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Der blaurote Methusalem

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»Er will beweisen, daß er wirklich ein heiliger und wunderthätiger Lama ist. So wie er sich sein eigenes Auge aus dem Gesicht genommen hat, will er auch den anderen Anwesenden die Augen und die Nasen entfernen. Er ist sogar erbötig, ihnen die Arme und Beine aus dem Leibe zu ziehen und dann wieder anzusetzen. Wer will es versuchen, sich von seiner wunderbaren Macht zu überzeugen?«

»Ngo put, ngo put – ich nicht, ich nicht,« rief es rundum, indem die Bonzen und Mandarinen sich noch weiter von Turnerstick zurückzogen.

»Niemand? Es braucht sich aber keiner zu fürchten, denn er setzt jedes Glied, welches er ausreißt, wieder an seine Stelle.« Und deutsch fügte er hinzu: »Stecken Sie das Auge wieder hinein und thun Sie dann so, als ob Sie dort dem Oberpriester das Bein herausreißen wollen.«

Turnerstick folgte dieser Aufforderung.

»I, miao-ya – seltsam, wunderbar!« riefen die Leute, als sie das Auge wieder an seiner Stelle erblickten und auch sahen, daß es sich bewegte.

Als sich aber nun der Kapitän dem Oberpriester näherte, sich vor demselben niederbeugte und nach seinem Fuße griff, retirierte derselbe erschrocken und fragte:

»Was will er? Was hat er vor?«

»Er will Ihrer Heiligkeit beweisen, daß er das alles kann, was ich sagte. Er will Ihnen die beiden Beine herausziehen.«

Da drängte der Bedrohte sich in die fernste Ecke hinter die Götterbilder und schrie:

»Vu, vu! Ngo put yuk ngo; put kam; ngo kiao – nein, nein! Ich will das nicht; ich mage das nicht; ich schrei‘!«

Als Turnerstick ihm dennoch bis in den Winkel nachging, rannte der Priester nach der gegenüberliegenden Ecke und brüllte, als ob es ihm an das Leben gehe.

Selbst der Tong-tschi wußte nicht, was er zu dem Wunder sagen solle. Er wußte es sich nicht zu erklären, war aber überzeugt, daß die Sache ganz natürlich zugebe. Der Schreck, welcher alle ergriffen hatte, war ihm sehr willkommen. Er bat Liang-ssi:

»Sage ihm, daß wir sein Wunder nicht versuchen wollen. Wir glauben es, denn wir haben es gesehen; aber es ist doch gefährlich, es an anderen probieren zu lassen.«

Liang-ssi winkte den Kapitän wieder zu sich und erklärte dem Mandarin:

»Ein Glück für den Ta, daß er geflohen ist! Der Lama ist von diesen Herren unehrerbietig behandelt worden. Zur Strafe dafür hätte er dem Ta die Beine falsch und verkehrt wieder eingesetzt, das rechte links, das linke rechts und beide mit den Zehen nach hinten.«

»Vu, vu!« schrie der Ta aus seiner Ecke. »Ngo put yuk, ngo put yuk – nein, nein! Ich will nicht, ich mag nicht!«

Der Tong-tschi wendete sich mit sehr ernster Miene an den Gefängnisbeamten:

»Mein kleiner Verwandter hat da jedenfalls zu schnell gehandelt. Sind Sie schon einmal in Tibet gewesen?«

»Nein,« antwortete der Gefragte ein wenig kleinlaut.

»Oder haben Sie schon einmal einen Lama gesehen?«

»Nein.«

»Oder kennen Sie die Gesetze, nach denen die Lamas leben, und die Lehren, nach denen sie handeln?«

»Ich habe die betreffenden Bücher noch nicht gelesen. Ich brauchte das auch nicht zu kennen, da ich diese Leute nicht für Lamas, sondern für Fu-len hielt.«

»So! Und dennoch haben Sie sich falsch verhalten. Ich muß Ihnen eine Rüge erteilen, werde aber von einer wirklichen Strafe absehen, da Sie noch jung sind und in amtlichem Eifer gehandelt haben. Es sind zwei Fälle möglich. Entweder sind diese Herren wirklich heilige Lamas, welche man wie Götter zu verehren hat. In diesem Falle wußten Sie nicht, wie Sie sich gegen sie verhalten sollten, und mußten sich also den Rat eines höheren Kuan-fu erbitten, welcher in dieser Beziehung erfahrener war als Sie. Das haben Sie aber unterlassen. Ist es denn keinem der anwesenden höheren Kuan-fu eingefallen, Sie zu warnen?«

»Nein.«

»So kann ich Ihnen leichter verzeihen, weil die andern die Schuld auch mit zu tragen haben.«

»Aber Ihre berühmte und erleuchtete Weisheit mag gnädigst bedenken, daß ich diese fremden Wesen für Fu-len halten mußte, da der eine von ihnen die Sprache der Fu-len redete! «

»Das ist sehr leicht zu erklären. Während er vertieft auf seinem Platze saß und sich in das All versenkte, ist sein Geist durch fremde Länder geeilt und hat da die Sprache der Fu-len vernommen. In diesem Augenblicke haben Sie seine Seele gezwungen, zurückzukehren und sie hat diese Sprache noch in den Ohren und im Munde gehabt. Aber auch angenommen, daß diese verehrungswürdigen Herren Fu-len seien, so will ich meinen jungen Bruder fragen, ob Sie das Recht besitzen, sie ins Verhör zu nehmen?«

Der Gefragte blickte verlegen vor sich nieder und antwortete nicht.

»Sie sind zwar noch jung, aber als Kuan-fu und Moa-sse müssen Sie die Grenzen der verschiedenen Amtsgewalten genau kennen. Jeder Fu-len ist für uns ein Y-jin, ein fremder Mann. Hoffentlich wissen Sie, in wessen Amtsbereich die Fremden gehören?«

»In denjenigen des Tong-tschi.«

»Kennen Sie diesen Beamten?«

»Ja, Ihre Hoheit ist es.«

»Warum haben Sie da nicht sofort nach mir gesandt? Sie sind Pang-tschok-kuan, eine Würde, welche für Ihr Alter so groß ist, daß ich Ihnen ungewöhnliche Kenntnisse zutrauen muß. Darum wundert es mich sehr, daß Sie nicht gewußt haben, daß Sie vor allen Dingen einen Boten zu mir senden mußten. Es gibt zwar auch Unterbeamte, denen ich einen kleinen Teil meiner Gewalt anvertraut habe, doch kommen diese hier nicht in Betracht, da es sich um einen so außerordentlichen Fall handelte.«

Sein Ton war sehr streng geworden. Es herrschte die Stille größter Verlegenheit in dem Raume. Der Pang-tschok-kuan stand da wie niedergeschmettert, und auch die andern Mandarinen wagten kaum, ihre Augen zu erheben. Mochten sie dem Tong-tschi recht geben oder nicht, sie hatten keine Erlaubnis, ihm zu widersprechen. Er fuhr in dem bisherigen strengen Tone fort:

»Was beabsichtigten Sie denn eigentlich in diesem schwierigen Falle zu thun?«

Das gab dem jungen Beamten Gelegenheit, sich einigermaßen herauszubeißen. Er antwortete:

»Eben als Ihre Hoheit kam, war ich entschlossen, einen Boten zu senden, um Ihre große Erfahrenheit zu bitten, sich hierher zu bemühen. Vorher aber war ich jedenfalls gezwungen, die Fremden zu verhören, um die erleuchteten Fragen Ihrer Ueberlegenheit beantworten zu können.«

»Aber Sie haben sich an ihnen vergriffen; das durfte nicht geschehen. Sie wissen doch, daß wir keinen Fremden bestrafen dürfen. Wenn ein Ausländer gegen unsere Gesetze handelt, so haben wir ihn seinem Gesandten zur Bestrafung auszuliefern. Selbst wenn diese Leute nur Fu-len sind, so werden sie sich bei dem Vertreter ihres Herrschers über Sie beschweren, und wir sind dann gezwungen, alle, welche eine Klage trifft, auf das strengste zu bestrafen. Wie leicht können Sie dann nicht nur Ihren Rang als Beamter, sondern sogar die Würde Ihres litterarischen Grades verlieren! Aber ich will aus besonderer Rücksicht gegen Ihre Jugend diese Herren bitten, von einer solchen Beschwerde abzusehen, und hoffe, daß Sie ihnen von jetzt an höflich und rücksichtsvoll entgegenkommen, da sie einstweilen unter Ihrer Obhut bleiben müssen.«

Und als der andere ihn fragend anblickte, fuhr er in belehrendem Tone fort:

»Mein junger Kollege hat die Schuld dieser Herren für größer gehalten, als sie ist. Sind sie Lamas, so trifft sie überhaupt keine Schuld, da ihre Heiligkeit sie berechtigt, sich in jedem Tempel niederzulassen. Und sind sie Fu-len, so ist ihre Schuld nur gering, da sie nicht wissen konnten, daß das, was sie thaten, bei uns verboten ist und sehr streng bestraft wird. Ich werde diesen Fall selbst und sehr genau untersuchen und vertraue Ihnen bis dahin diese Leute an. Geben Sie ihnen eine gute Wohnung im Gefängnisse, und sorgen Sie für alle ihre Bedürfnisse! Wir müssen uns allerdings, bis wir ein gerechtes Urteil fällen können, ihrer Personen versichern, aber wir müssen uns hüten, sie jetzt schon als Schuldige und Sünder zu behandeln. Lassen Sie Sänften für sie kommen, auch für diesen jungen Mann, welcher ihren Dolmetscher macht und den wir nötig haben, weil wir ihre Sprache nicht verstehen. Aber das muß heimlich geschehen, damit sie nicht von der draußen stehenden Menge belästigt werden. Ich selbst werde voraneilen, um sie im Huok-tschu-fang zu erwarten und mich zu überzeugen, daß sie uns sicher sind, ohne sich über uns beklagen zu müssen.«

Er entfernte sich, wobei sich alle wieder tief vor ihm verneigten. Die Thür wurde hinter ihm schnell wieder verschlossen.

Turnerstick stand noch frei da. Keiner der Polizisten war so kühn gewesen, die Hand wieder an ihn zu legen. Der Oberpriester hielt noch immer vorsichtig in seiner Ecke und sagte jetzt, den Blick ängstlich auf den Kapitän gerichtet:

»Haben Sie es gehört, was geschehen soll? Fort sollen sie. Führt sie in den Hof und schickt nach Palankins. Sie können durch die Hintergasse fort, wo niemand ihnen Beachtung schenkt. Ich aber werde den Tempel verschlossen halten müssen, um abzuwarten, was diese Leute sind. Sind sie Fu-len, so dürfen unsere Götter erst dann wieder auf ihre Sitze, wenn dieselben gereinigt und wieder geweiht worden sind. Führt sie hinaus! Fort mit ihnen!«

Es war ihm nur darum zu thun, Turnerstick nicht mehr zu sehen. Die beiden Beine ausgerissen und verkehrt wieder eingesetzt zu bekommen, das schien ihm das denkbar größte Unglück zu sein.

Jetzt trat der junge Mandarin zu den Gefangenen, machte ihnen eine Reverenz und sagte:

»Die hohen Herren haben gehört, was der mächtige Tong-tschi befohlen hat. Wollen Sie die Güte haben, mir zu folgen?«

»Was meint er?« fragte der Kapitän.

»Er will uns fortführen.«

»Wohin?«

»In das Gefängnis.«

»Fällt mir nicht ein! Wenn er sich selbst einschließen will, so habe ich nichts dagegen, mich aber lasse ich nicht hinter Schloß und Riegel sperren. Nicht wahr, Mijnheer?«

»Neen, ik ook niet. Ich heb Honger; ik wil eten!«

 

»Das sollen Sie ja,« drängte Liang-ssi. »Sie werden es im Gefängnis nicht schlecht haben. Wir bekommen gute Zimmer und auch Essen.«

»Aber was für welches!«

»Gutes! Der Tong-tschi hat befohlen, daß man gut für uns sorgen soll. Widerstand würde vergebens sein. Nur wenn wir uns fügen, können wir gerettet werden. Sie können sich darauf verlassen, daß Herr Degenfeld uns nicht stecken lassen wird.«

»Ja, das ist freilich sicher. Wollen wir mitgehen, Mijnheer?«

»Ja,« antwortete der Dicke, welcher überhaupt nur stets das wollte, was seine Freunde wollten. »Wij willen met gaan.«

»Nun gut! Aber vorher will ich diesem Oberpriester noch eine Angst einjagen. Er sieht mich an wie das Karnickel den Eisbär. Der Mann muß einen großartigen Respekt vor mir haben. Was heißt in diesem unverständlichen Dialekt: Ich verlange Ihre Augen?«

»Ngo yao ling-yen,« antwortete Liang-ssi leise.

»Ngo yao ling-yen. Das kann ich mir für diesen Augenblick merken.«

Er schritt langsam nach der Ecke, aber so, daß der Oberbonze weder rechts noch links ausweichen konnte, nahm sein Auge heraus, brachte es wieder in die Höhle zurück und sagte dann, die beiden Hände nach dem Gesichte des Angsterfüllten ausstreckend:

»Ngo yao ling-yen!«

»Pen yen! T‘ien-na, Tieu schin – meine Augen! 0 Himmel, zu Hilfe!« schrie der Bedrängte auf.

Er stieß, da es keinen andern Ausweg gab, den Kapitän zur Seite und flüchtete sich hinter die Bonzen.

»Schafft ihn fort, schnell, schnell!« gebot er dort. »Wir kommen sonst alle um unsere Augen und um unsere Glieder! Er nimmt uns die Augen und setzt sie verkehrt wieder ein!«

Der Gefängnisbeamte bat den Kapitän in höflichster Weise, ihm nun zu folgen und sich nicht weiter zu bemühen, ein Wunsch, dem nun auch Folge geleistet wurde. Einige Polizisten wurden nach Sänften geschickt, in welchen die Gefangenen unter Bedeckung nach dem Gefängnisse gebracht wurden, wo der Tong-tschi sie bereits erwartete.

Dieser letztere sorgte dafür, daß sie gute Wohnung erhielten, welche eigentlich für höhere Staatsgefangene bestimmt war, und wies dann den Pang-tschok-kuan an, ihnen eine gute Mahlzeit und alles Erlaubte, was sie verlangen würden, zu verabreichen. Daran fügte er die Bemerkung, daß er zwar heut verhindert sei, morgen aber mit hohen Mandarinen kommen werde, um den Stand und das Herkommen der Gefangenen festzustellen. Bis dahin sollten dieselben gut bewacht werden.

»Ich werde sie nicht aus den Augen lassen,« versicherte der Beamte. »Es soll mir nicht so gehen, wie dem Teu dieses Gefängnisses, welcher nun heut selbst Gefangener ist, weil er gestern die drei Götterdiebe entwischen ließ.«

»Er hat seine Strafe verdient,« sagte der Tong-tschi streng. »Er ist nicht aufmerksam genug gewesen.«

»Aber zu mir sagte er, daß ihn keine Schuld treffe. Er weiß nicht, wie es möglich gewesen ist, daß sie entkommen konnten. Ich habe mich heut erkundigt und weiß nun, auf welche Weise sie ihre Freiheit erlangt haben.«

»Nun, wie?«

»Gestern spät am Abend ist einer hier gewesen, welcher von den Wachen eingelassen wurde, weil er das hohe Zeichen besaß —«

»Der muß also ein vornehmer Kuan-fu gewesen sein,« fiel der Tong-tschi ein.

»Nein, ein Betrüger ist er gewesen, denn er hat die Gefangenen befreit, was ein Kuan-fu nicht thun würde.«

»Dieser Mann? Unmöglich! Wer das hohe Zeichen besitzt, der ist ein hoher Mandarin.«

»Eigentlich, ja. Aber es ist auch möglich, daß das Zeichen ein falsches, ein nachgemachtes war. Man kann das des Abends wohl nicht genau erkennen. Der Teu hat diesen Mann nicht zu beaufsichtigen gewagt, da er ihn für einen hohen Beamten hielt. Heut nun erfuhr ich von den Wachen, daß derselbe mit den drei Gefangenen durch zwei Mauerpforten hinaus ist.«

»So trifft den Teu doch immer die Schuld. Wenn er auch den Kuang-fu nicht beaufsichtigen durfte, so mußte er doch die Gefangenen bewachen. Wenn es so ist, wie mein junger Kollege sagt, so war dieser Mann allerdings ein Betrüger, dem wir nachforschen werden, und wehe ihm, wenn wir ihn entdecken!«

»Mir würde das nicht geschehen können. Nun ich die Aufsicht über dieses Gefängnis führe, werde ich mir, wenn ein solcher Fall eintritt, das Zeichen sehr genau betrachten. Man muß sehr vorsichtig sein, zumal wenn man solche Gefangene hat wie diejenigen, welche ich jetzt herbegleitet habe.«

Der Tong-tschi gab ihm sehr ernsthaft den Rat, diesen Vorsatz ja auszuführen, und entfernte sich dann, um nach Hause zu gehen, wo er von dem Methusalem mit Ungeduld erwartet wurde.

Dieser hatte indessen mit Gottfried und Richard sehr gut zu Mittag gespeist, aber mit wenig Appetit, da er sich in großer Sorge um die Freunde befand. Der Tong-tschi gab sich Mühe, ihn zu beruhigen, doch vergebens.

»Morgen werden sie verhört,« sagte der Mandarin. »Bis dahin ist eine lange Zeit, und es wird uns wohl ein guter Gedanke kommen.«

»Wenn wir auf die Gedanken warten wollen, so sind meine Gefährten verloren. Wir müssen zwar denken, vor allen Dingen aber auch handeln. Wer wird das Verhör führen?«

»Ich und der Fu-yuen.«

»Der höchste Beamte der Stadt, welcher zugleich der Stellvertreter des Generalgouverneurs der ganzen Provinz ist? Da sind meine Freunde verloren. Wird er es glauben, daß sie Lamas sind?«

»Nein; er ist in Lhassa und auch im Lande der Mongolen gewesen. Auch hat er so viel mit Ausländern verkehrt, daß er sofort erkennen wird, wen er vor sich hat.«

»So dürfen wir es unmöglich bis zu diesem Verhör kommen lassen. Meine Gefährten müssen schon morgen früh frei sein. Ich muß sie schon heut nacht aus dem Gefängnisse holen!«

Der Mandarin sah nachdenklich vor sich nieder, dann sagte er:

»Das beste, was ich Ihnen raten kann, ist, daß Sie die Sache ruhig abwarten. Man darf ihnen ja nichts thun. Man muß sie dem Vertreter ihres Landes ausliefern.«

»Aber wie man sie dabei behandeln wird! Und ohne Strafe kommen sie nicht davon.«

»Die Strafe wird keine schwere sein; aber mit Ihrer Reise ist es dann aus. Und wer sagt mir, daß ich trotz aller Vorsicht nicht doch auch selbst in die Angelegenheit verwickelt werde!«

»Das haben Sie freilich zu befürchten, denn ich muß leider offen gestehen, daß diese Leute nicht allzu vorsichtig sind, wie sie bewiesen haben.«

»Nicht nur unvorsichtig sind sie, sondern auch übermütig trotz aller Gefahr. Sie hätten diesen Tu-lu-ne-re-si-ti-ki sehen sollen, als er die Augen herausnahm.«

»Doch nur das eine!«

»Ja. Dann verlangte er das Bein des Oberpriesters. Welcher andere wagt das, wenn er sich in einer solchen Gefahr befindet! Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, welcher seine Augen entfernen und sie wieder hineinthun kann, ohne das Gesicht zu verlieren.«

Der Student erklärte ihm die Sache und fuhr dann fort:

»Sie müssen frei werden, schon um Ihretwillen! Darf ich auf Ihre Hilfe rechnen?«

»Hm! Ich bin Beamter.«

»Sie sind Kuan-fu, sogar Tong-tschi, aber Sie haben trotzdem in der letzten Nacht drei Gefangenen die Freiheit gegeben.«

»Eben deshalb kann ich nun heut nichts thun. Dieser junge Pang-tschok-kuan ist trotz seiner Jugend ein tüchtiger Mann. Er wird sich nicht betrügen lassen.«

»Und es muß doch versucht werden!«

»Wollen Sie es wagen, so begeben Sie sich in eine große Gefahr. Ich will Ihnen weder zu- noch abreden. Ich werde Sie nicht hindern, denn Sie sind verschwiegen und werden mich nicht verraten. Vielleicht gebe ich Ihnen sogar einen guten Rat. Aber verlangen Sie nicht, daß ich mich persönlich beteilige, und führen Sie die Sache so aus, daß ich dabei gar nicht in Betracht komme! Ich werde jetzt in mein Zimmer gehen, um zu überlegen. Denken auch Sie nach! Selbst wenn Sie etwas wagen wollen, ist vor der Nacht nichts zu thun. Bis dahin wird wohl ein Entschluß kommen.«

Auch der Methusalem suchte seine Stube auf. Er ging in derselben ruhelos hin und her. Sie wurde ihm zu eng, und er begab sich in den Garten, wo er den Wichsier und Richard fand, welche sich sehr angelegentlich mit demselben Thema beschäftigten.

Sie setzten sich an einer Stelle nieder, wo sie nicht belauscht werden konnten, und schmiedeten Pläne, ohne aber einen zu finden, welcher Erfolg verhieß.

»Sie müssen heraus und sollte ich sie mit Kanonen herausschießen!« rief endlich Degenfeld ungeduldig aus. »Es handelt sich nicht nur um Turnerstick und den Mijnheer. Diesen beiden könnte ein kleiner Denkzettel gar nichts schaden; sie haben ihn reichlich verdient; aber daß Liang-ssi nun mit in diese Tinte geraten soll!«

»Es weiß doch niemand, daß er zu ihnen gehört,« meinte Richard.

»Jetzt noch nicht, aber sie werden es erfahren. Wenn sie morgen vor den Fu-yuen kommen, so werden alle Ausreden hinfällig; das sehe ich voraus. Diesem Beamten machen sie nichts weiß!«

»Dat glaube auch ich,« stimmte Gottfried bei. »Am allerbesten wäre es, man schickte mir hin, sie zu verhören. Mein Urteil würde lauten: Jebt jedem einen jehörigen Nasenstüber und laßt sie dann laufen, soweit sie wollen! Hier in China Jötters zu spielen! So etwas ist noch aus keine Dachtraufe jefallen! Wie sie nur auf diesen unvernünftigen Jedanken jekommen sind?«

»Jedenfalls hat Turnerstick ihn gehabt und der gute Dicke ist mit in die Patsche getrollt. Ich wette, daß beide noch gar nicht glauben, daß es ihnen unter Umständen recht schlimm ergehen kann. Hätte sich Liang-ssi nicht so mutig ihrer angenommen, und wäre der Mandarin nicht noch einmal zu ihnen zurückgekehrt, so hätten sie in der Gefahr geschwebt, vom Pöbel gelyncht zu werden. Kommt es nun morgen heraus, daß Liang-ssi zu ihnen gehört, so ist es um ihn geschehen. Er ist ein Chinese; ihn kann kein Konsul und kein Resident retten. Ueber ihm und auf ihn wird sich das ganze Gewitter entladen. Ich war so froh, ihn gefunden zu haben. Jetzt befindet er sich in der Gefahr, uns wieder entrissen zu werden. Das darf nicht geschehen, ich habe unserm Ye-kin-li mein Kong-kheou gegeben und werde unter Umständen mein Leben daran setzen, es halten zu können. Liang-ssi muß unbedingt befreit werden; er muß heraus!«

»Ja, und sollte er mit Ketten an dat Firmament jebunden sein, wie Wallenstein jeschworen hat. Sollte uns denn keine jute Idee beikommen! Mein Kopf ist doch sonst kein Kohlenkasten!«

»Aber ich wüßte wohl etwas; aber es geht nicht.«

»Er weiß etwas, doch jeht es nicht! Nun, da wissen Sie eben nichts, mein oller Methusalem. Wat ist es denn, wat Sie wissen?«

»Wenn der Tong-tschi wollte, so wäre uns geholfen.«

»Ja, dat weiß ich auch. Hat er jestern die drei herausjeholt, warum sollte er es heut nicht fertig bringen!«

»Weil man nun klug geworden ist, und weil heut eine andere und schärfere Beaufsichtigung da ist.«

»Er hat doch die Medalljen, die ihm dat Thor und alle Thüren öffnen, wie Sie erzählten.«

»Ja, aber ich kann es ihm nicht verdenken, wenn er sich nicht persönlich in Gefahr begeben will. Bei ihm steht eben mehr auf dem Spiele als bei jedem andern, und wir können von ihm nicht verlangen, daß er für uns alles, geradezu alles wagt, während es eigentlich seine Pflicht wäre, das gerade Gegenteil zu thun.«

»Richtig! Aberst wat er nicht kann oder nicht will, dat können doch wir!«

»Was?«

»Als Mandarinen ins Jefängnis jehen und dann mit die Jefangenen wieder herausspazieren.«

»Daran habe auch ich schon gedacht. Aber das ist leichter gedacht als gethan!«

»Dat weiß ich sehr wohl. Es läßt sich ja überhaupt alles leichter denken als thun. Denke ich mich zum Beispiel, daß ich Ihre Hukah rauche, da haben Sie dat Mundstück zwischen die Zähne, und ich kann mich den Rauch inschnuppern. Ich weiß auch ebenso jenau, daß die Sache mit eine jewisse Jefahr verbunden ist, aber ich kann den Jedanken nicht los werden, daß wir unsern ‚Jeldbriefträger von Ninive‘ noch mal wiedersehen, und da ist mich sonne chinesische Jefährlichkeit ziemlich schnuppe. Wollen Sie hinein in dat Huok-tschu-fang, so bin ich augenblicklich mit dabei.«

»Ich auch,« sagte Richard.

»Das glaube ich,« antwortete Degenfeld dem letzteren. »Dich aber könnte ich nicht gebrauchen. Du treibst chinesisch erst seit unserer Reise; Gottfried aber hat sich schon vorher so oft und eingehend mit seinem guten Freunde Ye-kin-li herumgeärgert, daß, um mit Turnerstick zu sprechen, genug Endungen an ihm hangen geblieben sind, um ihm hier und da einmal über die Lippen zu laufen. Er kann leichter als du für einen Chinesen gehalten werden, ganz abgesehen davon, daß du zu jung und zu klein bist, an so einer Gefahr teilzunehmen.«

»Schön!« meinte Gottfried. »Also mein Jedanke jefällt Ihnen?«

»Er ist nicht allein der deinige. Ich sagte ja bereits, daß ich ihn selbst auch schon gehabt habe. Wenn ich mir die Sache recht überlege, so wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben.«

 

»Jut! Ich jehe also mit?«

»Ja. Allein kann ich es nicht wagen. Ich muß einen Soutien haben, auf den ich mich zurückziehen kann.«

»Jottfried und Soutien! Ich avanciere immer höher! Wollen diese Anjelegenheit weiter betrachten. Wenn wir diesen Plan ausführen wollen, so müssen wir chinesische Kleider haben.«

»Mandarinenanzüge sogar!«

»Doch woher nehmen?«

»Freilich hier ist es nicht wie daheim, wo man nur zum Maskenverleiher zu gehen braucht, um alles zu finden, was nötig ist.«

»Werden es auch hier finden!«

»Wo?«

»Davon später. Ferner brauchen wir den Hauptschlüssel in Jestalt von eine Medaille.«

»Den hat der Tong-tschi.«

»Und jiebt ihn nicht her?«

»Ich zweifle.«

»Ferner brauchen wir Sänften, nicht?«

»Ja. Gehen können die drei nicht, wenn es uns gelingen sollte, sie bis vor das Thor des Gefängnisses zu bringen. Die Kleidung des Mijnheer würde auffallen und alles verraten.«

»So müssen wir Sänftenträger bestechen, und dat kostet Jeld.«

»Das Geld würde ich nicht sparen; aber welcher Fremde findet gleich Kulis, denen man trauen darf. Wir wären gezwungen, diesen Leuten unsern Plan mitzuteilen, und müßten gewärtig sein, daß die Kerls zum Pang-tschok-kuan liefen, um ihm alles zu sagen.«

»Wie viele brauchen wir ihrer dann?«

»Zwölf.«

»Zwölf? Warum so viele?«

»Weil wir sechs Personen sind. Es versteht sich ja ganz von selbst, daß wir nicht nach hier zurückkehren könnten. Wir müßten sofort die Stadt verlassen.«

»O weh! Und die Straßen und Jassen sind alle verschlossen!«

»Das würde uns wenig hindern, da ich den Paß habe, welcher alle Thore öffnet, leider aber nicht Gefängnisthüren.«

»Hm! Je länger ich mich die Sache betrachte, desto freundlicher lächelt sie mir an. Ich werde mal einige Augenblicke auf und nieder steigen; dann sollen Sie hören, wat der Jottfried für kein Aujust ist!«

Er stand von seinem Sitze auf und stieg einigemal im Garten hin und her. Dabei warf er die langen Arme um sich und zog allerlei wunderliche Gesichter, lachte dabei laut auf, brummte wieder sehr ernst vor sich hin und kehrte endlich mit einem höchst pfiffigen Gesicht wieder zurück.

»Ich habe es!« sagte er. »Die janze Jeschichte liegt hell und klar vor meine jeistige Fähigkeiten; nur mit die Sänftenträger weiß ich noch nicht, woher sie nehmen.«

»Nun, schieß los!«

»Soll jeschehen. Sie wissen wohl, daß ich länger bin als Sie?«

»Natürlich! Was soll diese Frage?«

»Stören Sie mir nicht in meinem Zirkel! Auch werden Sie bemerkt haben, daß Sie dicker sind als ich?«

»Zu meiner Kenntnis ist auch das gekommen, ja.«

»Und wat sagen Sie nun von die Jestalt unseres heutigen Wirtes?«

»Wieso? In welcher Beziehung meinst du das?«

»In Beziehung der seinigen Jestalt auf die unserige Figur.«

»Nun, er ist nicht ganz so beleibt wie ich und auch nicht ganz so lang wie du.«

»Janz recht! Er steht so mitten inne. Darum jebe ich mir der Ueberzeugung hin, daß seine Anzüge uns beiden so leidlich passen würden, wenigstens für des Nachts.«

»Möglich, sogar wahrscheinlich. Aber denkst du etwa, daß er sie uns leihen würde?«

»Warum nicht?«

»Nein. Er mag von der Sache persönlich nichts wissen.«

»Aberst fragen können Sie ihn doch! Und sollte er sie nicht herjeben wollen, nun, so schafft unser Jottfried Rat.«

»Wieso?«

»Ich mause sie, oder ‚ek muise zij‘, wie der Mijnheer sagen würde.«

»Gottfried, wie lautet das siebente Gebot?«

»Weiß schon: Du sollst nicht stehlen! Doch will ich dat auch jar nicht. Er soll seine Habitussens zurück erhalten. Und diese Medailljens, welche wir brauchen, werden ‚ook gemuist‘, wenn wir sie nicht anders bekommen können.«

»Gottfried, Gottfried!«

»Methusalem, Methusalem! Wenn Sie wat bessers wissen, so sagen Sie es! Sie können nur als Mandarin und mit einem Zeichen versehen sich Eingang verschaffen. Ueberlejen Sie sich den Schlafrock; ich werde Ihnen nicht dabei stören.«

Er ging fort, um seinen Spaziergang wieder aufzunehmen, und kehrte erst nach längerer Zeit zurück, um zu fragen:

»Nun, haben Sie einen andern Weg entdeckt?«

»Nein.«

»So muß es bei dem meinigen bleiben.«

»Das fällt mir schwer. Sollen wir das Vertrauen des Tong- tschi in dieser Weise täuschen? Denn was wir ihm heimlich nehmen, können wir ihm dann nicht wieder zustellen.«

»Warum denn nicht?«

»Weil wir keine Zeit dazu haben und die Sachen auch keinem Boten anvertrauen dürfen.«

»Hm! Dann wären sie allerdings jestohlen, und ein Spitzbube ist der Jottfried nie jewesen. Hier, grad hier sitzt der Hase, über den ich nicht jern stolpern möchte. Denken wir also weiter nach!«

Aber das Grübeln war umsonst. Degenfeld sah ein, daß er vor allen Dingen hören müsse, welchen Vorschlag ihm der Tong-tschi machen werde. Dieser hatte ihm ja einen guten Rat versprochen.

Aber der Nachmittag verging, ohne daß der Mandarin sich sehen ließ. Es wurde Abend und man rief die drei zum Mahle in das Haus. Es war für sie allein gedeckt. Degenfeld fragte den servierenden Diener nach seinem Herrn und hörte, daß derselbe Besuch empfangen habe.

»Es ist der Ho-po-so, welcher mit ihm in seinem Zimmer speist,« fügte der redselige Mann hinzu.

»Der Ho-po-so? Wann ist er gekommen?«

»Vor einer halben Zeit.«

Eine halbe Zeit ist gerade eine Stunde. Also schon so lange war er da! Er aß mit dem Tong-tschi, ohne sich vor den Gästen sehen zu lassen, welche zu begrüßen er gekommen war! Das war sonderbar.

Später hörte Degenfeld die Schritte mehrerer Leute, welche draußen am Speisezimmer vorübergingen. Dann erfuhr er, daß der Ho-po-so sich entfernt habe.

»Das ist beleidigend,« sagte er zu Gottfried. »Wir haben ihn von der Piratendschunke geholt; er verdankt uns nicht nur das Leben, sondern auch die Ehre und Reputation; er hat auch dem Tong-tschi gesagt, daß er morgen oder sogar schon heut kommen wolle, um uns zu sehen, und nun er da ist, sucht er uns nicht auf und entfernt sich wieder, ohne uns sein mongolisches Angesicht gezeigt zu haben. Was soll man davon denken!«

»Wat ich denken soll, dat weiß ich.«

»Nun, was?«

»Der Tong-tschi wird erzählt haben, wat jeschehen ist, und nun mag dieser liebe Hafen- und Flußmeister nichts von uns wissen. Als er sich in Jefahr befand, waren wir ihm willkommen; nun aber wir uns in Jefahr befinden, beeilt er sich, heiler Haut nach Hause zu gehen. Dat ist so der Lauf der Welt und die Jepflogenheit des Menschenjeschlechtes.«

»Aber feig und undankbar!«

»Wat mir betrifft, so bin ich nicht zu den Chinesigen jekommen, um Mut und Dankbarkeit bei sie zu suchen. Meinetwegen mag dieser Ho-po-so sich – — – «

Er hielt inne, denn der Tong-tschi trat ein, grüßte sehr freundlich und erkundigte sich, wie sie bedient worden seien. Der Methusalem antwortete anerkennend und war dann ziemlich erstaunt, als der Wirt ihm sagte, daß der Ho-po-so dagewesen und soeben fortgegangen sei. Er hatte erwartet, daß er diesen Besuch verheimlichen werde, um seine Gäste nicht zu kränken.

»War er nicht gekommen, uns zu begrüßen?« konnte der Student sich doch nicht enthalten, zu fragen.

»Ja,« antwortete der Mandarin ganz unbefangen. »Er hatte sich sehr darauf gefreut, Sie zu sehen.«

»So kommt er wieder?«

»Nein.«

»Dann ist es mir unbegreiflich, daß er gegangen ist, ohne sich sehen zu lassen!«

»Es fiel ihm plötzlich ein, daß er etwas sehr Wichtiges vergessen hatte; darum mußte er sich beeilen und hat mich gebeten, ihn zu entschuldigen.«

»Dessen bedarf es nicht. Wir dürfen ja nicht so unbescheiden sein, ihn von wichtigen Dingen abzuhalten.«

Ueber das Gesicht des Tong-tschi glitt ein feines Lächeln. Er wußte gar wohl, wie Degenfeld seine Worte meinte, that aber gar nicht so, als ob er ihn verstehe. Er setzte sich zu den dreien an den Tisch, verlangte Pfeifen und gab, als diese brannten, dem Diener den Befehl, sich zurückzuziehen und jede Störung fern zu halten.

Nach dieser Einleitung wollte der Methusalem vermuten, daß der Mandarin nun von den Gefangenen sprechen und vielleicht einen guten Rat zum Vorschein bringen werde. Dem war aber nicht so, denn der Chinese begann wieder von dem Ho-po-so zu sprechen. Er sagte: