung der Antworten nach Kategorien (Zauberkisten-Experiment)

86

Tabelle 30:

Ergebnisse nach Altersgruppen und Kategorien (Zauberkisten-Experiment)

87

Tabelle 31:

Mittelwertunterschiede der Ergebnisse nach Anzahl korrekter Pluralformen und Altersgruppen (Zauberkisten-Experiment)

87

Tabelle 32:

Übergeneralisierungen nach Endungen im Zauberkisten-Experiment (mit und ohne Nullmarkierung)

88

Tabelle 33:

Ergebnisse insgesamt nach Markierung und Zielsprachlichkeit (Zauberkisten-Experiment)

89

Tabelle 34:

Verteilung der insgesamt produzierten Formen im Zauberkisten-Experiment (N=832)

89

Tabelle 35:

Markierte Pluralformproduktionen nach Teilnehmern (Zauberkisten-Experiment)

94

Tabelle 36:

Übersichtsvergleich der Daten Günay im Zauberkisten-Experiment mit den Ergebnissen von Bartke

95

Tabelle 37:

Mittelwerte der produzierten korrekten Pluralformen bei DaE- und DaZ-Kindern (Zauberkisten-Experiment)

95

Tabelle 38:

Insgesamt produzierte Pluralformen nach Items und Zielsprachlichkeit von DaE-Kindern im Vergleich zu DaZ-Kindern (Zauberkisten-Experiment)

96

Tabelle 39:

Übergeneralisierungen nach Endungen (mit und ohne Nullmarkierung) der DaE-Kinder im Vergleich zu den DaZ-Kindern (Zauberkisten-Experiment)

97

Tabelle 40:

Items des Kunstwort-Experiments

100

Tabelle 41:

Einteilung der Items des Kunstwort-Experiments in Gruppen (nach Marouani)

101

Tabelle 42:

Pluralmarkierung der Kunstwörter nach Items mit Nullmarkierung

103

Tabelle 43:

Zusammenfassung der Pluralmarkierung der Kunstwörter (mit und ohne Nullmarkierung)

103

Tabelle 44:

Pluralmarkierungen der Kunstwörter nach Items und Altersgruppen

108

Tabelle 45:

Mittelwert der zielsprachlichen Pluralformen bei den DaZ-Kindern (Bildkarten-Experiment)

111

Tabelle 46:

Insgesamt produzierte Pluralformen nach Items und Zielsprachlichkeit (Bildkarten-Experiment)

112

Tabelle 47:

Auswertung der Antworten nach Kategorien (Bildkarten-Experiment)

112

Tabelle 48:

Ergebnisse nach Altersgruppen und Kategorien (Bildkarten-Experiment)

113

Tabelle 49:

Mittelwertunterschiede der Ergebnisse nach Altersgruppen (Bildkarten-Experiment)

113

Tabelle 50:

Übergeneralisierungen nach Endungen im Bildkarten-Experiment (mit und ohne Nullmarkierung)

113

Tabelle 51:

Items des Clown-Experiments

116

Tabelle 52:

Auswertungskriterien des Clown-Experiments

119

Tabelle 53:

Ergebnisse des Clown-Experiments nach Items und Zielsprachlichkeit (DaZ-Kinder)

120

Tabelle 54:

Mittelwerte der zielsprachlichen Antworten im Nominativ und im Akkusativ im Clown-Experiment (DaZ-Kinder)

120

Tabelle 55:

Antworten der DaZ-Kinder im Nominativ und im Akkusativ (Clown-Experiment)

121

Tabelle 56:

Antworten der DaZ-Kinder im Nominativ und Akkusativ nach Items und Gebrauch von Adjektiv (Clown-Experiment)

123

Tabelle 57:

Antworten der DaE-Kinder im Nominativ und im Akkusativ (Clown-Experiment)

125

Tabelle 58:

Items des Wink-Experiments

126

Tabelle 59:

Auswertungskriterien des Wink-Experiments

129

Tabelle 60:

Mittelwerte der zielsprachlichen Antworten im Dativ im Wink-Experiment (DaZ-Kinder)

130

Tabelle 61:

Antworten der DaZ-Kinder im Wink-Experiment

130

Tabelle 62:

Adjektivgebrauch der DaZ-Kinder (Wink-Experiment)

130

Tabelle 63:

Antworten der DaE-Kinder (Wink-Experiment)

132

Tabelle 64:

Adjektivgebrauch der DaE-Kinder (Wink-Experiment)

132

Tabelle 65:

Altersgruppen Bauernhof-Experiment (DaZ-Kinder)

135

Tabelle 66:

Berufe der befragten Mütter (DaZ-Kinder/Bauernhof-Experiment)

135

Tabelle 67:

Berufe der Väter (DaZ-Kinder/Bauernhof-Experiment)

136

Tabelle 68:

Vorleseverhalten (DaZ-Kinder/Bauernhof-Experiment)

136

Tabelle 69:

Berufe der Mütter und Väter (DaE-Kinder/Bauernhof-Experiment)

137

Tabelle 70:

Vorleseverhalten der Eltern (DaE-Kinder/Bauernhof-Experiment)

138

Tabelle 71:

Altersstufen der DaZ- und DaE-Kinder im Bauernhof-Experiment

156

Tabelle 72:

Übergeneralisierungen im Zauberkisten-Experiment nach Items in Phase 2 und 3 (ohne Nullpluralformen)

173

Tabelle 73:

Übergeneralisierungen im Bildkarten-Experiment nach Items in Phase 2 und 3 (ohne Nullmarkierungen)

174

Tabelle 74:

Anteil korrekter Pluralformen in Phase 2, 3 und 4 im Vergleich (Zauberkisten-Experiment)

175

Tabelle 75:

Anteil korrekter Pluralformen in Phase 2, 3 und 4 im Vergleich (Bildkarten-Experiment)

176

Tabelle 76:

Übergeneralisierungen im Zauberkisten-Experiment nach Items und Altersgruppen

178

Tabelle 77:

Übergeneralisierungen im Bildkarten-Experiment nach Items und Endungen (DaZ-Kinder)

180

Tabelle 78:

Übergeneralisierungen im Bildkarten-Experiment nach Items und Altersgruppen

182

Tabelle 79:

Frequenzermittlungsvergleiche der Items aus dem Bildkarten-Experiment

184

Tabelle 80:

Gesamtbetrachtung der Pluralmarkierungen (nach Items) aus allen Pluralerwerbs-Experimenten

194

Tabelle 81:

Beispiel für „fortschrittliche“ Übergeneralisierung

208











 





Abbildungsverzeichnis




Abbildung 1:

Pluralbildung im Deutschen (nach Wegener 1992)

13

Abbildung 2:

Exemplarischer Gesprächsausschnitt aus dem Zauberkisten-Experiment

83

Abbildung 3:

Vergleich der übergeneralisierten Endungen

91

Abbildung 4:

Beispielkarten

Trul

99

Abbildung 5:

Gesprächsausschnitt aus dem Bildkarten-Experiment

110

Abbildung 6:

Fehlerquote nach Altersgruppen (Bildkarten-Experiment)

115

Abbildung 7:

Fragemuster bei der Elizitation von Akkusativobjekten

117

Abbildung 8:

Gesprächsausschnitt aus dem Clown-Experiment

118

Abbildung 9:

Fehlerqoute nach Altersgruppen – Nominativ der DaZ-Kinder (Clown-Experiment)

124

Abbildung 10:

Fehlerqoute nach Altersgruppen – Akkusativ der DaZ-Kinder (Clown-Experiment)

124

Abbildung 11:

Fragemuster bei der Elizitation von Nominativformen

127

Abbildung 12:

Fragemuster bei der Elizitation von Dativobjekten

127

Abbildung 13:

Bauernhof-Experiment

133

Abbildung 14:

Gesprächsleitfaden (Bauernhof-Experiment)

139

Abbildung 15:

Gesamtergebnis nach Zielsprachlichkeit und Geschlecht (Bauernhof-Experiment)

140

Abbildung 16:

Markierung des Items

Schaf

 nach Altersgruppen

141

Abbildung 17:

Übergeneralisierte Endungen im Bauernhof-Experiment

155

Abbildung 18:

Übergeneralisierungsrichtung der DaZ-Kinder (Bildkarten-Experiment)

181

Abbildung 19:

Übergeneralisierungen im Bauernhof-Experiment nach Altersgruppen

182















Abkürzungsverzeichnis




Abb.

Abbildung

Abl

Ablativ

Adj

Adjektiv

Akk

Akkusativ

ANOVA

Analysis of variance (Einfaktorielle Varianzanalyse)

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

Cito

Cetraal Instituut voor Toetsontwikkeling (Sprachstandtest)

D

Durchgang

DaE-Kinder

Kinder mit Deutsch als Erstsprache

DaZ-Kinder

Kinder mit Deutsch als Zweitsprache

Dat

Dativ

def.

definit

DO

direktes Objekt

ebd.

ebenda

f.

folgende

ff.

fortfolgende

Fem

Femininum

G

Genus

Gen

Genitiv

GL

Gesprächsleitung

H

Hypothese

HAVAS 5

Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstands Fünfjähriger (Sprachstandtest)

IPE

Institut für Interkulturelle Pädagogik im Elementarbereich Mainz

IO

indirektes Objekt

indef.

indefinit

irreg.

irregulär

k.A.

keine Angabe

Lok

Lokativ

Mask

Maskulinum

N

Anzahl

Neutr

Neutrum

Nom

Nominativ

PG

Pluralgruppe

Pl

Plural

PLM

Pluralmarkierung

PW

Passiver Wortschatz

S

Silbenanzahl

SD

Standardabweichung

Sg.

Singular

SU

Subjekt

TN

Untersuchungsteilnehmer

u.a.

unter anderem

UL

Umlaut

usw.

und so weiter

ÜG

Übergeneralisierung

vgl.

vergleiche

z.B.

zum Beispiel

Zit.

Zitat

ZSE

Zweitspracherwerb











 





1 Einleitung



Mit großen Augen betrachtet das Kind das auf dem Boden aufgebaute Bauernhof-Brettspiel, während die Gesprächsleiterin das Spiel erklärt. Dann fängt es an zu würfeln. „Ein Schaf“, sagt es, auf das Bild auf dem Würfel schauend, und findet sogleich das dazugehörige Spielfeld. „Hier! Hier sind ganz viele Schäfe!“, ruft es auf die Wiese mit den Schafen zeigend. Das Spiel beginnt – beziehungsweise das Experiment 6 der vorliegenden Arbeit –, das mit Kindern mit türkischem Migrationshintergrund durchgeführt wurde.



Kinder mit Migrationshintergrund – so werden die Kinder von rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung (Statistisches Bundesamt 2013) bezeichnet.1 Sie sind in Deutschland geboren, besuchen meist ab dem dritten Lebensjahr eine deutsche Kindertagesstätte und sprechen verschiedene Erstsprachen. Mehr als ein Drittel der Kinder unter 10 Jahren in Deutschland besitzen einen Migrationshintergrund. Die größte Gruppe dabei bilden die Kinder mit Türkisch als Erstsprache. Sie werden in Kindergärten und Grundschulen oft als Problemkinder wahrgenommen – vor allem aufgrund ihrer Sprachdefizite. Welche Bereiche der deutschen Sprache stellen diese Kinder beim Erwerb vor besondere Probleme?



Gegenstand von Untersuchungen des kindlichen Zweitspracherwerbs von Kindern mit Türkisch als Erstsprache sind bislang der Erwerb der Verbstellung (Haberzettl 2005), der Satzstruktur (Kroffke/Rothweiler 2006, Chilla 2008), des Wortschatzes (Karasu 1995, Kuyumcu 2008), der Determinierer (Lemke 2008) und der Präpositionen (Turgay 2010). Umfassende Studien zum Erwerb der deutschen Nominalflexion durch türkischsprachige2 Kinder liegen bislang nicht vor. Dies liegt gewiss nicht daran, dass dieser Bereich der Sprache beim Erwerb keine Rolle spielt oder dass die Formen und Strukturen schnell korrekt produziert werden. Im Gegenteil, die Komplexität der deutschen Nominalflexion und die damit verbundenen Erwerbsprobleme für Zweitspracherwerber3 sind offensichtlich und evident. Dies zeigt Wegener (1992) mit ihrer Habilitation über den Zweitspracherwerb von Kindern mit Polnisch, Russisch und Türkisch als Erstsprache. Bislang veröffentlichte sie jedoch nur in verschiedenen Aufsätzen ihre Ergebnisse aus der Studie, die sie mit vier Kindern mit Polnisch und Russisch als Erstsprache und zwei Kindern mit Türkisch als Erstsprache durchgeführt hat (1995a-d; 2006). Ihr Interesse gilt insbesondere der Frage, ob die Komplexität der Strukturen für die Erklärung der Erwerbsschwierigkeiten hinzuzuziehen ist oder eher die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Erstsprache und dem Deutschen den Erwerb beeinflussen. Neben fundierten theoretischen Ausführungen formuliert sie mit Hilfe ihrer empirischen Arbeit Erwerbsphasen für den Nominalflexionserwerb, die beispielsweise der Arbeit von Marouani (2006) als Grundlage dienten. Marouani (2006) untersucht den Zweitspracherwerb von neun drei- bis fünfjährigen Kindern mit Arabisch als Erstsprache. Sie analysiert hauptsächlich in Anlehnung an Wegener (1995a) die Kategorien Genus, Numerus und Kasus hinsichtlich ihrer Markierung, ihrer Zuweisung und ihrer Funktion und deren Erwerb mit Hilfe von Spontansprachdaten der arabischsprachigen Kinder. Die zentrale Frage ihrer Arbeit, ob Abhängigkeitsverhältnisse beim Erwerb der Kategorien bestehen, kann sie eindeutig verneinen, da sie keine Beziehung zwischen Genuszuweisung und Pluralmorphologie und zum Kasus feststellte. Die in der Theorie feststellbaren Abhängigkeitsverhältnisse schienen beim Erwerb keine Rolle zu spielen. Die Notwendigkeit weiterer Studien zum Erwerb der Nominalflexion, insbesondere durch Kinder mit anderen Erstsprachen wie zum Beispiel durch Kinder mit Türkisch als Erstsprache, hebt sie besonders hervor:



„Es wäre allerdings eine effizientere Behandlung der in dieser Arbeit untersuchten Problematik sehr nützlich gewesen, wenn weitere Daten von anderen gleichaltrigen ausländischen Kindern mit ähnlichen Lernbedingungen, aber unterschiedlichen Muttersprachen hatten, herangezogen werden können, wie z.B. Türkisch oder Russisch. Ein solcher Vergleich hätte dazu beitragen können, den Gebrauch der untersuchten grammatischen Erscheinungen bei den arabischen Kindern besser verstehen zu können und es erlaubt, den Erwerbsverlauf der nominalflexivischen Kategorien klarer darzustellen.“ (Marouani 2006: 257)



Weitere Arbeiten, die den Zweitspracherwerb der Nominalflexion durch Kinder mit Türkisch als Erstsprache untersuchen, sind insbesondere im Bereich der Kategorie Genus (z.B. Kaltenbacher/Klages 2006, Jeuk 2008) zu finden. Einen ersten fundierten Ansatz in diesem Bereich liefert die Studie von Ruberg (2013), der den Genuserwerb von Kindern mit Türkisch, Polnisch und Russisch als Erstsprache untersucht. Er stellt fest, dass der Genuserwerb bei Kindern, die bis zum Alter von vier Jahren mit dem Zweitspracherwerb beginnen, wie beim Erstspracherwerb verläuft (vgl. Ruberg 2013: 318). Lediglich Unterschiede hinsichtlich der Geschwindigkeit seien feststellbar. Im Vergleich zu den untersuchten Kindern mit Polnisch und Russisch als Erstsprache beobachtet er bei den Kindern mit Türkisch als Erstsprache einen langsamer ablaufenden Erwerbsverlauf.



Die zentrale Frage, die hier aufkommt, ist: Wie ist der Erwerbsverlauf in anderen Bereichen der Nominalflexion? Zum Numerus- und Kasuserwerb von türkischsprachigen Kindern liegen uns bislang außer den Ergebnissen von Wegener, die sie mit Hilfe von zwei Kindern ermittelt und den Analysen von Lemke (2008), die er im Rahmen seiner Studie zum Erwerb von Determiniererphrasen in Bezug auf ein von ihm untersuchtes Kind mit Türkisch als Erstsprache formulierte, keine Daten vor.



In dieser Arbeit wird der Erwerb der deutschen Pluralflexion durch 77 Kinder mit Deutsch als Zweitsprache und Türkisch als Erstsprache analysiert.4 Als Kontrollgruppe dienen 19 DaE-Kinder (Kinder mit Deutsch als Erstsprache).5 Mit Hilfe eines vor der Untersuchungsdurchführung von den Eltern ausgefüllten Fragebogens werden Daten zum Alter und Beginn des Zweitspracherwerbs ermittelt, um eine möglichst homogene Gruppe von DaZ-Kindern (Kindern mit Deutsch als Zweitsprache) untersuchen zu können. Hierbei werden lediglich sprachunauffällige Kinder für die Experimente herangezogen. Zudem werden nur Kinder untersucht, die mit drei Jahren in eine Kindertagesstätte kamen und bei denen die Eltern angeben, zu Hause Türkisch mit den Kindern zu sprechen. Die Daten werden mit Hilfe von verschiedenen Elizitationstests in den Wohnungen der Kinder erhoben. Neben dem Erwerb der Pluralflexion erfolgt auch ein Einbezug des Genus- und insbesondere des Kasuserwerbs.



Für den Genus- und Kasuserwerb von DaZ-Kindern, die bis zum Alter von vier Jahren mit dem Erwerb des Deutschen beginnen, konnte in bisherigen Studien festgestellt werden, dass der Erwerb wie in der Erstsprache verläuft (vgl. z.B. Thoma/Tracy 2006, Rothweiler 2007, Chilla 2008, Meisel 2009, Ruberg 2013). Gilt dies auch für den Pluralerwerb von türkischsprachigen DaZ-Kindern?





Folgende drei zentrale Fragen sollen in dieser Arbeit untersucht werden:



1 Unterscheidet sich der Erwerb der Pluralbildung durch DaZ-Kinder mit Türkisch als Erstsprache, die bis zum Alter von vier Jahren mit dem Erwerb des Deutschen beginnen, vom Erstspracherwerb des Deutschen?

2 Welche Strategien setzen DaZ-Kinder bei der Wahl der Pluralmarker ein?

3 Sind die in der Theorie feststellbaren Abhängigkeitsverhältnisse der Kategorien Numerus, Genus und Kasus auch beim Erwerb dieser Kategorien erkennbar?



Aus diesen Fragen leiten sich die Hypothesen ab, die im fünften Kapitel der Arbeit formuliert werden.



Die Arbeit gliedert sich in sechs Teile. Zunächst wird im

ersten

 Teil die Nominalflexion des Deutschen und des Türkischen thematisiert, indem das jeweilige Numerus-, Genus- und Kasussystem skizziert wird. Hierbei erfolgt die Beschreibung der türkischen Nominalflexion, soweit möglich, auf einer direkten Vergleichsebene mit der im vorhergehenden Kapitel dargestellten deutschen Nominalflexion. Auch wenn im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit der Schwerpunkt auf der Pluralflexion liegt, erscheint die Betrachtung des Genus- und Kasussystems sinnvoll, um den Kontext und die Komplexität der Erwerbsaufgaben, mit denen die Kinder in diesem Bereich konfrontiert sind, aufzeigen zu können.



Der

zweite

 theoretische Teil beschäftigt sich eingangs mit grundlegenden Thesen und Annahmen des Zweitspracherwerbs und fokussiert anschließend den Erwerb der Nominalflexion. Neben den Untersuchungen und Annahmen zum Pluralerwerb, werden dabei auch Studien und Erkenntnisse zum Genus- und Kasuserwerb skizziert, um einen Überblick über die Annahmen zum Erwerb der deutschen Nominalflexion in der Erst- und Zweitsprache